Leutnant Bones - Edgar Wallace - E-Book

Leutnant Bones E-Book

Edgar Wallace

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Beschreibung

Sanders ist ein britischer Kolonialbeamter. Seine Aufgabe ist es, in den britischen Kolonien in Afrika, Recht und Ordnung durchzusetzen. Nebenbei erfährt der Leser zwischen den Zeilen viel über den Kolonialismus vor der Zeit des ersten Weltkrieges. Als Kolonialismus wird die Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft bezeichnet. Kolonisten und Kolonialisierte stehen einander dabei kulturell in der Regel fremd gegenüber. Zwar wird Sanders als Amtmann in die Hauptrolle gedrängt. Aber er ist bemüht, den Frieden der afrikanischen Stämme aufrecht zu erhalten und Weiße Händler und deren Ausbeutungsabsichten fern zu halten.

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Seitenzahl: 279

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Edgar Wallace

Lieutenant Bones

Die Afrika-Romane 7. Band

Scratch Verlag

Klassik

e-book 124

Originaltitel: Lieutenant Bones. 1918

Erscheinungstermin: 01.10.2022

© Scratch Verlag

Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

[email protected]

www.scratch-verlag.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Vertrieb: neobooks

Inhaltsverzeichnis

Leutnant zur See Bones

Die Falle

Regierungswechsel

Der entscheidende Punkt

Valentines verrückter Einfall

Legenden

Der große Fetisch

Der Friedensstifter

Sandis Sohn

Bones und eine Dame

Das kleine Volk

Die Nordleute

Leutnant zur See Bones

Auf einem bewaldeten Hügelrücken, am Zusammenfluss des B'suri und des Großen Flusses, lag eine unregelmäßige Gruppe von Dörfern. Man nannte sie nach dem größten von ihnen M'fumbini-falapa. Sie hatten auch noch einen anderen Namen, den ich aber nicht nennen will, denn es wäre immerhin möglich, dass meine Geschichte in die Hände eines unschuldigen Menschen fallen könnte, der die Bomongo-Sprache versteht. Selbst wenn man es salonfähig übersetzen wollte, würde man es „Ewiger Schmutz“ bezeichnen müssen. Die Ortschaften an sich waren nicht sauber, auch boten sie keinen netten Anblick vom Fluss aus. Die Hütten standen ohne Ordnung und Plan durcheinander, waren alt und nur dürftig ausgebessert. Manche sahen sehr hässlich aus, weil man sie mit Stücken verrosteten Wellblechs geflickt hatte. Denn calacala, das heißt vor langer Zeit, errichtete eine optimistische britische Gesellschaft in der Nähe einmal ein Lagerhaus für Palmnüsse. Das Unternehmen rentierte sich aber nicht, und das Lagerhaus stand verlassen da. Mit der Zeit hüllte es der Dschungel vollständig ein. Die Leute von M'fumbini hatten in ihrer diebischen Art Teile davon genommen, und da sie nichts planmäßig oder ordentlich machten, häuften sie Unzier zu Unzier, bis ihr Dorf so hässlich war, dass es die Augen aller Leute beleidigte, die es ansahen.

Sanders ermahnte sie, erließ Verordnungen und hielt ein Palaver nach dem anderen ab, aber alles war umsonst. Sie wohnten ziemlich isoliert, denn die Strömung des Flusses war hier stark, so dass die Landung an dem Ufer mit Gefahren verknüpft war und ihre Nachbarn nur sehr selten zu ihnen kamen. Sie lebten allein mit ihren mageren Kindern und ihren unglaublich hässlichen Weibern und wurden weder von den Isisi noch von den N'gombi als gleichberechtigt anerkannt, mit denen sie doch nach ihrer Aussage stammverwandt waren.

Der Einfluss der Umgebung auf den Charakter der Menschen ist so oft beschrieben worden, dass es nicht nötig ist, auch in dieser Geschichte näher darauf einzugehen. Die M'fumbini-Leute waren Lügner und Diebe, hielten Zauberbeschwörungen ab und glaubten an schreckliche Ju-Jus. Einsame Fischer, die in diesen Wassern Fische speerten, verschwanden gewöhnlich und wurden zweifellos abgeschlachtet, denn die M'fumbini waren Kannibalen. Nur einmal wurden sie dabei gefasst.

Distriktsgouverneur Sanders kam in einer bestimmten Nacht und überraschte die Dorfbewohner bei einer besonders grausigen Festlichkeit.

Im nächsten Morgengrauen banden seine Soldaten dem Häuptling Hände und Füße zusammen, legten einen Strick um seinen Hals und hängten ihn an einem sehr hohen Baum auf. Sanders hätte sich aber die Mühe sparen können, denn nach Verlauf eines Jahres hatte der neue Häuptling eine Geheimgesellschaft gegründet, die sich „Die drei Stöcke“ nannte und Gewohnheiten annahm, die nicht in einem gedruckten Buch wiedergegeben werden können.

Wenn sie ohne Verbindung mit anderen Stämmen waren, sandten sie Späher und Spione aus, die als Vagabunden umherstreiften und von der Gastfreundschaft freundlicher oder gleichgültiger Stämme lebten, wobei sie die weniger freundlichen und unruhigen Völker mieden. Diese Wanderer erfuhren viele Dinge. Einer von ihnen war N'kema, ein gerissener junger Mann, der nur ein Auge hatte. Wenn er einem der großen gesunden Stämme angehört hätte, wäre er getötet worden, denn diese dulden keinerlei körperliche Entstellung. Eines Tages kehrte er mit allerhand Nachrichten zurück, und es wurde ein großes Palaver abgehalten.

„N'kema ist der Sohn meiner eigenen Schwester“, sagte der Häuptling und stellte ihn der umhersitzenden Versammlung vor. „Er hat viele wunderbare Dinge erfahren, und mein Ju-Ju hat mir gesagt, dass Wahrheit in seinen Worten liegt. So höre ihn nun an, mein Volk, S'ibi M'laka!“

Und N'kema sprach und berichtete von einem weißen Mann, der in dieses Gebiet gekommen sei und mit Hilfe merkwürdiger Instrumente eine wunderbare Flüssigkeit hergestellt habe, die die Leute zu wilder Fröhlichkeit brachte. Er erzählte auch, wie die Menschen Gummi und Elfenbein und allerlei schöne Dinge gebracht hätten, um dafür dieses Wasser der Verrücktheit einzutauschen. Aber Sandi, der Fuchs, habe den Mann bald ausfindig gemacht und ihn getötet. Und nun schrien alle nach dem Zauberwasser.

„Und dies habe ich erfahren, o Häuptling und o Volk, dass es in fernen Ländern, wo der Strom mit nur einem Ufer fließt, viel brennendes Wasser gibt, und die Feuerschiffe bringen es in großen Gefäßen und schaffen es an die Küste. Nun denke ich, dass es gut wäre, wenn wir unser Elfenbein ausgrüben und ich zu diesen wunderbaren Plätzen ginge und für die Zähne das Wasser einhandelte. Dann bringen wir es heimlich hierher, und wir werden reich sein.“

„Das ist ein törichtes Geschwätz“, sagte der Häuptling böse. „Denn was wird Sandi tun? Es ist doch ein Gesetz, dass alle Elfenbeinzähne und aller Gummi und die schönen Dinge, die wir finden, vor Sandi gebracht werden müssen und dass er sie in ein Buch einschreibt, bevor sie außer Landes gehen. Und ist es nicht ebenso Gesetz, dass alle Dinge, die in dieses Land kommen, erst vor Sandi niedergelegt werden müssen, und ist es nicht von Sandi mit großen Worten gesagt worden, dass das Wasser der Verrücktheit nicht in dieses Land kommen soll? O N'kema, ich glaube, du bist ein Narr!“

„O Herr“, sagte der einäugige Mann eifrig, „ich habe sehr schlaue Gedanken in meinem Kopf. In der Nacht, wenn Sandi schläft, will ich mit einem großen Boot, das ganz mit Schätzen gefüllt ist, hinter seinem schönen Hause vorbei an dem Gestade des Flusses, der nur ein Ufer hat, entlangfahren zu den Plätzen, wo ich handeln kann. Ich habe auch einen Mann der Akasava gefunden, der in diesen fernen Ländern gelebt hat und der mir als Führer dienen wird.“

Das Palaver dauerte bis in den frühen Morgen, und die ganze nächste Nacht hindurch grub der Häuptling in Begleitung seiner Ratgeber die alten Bergeplätze seines Stammes aus, wobei geheimnisvolle Riten ausgeführt wurden. In einer mondlosen Nacht, als das Geschick günstig war und ein weißer Nebel über der Flussmündung lag, kam N'kema mit seinem beladenen Boot an dem Posten vorbei, der unten an der Flussmündung aufgestellt war, und fuhr an der Küste des Flusses entlang nach Norden. Von seiner Ankunft in dem Hafen eines gewissen unabhängigen Staates, von seinem Feilschen, seinem Handeln und seinem schließlichen Erfolg braucht hier nicht ausführlich berichtet zu werden. Er kam in ein neues Land und in eine neue Welt und hörte vielleicht das erste Mal von einem Krieg, der über all sein Verstehen groß war, und er war in dieser Zeit der Weltkatastrophe und dem Kriege näher als seine obersten Gebieter.

Der Atem des Weltkrieges wehte nur gelegentlich zu diesen Landstrichen-ein stürmischer Windstoß von kurzer Dauer, der beinahe den Blitz und Donner der Kanonen hierhergebracht hätte, die in Europa Tag und Nacht dröhnten. Dann hörte der Sturm auf, und es trat eine fast schmerzhafte Ruhe und Stille ein. Buchstäblich kam der Krieg manchmal nur durch Briefe hierher, manchmal durch Zeitungen und hin und wieder bei großen, ruhmreichen Ereignissen durch ein anderes, vertrauteres Mittel. Der eingeborene Beamte im Telegrafenbüro kam dann atemlos mit einem großen gelben Formular, das viele Fingerabdrücke zeigte, das aber in der schlechtentzifferten Botschaft der Zentralverwaltung des Gebietes von ergreifenden Heldentaten berichtete.

Für eine Stunde, für einen Tag lag dann eine sonderbare Ruhe über der Residenz. Die Wirkung dieser Nachrichten auf die drei Männer, die sie erhielten, war sehr verschieden. Zuerst versammelte die Botschaft vier Menschen an einer großen Landkarte, die auf dem Esstisch ausgebreitet war. Die vierte Persönlichkeit war Patricia Hamilton, die Schwester des Haussa-Captains, die eine eifrige und begeisterte Strategin war. Nachher trennten sie sich, und jeder versank in die besondere Welt seiner Träume.

Patricia war traurig, sie sah nur eine Welt, die von leidenden Frauen bevölkert war. Distriktsgouverneur Sanders ging in den Wald, der zur Residenz gehörte, und niemand kannte seine Gedanken. Captain Hamilton wurde schweigsam, fast finster. Er war freiwillig in sein Regiment eingetreten und hatte das größere Opfer gebracht. Er war in den Gebieten Afrikas geblieben, um den Frieden unter einem Zweimillionenvolk, das noch Neigung zum Kannibalismus besaß, aufrechtzuerhalten.

Leutnant Tibbetts, genannt Bones, aber klagte laut über sein Missgeschick, bis ihn sein Vorgesetzter böse fortschickte. Er marschierte dann im Feuer seiner Begeisterung mit einem Zug wenig erfreuter Soldaten ins Gelände, um neue Schützengrabensysteme zu erfinden.

Manchmal vergingen mehrere Tage, bevor die Aufregung abflaute und die Menschen wieder normal wurden. Sanders war stets der Erste, der sein Gleichgewicht wiederfand. Denn wo seine Sympathien auch liegen mochten, und wie sehr er auch bedauerte, dass er sein Leben als politischer Beamter zubringen musste, immer wartete dringende Arbeit auf ihn.

Nur einmal rückte der Weltkrieg in unmittelbare Nähe. Bones trieb sich eines Nachmittags an der Küste umher, als eine dicke, schwarze Rauchwolke über dem Horizont auftauchte. Er stürzte wie verrückt vom Strand fort, stapfte mitten durch die Blumenbeete und war mit einem kühnen Sprung über das Geländer auf der Veranda. Er brachte die drei Menschen in Aufregung, die dort saßen und geduldig auf seine Ankunft zum Tee warteten, die sie sich allerdings etwas würdevoller gedacht hatten.

„Wo, zum Teufel, haben Sie gesteckt, Bones?“, fragte Hamilton. „Ich habe mich heiser geschrien, um Sie zum Tee zu rufen.“ Bones grüßte militärisch. „Die Post kommt auf hoher See!“, sagte er.

„Die Post?“, sagte Sanders stirnrunzelnd. „Sie war doch erst am Dienstag hier, vor vierzehn Tagen kommt sie nicht wieder.“

„Die Post kommt auf hoher See!“ wiederholte Bones. „Gesichtet von mir um fünf Uhr fünfundzwanzig, Westnordwest nach Westen.“

Es begann ein hastiges Suchen nach Gläsern und Feldstechern, und vier Augenpaare richteten sich gespannt auf die Rauchfahne, von der sich jetzt ein stumpfer Mast löste und offenbar ein einzelner, großer, rauchender schwarzer Schornstein.

„Ich weiß nicht, was das ist“, sagte Sanders nach einer Weile, „aber auf keinen Fall ist es ein Postdampfer.“

„Ich denke, ein Zerstörer“, sagte Hamilton, der das näherkommende Schiff intensiv betrachtete.

Nun war ein Zerstörer ein Kriegsschiff, das man an der afrikanischen Küste sonst nicht zu sehen bekam. Es gab zwar kleine, zierliche Kanonenboote, auch manchmal einen blitzblanken Kreuzer, aber nicht mehr und nicht weniger. Weder Unterseeboote noch Zerstörer, weder Schlachtschiffe noch Panzerkreuzer nahmen ihren Weg zu diesen Breitengraden, und die drei Männer empfanden die Neuigkeit mit jenem angenehmen Gefühl, das die Wirklichkeit in der Welt des Scheins hervorruft.

„Er kommt direkt hierher“, sagte Bones, „und ich wäre durchaus nicht überrascht, wenn die Regierung nach mir schickte.“

„Was sollte sie denn mit Ihnen anfangen, Bones?“, fragte Hamilton.

„Sie wissen ja noch gar nichts“, verwahrte sich Bones, „Sie haben jenen Artikel nicht gelesen, den ich im >Wildford Chronicle< erscheinen ließ.“

Hamilton grinste. „Haben Sie wieder für Zeitungen geschrieben?“, fragte er resigniert.

„Es war nur eine kleine Sache“, sagte Bones bescheiden, „tatsächlich nur ein Brief an meinen lieben, alten Onkel Henry. Ich habe darin gelegentlich erwähnt, dass ich einen neuen Weg wüsste, um die Berechnungen dieser hübschen kleinen Torpedos über den Haufen zu werfen. Der verrückte alte Herr sandte den Brief an die Zeitungen.“

Aber sein Ton ließ nicht erkennen, dass er seinen Verwandten für diese Indiskretion tadelte.

„Natürlich werden diese Dinge bekannt“, fuhr er ernst fort, „und ich würde gar nicht überrascht sein, wenn die Admiralität diesem Artikel Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Meine Idee über Torpedos ...“

„Es ist wirklich ein Zerstörer“, sagte Sanders, als das Schiff langsam vor Anker ging und seine vier niedrigen Schornsteine sich scharf von dem weißen westlichen Himmel abhoben. „Es ist ein großes Schiff - dort kommt eine Dampfpinasse von ihm an Land.“

„Natürlich“, sagte Bones und hustete, „es wird etwas unangenehm sein, Ham, mein Lieber, wenn ich Sie so plötzlich verlassen muss. Aber wenn das Vaterland die besten Männer und die besten Köpfe ruft“, er zuckte mit den Schultern, „- was kann man machen? Natürlich, es tut mir furchtbar leid, dass ich nun von hier fort muss, aber ich muss dahin gehen, wo ich am besten dem netten, alten Reich dienen kann. Der Krieg“, schwatzte er weiter, „stellt alle vorgefassten Meinungen betreffend Dienstalter, Beförderung und so weiter auf den Kopf. Napoleon war schon mit einundzwanzig Jahren General - oder es können auch vierundzwanzig gewesen sein. Nelson - Admiral mit sechsundzwanzig. Leute, die Leutnants waren, kommandierten ein Jahr später eine Division. Das ist Kriegsglück, mein lieber Freund.“ Er klopfte Hamilton wohlwollend auf die Schulter. „Vergessen Sie bitte nicht, mein Lieber, Guter, zur Zeit noch Vorgesetzter“, sagte er heiter, „dass Sie in Ihrem alten Bones immer einen Freund bei Hofe haben werden. Genieren Sie sich nicht, Ihre Karte hereinzusenden - kommen Sie direkt in mein Büro. Und tun Sie nicht zeremoniell mit mir, alter Freund. Denken Sie dann nur nicht, dass ich der Admiral Sir Augustus Tibbetts bin, der Torpedoboot-Experte, sondern immer noch der einfache Bones. Ich würde Ihnen niemals vergeben, wenn ...“

„Ich wünschte nur, Sie würden endlich den Mund halten, Bones“, sagte Hamilton. „Kommen Sie mit zum Strand und begrüßen Sie die Leute.“

Die starke Pinasse durchschnitt schnell die sich überschlagenden Wellen, kam gut durch die Brandung und fuhr an dem weichen Ufer auf Grund. Ein Marineoffizier in weißer Uniform und Tropenhelm sprang heraus, und die Offiziere begrüßten einander nach alter Gewohnheit.

„Hurra!“, schrie Bones. „Wie steht die Sache?“

Der Offizier, der an Land kam, war ein großer, gutaussehender junger Mann von fünfundzwanzig Jahren. Beim Lächeln zeigte er seine weißen Zähne. Er ging den Strand hinauf und begrüßte die beiden anderen.

„Ich bin außerordentlich traurig, dass ich Sie hier in Ihrem Arkadien störe, aber ich vermute, dass Sie schon gehört haben, dass Krieg im Gange ist.“

Hamilton lächelte, Bones aber hielt das für unter seiner Würde.

„Mein lieber Seeoffizier“, sagte er ernst, „was bringen Sie uns für Nachrichten?“

Der Fremde musste lachen. „Ich möchte Ihren Nachrichtenoffizier sehen“, sagte er.

„Unseren -?“, fragte Hamilton verwirrt.

„Den Nachrichtenoffizier, der den Geheimdienst unter sich hat.“ Der Seemann schaute vom einen zum anderen, und Bones ergriff sofort die Gelegenheit.

„Mein Lieber“, sagte er, indem er den Besucher vertraulich unter dem Arm fasste. „Wir verstehen uns, Sie wollen mich betreffend des guten alten Torpedofängers sprechen.“

„Nicht um die Welt“, sagte der Offizier. „Ich möchte ...“

„Kommen Sie mit zum Verwaltungsgebäude“, sagte Hamilton lachend, „ich fürchte, wir sind alle Nachrichtenoffiziere.“

„Einer natürlich mehr als die anderen, mein lieber, alter Seehund“, unterbrach ihn Bones und ließ den Arm des Offiziers noch nicht los. „Einer von uns - aber es ist nicht an mir, zu sagen, wer, ist besonders geeignet zum Bewahren von Geheimnissen. Was nun aber die Sache mit den Torpedos angeht -“ Hamilton stellte Sanders den Offizier vor. Sein Name war Bagshott.

„Es wurde mir mitgeteilt, dass ich an den meisten unserer Hauptplätze an der Küste einen Nachrichtenoffizier vorfinden würde“, entschuldigte er sich und erklärte, dass er die Küste bisher noch nicht berührt habe, sondern direkt von einer Insel im Atlantischen Ozean herübergekommen und mit den Zuständen in diesen Gewässern nicht vertraut sei.

„Also -“, er kam, wie Seeoffiziere das gewöhnlich machen, mit einer plötzlichen Redewendung auf eine ernste Angelegenheit zu - sprechen. „In dieser Gegend treibt sich ein U-Boot herum, das in der letzten Zeit einen Angriff auf einen Postdampfer machte. Sein Torpedoschuss ging nur um Haaresbreite an der Schiffsschraube vorbei. Es ist unglaublich weit von seiner Basis entfernt, aber diese neuen Unterseeboote können erstaunliche Entfernungen zurücklegen. Vor zwei Tagen hat es einen Handelsdampfer versenkt. Wir erhielten noch gerade sein SOS zur rechten Zeit und kamen an, kurz bevor er unterging.“

„Ich glaube kaum, dass wir Ihnen helfen können“, sagte Sanders. „Aber selbstverständlich stehen wir ganz zu Ihrer Verfügung. Was können wir für Sie tun?“

„Haben Sie schon einmal versucht, die Unterseeboote mit Netzen zu fangen?“, fragte Bones in plötzlicher Erregung. „Großer Gott, was für eine glänzende Idee - blitzartig überkam sie mich, lieber, alter Ham! Also, Sie machen ein nettes kleines Netz unter ein Unterseeboot und ziehen es einfach in die Höhe. Verstehen Sie, wie ich es meine, lieber Seeoffizier?“

Bagshott brachte es nicht einmal zu einem Lächeln. „Ich fürchte, es hat schon jemand vor Ihnen diese Idee gehabt“, sagte er ernst.

„Aber man könnte sie doch mit Magneten aus dem Wasser fischen“, fuhr Bones energisch fort und war in keiner Weise durch die Ablehnung eingeschüchtert. „Sie nehmen einfach ein halbes Dutzend starker Magnete ...“

„Bones, seien Sie jetzt endlich ruhig! Was können wir tun?“ fragte Sanders.

„Sie können mir eine Information über die Tiefe des Stromes geben. Die Schiffskarten, die wir haben, sind nicht recht brauchbar. Die afrikanischen Ströme verschlammen, und die Wassertiefen ändern sich jede Woche.“

„An manchen Stellen hat er ganz nette Tiefen -“ Bones wollte seine Stellung als Nachrichtenoffizier, zu dem er sich selbst ernannt hatte, nicht aufgeben. „Einfach furchtbar tief, lieber, alter Seeonkel.“

„Diese Informationen kann ich Ihnen geben“, sagte Sanders. „Was wollen Sie noch weiter wissen?“

„Es wäre mir lieb, wenn Sie einen Offizier oder einen äußerst vertrauenswürdigen Mann -“

„Alles in einer Person, mein Herr und Freund“, murmelte Bones, „wenn Sie den richtigen Soldaten nehmen.“

„Schlag ihm doch einmal auf den Kopf, Pat“, bat Hamilton seine Schwester ernstlich. „Fahren Sie fort, mein Herr. Was hat er zu tun, und was sind seine Pflichten?“

„Er soll nachts die Flussmündung bewachen. Das Unterseeboot könnte in die Flussmündung einlaufen und tagsüber unter Wasser bleiben. Ebenso müsste er ein Auge auf alle fremden Fahrzeuge haben, die in diesen Gewässern erscheinen. Es ist nämlich auch ein Versorgungsschiff irgendwo in dieser Gegend. Es wird gerade keine angenehme Aufgabe sein, denn es bedeutet eventuell, einen Monat lang Wache zu halten.“

„Sie brauchen kein Wort mehr zu sagen“, bemerkte Bones feierlich und drückte dem Besucher die Hand. „Es ist schon alles in bester Ordnung - betrachten Sie bereits alles als geschehen. Und wenn Sie oder ihre nette, liebe Mannschaft einmal an dem schweigsamen Posten zur Nachtzeit vorbeikommen, das Passwort ist >Wachsamkeit<, und der Seeoffizier, der die Wache befehligt, Leutnant Augustus Tibbetts.“

Er stand stramm und salutierte.

„Sie sind doch nicht etwa von der Königlichen Marine?“, fragte der erstaunte Offizier.

„Ich will dafür sorgen, dass der Wachtposten aufgestellt wird“, sagte Hamilton, indem er das freiwillige Angebot Bones ignorierte. „Es wird unserem Leben eine interessante Abwechslung geben.“

Eine Stunde später fuhr der große Zerstörer wieder ab, und bei Sonnenuntergang war er vollständig hinter dem Horizont verschwunden.

Der Dienst begann in derselben Nacht. Hamilton nahm das Dampfboot, ließ es in die Mitte des einen schiffbaren Flussarmes fahren und warf dort für die Nacht Anker.

Um ein Uhr morgens hörte er ein leises Geräusch und wandte sein Nachtglas nach der Flussmündung, aber er sah nichts. Fünf Minuten später tauchte ein Boot aus der Finsternis auf, und jemand rief ihn mit einem heiseren Flüstern an.

„Haben Sie irgendetwas gesehen, lieber, guter Captain?“

„Sind Sie das, Bones? Was, zum Teufel, haben Sie denn hier zu tun?“

„Wachen und warten, mein lieber, alter Offizier. Wachen und warten. Haben Sie nicht irgendwelche Anzeichen von dem netten alten Seeräuber?“

„Machen Sie, dass Sie ins Bett kommen, alter Esel!“

Eine gedämpfte Stimme antwortete so etwas wie „Zu Befehl!“, und das Boot wurde wieder von der Finsternis verschlungen. Um drei Uhr, als Hamilton vermutete, dass das Unterseeboot versuchen könnte, in die Flussmündung einzulaufen, hörte er einen heftigen Stoß gegen die Wand seines Bootes. Sofort sprang er zur Reling, den Revolver in der Hand.

„Gut Freund!“ hörte er die Stimme von Bones. „Ich bin schrecklich traurig, Wachtkamerad, aber es war ein Schlag meines Ruders.“

„Zum Teufel, was treiben Sie sich immer noch hier herum - warum schlafen Sie nicht?“, fragte Hamilton böse.

„Passieren Sie, Freund, und alles ist in Ordnung.“ Bones sprach wohl zu sich selbst. Dann verschwand er wieder.

„Wenn Sie nicht schlafen, Bones, während ich auf Posten bin“, sagte Hamilton ernst, als sie beim Frühstück saßen, „wie wollen Sie dann Ihre Wache halten, wenn Sie dran sind?“

„Es ist der ganzen Küste entlang bekannt“, sagte der bescheidene Bones, „dass ich von den netten, lieben Eingeborenen einen besonderen Namen bekommen habe - >Das Auge, das sich nimmer schließt<.“

„Ich verstehe immer Auge“, unterbrach ihn Hamilton, indem er nach den Ölsardinen langte, „sind Sie auch sicher, dass es nicht >Mund< heißen soll?“

„Auge!“, sagte Bones wild. „Seien Sie gerecht, Ham, seien Sie ein Sportsmann, mein Lieber, und berauben Sie den alten Bones nicht seiner letzten Ehre!“

„Das Auge, das sich nimmer schließt“, murmelte Hamilton und schüttelte traurig den Kopf.

Bones übernahm seine Pflichten in der nächsten Nacht und schien sehr wachsam zu sein. Auf dem Motorboot war ein kleines Hotchkiß-Geschütz am Bugsprit eingebaut, welches er sofort lud. Mitten in der Nacht vergaß er aber, dass es geladen war, und da er nichts zu tun hatte, spielte er mit dem Abzug, und der Schuss ging los. Hamilton in Pyjama und Moskitoschuhen, Sanders mit einem Paletot bekleidet und Patricia in einem etwas seltsamen Anzug versammelten sich am Strand und hielten ein Palaver mit Bones ab, der aber wohlweislich auf seinem Posten in der Mitte des Stromes aushielt.

Die Unterhaltung bei dieser Konferenz wurde sehr laut geführt, und die Haussas, die hastig herbeiliefen und in Reih und Glied am Flussufer antraten, vergrößerten den Lärm nur, indem sie die Ereignisse untereinander besprachen.

„Furchtbar traurig!“, brüllte Bones. „Reiner Zufall! - Hätte jedem passieren können! Soll nicht wieder vorkommen!“

„Das Geschoss hätte beinahe das Regierungsgebäude getroffen, Sie - Sie -“

„Nicht in Gegenwart der Kinder!“, warnte Bones.

Während dieser Nacht ereignete sich kein weiteres Unheil, und die nächste Nachtwache, die wieder Hamilton traf, verlief ohne Zwischenfall, denn Bones schlief die ganze Zeit.

Erst in der vierten Nacht kam er wieder an die Reihe, obwohl Sanders freiwillig die Wache übernehmen wollte, um ihn abzulösen.

„Also, nun hören Sie zu, Bones“, sagte Hamilton, „und nehmen Sie Haltung an, wenn ich mit Ihnen spreche, Sie verfluchter saumseliger Teufel von einem Leutnant!“

„Immer zu wenig Gentleman!“, murmelte Bones.

„Schlafen Sie nicht - laden Sie vor allen Dingen das Geschütz nicht - spielen Sie nicht den Verrückten - lassen Sie sich keinen Schreck einjagen - machen Sie keinen Lärm - und singen Sie nicht - das ist alles!“

„Sind Sie auch sicher, dass Sie nichts vergessen haben?“, sagte Bones mit ironischer Besorgnis. „Sie haben nichts über Grammophone gesagt.“

Bones ging an Bord. Hamilton lauschte in die immer tiefer werdende Dunkelheit und hörte die unmusikalische Stimme seines Untergebenen, der versuchte, den Soldatenchor sehr laut zu singen. Bones wollte das Geräusch übertönen, das durch das Öffnen des Verschlusses hervorgerufen wurde, als er das Geschütz heimlich und leise lud.

Leutnant Tibbetts war außergewöhnlich wachsam in dieser Nacht, und als die erste Begeisterung verraucht war, die junge Leute in abenteuerlichen Augenblicken überkommt, wurde sein Kopf außerordentlich klar. Er legte sich neben das Geschütz auf den Boden, stützte das Kinn auf die gefalteten Arme und starrte auf das Meer hinaus. Er war überhaupt nicht schläfrig, obgleich der Maschinist und der Steuermann, die zusammen mit vier Haussas die Besatzung bildeten, laut schnarchten.

Die einzigen Laute, die er außerdem vernahm, waren das Plätschern des Flusswassers an der Bootswand und das Geräusch der langsam sich überschlagenden Wellen am fernen Ufer. Vampire flogen über ihn hinweg und kreisten über dem Schiff. Schnelle Nachtvögel stießen herunter und tauchten links und rechts von ihm. Im Wasser gab es heftige, geräuschvolle Bewegungen, Gestalten erschienen im funkelnden Sternenlicht, aber Bones ließ sich nicht von seiner Aufgabe ablenken. Um zwei Uhr siebzehn - der Augenblick ist genau in den offiziellen Akten festgehalten - fühlte er sein Herz heftig schlagen.

Ein Fahrzeug versuchte in die Flussmündung einzufahren. Er schaute angestrengt durch das Fernglas. Es war ein langes Boot - er beobachtete es genau- in der Mitte war ein niedriger Aufbau - Periskop konnte er allerdings keines sehen.

Seine Blicke saugten sich an der Erscheinung fest. Er zielte und feuerte den Schuss ab. Dem scharfen Knall des Geschützes folgte ein Echo von einem Ufer zum anderen, aber Bones hörte nichts, er hatte nur Augen. Er sah, wie die Erhöhung zusammenbrach, ein gellender Schrei ertönte, aber er vernahm ihn nicht, denn er lud das Geschütz wieder ...

N'kema hatte keine Zeit, den Verlust des großen Branntweinfasses zu beklagen, das er mit soviel Mühe und Arbeit von Monrovia hierhergebracht hatte. Er griff ein Ruder aus der Hand eines getroffenen Bootsmannes, und mit einem Stoß seiner Schulter warf er den Toten über Bord. Die schnelle Strömung trug das Boot in die See, und N'kema ruderte mit Hilfe aller, die noch am Leben waren, so schnell er konnte.

Ein anderes Geschoss sauste über seinen Kopf hinweg, und er hörte den Knall der Explosion draußen auf der See. „Schneller, schneller!“, rief der einäugige N'kema heiser, „o mein Ju-Ju beti, rette N'kema, o ko-ko!“

Plötzlich hörte er auf zu rudern und war völlig bestürzt, denn rechts vor ihm tauchten die dunklen Umrisslinien eines Schiffes auf.

Es war ein fremdartiges Fahrzeug - eine lange Linie mit einem großen Aufbau in der Mitte. Es war aber zu spät, sein Boot anzuhalten, es sauste gegen die Seitenwand des geheimnisvollen Schiffes. Es gab ein Krachen wie von zerbrochenen Töpferwaren. Drei Mündungsfeuer zuckten am unteren Deck des Schiffes auf, und N'kema rollte, von einem Geschoss mitten ins Herz getroffen, vom Boot ins Wasser.

Bones kam am anderen Morgen zum Frühstück, ein Bild beleidigten Stolzes. Hamiltons Zorn war verflogen, aber seine Zweifel nicht. Er selbst bemühte sich sogar, Erklärungen zu geben.

„Nein, verehrter Freund, ich habe nicht geträumt, und es war auch kein Krokodil oder Herr und Frau Nilpferd, die eine Vergnügungsreise machten - es war ein U-Boot, und ich habe es in Fetzen zerschossen! Haben Sie nicht den sonderbaren Geruch wahrgenommen?“

„Ich habe einen eigentümlichen Geruch bemerkt“, stimmte Sanders bei, „aber es duftete mehr nach Branntwein ...“

„Nun, meine Theorie ist ...“

Bones konnte aber seine Theorie nicht mehr darlegen, denn in diesem Augenblick kam Abiboo eilig mit einem Telegramm herbei. Sanders las es laut vor:

„Vom Ersten Seeoffizier an Distriktsgouverneur Sanders: U-Boot diesen Morgen dreißig Meilen westlich der Flussmündung in schwerbeschädigtem Zustand aufgegriffen. Kapitän berichtet, dass er von Ihrer Station beschossen wurde. Havarie bestand aber durch Zusammenstoß mit Kanu.“

Bones verbeugte sich ringsum und strahlte auf die erstaunte Tafelrunde herab.

„Was habe ich Ihnen gesagt?“, fragte er triumphierend. „Aber beschädigt durch Zusammenstoß mit Kanu“, wiederholte der verblüffte Hamilton.

Bones zuckte die Schultern.

„Dass die Deutschen es anders darstellen, ist doch Kriegslist“, sagte Bones überlegen.

Die Falle

Distriktsgouverneur Sanders saß im Palaverhaus eines N'gombidorfes, die halbnackten Eingeborenen hockten in weitem Kreis um ihn herum und waren in gedrückter Stimmung. Niemand im Dorf kümmerte sich um die Kochtöpfe, denn die Frauen und selbst die Kinder weilten bei der großen Menge in der Versammlung, um zu hören, wie Sandi die unangenehmen Nachrichten aufnehmen würde.

Den ganzen Morgen hatten der Häuptling und seine Ältesten gesprochen. Sie gingen in dem Halbkreis auf und ab und gestikulierten heftig mit den Armen. Das war ein beredtes Zeichen für den Ernst der Lage und für ihre Furcht. Als der letzte Sprecher geendet hatte, war die Reihe an Sanders selbst, der ihr höchster Gesetzgeber war.

„Den ganzen Morgen habe ich euch nun zugehört“, sagte er in tieftönender Bomongosprache, „bis meine Ohren müde geworden sind. Ich weiß es also jetzt: Nach Vollendung des sechsten Monats komme ich zu diesem Dorf, wie es alte Gewohnheit ist, um mit meinen Händen die Gaben entgegenzunehmen, die ihr der Regierung zahlen müsstet, so viel Fische, so viel Maniok, so viel Korn und Gummi und so viel Elfenbein. Nun erzählt ihr mir, dass eure Jagd nicht ergiebig war, dass eure Ernten schlecht und eure jungen Leute zu krank waren, um in den entlegenen Wald zu gehen und die Gummibäume anzuzapfen, und dass ich für meinen König nur die Hälfte von dem nehmen kann, was ihm gehört. Nun weiß ich aber - weil ich viele Späher habe -, dass ihr große Feste gabt und Tänze abhieltet und euren Gummi bei den Arabi für Getränke einhandeltet, die nichts wert sind und euch nur verrückt machen. Aber ich sage euch, ich will wieder zu euch kommen, wenn drei Monate vergangen sind, und ihr sollt mir all das geben, was sich gehört, und wenn wieder drei Monate vorüber sind, werde ich wiederkommen, und ihr werdet mir das volle Maß geben. Das Palaver ist aus.“

Er erhob sich etwas steif von seinem Stuhl und ging durch die Menge, die nur langsam und mit finsteren Blicken zurückwich, denn dieser Befehl verursachte viel Arbeit für die jungen Leute. Er ging durch das Dorf; vor der Hütte des Häuptlings M'liko stand dessen kleine Tochter, ein schwaches, unansehnliches Mädchen. Sanders hatte Kinder gern und legte die Hand auf ihren Kopf.

„Was fehlt dir denn, M'jibini?“

„O Herr“, sagte das Kind, „ich habe böse Schmerzen in meinem Kopf.“

„Geh zu meinem großen Schiff und sprich mit den Soldaten und lass dir gute Medizin geben.“

Das kleine Mädchen aber ging nicht dorthin, sondern lief aus Furcht in ihres Vaters Hütte, weil sie von einem so großen Mann angesprochen worden war.

Der Häuptling M'liko kam an das Ufer, um bei Sanders' Abfahrt zugegen zu sein.

„O Herr“, sagte er, „wir sind arme, schwache Leute. Welchen Zauber kannst du uns geben, dass wir die viele schwere Arbeit verrichten, die du uns auferlegt hast?“

Sanders sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Heute“, sagte er ruhig, „wird mein Zauber anfangen zu wirken, und du wirst sehen, dass ich sehr mächtig bin.“

Er fuhr den Strom hinunter und ließ eine schwarze Rauchfahne hinter sich. Am Ufer aber stand ein unbotmäßiger Häuptling, der finster auf die Kiellinie der weißen „Zaire“ niederschaute.

In dieser Nacht starb die Tochter des Häuptlings plötzlich. Der rachsüchtige M'liko rief seine ganze Verwandtschaft zusammen, um ihr von dem Zauber zu erzählen, den Sandi vollbracht hatte.

„Wir wissen“, sagte M'liko, „dass Sandi sehr grausam zu den Leuten dieses Dorfes war. Und nun hat er das Schlechteste von allem getan, er hat seine Hand auf das Kind meiner zweiten Frau gelegt, und es ist gestorben!“

Er berührte den Erdboden zur Linken und dann zur Rechten, um den Geist des toten Kindes zu besänftigen, und alle, die ihm zugehört hatten, taten das gleiche.

„Wenn wir jetzt nichts tun, wird Sandi hierherkommen und unsere Kinder durch seinen Zauber töten, denn mit seinen eigenen Worten hat er es versprochen. Sollen wir nun warten, bis wir sterben?“ Er blickte ringsum in die erschreckten Gesichter und bemerkte, dass seine Verwandten ihm recht gaben.

*

Leutnant Tibbetts ging an einem heißen Frühlingsabend der folgenden Woche mit großen Schritten quer über den Exerzierplatz. Er zog seine Augenbrauen zusammen, blieb ab und zu stehen und öffnete das große Buch, das er unter seinem Arm trug. Er las einen Satz und memorierte dann die Weisheit, die er eben gelesen hatte, dann hob er den Kopf, schloss die Augen und sah aus, als ob er betete.

Sein Vorgesetzter, Captain Hamilton, beobachtete ihn gelangweilt. Distriktsgouverneur Sanders schaute vergnügt und neugierig zu und Patricia, die zwischen den beiden Männern auf der Veranda stand, unterdrückte mit Mühe ein Lachen.

„Was, zum Teufel, ist denn wieder mit ihm los?“, fragte Hamilton ärgerlich. „Will er ein buddhistischer Priester oder so etwas Ähnliches werden?“

Bones kam näher und schrak heftig zusammen, als er bemerkte, dass man ihm zuhörte. Schnell setzte er sich in Positur, lächelte selbstbewusst, ging mit eiligen, trippelnden Schritten zur Veranda und summte laut, falsch und unmusikalisch ein Lied.

„Bones“, brummte Hamilton, „immer, wenn Sie zu singen anfangen, werde ich an das Geräusch erinnert, das ein Grammophon macht, bevor die Musik einsetzt.“

Bones schlug die Hacken zusammen und salutierte. Das war eine neue Errungenschaft, die Hamilton ganz besonders hasste. „Wo haben Sie bloß diese schreckliche Angewohnheit her?“, sagte er ärgerlich.

Die Temperatur war nur 4o Grad im Schatten, aber der Haussa-Captain zitterte, weil er über Nacht einen Malariaanfall gehabt hatte.

„Lieber alter Herr und beinahe Vater“, sagte Bones leichthin, „es gibt da verschiedene nette kleine Sachen, mit denen sich ein junger Mann wie ich, der sich für den Dienst vorbereitet, vertraut machen muss.“

„Was für Dienst? Wollen Sie etwa an die Front gehen?“ fragte der ungläubige Vorgesetzte. „Und was ist das für ein Buch, das Sie da mit sich herumschleppen?“

Bones übergab ihm den Band, ohne ein Wort zu sagen. „Zwanzig Jahre im Geheimdienst von einem früheren Spion“, las Hamilton und schaute seinen Untergebenen an, der sich nicht im mindesten aus der Fassung bringen ließ.

„O Bones“, rief Patricia in Bewunderung, „wollen Sie etwa zum Geheimdienst gehen? Das ist ja außerordentlich interessant.“

Bones warf sich stolz in die Brust, klemmte sein Monokel ins Auge, klappte die Hacken wieder zusammen und verneigte sich. „Die Armee ist eine etwas langweilige Angelegenheit, meine liebe Miss Patricia Hamilton, ein Mann mit Intelligenz und all solchen Dingen hat da wenig Aussicht. Ist ja alles gut und schön für einen lieben, netten Herrn wie Hamilton - ich will Sie durchaus nicht beleidigen, lieber, alter Seemann -, aber für einen begabten Menschen mit Weitblick und Urteilskraft ...“

„Wollen Sie mir erzählen, dass Sie all diesen Kram lernen wollen?“, fragte Hamilton und klopfte mit seinem Stock auf das Buch.

„Ich nehme nur ein paar Winke für mich daraus, das ist alles.“ Bones klappte wieder seine Hacken zusammen, salutierte und verbeugte sich.

„Dazu obendrein noch schwedischen Drill“, sagte Hamilton, indem er sich absichtlich dumm stellte. „Was für eine Menge Dinge müssen Sie nicht alle im Geheimdienst lernen! Kennen Sie auch schon einige Beschwörungsformeln und sonstigen Zauberkram?“

Bones zuckte die Achseln, zog die Augenbrauen hoch und streckte seine Hände verzweifelt aus.

„Passen Sie jetzt alle gut auf ihn auf!“, sagte Hamilton mit betonter Ironie. „Er will jetzt ein Kaninchen verschwinden lassen.“ Bones räusperte sich.

„Zwischen der diplomatischen und der militärischen Anschauungsweise, mein Lieber, liegt eine tiefe Kluft.“