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Drei berührende Liebesromane der "Liebe passiert" Reihe in einem Band - zum Schnäppchenpreis
In Liebe will nicht versucht Lea mit allen Mitteln ihren Traum von der kleinen Familie zu bewahren. Doch der geheimnisvolle Frauenjäger Tim übt eine magische Anziehung auf sie aus.
Herzerwärmend und bewegend, mit einem Schuss Humor.
In Liebe kämpft nicht ist Ela zutiefst enttäuscht, als sich ihre vermeintliche große Liebe als verhängnisvolle Enttäuschung entpuppt. Ist ihr neuer, verdammt heißer, Nachbar Luca die Rettung?
Spannend, ergreifend, aufregend sinnlich
In Liebe stirbt nicht fühlt sich Anne nach schweren Schicksalsschlägen innerlich tot. Daran kann der berüchtigte Casanova Ciro mit Sicherheit nichts ändern. Doch Ciro sieht in Anne nicht nur seine Seelenverwandte, sondern auch die Mutter seiner zukünftigen Kinder und gibt alles.
Biker Romanze mit Herz und Humor
Hinweis: Dieser Sammelband beinhaltet Band 2,3 und 4, weil diese Kombi Inhaltlich am sinnvollsten ist.
»Liebe passiert« ist die überarbeitete Düsseldorf-Reihe YOLO. Jeder Roman ist in sich abgeschlossen, doch in jedem gibt es ein Wiedersehen mit den Freundinnen.
Band 1 Liebe wagt sich
Band 2 Liebe will nicht
Band 3 Liebe kämpft nicht
Band 4 Liebe stirbt nicht
Jetzt neu: Band 5 Liebe sehnt sich
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Copyright © 2021 by Alica H. White
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher
Genehmigung von Alica H. White
Coverbild ID: Fotolia_99104091 Skyline: Pixabay Rest: Freepik
Cover: Michela Feitsch
Lektorat/Korrektorat: Christine Hann
Dieses Buch ist rein fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Mein Körper ist ein Verräter, bemerkt Lea erschrocken, als sie Tim begegnet. Der atemberaubende Coach flirtet ungeniert mit ihr, während sie mit ihren Freundinnen ein Fitnessstudio besucht. Doch Lea ist bereits verlobt. Den Traum von der eigenen kleinen Familie möchte sie um alles in der Welt bewahren. Leider scheint auch das Schicksal ein Verräter zu sein, da sich der geheimnisvolle Tim kurz darauf als ihr Chef entpuppt. Auf einer Dienstreise lässt er Lea hinter seine Fassade blicken. Leas Gefühle sind kaum noch zu beherrschen, genauso wie ihre Angst, denn Tim ist ein Frauenjäger und behauptet von sich, er kann nicht lieben …
Der Hauch ehrlicher Anstrengung streifte Leas Nase, als sie mit ihren Freundinnen das Fitnessstudio betrat. Der Duft war gemischt mit jenem von neuem Kunststoff. Er wurde untermalt vom leisen Klacken der Kraftgeräte, auf denen die Sportler im unregelmäßigen Takt vor sich hin schnauften.
Unschlüssig stand die Gruppe im edlen Empfangsbereich und sah sich ehrfürchtig um. Lea überlegte, ob sie nicht einen der fetten und gemütlich aussehenden Ledersessel ausprobieren sollte, da sprang schon eine attraktive und unglaublich schlanke Frau auf sie zu und streckte ihnen nacheinander die Hand entgegen.
»Guten Tag, ich bin Uta, die Leiterin des Studios, und freue mich, dass ihr den Weg zu uns gefunden habt. Seht euch um, probiert alles aus, lasst euch alles zeigen«, sagte sie mit einem warmen Lächeln, während sie mit einer ausladenden Handbewegung durch die großzügige Halle deutete. »Ihr könnt euch auch einen Sekt dort nehmen«, forderte sie sie und ihre Freundinnen auf.
Die Köpfe der vier Frauen schwenkten gleichzeitig zu einem geschmückten Tisch, auf dem die Reste einer Champagnerpyramide zu erkennen waren.
»Für Fragen stehen euch die Trainer dort zur Verfügung. Die meisten von ihnen arbeiten hier. Bei ihnen könnt ihr dann auch den Vertrag abschließen«, ergänzte sie mit einem Augenzwinkern und wandte sich ab.
»Da wäre ich gerne dabei gewesen, als die Pyramide eingeschenkt wurde. So was hab ich noch nie gesehen«, raunte Karina Lea ins Ohr.
»Aber jetzt wird die köstliche Prickelbrause leider warm sein«, erwiderte Lea nickend.
»Der Sekt ist sicher schon warm, lasst euch einen frischen einschenken«, bemerkte Uta, die sich nochmals umwandte.
Lea zuckte zusammen. Sie fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg und sah vor ihrem inneren Auge die roten Flecken am Hals, die sie immer bekam, wenn ihr etwas peinlich war. »Nein, nein, nicht vor dem Training«, gab sie eilig zurück. »Kommt Mädels«, forderte sie ihre Freundinnen auf, »wir ziehen uns erst mal um.«
»Oooch … lass uns doch vorher einen Sekt trinken«, murrte Manuela, die von ihren Freundinnen Manu genannt wurde.
»Ich weiß nicht, immerhin ist das hier vielleicht ein Studio meines zukünftigen Arbeitgebers«, erwiderte Lea.
»Aber nur vielleicht. Aber wir alle wissen, dass Lea ihre spitze Zunge nur schlecht zügeln kann, wenn sie auch nur eine winzige Menge Alkohol getrunken hat«, warf Frauke mit einem Augenzwinkern in die Runde.
»Willst du damit sagen, dass ich nicht so trinkfeste Gene habe wie du mit deinem norddeutschen Blut?« Lea riss ihre Augen auf und musterte ihre Freundin übertrieben skeptisch. »Du weißt doch, Alkohol macht das Training zunichte.«
»Gott bewahre!«, erwiderte Frauke mit erhobenen Händen.
»Also ich hätte auch Lust auf ein Schlückchen«, bemerkte Karina und ihre Freundinnen nickten zustimmend.
»Und außerdem hemmt Alkohol die Fettverbrennung«, ergänzte Lea mit Blick auf ihre Freundin, die ständig mit den Pfunden kämpfte. Sie seufzte, als sich die Gruppe trotz aller Warnungen auf den Weg zum Sektstand machte.
Sofort kam einer der Trainer auf sie zu und nahm die Sektflasche aus dem Kühler in die Hand.
Lea stockte der Atem. Dieser Kerl war atemberaubend attraktiv. Sportliche Figur, ohne übertriebene Muskelpakete. Dunkle Haare, etwas länger, zwei große dunkelgrüne Augen, die sie übermütig anfunkelten.
Um ihre blitzartig aufsteigende Nervosität zu mindern, griff sie schnell zu einem der Sektgläser, die der heiße Typ einschenkte. Es war geradezu lächerlich, dass sie wie ein pubertierender Teenager auf diesen Mann reagierte.
Er lächelte sie an und ihre Blicke verbanden sich sekundenlang. In ihrem Bauch begann ein Kribbeln, das bis hoch in ihre schon wieder erblühten Flecken zog. Was war nur los mit ihr? Lea senkte den Kopf und starrte verlegen auf den goldschimmernden Sekt, in dem feine Blasen aufstiegen. Sie nahm einen großen Schluck von dem funkelnden Getränk und drehte anschließend verlegen das fast leere Glas in der Hand.
»Oh, schon fast leer. Schmeckt er dir? Darf ich noch etwas nachschenken?«
Sie schaute auf. Es fiel ihr schwer, dem gewinnend lächelnden Blick des Trainers standzuhalten. Vor Aufregung bildete sich ein Kloß in ihrem Hals. Verzweifelt versuchte sie, ihn hinunterzuschlucken. »Nein danke«, krächzte sie mit energischem Kopfschütteln und räusperte sich verlegen.
Verdammt. Niemand sollte merken, dass sich ihre Atemfrequenz erhöht hatte. Vor allen Dingen nicht dieser Kerl, der sie unverhohlen weiter musterte. Nein, er zog sie mit Blicken aus.
»Zu viel Alkohol macht nur die Trainingswirkung zunichte«, fügte sie, möglichst gelassen, hinzu und drehte sich zu den Mädels um. »Lasst uns umziehen gehen«, forderte sie ihre Freundinnen auf, um endlich der Situation zu entkommen.
Diese murmelten unwillig so was wie »nicht so schnell«, »man kann den Sekt ja gar nicht genießen« und »hetz doch nicht so«. Aber das war Lea egal, sie stürzte den restlichen Inhalt ihres Glases runter, schwang die Sporttasche über die Schulter und folgte dem Schild ›Umkleidekabinen‹.
»Was war das denn?«, fragte Karina Lea, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel. Sie war die Sensibelste der vier Freundinnen. Lea hatte immer den Eindruck, dass ihre Freundin schon kleinste Schwingungen ihrer Stimmung wahrnehmen konnte. Und sie mochte es gar nicht, wenn sie das Gefühl hatte, dass sie durchschaut wurde. Es war schon mehr als peinlich, wie ihr Körper auf den Typen reagierte. Das mussten ihre Freundinnen nicht auch noch mitbekommen.
»Was?«, fragte sie daher ungeduldig.
»Na das zwischen diesem extrem heißen Trainer und dir? Man konnte die Luft zwischen euch knistern hören.«
»Was du dir immer so einbildest. Du weißt doch, dass ich verlobt bin«, erwiderte Lea giftig.
Karina zuckte zurück. »Immer schön ruhig bleiben, Süße«, bemerkte sie mit erhobenen Händen.
Auch die anderen beiden Mädels schauten Lea verblüfft an.
»Können wir uns jetzt vielleicht umziehen? Schließlich sind wir nicht zum Männeraufreißen hier«, brummelte die genervt.
»Nein, das sowieso nicht. Aber du musst zugeben, dass hier echt heiße Trainer am Start sind«, setzte Karina nach.
»Na, dann schnapp dir doch einen und lass mich in Ruhe«, murmelte Lea, während sie umständlich in ihrer Tasche kramte.
»Wow, so großzügige Umkleidekabinen und Spinde habe ich sonst noch nirgendwo gesehen«, versuchte die harmoniebedürftige Frauke, die Unterhaltung wieder in harmonischeres Fahrwasser zu bringen.
»Ja, nicht wahr? Es ist ja auch eine Nobelkette.« Lea lächelte stolz, als wäre die Kette schon ihr Arbeitgeber. »Hier im Ort stand das allererste Studio, dies hier. Es wurde frisch umgebaut und renoviert.«
»Und wie viele Filialen haben die bis jetzt?«, fragte Manuela und band sich ihre Haare hoch.
»Hm, weiß ich gar nicht.« Lea schürzte die Lippen. »So an die fünfzig Studios sind es sicher.«
»Nicht schlecht, nicht schlecht«, murmelte Manu. Sie hatte sich aufs Umziehen konzentriert und war schon fix und fertig.
»Da verdienst du sicher gut, wenn du die Stelle bekommst«, meinte Karina. Sie war als einzige der Mädels nicht berufstätig und kümmerte sich ausschließlich um ihre Familie.
»Ja, ich hoffe. Das muss ich auch. Inzwischen steht fest, dass Thorsten seine Stelle verliert. Weiß der Himmel, wie lange es dauert, bis er etwas Neues hat.«
»Jep, es ist wahrlich nicht einfach, eine vernünftige Stelle zu bekommen. Ich weiß, wovon ich rede«, bestätigte Frauke mit einem leisen Seufzen und setzte sich auf eine Bank.
Eine Weile ging die Unterhaltung über den Arbeitsmarkt und ihre Probleme weiter, bis sie zusammen voll motiviert aus der Umkleide traten.
Leas Hände wurden feucht, als der Trainer von vorhin direkt auf sie zukam. Sofort stieg die Hitze erneut in ihr auf, diesmal bis über die Ohren. Am liebsten wäre sie umgedreht und wieder zurück in die Umkleide gestürzt, aber diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Was hatte sie denn nur? Sie war doch sonst nicht so schüchtern.
Lea vermied den Blickkontakt und las sein Namensschild. ›Tim‹ stand darauf. Wie eingeschüchtert suchte sie Schutz hinter ihren Freundinnen, aber Tim ließ sich nicht beirren. »Kann ich euch irgendwie helfen?«, sagte er zwar, sah aber nur dabei Lea an.
Jetzt lag wieder dieses magische Flirren zwischen ihnen, das die Aufmerksamkeit ihrer Freundinnen auf sie lenkte. Wie peinlich. Verzweifelt versuchte Lea, Speichel in ihrem Mund zu sammeln und hinunterzuschlucken. Aber die Zunge klebte gnadenlos am Gaumen. Am liebsten hätte sie ihn angeblafft, dass er sich verkrümeln soll. Während sie Luft holte, irrte ihr Blick umher und hielt bei ihren Freundinnen. »Nein danke, wir finden uns sicher auch so zurecht«, versicherte sie eilig.
Aber ihre Kameradinnen dachten nicht daran, mitzuziehen und nickten Tim zu.
»Mich interessieren die Fatburnerkurse«, meinte Karina.
»Ich würde mir gerne die Geräte ansehen«, bat Manuela.
»Habt ihr auch einen Kursplan?«, kam von Frauke.
›Mann, die sind doch sonst so sensibel‹, dachte Lea. ›Merken die denn nicht, wie unangenehm mir die Anwesenheit dieses Trainers ist?‹
»Natürlich haben wir einen Kursplan«, antwortete Tim zuerst Frauke und zeigte Richtung Tresen. »Und drei Kursräume sowie einen Spinningraum«, ergänzte er mit Blick auf Karina.
»Die Geräte zeigt dir Thomas«, erklärte er mit Blick auf Manuela. Er hielt einen gut aussehenden jungen Mann, der gerade vorbeiging, am Shirt fest. Der lachte sympathisch, als Tim ihm auf die Schulter klopfte und Manuela lächelte zufrieden.
»Über unser Schlankheitsprogramm unterhältst du dich am besten mit Uta persönlich. Sie hat früher 20 Kilo mehr gewogen.« Karinas Blick hellte sich auf und ihre Augen begannen zu leuchten. Zielstrebig steuerte sie auf Uta zu.
Jetzt stand Lea allein mit Tim. Seine Augen durchbohrten sie, während um den Mund ein arrogantes Lächeln spielte. Anscheinend hatte er sein Ziel erreicht. Der Kerl war der Prototyp eines Aufreißers. So viel war sicher.
Lea konnte solche Typen nicht ausstehen und wich seinem Blick aus. Warum nur raubte er ihr weiter den Atem?
»Und du? Was kann ich dir zeigen? Verrätst du mir, wie du heißt?«
Seine sanfte, tiefe Stimme fuhr ihr durch Mark und Bein. Sie musste tief Luft holen, bevor sie sich besann. »Bikram-Yoga, mich interessiert das Bikram-Yoga.«
Er musterte sie so aufmerksam, dass sie sich geradezu nackt fühlte. Was sollte sie nur dagegen tun? Ihren Namen würde sie ihm auf keinen Fall verraten.
Immer wieder hatte sie in ihrem Leben mit Ängsten kämpfen müssen, viele davon hatte sie überwunden. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, die Phobien, die Andere nicht sehen sollten, mit ihrer ›großen Klappe‹ zu überdecken. Das vorgetäuschte Selbstbewusstsein beeindruckte viele Gegner und sie hielten sich zurück.
Offensichtlich klappte diese Strategie bei Tim nicht. Dieser Kerl machte sie sprachlos. Möglicherweise lag es daran, dass er überhaupt keine greifbare Gefahr darstellte, sondern nur ein komisches Gefühl in ihr auslöste. Was sollte von ihm auch für eine Gefahr ausgehen? Lea beschloss, nicht weiter darüber zu grübeln, als der Trainer sie aufforderte, ihm zu folgen.
Dieser Mann bewegte sich mit einer unglaublichen Eleganz. Sie konnte beobachten, wie er die Blicke der Kunden und Angestellten auf sich zog, während sie den Kursraum ansteuerten. Auch sie war mit ihren langen blonden Locken eine attraktive Erscheinung. Aber solch schmachtende Blicke wie er, hatte sie noch nie geerntet.
Der Raum, den sie betraten, hatte eine Fensterwand mit einem Milchglasstreifen bis auf Sichthöhe. Als Tim die Tür öffnete, wehte ein winziger Hauch seines Duftes zu ihr herüber. Der Geruch von Sandelholz, gemischt mit einer guten Portion Testosteron, ließ ihre Knie weich werden. Die Krux war, wenn sie jetzt tief einatmete, um sich zu sammeln, würde sie eine noch höhere Dosis dieser teuflischen Mixtur abbekommen. Also hielt sie die Luft an und schritt durch die Tür.
Krachend fiel diese hinter ihr ins Schloss. Lea zuckte zusammen, als wäre sie in der Falle. Sie befanden sich in einem Raum mit Spiegelwänden und Ballettstange. In einer Ecke waren Aerobic Steppbretter gestapelt. Der Raum wurde offensichtlich auch zum Tanzen genutzt.
»Diesen Raum kann man auf vierzig Grad temperieren. Genau richtig für Hot-Yoga, um schön ins Schwitzen zu kommen. Badebekleidung ist übrigens Pflicht. Eine wirklich heiße Sache, nicht wahr?«, raunte er, während er sich leicht zu ihr neigte. Abermals fixierte er sie, wie ein Raubtier seine Beute. Sie vergaß zu atmen und wich einen Schritt zurück, bis sie von der Wand gebremst wurde.
Mit dem Rücken an der Wand kam endlich ihr Mut zurück. »Okay, Gott sei Dank hast du dir das: ›so heiß wie du‹ verkniffen«, konterte sie mit innerem Jubel. Plötzlich war es ihr auch möglich, seinem durchdringenden Blick standzuhalten.
Tim stutzte und lachte auf. »Du bist gut!«, schnaubte er. »Aber ob du’s glaubst oder nicht, genau das habe ich gerade gedacht.«
Lea traute sich nicht mitzulachen, entspannte sich aber. Seine Reaktion verlieh ihm eine ganz andere Ausstrahlung, viel wärmer, weniger gefährlich.
Dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck und zeigte ein gefälliges Grinsen. »Du bist wirklich verdammt heiß«, raunte er dunkel.
Wieder verhakten sich ihre Blicke, diesmal wandte Lea den Blick nicht ab. Tim schluckte und sekundenlang sagten sie beide gar nichts. Lea beobachtete seine Mimik, die zwischen Ernst und Lächeln abwechselte. Sie bekam eine Gänsehaut und es kribbelte in ihren Magen.
›Bloß raus hier‹, schoss ihr durch den Kopf, aber da war es schon zu spät. Tim hatte sie energisch, aber sanft gepackt. Ein Griff, der klar machte, dass er es gewohnt war, zu bekommen, was er wollte. Mit halbgeschlossenen Augen, die sie dennoch fixierten, senkte er seinen Mund auf ihren.
Lea war wie hypnotisiert. Ihre Knie wurden weich, der Atem stockte. Sie wusste selbst nicht wie ihr geschah, als sie die Augen schloss und sich dem Kuss ergab. Sie musste ihn einfach kosten.
Er schmeckte nach purer Sünde. Als er bemerkte, dass sie seine Zärtlichkeit erwiderte, zeigte er ganz offen seine Begierde. Lea konnte es nicht verhindern, dass ihr Feuer entfacht wurde. Sie ließ es zu und ihre Zungen fingen an, wild miteinander zu spielen. Eine Gänsehaut kribbelte über ihren Körper, als sie seine Hände spürte, die leidenschaftlich ihren Rücken streichelten.
So verdrängte sie alle Hemmungen. Mit einem leisen Seufzen ließ sie sich in den Moment ziehen. Und für einen kurzen Augenblick fühlte sie so etwas wie Glück, wurde federleicht. Der Kloß im Magen wurde zu tausend flatternden Schmetterlingen, die an unsichtbaren Fäden in ihrem Unterleib zogen. Dort fing es gewaltig an zu brodeln. Sie war drauf und dran, die Zeit zu vergessen. Dieser Mann war brandgefährlich …
Brandgefährlich. Das Wort ließ sie wieder zu Bewusstsein kommen. Was machte sie da eigentlich? Wie konnte sie einfach einen Fremden küssen? Das war doch sonst nicht ihre Art! Erschreckt über sich selbst, stieß sie ihn zurück.
Der verdutzte Tim rang um Atem. »Entschuldigung«, presste er hervor.
Lea fasste sich an den Mund, als könnte sie ihre Entgleisung einfach wegwischen. »Ich muss jetzt«, murmelte sie zerstreut, wandte sich ab und stolperte zum Ausgang.
Als sie an der Tür war, blickte sie noch einmal kurz zurück und sah, wie sich Tim gedankenverloren durchs Haar strich. Er hob den Kopf und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Doch Lea kniff die Lippen zusammen und stürmte aus dem Raum.
Nervös suchte sie eine ruhigere Ecke – hoffentlich folgte er ihr nicht hierher – und atmete tief durch. Was sollte sie jetzt nur tun? Bitte, diesem Kerl nicht noch einmal begegnen. Aber zu ihren Freundinnen rennen und sie aus dem Studio zerren, kam in dem Zustand auch nicht infrage. Gehetzt sah sie sich um und verschwand hinter der nächstbesten Tür zum Spinningraum.
Gott sei Dank, hier war sie allein. Sie stellte ein Fahrrad auf ihre Größe ein, schwang sich auf den Sattel und fing wie eine Wilde an, zu strampeln. Ohne Aufwärmphase war natürlich schnell die Luft knapp, aber sie trat energisch weiter in die Pedale. Ihre Muskeln fingen an zu schmerzen. Sie ignorierte das und strampelte gegen den Schmerz und ihre Gefühle an, als könnte sie ihnen entfliehen.
Erst als die Lunge schmerzte und sich im Mund ein metallischer Geschmack breitmachte, verringerte sie das Tempo. Schweißtropfen liefen an ihrer Stirn herunter und brannten in den Augen. Die Schläfen pochten in hoher Frequenz. Lea nahm ihr Handtuch, wischte sich die Stirn und verringerte den Tretwiderstand.
Sie schüttelte den Kopf. Wie konnte man sich von einem dämlichen Kuss so vollkommen aus dem Konzept bringen lassen? Das war doch der reine Wahnsinn!
Hier würde sie mit Sicherheit keinen Vertrag abschließen. Diesem Mann wollte sie nicht mehr begegnen. Überhaupt, was der sich einbildete, eine Kundin anzugraben. Sie schüttelte den Kopf über seine fehlende Professionalität.
Da öffnete sich die Tür und Tim kam herein. Wie ein begossener Pudel stand er da und räusperte sich.
Lea schluckte. »Was kommt jetzt noch? Verschwinde! Sonst werde ich mich über dich beschweren!«, schimpfte sie. Ihr Kopf drohte zu platzen. Doch dann stellte sie fest, dass er zurückzuckte.
»Ich wollte mich entschuldigen. Mein Verhalten eben war völlig unprofessionell. Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist. Ich konnte einfach nicht widerstehen … ich …«, stammelte er und fuhr sich durchs Haar.
»Halt Stopp! Sie reden sich gerade um Kopf und Kragen. Sie können froh sein, wenn ich nicht zu Ihrer Vorgesetzten gehe.«
»Ja, Sie haben vollkommen recht. Ich kann mich nur wiederholen. Entschuldigung, ehrlich«, beteuerte er und hob beschwichtigend die Hände.
Lea nickte.
»Aber hier ist es eigentlich üblich, sich zu duzen«, bemerkte Tim heiser.
»Sie können wohl nicht locker lassen? Ich kann Ihnen nur raten, endlich Ruhe zu geben. Sonst werde ich bei meinem Vorstellungsgespräch ein paar Takte zu diesem ›noblen‹ Schuppen hier sagen«, schimpfte sie und betonte ›noblen‹ mit Finger-Gänsefüßchen.
»Beim Vorstellungsgespräch? Sie haben sich bei uns beworben?« Tims Augen weiteten sich. »Darf ich fragen, in welchem Bereich?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Okay«, murmelte er und nickte, während er aus dem Raum schlich.
Tim schloss die Tür des Spinningraums hinter sich und stand einen Moment unschlüssig herum. Er wäre gern schneller bei dieser faszinierenden Frau gewesen, um sich zu entschuldigen, aber die verräterische Beule in seiner hautengen Sporthose hatte ihn daran gehindert. Ihm war schon viel passiert. Er hatte unzählige Flirts hinter sich, aber einen solchen Kontrollverlust hatte er noch nie erlitten. Und das auch noch bei der Arbeit! Diese Frau hatte recht, unprofessioneller ging es wirklich nicht mehr.
Er ging zum Wasserspender, um seine trockene Kehle zu befeuchten. Hier hatte er die Wahl zwischen verschiedenen Geschmacksvarianten. Er nahm das einfache, klare Wasser. Ablenkungen jeglicher Art sollte er jetzt tunlichst vermeiden, denn sein Kopf musste wieder klar werden. Nachdenklich ließ er die kalte Flüssigkeit im Mund hin und her laufen, bevor er sie die Kehle hinunterschickte.
Nachdem die Frau aus dem Kursraum geflohen war, hatte er dem Bedürfnis nachgegeben, den blutleeren Kopf gegen die Wand zu schlagen. Leider hatte das keine Erleichterung gebracht.
Und dann die vernichtenden Blicke seines Freundes Marc. Der hatte sicher mitbekommen, wie sie aus dem Kursraum gestürmt war.
Wie ein Engel sah sie aus, mit dem langen blonden Haar und den wunderschönen blauen Augen. Ihr Blick, der so viele Widersprüche in sich barg, hatte einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. In einem Moment schüchtern und warm und im nächsten frech und feurig. Er liebte Frauen, die geheimnisvoll und undurchsichtig waren. Wie gerne würde er all ihre Facetten kennenlernen. Stille Wasser sind tief, der Spruch galt hier bestimmt. Vermutlich schlummerte unter der anständigen Hülle ein brodelnder Vulkan. Eine Hitze, in der man sich verlieren und der Realität entfliehen konnte. Das waren kurze Momente des Glücks. Schöne Gefühle, wie er sie sonst nicht zuließ.
Aber darüber wollte er jetzt nicht grübeln, er wollte seine Konzentration lieber auf diese Frau richten. Bestimmt gehörte sie zu denen, die nicht so leicht zu gewinnen waren. Die süßen Früchte hingen hoch, aber das barg einen besonderen Reiz. Er badete im Siegesrausch, wenn seine Flirtbemühungen nach langem Werben von Erfolg gekrönt wurden. Dabei liebte er besonders dieses Gefühl von Exklusivität, dass ihn eine Frau ranließ, die nicht mit jedem flirtete. Wahrscheinlich gehörte sein blonder Engel dazu, sie hatte eine ganz besondere Ausstrahlung.
Er konnte die Sache drehen und wenden, wie er wollte, seine Konzentration war dahin. Diese Frau besetzte alle seine Gedanken, dabei kannte er nicht einmal ihren Namen. Er musste unbedingt mehr über sie herausfinden. Dafür bräuchte er nur die aktuellen Bewerbungen durchsehen. Wenn er ihre erst in den Fingern hatte, war es eine Kleinigkeit, eine Möglichkeit zu finden, um ihr näherzukommen. Es durfte ihn nur keiner dabei erwischen.
Mit dem Gedanken, jetzt in die Zentrale zu fahren und die Bewerbungen zu durchsuchen, spürte er schon wieder eine Regung im Unterleib. Es war verrückt. Bei praktisch jeder Frau überlegte er sich, ob er mit ihr schlafen wollte. Aber dieses Mal brauchte er nicht weiter nachdenken, die Sache war von vornherein klar gewesen.
Diese Frau musste er haben!
Auf dem Weg zu den Umkleidekabinen würde er sicher Marc begegnen. Der ließ dann sicher den Moralapostel heraushängen. Tim verdrehte die Augen. Ihm war klar, dass sein Verhalten oft unangemessen war. Leider hatte er sich mittlerweile eingestehen müssen, dass gar nicht anders konnte. Dabei wusste er selbst nicht, warum er das tat. Er wollte aber auch nicht drüber nachdenken. Nicht einmal über das, was ihn hinderte, darüber nachzudenken.
Fuck, da war Marc schon!
»Mensch Alter, was hast du denn da wieder für Mist gebaut? Du verjagst ja deine eigenen Kunden. Kannst du nicht ein einziges Mal dein Blut im Kopf behalten? Eigentlich müsstest du dich aus deinem eigenen Studio schmeißen«, foppte Marc und boxte Tim, stärker als rein freundschaftlich, gegen den Arm.
»Ach lass mich in Ruhe«, knurrte Tim und stieß ihn, wenig freundlich, zurück. Er hatte keine Lust auf eine Predigt von seinem Freund. Schließlich wusste er selbst, dass sein Verhalten zu wünschen übrig ließ.
Aber Marc blieb ihm auf den Fersen und folgte ihm bis zu den Umkleidekabinen. »Denkst du eigentlich auch mal daran, wie das mit deiner Frau war? Diese ewige Jagd bringt dich doch nicht weiter.«
»Spar dir deine guten Ratschläge. Das haben wir schon zu oft durchgekaut.« Jede Art von überzogener Moral war Tim zuwider und das wusste sein Freund. Er mochte diesen Zahlenfreak ja ungemein, nur seine engstirnigen Vorstellungen von Ehe und Treue waren für ihn nicht nachvollziehbar. Sein Seelenheil ging seinen Freund nichts an. Und die Frauen waren doch erwachsen, die wussten was sie taten.
»Da hast du ganz schön blechen müssen«, hakte Marc nach.
»Mann Alter, du hast immer nur die Kohle im Kopf. Ich weiß, dass ich viel geblecht habe, okay? Wie könnte ich das auch vergessen? Aber ich versprech dir, einen solchen Fehler werde ich nie wieder machen. Ich bin für Beziehungen nicht geschaffen, geschweige denn für eine Ehe. Und jetzt lass mich bitte in Ruhe.«
»Du willst für immer allein bleiben? Deine Ehe ist doch nur in die Hose gegangen, weil du ständig fremdgegangen bist.«
»Du lässt nicht locker, oder? Mein Sexleben ist allein meine Sache«, knurrte Tim.
»Sag schon, könntest du damit leben, wenn dich deine Frau betrügen würde? Du musst doch auch eifersüchtig sein.«
»Das glaubst du mir nicht, oder? Ich kenne keine Eifersucht. Von mir aus hätte sie vögeln können, mit wem sie will, solange sie sich entsprechend schützt. Aber die Frage stellt sich nicht mehr … und wird sich nie wieder stellen.«
Marc schüttelte den Kopf.
»Du weißt, ich bin nicht so, wie die Anderen«, bekräftigte Tim.
Marc klopfte ihm hart auf die Schulter. »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde … ich würde denken, du bist ein Arsch.«
Tim zuckte mit den Schultern. »Geh wieder arbeiten«, befahl er.
Tim hatte oft darüber nachgedacht, dass er in Sachen Treue nicht dem Standard entsprach. Aber was sollte er machen? Es war wie ein Zwang.
Ein Fremder betrat die Kabinen und Tim war froh, dass damit das Gespräch beendet war. Marc verkrümelte sich endlich. Doch ein schales Gefühl hatte der Appell an sein Gewissen hinterlassen.
Im Auto legte Tim die Stirn aufs Lenkrad. Wohin jetzt? In die Firma oder nach Hause.
Wie fremdgesteuert startete er den Wagen und fuhr zum Friedhof. Ein wenig allein sein, das half immer. Er liebte die friedliche Atmosphäre dort.
Der Kies knirschte unter seinen Schuhen. Eine leichte Brise ließ die Blätter der Bäume ein wenig rascheln, was seine Nerven beruhigte.
Mit gefalteten Händen fand er sich vor einem Grab wieder. »Es ist immer wieder schön, bei dir zu sein«, murmelte er mit geschlossenen Augen.
Nach einer Weile setzte er sich auf die kleine Bank unter der alten Eiche. Von hier aus konnte er auf das Grab sehen. Es war üppig mit bunten Blumen bepflanzt.
Tina Jaeger
Geboren: 26. Januar 1986
Gestorben: 24. Dezember 1993
– stand in großen goldenen Buchstaben auf dem Marmorstein.
Tim starrte lange auf das Grab, spürte das Blätterspiel von Licht und Schatten. »Ich bin froh, dass ich noch etwas spüren darf, ich danke dir dafür«, flüsterte er wie bei jedem Besuch.
Als er sich erhob, war bestimmt eine Stunde vergangen. Langsam schritt er zum nächsten Grab. Es lag am anderen Ende des Friedhofs. Diese Ruhestätte war ausschließlich mit Maiglöckchen bepflanzt.
Silke Jaeger
Geboren: 29. Juni 1958
Gestorben: 24. Dezember 2000
– stand auf dem Grabstein. Obwohl die Maiglöckchen davor nicht mehr blühten, hatte er ihren Duft in der Nase. Dadurch war ihm seine Mutter sehr nah, denn sie liebte den Geruch über alles. So hatte auch immer ihr Lieblingsparfüm gerochen …
»Hallo Mama, wie geht es dir heute da oben? Du duftest schon wieder so gut«, murmelte Tim vor dem Grab.
Immer, wenn es ihm schlecht ging, kam er zum Friedhof. Die Stille hier half ihm, Abstand zu gewinnen. Er starrte vor sich hin oder schloss seine Augen und hatte das Gefühl, dass Schwester und Mutter bei ihm waren. Zu gerne flüchtete er in seiner Fantasie mit den beiden in eine andere Welt, um seine innere Leere zu bekämpfen.
Aber heute funktionierte das nicht richtig, die Begegnung von vorhin besetzte immer noch seine Gedanken. Ihr wollte er gerade nah sein! Verwundert schüttelte er den Kopf und machte sich wieder auf den Weg.
Erneut sammelte er sich mit der Stirn auf dem Lenkrad. Es half alles nichts, er musste zum Angriff übergehen – jetzt. Entschlossen startete er den Wagen, wählte Marcs Nummer, und als er nicht abhob, die ihrer gemeinsamen Assistentin. »Hallo Miss Moneypenny, wie ist die Lage? Ist M. schon eingetroffen?«
»Ich heiße Eva.«
»Ja, natürlich. Schlechte Laune? Hilft es, wenn ich sage: Du bist ein Fest für meine Ohren?«
Eva seufzte. »Du hast Humor. Marc hatte eben schlechte Laune. Und wer hatte mal wieder etwas damit zu tun? Mr. Hunter – der Rächer der Entnervten. Marc hat sich beklagt, du hättest ihn einfach sitzen lassen, bei der Neueröffnung. Und das war nicht gerade ein Fest für meine Ohren.«
»Oh, stimmt, sorry. Musste dringend was erledigen«, murmelte Tim schuldbewusst.
»Was sollten das für Erledigungen gewesen sein, dass du nicht mal Marc Bescheid gibst?«
»Ach, er hat mich vorhin wieder angepisst, da hatte ich keine Lust.«
»Kann ich mir vorstellen. Er hat so was angedeutet … Mensch Tim.«
»Grrr, nicht du auch noch!«, knurrte er.
»Also, rück schon raus … was gibt’s denn jetzt? Was willst du?«, fragte Eva ungeduldig.
»Schick mir doch mal alle aktuellen Bewerbungsunterlagen auf meine private Mailadresse.«
Er konnte Eva entrüstet nach Luft schnappen hören. »Hab ich richtig gehört? Du willst wohl kaum zu Hause arbeiten, oder?«
»Ich würde sagen, das geht dich nichts an. Aber ich glaube, ich habe eine super Kandidatin für den Spezialauftrag«, versuchte er, sie zu beruhigen.
»Verstehe. Und welche Stellenausschreibung soll ich dir schicken?«
»Alle.«
»Hoffentlich missbrauchst du die Bewerbungen nicht für deine Spielchen. Mitarbeiter sind tabu!«, erinnerte ihn Eva im ernsten Ton.
»Würdest du es machohaft finden, wenn ich sagen würde: zerbrich dir nicht dein hübsches Köpfchen darüber? Komm schon, Eva, so schlimm bin ich auch wieder nicht. Ich habe noch nie etwas zum Nachteil der Firma gemacht.«
»Außer heute.«
»Ich meine einen echten Nachteil. Ich würde so was nie bewusst tun.«
»Ist schon okay, ich schick dir sofort die Unterlagen. Kommst du heute noch mal rein?«
»Nein heute nicht mehr, komme gerade vom Friedhof, bin durch.«
»Oh ja, okay, dann sag ich Marc Bescheid.«
»Danke Miss … äh … Eva.«
»Gerade noch mal die Kurve gekriegt. Tschüss Tim.«
»Tschüss Eva.«
Er hörte das Piepen der unterbrochenen Verbindung und legte auf. Mit beiden Händen packten er fest das Lenkrad des Cayman, und checkte, ob die Verkehrslage eine höhere Geschwindigkeit zuließ. Entspannt lehnte er sich zurück und drückte allmählich das Gaspedal durch.
Was war es doch für ein grandioses Gefühl, wenn er durch die Beschleunigung fester an die Lehne gepresst wurde. Ein Stück weit konnte er sich so von der Realität entfernen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie die Landschaft immer schneller an ihm vorbeizog und fast wie ein Tunnel wirkte. Das war der Moment, in dem er dachte, er gehörte nicht mehr zu dieser Welt und sie nicht mehr zu ihm. Als die Tachonadel immer weiter, über zweihundert kletterte, fühlte er wieder dieses wohlige Kribbeln, das der Geschwindigkeitsrausch verursachte.
Ein perfekter Moment.
Doch die Verkehrslücke war nur klein und Tim musste zu schnell wieder seine Geschwindigkeit reduzieren. Dennoch war er dankbar für jeden Funken Gefühl, den er in sich auslösen konnte. Wenigstens hier klappte es heute noch, diese dumpfe Leere für einen kleinen Moment zu vertreiben.
Als er sein Haus betrat, empfing ihn die geliebte Stille. Seit seiner Jugend empfand er die Einsamkeit als Erholung. Niemand wollte etwas von ihm, niemand beurteilte, oder verurteilte ihn. Kein Krach, keine Wut, keine Tränen. Das hier war der einzige Ort, an dem er, er selbst sein durfte. Sein erster Weg führte ihn zum Kühlschrank. Die klärende Wirkung eines kalten Wassers brachte ihn etwas zur Ruhe.
Er setzte sich auf einen harten Küchenstuhl und konzentrierte sich auf seine Atmung, tief ein, tief aus. Er lebte und versuchte Dankbarkeit dafür zu empfinden.
Doch heute ploppten in seiner Einkehr Gedanken an diese Frau auf. Dass die ihn immer noch aus dem Konzept brachte, beunruhigte ihn. Er musste etwas dagegen unternehmen, und zwar möglichst bald.
So folgte er dem Impuls und ging in sein Büro. Ungeduldig fuhr er sein Laptop hoch. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir dich finden meine Schönheit«, murmelte er, während er sich eine Bewerbung nach der anderen vornahm. »Auch nicht schlecht, ganz nett, du bist ja ein Schnuckelchen …«, murmelte er, während er sich durch die Fotos potentieller Mitarbeiterinnen klickte, »aber wo bist du, mein süßer Engel?«
Als ihm das ersehnte Bild unterkam, schlug sein Herz schneller. Das war sie! Genau so, wie er sie in Erinnerung hatte. Mit einem natürlichen Bild, in freier Natur geschossen. Ihre Augen strahlten ihn geradezu an. Ehrfürchtig strich er mit dem Finger über ihre Wange auf dem Bildschirm, als könnte er so Kontakt zu ihr aufnehmen.
Lange betrachtete er das Bild, bewunderte jeden Zug. Bis er das Gefühl hatte, ihr Gesicht wäre in sein Gehirn gebrannt.
Irgendwann griff er zum Handy. »Hallo Miss …«
»Tim! Was willst du? Ich wollte gerade Feierabend machen«, unterbrach ihn Eva.
»Ich hab sie gefunden. Sie heißt Lea Kaiser und hat sich auf die Personalstelle beworben. Besser kann es doch nicht passen, oder?«
»Wie schön. Und jetzt?«
»Lädst du sie heute noch zum Vorstellungsgespräch ein? Sie kann doch sicher noch an die Bewerbungsrunde morgen drangehängt werden, oder?«
Er konnte hören, wie seine Mitarbeiterin am Telefon tief Luft holte. »Was an: ›Ich wollte gerade Feierabend machen‹ hast du eigentlich nicht verstanden? Ich habe schließlich auch ein Privatleben.«
Er nickte. »Okay, ich versteh schon. Aber das geht doch schnell. Frag einfach per Mail an … bitte«, flehte er.
»Wer solch einen Chef hat, braucht keine Feinde«, grummelte Eva zur Antwort.
»Hoho, chill mal wieder, dafür kannst du morgen früher gehen, okay? Immerhin bist du meine Lieblingsassistentin«, beschwichtigte er.
»Ja, ist ja schon gut. Du hörst ja doch nicht auf zu betteln. Ich mach’s«, brummte Eva genervt.
»Du hast dein T-Shirt falsch herum an, Lea«, bemerkte Karina.
»Ups, ja … bin ziemlich ausgepowert.« Schnell berichtigte Lea ihren Fehler. Hoffentlich merkte keiner, wie durcheinander sie noch war.
»Ich habe gesehen, wie du im Spinningraum wie eine Wahnsinnige gestrampelt hast. Wolltest du abheben?« Manuela klopfte ihr kumpelhaft auf die Schulter.
»Und dieses Trainerschnuckelchen, was wollte das von dir?«, fragte Karina.
Auf einmal standen alle um Lea herum. Die scheinbar unbeeindruckt weiter die Schnürsenkel ihrer Schuhe band, doch sie zog so fest daran, dass einer abriss. »Fuck!«, fluchte sie und warf das abgerissene Ende zu Boden.
»Was war denn nun mit dem?«, wollte nun auch Frauke wissen.
»Nichts, er hat mich angebaggert und ich hab ihm ein paar Takte dazu erzählt«, murmelte sie mit gesenktem Kopf, damit keiner etwas von ihren Gefühlswallungen mitbekam.
»Dann muss der ja ganz schön ausfallend geworden sein, wenn du so unter Dampf stehst. Willst du dich nicht über ihn beschweren?«, fragte Karina.
Lea schloss kurz die Augen. Karina und ihre Antennen …
»Ach, das könnte nach hinten losgehen. Schließlich will ich bei der Kette arbeiten«, wiegelte sie ab. »Hier schließe ich jedenfalls keinen Vertrag ab. Das ist zu teuer und die Trainer ...«
Karinas Augen wurden zu Schlitzen. »Und die Trainer zu gefährlich …?«
Lea stöhnte. »Können wir das Thema jetzt bitte beenden? Ich bin fertig, ihr auch?«
»Gehen wir noch zusammen einen Kaffee trinken?«, schlug Manuela vor.
»Ja, das finde ich auch gut. Ich hab diese Woche nämlich keine Zeit für unser SatV«, bemerkte Frauke.
Bei SatV handelte es sich um ihre regelmäßige Frauenrunde in einer Dorfkneipe. Ihre Gespräche dort erinnerten manchmal an eine bekannte Fernsehserie. In Anlehnung daran nannten sie das Treffen irgendwann ›Sex and the Village‹.
»Schon klar. Kaum hast du wieder einen Mann im Haus, sind deine Freundinnen Nebensache«, frotzelte Manuela.
»Nur keinen Neid, meine Lieben. Ich war lang genug allein. Elias hat uns einen Kurzurlaub gebucht und dafür gesorgt, dass seine Mutter auf die Kinder aufpasst. Mann, ich weiß überhaupt nicht mehr, wie es ist, etwas ohne die Kinder zu unternehmen. Ihr hattet es immer einfacher, einen Babysitter zu finden«, gab Frauke zurück.
»Schon gut Süße, war doch nur Spaß. Ich hab selbst keine Zeit«, beschwichtigte Ihre Freundin.
»Thorsten wird auch froh sein, wenn ich zuhause bleibe«, bemerkte Lea.
»Tatsächlich? Früher war das aber nicht so. Hockt ihr nicht viel zu viel aufeinander?«, wunderte sich Karina.
»Na ja, damals hat er ja auch lange gearbeitet und war froh, wenn er abends seine Ruhe hatte. Jetzt hat er viel Langeweile. Außerdem … wenn ich jetzt bald Vollzeit arbeite …«
»Und allein macht SatV für mich auch keinen Sinn. Dann ist es also entschieden: Lasst uns als Ersatz kurz auf einen Kaffee gehen«, ermunterte Karina ihre Freundinnen.
»Also Lea, wenn ich das richtig verstanden habe, willst du die Stelle, damit ihr die Hypothek für ein Haus abzahlen könnt, das dir nicht einmal anteilig gehört?«, fragte Manuela verwundert, als sie in der Kaffeerunde saßen.
»Na ja, ganz so krass würde ich das nicht sehen. Aber es stimmt schon, dass das Arbeitslosengeld von Thorsten und mein Teilzeitgehalt einfach nicht reichen. Ich sehe es mehr als notwendiges Übel, damit wir unser zukünftiges, gemeinsames Familiennest halten können. So gesehen ist es ja eine Investition für uns beide – und unsere Kinder.«
»Aber letzten Endes investierst du Geld, von dem du nichts wiedersiehst, falls ihr euch trennen solltet«, gab Karina zu bedenken.
»Dass ihr aber auch dauernd an Trennung denkt. Thorsten hat das Haus ja für uns gekauft, auch wenn wir uns da noch nicht so lange kannten. Und immerhin wollen wir ja jetzt auch heiraten.«
»Wenn man heiratet, denkt man immer, das hält ›bis dass der Tod uns scheidet‹. Aber die Statistiken sprechen für sich, und meine Erfahrungen passen«, gab Frauke zu bedenken.
»In Krisenzeiten lernt man sich erst richtig kennen. Da muss man zusammenhalten, sonst wird das sowieso nichts«, erwiderte Lea unbeeindruckt.
»Aber das klappt nur, wenn man ehrlich zu sich und dem Anderen ist«, ermahnte Karina.
»Ja, ja, ich kenne deinen Lieblingsspruch zur Genüge. Ist das Kreuzverhör jetzt beendet? Dann können wir bitte das Thema wechseln?«
Lea war genervt. Ihre Freundinnen mochten Thorsten nicht, weil er sich immer verkrümelte, wenn irgendjemand von ihnen am Horizont auftauchte. Doch sie hatte Verständnis dafür. Dieser Weiberkram war einfach nicht seine Sache. Sicher, auch Thorsten hatte seine Macken, und war vielleicht eine Spur zu konservativ, aber die große Gemeinsamkeit zwischen ihnen beiden lag eher im ausgesprochenen Familiensinn. Dafür liebte sie ihn, denn die Familie war Lea heilig. Und sie vergötterte Thorstens Sohn aus erster Ehe. Wie war sie doch damals beeindruckt, als sie den alleinerziehenden Vater kennenlernte, der so engagiert versuchte, Kind und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Da musste sie einfach helfen. Aber sie wünschte sich auch nichts so sehr wie eigene Kinder - am besten eine ganze Fußballmannschaft. Wenn Thorsten erst wieder Arbeit hatte, würde sie das Projekt in Angriff nehmen.
Gott sei Dank legten Leas Kameradinnen nun andere Themen auf den Tisch. Trotzdem war Lea nicht recht bei der Sache und beteiligte sich kaum an dem Gespräch. Immer wieder musste sie an die Begegnung mit Tim im Studio denken. Die Sache beschäftigte sie mehr, als sie vor sich selbst zugeben wollte. Ihre Freundinnen fragten sie mehrmals, warum sie so still war. »Ach nichts, bin einfach nur kaputt«, wiegelte sie ab.
Nach dem Kaffee zuhause angekommen, wollte der blöde Schlüssel nicht ins Loch. Warum war sie nur so fahrig? Was war es nur, das sie so aus dem Konzept brachte? Sie sehnte sich nach nichts mehr, als von Thorsten in den Arm genommen zu werden.
Doch als sie ins Wohnzimmer kam, lag der selig auf der Couch und schlummerte. Lea beschloss, ihn nicht zu wecken, und schlich nach oben. Vorsichtig schob sie den Kopf durch die Kinderzimmertür. Dort steckte Linus versunken Legosteine zusammen.
»Hallo mein Süßer, was machst du denn da Schönes?«
Linus zuckte ein wenig zusammen. Sein Gesicht hellte auf, als er Lea sah. Sie schmolz jedes Mal dahin, wenn er beim Lachen diese entzückende Zahnlücke präsentierte. »Hallo Lea. Ich bau eine Garage für meine neuen Rennautos.«
»Echt, du hast neue Autos?«, fragte Lea und trat ins Zimmer.
»Ja, guck.« Stolz hielt er seine zwei Autos in die Höhe. »Und eine Startrampe.«
»Wow! Woher hast du die?«
»Hat Papa mir gekauft, wenn ich ihn nicht störe. Papa ist müde. Er wollte schlafen.«
Lea wollte es sich nicht anmerken lassen, dass sie es missbilligte, wenn Thorsten seinen Sohn so lange unbeaufsichtigt ließ. Offensichtlich setzte ihm die Arbeitslosigkeit mehr zu, als er zugeben wollte. Vielleicht sollte sie mal mit ihm reden, dass es nichts brachte, wenn er sich gehen ließ.
»Hast du dich gut beschäftigt?«, fragte sie Linus, damit dieser nichts von ihren Bedenken bemerkte.
»Jaaa … Papa ist lieb.«
»Ja mein Schatz, das ist er. Hast du Hunger? Ich koch uns jetzt mal was Schönes, oder?«
»Jaaa! Pfannkuchen.«
»Okay, Pfannkuchen … weil du so artig warst.«
»Du bist auch lieb«, rief er, stand auf und schlang seine kleinen Arme um sie. Lea lächelte zufrieden und strich über den Kopf mit den blonden Kinderlocken.
»Jetzt musst du mich aber loslassen, sonst kann ich nicht anfangen«, bemerkte sie nach einer Weile lachend. Es rührte sie immer zutiefst, wenn Linus diese Anhänglichkeit zeigte, als hätte er Angst, dass sie wieder aus seinem Leben verschwinden könnte.
Sie beugte sich zu ihm herunter und gab ihm einen Kuss auf die zarte Kinderwange. Zur Belohnung bekam sie ein Zahnlückenlächeln.
»Boah, bin ich matschig«, knurrte Thorsten, als er in die Küche kam.
Lea befüllte die PfAnne gerade neu und stellte den Teller mit den fertigen Pfannkuchen in den Backofen. »Hallo Schatz, gut geschlafen?«
»Nein, das ist es ja.« Er trat näher und sah seiner Verlobten über die Schulter. Lea schloss die Augen, lehnte sich ein klein wenig zurück, um ihn zu spüren. Aber ihm war anscheinend nicht nach Nähe, denn er wich zurück. »Bah! Schon wieder dieser Kinderfraß. Kannst du nicht mal was Ordentliches kochen?«
»Das habe ich Linus versprochen, weil er so artig war. Du hättest ja was kochen können, statt hier herumzumeckern.«
»Okay, Okay, ich bin ja schon still«, sagte er und hob die Hände. »Ich kann einfach nicht mehr gut schlafen, seit dieser verdammten Arbeitslosigkeit.«
Lea nickte, während sie den Pfannkuchen wendete. »Kann ich ja verstehen. Alles wird gut, daran musst du fest glauben. Deck doch schon mal den Tisch und dann ruf Linus, ja?«
»Aye-aye, Sir!«
»Sag mal krieg ich eigentlich keinen Kuss?«, forderte Lea den ersehnten Körperkontakt ein.
»Sorry Liebes. Ich bin einfach zu sehr durch den Wind«, murmelte er, drückte ihr flüchtig einen Kuss auf die Wange und marschierte schon die Treppe hoch zu Linus.
Lea seufzte. Seit ihr Verlobter so unter Druck stand, litt die Harmonie zwischen ihnen. Zärtlichkeiten gab es immer weniger. Thorsten war oft unkonzentriert oder zu kaputt. Lea musste sich eingestehen, dass ihr das nicht mehr genügte. Vor allen Dingen musste das der Grund sein, warum ihr Körper so unpassend auf Tim reagierte. Das machte ihr Sorge.
Lea seufzte. Irgendwann musste sich das Blatt doch wenden und er eine neue Stelle finden, oder? Er war schließlich ein erfahrener Ingenieur. Allerdings schwankte der Arbeitsmarkt für seine Qualifikation stark, darum konnte es dauern. Umso wichtiger war es, dass sie jetzt ihren Teil leistete und die Arbeitszeit aufstockte, damit mehr Geld in die Haushaltskasse kam.
»Ich geh mal nach oben und check meine Mails. Vielleicht ist ja eine Einladung zum Vorstellungsgespräch dabei«, erklärte Lea nach dem Essen.
»Okay, mach das. Linus und ich räumen ab. Nicht wahr Großer?«
»Klar!«
Jeder bekam ein Küsschen, bevor sie nach oben ging. Dies Familienleben war genau ihr Ding. Da sie als Einzelkind aufgewachsen war, war ihr Traum immer eine große Familie gewesen, mit vielen Geschwistern und noch mehr Spaß. Vollzeit zu arbeiten und damit weniger Zeit für den süßen Linus zu haben, war ein Gedanke, der ihr gar nicht behagte. Aber es musste sein, denn wenn nicht genügend Geld da war, litt die Harmonie auch.
Wenn Thorsten eine neue Stelle fand, war noch genug Zeit für ihre Träume. Während der PC hochfuhr, verlor sich Lea in Gedanken an ihre bald große, glückliche Familie.
Doch immer wieder stahl sich Tim in ihren Kopf. So stark hatte sie noch nie auf einen Mann reagiert. Was hatte der nur an sich? Wenn es einen klassischen Verführer gab, dann ja wohl ihn. Auf so was war sie doch noch nie reingefallen.
Ihr Herz klopfte schneller, als sie sah, dass von der HEALTH-POINT-Kette eine Mail dabei war. Die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch! Vor Freude fing ihr Herz an zu hüpfen.
Sie stürmte nach unten. »Drückt mir die Daumen! Ich habe morgen Nachmittag ein Vorstellungsgespräch!« Begeistert fiel Lea ihrem Liebsten um den Hals. Thorsten war die Erleichterung anzumerken, was ihrem Glücksgefühl noch einen zusätzlichen Schub gab.
»Aber das ist noch keine Zusage. Freu dich nicht zu früh«, wiegelte er ab.
»Ich weiß, aber ich bin perfekt qualifiziert für die Ausschreibung. Das ist erst mal ein Erfolg. Selbst wenn es nichts wird, irgendwann wird es schon klappen. Man muss einfach positiv denken«, sagte sie und strahlte. Sie wollte sich ihren allerersten Bewerbungserfolg nicht madigmachen lassen. Eine Einladung schon nach der fünften Bewerbung, das war ja schließlich nicht schlecht. Es zeigte, dass ihre Qualifikation grundsätzlich am Arbeitsmarkt gefragt war. »Ich muss gleich wieder hoch und mir das richtige Outfit für morgen zurechtlegen. Vielleicht muss ich noch waschen.«
Thorsten nickte und lächelte nachsichtig.
Abends vor dem Fernseher beflügelte sie das Glücksgefühl noch immer. Lea rückte näher an Thorsten heran, sie hatte so große Lust, zu kuscheln. Wenn es klappte, würden zwischen ihnen ganz neue Zeiten anbrechen. Doch der zeigte keine Regung. Das veranlasste sie, in sein kurzes Haar zu fassen, um seinen Kopf zu kraulen. Ihre Lust wuchs, als sie kleine Küsschen auf seinen Hals setzte.
Normalerweise funktionierte das immer, aber diesmal rückte er ab und drückte sie weg. Lea schluckte bei dieser heftigen Reaktion. Ihm war sicher gar nicht richtig klar, wie sehr er sie damit vor den Kopf stieß. Der Vorfall im Studio war noch immer unterschwellig präsent und hatte ihre Lust geweckt.
Nein, sie wollte noch nicht aufgeben. Frei nach dem Motto: Appetit holt man sich woanders, gegessen wird zu Hause.
»Lass uns feiern. Linus schläft bestimmt schon«, raunte sie in Thorstens Ohr und fuhr mit der Hand unter sein T-Shirt. Er hielt den Atem an, als sie über die weiche Haut streichelte. Eigentlich war Thorsten ein sinnesfroher Mensch – zumindest, was das Essen betraf. Da er bei seinem anstrengenden Job und seiner kleinen Familie keine Zeit für Sport fand, zeigte sich das in einem kleinen Bäuchlein. Lea liebte ihn, so wie er war. Das Bäuchlein war ihr lieber als jemand, der ruhelos seiner Idealfigur, und womöglich anderen Frauen, hinterherjagte.
Sie schob das Shirt höher. Er bekam eine Gänsehaut, als sie sich hinunterbeugte, um ihn dort zu küssen. Zufrieden stellte sie fest, dass sich bei ihm endlich etwas regte. Doch plötzlich schob er sie sanft, aber nachdrücklich, weg. »Tut mir leid, Liebes. Ich bin jetzt einfach nicht in Stimmung, ich könnte mich nicht richtig konzentrieren und du hast nur einen fitten Mann verdient.«
»Hmm, ich bin fit genug für uns beide«, raunte sie und ließ die Hand nach unten, Richtung Beule, wandern. Sie wollte noch lange nicht aufgeben.
»Hast du nicht gehört? Ich hab keine Lust! Und mit diesem dämlichen Gummi schon gar nicht!« Ungeduldig schlug er die zudringliche Hand fort.
»Komm schon, du willst doch auch kein Risiko eingehen. Du weißt, warum wir es benutzen müssen.« Da sie sich einig waren, dass ein Baby ihre Situation zu schwierig machen würde und Lea die Pille nicht vertrug, hatten sie sich auf Kondome zur Verhütung geeinigt. Leider hatte Thorstens Libido darunter gelitten.
Lea ließ ihren Kopf für kurze Zeit mit geschlossenen Augen auf seinem Bauch ruhen. Er roch so schön nach Geborgenheit. Im Moment brauchte sie einfach Nähe. Vor allem seine Nähe, um sich die Gedanken an den dreisten Trainer aus dem Hirn zu vögeln.
»Sorry, geht jetzt gerade gar nicht«, murmelte er, als er ihre Enttäuschung registrierte.
Frustriert richtete sich Lea auf. »Okay«, seufzte sie. »Ich glaub, ich geh jetzt besser ins Bett. Ich bin ziemlich müde und sollte morgen fit und ausgeschlafen sein.«
Leider war die Sache mit dem Schlafen nicht so einfach. Ihre Gedanken kreisten in einem immer schneller drehenden Karussell. Wann würden sie endlich die glückliche Familie sein? Würde sie Arbeit und Familie unter einen Hut bekommen? Was sie wohl bei dem Gespräch erwartete und ob sie den Erwartungen dieser Firma gerecht wurde?
Immer wieder funkte Tim dazwischen. Dann war es, als wäre er anwesend. Die dunkle, sanfte Stimme, sein Geruch, das Knistern in der Luft und dieses Prickeln im Unterleib, beim Kuss. Warum gab Thorsten ihr nicht die Chance, mit ihm Ähnliches zu erleben? Dann würde sie diesen Vorfall endlich vergessen können.
Sie musste einfach Spannung abbauen und befriedigte sich selbst. Das führte Gott sei Dank zu einer gewissen Beruhigung. Vielleicht war es ihr jetzt endlich möglich, einzuschlafen.
Doch davor musste sie noch mal zur Toilette …
Danach ein Schluck Wasser …
Als sie in die Küche kam, konnte sie Stimmen aus dem Wohnzimmer hören. Neugierig trat sie zum Eingang, legte das Ohr auf die Tür und konnte es nicht glauben. Thorsten sah sich einen Porno an!
Lea fühlte sich, als hätte jemand einen Eimer Wasser über sie geschüttet. Was lief da falsch? War sie ihm plötzlich nicht mehr gut genug? Am liebsten hätte sie ihn zur Rede gestellt, aber das wäre nach hinten losgegangen. Thorsten mochte es überhaupt nicht, wenn man ihn kritisierte. Wer es trotzdem wagte, musste sich auf Schimpftiraden gefasst machen. Enttäuscht schlich sie nach oben. Wie betäubt lag sie lange Zeit im Bett, bis sie endlich der Schlaf erlöste.
Sie hatte das Gefühl, sie sei gerade eben eingeschlafen, als es im Schlafzimmer rumpelte. Thorsten schlüpfte unter die Decke. Lea knurrte, um deutlich zu machen, dass er sie geweckt hatte, und drehte sich weg. Doch er rückte näher und drückte sich an ihren Rücken.
»Wenn du noch willst, ich hätte jetzt doch Lust«, flüsterte er.
Sie hielt die Luft an, sein Atem roch nach Bier. Da hatte sie keine Lust zu küssen und das brauchte sie, um die Libido wieder hochzufahren.
»Jetzt nicht mehr«, gab sie zurück.
»Wieso nicht? Ich hab mich extra inspirieren lassen.«
»Ja, hab ich mitbekommen. Sehr sexy. Jetzt bin ich müde und will schlafen. Du hast mich geweckt.« Energisch drehte sie den Körper so, dass etwas mehr Platz zwischen ihnen entstand.
»Hey, das gilt nicht. Versprechen muss man halten. Du hättest Lust für uns beide. Das hab ich mir gemerkt. Ich hab mir auch schon artig die Lümmeltüte übergezogen.«
»Egal. Lass mich!«, startete sie einen halbherzigen Abwehrversuch. Sie war schon eingeknickt, denn es gefiel ihr, dass er endlich Lust hatte.
Thorsten verstand ihre unterbewussten Signale sofort und schob ihr Shirt hoch, um ihre Brüste zu kneten und die Nippel heftig zu stimulieren. Das zog geradewegs in Leas Unterleib, sie spürte, wie sie feucht wurde und seufzte. Es gab schließlich schlimmere Schicksale, als mitten in der Nacht Sex zu haben. So half sie ihm, den Slip auszuziehen.
»Na gut. Aber jetzt bist du dran, mich zu verwöööh …«, forderte sie, da hatte er sich schon zwischen ihre Beine geschoben.
Das ging ihr eindeutig zu schnell, doch sie wollte die Stimmung nicht verderben. Schwer lag er auf ihr, während er sie küsste. Erst auf die Halsbeuge und dann auf den Mund. Er schmeckte nach Tabak, hatte also wieder mit dem Rauchen angefangen. Den Verdacht hatte sie schon seit einiger Zeit, aber sie verkniff sich eine Bemerkung.
Ihr Verlobter hielt sich allerdings nicht lange mit Zärtlichkeiten auf, ehe sie ihn am Eingang spürte. Hastig drang er ein. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, da hämmerte er schon mit mechanischen Stößen gegen ihren Unterleib. Thorsten fing an, schwer zu atmen. Sie drehte sich weg, um seinem stinkenden Atem zu entgehen, und sich auf ihre Gefühle zu konzentrieren. Trotzdem kam es ihr vor, als sei sie eine lebende Sexpuppe, an der er sich abreagierte.
Er keuchte, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Schon nach wenigen Stößen fühlte sie seine wachsende Körperanspannung. Er stöhnte. Unmittelbar danach wich alle Spannung aus seinem Körper und er lag so schwer auf ihr, dass sie nur mühsam Luft holen konnte.
»Sorry, so schnell, das war nicht meine Absicht. Aber ich konnte mich einfach nicht mehr zurückhalten.«
»War wohl ein bisschen zu viel Inspiration, was?«, krächzte Lea. Es fiel ihr schwer, die Enttäuschung zu verbergen.
»Wenn du willst, bring ich es mit der Hand zu Ende.« Mit diesen Worten wälzte er sich von ihr herunter und schlüpfte unter seine Decke.
Immerhin hatte er bemerkt, dass sie nicht zum Höhepunkt gekommen war.
»Nein lass nur, nicht nötig«, sagte sie und schob ihr Shirt wieder nach unten. »Du weißt ja, ich bin ziemlich müde.«
»Na dann … ich auch.« Er drückte ihr noch ein flüchtiges Küsschen auf die Stirn und rollte sich auf die Seite, mit dem Rücken zu ihr. »Ich hoffe, es war trotzdem schön für dich«, murmelte er, ohne die Antwort abzuwarten.
Da hörte Lea schon, wie seine Atemzüge immer länger wurden. In ihrem Hals bildete sich ein Kloß. Ihm war wohl nicht klar, dass sie sich immer mehr voneinander entfernen würden, wenn es so weiterging. Hoffentlich hatte er bald wieder Arbeit, dann würde sicher alles besser.
»Komm schon, Marc. Du musst dieses Gespräch mit ihr erst mal allein führen. Wenn sie mich gleich zu Anfang sieht, springt sie sicher sofort ab.« Wie ein Tier im Käfig lief Tim auf und ab und sah dabei immer wieder flehend zu seinem Freund hinüber.
»Und wenn sie dich am Ende des Bewerbungsgespräches sieht, läuft sie raus, bevor sie unterschrieben hat. Wie stellst du dir das vor?« Marc ordnete unbeeindruckt die Bewerbungsunterlagen, die sie bisher zusammen durchgearbeitet hatten. Ordentlich stupste er den Stapel auf dem Schreibtisch zurecht. »Dieses Ding im Studio hättest du dir einfach verkneifen müssen.«
»Wahrscheinlich, aber jetzt kann ich es nicht mehr rückgängig machen. Ich habe dir doch erklärt, warum sie ideal für unser Sonderprojekt ist.« Er blieb breitbeinig vor dem Schreibtisch stehen und stützte sich auf die Stuhllehne.
Sein Freund zog die Augenbrauen zusammen. »Ja, zugegeben, qualifiziert ist sie schon.«
»Und sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie wird alles herausfinden, was sie soll.«
»Ich weiß nicht, ob das so gut ist. Warum nehmen wir nicht irgendeine Hässliche, die du nicht als Jagdbeute siehst?« Marc nahm sich einen Kugelschreiber und ließ ihn spielerisch durch die Finger tanzen. Das machte er oft so, wenn er seinem Freund unbequeme Wahrheiten vor den Latz knallte, denn dann musste er ihm nicht in die Augen sehen.
Tim schnappte nach Luft. »Sie hat mir doch einen Korb gegeben. Was willst du noch?«
»Als wenn dich das jemals aufgehalten hätte. Nein, nein mein Lieber, ich kenne dich zu gut. Das ist für dich der größte Ansporn.«
»Warum bist du eigentlich immer so spießig? Ich tu nichts, was die Frauen nicht auch wollen.«
»Kannst du ja auch, aber nicht mit unseren Mitarbeitern … und Kunden.«
Tim trat einen Schritt dichter an den Schreibtisch. »Mitarbeiter und Kunden sind für mich tabu«, log er. Er war überrascht, wie leicht das über seine Lippen kam. Grund dafür war sicher, dass er stets gute Vorsätze hatte.
Marc lachte schallend auf. »Tabu, ja? Auch wenn du dich da etwas mehr zusammennimmst … sei ehrlich, für dich gibt es doch keine Tabus … nicht wirklich.« Natürlich glaubte er ihm nicht.
Tim setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und sah seinen Freund mit zusammengekniffenen Augen an. »Wenn du so redest, könnte man meinen, ich wäre der Wüstling schlechthin. Und wenn ich verspreche, dass ich sie in Ruhe lasse?« Ungeduldig nahm er seinem Freund den Kuli aus der Hand. »Diese Spielerei nervt«, erklärte er. »Sag schon.«
»Kannst du das denn versprechen?«, fragte Marc und sah seinen Freund prüfend an.
»Du traust mir ja wohl gar nichts zu, oder? Sie ist die Idealbesetzung, das musst du zugeben.«
»Muss ich darauf antworten?«, knurrte er. »Nein, in Liebesdingen nicht.«
Tim hob die Hände. »Hoho, wer redet denn hier gleich von Liebe.«
»Na, du bestimmt nicht«, erwiderte sein Freund grinsend.
»Also, was ist jetzt?« Nervös ergriff Tim den Kuli und trommelte damit auf seinem Zeigefinger herum.
Umgehend wurde ihm das Spielzeug entrissen. »Diese Spielerei nervt, hast du selbst gesagt«, erklärte Marc und fing an, auf den Knopf zu drücken. »Also, um auf deine Frage zurückzukommen … unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«, fragte Tim und lehnte sich zurück. Dieses Spiel wurde ihm langsam zu blöd.
»Du kommst zum Schluss rein und sie muss sich darauf einlassen. Sie muss wissen, was da auf sie zukommt.«
»Ja, klar. Aber im Prinzip hängt alles an dir, wie gut du sie vorbereitet hast.« Lässig faltete Tim die Hände im Nacken und zwinkerte seinem Geschäftspartner zu. »Also verbock es nicht.«
»Alles hängt an dir, wie gut du deinen kleinen Freund in der Hose lassen kannst. Vergiss nicht, DU hast es verbockt. Sie wäre nicht die Erste, die uns davonläuft, weil du dich nicht an die Regeln hältst«, erwiderte Marc und ahmte die Pose seines Freundes nach.
Tim ließ die Arme wieder sinken. »Ja, ja, ist ja schon gut. Ich werde mich zusammenreißen, versprochen.«
»Hoffentlich. Du weißt, diese Reisen sind wirklich wichtig.«
Grummelnd erhob er sich. »Als wenn ich das nicht wüsste.«
***
»Also ich bin wirklich froh, dass Sie sich vorstellen können, für uns zu arbeiten. Wann könnten Sie anfangen?«
Marc blickte Lea wohlwollend an. Sie gefiel ihm ausnehmend gut, da war sie sich sicher. Thorsten hatte recht behalten, mit ihrer sozialen und kaufmännischen Ausbildung war sie wohl die ideale Kandidatin. Dass sie auch noch so viel von Fitness verstand, war das Tüpfelchen auf dem I.
»Sagen Sie … ist das eigentlich ein Verlobungsring, den sie da tragen?«
Mit dieser Frage hatte sie schon früher gerechnet. Lea rätselte über die Motivation ihres Gesprächspartners. Möglich, dass es gut war, wenn sie gebunden war. Andererseits konnte eine Schwangerschaft wieder eine neue Mitarbeiterin notwendig machen.
Sie entschied sich für eine diplomatische Antwort: »Nächste Woche könnte ich anfangen. Ich hab meine Teilzeitstelle bereits gekündigt. Mein Verlobter ist zurzeit arbeitslos, wir sind also auf das Geld angewiesen. Das beantwortet sicher auch gleich die obligatorische Frage nach der Familienplanung«, sagte sie, während sie am Ring drehte.
Lea wunderte sich selbst immer wieder über ihr selbstbewusstes Auftreten, das sie an den Tag legen konnte, obwohl sie eigentlich so unsicher war. Mit dem Rücken zur Wand war sie am abgeklärtesten. Definitiv eins ihrer Talente. Und sie wusste, wie sie dabei authentisch rüberkam.
Das Gespräch war mehr als gut gelaufen. Zunächst hatte man ihr den Auftrag als Undercoverkundin zugedacht. Diese Aufgabe war zwar mit Reisen verbunden, aber in einem überschaubaren Umfang. Den Rest ihrer Stunden würde sie in der Personalabteilung zubringen. Für die Reisetätigkeit konnte sie noch ein paar Stunden extra freibekommen, was Linus zugutekommen würde. Die Zeit, in der sie unterwegs war, würde sein Vater eben mit ihm verbringen müssen. Solange er arbeitslos war, war das ja kein Problem. Der Rest würde sich zeigen, wenn es so weit war.
»Okay … da wäre nur noch eine Kleinigkeit, von der ich nicht weiß wie Sie es aufnehmen werden«, ergänzte ihr Chef in spe.
Nervös zuckten Leas Augenlider. Das klang gar nicht gut. Sie hatte gedacht, sie hätte alles hinter sich. Zu früh gefreut? Zu den ohnehin feuchten Händen gesellte sich ein trockener Mund. Schnell nahm sie einen Schluck von dem Wasser, das vor ihr stand. Was kam jetzt noch für ein Haken? »Worum geht es?«
Der Chef nahm das Telefon in die Hand. »Moment ich hole ihn dazu.«
In einem Anflug von dumpfer Vorahnung bekam sie bereits ihre roten Flecken am Hals. Als Tim das Büro betrat, war das wie ein Schlag gegen den Kopf. Ihr Atem stockte.
»Darf ich Ihnen meinen Partner Tim Jaeger vorstellen? Er wäre Ihr Fachvorgesetzter für den Sonderauftrag.«
Tim stand unschlüssig in der Tür und lächelte verlegen.
Wie gelähmt saß Lea mit offenem Mund da. Feine Schweißtropfen kühlten ihre Stirn. »Der … Chef«, murmelte sie. Lea schüttelte den Kopf. »So was hätte ich mir denken können. Ein normaler Mitarbeiter wäre doch längst geflogen … Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«, würgte sie hervor.
In Tim kam plötzlich Leben und er machte einen vorsichtigen Schritt auf Lea zu. »Doch, unser voller. Genau darum wollen wir Sie unbedingt. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund und kennen sich gut mit Menschen aus«, erklärte er und legte ein charmantes Unschuldslächeln an den Tag.
Marc beobachtete die Szene und schüttelte unmerklich den Kopf.
Lea kniff die Lippen zusammen und sah zu ihm hinüber.
Eine Zeit lang taxierten sich alle drei abwechselnd mit kritischen Blicken.
»Mein Verhalten wird tadellos sein, ich schwöre.« Tim wirkte immer noch verlegen und hob eine Schwurhand.
»Die anderen Finger auch nach vorne bitte, damit du sie nicht kreuzen kannst«, ermahnte Marc.
»Kann es nicht sein, dass mittlerweile genug Asche auf meinem Haupt ist?« Mit einem charmanten Lächeln versuchte Tim, die Diskussion zu beenden. Immer noch wirkte er unsicher.
Da musste auch Lea grinsen. Na so ein Früchtchen!
Marc schnaufte erleichtert. »Wir möchten Sie wirklich unbedingt. Ich werde auch persönlich auf ihn aufpassen. Bitte sagen Sie zu.«
Tim schluckte schwer. Seine Verlegenheit wirkte ehrlich und nahm ihr die Angst. Sie entspannte etwas. Ihr Respekt vor ihm, oder wie sie das Gefühl auch immer nennen sollte, schien ihr auf einmal lächerlich. Schließlich war sie ein erwachsener Mensch und nicht gerade unerfahren. Sie würde sich wohl noch gegen einen Weiberhelden zur Wehr setzen können, falls das nötig sein sollte. Außerdem brauchte sie das Geld … und die Bezahlung war mehr als gut. Mehr Freiheiten würde sie auch nirgendwo bekommen.
»Okay, ich unterschreibe«, erklärte sie und beobachtete, wie sich Tims Gesicht aufhellte.
»Wir können Ihnen gar nicht sagen, wie erfreut wir sind«, verkündete er strahlend.
Leas Blick wurde von kleinen Lachfältchen gefesselt.
Seine Augen funkelten erfreut unter den langen Wimpern. Er sah wirklich verdammt gut aus.
Als Lea aufstand, bemerkte sie, dass sie wackelige Gummiknie hatte. Um das zu vertuschen, bewegte sie sich nur langsam auf ihre zukünftigen Chefs zu und reichte ihnen die Hand. »Wir werden Ihnen den Vertrag in den nächsten Tagen zuschicken. Ach und da wir uns in den Studios duzen, machen wir das hier in der Zentrale auch so. Ich bin Marc.«
»Lea«, antwortete sie und nahm die Hand an.
Sie fühlte sie wie elektrisiert, als Tim an der Reihe war.
»Tim, auch wenn das schon klar ist.«
Lea spürte den Puls in den Schläfen pochen. Merkwürdig, dieses undefinierbare Gefühl, das sie nicht einordnen konnte, kroch von der Hand durch ihren ganzen Körper. Millimeter für Millimeter arbeitete es sich vor und stellte ihre Empfindungen auf den Kopf. Sie versuchte es abzuschütteln, indem sie tief Luft holte. Für einen winzigen Moment sahen sie sich in die Augen.
Tims Adamsapfel wanderte, als er schluckte.
Ihr Mund war schon wieder trocken. Sie konnte seinem Blick nicht standhalten. Verlegen sah sie über seine Schulter in die Tiefe des Raumes, ohne dabei etwas wahrzunehmen.
Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?
»Wenn du keine weiteren Fragen hast, bringe ich dich jetzt zu unserer Assistentin Eva. Die wird dir alles zeigen.«
Lea nickte und war froh, dieser merkwürdigen Situation zu entkommen.
»Wir haben hier flache Hierarchien, da in der Zentrale nicht sehr viele Leute arbeiten. Allerdings ist dabei die Personalabteilung mit fünf Leuten, inklusive dir, verhältnismäßig groß«, erklärte Eva.
Lea hatte das zwar schon im Vorstellungsgespräch erfahren, und auch, dass Marc ihr offizieller Vorgesetzter war. Aber sie wollte nicht unhöflich sein und Eva im Redefluss alle paar Minuten unterbrechen. So trottete sie brav hinter ihrer zukünftigen Kollegin her und ließ sich alles zeigen.
So klein war die Firma nicht. Auf Anhieb würde sie sich sicher nicht zurechtfinden.
Eva machte einen netten und offenen Eindruck. Mit ihrem dunkelblonden Dutt und den Perlensteckern in den Ohrläppchen sah sie wie eine typische Assistentin aus.
»So, hier haben wir jetzt dein Reich«, erklärte sie, während sie die Milchglastür zu einem kleinen Büro öffnete. »Die Aussicht ist nicht so toll, aber du kannst dir ein paar Pflanzen auf die Fensterbank stellen.«
Lea sah sich um. Einfache Büromöbel, und ein großer Schrank, bildeten die Einrichtung des Büros. Das Fenster war zur Straße und der Blick von einer großen Fabrikmauer versperrt. Sie erblickte kein Grün weit und breit. »Immerhin ein eigenes Büro, das ist doch gut. Häuslich einrichten werde ich mich aber erst nach der Dienstreise. Ich soll undercover Qualitätskontrollen bei den schlecht laufenden Studios machen.«
Eva drehte sich überrascht zu ihr herum. »Du fährst mit auf Qualireise?«
»Ja, wieso?«
»Ach nichts … pass auf dich auf«, murmelte sie und wandte sich wieder ab.
»Warum? Komm schon, du kannst doch nicht solch eine Andeutung machen und dann nichts weiter dazu sagen.«
»Na ja, es geht mich nichts an, aber nimm dich in Acht vor Tim. Ich glaube, er ist die Reinkarnation von Casanova. Er hat schon einigen Frauen das Herz gebrochen. Bei Mitarbeiterinnen hält er sich zwar zurück, das hindert aber die Mitarbeiterinnen nicht, sich in ihn zu verlieben. Wenn er ein Angebot bekommt, sagt er nicht Nein. Die Reise wird gut bezahlt, aber sie ist DER Schleudersitz hier in der Firma.«
Nervös spielte Eva mit ihrer Kette. Sie hatte durchaus Grund dazu, nervös zu sein, denn immerhin hatte sie gerade etwas gegen ihren Chef gesagt.
Lea musterte sie und spekulierte, ob er vielleicht auch ihr Herz gebrochen hatte. »Danke für die Warnung. Aber ich glaube, ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen. Und wie du weißt, bin ich ja gebunden.«
»Okay, gut, wenn du alles im Griff hast. Ich wollte dich nur gewarnt haben. Es ist gut gemeint, ehrlich. Trinken wir noch einen Kaffee zusammen?«
Lea zögerte zunächst, aber Eva sah so aufrichtig und freundlich aus, dass sie schließlich zustimmte. Während ihrer Unterhaltung erfuhr sie, dass Tim vor kurzem noch verheiratet gewesen war. Es war zwar nicht so, dass Eva hemmungslos über ihren Chef lästerte, aber aus verschiedenen Andeutungen ließ sich schließen, dass er schon immer ein chronischer Frauenheld war.
»Tschüss, mein Großer.« Lea griff unter Linus’ Achseln und hob ihn hoch. Der legte seine kleinen Ärmchen um ihren Hals. »Pass mir auf deinen Papa auf«, ergänzte sie und zwinkerte Thorsten zu.
»Du sollst nicht weggehen«, schmollte Linus.
»Finde ich auch«, warf Thorsten ein.
Dafür erntete er einen strengen Blick von seiner Verlobten. »Ich dachte, das hätten wir besprochen.«
»Du hast deine Entscheidung verkündet. Von ›besprochen‹ kann keine Rede sein«, nörgelte er, während er bei ›besprochen‹ Finger-Gänsefüßchen machte.
»Thorsten, ich hab mich schweren Herzens dazu entschlossen, damit wir mit der Hypothek nicht in Schwierigkeiten kommen. Du selbst wolltest, dass ich mehr arbeite. Warum machst du es mir jetzt so schwer?«
Thorsten seufzte. »Da wusste ich ja auch noch nicht, dass du reisen wirst. Ich fühle mich irgendwie alleingelassen.«
»Ich werde mich auch allein fühlen. Ich mag auch nicht von euch getrennt sein. Wir werden sehen, wie es läuft«, versicherte sie und umarmte ihn mit dem freien Arm. Alle drei umarmten sich nun gegenseitig und steckten die Köpfe zusammen. »Zusammen sind wir alles was wir brauchen«, beschworen sie wie selbstverständlich ihr Familienmantra. Leas liebstes Ritual.
Thorsten befreite sich als Erster. »Hast du dir selbst zugehört? Was ist, wenn ich zu einem Vorstellungsgespräch muss?«, klagte er.
»Dann hast du deine Eltern und meine Eltern. Selbst wenn die nicht können, hat Linus immer noch seine Mutter. Bitte, mach’s mir doch nicht so schwer.«
Thorsten seufzte. Lea setzte Linus ab und nahm ihren Verlobten in die Arme. »Komm schon, es sind doch nur fünf Tage, die wirst du sicher überleben. Danach bekomme ich Stunden gutgeschrieben, die uns zugutekommen. Ich finde das sehr familienfreundlich von der Firma.«
Draußen hupte es und Lea war dankbar, dass diese herzzerreißende Szene jetzt ein Ende hatte.
Tim sprang aus dem Auto, um Lea mit dem Gepäck zu helfen. Marc saß am Steuer und stellte am Navi herum. Als sie Tim so auf sich zukommen sah, war sie insgeheim froh, dass sie zu dritt auf diese Reise gingen. Marc war sicher ein guter Schutzwall gegen die Anziehungskraft, die sie schon wieder verspürte. Es war auch gut, dass sie allein auf der geräumigen Rückbank saß. Sie setzte sich hinter Marc, sodass der Abstand zwischen ihr und Tim möglichst groß war.
»Wann genau hast du deinen Termin, Lea?«, fragte Marc, der den 5er-BMW sicher und souverän lenkte.
»Heute Nachmittag, um halb vier.«
»Okay, dann können wir ja noch vorher im Hotel einchecken.« Tim drehte sich zu ihr um, während er das sagte, und Lea wurde sofort wieder flau im Magen. Sie musste nur seine Stimme hören, und ihr Körper reagierte. Vorhin wäre sie am liebsten wieder umgedreht.
Tim drehte sich zu ihr. »Für dich ist ein Golf gemietet worden, schöne Hausfrauenkutsche. Kannst du ein Navi bedienen?«