Lieben ist nichts für Feiglinge - Gerti Senger - E-Book

Lieben ist nichts für Feiglinge E-Book

Gerti Senger

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Beschreibung

Die »Generation F« und die Liebe Angst vor Nähe, Angst vor Trennung, Angst vor dem Ungewissen – für die »Generation F« (Generation »feig«) gibt es viele Anlässe, feig oder gar nicht zu handeln. Psychotherapeutin Gerti Senger stellt dazu grundlegende Beziehungsfragen: »Wann sind Liebesgefühle gefährdet? Warum kommen sie oft gar nicht erst zustande? Wie gehen wir mit Bindungen um? Was hindert uns daran, miteinander glücklich zu sein?« Ohne zu verurteilen, schildert die Paartherapeutin und beliebte Kolumnistin Geschichten aus ihrer langjährigen Praxis sowie Fallbeispiele, die auch eigene Verhaltensweisen erklären. Einfühlsam und humorvoll weist sie auf mögliche Ursachen vieler Beziehungsprobleme hin und zeigt Wege zu Mut in der Liebe und Ehrlichkeit zu sich selbst. »Ich versuche, Frauen und Männer auf der Suche nach mehr Liebesglück vom Angst-Feigheitsmodus zu einem Handlungsmodus zu motivieren. Dass Handeln vielleicht auch Scheitern bedeuten kann, bestreite ich nicht. Aber wer nicht handelt, ist schon gescheitert.« In diesem Sinne: Nur Mut, alles wird gut!

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Seitenzahl: 295

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Der Umwelt zuliebe #ohnefolie

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2022 by Amalthea Signum Verlag GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung und Satz: Johanna Uhrmann

Umschlagmotiv: © orchidart/Freepik.com

Lektorat: Sina Will

Herstellung: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

Gesetzt aus der Adobe Hebrew und Cadiz

Designed in Austria, printed in the EU

ISBN 978-3-99050-244-0

eISBN 978-3-903441-08-8

Inhalt

Zur Einstimmung

Von Feiglingen, Entscheidungsschwächen und der Angst vor Glück

Von Nähe, Distanz und paradoxen Bindungen

Vom Reden, Schweigen und Verhandeln

Von den seelischen Wunden der Kränkungen

Von geheimen Lebensaufträgen und tabuisierten Liebesfallen

Von falschen Gefühlen, Egoismus, Narzissmus und gefährlichen Masken

Von Macht, Ohnmacht und den dazugehörigen Typen

Von Trennungen, Affären und Neubeginn

Von Erotik, Sex und verborgenen Stolpersteinen

Von sexuellen Dissonanzen und anderen Störungen

Von sexuellen Varianten, bizarren Trends und Netz-Gefahren

Nur Mut, alles wird gut

Zur Einstimmung

Was Lieben, Krisen, Trennungsschmerz und Liebeskummer sein können, weiß ich aus eigener Erfahrung. Eine Frau in meinem Alter kennt das Leben. Komplizierte Jugend, frühe Liebesheirat, Kinderwunsch, Scheidung, zweite Heirat, Patchworkfamilie, alles schon gehabt.

Dieses Buch dreht sich nicht darum, wie ich mich durchs Leben gehangelt und was ich in meiner zweiten, reiferen Ehe gelernt habe. Es geht mir auch nicht um die Definition von Liebe. Darüber zerbrechen sich seit jeher Soziologen, Neurowissenschaftler und Philosophen zur Genüge den Kopf. Bei allem Respekt vor diesen wertvollen Betrachtungen können sie nur der Strahl einer Taschenlampe in einem finsteren Wald sein. Einiges wird erhellt, aber vieles bleibt im Dickicht einer Welt, in der die Frage nach Liebesbeziehungen keine einzig gültige Sichtweise und Antwort erlaubt.

Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen spiegeln die moderne, digitale Welt mit ihrem Fortschritt, ihren Hoffnungen, Irrtümern, Stärken und Schwächen. Auch die Vorstellung von Feigheit und Mut sind eng verknüpft mit Lebensbedingungen, die sich ständig verändern. In den Liebesgeschichten Arthur Schnitzlers waren die Begriffe der Liebe, des Mutes und der Freiheit anders konnotiert als in Ovids Liebeskunst. Als Kognitive Verhaltenstherapeutin und Paartherapeutin ist mein Blick nur auf Fragen des aktuellen Beziehungsgeschehens gerichtet: Wann sind Liebesgefühle gefährdet? Warum kommen sie oft gar nicht erst zustande? Wie gehen wir mit Bindungen um? Was hindert uns daran, miteinander glücklich zu sein?

Unsere Sehnsucht nach Liebe war vielleicht niemals so groß wie heute. In einer so komplexen Welt wie unserer erscheint ausgerechnet die unberechenbare Liebe als Fels in einer Brandung von Ungewissheit und Sinnsuche. Die Furcht vor den damit verbundenen emotionalen Risken und Anforderungen einer Liebesbeziehung ist so groß, dass vieles nicht gewagt, unreflektiert gehandelt oder gar Isolation der Gemeinsamkeit vorgezogen wird. Trotz aller Ängste und Rückschläge bleibt der Wunsch, geliebt zu werden und zu lieben, übermächtig. Schon seit jeher ermutigt er die meisten zu einem Blindflug in das Universum der Liebe.

Menschen erzählten einander bereits zu Urzeiten Geschichten über die Macht der Liebe. Unser Gehirn hat »gelernt«, in Geschichten zu denken. Durch Mythen, Legenden und Erzählungen erfahren wir unsere Umwelt und werden wir, was wir sind. In fast vierzig Jahren therapeutischer Praxis und durch die Reaktionen auf nahezu zweitausend Kolumnen habe ich viele Geschichten über die Sehnsüchte, Ängste und Probleme von Frauen und Männern auf der Suche nach Liebe gehört.

In das Buch aufgenommen habe ich jene Geschichten, in denen möglichst viele Leserinnen eigene problematische Verhaltensweisen entdecken und hoffentlich praktische Erklärungen und Anregungen bekommen können.

So manche Situationen in diesen Geschichten könnten einfach, quasi unter Freunden, gelöst werden. Die meisten Storys sind nur skizziert und bräuchten psychologische Vertiefung, viele Fragen bleiben offen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie die »Krankheiten« unserer Zeit abbilden: Orientierungslosigkeit, schwierige frühkindliche Beziehungserfahrungen, die Furcht vor Kränkungen und die Angst davor, sich den Aufgaben und den Herausforderungen, die mit der Liebe und mit Bindungen verbunden sind, zu stellen. Man wird zu einem Feigling wider Willen, denn grundsätzlich ist bei den meisten Menschen der Wunsch, verantwortungsvoll zu handeln, durchaus vorhanden.

In diesem Dilemma flüchten viele in die Verantwortung für Fernes. Das Gefieder seltener Vögel, die Flussgeschwindigkeit der Bäche und die Vermehrung der Nasenbären erscheinen plötzlich wichtiger als die Liebe, für die es sich doch angeblich lohnt zu leben.

Die Erlebnisse der Frauen und Männer, die ich gesammelt habe, sind im Kern wahr, aber so weit verändert, wie es der Datenschutz erfordert, und so verkürzt oder vergnüglich geschärft, wie es der psychotherapeutische Hintergrund zulässt. Ich bemühe mich um eine möglichst wertfreie Darstellung der Geschichten, aber aufgrund eigener Lebenserfahrungen und meiner langen Berufspraxis habe ich auch praktische Überlegungen und angemessene Tipps angefügt.

Ich habe für die elementaren Liebesfragen, die Schwierigkeiten bei der Partnerfindung und für Probleme des partnerschaftlichen Alltags keine Patentrezepte. Aber ich versuche, Frauen und Männer auf der Suche nach mehr Liebesglück vom Angst-Feigheitsmodus zu einem Handlungsmodus zu motivieren. Dass Handeln vielleicht auch Scheitern bedeuten kann, bestreite ich nicht. Aber wer nicht handelt, ist schon gescheitert.

Ich danke den Frauen und Männern, die mir in Gesprächen und Briefen ihre intimsten Erlebnisse und Gefühle anvertrauten. In jeder Liebesgeschichte, egal ob geglückt oder misslungen, war für mich selbst immer wieder ein kleines Wachstumsgeschenk verborgen.

Danke auch dafür.

Von Feiglingen, Entscheidungsschwächen und der Angst vor Glück

Nur im Film spielen sich das Leben und die Liebe in einer heiteren, unkomplizierten Welt ab. In Wirklichkeit leben wir in einem Klima der Angst, der Ungewissheit und des Vermeidens. Nach meinen Untersuchungen zum Thema »Liebeskummer« und vielen therapeutischen Gesprächen über Beziehungen komme ich zu einem unbequemen Schluss: Die neuen Frauen und Männer haben nicht nur berechtigte Ängste vor Klimakatastrophen und Krieg, sie haben auch Angst vor Gefühlen. Womöglich hat das Angst- und Vermeidungsklima der letzten Jahre eine »GENERATION F« – »Generation Feigheit« – produziert.

Für die »GENERATION F« gibt es viele Anlässe, feig oder gar nicht zu handeln

Mit meinem Ausdruck »GENERATION F« werte ich Feigheit nicht ab. Der unbestreitbare Mangel an Sinnorientierung und eine immer komplexere Welt ohne Halt gebende, verbindliche Regeln machen eine indifferente Lebenshaltung oft unvermeidlich. Feigheit ist für mich nicht grundsätzlich eine verachtenswerte Schwäche. Meist steckt dahinter ein schmerzlicher Mangel an Sinn, Werten oder Selbstwertgefühl.

Mut ist nicht gleichbedeutend damit, dass man jede Herausforderung automatisch annimmt und rucki-zucki bewältigt. Mutig ist, wer sich mit einer Herausforderung bewusst auseinandersetzt. Feig sein bedeutet, sich mit Ausflüchten vor einer bewussten Auseinandersetzung zu drücken, wider besseren Wissens einen kleinen Verrat zu begehen und wortbrüchig zu werden.

Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass es viele banale Möglichkeiten gibt, ein Feigling zu sein: Der eine wagt es nicht, vom Dreimeterbrett zu springen, der andere traut sich nicht, »Ich liebe dich«, in einer ungewünschten Situation »Nein« oder zu einer gewünschten Situation »Ja« zu sagen. Andere wieder handeln wegen eines unangemessenen Optimierungswahns feige. Aus Angst, nicht das Optimale tun zu können, wird gar nix getan. Auch die »Tyrannei der Möglichkeiten«, wie es Hannah Arendt ausdrückte, kann feig machen. Mich wundert also nicht, dass es trotz eines immer intensiver werdenden Luststrebens und immer grelleren Lustangeboten immer weniger stabiles Genießen gibt.

Dass nicht nur Männer Feiglinge sind, ist klar. Vielleicht sind Frauen in Liebesangelegenheiten ein bisschen mutiger. Darüber ließe sich streiten, allerdings nicht hier. Jetzt ist es Zeit für die angekündigten Geschichten.

»Cherophobie«, die Angst vor dem Glück

Simone und Leopold – auf den ersten Blick ein Traumpaar, bei dem alles passte. Trotz eines vielsprechenden Anfangs endete das Märchen der beiden traurig: Kaum kam die Beziehung in Fahrt, beendete Leopold die Beziehung.

Leopold hat keine Erklärung für sein Verhalten. Simone weint. Leopold weint auch. Er weiß selbst nicht, was los ist: »Es geht einfach nicht mehr.« Simone sucht Rat bei seinen Freunden. Alle antworten das Gleiche: »Es ist wie immer.« Wie immer heißt: Wenn Leopold und eine Partnerin besonders happy sind, macht er Schluss.

Leopold leidet an einem Phänomen, das zunehmend mehr Menschen belastet: »Cherophobie« oder »fear of happiness«, die Angst vor dem Glück. Erst tut man alles, um glücklich zu werden und das Glück zu stabilisieren, dann folgt ein abrupter Rückzug. Die Partnerin weiß nicht, was mehr schmerzt – die Unsicherheit, ob sie etwas falsch gemacht hat? Oder das nagende »Warum«? Eine klare Antwort kann derjenige, der ein Glück zerstört, das er eben noch schätzte, nicht geben. »Es ging plötzlich nicht mehr«, heißt es verschwommen.

Paul ist verliebt und emotional. In innigen Situationen öffnet er Herz, Sinne und Seele. Michaela hält das schwer aus. Sie blockiert aufkommende Nähegefühle mit Zynismus. »Gibst du jetzt wieder das treue Hündchen mit den traurigen Augen?« Ironische Kommentare machen Gefühlsäußerungen lächerlich. Paul versucht, sich mit Zärtlichkeiten zurückzuhalten, aber emotionale Distanz entspricht ihm nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis seine Liebe zu Michaela zerbrechen wird. Sie hat dann ihr Ziel erreicht: Das Glück, das ihr seelisches Gleichgewicht bedrohte, gibt es nicht mehr.

Cherophobie hat unterschiedliche Gründe. Manche Menschen haben so einen schlechten Selbstwert, dass sie glauben, es nicht wert zu sein, Freude und Glück zu erleben. Ein Neurobiologe bezeichnete ein bestimmtes Areal im Gehirn als »Jammerlappen«, weil hier jene negativen Gedanken produziert werden, die auch die aussichtsreichsten Glücks-Situationen ruinieren. »Freu dich nicht zu früh«, »Was ist schon dran an mir?« – so und ähnlich denken »Cherophobiker«.

Andere wieder verhindern Glück aus Angst vor dem Ende oder einer Bestrafung für dieses schöne Gefühl. Ganz nach dem Motto: »Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg dir lieber selber zu.« Kurt machte das: In der Annahme, dass Geraldine eines Tages wieder zu ihrem reichen Ex zurückkehren würde, verließ er sie.

Der häufigste Grund, Glücksgefühle zu killen, ist die Angst vor seelischer Nähe und vor dem Verschmelzen mit dem Du. Bindungsphobiker sind oft auch Glücksphobiker: Sobald es super läuft, zerstören sie das Glück durch Flucht, Aggressivität, Launenhaftigkeit, durch einen Seitensprung oder intensive Freiheitswünsche. Auch so kann man sich unglücklich machen.

Die verborgene Furcht vor Verbindlichkeit

Marie ist sicher: Christoph wird seiner Noch-Freundin Elisabeth schrittweise beibringen, dass das mit ihnen nichts wird. Es wird nicht mehr lange dauern und dann hat er Elisabeth so weit. Aber Marie darf bitte keinen Druck machen, sagt Christoph. Er muss aus freien Stücken entscheiden können, wann und wie etwas geschehen soll.

Ein bisschen Freiraum, das muss sie ihm schon gönnen.

Szenenwechsel. Spürt Elisabeth, dass mit Christoph etwas nicht stimmt? Na klar, aber auch sie hört immer wieder von ihm, dass er in seinem Freiheitsbedürfnis bitte nicht eingeschränkt werden darf. Er geht sonst sofort in den Widerstand, sprich, er will von einer fixen Beziehung erst recht nichts wissen. Also lässt Elisabeth Christoph an der langen Leine. Außerdem hat sie ihn ja auf einen Kurzurlaub eingeladen, das wird sie zusammenschmieden.

Marie weiß von Elisabeths Einladung, die gibt es schon seit Monaten. Christoph ist unglücklich darüber, sagt er. Er will die Tage nutzen, um offen mit Elisabeth zu sprechen. Ganz ohne Druck.

Nach seiner Rückkehr darf Marie ihn nur ja nicht mit der Frage quälen, ob Elisabeth endlich Bescheid weiß. Die Tage waren hart genug. Sie darf ihn nicht auch noch einengen, schließlich ist die Liebe ein Kind der Freiheit. Marie verspricht ihm jede Menge Freiheit, sobald er sich für eine verbindliche Beziehung mit ihr entscheidet.

Dann der Knall: Elisabeth ruft Marie an und will wissen, was da los ist. Marie stellt Christoph zur Rede. Er jammert, wie schrecklich das alles sei und dass die Situation nur deshalb so eskalierte, weil Marie ihm keine Freiheit ließe. Aber es fällt ihm halt schwer, Elisabeth wehzutun. Er ist ja kein Schuft. Elisabeth beteuert er, dass das mit Marie sowieso schon zu Ende sei, respektive eigentlich gar nichts war, zumindest nichts, was mit der Beziehung zwischen ihr, Elisabeth, und ihm zu tun habe. Das Einzige, was er jetzt brauche, sei Verständnis und Freiheit, andernfalls könnte er womöglich einen Schritt tun, den sie beide ein Leben lang bedauern würden.

Elisabeth? Marie? Für wen wird sich Christoph entscheiden? Ich wette, dass er diese Entscheidung nicht selbst fällen wird. Entweder macht Elisabeth Schluss oder Marie tut es, oder die zwei tun sich zusammen und beide geben ihm den berühmten Weisel. Christoph wird behaupten, dass er das eigentliche Opfer sei. Er habe beide Frauen geliebt, aber sie seien zu kleinkariert gewesen, um das bisschen Freiheit, das er braucht, zu respektieren.

Leider liegt Christoph da völlig falsch. Solange er nicht einsieht, dass sein Freiheitsbedürfnis eine maskierte Bindungsphobie ist, wird er »im Namen der Freiheit« jeder verbindlichen Beziehung ausweichen.

Fluchtwege gibt’s für Bindungsphobiker genug. Entweder Sex-Abstinenz, um Nähe zu verhindern, oder ein unkommentiertes Ende. Gerne auch eine unverbindliche Dreiecksbeziehung, die eine Entscheidungsverantwortung erspart, weil einem der Beteiligten der Faden reißt.

Das Prinzip der Reaktanz ist oft gar nicht bewusst

Den meisten Bindungsphobikern sind die eigentlichen Ursachen und Zusammenhänge ihres Verhaltens nicht bewusst. Auch das Reaktanz-Prinzip wirkt im Unbewussten.

Ich erinnere mich, dass ich als Mädchen so manchen »un-möglichen« Freund hatte, nur weil meine Mutter gegen ihn war. Ihr Verbot machte ihn für mich erst richtig interessant. Der Reiz des Verbotes ist schon für Kinder unwiderstehlich. »Auf dem Bauplatz dürft ihr nicht spielen!« – schon wird er attraktiv. »Dieses Spielzeug gibt es nicht mehr!« – jetzt wird es erst recht gewünscht. Nichts Besseres, Schöneres, Teureres kann das ersetzen, was schwer zu haben oder durch ein Verbot eingeschränkt ist.

Das Prinzip der Reaktanz – Freiheitseinschränkung wertet Bedrohtes oder Verlorenes erst auf – ist in der Welt der Liebe besonders wirksam. Peter und Sophia arbeiten in derselben Firma. Es wird zwar nicht offen gesagt, doch Affären unter Arbeitskollegen sind ein Tabu. Das schwer Erreichbare, Verbotene ihrer Beziehung macht sie besonders wertvoll. Würde das Pärchen nicht unter einem Dach arbeiten, wäre ihre Affäre nur ein Pantscherl.

Im Grunde ist die Erklärung des weit verbreiteten Reaktanz-Phänomens ziemlich simpel: Reaktanz ist nicht Trotz. Während dieser als störrisches Verhalten gedeutet werden kann, beweist Reaktanz, dass sich Menschen nicht gerne einschränken lassen. Bei den meisten löst eine wahrgenommene Beschneidung der Freiheit das spontane Bedürfnis aus, die volle Freiheit – und sei es auch nur die Illusion davon – wiederherzustellen.

Ein Produkt, das nur limitiert zu kaufen ist (»Solange der Vorrat reicht«), eine eingeschränkte Wahlfreiheit (»So oder gar nicht«) bringt uns offenbar in Verbindung mit unserem Grundbedürfnis nach Freiheitsentfaltung. Der Wunsch nach einem uneingeschränkten Verhalten macht Menschen sogar manipulierbar. Angeblich soll Zarin Katharina die Große dem armen russischen Volk die leidigen Kartoffeln interessant gemacht haben, indem sie rund um die Äcker Zäune aufbauen ließ und auf Kartoffeldiebstahl hohe Strafen aussetzte.

Trotz meines Wissens über die Funktionsweise der Reaktanz ertappe auch ich mich dabei, dass ich etwas unter allen Umständen und entgegen jeder Vernunft haben will, sobald es nicht mehr oder nur schwierig erreichbar ist.

Denken Sie also daran, dass hinter so manchem Begehren vielleicht nur das Aufbegehren gegen eine Freiheitseinschränkung steckt. Es fällt dann leichter, Widerstand gegen einen Widerstand zu leisten.

Wer verliebt ist, will »alles oder nichts«

»Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«, sagt Hermann Hesse sehr poetisch. Nichtsdestotrotz taucht bei einem frisch verliebten Paar bald eine ernüchternde Frage auf: Sind wir jetzt ein richtiges Paar – oder nicht? Gehören wir zusammen – oder nicht? Darf ich sagen »mein« Freund, »meine« Partnerin – oder nicht?

Kleine Fragen, gewiss. Aber keine harmlosen Fragen. Hören Sie die Geschichte von Viktoria und Michael. Sie 44, er 46. Sie Single, er geschieden, eine Tochter. Sie begegneten einander bei einer Autowaschanlage, profaner geht’s nimmer.

Es ergab sich ein anregendes Gespräch, einem Kaffeehausbesuch folgte ein Heuriger, dann ein Kino – schließlich regelmäßige Treffen.

Viktorias Wohnung lag außerhalb der Stadt, Michael wohnte zentral. Zwangsläufig übernachtete sie bei ihm. Nach und nach ließ sie Nachthemd und Schminksachen da. Sie drängte darauf, seine Tochter kennenzulernen und Michael ihren Freunden vorzustellen. Er machte zögernd mit.

Manchmal war Viktoria schon vor Michael frei, aber sie hatte keinen Wohnungsschlüssel von ihm und musste in einem Espresso auf ihn warten. Michael überhörte ihre diesbezüglichen Bemerkungen. Viktoria wurde frostig. Ist doch nichts dabei, einen Schlüssel herzugeben, oder? Außerdem: Wohin soll unsere Beziehung überhaupt führen?

Michael wusste es nicht. Er wusste nur, dass er gegen jede Art von Zwang allergisch und plötzlich ständig alarmiert war, ob Viktoria nicht zu viel Druck auf ihn ausübe. Nachdem einmal das Espresso geschlossen hatte und Viktoria im Regen auf Michael warten musste, gab er ihr einen Wohnungsschlüssel. Einige Tage später war sie wieder einmal vor ihm da. Sie war verliebt, sie wollte mehr von Michael wissen, warum sollte sie nicht hinter seinem Rücken ein bisschen mehr über ihn erfahren?

Zuerst nahm sie sich sein Nachtkäschen vor. Da war nur Krimskrams, nichts Besonderes. Dann die Schreibtischlade. Viktoria war versunken in ihre Recherche und Michael überraschte sie dabei. Was für sie nur verliebte »Neugier« war, empfand er als unverzeihliche Grenzverletzung.

Hier, liebe Freunde, befinden wir uns am Anfang des Endes der Liebesgeschichte von Viktoria und Michael.

Warum ich Ihnen diese Story erzählte? Damit wir uns wieder einmal bewusst machen, dass sich fast jeder Verliebte danach sehnt, dem anderen alles zu geben und von ihm alles zu bekommen. Nur: Bei einem ist das früher der Fall, beim anderen später. Den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, ab dem man sich wirklich aneinander gebunden fühlt, ist schwierig.

Risikokompetenz hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen

Es passiert immer wieder, dass man entgegen seinen inneren Wünschen und Stimmen handelt und von vorneherein spürt: Dieser Schritt ist falsch! Gleichzeitig beruhigt man sich selbst: »Das wird schon werden!« und – bums, man scheitert.

Paula wusste, dass Christian nichts von Treue und bürgerlichen Tugenden hält. Er will nicht gemütliche Fernsehabende zu Hause verbringen, sondern ausgehen und durchfeiern. Sonntägliche Ausflüge mit Freunden lehnt er ab, lieber schläft er bis Mittag. Der Gedanke an ein Kind irritiert ihn. Christian versprach Paula nichts. Kein Wort von Liebe und Änderungsbereitschaft.

Paula spürte, dass Christian kein sicherer Partner ist, aber sie ging das Risiko trotzdem ein: Sie kündigte ihre gute Anstellung und zog in die Stadt, in der Christian lebt. Großes Kopfschütteln: »Das wird schiefgehen.« Es ging schief. Paula fand keinen Job und verbrauchte mit Christian ihr Erspartes.

Ist Paula dumm? Leichtsinnig? Dumm ist Paula keineswegs. Sie hat allerdings keine Risikokompetenz. Die hätte sie bewiesen, wenn sie kluge Faustregeln berücksichtigt und ihrer Intuition mehr getraut hätte. Aber Paula war Ende 30, spürte so etwas wie Torschlusspanik und war zu einem Risiko bereit. Schließlich bedeutet Risiko nicht nur Gefahr, sondern auch Glück. Dem wollte sie nachhelfen.

Dasselbe beabsichtigte Friedrich. »Jasmin ist so hübsch. Sie wird schon noch aufwachen«, besänftigte er seine innere mahnende Stimme. »Ihr passt nicht zusammen«, warnten Familie und Freunde. »Das wird schon werden«, parierte er. Heute ist Friedrich unglücklich. »Jasmin ist so temperamentlos«, klagt er. »Im Bett kalt wie ein Fisch und im Alltag langweilig.« Gäbe es nicht eine Tochter, würde er sich scheiden lassen. Jasmin versteht Friedrichs Unzufriedenheit nicht. Sie war nie anders. Ihr sexuelles Desinteresse und ihre Gleichgültigkeit allem gegenüber hatte sie nie verheimlicht.

Hätte Friedrich, dieser lebhafte Mann mit seiner starken Sexualität, eine Frau wie Jasmin heiraten sollen? Klare Antwort: Nein. Zwar kann keiner von uns im Voraus wissen, welche Überraschungen es in einer Beziehung noch geben wird. Aber eins sage ich Ihnen: Auf grundlegende Veränderungen eines Partners zu hoffen, ist sinnlos. Wer darauf baut, dem mangelt es an Risikokompetenz.

Ich gebe zu, dass es ohne Mut zum Risiko keine Innovationen gäbe. Aber Risiko ist nicht gleich Risiko. Wenn Sie mit Sandalen einen Dreitausender besteigen oder mit fragwürdigen Personen ungeschützten Sex haben, sind das Zeichen von Selbstüberschätzung, Taubheit gegen innere, warnende Stimmen und Ignoranz gegenüber Vernunft und bestehenden Informationen – mangelnde Risikokompetenz also.

Risikokompetenz ist zwar keine Garantie für eine glückliche Beziehung, aber eine gute Voraussetzung für richtige Entscheidungen. Das Zeug zur Risikokompetenz hat jeder: Hören Sie mehr auf den Hausverstand und Ihr Bauchgefühl, und schon ist es leichter, vernünftig zu handeln.

Die zentrale Frage ist nicht: »Was will ich?«, sondern: »Was will ich nicht?«

Vielleicht sagen Sie jetzt: »Risikokompetenz hin oder her – in Liebesdingen fällt es grundsätzlich schwer, sich zu entscheiden.« Sie haben recht.

Zum Beispiel müsste Viktor sich schon längst zu Nina bekennen. Aber Viktor liebt auch sein Single-Leben. Wie soll er da überzeugt sein, dass die Entscheidung für Nina richtig ist? Oder wie ist es mit Marie und Alexander? Einerseits wünschen sie sich ein Kind. Andererseits haben sie noch nichts vom Leben gehabt. Erst den Beruf aufbauen, dann auf eine Wohnung sparen, dann für die Einrichtung arbeiten, keine Urlaube, immer nur Überstunden. Sollen sie sich jetzt wieder einengen? Oder lieber erst später? Vielleicht gar nicht? Und soll sich Viktor wirklich für Nina entscheiden? Nein. Ja. Vielleicht.

Um Entscheidungen zu vermeiden, wird oft etwas aufgeschoben. Im Alltag ist die aufschiebende Ausrede »Telefonieren wir später noch einmal« ein beliebter Klassiker. In Liebesdingen könnte Viktor Nina immer wieder hinhalten. »Wir heiraten, wenn ich die Wohnung meiner Tante erbe/sobald ich einen anderen Job bekomme.« Auch dem Zufall wird gerne, oft sogar unbewusst, nachgeholfen. Nina könnte sich zu einer Pillenpause entschließen und »zufällig« schwanger werden. Damit wäre die Entscheidung für eine Hochzeit gefallen.

In einem Entscheidungsnotstand ist eine Wunsch-Analyse notwendig. Wünsche sind ja nicht immer klar, sie sind oft widersprüchlich. Zum Beispiel kollidiert der Wunsch »Ich will mich von dir trennen« mit dem Wunsch »Ich kann dir nicht wehtun«. Die Schuldgefühle können so unerträglich sein, dass eine Entscheidung aus »Gewissensgründen« nicht zustande kommt. Viele Menschen können sich nicht für einen Partner oder eine Sache entscheiden, weil damit andere Optionen ausgeschlossen werden: Wenn ich jetzt zu X Ja sage, versäume ich womöglich Y und Z.

Wenn Rita so nachdenkt, ist Leopold der Mann, mit dem sie gern eine feste Beziehung hätte. Aber Rita zweifelt. Vielleicht ist er doch nicht der Richtige? Also datet Rita auch andere Männer. »Ich bin eine moderne Frau«, sagt sie. »Vielleicht taucht Mr. Perfekt erst auf. Für diese Option brauche ich Freiraum.« Rita merkt gar nicht, dass sie bei allen Bekanntschaften nach Schwächen und Fehlern sucht, die es ihr leichter machen, sich nicht festzulegen.

Auch Michael hält sich eine Türe offen. Er schwört Nora, dass er sie liebt. Auch gegen die Ehe hat er nichts. Familie will er auch. Sie feiern zusammen Weihnachten, verbringen Urlaube und jede freie Minute miteinander. Seit Monaten kümmert sich Nora um Michaels kranken Vater. Sogar auf das Fitnesscenter verzichtet sie oft. »Warum bekennt er sich denn nicht zu mir?«, fragt Nora.

Dass sich Michael nicht aus der Kartei der Internet-Partnervermittlung, durch die er auch sie kennenlernte, streichen lässt, kränkt Nora besonders. Angeblich vergisst Michael nur, sich abzumelden. Doch Nora spürt, dass Michael seine Zweifel, ob sie wirklich die optimale Frau für ihn ist, nicht in den Griff bekommt. Sie weiß, dass er die immer noch eintrudelnden Briefe der Kontakt suchenden Frauen genau studiert und die Kandidatinnen immer wieder mit ihr vergleicht.

Entscheidungsfragen sind Zeichen von Wahlfreiheit. Aber wenn es um Liebesangelegenheiten geht, kann die Wahl zur Qual werden. Rita befragt ständig alle Freunde um ihr Urteil über Leopold. Michael legt über die in Betracht kommenden Frauen eine »Plus-Minus-Liste« an. Erfolg null. Sobald Gefühle im Spiel sind, lassen sich Entscheidungsfragen nicht mehr mit gängigen Mustern lösen. Was nach außen hin als Vorsicht oder Freiheitsliebe daherkommt, ist oft nichts anderes als die Unfähigkeit zu klaren Gefühlen. Lange Zeit nicht »Ja« zu einem Partner sagen zu können, ist das Symptom einer emotionalen Kraftlosigkeit.

Wir hatten noch nie so viele Möglichkeiten, einen passenden Partner zu finden. Es gibt keine moralischen Einschränkungen, keine Standesdünkel und keine finanziellen Hürden. Trotzdem sind Frauen und Männer mehr denn je verunsichert und dauernd auf der Suche nach dem optimalen Partner. In der Psychodiagnostik ist bereits von einer Störung die Rede, die Zwangscharakter hat: ROCD (Relationship Obsessive-Compulsive Disorder).

Rita, Michael, alle anderen, die sich ständig fragen, ob der aktuelle Partner und die Beziehung gut genug sind, sollten erst einmal lernen, sich selbst zu akzeptieren. Selbstakzeptanz stärkt die Liebesfähigkeit und die Entscheidungskraft. Dann wird weder von sich selbst noch von einem Partner und auch nicht von einer Beziehung Perfektion erwartet. Es ist Liebe. Das ist alles. Alles andere ist nichts.

Letztendlich ist Entscheidungskraft eine Frage der »inneren« Stimme, also des Gefühls. »Ich will ihn«, sagt das Herz. »Er ist nicht gut für dich«, sagt der Verstand. »Ich liebe ihn aber«, sagt das Herz und gewinnt. Oft ist eine Entscheidung zäh wie Kaugummi. »Ich kann ihm verzeihen«, sagt das Herz. »Er ist zwar ein Hallodri, aber sein Esprit betört mich.« Der Verstand rebelliert: »Verzeih ihm nicht schon wieder. Du machst dich unglücklich.«

Herz und Verstand liegen im Clinch. Freunde werden befragt. »Mach das ja nicht!«, sagen die einen. Der Verstand ist auf ihrer Seite, aber das Herz leidet. »Nur die Liebe zählt«, sagen die anderen. Jetzt jubelt das Herz, aber der Verstand droht: »Nur ja nicht!« Unentschieden. Nein. Ja. Vielleicht. Fazit: Nur Computer entscheiden rational.

Die neue Torschlusspanik

Wenn Sie versprechen, nicht zu lachen, gestehe ich jetzt: Ich war Anfang 20, als ich eine massive Torschlusspanik hatte. Meine erste große Liebe und die damals übliche Verlobung ging in Brüche, meine gleichaltrigen Freundinnen waren in festen Beziehungen oder schon verheiratet. Nur ich war solo. Kein Mann, kein Kind, keine Familie in Aussicht. Ich hatte panische Angst, dass ich übrig bleibe. Torschlusspanik pur.

Das Gefühl, dass es fünf vor zwölf ist, trifft Frauen und Männer in jeder Altersklasse. Am häufigsten quält sie dieses Gefühl nach Trennungen, wenn das Selbstbewusstsein sowieso am Boden ist. Hochsaison hat die Torschlusspanik auch im Frühling, wenn vermehrt geheiratet wird. In letzter Zeit beobachte ich, dass nicht die Angst, keinen Partner mehr zu finden, der Kern der Torschlusspanik ist, sondern die Angst, keine Kinder mehr zu bekommen. Erklärbar ist das mit dem späteren Erstheiratsalter. Beruf, Ausbildung und Karrieremöglichkeiten verschieben die Lebensbausteine um etwa zehn Jahre nach hinten. Ab Mitte 30 ist es für Frauen nicht mehr ganz so leicht schwanger zu werden.

In meine Praxis kommen viele Männer 40+, die Angst haben, nicht mehr rechtzeitig eine Frau zu finden, mit der sie Kinder in die Welt setzen und die Vaterschaft genießen können. Mathias ist 43 und hat eine Vorliebe für Frauen seines Alters. Trotzdem schaute er sich nur unter jungen Frauen um. Die Zukünftige soll ja fortpflanzungsfähig und jung genug sein, um noch zwei, drei Kinder zu bekommen. Mathias heiratete die Falsche und ließ sich nach dem zweiten Kind scheiden. Auch Anna entschloss sich wegen ihres immer drängenderen Kinderwunsches dazu, den Mann zu heiraten, mit dem sie jahrelang in einer aussichtslosen On-off-Beziehung war. Eine schlechte Wahl, sie weiß es selbst. Angeblich weiß jede dritte Frau schon vor der Hochzeit, dass der zukünftige Mann nicht der Richtige ist.

Eine Torschlusspanik verändert den Weltbezug. Die Zeit beschleunigt sich. Man steht unter Druck und Zugzwang. Menschen werden nicht mehr unbefangen, sondern nur noch durch den jeweiligen zweckgebundenen Wahrnehmungsfilter erlebt: »Eignet er sich als Vater?« »Kann sie die Mutter meiner Kinder sein?« »Finde ich hier eine/n Partner/in?« Solche Fixpunkte verstärken die Torschlusspanik. Lässt sich das gesetzte Ziel nicht verwirklichen, taucht das qualvolle Bild des Tores auf, das sich ein für alle Mal schließt und das, was man haben wollte, unerreichbar macht.

In dieser vermeintlich aussichtslosen Situation kommt es oft zu Panikreaktionen: Man bindet sich an den falschen Partner oder opfert den Beruf für ein Kind, obwohl man zur Elternschaft gar nicht geeignet ist. Aber dahingehend hat man sich ja nicht geprüft. Alle Gedanken und Energien waren darauf ausgerichtet, ein Ziel zu erreichen oder eine gesellschaftliche Regel zu erfüllen.

Hinter der öffentlich gezeigten Gaudi vieler torschlussgepeinigter Singles steckt die Angst vor der Einsamkeit, davor, nicht zu genügen, und die Angst, Lebensziele nicht zu erreichen. Diese Ängste sickern bei jeder neuen Bekanntschaft durch. Und wie wir alle wissen, sind verdeckte Ängste nicht besonders sexy. Kein Vorteil für Heiratswillige.

Die verjährte Hochzeit

Hanna wäre eigentlich heiratswillig, schließlich lebt sie schon seit zwölf Jahren mit Karl zusammen. Wenn die beiden zu einer Hochzeit eingeladen sind, sagt Karl, was er zu solchen Anlässen wie zur Geisterbeschwörung immer sagt: »Heutzutage muss man nicht mehr heiraten. Man kann auch ohne Ehering glücklich sein.«

Vor zwölf Jahren dachte Hanna auch so. Aber heute? Hanna ist sich nicht mehr sicher. Vielleicht ist es doch wichtig, sich formal zueinander zu bekennen? Sie ist jetzt 39 und die Vorstellung, verheiratet zu sein, gefällt ihr immer besser. Karl will davon nichts hören: »Ein Trauschein verändert nichts.«

Auch Franziska war jahrelang dieser Meinung. Jedes Mal, wenn Paul vom Heiraten sprach, wehrte sie ängstlich ab: »Wozu? Wir gehören doch sowieso zusammen.« Inzwischen sind acht Jahre vergangen und Franziska würde jetzt doch gerne heiraten. Aber bei Paul ist der Zug abgefahren. »Es ist alles gut so, wie es ist.« Franziska wird das Gefühl nicht los, dass es auch für Paul nicht wirklich gut ist. Was glauben Sie?

Würden Sie mich fragen, würde ich Franziska Recht geben und Karl widersprechen. Lieber Karl, würde ich sagen, der Trauschein verändert viel, sehr viel sogar.

Er vergegenständlicht buchstäblich das bedingungslose »Ja« zum Partner. Außerdem bekommt alles eine andere Wahrheit, sobald man etwas sehen und angreifen kann. Die offizielle Entscheidung für diesen und nicht einen xbeliebigen anderen Menschen intensiviert die Beziehung. Man wird behutsamer, zärtlicher, verantwortungsbewusster. Erst jetzt ist man ganz angekommen.

Ich weiß es aus eigener Erfahrung.

Lieber Karl, würde ich noch sagen, Sie verletzen Hannas Gefühle. Hanna möchte sich ein für alle Mal festlegen, aber Sie halten sich ein Hintertürchen offen. Das tut weh, weil Sie dadurch das Einzigartige der Liebe in Frage stellen. Jetzt zu Franziska. Ihr Unbehagen besteht zu Recht. Mir sitzen immer wieder Pärchen gegenüber, die »einfach so« zusammenleben. »Wilde Ehe« sagte man früher zu diesen Lebensgemeinschaften. Von »wild« ist da allerdings keine Spur zu finden. Wenn zwei auf das Heiraten verzichteten, um die Beziehung spannender und den Sex lebendiger zu halten, machen sie meist die gegenteilige Erfahrung: Eine »wilde Ehe« verflacht schneller als eine »richtige« Ehe. Frauen in einer »wilden Ehe« träumen von der großen romantischen Liebe, Männer sind depressiv verstimmt.

Ich weiß, dass viele Paare, die ohne Heirat zusammenleben, gar nicht mehr so sehr gegen ein verbindliches »Ja« sind. Aber sie sind ihrer ursprünglichen Idee eines Lebens ohne Trauschein gegenüber verbindlicher als dem Partner gegenüber. Dass aus einer Ehe nichts mehr wird, ist vielleicht nicht so tragisch. Aber dass mit der Heiratsverweigerung das Unbedingte der Liebe verloren ging, ist traurig.

Von Nähe, Distanz und paradoxen Bindungen

Katharina würde gerne aufs Heiraten verzichten, Hauptsache, Christian bekennt sich grundsätzlich zu ihr. In ihrer Beziehung zu ihm gibt es keine Freude, nur Angst. Katharina kämpft mit allen nur erdenklichen Mitteln um Christian. Unfassbar, zu welchen Zugeständnissen sie bereit ist. »Du kannst allein Urlaub machen … Du kannst dich jeden Tag mit deinen Freunden treffen … Du musst nicht sagen, wann du heimkommst … Du kannst mit einer anderen Frau schlafen.«

Im Namen der Liebe wird vieles hingenommen

Wer schon einmal so eine Partnerschaft mitgekriegt hat, vermutet fürs Erste zwei Motive – einen ganz besonderen Sex oder eine ganz besondere Liebe. Weder noch. Die Angst um den Fortbestand der Beziehung gibt vielleicht das eine oder andere Mal dem Sex einen Kick. Aber grundsätzlich dominiert die Verlustangst des Schwächeren. Und die ist mit tiefer Lust inkompatibel.

Was nach außen hin als große Liebe daherkommt, ist in Wahrheit der Kern einer Beziehungssucht. Man sagt, dass jede Sucht eine Sehnsucht ist. Auf die Beziehungssucht trifft das zu. Das süchtige, unstillbare Sehnen nach Beziehung zwingt einen Menschen in einen Zustand des emotionalen Kontrollverlustes und in der Folge dazu, seine Würde aufzugeben. In den meisten Fällen ist der Partner die Anstrengungen, die Beziehung zu halten, gar nicht wert. Aber einem Beziehungssüchtigen ist im Notfall jeder dahergelaufene Typ recht. Es geht ja nicht um einen Menschen mit einem liebenswerten Wertesystem oder um tolle sexuelle Fähigkeiten. Es geht darum, die Sucht nach einer Beziehung zu stillen.

Kleiner Zwischeneinschub: Das Bedürfnis, sich zu binden, ist keine Beziehungssucht. Bindungswünsche sind ein seelisches Grundbedürfnis, das unglücklich machen kann, wenn es ungestillt bleibt. Aber beziehungssüchtig zu sein, bedeutet Bindung um jeden Preis. Die zwanghafte Orientierung auf einen Partner, von dem der Sinn des Lebens ersehnt wird, verhindert, dass der Beziehungssüchtige selbst seinen eigenen Platz in der Welt findet. Er erhofft sich ausschließlich vom Partner Antworten auf alle Lebens- und Wertfragen.

In der Überzeugung, dass eine Partnerschaft ihre einzige Chance ist, taumeln die einen von einer Trennung in die nächste Katastrophenbeziehung, die anderen vegetieren mit einem unmöglichen Partner in einer desolaten Dauerbeziehung. Die innere Sicherheit einer reifen, innigen Liebe erleben Beziehungssüchtige nie. Wenn sie ihre Partnerschaften beschreiben, dominieren die Worte »Angst«, »Schmerz« und »Anspannung«.

Sehnen, Umarmen, Zurückstoßen, Sehnen

Angeblich war der Philosoph Arthur Schopenhauer kein umgänglicher Mensch. Vielleicht diente ihm sein eigener Charakter auch als Motiv dazu, eine Fabel zu schreiben, die in die Psychologie als »Stachelschwein-Dilemma« einging.

Stellen Sie sich erst einmal ein Stachelschwein vor. Es hat 20 bis 24 Kilo, seine Stacheln sind 30 bis 50 cm lang und bis zu sieben Millimeter dick. Wehe, wenn man von diesen Speeren verletzt wird. In Schopenhauers Parabel geht es darum, dass Stachelschweine Kälte nicht vertragen. Aber wenn sie sich zusammendrängen, um sich zu wärmen, verletzen sie sich gegenseitig mit ihren scharfen Stacheln. Also bleibt den armen Schweinen nichts anderes übrig, als wieder auseinander zu rennen.

Allein geht’s nicht, zusammen aber auch nicht. Ganz wie bei den Menschen: Allein friert man, Nähe wird manchmal unerträglich. Klara und Ferdinand ergeht es so. Es gibt Zeiten, da ist das Pärchen unzertrennlich. Wer die beiden sieht, ist überzeugt: Die zwei sind ein Herz und eine Seele. Verliebt, harmonisch und glücklich.

Plötzlich ist alles anders. Ferdinand ist launenhaft, streitsüchtig und verletzend. Er nörgelt an Klara herum, knallt mit den Türen und ist so unfreundlich, als hätte sie etwas verschuldet. In diesen Phasen fragt sich Klara, warum sie sich das antut. Sie ist eine zärtliche und tolerante Partnerin, die in der Beziehung zu Ferdinand ihr Bestes gibt. Aber wenn der Alltag mit Ferdinand unerträglich ist, flüchtet Klara in ihre kleine Garçonnière. Dann vergehen ein paar Tage und Ferdinand feuert ein SMS nach dem anderen ab: »Ich liebe dich.« – »Ich brauche dich.«

Klara erinnert sich dann an Ferdinands gute Seiten, kommt zurück, und es ist wieder wunderschön. Dann geht alles von vorne los. Nähe, Verletzungen und Trennung. Dann wieder: »Ich liebe dich. Du bist alles für mich.« Jetzt wissen Sie, wie es weitergeht: große Liebe. Rückkehr, Nähe. Und wieder – Verletzungen und Qual – das Stachelschwein-Dilemma.

Nur für den Fall, dass Sie auch einmal so ein schreckliches Wechselspiel von Liebe und Verletzung erlebt haben und deswegen ins Sinnieren kommen, sollten Sie wissen: Stachelschwein-Partner können zwar unausstehlich sein, aber sie sehnen sich so sehr nach Wärme, dass sie sich meist in Partner verlieben, die Nähe gut zeigen können. Trotz ihres Nähebedürfnisses können sie damit aber nicht umgehen. Anfangs tut es ihnen unendlich wohl, ihr Bedürfnis erfüllt zu bekommen. Doch dann werden die wohlmeinenden Nähe-Signale als Verletzung der eigenen Grenzen empfunden und die Stacheln in Form von Unhöflichkeit oder gar Gemeinheit ausgefahren. Wer kann, weicht diesen Verletzungen aus. Allerdings treibt das Bedürfnis nach Wärme das Stachelschwein wieder zur Wärmequelle zurück und das Dilemma beginnt von vorne.

Das enervierende Hin und Her eines Stachelschwein-Paares kann eigentlich nur damit beendet werden, dass es die mittlere Entfernung herausfindet, die weder frieren lässt noch durch zu viel Nähe verletzt.

Das Gegenteil vom Stachelschwein-Dilemma ist das Harmonie-Dilemma

Viele Paare gehen derartig vorsichtig und rücksichtsvoll miteinander um, dass keiner mehr weiß, was der andere wirklich will. Anfänglich war Julius von Ninas harmonischem Wesen begeistert. Jetzt leidet er unter ihrem Ringen nach Einheit. »Nie redet sie Klartext. Und wenn ich es tue, kränkt sie sich«, klagt Julius.