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Dieser Band enthält folgende Romane: (299) Der Weiberfeind vom Ammersee (Earl Warren) Kann denn Flirten Sünde sein? (Sandy Palmer) Melanie liebt Dr. Barnfeld (Leslie Garber) Es hätte so schön sein können mit ihnen... Dr. Sandra Fürst, die aparte Tierärztin, passt im Grunde ganz hervorragend zu Peter Fink. Sie haben die gleichen Interessen, können zusammen lachen und - was besonders wichtig ist - zusammen schweigen. Eine so bezaubernde Frau wäre schon die ideale Partnerin für den Mittenwalder Tierdoktor. Nur hat die schöne Sandra einen Schönheitsfleck: Sie ist verheiratet. Verheiratet mit einem Mann, der sie zwar aufrichtig liebt, doch leider nicht treu sein kann...
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Liebesroman Trio Sonderband 1013
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Der Weiberfeind vom Ammersee
Kann denn Flirten Sünde sein?
Melanie liebt Dr. Barnfeld
Dieser Band enthält folgende Romane:
Der Weiberfeind vom Ammersee (Earl Warren)
Kann denn Flirten Sünde sein? (Sandy Palmer)
Melanie liebt Dr. Barnfeld (Leslie Garber)
Es hätte so schön sein können mit ihnen...
Dr. Sandra Fürst, die aparte Tierärztin, passt im Grunde ganz hervorragend zu Peter Fink. Sie haben die gleichen Interessen, können zusammen lachen und - was besonders wichtig ist - zusammen schweigen. Eine so bezaubernde Frau wäre schon die ideale Partnerin für den Mittenwalder Tierdoktor. Nur hat die schöne Sandra einen Schönheitsfleck: Sie ist verheiratet. Verheiratet mit einem Mann, der sie zwar aufrichtig liebt, doch leider nicht treu sein kann...
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Alfred Bekker
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Alles rund um Belletristik!
Earl Warren
Liebesroman
1
»So, so«, sagte die Sprechstundenhilfe der tierärztlichen Praxis zu der bildschönen Dr. Carolin Sommer. »Zum Weiberfeind müssen Sie! Dann wünsche ich Ihnen eine gute Unterhaltung.«
Carolin Sommer fuhr los. Im sonnigen Frühlingswetter am Ufer des Ammersees entlang zum Gut Lerchenhain, dem größten Besitz in der Gegend. Nach der Äußerung der kecken Bärbel erwartete sie einen grantigen alten Gutsbesitzer anzutreffen, völlig verknöchert, dem sämtliche weiblichen Wesen ein Gräuel waren.
Auf Gut Lerchenhain, zu dem auch eine Pferdezucht gehört, hatte sich ein Pferd verletzt. Dr. Sommer wollte nach ihm sehen. Bald erreichte sie die Privatstraße zu den Gutsgebäuden. Die Felder links und rechts von dem Weg waren gepflegt. Es gab vereinzelte Buschinseln, die man absichtlich hatte stehenlassen, um das Landschaftsbild aufzulockern, und einzelne schattenspendende Bäume.
Die Maisonne überdeckte alles mit ihrem Glast. Dann sah Carolin die Gutsgebäude, wahre Schmuckstücke. Der »Weiberfeind« hielt seinen Besitz sichtlich in Ordnung. Das Gutshaus selbst war mit Schindern gedeckt und weiß getüncht. Durchbrochene Holzbalkone zogen sich im ersten und zweiten Stock über die Hausfront und die Westseite. Eine Flut blühender Geranien ergoss sich förmlich von diesen Baikonen.
Carolin konnte die Pferde auf der Koppel nur mit einem flüchtigen Blick streifen. Sie hielt im Hof, wo ein Traktor und eine Drillmaschine standen. Carolin kannte den Verwendungszweck dieses Saatrillenziehers nicht so recht. Sie stammte nämlich aus München und hatte gerade erst ihr Tierarztstudium abgeschlossen.
Auf dem Gutshof sah sie nur eine schwarzgekleidete ältere Person, eine Magd mit Schürze, Kleid und derben Schuhen. Trotz des warmen Sonnenscheins trug sie ein Kopftuch. Ihr bräunliches Gesicht war von zahllosen Falten durchzogen, dunkle Augen blickten Carolin abweisend an.
»Grüß Gott«, sagte die dunkelblonde, schlanke Tierärztin freundlich. Die Magd nickte und antwortete etwas, das »Grüß Gott« heißen konnte. Carolin war mit Cordjeans, Stiefeletten, einem schicken, weißen Blouson und einem Band, das ihre Haare zusammenfasste, das genaue Gegenteil dieser Magd; ein modernes, hübsches, aufgeschlossenes Mädel nämlich. Sie hielt ihre Instrumententasche unter dem Arm.
»Ich bin Dr. Sommer. Ich vertrete Dr. Gauß, den hiesigen Tierarzt, während seiner Kur. Man hat angerufen und mich bestellt.«
Die Magd staunte Carolin an. Das dezente Make-up der knapp fünfundzwanzigjährigen Tierärztin, die klaren blauen Augen, die schmale Goldkette am Hals und die modischen Ohrringe, das alles verwirrte die Magd. Kopfschüttelnd betrachtete sie Carolins gepflegte, rosélackierten Fingernägel.
»Christian!«, rief sie dann. »Komm mal her. Die Frau Doktor is kemma«
Damit schlurfte sie davon. Mühelos trug sie eine schwere Milchkanne, die dreißig Liter fasste, ins Haus. Wenn der Gutsbesitzer seiner Magd entsprach, dann war Carolin auf einiges gefasst!
Die Stalltüre öffnete sich, und zu Carolins Erstaunen erschien einer der bestaussehenden Männer, die sie jemals gesehen hatte. Er war hochgewachsen, mit tadelloser Figur, dunkelblonden gelockten Haaren und einem kleinen Schnurrbart sowie einem Grübchen im Kinn. Carolin schätzte ihn auf etwa achtundzwanzig. Sie staunte ihn an. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und zum ersten Mal im Leben verspürte sie beim Anblick eines Mannes einen leichten Schwindel.
Nimm dich zusammen, Carolin, ermahnte sie sich selbst. Und sie dachte: das kann doch wohl nicht der Weiberfeind sein, der Herr von Gut Lerchenhain?
Wenn er es ist, dann lispelt er bestimmt, ist sagenhaft primitiv, oder hat abstoßende Gewohnheiten. Carolin hielt sich erst seit kurzem auf dem Lande auf und kannte die Gepflogenheiten noch nicht. Der Adonis vor ihr war allerdings auch auf eine unmögliche Weise gekleidet: Mit hohen, dreckigen Gummistiefeln, einer Manchesterhose, die schon seinem Großvater gehört haben konnte, und einer Joppe mit mehr Flicken als heilen Stellen. Er musterte Carolin abschätzend.
»Lerchner«, stellte er sich vor. Seine Stimme war durchaus wohlklingend. Es handelte sich tatsächlich um den Gutsbesitzer, den »Weiberfeind«. »Sie sind Ärztin? Hier ist niemand krank. Ich habe lediglich Dr. Gauß, unseren alten Tierarzt, bestellt. Eins meiner Pferde hat sich verletzt.«
Er hatte nur gehört, dass eine Frau Doktor erschienen sei, und hatte die falschen Schlüsse gezogen.
»Ich bin die Vertreterin von Dr. Gauß«, antwortete Carolin. »Er musste plötzlich in Kur. Wo ist das verletzte Pferd?«
Sie wollte den Stall betreten, aber Christian Lerchner stellte sich ihr in den Weg.
»Halt! Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie mit diesen manikürten Fingerchen ein Pferd kurieren können, einem Kalb auf die Welt helfen und was sonst noch alles anfällt in einer ländlichen Tierarztpraxis? Dr. Gauß hat wohl eine Kopfkrankheit, dass er ... nun, eine junge Dame bestellt hat, die eher in eine Boutique als in eine Veterinärpraxis gehört.«
»Danke für das Kompliment«, erwiderte Carolin kühl. »Aber ich verstehe meine Arbeit durchaus. Dr. Gauß hat mich sorgfältig unter zahlreichen Bewerbern für die Vertretung ausgesucht. Der Landarzt, bei dem ich mein praktisches Jahr ableistete, hat mich ihm empfohlen. Lassen Sie mich jetzt vorbei, oder wollen Sie die arme Kreatur noch länger leiden lassen? Sie trauen mir wohl nichts zu, lediglich weil ich eine Frau bin?«
Christian sah ratlos drein. Dann wich er zur Seite und Carolin betrat den Stall. In der vorletzten Box fand sie das Pferd vor. Sein rechter Vorderlauf war dick geschwollen. Es schnaubte und sträubte sich, als Carolin es untersuchen wollte. Sie redete ihm zu wie, nun, wie einem kranken Gaul eben.
Christian, der hinter ihr stand, in recht abweisender Haltung, musste zugeben, dass sie das konnte. Der rostrote Hengst beruhigte sich. Christian hielt, auf Carolins Anweisung hin, seinen Kopf fest. Vorsichtig untersuchte sie die geschwollene Stelle.
Der Hengst schnaubte, keilte aber nicht aus, als ob er spürte, dass man ihm helfen wollte.
»Es handelt sich zum Glück nur um eine Verstauchung«, sagte Carolin, »keinen Bruch. Das Pferd hat übrigens die Hufrollenkrankheit in fortgeschrittenem Zustand. Deshalb ist es auch fehlgetreten. Haben Sie das denn nicht bemerkt, Herr Lerchner?«
Der Gutsbesitzer schüttelte den Kopf.
»Er ist getrabt und galoppiert wie immer. Doch heute morgen, beim Überspringen, ist es passiert. Ich fürchtete schon das Schlimmste.«
Pferdebeine heilten nicht oder nur schlecht zusammen. Wenn ein Pferd sich das Bein brach, bedeutete das sein Ende. Meist musste es erschossen oder eingeschläfert werden, allenfalls konnte es noch auf der Weide sein Gnadenbrot erhalten.
»Sie reiten Hindernisrennen, Herr Lerchner?«, fragte Carolin.
»Ich bin Mitglied des Reitervereins und sein Champion«, antwortete Christian. »Ich habe mich wieder dazu breitschlagen lassen, in diesem Jahr zwei- bis dreimal anzutreten. Außer mir haben sie nämlich keinen, der mit dem Pferd über die Oxer und Barrieren gelangt. Die Reiterkameraden fliegen entweder allein über das Hindernis, oder sie bleiben davor liegen.« Christian grinste sie an.
Immerhin, er hatte Humor, eigentlich eine positive Eigenschaft. Carolin gab dem Pferd eine Spritze und legte einen Stützverband an. Sie schrieb eine Einreibepaste auf, die man besorgen und mit der man die Verstauchung und die Hufrollenkrankheit behandeln sollte. Außerdem nannte sie Christian noch ein altes Hausmittel, das er allerdings schon kannte.
Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Sie verstehen Ihr Fach tatsächlich, Frau Doktor«, sagte er.
Carolin stand vor ihm und wollte die Pferdebox gerade wieder verlassen.
»Fräulein Doktor«, bemerkte sie, »aber auf die Anrede lege ich keinen Wert. Nennen Sie mich Dr. Sommer oder einfach Carolin. Ich bin keine Freundin von Förmlichkeiten.«
Sie empfahl Christian, das Pferd zu schonen. Das Überspringen von Hindernissen konnte ihm in den nächsten Monaten keinesfalls zugemutet werden.
»Das hätte ich selbstverständlich unterlassen«, erwiderte Christian. »Wofür halten Sie mich denn?« Er tätschelte den Kopf des Pferdes. »Ich bin heilfroh, dass der liebe Kerl wieder gesund wird. Sonst hätte ich mir schlimme Vorwürfe gemacht. Ich wende übrigens keine harten oder gar brutalen Trainingsmethoden bei meinem Pferdesport an. Natürlich will ich gewinnen, wenn ich offiziell antrete. Aber dafür würde ich niemals ein Pferd schinden oder seine Gesundheit aufs Spiel setzen.«
Sie verließen den Pferdestall. Carolin blinzelte ins helle Sonnenlicht, bis ihre Augen sich nach dem düsteren Stall daran gewöhnt hatten. Sie wollte" wieder abfahren. Oder vielleicht wollte sie doch nicht so recht? Christian zögerte.
»Vielen Dank für die ausgezeichnete Arbeit, Dr. Sommer. Wenn der Gauß-Josef bei mir war, haben wir hinterher immer einen Schnaps getrunken. Aber Ihnen kann ich wohl keinen Enzian zumuten?«
Carolin lachte und fuhr sich ordnend über das weiche, helle Haar.
»Einen Kaffee würde ich jetzt gern trinken. Falls etwas Dringendes anliegt, kann man mich von der Praxis aus auf Gut Lerchenhain anrufen. Lange kann ich mich allerdings nicht aufhalten.«
»Bitte folgen Sie mir«, sagte der Gutsbesitzer förmlich. »Niemand soll behaupten können, dass man auf Gut Lerchenhain die einfachsten Regem der Gastfreundlichkeit außer Acht lässt. Wir setzen uns in die Stube. Kreszentia soll Kaffee kochen, und ein Stück von ihrem ausgezeichneten selbstgebackenen Apfelkuchen werden Sie wohl auch nicht ablehnen?«
*
Das Gutshaus war geschmackvoll eingerichtet und blitzsauber. Für einige der alten Bauernmöbel hätten Sammler eine Menge geboten. Carolin sah im Vorbeigehen Zinngeschirr auf einem Bord und bewunderte es.
»Das hat meine Mutter als Aussteuer mitgebracht«, erklärte Christian.
Carolin wendete ihm gerade den Rücken zu, sie sah seinen Gesichtsausdruck nicht.
»Ihre Mutter lebt nicht mehr?«, erkundigte sie sich in mitfühlendem Ton.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er knapp. »Sie ist mit einem anderen Mann durchgebrannt, als ich drei Jahre alt war. Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört.«
»Das tut mir leid für Sie«, äußerte Carolin impulsiv.
Hatte Christians Abneigung gegen Frauen etwa schon hier ihre Wurzeln? Bisher hatte sie ihn als einigermaßen umgänglich kennengelernt. Mit feinem, weiblichem Instinkt spürte Carolin, dass Christian sich zu ihr hingezogen fühlte. Viele Männer hatten sich schon für Carolin interessiert, waren aber meist auf kühle Zurückhaltung gestoßen.
Ohne prüde zu sein, wartete Carolin auf die wahre, große Liebe. Sie hatte natürlich Freundschaften und Beziehungen gehabt. Diesen letzten Ausdruck mochte sie gar nicht. Er enthielt ihr zuwenig Gefühl und gerade darauf kam es doch an!
Carolin nahm im Wohnzimmer Platz. Christian rückte ihr den Stuhl zurecht.
Dann suchte er seine Kreszentia auf, die ältere Frau, die Carolin vorhin schon kennengelernt hatte. Der Kosename Zenzi wäre bei dieser Frau völlig unzutreffend gewesen.
Carolin betrachtete die schöngeschnitzte Kuckucksuhr und den breiten, handgearbeiteten Schrank. Eine Truhe mit glänzenden Messingbeschlägen stand in der Ecke. Auch der große Kamin fiel Carolin auf. Gewiss war es sehr behaglich, an Winterabenden daranzusitzen.
Man bemerkte allerdings deutlich, dass es auf Gut Lerchenhain keine Herrin gab. Die schmückenden Kleinigkeiten fehlten völlig, jene Zierstücke, die zum Gebrauch nicht notwendig waren, ohne die eine Wohnung aber kahl und trist wirkte. Immerhin stand ein Blumenstrauß auf dem Tisch. Carolin fragte sich, ob Kreszentia die Blumen gepflückt hatte. Aber das konnte schlecht sein. In ihrer Hand wären sie sicher verdorrt.
Carolin lachte leise, als sie daran dachte. Der Gutsbesitzer, der gerade wieder eintrat, hörte es.
»Na, so gut gelaunt?«
Er hatte seine schmutzigen Stiefel ausgezogen und sich statt der Uralt Joppe eine saubere Weste übergestreift. Er teilte Carolin mit, dass der Kaffee gleich eintreffen würde, und setzte sich zu ihr.
»Leben Sie alle in dem großen Haus?«, fragte Carolin. »Ich möchte nicht neugierig sein, aber ...«
» ... ich hätte gern Bescheid gewusst«, ergänzte Christian den Satz. »Kreszentia Steiringer hat ihre Kammer im Dachgeschoss. Sie ist die Haushälterin und die weibliche Seele von Gut Lerchenhain.« Oweh, dachte Carolin. Als ob er ihre Gedanken erraten hätte, erklärte der Gutsbesitzer: »Kreszentia hat ihre Eigenheiten, aber sie ist eine Seele von Mensch. Und äußerst tüchtig. Bevor sie kam, war es nicht zum Aushalten mit der Hauswirtschaft. Entweder kam das Essen überhaupt nicht auf den Tisch, oder es war angebrannt oder versalzen. In den Ecken hingen die Spinnweben, keiner fühlte sich zuständig. Kreszentia hat das Gesinde auf Trab gebracht. Ich bin mit der Gutsverwaltung, der Feldarbeit und all dem ändern so beschäftigt, dass ich mich nicht auch noch um Küche und Keller kümmern kann.«
Carolin lag die Bemerkung auf der Zunge, dass auf so ein großes Gut einfach eine Herrin gehörte. Aber sie unterdrückte ihre Worte, weil Christian sie bestimmt falsch aufgefasst hätte. Sie konnte sich vorstellen, wie es zugegangen war. Der alte Gutsherr hatte von dem »Frauenkram«, wohl überhaupt keine Ahnung gehabt, Christian genauso wenig. Das nutzten die Mägde aus.
Kreszentia trat ein, ihr Gesicht war so sauertöpfisch, dass die Milch zum Kaffee eigentlich hätte gerinnen müssen. Um die Sechzig musste die Haushälterin sein. Als sie den Mund öffnete und sprach »Wohl bekomm's«, bemerkte Carolin, dass sie zwei Zahnlücken hatte. Carolin bedankte sich. Der Kaffee und der Kuchen schauten appetitlich aus.
Es war späte Vormittagsstunde. Plötzlich schrie Kreszentia entsetzt auf.
»Jessas, Mar und Josef!«
»Was ist denn geschehen?«, fragte Carolin entsetzt.
Kreszentia deutete auf den Blumenstrauß am Tisch.
»Da, eine Spinne!«
Ein winziges Spinnchen krabbelte auf den Blumen. Man konnte es gerade noch ohne Lupe wahrnehmen.
»Spinnen am Morgen, Unglück und Sorgen«, verkündete die Haushälterin. »Das bedeutet ein schlechtes Omen. Und heute morgen ist eine schwarze Katze von links vorm Gutshaus vorbeigelaufen. Das wird bös' enden.«
Sie wollte die Spinne zerdrücken. Carolin verteidigte das unschuldige Tierchen, nahm es, ließ es über den Finger krabbeln und warf es aus dem Fenster. Kreszentia verließ eilig das Wohnzimmer. Carolin war einigermaßen erstaunt.
»Was hat sie denn?«, fragte sie Christian.
Der verzog keine Mine, aber in seinen Augen lag der Schalk.
»Ach, sie ist immer so. Kreszentia ist derart pessimistisch, dass es einem das Herz erfrischt, denn so schlimm, wie sie es darstellt, kann es überhaupt nicht kommen. Sie ist abergläubisch und sieht in allem ein Omen, grundsätzlich ein schlechtes natürlich. Wenn die Sonne scheint, munkelt sie, das wäre schlecht für die Kartoffeln und Rüben. Wenn es regnet, dann sagt sie: das Korn fault, das gibt eine Missernte heuer. Wenn irgendwo eine Maus pfeift, heißt es: die kündigt eine Hungersnot an.
Kreszentia ist zweimal verwitwet und hat es auch sonst im Leben nicht leicht gehabt. Ihr Pessimismus ist eine eherne Burg für sie, in die sie sich hineinflüchtet.«
»Eine angenehme Gesellschafterin scheint sie nicht gerade zu sein«, stellte Carolin fest. Mit dieser Haushälterin musste der Gutsherr ja dem weiblichen Geschlecht abgeneigt sein!
Christian winkte ab. »Kreszentia ist mir lieb und wert, ich lasse nichts auf sie kommen. Wer sie nicht mag, der kann Gut Lerchenhain fernbleiben.«
»Ich habe sie keinesfalls in Misskredit bringen wollen«, antwortete Carolin. »Ich finde nur manches verwunderlich. Wir sehen uns gewiss bald wieder, denn ich muss wegen Ihres Pferdes noch mehrmals herkommen. Vielen Dank für den Kaffee und Kuchen. Bestellen Sie Kreszentia, beides hätte hervorragend geschmeckt.«
Carolin hatte ein Stück Kuchen verzehrt. Sie trank ihre Tasse aus und verabschiedete sich. Christian sah aus dem Fenster, als sie in ihren Wagen stieg und davonfuhr. Er hob grüßend die Hand. Widerstrebende Empfindungen beherrschten ihn. Diese Carolin Sommer hatte sein Interesse geweckt, schließlich war er ein stattlicher junger Mann und kein Mönch oder Eunuch.
Aber Christian hatte eine eigene Einstellung gegenüber Frauen im allgemeinen und hübschen Mädchen im besonderen. Dass seine Mutter ihn als kleines Kind im Stich gelassen hatte, als er sie dringend gebraucht hätte, hatte er nie verwunden. Das war dann der Anfang einer Misere gewesen. Tanten und Basen, Haushälterinnen und Mägde, die mehr auf ihre eigene Bequemlichkeit und ihren Vorteil bedacht waren als auf das Wohl des Kindes, hatten ihn jahrelang großgezogen. Er war ganz einfach herumgeschubst worden.
Johann Lerchner, sein Vater, ein barscher, verschlossener Mann, war nicht der Mensch gewesen, der einem Kind Vater und Mutter sein konnte. Er war auch im Gutsbetrieb derart eingespannt, dass ihm meistens nicht die Zeit und die Kraft blieb, sich Christian zu widmen. Er hatte freilich darauf gesehen, dass es ihm äußerlich an nichts fehlte.
Dann kam, als Christian elf Jahre alt wurde, eine neue Haushälterin, eine hübsche Person. Sie wollte den Gutsherrn unbedingt heiraten. Das Kind war ihr dabei im Weg, denn sie hätte gern eigene Kinder mit dem Gutsherrn gehabt. Christian bekam das zu spüren. Er und diese Haushälterin verstanden sich nicht; er war eifersüchtig auf sie, denn er begriff, dass seinen Vater und diese Frau mehr verband, als er verstehen konnte.
Es gab Streit. Johann Lerchner brummte, drohte der Haushälterin, sie zu entlassen, wenn sie den Jungen nicht »ordentlich« behandelte, wie er es nannte. Aber er versöhnte sich dann wieder mit ihr, und so ging es fast zwei Jahre lang.
Dann ließ sich die Haushälterin hinreißen, den Jungen schlimm zu verprügeln, weil er ihr einen toten Vogel zwischen ihre Wäsche gelegt hatte. Ein harmloser Lausbubenstreich. Zu allem Unglück geschah es, dass die Haushälterin Christian, der sich gegen die Schläge wehrte, gegen den Herd stieß. Ein Topf mit kochendem Wasser fiel herunter und Christian zog sich Verbrühungen zu.
Das war das Ende dieser Haushälterin auf Gut Lerchenhain. Der Gutsherr ermannte sich. Er ließ sich auf nichts mehr ein. Weder im Guten noch im Bösen, und wies seine Geliebte vom Gut. Es gab Gerede, Gezeter, Skandal. Die Entlassene ließ kein gutes Haar an dem Gutsherrn und seinem »Balg« und zog in der ganzen Gegend über sie her.
Auch das war eine schmerzliche Erfahrung für den heranwachsenden Christian, denn er hörte manches von dem üblen Klatsch und den Verleumdungen. Nach dieser Frau erschien Kreszentia Steiringer auf Gut Lerchenhain und nahm die freigewordene Stelle als Haushälterin ein. Fünfzehn Jahre war das jetzt her.
Johann Lerchner hatte sich nach dem Skandal mit der vorigen diesmal eine Frau als Haushälterin gesucht, mit der man ihm bestimmt keine Liebschaft nachreden würde. Christian war zuerst entsetzt über Kreszentia gewesen und hatte sich sogar vor ihr gefürchtet.
Aber wie durch einen Zauber besserte sich alles; es kehrten andere Verhältnisse ein auf Gut Lerchenhain. Kreszentia schaffte Ordnung. Sie verhielt sich ganz anders als ihre Vorgängerin, die sich mehr dem Gutsherrn und ihren eigenen zeitaufwendigen Interessen gewidmet hatte als ihrer Arbeit. Kreszentia widersprach auch dem Gutsherrn, wenn sie es für richtig hielt, und wies ihn zurecht, zum Beispiel wenn er mit schmutzigen Schuhen ins Haus trampelte.
Die Spinnweben in den Ecken verschwanden. An den Kleidungsstücken fehlten keine Knöpfe mehr, die Socken waren plötzlich alle gestopft. Die Wäsche war genauso sauber wie das ganze Haus.
Kreszentia hielt die Mägde zur Arbeit an und verschaffte sich bei den Knechten Respekt. Sie nahm Christian in Schutz, wo sie es für notwendig hielt, hielt ihn aber auch im Zaum, was oft nicht leicht war. Sie saß nächtelang an seinem Bett, als er Scharlach hatte, der bei ihm spät auftrat und einen derart kritischen Verlauf hatte, dass es auf Leben und Tod ging.
Christian genas wieder. Von da an war Kreszentia für ihn eine feste Institution auf Gut Lerchenhain. Wenn sein Vater sie hätte entlassen wollen, Christian hätte das Gut angezündet. Aber daran dachte Johann Lerchner nicht. In den acht Jahren, die ihm noch blieben, lebte er einsam und ohne Liebschaften. Dass ihn seine Gattin verlassen hatte und dass ihn jene junge Haushälterin derart ausgenutzt hatte, war genug.
Was zwischen seinem Vater und seiner Mutter vorgefallen war, hatte Christian nie genau erfahren. Ein Herzschlag setzte Johann Lerchners Leben ein Ende, bevor er mit seinem Sohn offen darüber sprechen konnte.
Auf Fragen Christians hatte er immer geantwortet »Dazu bist du noch zu jung« oder »Wart's ab, irgendwann spreche ich schon mit dir darüber.« Irgendwann: das war nie gewesen.
Christian hatte Kreszentia als Jugendlicher und Heranwachsender als Ersatzmutter betrachtet. Sie hatte für seine Sorgen immer ein offenes Ohr und genügend Zeit gehabt. Sie versuchte, ihm zu helfen und gab ihm Ratschläge, die ebenso einfach wie praktisch waren, und deshalb meist auch funktionierten.
Ihren Pessimismus zügelte sie, wenn es sich um Christian drehte; er schoss erst später wieder gewaltig ins Kraut, als der Junge älter wurde und Kreszentia weniger beanspruchte. Sie hatte dem Gutsherrn zugeredet, Christian an der Landwirtschaftsschule studieren zu lassen. Johann war der Meinung gewesen, eine Hochschule setzte einem jungen Menschen nur krause Ideen in den Kopf und, was Christian bei ihm auf dem Gut lerne, genüge völlig.
Kreszentia hatte mit ihm so gesprochen, wie er es verstand, und das war ziemlich laut. Sie hatte Christian auch später geholfen, Gut Lerchenhain zu erhalten und sein Studium zu Ende zu führen, als sein Vater allzu früh und unerwartet starb. Ein Gutsverwalter war damals eingeschaltet gewesen. Verschiedene Leute, allen voran Christians Onkel Lorenz Lerchner, der Bürgermeister der nahen Kleinstadt, und ein Bodenspekulant namens Sindlinger, hatten versucht, den »jungen Dachs« zu übervorteilen.
Auch Nachbarn und Anlieger hätten gern Gelände gekauft, dessen Weggabe Johann Lerchner zeitlebens strikt verweigert hatte. Dem Verwalter wäre das egal gewesen. Aber Kreszentia hatte Christian überredet, vom Verkauf seines Landes abzusehen, den verlockenden Angeboten zum Trotz.
Kreszentia hatte zum Teil die abenteuerlichsten Argumente gebraucht. »Es bringt Unglück, wenn der Gutsherr Grund und Boden verkauft«, war eine ihrer ständigen Redewendungen gewesen. »Das straft der Himmel. Wer das Erbe seiner Väter verschachert, der wird am Bettelstab wandeln. Würdest du vielleicht deine Zehen oder deine Augen verschachern?«
Christian hätte in einigen Fällen bestimmt nachgegeben. Welcher junge Mann konnte Bargeld nicht gut gebrauchen? Kreszentia hatte es verhindert; sie war ihm eine wirkliche Stütze gewesen.
Auch als es wieder einen großen Skandal im Zusammenhang mit einer Frau und Gut Lerchenhain gab, hatte sie zu ihm gehalten. Christian hatte, da er blendend aussah, beim schönen Geschlecht alle Chancen. Aber in ihm war durch die Umstände und den Verlauf seines Lebens ein tiefverwurzeltes Misstrauen entstanden. Er vertraute nur einer einzigen Frau, und das war Kreszentia.
Ihre Ansichten über junge, leichtsinnige, flatterhafte Dinger, die nichts als Tanz und Tanzvergnügen im Kopf haben, stellten wieder ein Kapitel für sich dar. Christian war nicht der Casanova, der er hätte sein können. Seine erste wirkliche Liebe war die Schwester eines Studienkollegen gewesen, die dann Hals über Kopf einen jungen Arzt heiratete. Das traf Christian tief ins Herz.
Dann brachte ihn auch noch eine Magd ins Gerede. Sie behauptete und schwor sogar, von ihm ein Kind zu erwarten. Sie war auch tatsächlich schwanger. Aber Christian hatte mit ihr lediglich beim Schützenball Walzer getanzt und sie geküsst. Daher konnte die Schwangerschaft wohl schlecht stammen!
Das Mädchen hatte es nur auf Christians Geld abgesehen. Es wollte saftige Alimente für sein uneheliches Kind. Christian weigerte sich, die Vaterschaft anzuerkennen, völlig zu recht, und es kam zu einer Klage. Ein Vaterschaftsgutachten erwies schließlich einwandfrei, dass Christian niemals der Vater sein konnte. Aber bis dahin verstrichen etliche Monate. Die Lästerzungen taten ihr Werk. Christian musste sich manche spöttische Bemerkung anhören, sogar auf seinem Gut.
Diese Geschichte war endlich ausgestanden gewesen, kurz bevor Christian 26 Jahre alt wurde. Seither wich er allem aus, was jung und weiblichen Geschlechts war. Christian widmete sich Gut Lerchenhain, wo es wahrhaftig Arbeit genug gab. Seine Abende verbrachte er zu Hause über seinen Büchern. Manchmal besuchte er den Stammtisch in der Kleinstadt oder das Clubhaus des Reitervereins.
Auch ging er oft auf die Pirsch, denn er war passionierter Jäger. Er hatte sich an diesen Zustand gewöhnt, konnte es derzeit recht gut ohne Frau aushalten, und Kreszentia genügte ihm als näherer weiblicher Umgang vollkommen. Und da Christian an Frauen ohnehin kein Interesse hatte, lief er auf dem Gut meist in seinen ältesten Klamotten umher und gab nicht viel auf sein Äußeres.
Er wusste, dass er den Ruf eines Weiberfeindes hatte, aber es scherte ihn nicht. Er sah Frauen trotz seiner schlimmen Erfahrungen weder verbittert noch zynisch. In ihm hatte sich lediglich die Überzeugung eingefressen, dass er beim weiblichen Geschlecht nur schlechte Erfahrungen machen würde und daher besser daran täte, die Frauen zu meiden.
Doch jetzt war wieder ein weibliches Wesen in sein Leben getreten und hatte sein Inneres in Aufruhr gebracht. Christian überlegte sich das alles, während er am Fenster stand und diese Carolin Sommer wegfahren sah. Sehnsucht erfasste sein Herz. Plötzlich wollte er es nicht mehr wahrhaben, bei Frauen ein Pechvogel zu sein.
Doch zugleich meldete sich sein Misstrauen, das Kreszentias Pessimismus verstärkte. Die Haushälterin kam herein, um den Tisch abzuräumen. Missgelaunt murmelte sie vor sich hin.
»Das sind neumodische Sitten, spät am Vormittag Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen«, schimpfte sie. »Kaum betritt eine Studierte das Haus, schon reißen Missstände ein. Wie soll das enden, wenn sie wiederkommt?«
»Bös«, antwortete Christian mechanisch.
Er hatte Kreszentias Worte kaum gehört. Sie bekreuzigte sich.
»Du hast es berufen, Christian. Meide dieses Mädchen. Ich habe gesehen, wie ihr euch angeschaut habt, und mir kann keiner etwas vormachen. Dir haben Frauen bisher nur Unglück gebracht. Hast du vorhin die Spinne gesehen? Und bevor diese Tierärztin vorfuhr, ist eine schwarze Katze vorbeigelaufen.«
»Das ist Sam, unser Kater«, wendete Christian ein. »Er gehört zum Hof, ist so schwarz wie die Nacht und läuft öfter irgendwo vorbei.«
»Ein böses Omen«, murmelte Kreszentia. »Gutsherr, sei auf der Hut, mehr sage ich nicht!«
*
Bei Carolin Sommers nächstem Besuch auf Gut Lerchenhain ließ sich Christian nicht blicken. Ein Knecht half Carolin, als sie das Pferd untersuchte. Bei der Gelegenheit sah sie auch noch gleich nach einer kranken Kuh. Carolin hatte sich bewusst hübsch gemacht; sie hatte eine neue Bluse angezogen und sich etwas Parfüm hinter die Ohrläppchen getupft.
Sie war tief enttäuscht, den Gutsherrn nicht anzutreffen. Sie fragte den Knecht nach ihm. Wie sich herausstellte, war Christian in dringenden Geschäften unterwegs. Carolin schrieb Kreszentia im Hause auf, welche Mittel der verletzte Hengst Barbarossa - so genannt wegen seiner langen rötlichen Mähne - und die Kuh brauchten und erklärte nochmals, was bei ihnen zu tun sei.
Kreszentia nickte nur.
»Das machen wir schon. Ich habe viel Arbeit, Sie wollen sicher gleich weiter, Fräulein Doktor.«
Freundlich war sie nicht gerade. Carolin verabschiedete sich. Kreszentia schlug ein Kreuz hinter ihr.
»Heilige sieben Nothelfer, haltet sie
fern! Wenn Christian unbedingt einmal heiraten muss, dann soll er eine Großbauerntochter nehmen. Obwohl einer besser daran tut, ledig zu bleiben. Die Ehe ist Mühe und Plage, das ganze Leben überhaupt, ach Gott!«
Düstere Voraussagen vor sich hinmurmelnd, stieg sie die Treppe hinauf. Carolin fuhr zum nächsten Hof, einem weit kleineren Anwesen als Gut Lerchenhain. Carolin wusste mittlerweile besser über den Gutsherrn von Lerchenhain Bescheid. Es reizte sie, die spröde Zurückhaltung dieses Mannes zu durchbrechen. Dass er ihr gefiel, gab für sie den Ausschlag.
Außerdem war da etwas Unnennbares. Carolin glaubte fast, sich in Christian Lerchner verliebt zu haben. Und sie war überzeugt, auch wenn er bettelarm gewesen wäre, hätte das nichts an ihren Gefühlen geändert.
Das Schicksal spielte Carolin in die Hände. Schon am nächsten Tag, als sie die Landstraße entlangfuhr, um bei der Geburt eines Fohlens im Reitstall einer Villa am Ammersee ärztliche Hilfe zu leisten, geschah es. Carolin hatte einen Traktor überholt, dessen Anhänger hoch mit Grünfutter beladen war. Dann musste sie an einer größeren Kreuzung anhalten.
Carolin bremste. Der Traktor näherte sich mit unverminderter Geschwindigkeit. Carolin versuchte, den Fahrer im Rückspiegel ihres Kabrioletts zu erkennen. Er erschien ihr bekannt.
Tatsächlich, er war es, Christian Lerchner! Kaum hatte Carolin das festgestellt, merkte sie auch schon, dass er ihr hinten auffahren würde. Christian winkte ihr wie wild loszufahren, denn die Straße war wieder frei. Mit seinem Traktor stimmte etwas nicht. Die Bremsen schienen nicht zu funktionieren.
Carolin trat aufs Gas, doch es war zu spät. Ihr Kabriolett fuhr zwar an und damit verminderte sie die Wucht des Aufpralls. Aber der Traktor erwischte ihren Wagen am Heck, verbog die Stoßstange und schob Carolin mitsamt Auto über die Kreuzung. Endlich brachte Christian sein Fahrzeug mit Anhänger zum Stehen.
Er kletterte vom Fahrersitz, Carolin stieg aus, und sie begutachtete den Schaden. Es war mit ein paar Beulen abgegangen. Die Stoßstange war allerdings abenteuerlich verschlungen.
Christian sah nicht viel eleganter aus, als bei ihrem ersten Zusammentreffen. Sie begrüßten sich recht zurückhaltend und Christian entschuldigte sich.
»Die Bremse hat plötzlich versagt. Bei dem Gewicht des Anhängers nutzt die Handbremse nicht viel, wenn der Traktor fährt. Den Leuten von der Traktorenfirma werde ich etwas erzählen. Das hätte ein schlimmes Unglück geben können!«
»Allerdings.«
Andere Wagen hätten Traktor und Anhänger rammen können, als Christian an der Kreuzung nicht anzuhalten vermochte. Es war wirklich noch einmal glimpflich abgegangen. Am Traktor war lediglich ein Scheinwerfer zersprungen, sonst konnte man nicht viel bemerken. Das robuste Feldfahrzeug war natürlich stabiler als Carolins kleiner Wagen.
»Sie sind ja ein richtiger Draufgänger, Herr Lerchner«, meinte sie etwas boshaft. »Derart stürmisch habe ich noch nie jemanden erlebt.«
Der junge Gutsherr hustete vor Verlegenheit. Er wurde tatsächlich etwas rot. Er entschuldigte sich nochmals.
»Die Reparatur bezahlt die Versicherung. Kann ich darüber hinaus noch etwas tun, um Sie für den Ärger und den Schrecken zu entschädigen?«
Carolin wollte zunächst ablehnen. Dann überlegte sie es sich.
»Ich reite gern. Vielleicht könnte ich mal mit einem Ihrer Pferde ausreiten, Herr Lerchner. Ein gemeinsamer Ausritt wäre sehr nett. Wie ich hörte, haben Sie auch ein Segelboot. Ich segele für mein Leben gern.«
Rasch hatten sie sich für eine Bootspartie am übernächsten Tag verabredet. Christian gehörte unter anderem auch ein Seegrundstück, hinter dem verschiedene Leute her waren wie der Teufel hinter der armen Seele. Carolin fuhr endlich los, fahrtüchtig war ihr Kabriolett ja noch. Sie musste sich beeilen, ihre Hilfe wurde dringend gebraucht.
Christian blieb stehen. Er wollte wegen des Schadens seine Versicherung verständigen. Sie hatten darauf verzichtet, die Polizei hinzuzuziehen, denn die Sachlage war klar, und weder Christian noch Carolin hatten die Absicht, einander unnötige Schwierigkeiten zu bereiten.
Der Gutsherr kannte sich mit sich selbst nicht mehr aus. Er hatte nach Carolins erstem Besuch auf Gut Lerchenhain spät abends den Entschluss gefasst, sich vielmehr dazu durchgerungen, seinem den Frauen abgekehrten Dasein treu zu bleiben. Er hatte den Kontakt mit der Tierärztin meiden wollen und sich absichtlich vom Hof entfernt, als sie wieder auf dem Gut erscheinen sollte.
Jetzt war Christian seinem Vorsatz untreu geworden. Dazu war nicht mehr nötig gewesen als strahlende blaue Augen, ein herzliches Lächeln und einige Worte mit Carolin. Christian fuhr seinen Traktor im Acht-Kilometer-Tempo zum Gut zurück, um einen weiteren Unfall zu vermeiden.
Am Abend informierte er Kreszentia von seiner Einladung.
»Dr. Sommer wird uns wieder besuchen. Wir segeln zusammen. Du hast sicher nichts dagegen oder ist vielleicht wieder ein schlimmes Vorzeichen aufgetreten?«
Christian fragte es argwöhnisch. Kreszentia, die ihm gerade das Abendessen hingestellt hatte, schüttelte den Kopf.
»Bis jetzt noch nicht. Segeln wollt ihr? Du wirst sicher ertrinken, Bub.«
Sie duzte den Gutsherrn, schließlich kannte sie ihn seit seiner Kindheit. Christian ließ es sich gern gefallen. Er hatte sich an die Eigenheiten seiner Haushälterin gewöhnt.
»Ganz bestimmt ertrinke ich«, antwortete er. »Leg mir für Montag den blauen Anzug heraus, ich muss in die Stadt. Für Sonntagabend brauchst du nichts zu kochen; es genügt, wenn du uns einen kalten Imbiss hinstellst.«
Die Segelpartie sollte am Sonntagnachmittag stattfinden. Wie Christian hinterher als Ertrunkener noch essen oder am Tag darauf im blauen Anzug nach München fahren sollte, erwähnten
die beiden nicht. Christian kannte Kreszentias Prophezeiungen und ihre düstere Prognose.
Sie hatte ihm schon x-mal den Tod im Straßenverkehr, durch Blitzschlag, Genickbruch, Vergiftungen und alle möglichen Unfälle vorausgesagt. Es störte ihn nicht. Hätte Kreszentia sich einmal positiv und zuversichtlich geäußert, wäre er vermutlich erschüttert gewesen.
2
Die Segelpartie war herrlich, das Wetter dazu einfach wie geschaffen. Postkartenblauer Himmel spannte sich über dem Ammersee und seinen beiden Nebenseen, dem Pilsen- und dem Wörthsee. Eine frische Brise füllte das Segel. Carolin half Christian geschickt beim Halsen der Jolle.