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Uwe Kolbe bleibt ein Suchender. Spielerisch und lustvoll erforscht er in Sonetten und freien Gedichten Gedanken und Erinnerungen. Vergleichend und assoziativ nähert er sich Fragen nach Heimat und Biographie, betrachtet Landschaften und Menschen, in den USA und Brandenburg. Auf dem Feld der Sprache wagt er sich vor, findet Leichtes und Schweres, zeigt immer wieder Überraschendes auf. Und beweist mit seinem neuen Gedichtband einmal mehr, dass er ein großer Kenner poetischer Traditionen und souveräner Sprachgestalter ist.
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Seitenzahl: 40
Uwe Kolbe
Lietzenlieder
Gedichte
Fischer e-books
Curriculum vitae für Marion Wartumjan
Bedrängnis vor Lust, sagte die dreizehnte Fee
und setzte sich auf meinen Kopf. Strahlender Azur!
tönte es von den Halden Pompejis,
auf die ich schaute, bedrängt,
aber sicher. Das Boot fuhr,
Tuch flappte an Eisen, Eisen schrie über Holz,
wer fragte, erhielt eine Antwort, ich nicht,
ich hörte die Stimmen des Leibes.
Wer fragte, dem sprachen sich Ufer zu.
Ich japste nach Luft, sog Säuren ein,
man brachte das Balg in das Hospital zurück.
Das Boot nun verkauft, unterm Hintern weg
gezogen, die Fersen durchstochen,
zum Pendel gemacht, hing ich, Fee unten,
wir furchten die Erde, rochen nach Pilzsaison.
Kind ging verloren, ich lernte zu lesen
die Schrift an den Wänden Pompejis,
nichts währte, da stand es, durchs Innere
der Fee, Brennglas, gesehen, das blieb so
und schwärte, das Graben der Seele
im spastisch-phantastischen Nexus.
Am Anfang die widerstandslose Wollust,
der Grundtext in meinem geliebten Deutsch.
Stillbeschäftigung auf Wache
für Eisenhans an dem Tümpel.
Das Land, wir sangen es warm wie die Tundra.
In Mutter ein Riss, der Vater ergriff die Partei
und zeugte revolutionäre Mädchen mit ihr.
Großvater führte mich in die Forsten,
im Nutzgarten hinter dem Schuppen
ließ er mich zur Ader mit Sichel und Säge.
Hopp, kleiner Galilei, kleiner Robert Koch,
Fernglas und Mikroskop, Watson und Crick
die Doppelhelix-Helden, ich abonnierte
auf Wissenschaft und auf Fortschritt
und Jungfernzeugung im Heuaufguss.
Hunkepuus ging mein Ross, mit dem
gewann ich die Schlachten, das Haar
ward weiß, Prinzesschen hielt es für golden.
In Mutter der Riss, ich startete durch,
Maschinenzivilisationen vor Augen,
unendliche Weiten, Orgasmen Sternenstaub.
Und ach, meine Insel, bleiern die Küste,
doch ewig das Wogen, ich traf den Mönch,
und ich rang eine Nacht lang mit ihm,
im Rücken die Rufe: der Gegner, der Gegner.
Ein Hufschuh von Gold und Wohnen auf Abriss
und nebenbei zeugend, obligatorisch
die Kinder, die Mütter verlassend, ein Schrei
des reuigen Sünders in gottloser Gegend,
bewusst war daran nichts.
Was Sprache, war vorverfasst, ich übte
den Teerausch, den Weinrausch, den Absturz
mit ihr, lebte in ihrem schwarzen Schaum.
Was Lust war, war Losung, Kopf an die Wand,
Aufstand war Kopfstand, murmelnde
Akrobatik, Geräusch. Die letzten hielten
die Tür auf, Eos fingerte uns am Geschlecht,
die eiserne Jungfrau unter dem rosa Rostschutz.
Der deutschen Selbstvernichter Arroganz
trieb letzte heroische Blüten aus mir,
die Welt nahm keine Notiz davon.
Grandios und umständlich fand ich Antwort
auf Fragen einer Fliege an der Wand.
Der Reigen der Freunde, das Schweigen,
das Bleiben, Darshan vor dem Dreifuß,
Orakel, Gerüchte, Geschichte Vermutung,
die Liebesnächte auf raschelnden Palimpsesten
verbotener Literatur.
Der Schmied würfe mir dies vor die Füße.
Die Jahre im Kokon apokalyptischen Neusprechs,
Atomkriegs-Gebete, schützende Mauervorsprünge,
das Lachen, so trotzig ach niedlich, das Hochfest
im Souterrain, die Rituale der Ratten
und edelgrauen Asseln unter dem Stein,
dem steinernen Schwert von Treptow.
Am Staatsrat der Briefschlitz für Petitionen
in Hohlkörper rein, Schokoladenersatz
der Kaderkadaver aus 10, Twerskaja Uliza,
der Überlebenden von Moskau. Kindeskinder,
treu und redlich, huldigten Päderasten
und spülten mit Wildfruchtwermut aus Schaala.
Das Durchschlagpapier war Boheme.
Lieb Freunde, lasst uns das Erbe pflegen:
Mongolisches Schweigen, Mankurts Widerstand,
schwarzrote Porträts handgemalt,
das dauernde Thorax-Röntgen, Infekte
aus Nachtambulanzen, Nachkriegs-Paneel,
davor Eleonore starb, Zigarette im Mund,
weinend. Nach Umzug an den Savignyplatz,
Insel der geistreichen Trinker, erfuhren wir
die Lust der Dicken, Dünne zu streicheln.
Geladen zur Welt, Fußspur von Rilke,
nachdenklich du vor deiner Kommode,
die Wunder von Pisa, die Poolrenaissance,
ein Fass mit Sätzen wie Wein, das Lachen
von Zbigniew am Tischlein-deck-dich,
die schönste Anarchistenwitwe der Welt
lauscht andächtig dem schönsten Marxisten,
Jan Skácel aber der graue Engel aus Osten.
Die Alpen dem Preußenbankert geschrumpft,
ich legte es meiner Mutter gern in den Mund:
Friss weiter, solang du im Berg steckst.
Das Wimmeln der Dialekte, Brackwasser Triests
zur Wiedertaufe, metempsychotisches Glück.
Mein Hinterhaus-Lebenslicht Kitsch im Hotel
da, südlich Sankt Gotthard, bezahlt, für immer
verbrannt die Zunge im scharfen Licht von Salò.
Und endlich des Wanderers Lied von der Liebe,
Haut abzuziehen im Vorübergehen,
nicht vorsätzlich, doch die eigenen Schrunden
erfolgreich verhökert von Land zu Land,
noch glühende Schlacke der Scham.
Recordari volo transactas foeditates meas …
um dich zu lieben, mein Gott.
Die rasenden, durch Himmelreiche, Züge,
auf jede Option zu wetten, Standard,
ein Spielplatz bei Klopstocks Grab,
der Vondelpark hinter Wien, Berggasse 19,
Balkanklöster gespiegelt im Rhein,
Bomarzo die Wiese, Beobachtungen in Subiaco,
das Fest der Kreolin, Busfahrt nach Palestrina,
die Teilfunktion Roms im Leben, erstaunlich.
Wie, Reinhard, wir gingen, verloren
an Römerinnen, und wie Caravaggio siegte:
Madonna, die schmutzigen Füße, der Finger
verweisend auf Niedergang und auf Erlösung:
Statura tua assimilate est palmae, et ubera tua botris.
Wie du dastehst, gleichst du der Palme
und deine Brüste den Trauben. – Josef hält es,
der Engel spielt es vom Blatt. Wehe