Lilandra - Jörg Rothe - E-Book

Lilandra E-Book

Jörg Rothe

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Beschreibung

Prinzessin Lilandra lebt mit ihrem Hausdrachen und ihren Eltern, dem Herrn König und der Frau Königin, auf einem Schloss. Das ist ein sehr altes Schloss, mit vielen Türmchen und prachtvollen Sälen, wo Lilandra sich wunderbar verlaufen kann. Und nicht immer wird sie gefunden. Dann wird aus dem Spiel ein richtiges Abenteuer. Um einen wahrhaften Wunsch erfüllt zu bekommen, sucht Lilandra Voiloilà, die Verborgene Blume; mit List besiegt sie den bösen Zauberer Zanextra; im Spiegelland, wo alles verkehrt ist, begegnet sie dem Palindromfisch Otto von Nov, der so gern die Lösung aufgibt und das zugehörige Rätsel wissen will; und als ihr Drache entführt wird, springt sie ohne zu zögern in den Rucksack des Zwergs, um ihn zu befreien.

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Seitenzahl: 89

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Inhaltsverzeichnis

Die verborgene Blume

Der Kampf der Zauberer

Lilandra im Spiegelland

Briefe vom Drachen

DIE VERBORGENE BLUME

s war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Lilandra. Lilandra war eine Prinzessin und lebte mit ihren Eltern, dem Herrn König und der Frau Königin, auf einem Schloss. Das war ein sehr altes Schloss mit vielen Türmchen und prachtvollen Sälen, die mit Gold, Juwelen und feinen Ornamenten reich verziert waren, vor den hohen Fenstern des Thronsaals hingen samtene Brokatvorhänge schwer herab. Der vorherrschende Farbton im Schloss setzte sich zwar zusammen aus allen Farben der Welt, und Gold und Silber, aber ein Stich ins Violette war dabei nicht zu leugnen.

Es gab verblüffend viele Räume im Schloss, denn von außen sah es eigentlich recht klein aus. In ihm konnte man sich schon verlaufen, und das tat Lilandra gern und oft. Dann mussten ihre Eltern, König hin, Königin her, ihre Regierungsgeschäfte sich selbst überlassen – zum Glück gab es in ihrem winzigen Land nicht viel zu regieren – und sie suchen gehen. „Lilandra!? Wo bist du?!“, riefen sie dann, während sie durch die dunklen Gänge des Schlosses eilten und ihre herrschaftlichen Gewänder hinter sich her schleppten. Und auch die Bediensteten im Schloss hörten dann auf zu arbeiten und halfen bei der Suche. Bisher war Lilandra noch stets gefunden worden. Ihr machte das alles jedes Mal großen Spaß.

Eines Tages kam sie in den Thronsaal und sah, dass ihre Mama traurig war. Sehr traurig. Schatten hatten sich tief in ihre Züge gegraben und wollten auch in der flackernden Beleuchtung der Kronleuchter nicht weichen. „Mama, was hast du denn?“, fragte Lilandra. Sie war manchmal schon sehr groß und vernünftig. „Ach, nichts, meine Kleine“, sagte die Frau Königin und wischte mit einer würdevollen Bewegung eine kleine Träne von ihrer Wange, bevor diese auf die Marmorfliesen rollte. „Frag nicht.“ Aber kleine Mädchen sind neugierig und Prinzessinnen erst recht. Lilandra fragte wieder und weiter. Und schließlich erzählte ihr die Frau Königin, dass sie sich sehnlich ein zweites Kind wünschte, einen kleinen Prinzen, aber der kam nicht zu ihr. „Ach“, seufzte Lilandra. Der König eilte währenddessen seinen Regierungsgeschäften nach und machte: „Dum-di-dum-di-dum-da-bum-bum-bum-bum-bum-di-dum.“ Wie es so seine Art war.

Verwirrt ging Lilandra ihren Hausdrachen füttern. Das war kein richtig gefährlicher Drache, kein echter Märchendrache, sondern nur so ein kleiner, etwa hundsgroßer. Mit seinen knapp zweihundertundsiebzig Jahren war er noch ein verspieltes junges Drachenkind, das übermütig auf Kronleuchtern schaukelte und die drei Köpfe dabei herabhängen ließ. Er konnte kein Feuer speien, sondern nur Funken spucken. Lilandra hatte ihn trotzdem lieb. Er spielte gehorsam mit ihr „Drache und Prinzessin“, ein von ihr erfundenes Spiel mit vertauschten Rollen, bei dem die Prinzessin den Drachen gefangen hielt, bis ein Ritter kam, mit ihr kämpfte, sie besiegte und den Drachen befreite. Nach einem solchen Kampf lag sie immer ganz erschöpft am Boden und freute sich mit ihm über seine wiedergewonnene Freiheit. Jetzt sagte Lilandra zu ihm: „Weißt du was, Drache, die Mama will noch ein Kind, einen Jungen. Sie ist ganz traurig, weil sie schon so lange vergeblich wartet. Wenn ich ihr nur helfen könnte.“ Der Drache hörte wortlos zu und polierte seine Schuppen. Etwas zu eitel ist er für sein Alter, dachte Lilandra.

Einige Tage später hatte sich Lilandra wieder einmal im Schloss verlaufen. Sie rannte Treppen hinauf und herunter und durch lange, dunkle Gänge, die sie mit ihrer kleinen Laterne kaum erhellen konnte. Manchmal rief sie, so laut sie konnte, aber die einzige Antwort, die zurückkam, war ihr eigenes Echo. Diesmal schien sie sich wirklich verlaufen zu haben. Sie stand vor einer großen hölzernen Tür, die sie noch nie gesehen hatte. Vermutlich war sie in einen der Türme geraten, die weit von dem ihr bekannten Teil des Schlosses entfernt lagen. Lilandra versuchte, die Tür zu öffnen, da sprang diese wie von selbst auf. Dahinter begann eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Lilandra folgte ihr zögernd, es war so unheimlich. Oben erwartete sie eine Reihe weiterer Türen, hier musste der Dachboden des Turmes sein. Von irgendwoher hörte sie ein leichtes Klopfen oder Scharren; war es hinter einer der Türen oder war es der Wind, der um den Schlossturm heulte?

Kurz entschlossen lief Lilandra zu der letzten Tür, von der das Geräusch zu kommen schien, und wollte sie öffnen. Da geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Die Tür öffnete sich wie von selbst und „Phhh-phhhiichchst“ blies ein Windstoß die Kerze in ihrer Laterne aus. Nun war es finster.

Nach einer Weile gewöhnten sich Lilandras Augen an die Dunkelheit. Draußen war es Nacht. War sie wirklich den ganzen Tag im Schloss umhergeirrt? Sie konnte den Umriss eines Fensters ausmachen, hinter dem sich schwere Wolken im fahlen Mondlicht jagten. Davor hob sich schwach eine dunkle Form ab, noch schwärzer als die Nacht draußen, und drehte sich leicht zur Seite. Jetzt konnte Lilandra die Gestalt einer alten, gebeugten Frau erkennen, die auf einem hohen Stuhl saß, den Kopf zur Seite geneigt, so dass man ihre Hakennase und das spitze, flaumige Kinn im Profil sah.

„Dum-di-dum-di-dum-da-da-da-da-da-da-bum!“, machte derweil, seiner Art entsprechend, der König und eilte durch den Thronsaal. „Wo ist nur Lilandra? Hat einer von euch Lilandra gesehen? Sie wird sich doch nicht wieder verlaufen haben?“

Lilandra stand wie erstarrt der Gestalt der alten Frau im Stuhl gegenüber. Die Frau sprach mit harziger, knarziger Stimme, so leise, dass Lilandra sie kaum hören konnte: „Rurrelspungdra, klaah prosfalis, welsch reeh lemmna jorf ka Tramm. Zarpefeehlis fuchtna zaz a Kluchdra, oip ka vobeehs Mungdra kurpsis.“

Lilandra verstand kein Wort. „Was?“, wollte sie gerade fragen, doch während die Worte und Laute, die sie eben gehört und nicht verstanden hatte, noch nachklangen, ordneten sie sich um, verblassten und traten dann plötzlich mit Sinn erfüllt deutlich hervor: „Sei gegrüßt, kleines Mädchen, ich habe dich im Traum gesehen. Wenn du einen wahrhaften Wunsch hast, so sprich ihn jetzt nicht aus.“

Genau das tat Lilandra – nicht: „Ich würde so gern meiner Mama …“, sprudelte sie los, bevor die alte Frau sie scharf unterbrach: „Wenn du einen wahrhaften, einen wirklich tiefen Wunsch hast, so musst du Voiloilà finden, die Verborgene Blume. Sie ist die Einzige, die dir helfen kann. Sie lebt in der finstersten Ecke des Waldes, dort, wo noch kein Menschenauge sie erblickt hat. Sie blüht nur einmal im Jahr. Du musst an genau diesem Tag dort sein. Du darfst dich nicht verspäten. – Doch wenn dein Wunsch nicht wahrhaft ist, dann gehe nicht zu ihr. Es ist zu gefährlich.“

Und bevor sich Lilandra wundern konnte, dass sie nun die Worte der Fee – denn eine solche musste die alte Frau wohl sein – unmittelbar verstand, wehte erneut ein kalter Luftzug durch das Zimmer, und die Kerze in ihrer Laterne flackerte wieder auf. Es wurde hell, so hell, dass Lilandra geblendet die Augen schloss. Als sie sie wieder öffnete, war der hohe Stuhl verschwunden – und mit ihm die Fee. Lilandra ging die Treppe hinunter und stand plötzlich in einem bekannten Gang; durch seine hohen, schmalen Fenster fiel heller Sonnenschein. Schnell lief Lilandra in eine der großen Schlossküchen, und schon war sie umgeben von Dienern, Köchen und Mägden, die das Essen zubereiteten und ihr zuwinkten. Der Bäcker lud sie ein, ihm beim Plätzchenbacken zu helfen, und damit verbrachte sie ihren Nachmittag.

Aber die Worte der Fee ließen Lilandra keine Ruhe. Den ganzen Abend dachte sie daran, sogar beim Zähneputzen, und nachts konnte sie vor lauter Gedanken nicht einschlafen. Der kleine Drache am Fußende ihres Bettes schnaubte im Schlaf, manchmal fiel ein Funkenregen auf die Fliesen.

Vorsichtig trat Lilandra ihn an den Bauch und flüsterte: „Wach auf, Drache, wach doch auf! Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät.“ Der Drache funkelte sie böse an, als sie ihn vom Bett warf – aber dann war er munter. Endlich spielen wir mal was anderes, dachte er, während er Lilandra durch die große Eingangshalle des Schlosses folgte. Erst als sie das vergitterte Eingangstor hinter sich schlossen und ins Freie liefen, ahnte er, dass es diesmal ein richtiges Abenteuer und kein Spiel war.

Den Schlossberg kamen sie leicht hinunter, der Mond beleuchtete ihren Weg, so gut er konnte. Überall glitzerten Sterne am Himmel. Der König hatte ihr vor kurzem erzählt, dass all diese Sterne auch Sonnen seien, aber da konnte sie nur lachen. „Das sind doch Sterne, Papa, nicht die Sonne!“, hatte sie ihm erklärt. Er hatte auch behauptet, dass es Sterne gäbe, die so alt und schwer geworden seien, dass ihr eigenes Licht auf sie zurück-, in sie hineinfalle und dass sie deshalb schwarze Punkte oder Löcher am Himmel seien. „Der Himmel ist doch kein löchriger Käse, Papa“, hatte Lilandra dem König erklärt. „Und in den Himmel kann man nicht fallen. Außer im Märchen.“ Nun, da sie eine Weile weg und unterwegs sein würde, hatte er ja genug Zeit, noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken.

Lilandra machte große Schritte, so dass der kurzbeinige Drache Mühe hatte, ihr zu folgen. Als er so laut schnaufte und schnaubte, dass Lilandra einen – nicht ganz stummen – Vorwurf herauszuhören glaubte, nahm sie ihn auf den Arm. So konnten sie sich auch gegenseitig gut wärmen, denn die Nacht war eisig kalt. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen; manchmal zerkrachten kleine Eisstückchen, so dass die schlafenden Vögel kurz aufschraken.

Lilandra wusste nicht genau, wohin sie gehen sollten. Sie folgte einfach dem einmal eingeschlagenen Weg, ohne weiter darüber nachzudenken. Als der Morgen graute, hatten sie den Waldrand erreicht. Die Sonne erhob sich, und das Morgenrot breitete sich hinter ihnen über den Horizont.

„Morgenrot! Morgenrot!“, rief Lilandra. „Wohin soll ich gehen? Ich suche Voiloilà , die Verborgene Blume.“

„Wenn du wissen willst, wo du Voiloilà findest“, antwortete das Morgenrot, „so musst du mir erst ein Rätsel lösen, das mir die Sonne gestellt hat.“

„Ich kann es ja versuchen“, sagte Lilandra. „Was ist das für ein Rätsel?“

„Die Sonne sagte: ,Es gleicht dir und es gleicht dir nicht. Es ist wie du und doch dein Gegenteil. Es ist, wo ich den Mond treffe, doch wo ich den Mond treffe, ist es nicht.‘ “

„Oh ja“, sagte Lilandra, „das ist schwierig.“ Sie beobachtete den Drachen, der im Schnee herumsprang und versuchte, sich in den Schwanz zu beißen, aber immer, wenn er ihn fast erwischt hatte und zuschnappen wollte, war er wieder weg. „Ich hab’s!“, rief Lilandra plötzlich: „Die Sonne meint das Abendrot!“