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Geheimnisse müssen sein! Das findet jedenfalls Opa Thies und da kann Lille ihm nur zustimmen. Denn Geheimnisse haben sie und ihre Freunde Leif, Ilvie, Mikkel und Ferienkind Emma jede Menge: heimliche Leuchtturmübernachtungen, nächtliche Ausflüge zur Nachbarhallig und auch Lilles zahme Silbermöwe Piet und Pony Flocke treiben ihr Unwesen auf der weltallerschönsten Insel Westeroog. Und dann findet Lille eines Tages auch noch heraus, dass sie magische Fähigkeiten besitzt! Sind das zu viele Geheimnisse für ein so kleines Eiland in der Nordsee und die biestige Nachbarin Frau Kümmerling, die Lille und ihre Eltern von der Hallig vertreiben möchte? Wie anders darf man sein, wenn man sich nicht verstecken kann? Ein magisches Hallig-Abenteuer über Freundschaft, das Anderssein, Mut und die Liebe zur Natur
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Seitenzahl: 113
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Angelique Schnabel hat in Köln Germanistik und Anglistik studiert. Sie hat als Redakteurin und Texterin gearbeitet, bevor sie den Quereinstieg als Erzieherin wagte. Den pädagogischen Zeigefinger sucht man in ihren Büchern jedoch vergeblich. Ihre magische Fähigkeit ist Empathie kleinen Menschen gegenüber. Seit ihrer Kindheit verbringt sie jeden Sommer am Meer, wo nun auch ihr Kinderbuchdebüt „Lille vom Wind“ spielt. Sie lebt mit Mann und drei Kindern in Darmstadt.
Csilla Bandi ist in Kärnten aufgewachsen und hat in Graz und Tirol studiert. Ihre große Liebe zu Büchern und Zeichenblöcken begleitet sie seit ihrer Kindheit.
Sie arbeitet als Grafikdesignerin und Illustratorin in Graz.
Für meine Kinder.
Ich wünsche Euch eine weltallerschönste Insel. Und dass ihr den Anker dafür nie zu weit werfen müsst.
Nordwind
Lille vom Wind
Superheldin oder Bandit?
Endlich Ferien
Willkommen auf der weltallerschönsten Insel
Mikkel ist verknallt
Ein guter Plan
Übernachtung im Leuchtturm
Über den Lorendamm
Frau Kümmerling macht Kummer
Die Vögel der Nordsee
Lille ist Verzweifelt
Lille muss sich entscheiden
Lille vorm Wind
Es ist was los auf der Henkerswarft
Leuchtturmübernachtung ohne Hindernis
Zuhause ist da, wo man den Anker wirft
Eisig kalt ist der Nordwind, der sich auf seiner langen Reise von den nördlichen Eismeeren seinen Weg Richtung Süden bahnt. Es heißt, wenn er kommt, bringt er Veränderung mit sich: Trockenheit oder Gewitter und manchmal Sturmflut und Verwüstung.
Vor neun Jahren aber brachte er noch etwas anderes nach Westeroog, der kleinen, kleinen Insel in der Nordsee. Auf einem Boot, das heftig von den Wellen hin und her geschaukelt wurde, pustete der Nordwind das Glück ans Ufer der Insel.
Und seitdem ist es geblieben.
Ein großer Vogelschwarm begleitet das kleine Boot, das heftig von den Wellen hin und her geschaukelt wird. Keine Sekunde lassen die Tiere es aus den Augen. Sie haben sich alle versammelt: Möwen, Seeschwalben, Austernfischer, Rotschenkel – die Seevögel der Nordseeküste wissen, dass hier ihr Schicksal besiegelt wird.
Der Regen peitscht gegen die Scheibe der Fahrerkabine. Nils hält das Steuerrad so fest umklammert, dass er befürchtet, seine Finger danach nicht mehr davon loszubekommen.
Hinter sich hört er seine Frau Stina schnaufen. Ihr großer runder Bauch schaut in die Luft, während sie versucht, sich festzuhalten, um nicht hin und her geworfen zu werden. Die Wehen kommen immer öfter, das Baby will tatsächlich in dieser stürmischen Nacht zur Welt kommen. Schweiß schimmert auf ihrer Stirn. Und trotz allem sagt sie: »Nils, du hast einen ziemlich rasanten Fahrstil!« Das ist typisch Stina. Selbst jetzt, mit Schmerzen und in dieser gefährlichen Lage, findet sie die Kraft für Scherze.
»Halte durch, Schatz!« Nils‘ Stimme ist über das tosende Meer kaum zu verstehen. »Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne. Du schaffst das!« Stina weiß: Er möchte ihr beistehen, ihr die Hand halten. Doch das aufgepeitschte Meer ist unerbittlich wie der Wind, und Worte sind alles, was er ihr geben kann.
Als er denkt, er müsse vor Erschöpfung zusammenbrechen, mischt sich ein durchdringender Schrei mit dem Tosen des Meeres. Er blickt über die Schulter.
Stina hält ein Neugeborenes in den Armen. »Ein Mädchen!« Sie strahlt ihn an und wickelt das Kind in eine warme Decke. Behutsam drückt sie es an sich und legt liebevoll ihre Hand um das Köpfchen mit den dunklen Haaren.
»Meine kleine Lille«, flüstert sie dem Kind ins Ohr.
In diesem Moment gibt es einen heftigen Stoß. Mit einem Knall zerbirst die Windschutzscheibe der Fahrerkabine.
Nils wirft sich schützend über Stina und Lille, dann verliert er das Bewusstsein.
Der Sturm hört so plötzlich auf, wie er begonnen hat. Das Boot ist auf einem kleinen Hügel im Meer gestrandet, von dem sich das Wasser jetzt langsam immer mehr zurückzieht und eine Insel freigibt. Es ist gespenstisch still.
Die Vögel haben sich niedergelassen und verharren wie in Starre auf den Dächern der wenigen Häuser, die auf dem Hügel stehen. Einige sitzen auf der Wiese, ein paar ziehen lautlose Kreise in der Luft und spähen hinunter.
Eine große Silbermöwe landet auf dem Boot und schaut in die Fahrerkabine.
Ein alter Mann hält das Bündel mit dem Kind im Arm und beugt sich über die Eltern.
Da ertönt ein winziger Schrei in der gespenstischen Stille. Er schwillt an zu einem wütenden Gebrüll, laut und kraftvoll.
Das Kind lebt.
Und als hätten die Vögel nur darauf gewartet, erwachen sie aus ihrer Schockstarre und flattern und kreischen so wild durcheinander, wie es die kleine, kleine Insel im Meer nie zuvor erlebt hat.
Alles würde gut werden.
Wenn man neun Jahre alt ist und auf einem winzig kleinen Eiland mitten in der Nordsee lebt, ist man das glücklichste Kind auf der ganzen Welt.
Ich weiß das, denn ich bin Lille und ich bin so ein glückliches Kind.
In der stürmischen Nacht, in der ich auf unserem Boot geboren wurde, sind wir auf Westeroog gestrandet. Es war ein Wunder, dass wir überlebt haben. Bis dahin waren meine Eltern echte Bootsmenschen und sind durch die Gegend geschippert. Sie haben mal hier und mal dort angelegt. Wenn es ihnen zu langweilig wurde, haben sie sich einfach ein neues hübsches Plätzchen gesucht.
Papa sagt immer: »Lille hat sich diesen Ort ausgesucht.«
Mama meint, es war das Schicksal.
Die Leute auf Westeroog sagen, der Wind hat mich gebracht und darum nennen sie mich »Lille vom Wind«.
»Meine kleine Lille vom Wind«, sagt Opa Thies immer.
»Was würde ich nur ohne dich machen ganz allein auf meiner Warft?«
Die Warft ist der Hügel, auf dem Thies‘ Haus steht und unseres, der Kaufladen und das Ferienhaus. Denn wenn das Wasser steigt und wir ein Landunter haben, schauen nur noch die Hügel mit den Häusern aus dem Meer heraus.
Der Nordwind hat uns vor neun Jahren auf Thies‘ Warft geschleudert. Familie Sonnenberg gestrandet auf Westeroog.
»In eine nasse Decke gewickelt, so habe ich dich gefunden. Der Wind hat dich vor meine Tür gepustet.« Opa Thies streicht mir mit seiner rauen Hand über die Wange.
»Dein Papa war halb tot. Gerettet habe ich euch.«
Ich schlinge meine Arme um ihn. »Und irgendwie haben wir auch dich gerettet, Opa Thies. Du warst doch vorher bestimmt ziemlich einsam so ganz allein auf deinem Hügel im Meer.«
Thies lacht, so dass seine roten Wangen sich erheben und seine blauen Augen schelmisch blitzen. »Ja, ja. So schnell kann man Opa werden.«
Auch die Westerooger sind froh, denn Mama und Papa haben den alten Kaufladen übernommen. Jetzt muss niemand mehr zum Einkaufen auf das Festland fahren.
Und weil alle so glücklich sind, dass wir da sind, sind wir geblieben. Thies‘ Hügel heißt jetzt Sonnenberg und das finde ich ja wohl sehr passend, oder?
Einsam ist es dem alten Thies bestimmt nicht mehr. Der Kaufladen liegt genau zwischen seinem und unserem Haus. Wir haben beide einen Eingang zum Laden. Darüber liegt der gemeinsame Schutzraum, der Thies‘ und unser Haus auch noch mal miteinander verbindet.
Einen Schutzraum besitzen die meisten Häuser auf Westeroog. Zum Glück muss man die normalerweise nicht benutzen, aber es ist gut, einen zu haben, falls es ein starkes Landunter gibt, bei dem das Wasser sogar bis ins Haus hineinkommt. Nur für den Notfall. Dort gibt es einen Kamin und Brennholz, Matratzen, Decken und Vorräte, Kerzen und Taschenlampen. Außerdem gibt es ja auch noch unser Segelboot, das an unserem Steg liegt.
»Damit wir im Notfall einfach damit wegfahren können«, hat Papa gesagt und mit dem Auge gezwinkert.
»Lille! Schaff sofort diesen Vogel aus dem Haus!« Opa Thies jagt hinter meiner Silbermöwe Piet her. Piet hat einen Keks im Schnabel und flattert wild durch das Zimmer.
Piet begleitet mich überall hin, seitdem ich ihm als Küken das Leben gerettet habe. Nicht jeder ist damit immer glücklich, weil er sehr anstrengend sein kann. Vor allem Frau Kümmerling ist nicht begeistert davon und wollte meine Eltern überzeugen, dass wir die Möwe loswerden müssen. Sie haben ganz schön gestritten.
Das kommt leider häufiger vor und meine Mama ist danach immer ganz traurig. Darum sagt sie manchmal zu mir, ich soll aufpassen, dass ich und Piet uns von Frau Kümmerling fernhalten.
Wie soll das denn bitte gehen auf einer klitzekleinen Hallig, frag ich mich? Ich ärgere mich über Frau Kümmerling.
Manchmal denke ich, ohne sie, wäre alles noch schöner hier.
»Gib mir sofort den Keks wieder, du verfressenes Federvieh!« Opa Thies klettert auf einen Stuhl, um an Piet heranzukommen, der sich auf einem Schrank niedergelassen und den Keks längst verschlungen hat. »Na warte, wenn ich dich erwische!«
Der Stuhl schwankt gefährlich und ich eile Opa Thies zu Hilfe und halte ihn fest. »Komm runter da, du brichst dir noch den Hals! Ich mache das!« Streng sage ich:
»Piet! Schulter!«, wobei ich mir auf die entsprechende Stelle klopfe.
Er zögert einen Moment, doch dann kommt er angeflogen, lässt sich auf seinem Stammplatz nieder und ich gehe mit ihm zur Tür und öffne sie. »Raus mit dir! Du weißt genau, du darfst nicht ins Haus!«
Mit empörtem Geschrei fliegt Piet zum Kirschbaum, entdeckt dann auf dem Gartentisch liegengelassene Krümel und macht sich darüber her.
Als ich wieder hineingehen will, höre ich ein aufgeregtes »kriit, kriit!«, das von einer kleinen Zwergseeschwalbe kommt, die auf der Wiese sitzt. Sie schlägt wild mit den Flügeln, hopst ein Stück auf mich zu, und zieht sich dann wieder zurück.
Zwergseeschwalben gehören zu meinen Lieblingsvögeln. Ich glaube, das liegt daran, weil sie immer so wirken, als würden sie etwas aushecken. Das ist wegen der schwarzen Haube auf ihrem Kopf, die aussieht wie eine Augenbinde. So wie manche Superhelden und -heldinnen in Comics. Oder Bankräuber. Auf jeden Fall geheimnisvoll, als hätten sie etwas zu verbergen.
Ich freue mich, mal wieder eine zu sehen, denn es gibt nicht mehr viele davon.
Diese hier verhält sich äußerst merkwürdig.
Ich habe schon den ganzen Tag so ein Kribbeln im Körper, doch nun verstärkt es sich. Ich frage mich, ob ein Sturm aufzieht. Ich spüre ihn immer, bevor alle anderen etwas davon mitbekommen. Es ist, als würde der Wind mit mir reden, mir zuflüstern wie ein guter Freund in unserer eigenen Geheimsprache. Mit den Vögeln ist es genauso, außer mit Piet. Keine Ahnung, warum das so ist, aber manchmal wüsste ich wirklich gerne, was er denkt. Vielleicht denkt er einfach nicht so viel.
Dieser Vogel hier möchte mir jedenfalls etwas sagen. Er kommt zu mir gehüpft, pickt nach meinen gelben Gummistiefeln und flattert dann schnell wieder zurück.
Ich gehe runter auf die Knie. »Hallo, schön, dass du mich besuchst!« Die Seeschwalbe kommt langsam näher und hüpft dann auf meine Hand, die ich ihr entgegengestreckt habe.
Ihre kleinen Krallen kratzen auf meiner Haut und ich wiege sie vorsichtig hin und her. Sie ist nicht schwerer als eine Tafel Schokolade. Vorsichtig hebe ich sie hoch, sodass wir uns in die Augen sehen können. »Na, bist du eine Superheldin oder ein Bandit?«, frage ich.
Dabei fällt meine Aufmerksamkeit aber auf etwas ganz anderes. Was passiert da auf meiner Hand? Unter den Füßen des Vogels bildet sich ein Zeichen. Wie von einem unsichtbaren Stift gezeichnet, ziehen sich funkelnde Linien. Meine Haut brennt.
Ich zucke zurück, und die Zwergseeschwalbe hebt ein Stück weit ab und flattert mit den Flügeln. Dann lässt sie sich wieder auf dem geheimnisvollen Zeichen nieder. Was ist das? Ein Kreis? Nein. Eine Schnecke? Nicht wirklich.
Das Herz schlägt dumpf in meiner Brust. Vielleicht will es mir beweisen, dass ich nicht schlafe und träume. Das hier passiert gerade wirklich ganz in echt.
In diesem Moment stürzt sich Piet laut schreiend auf uns und bevor ich mich versehe, ist das Zeichen ebenso verschwunden wie die Zwergseeschwalbe.
»Aus, Piet! Stopp!«, rufe ich und halte ihm die andere Hand entgegen, wie eine Polizistin, die den Verkehr regelt. »Du bist nicht nur verfressen, sondern auch eifersüchtig – schäm dich!«
Piet gibt einen Schrei von sich, diesmal etwas leiser. Er dreht mir die Schwanzfedern zu und watschelt wieder Richtung Tisch davon. Ich glaube, er ist beleidigt.
Ich betrachte die Stelle auf meiner Haut. Nichts ist mehr zu sehen von dem geheimnisvollen Zeichen. Habe ich es mir nur eingebildet? Aber nein. Es war eindeutig da. Ich spüre noch immer ein leichtes Brennen an der Stelle, wenn auch nicht so stark wie zuvor. Und auch mein Herz beruhigt sich nur langsam. Ich lege die Hand auf meine Brust und atme einmal tief ein und ganz langsam wieder aus.
Als ich zurück in die Stube komme, sitzt Thies auf dem Stuhl, auf dem er eben noch gestanden hat. Seine Augen blitzen nicht so blau wie sonst. »Dieser nervige Vogel macht mich verrückt. Nicht mal im Haus bin ich sicher vor ihm.«
»Tut mir leid, Opa Thies!« Ich gehe zu ihm und schlinge von hinten die Arme um seinen Hals, sodass sein weißer Bart mich kitzelt und sein Geruch nach Meer und Lagerfeuer mir in die Nase steigt.
»Was war das denn da draußen gerade für ein Vogel? Habe ihn vom Fenster aus gesehen.«
Ich frage mich, was er wohl sonst noch gesehen hat.
»Eine Zwergseeschwalbe. Die gibt es nicht mehr oft hier an der Nordsee.«
»Ja. Nicht, dass du mir noch mehr Vögel anschleppst, hörst du? Einer ist mehr als genug!«
»Ich passe besser auf, dass Piet nicht mehr ins Haus kommt, versprochen.«
»Ja, ja«, grummelt Thies leise, doch ich spüre, wie er sich entspannt. Und nun beginnen seine Augen langsam wieder zu strahlen.
Er kann mir nie lange böse sein.
»Und, wer von euch freut sich auf die Sommerferien?« Unsere Lehrerin Anneke schaut in unsere kleine Runde.