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Ich bin einfach davongelaufen. Dieses Mal weit weg, so dass mich auch meine jüngeren Schwestern Violet und Rose nicht einholen können. Auf Hawaii kennt niemand die Chaotin Lily Fowler. Und ich genieße jede Minute. Nun sind alle böse auf mich, und ich weiß nicht, an wen ich mich noch wenden kann … außer Max.
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Seitenzahl: 454
Zum Buch
Ich bin in Schwierigkeiten, schon wieder. Doch statt mich meinen Problemen zu stellen, bin ich einfach davongelaufen. Dieses Mal weit weg, sodass mich keiner einholen kann – nicht meine beiden jüngeren Schwestern Violet und Rose, nicht mein Vater und auch nicht diese Schlange Pilar, die sich das Kosmetikunternehmen meiner Familie unter den Nagel reißen möchte. Nun bin ich auf Hawaii, hier kennt niemand die Chaotin Lily Fowler. Und ich genieße jede Minute. Doch jemand beobachtet mich und folgt mir. Er sieht umwerfend aus. Bald schon kommen wir ins Gespräch, und entgegen meinem Instinkt verrate ich Max schnell einiges über mich. Es fühlt sich gut an, obwohl er nicht der richtige Mann für mich ist. Unsere plötzlichen Gefühle füreinander sind viel zu kompliziert, zu aufgeladen, zu heftig …
Zur Autorin
Die New York Times-, USA Today- und internationale Bestseller-Autorin Monica Murphy stammt aus Kalifornien. Sie lebt dort im Hügelvorland unterhalb Yosemites, zusammen mit ihrem Ehemann und drei Kindern. Sie ist ein Workaholic und liebt ihren Beruf.
Lieferbare Titel
Total verliebt
Zweite Chancen
Verletzte Gefühle
Unendliche Liebe
Sisters in Love: Violet – So Hot
Sisters in Love: Rose – So wild
Aus dem Amerikanischen von Evelin Sudakowa-Blasberg
Wilhelm Heyne VerlagMünchen
Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Taming Lily bei Bantam Books.
Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Copyright © 2015 by Monica MurphyCopyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHNeumarkterstr. 28, 81673 MünchenRedaktion: Uta DahnkeUmschlaggestaltung: Zero Werbeagentur GmbH, Münchenunter Verwendung FinePic®, MünchenSatz: Fotosatz Amann, MemmingenISBN 978-3-641-18511-4V001www.heyne.de
Für meinen MannIch liebe dich. Danke, dass du so bist, wie du bist.
»Jene, die willens sind, verwundbar zu sein, bewegen sich inmitten von Mysterien.«
Theodore Roethke
KAPITEL 1
Max
Ich hasse Jobs, bei denen ich quasi den Babysitter machen muss. Ich nehme die Angebote fast nie an, aber diesmal war die Bezahlung einfach zu gut. Nicht, dass ich beim Arbeiten nur aufs Geld schaue … Ich habe einen gewissen Stolz. Muss einem Ruf gerecht werden und ihn aufrechterhalten. Wenn ich jeden Scheißjob annehmen würde, der mir angeboten wird, nur weil er gut bezahlt ist, wäre ich ein reicher Mann, der die beschissensten aller beschissenen Jobs macht. Fremdgehende Ehefrauen auffliegen lassen, sie in eindeutigen Positionen erwischen – Mann, diese Jobs gibt’s wie Sand am Meer.
Nee, danke. Glücklicherweise kann ich mir meine Arbeit aussuchen. Obwohl ich bei diesem Job das Gefühl habe, dass ich ihn mir nicht ganz so ausgesucht habe. Er hat sich eher mich ausgesucht.
Er fasziniert mich außerdem. Sie fasziniert mich. Aber das würde ich natürlich nie einer Menschenseele gestehen. Also, ich bin keiner, der seinen Schwanz geschäftliche Entscheidungen treffen lässt, aber dieses Mädchen ist ganz anders als alle anderen.
Als ich ein Bild von ihr gesehen habe, wusste ich das sofort.
Ich beobachte sie jetzt, von meinem Platz im Flugzeug aus. Ich sitze fünf Reihen hinter ihr direkt am Gang. Sie hat ihren Platz auf der anderen Seite, ebenfalls am Gang. Deswegen habe ich freie Sicht auf ihr Profil, wenn ich mich leicht nach vorn lehne, und genau das mache ich gerade. Schon abgefahren, dass sie auf den Fotos, die ich mir bei meiner Recherche letzte Nacht im Internet angeschaut habe, völlig anders wirkt.
Die zahllosen Ergebnisse meiner Google-Bildersuche zeigten eine leicht bekleidete Frau, verdammt sexy, die einfach in ganz Manhattan macht, was ihr gefällt. Aber die Frau, die ich gerade beobachte, ist eher in sich gekehrt, dezent. Sie trägt einen schwarzen Jogginganzug mit weißen Nähten, das Wort PINK steht in glitzernden Pailletten auf ihrem kleinen Hintern. Sie fällt nicht auf im Flugzeug, sieht aus wie jede andere Frau in ihrem Alter. Nicht wie die steinreiche Erbin, die sie in Wirklichkeit ist.
Als sie ins Flugzeug gestiegen ist, hatte sie Kapuze und Sonnenbrille aufgesetzt, als wolle sie ihre Identität verbergen, obwohl sie damit in Wahrheit total auffiel. Zumindest mir jedenfalls. Die Medien sind ständig hinter ihr her. Kein Wunder also, dass sie inkognito bleiben wollte.
Aber da sie völlig anders als normalerweise angezogen ist, schätze ich, hat sie sich irgendwann wohlgefühlt und schließlich die Kapuze abgesetzt und ihr langes Haar mit den hellen Strähnen entblößt, das sie weit oben am Kopf zu einem Zopf zusammengebunden trägt.
Seither habe ich freie Sicht auf ihr perfektes Profil.
Zierliche Nase, volle Lippen. Lange Wimpern, hohe Wangenknochen, leicht spitzes Kinn. Jedes Mal, wenn jemand an ihr vorbeigeht, hebt sie den Kopf und senkt dann den Blick direkt wieder. Als hätte sie Angst, jemand würde sich ihr nähern.
Als fürchte sie, jemand würde erkennen, wer sie ist.
Das tut aber niemand. Ich wette, dass ich in diesem Flieger als Einziger weiß, dass sie Lily Fowler ist.
In dem Moment, in dem das Flugzeug landet, nehme ich mein Handy und schalte es ein, sehe, dass ich eine SMS bekommen habe.
Hast du sie gefunden?
Ich antworte meinem Kunden mit einem knappen Ja.
Beobachtest du sie jetzt?
Wieder antworte ich bejahend. Mein Blick ist fest auf Lily gerichtet, die ebenfalls ihr Handy in der Hand hat und Nachrichten liest.
Du solltest dir jetzt ihren Laptop schnappen.
Ich blicke auf mein Handy und überlege mir eine Antwort. Ich kann mir das Ding nicht einfach hier im Flugzeug schnappen und dann weglaufen. Ich muss besonnen vorgehen. Ich habe meinen Kunden gewarnt. Ich treffe keine überstürzten Entscheidungen. Ich bin nicht impulsiv, zumindest nicht bei der Arbeit. Mein Wahnsinn hat Methode, und dazu gehört nicht, dass ich mich wie ein verdammter Dieb verhalte.
Schließlich entscheide ich mich für diese Antwort: Ich habe dich schon vorgewarnt: So schnell wird das nicht gehen.
Wir haben nicht viel Zeit.
Langsam schüttele ich den Kopf, schaue kurz zu Lily und tippe dann: Wir haben genug Zeit. Ich erledige den Auftrag schon. Keine Sorge.
Das Flugzeug kommt zum Stehen, wir sind beim Gate angekommen, und die Passagiere werden unruhig. Auch ich will endlich aussteigen. Meine Beine sind verkrampft. Im Flieger ist alles viel zu eng für mich mit meinen knapp eins neunzig. Meine Knie tun weh. Sogar Lily windet sich auf ihrem Sitz, sie dreht sich um und schaut hinter sich, mir direkt in die Augen. Unsere Blicke treffen sich kurz, dann wendet sie sich wieder ab, als hätte sie mich nicht gesehen.
Ich verspüre Wut. Wut und Verlangen. Eine interessante Mischung, die ich bei der Arbeit noch nie empfunden habe. Ich bin stolz darauf, dass ich immer eine gewisse Distanz wahre. Arbeit ist Arbeit. Und mein Privatleben ist genau das: privat. Wobei … eigentlich habe ich gar kein richtiges Privatleben. Ich habe niemanden in diesem Scheißleben, der mir nahesteht, und genauso will ich es auch.
Aber die Zurückweisung durch diese Frau, auch wenn sie nur ganz kurz war, versetzt mir einen Stich. Kotzt mich an.
Mein Handy piepst, ich schaue drauf.
Sie ist schnell. Gewieft. Du musst die Gelegenheit beim Schopf ergreifen.
Ich schnaube leise. Will er mir sagen, wie ich meine Arbeit machen soll, oder was? Ich wünschte, ich könnte ihm einfach sagen, er solle sich ins Knie ficken, aber das tue ich nicht. So ordinär bin ich nicht.
Ich bin schneller. Gewiefter. Glaub mir. Ich werde die Aufgabe erledigen.
Ich stecke mein Handy hinten in meine Jeans. Die Stewardess fordert uns per Lautsprecher auf, so lange sitzen zu bleiben, bis das Anschnallzeichen erloschen ist. Wir sind am Gate, alle wollen sich unbedingt ihr Zeug schnappen und dann endlich zum Gepäckband. Mir ist es egal. Ich reise nur mit Handgepäck. Mehr habe ich nicht mitgenommen; es liegt im Fach direkt über mir. Ich sehe, dass die Lady neben mir unbedingt aus ihrem Sitz aufspringen will, aber sie wird warten müssen. Ihre Verärgerung ist deutlich zu spüren, ist mir aber scheißegal.
Ich muss mich langsam bewegen. Ich darf auf gar keinen Fall die Aufmerksamkeit meines Opfers wecken. Noch nicht, das Spiel hat doch gerade erst begonnen.
In dem Augenblick, in dem das Anschnallzeichen erlischt, springt Lily auf, öffnet das Gepäckfach und nimmt eine Tasche heraus. Eine Laptop-Tasche, der Größe nach zu urteilen.
Der Laptop, das Objekt der Begierde, befindet sich wahrscheinlich darin.
Ich balle meine Hände zu Fäusten, lege sie auf meine Oberschenkel. Ich will diese Tasche. Nein. Stimmt nicht ganz. Mein Kunde will diese Tasche beziehungsweise deren Inhalt. Deswegen will ich sie auch.
Und ich werde alles tun, um sie zu bekommen.
Wirklich alles.
KAPITEL 2
Lily
Ich habe ihn erst gespürt und dann gesehen. Seinen Blick auf mir. Taxierend. Beobachtend. Ich lasse ihn gewähren, mit gesenktem Blick, die Augen starr auf die Zeitschrift auf meinen Oberschenkeln gerichtet. Aber so werde ich nie eine gleichmäßige Bräune erreichen; deswegen muss ich meinen Lesestoff früher oder später loswerden. Jetzt allerdings erfüllt er seinen Zweck noch voll und ganz.
Ich tue so, als würde ich lesen, während ich aus den Augenwinkeln nach links schaue und sehe, dass er mich anstarrt. Er weiß noch nicht, dass ich ihn bemerkt habe. Und er ist gut. Niemand würde seine Art der Bespitzelung bemerken.
Außer mir. Weil ich schon mein ganzes Leben lang unter Beobachtung stehe. Die Medien haben meine Schwestern und mich, meinen Vater und meine Großmutter verfolgt, seit ich denken kann. Wir sind Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wir bekommen Lob, wenn wir etwas Gutes machen, und Verrisse, wenn wir etwas Schlechtes tun.
Wobei fast alle Familienmitglieder schön brav sind. Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Ich benehme mich mit schönster Regelmäßigkeit daneben. Ich müsste es inzwischen besser wissen, aber warum sollte ich meinen Ruf aufgeben? Ich habe ihn mir seit meinen Teenagerjahren erarbeitet. Außerdem ist er die beste Fassade überhaupt.
Nach all den Jahren, in denen ich in aller Öffentlichkeit bloßgestellt wurde, weiß ich nun, wenn mich jemand im Blick hat. Das ist wie ein sechster Sinn oder so. Und wenn ich weiß, dass ich beobachtet werde, ziehe ich manchmal eine Show ab. Dann laufe ich auf sie zu und mache ihnen Beine – oder sie knipsen mich völlig außer Rand und Band, und über dem Bild steht dann später die Schlagzeile »Lily Fowler – schon wieder ausgerastet!«.
Diese Arschlöcher.
Meistens tue ich aber so, als wären sie gar nicht da. Als wäre ich froh darüber, dass irgendein beschissener Fotograf ein Bild von mir oben ohne beim Sonnenbaden machen will (jaja, ist schon mehrfach passiert) oder wenn ich gerade in einem Club mit einem Typen knutsche und rummache (das ist auch schon mehrfach vorgekommen).
Aber dieser Typ hier … sieht nicht aus wie ein Paparazzo. Er ist wahrscheinlich älter als ich, aber nicht über dreißig. Sein Haar ist dunkel. An den Seiten ist es sehr kurz geschnitten, oben ein wenig länger. Sein Kiefer ist kräftig, sein Gesicht völlig ausdruckslos und seine Lippen … die könnten eventuell weich und sanft sein, aber er ist zu weit weg, um das genau zu sagen. Seine Augen werden von einer Sonnenbrille verdeckt, aber ich muss sie auch nicht sehen.
Ich kann sie immer noch auf mir spüren.
Er trägt eine Badehose mit Tropenmuster, sonst nichts, sitzt auf einem Hotelhandtuch im glühend heißen Sand, hat die Knie angezogen und die Arme um sie geschlungen und verhält sich, als hätte er gar keine Sorgen. Seine Schultern sind breit, sein Körper ist schlank und fit. Kinder rennen an ihm vorbei und wirbeln dabei Sand auf. Er verzieht fast unmerklich das Gesicht, aber sonst: keine Reaktion. Er ist allein. Neben ihm liegt kein zweites Handtuch, keine Frau, die ihn bittet, ihr die Schultern mit Sonnenmilch einzureiben, und er hängt auch nicht mit Freunden rum.
Komisch.
Könnte er Fotograf sein? Einer der Paparazzi? Ich kenne mittlerweile so einige, deswegen bezweifele ich es. Oder aber er wurde als Lockvogel geschickt, um mich reinzulegen. Aber nicht mit mir! Mich legt man so schnell nicht mehr rein. Außerdem sehe ich anders aus als normalerweise, deswegen werde ich wohl eher nicht verfolgt. Das Partygirl Lily Fowler ist immer noch in New York, wo ich es vor einigen Tagen zurückgelassen habe. Selbstverständlich musste ich meinen Flug unter meinem richtigen Namen buchen, aber die Fluggesellschaften geben diese Informationen nicht an diese nervigen Reporter raus, also haben sie Pech gehabt.
Als ich gestern aus dem Flugzeug stieg und die warme Luft auf meiner Haut fühlte, nahm ich einen tiefen, reinigenden Atemzug und fühlte mich, als hätte ich meinen Panzer abgeworfen. Hier auf Maui bin ich nur eine normale junge Frau im Urlaub. Kein Make-up, kein protziger Schmuck, keine teure Kleidung, keine Typen, die mir an die Wäsche wollen, keine Mädels, die meine Freundinnen werden wollen, damit sie berühmt werden. Ich habe das ganze Brimborium hinter mir gelassen, wie eine Schlange, die sich gehäutet hat.
Wie neugeboren. Frisch und rein.
Meine Gedanken bringen mich fast zum Lachen. Und tatsächlich kichere ich leise und presse mir dann die Finger auf die Lippen, damit ich wieder aufhöre. »Rein«, haha, wie witzig … Das bin ich schon lange nicht mehr, wobei ich immer gehofft hatte, dass ich jemanden finden würde, der mich liebt. Meine wunderschöne Mutter hat mich von ganzem Herzen geliebt, oder sie hat zumindest so getan als ob.
Aber sie hat meine Schwestern und mich nicht hinreichend geliebt, um unseretwegen weiterzuleben. Sie hat den Tod ihren Kindern vorgezogen. Und das tat weh. Daddy hat mich danach nicht mehr geliebt. Ich wurde ihm zur Last. Alle drei Töchter wurden ihm lästig. Wir erinnerten ihn nur daran, dass er einmal eine Frau hatte, die ihn auf die grausamste Weise verließ.
Also habe ich nicht mehr bei meiner Familie nach Liebe und Bestätigung gesucht, sondern auf andere Weise. Bei Typen. Auf Partys. Mit Alkohol. Drogen. Und dann, als ich mich wieder gesammelt hatte und der Welt aufrecht entgegentreten wollte? War es allen total egal. Ich war immer noch Lily das Partygirl. Na ja, und dann wollte ich denen den Gefallen auch tun und habe einfach so mit meinem Leben weitergemacht. Warum hätte ich sie enttäuschen sollen?
Aus den Augenwinkeln kann ich erkennen, dass er mich immer noch beobachtet, obwohl er seinen Kopf sofort wegdreht, sobald ich in seine Richtung blicke. Hm. Interessant. Ist er vielleicht einfach nur ein normaler Typ im Urlaub, der mich hübsch findet? Er ist allein, ich bin allein, da könnten wir doch was miteinander anfangen, oder?
Nee, das kann nicht sein. Wer fährt schon allein in den Urlaub, um jemanden abzuschleppen? Das hört sich nach einem ziemlichen Mehraufwand an. Außerdem bin ich nicht zum Entspannen hier. Ich bin auf der Flucht. Ich verstecke mich. Nur für eine Weile. Ich habe mich mit den falschen Leuten angelegt. Mal wieder. Ich will ihnen nicht begegnen, deswegen habe ich Manhattan fluchtartig verlassen.
Ich nehme mein Handy, gehe damit ins Internet und werfe einen Blick auf diesen blöden Fashion- und Beauty-Blog, der sich so sehr für mein Leben und das meiner Schwestern interessiert. Ich will sichergehen, dass dort nicht über mich geredet wird. Lily Fowler wurde zuletzt vor zwei Tagen erwähnt, in dem Blog sehe ich ein Bild von mir mit pinken Lippen, stark geschminkten Augen und einem schwarzen Spitzenkleid – wahrscheinlich war ich da gerade für Fleur bei einer blöden Party für … irgendwas. Den genauen Anlass habe ich vergessen. Als ich spät an jenem Abend in meine Wohnung zurückkehrte, hatte jemand sie völlig zerwühlt, und ich bin ausgerastet. Gestohlen wurde nichts. Kein Schmuck, kein Geld, und dabei lag beides in rauen Mengen in meinem Schrank, zwar ein bisschen versteckt, aber nicht weggeschlossen.
Eine Sache hatte ich aber versteckt, meinen Laptop nämlich, und ich atmete erleichtert auf, als ich ihn wiederfand. Dann schmiss ich ein paar Klamotten in einen kleinen Koffer, buchte im Taxi über mein Smartphone einen Flug und machte mich schnellstmöglich auf und davon.
Das Telefon vibriert in meiner Hand. Ich zucke zusammen und sehe, dass meine kleine Schwester Rose mir eine Nachricht geschickt hat.
Ruf mich sofort an!
Ups … Das geht gerade nicht. Im Moment bin ich einfach zu misstrauisch. Noch nicht mal Rose hat mein Vertrauen, dabei vergöttere ich sie. Aber was, wenn sie den Mund nicht halten kann? Sie könnte sich unserem Vater gegenüber verplappern, dass sie mit mir gesprochen hat. Wenn mich der Falsche hier findet, war’s das.
Ich darf auf keinen Fall ein Risiko eingehen.
Deswegen ignoriere ich die Nachricht, stopfe das Telefon in die Strandtasche und lasse mich wieder auf meine schön weich gepolsterte Liege fallen. Ich habe mir heute früh direkt eine kleine, echt coole Strandhütte gemietet. Der Service ist super, ständig kommt jemand vorbei und stellt sicher, dass ich genug zu essen und zu trinken habe. Außerdem ist die Aussicht spektakulär. Die Sonne brennt, am leuchtend blauen Himmel schweben kleine bauschige Wölkchen, und dann und wann spüre ich einen Windhauch, der meinen heißen Körper kühlt.
Wie im Paradies.
Mein Blick huscht zu meinem Beobachter, der die Aussicht noch besser macht. Je mehr ich starre, desto eindeutiger finde ich ihn sexy. Seine Schultern und die Brust sind so breit. Sein muskulöser Oberkörper ist leicht behaart. Dabei stehe ich normalerweise eher auf glatte Haut, aber bei ihm gefällt mir das Haarige irgendwie. Damit sieht er so männlich aus. Und ein wenig gefährlich.
Ich wende den Kopf ab und denke nur noch an … ihn. Normalerweise stehe ich nicht so auf die gefährlichen Typen. Mir gefallen eher die lockeren, witzigen, attraktiven und selbstbewussten Männer, die auch ein klein bisschen arrogant sein dürfen. Meine Exfreunde sind mir ähnlich. Oder zumindest dem Ich, das ich nach außen hin verkörpern will.
Mein Telefon summt erneut, Rose hat mir noch eine Nachricht geschickt.
Du kannst mir nicht für immer aus dem Weg gehen! Sag mir bitte wenigstens, wo du bist.
Ich starre auf die Buchstaben, meine Finger schweben über der Tastatur. Ich will es ihr sagen, kann es aber nicht. Auf gar keinen Fall. Sie will unbedingt, dass ich ihr antworte, und ich will das unbedingt vermeiden.
Na ja, »wollen« ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Eigentlich, also wenn es nach meinem Herzen ginge, will ich sie unbedingt anrufen, sie fragen, ob alles in Ordnung ist. Sie ist schwanger. Meine kleine Schwester, die ich nach ihrer Geburt total hasste, weil sie mir die Aufmerksamkeit unserer Mom stahl, wird nun selbst ein Baby bekommen. Mit einem Typen, mit dem ich zur Schule gegangen bin. Einem Typen, den ich vielleicht einmal geküsst und irgendwie an mich rangelassen habe. Ich fühle mich deswegen wie eine absolute Schlampe, aber wenn Rose das nicht stört, stört es mich auch nicht. Sie ist so glückselig mit ihrem Caden, dass es fast schon abartig ist.
Fast so abartig wie meine Schwester Violet und ihr Verlobter Ryder. Die beiden sind einfach … unglaublich. Und das liegt nur an ihm. Ryder strahlt Selbstbewusstsein aus. Sex-Appeal. Ich verstehe schon, was meine Schwester an ihm so anziehend findet. Aber es überrascht mich, dass die beiden wirklich zusammen sind. Er passt, dachte ich, eigentlich eher zu mir, aber dann hat Violet einmal nach einigen Gläsern zu viel das ein oder andere Geheimnis ausgeplaudert. Bezüglich Ryders Dominanz im Bett.
Auf so was steh ich ja gar nicht. Ich habe lieber die Kontrolle. Denn es gab eine Menge in meinem Leben, was nach dem Tod meiner Mutter, als ich noch klein war, außer Kontrolle geriet. Als ich älter wurde, erkannte ich, dass ich einzig und allein mich selbst unter Kontrolle haben kann. Meinen Körper. Meinen Geist. Meine Entscheidungen.
Deswegen habe ich das Zepter in der Hand, vor allem im Bett. Mit diesem ganzen harten Domina-Zeug hat das allerdings nichts zu tun. Dabei verdrehe ich nur die Augen. Wen macht das bitte geil? Vielleicht habe ich ja nur noch nicht den richtigen Typen getroffen. Glaube ich aber eher nicht.
Ich nehme meinen Tropencocktail, lege die Lippen um den Strohhalm und sauge daran, lasse den Blick über den Strand schweifen, beobachte, wie sich die Wellen sanft am Ufer brechen. Ich möchte schwimmen gehen. Ich will das Wasser an den Beinen spüren, wenn ich langsam ins Meer gehe. Meine Sachen kann ich ja einfach hier liegen lassen, da passiert schon nichts. Die Hotelangestellten haben alles im Auge, aber vielleicht ist mein Beobachter ja von der schnellen Truppe? Ist er womöglich doch ein Paparazzo und wartet nur auf die Gelegenheit, meine Tasche zu durchwühlen? Aber da ist eh nur mein Telefon drin …
Aber mein Telefon ist mein ganzes Leben. Ein Passwort schützt es vor unberechtigtem Zugriff. Wenn er jedoch ein wenig Bescheid weiß, wird er es wahrscheinlich knacken können. Das kann ich nicht riskieren. Doch immerhin ist wenigstens mein Laptop in Sicherheit. Er liegt in meinem Hotelbungalow ganz oben im Kleiderschrank. Ganz hinten auf dem obersten Brett. Da findet ihn garantiert niemand.
Ich stelle meinen Drink neben mir auf den Tisch und lege mir den Zeigefinger auf die Lippen, während ich mir mein weiteres Vorgehen überlege. Ich spüre den Blick meines Beobachters nicht mehr, und ich sehe, dass er weg ist. Auch sein Handtuch liegt nicht mehr da; er ist also anderswo hingegangen.
Gut. Besser könnte es nicht sein. Ich brauche mir keinen Kopf mehr zu machen, weil mich ein komischer Kerl anstarrt. Ich kann mich auf wichtigere Dinge konzentrieren.
Ich strecke die Beine aus, drehe mich zur Seite und stehe auf. Mit den Händen auf den Hüften schaue ich erst nach links und dann nach rechts. Kein Beobachter weit und breit. Wo ist er bloß so schnell hin? Ich habe ihn noch nicht einmal gehen hören. Ist das Ganze etwa eine List?
Wahrscheinlich mache ich mir völlig umsonst Sorgen. Er ist einfach ein Typ, der mich hübsch findet, oder so. Nach dem, was passiert ist, bin ich einfach viel zu paranoid. Dass jemand in meine Wohnung eingedrungen ist und meine persönlichen Sachen durchwühlt hat, macht mich irgendwie unentspannt, hält mich aber trotzdem nicht auf. Ich mache etwas, was ich nicht sollte, deswegen denke ich, dass alle anderen auch nichts Gutes im Schilde führen.
Kopfschüttelnd gehe ich zum Wasser, spüre den warmen Sand unter meinen Füßen. Neben mir planschen und spielen ein paar Kinder mit bunten Eimern und Schaufeln aus Kunststoff am Ufer. Ein Paar steht hüfttief im Wasser, Wellen brechen sich an den beiden, sie fallen einander in die Arme und lachen.
Mein Herz schmerzt, aber ich achte nicht darauf. Ich glaube nicht an Liebe oder Pärchen oder Dating oder den ganzen Kack. Liebe ist was für Idioten. Meine Schwestern sind zwar mit ihren Kerlen total glücklich und glauben an die Liebe, aber bei mir ist das anders. Ich weiß, dass das nichts für mich ist.
Ich würde niemals jemanden zu nah an mich heranlassen. Jemandem die Macht geben, mich zu verletzen. Und ich weigere mich, das aufzugeben.
Schnell gehe ich in das kalte Wasser, erst bis zu den Knöcheln, dann den Waden, schließlich bis zu den Knien. Ich erbebe. Trotz der Sonne und des heißen Sands ist das Wasser eiskalt, aber das ist mir egal. Ich stehe nun bis zum Bauchnabel drin, gehe in die Knie, und das Wasser reicht mir bis zu den Schultern. Ich japse leise, es ist wirklich frisch.
Die Wellen ziehen mich weiter ins Meer, ich lasse mich auf dem Rücken einfach treiben, die Sonne wärmt mein Gesicht, das Wasser umspült meinen Kopf. Ich schmecke Salz auf den Lippen, schließe die Augen, breite die Arme aus und plansche mit den Händen im Wasser. Fühlt sich gut an. Friedlich.
Plötzlich kommt eine riesige Welle aus dem Nichts, drückt mich unter Wasser, schleudert mich in Richtung Meeresboden. Ich versuche, den Aufprall abzufangen, und schürfe mir die Hände an dem felsigen Untergrund auf, spüre, wie eine besonders scharfe Kante meine Handfläche aufschlitzt.
Der Schmerz durchdringt alles. Ich stoße mich vom Boden ab und will an die Wasseroberfläche, aber vergeblich. Wieder erwischt mich eine Welle und wirbelt mich herum.
Wasser schießt mir in Nase und Mund, ich schließe die Augen und kämpfe gegen die Wellen an. Ich will um Hilfe rufen. Ich will winken, die Leute am Strand darauf aufmerksam machen, dass ich hier wahrscheinlich gerade ertrinke, aber vergeblich.
Ich schaffe es einfach nicht.
Wieder erwischt mich eine Welle, wenngleich etwas schwächer, schleudert mich unter Wasser umher und zieht mich noch weiter ins Meer hinaus. Ich trete mit aller Kraft um mich, treffe den Meeresgrund und stoße mich von ihm ab. Ich öffne die Augen, ich kann über mir die Wasseroberfläche sehen, in der sich das Sonnenlicht bricht, und ich drücke mich erneut fest ab; ich muss einfach nach oben.
Starke Arme legen sich um meine Taille und ziehen mich über Wasser. Als mein Kopf an der Luft ist, atme ich tief ein und huste dann fürchterlich. Die Arme liegen wie ein Stahlband um meinen Bauch, fest, aber nicht zu eng, als wüsste der Besitzer, dass ich noch mehr husten würde, wenn er stärker zudrückt. Ich kann seine warme, muskulöse Brust an meinem Rücken spüren, als er mich zum Ufer zieht. Ich umklammere ihn aus Angst, er könnte mich loslassen.
»Alles in Ordnung, Prinzessin?« Seine Stimme ist tief und sonor, vielleicht kommt er aus dem Süden der USA. Trotz meiner Angst, der Erschöpfung und dem stechenden Schmerz in der Handfläche kribbelt mein ganzer Körper bei dem Klang seiner Stimme.
Ich nicke, klappere mit den Zähnen, stehe womöglich unter Schock. Das Adrenalin und die Todesangst, die ich gerade durchlebt habe, sind daran schuld. Mein Retter ändert ein wenig den Griff um meine Hüfte, seine Hand liegt auf meinem nackten Bauch, und ich betrachte seinen dicken, muskulösen Unterarm. Seine Haut schimmert golden und ist mit dunklen Haaren bedeckt, und die Hand … ist einfach riesig. Sie bedeckt fast meinen ganzen Bauch, und ich bin wirklich kein Gerippe.
Seine Finger streicheln fast schon über meine Haut, und die Luft weicht mir aus den Lungen, mir wird schwindelig. Ich lasse seinen Arm los, strecke ihm die Hand mit der Handfläche nach oben entgegen, und da sehe ich den tiefen Schnitt an der Innenfläche, aus dem Blut fließt.
Scheiße. Sieht schlimm aus.
Auch er bemerkt den Schnitt und erschrickt. »Du hast dich verletzt.« Er bewegt sich schneller, und ich erschlaffe – der Anblick des Schnitts ist zu viel für mich, das Blut und der Schmerz, der in den Arm ausstrahlt. »Wir müssen Hilfe holen.«
»Ich … ich dachte, du wärst die Hilfe«, hauche ich atemlos. Ich muss schlucken, der Schmerz schießt mir durch den Körper, ich zucke zusammen. Ich habe zu viel Salzwasser geschluckt, mein Hals tut weh, die Nase brennt.
»Du brauchst einen Arzt«, sagt er schroff, als wir aus dem Wasser steigen.
Ich drehe den Kopf, weil ich mir meinen Retter gern ein wenig genauer anschauen würde, aber er ist riesig, und mir tut der Nacken weh. Er schaut hinunter, reißt die Augen auf, als unsere Blicke sich treffen. Ein Schock durchfährt mich, und ich öffne den Mund, stoße mit schmerzender Kehle und rauer Stimme hervor: »Du bist das.«
Er ist es. Bei meinem Retter handelt es sich um den Mann, der mich beobachtet hat.
»Hey!« Ich wende meinen Blick ab und sehe einen Hotelangestellten, der auf uns zuläuft. Panik liegt in seinen Augen, und mein letzter Gedanke, bevor mein Körper erschlafft und mir schwarz vor Augen wird, ist, dass der nicht wirklich nach Hilfe aussieht.
KAPITEL 3
Max
Verdammt, sie ist in meinen Armen ohnmächtig geworden.
Sicher, sie kann nichts dafür. Noch vor wenigen Minuten war sie fit, atemberaubend fit, um ehrlich zu sein, schlenderte mit so einem femininen, geradezu magischen Hüftschwung, der mich in seinen Bann schlug, ans Meer und fasste sich mit den Händen an diesen perfekten Arsch, um an ihrem Bikinihöschen zu zupfen, als könnte sie dadurch erreichen, dass dieser winzige Stofffetzen die gesamte nackte, pralle Haut bedeckt.
Diese am Höschen zupfenden Finger riefen alle möglichen schmutzigen Fantasien in mir wach, die meinen Schwanz sofort zum Leben erweckten. Ich stellte mir vor, dass ich derjenige bin, der die Finger unter ihr Bikinihöschen gleiten lässt, immer tiefer, bis sie auf heiße, feuchte Haut treffen. Haut, die so verdammt unglaublich schmecken wird, wenn ich sie von vorn bis hinten lecke …
Yeah. Diese Lily Fowler – nicht das Partygirl – ist die Verkörperung meiner süßesten Fantasien. Wer hätte das geahnt? Ich war vom Strand auf einen Schattenplatz unter einigen kleineren Palmen umgezogen und beobachtete von dort aus, wie sie sich im Meer vergnügte. Ihr knallpinker Bikini verdeckte kaum etwas, und ihr Haar war zu einem lockeren Knoten hochgebunden, sodass ihr Hals und ihre Schultern voll zu sehen waren. Ihre Brüste drängten sich gegen die winzigen Dreiecke des Bikinioberteils, und über ihren Arsch werde ich jetzt nichts sagen, weil ich mich langsam so anhöre, als wäre ich von ihr besessen.
Was auch zutrifft.
Ehe ich mich’s versah, zogen die Wellen sie unter Wasser, und für mein Dafürhalten tauchte sie nicht schnell genug wieder auf. Also sprintete ich zum Meer, hechtete hinein und erspähte binnen Sekunden ihren pinkfarbenen Bikini. Sie kämpfte, wie ich, gegen die Wellen an, und als ich sie schließlich erreichte, konnte sie sich fast wieder über Wasser halten. Ich half ihr einfach nur ein bisschen und brachte sie zurück zum Ufer.
Das war das Letzte, was ich wollte. Meine Zielperson retten. Aus der Deckung kommen. Es war in dem ganzen Spiel noch zu früh für eine direkte Begegnung. Ich durfte mich nicht zu erkennen geben.
Aber ich konnte sie auch nicht vor meinen Augen ertrinken lassen.
Die ganze Sache hat sie echt ziemlich mitgenommen. Zu viel Wasser geschluckt, Sauerstoffmangel, der Schnitt in ihrer Handfläche – kein Wunder, dass sie ohnmächtig wurde. Und das in meinen Armen. Mithilfe des noch vor Schreck zitternden Hotelangestellten bette ich sie nun auf den Sand, und dann nimmt der Angestellte das am Bund seiner Shorts befestigte Funkgerät und gibt unseren Standort und die Art der Verletzung durch.
»Kennen Sie sie? Ist sie Ihre Freundin?«, fragte er, meinen Blick suchend.
Langsam schüttele ich den Kopf. »Keine Ahnung, wer sie ist.« Die Lüge kommt mir mühelos über die Lippen. »Aber vor wenigen Minuten war sie noch da drüben in der Strandhütte.« Ich deute zu der Stelle.
Der Angestellte blickt sich kurz zu der Strandhütte um, ehe er sich wieder mir zuwendet. »Sieht so aus, als wären ihre Sachen noch dort.«
»Gut. Vielleicht hat sie ja einen Ausweis dabei.« Behutsam ergreife ich ihre schlaffe Hand und mustere den Schnitt in der Handfläche. Er ist ziemlich tief. Müsste vielleicht mit ein paar Stichen genäht werden. Ich streiche mit dem Daumen über ihre Finger und achte dabei darauf, nicht an die Wunde zu kommen. »Sie könnten auch nachsehen, welcher Gast die Hütte gemietet hat.«
»Oh. Ja. Richtig. Gute Idee«, stößt die Dumpfbacke von einem Angestellten hervor, atmet tief aus und starrt auf das Meer hinaus. Es scheint, als wolle er sich nicht weiter um Lily kümmern, sie auf keinen Fall irgendwie berühren.
Also übernehme ich das. Vorsichtig richte ich Lily auf und lege meine Hand mitten auf ihren Brustkorb, sodass ich ihren regelmäßigen Herzschlag spüre. Meine Finger streifen ihre Brüste, und alles in mir spannt sich an. Ihre Haut ist kalt, aber weich und unglaublich glatt. Ihre Augen sind geschlossen, die langen Wimpern liegen wie dunkle Fächer auf ihrer Haut, und ihre vollen Lippen sind leicht geöffnet, während sie langsam und regelmäßig atmet. »Tja, wenigstens atmet sie«, sage ich sarkastisch und nehme widerstrebend die Hand von ihrer Brust.
»Hilfe ist unterwegs.« Der Typ wirft mir einen verlegenen Blick zu. »Ich arbeite erst seit einem Monat hier. In solchen Sachen bin ich nicht so gut.«
Ach, echt? »Haben Sie medizinische Hilfe angefordert?«
»Ja.« Er nickt.
Vorsichtig lasse ich Lily wieder auf den Boden sinken und betrachte sie, wie sie reglos im warmen Sand liegt. Sie ist verdammt schön. Ihre Brüste sind voll, selbst im Liegen, und ihre Beine endlos lang. Sie riecht unglaublich gut, obwohl der Geruch nach Meerwasser immer noch leicht an ihr haftet, und ich werde von dem jähen Verlangen übermannt, sie wieder zu berühren. Meine Lippen auf ihre Haut zu pressen.
Energisch mahne ich mich zur Vernunft. Was zum Teufel ist nur mit mir los?
»Dann ist sie ja in guten Händen«, sage ich und springe auf. Ich muss verdammt noch mal von hier weg. Der Hotelfuzzi starrt mich an, mit offenem Mund, die Augen weit aufgerissen. »Ich muss los«, erkläre ich.
»Sie können mich doch nicht mit ihr allein lassen«, beginnt er, doch ich bringe ihn mit einem Blick zum Schweigen.
»Ist das nicht Ihr Job? Außerdem kenne ich die Frau nicht«, erinnere ich ihn. »Ich bin nur ein anständiger Mensch, der einer Fremden zu Hilfe gekommen ist.«
»Sie haben ihr wahrscheinlich das Leben gerettet«, erwidert er. »Wenn sie zu sich kommt, will sie sich bestimmt bei Ihnen bedanken.«
Ich zucke die Achseln. Wenn sie wieder zu sich kommt, sollte ich besser schon verschwunden sein. Sobald sie mich sieht, wird es Fragen geben. Fragen, die ich nicht beantworten möchte. Mit meinem blöden Geglotze habe ich für heute schon genug Schaden angerichtet. »Wenn sie fragt, sagen Sie ihr einfach, es freut mich, dass es ihr gut geht.«
»Aber ich weiß doch gar nicht, ob es ihr wirklich gut geht. Die Wunde an ihrer Hand sieht ziemlich übel aus.«
Und du gibst eine ziemlich üble Figur ab!, denke ich bei mir. Es ist nur eine Schnittwunde. Daran wird sie nicht sterben. »Es geht hier nicht um Leben und Tod.« Am liebsten hätte ich Arschloch hinzugefügt, doch ich beherrsche mich. »Sie wird sich wieder berappeln. Ein paar Stiche und fertig.«
Ehe er weiterlamentieren kann, schwirre ich ab, will nur noch weg von hier. Der Typ ruft mir nach, aber ich drehe mich nicht um, sondern stapfe mit gesenktem Kopf durch den Sand, entferne mich mit jedem Schritt weiter von der Versuchung namens Lily Fowler.
Ich bin mir nicht sicher, ob ihr klar ist, wer sie aus dem Wasser gefischt hat. Ich hoffe, nicht. Und sie soll es auch nicht erfahren, denn ich will auf gar keinen Fall, dass sie sich bemüßigt fühlt, mir zu danken oder mit mir zu reden.
Noch nicht.
Schlimm genug, dass ich vorhin, als ich sie beobachtet habe, in der Nähe ihrer Strandhütte saß. Ich glaube, sie hat mich nach einer Weile bemerkt. Deshalb habe ich auch den Platz gewechselt. Ich wollte nicht auffallen, aber ich musste mich nun mal in ihrer Nähe aufhalten.
Besser gesagt, ich wollte mich in ihrer Nähe aufhalten.
Ich wische mir den Schweiß aus dem Nacken, eile in Richtung Hotel. Niemals zuvor habe ich mich von einer Frau derart aus der Bahn werfen lassen, schon gar nicht während eines Jobs. Ich verstehe selbst nicht, weshalb ich so heftig auf sie reagiere. Normalerweise gehe ich cool und gelassen an einen Auftrag heran, lasse mich durch nichts ablenken.
Aber ein Blick auf Lily genügte – wie sie anmutig auf der Liege saß, ihre Haut in der Sonne schimmernd, das Gesicht hinter der riesigen Designer-Sonnenbrille halb versteckt, was ihrem ohnehin rätselhaften Wesen zusätzlich eine Aura von Geheimnis verlieh –, und ich wollte näher zu ihr hin. Nur ein einziges Mal.
Du bist ein gottverdammter Idiot.
Yep, das kann ich nicht leugnen. Ich habe in meinem Leben genügend Dinge gemacht, die das bestätigen.
Mein Handy klingelt, und ich gehe dran, weiß genau, wer am anderen Ende der Leitung ist.
»Wo ist sie?«
Ich entscheide mich für die Wahrheit. »Liegt ohnmächtig im Sand.«
Gelächter dringt an mein Ohr, und um es nicht in voller Lautstärke abzukriegen, halte ich das Telefon ein Stück weg. »Sie haben sie bereits ausgeknockt? Hey, Sie arbeiten schnell.«
»Ich schlage keine Frauen«, murmele ich.
»Zu schade. Eine saftige Ohrfeige könnte bei ihr wahre Wunder wirken.«
Herrgott. Meine Klientin ist wirklich eine total miese Zicke.
»Sie wäre beinahe ertrunken«, erwidere ich und blicke mich dabei um, um sicherzugehen, dass niemand zuhört. Bei diesem Gespräch sollte ich besser nicht belauscht werden.
»Ha, würde ihr recht geschehen, der kleinen Hexe.« Noch mehr Gelächter. Ekel überkommt mich. Ich mag diese Frau nicht. Sie ist nicht nett. Kein bisschen. Und mir ist immer noch schleierhaft, warum sie will, dass ich Lily Fowler beschatte und mir diesen gottverdammten Laptop schnappe, von dem meine Klientin behauptet, dass er ihr gehört. Allmählich frage ich mich, ob das nicht eine Lüge ist. Und ich frage mich auch, ob Lily nicht irgendetwas gegen diese Frau in der Hand hat.
Interessanter Gedanke. Und sehr naheliegend.
»Hören Sie, es hilft nicht weiter, wenn Sie mich alle paar Stunden ansimsen oder anrufen und mich kontrollieren«, murmele ich. Ich bin jetzt in der Nähe des Pools, wo es wegen der vielen Leute und der hawaiianischen Musik aus den Lautsprechern ziemlich laut und chaotisch zugeht. Ich will hier weg und in mein Hotelzimmer zurück, damit ich meine Ruhe von dem ganzen Scheiß habe. Da Lily Fowler die nächsten Stunden erst einmal flachliegen wird, sollte ich versuchen, etwas Schlaf zu kriegen.
»Wenn ich Sie nicht kontrolliere, wer dann? Schließlich habe ich eine Menge Geld bezahlt, damit Sie diesen Auftrag erledigen, und zwar schnell«, erinnert sie mich. »Es ist mein gutes Recht, Sie, wann immer ich will, anzusimsen und anzurufen.«
»Ihr gutes Recht hin oder her, Sie vermasseln mir meine Strategie. Ich werde Ihnen einmal am Tag Bericht erstatten, alles klar?« Ich lasse mich von dieser Frau doch nicht herumkommandieren. Sie hat mir zwar einen fetten Batzen Kohle bezahlt, der die Sache mehr als wert ist, aber was meine Arbeit angeht, habe immer noch ich das Sagen.
»Das genügt nicht«, entgegnet sie mit einer düsteren Endgültigkeit, die ich nur bewundern kann. Die Frau hat Biss, das muss man ihr lassen. »Zweimal täglich. Einmal morgens, einmal abends.«
Verdammt. Ich wische mir die Stirn. »Einverstanden«, sage ich. »Wollen Sie Ihren Bericht jetzt oder später?«
»Jetzt.« Sie hört sich erwartungsvoll an. »Erzählen Sie mir, wie es kam, dass sie ohnmächtig wurde. Ich will jedes schmutzige Detail erfahren.« Sie hört sich an, als würde sie sich über Lilys Missgeschick diebisch freuen.
Also berichte ich ihr, was vorgefallen ist, angefangen damit, wie Lily sich zunächst in ihrer Strandhütte aufhielt und noch vor Mittag zwei alkoholische Getränke schlürfte, bis hin zu dem Moment, als sie in meinen Armen ohnmächtig wurde und ich sie in der Obhut des panischen Hotelangestellten zurückließ, der bis zum Eintreffen der Sanitäter bei ihr bleiben würde.
»Sie haben sie einfach dort zurückgelassen?«, fragt sie, als ich mit meinem Bericht am Ende angelangt bin.
»Was hätte ich denn tun sollen? Mich vorstellen und ihr erzählen, dass ich für Sie arbeite?«
Sie keucht auf. »Oh, Gott, nein. Das wäre eine Katastrophe. Schlimm genug, dass sie alles ruiniert, was sie in ihre dreckigen Pfoten kriegt.«
Ich habe keine Ahnung, wovon sie redet, und ich frage auch nicht nach. »Ich werde mich später nach ihr erkundigen. Diskret herumfragen und mich vergewissern, dass es ihr gut geht.« Irgendjemand wird mir erzählen, wie es Lily geht. Ob nun der Angestellte, bei dem ich sie zurückgelassen habe, oder jemand anders.
»Tun Sie das«, sagt sie geistesabwesend, und es ist unüberhörbar, dass sie einen feuchten Kehricht darum gibt, ob es Lily gut geht oder nicht. Was für ein Miststück.
»Ich werde Sie heute Abend anrufen und auf den neuesten Stand bringen«, fahre ich fort, obwohl ich schon allein bei dem Gedanken daran mit den Zähnen knirsche. Aber es muss sein. Sie lässt mir keine andere Wahl.
»Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
»Sicher.« Ich stehe am Rand der Poolanlage, mit dem Rücken zu dem Getümmel und dem Blick aufs Meer. Die Sonne brennt heiß auf meiner Haut; meine Badehose ist fast trocken, obwohl ich erst vor wenigen Minuten aus dem Meer gekommen bin. Ich sehne mich nach einem Bier und einem Burger. Verflixt, ich bin in einem verdammten Paradies gefangen und muss mir von dieser Hexe die Leviten lesen lassen.
Das nervt kolossal.
»Wann genau werden Sie zur Tat schreiten?«
Ich runzele die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
»Wann werden Sie sich den Laptop schnappen? Denn nur aus diesem Grund sind Sie in Hawaii. Ich bezahle Sie nicht dafür, dass Sie sich ein paar nette Urlaubstage machen. Sie haben einen Job zu erledigen«, erinnert sie mich freundlicherweise.
»Das weiß ich«, erwidere ich grimmig. »Aber wie gesagt, Sie müssen mir vertrauen und mich meine Arbeit machen lassen. Hier geht es nicht um einen simplen Einbruch. Ich muss mich langsam an die Sache ranarbeiten.« Erst muss ich Lilys Vertrauen gewinnen. Und mich dann um den Laptop kümmern. Nur so kann es gelingen.
»Die Zeit wird knapp, Mr. Coleman.« Ich mag es nicht, wenn sie mich so nennt, und ich glaube, das weiß sie auch. »Jede Minute, die verstreicht, ist eine weitere vergeudete Minute.«
»Ma’am, wird sind erst gestern angekommen. Sie ist noch nicht mal vierundzwanzig Stunden auf dieser verfluchten Insel«, sage ich mit fester Stimme. Ich werde mich nicht rechtfertigen, das sollte sie allmählich begreifen. »Lassen Sie mich einfach meinen verdammten Job tun.«
ENDE DER LESEPROBE