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mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Neuengland in den 1860er Jahren: Die Schwestern Meg, Jo, Betty und Amy halten eng zusammen, denn ihr Vater ist als Pastor im amerikanischen Bürgerkrieg, und finanziell ist die Familie nicht auf Rosen gebettet. Die vier so ganz verschiedenen Mädchen durchleben ihre Jugend mit allem, was sie ihnen bietet und zumutet – Nachbarjungs und Moralapostel, Theatergänge und Sonntagsschule, Glück und Leid. 'Betty und ihre Schwestern' erzählt von den verschlungenen Wegen zum Erwachsenwerden.
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Seitenzahl: 427
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Louisa May Alcott
Little Women – Betty und Ihre Schwestern
Die Pilger
„ Weihnachten ohne Geschenke ist kein Weihnachten,“ murrte Josephine, auf dem Teppich vor dem Kamin liegend.
„ Es ist so schrecklich, arm zu sein!“ seufzte Margaret, indem sie traurig auf ihr altes Kleid blickte.
„ Es ist nicht recht, dass einige Mädchen eine Menge hübscher Sachen haben, und andere gar nichts,“ fügte die kleine Amy mit beleidigter Miene hinzu.
„ Wir haben Vater und Mutter und haben einander,“ rief Lieschen zufrieden aus ihrem Winkel hervor.
Die vier jungen vom Feuer beschienenen Gesichter leuchteten bei den fröhlichen Worten auf, umwölkten sich aber wieder, als Josephine traurig sagte: „Wir haben den Vater nicht, und werden ihn vielleicht in langer Zeit nicht haben.“ Sie sagte nicht: „vielleicht nie;“ aber jede fügte es im Stillen hinzu, während sie an den Vater in weiter Ferne, wo der Krieg wüthete, gedachte.
Eine Minute lang sprach niemand; dann sagte Margaret in verändertem Tone: „Ihr wisst, warum die Mutter vorschlug, uns diesmal nichts zu Weihnachten zu schenken. Dieser Winter wird für jedermann ein sehr schwerer sein, und sie sindet, dass wir kein Geld für unser Vergnügen ausgeben müssen, während unsere Soldaten soviel zu leiden haben. Viel können wir nicht thun, aber wir können doch auch unsere kleinen Opfer bringen, und das sollten wir fröhlichen Herzens thun. Aber ich fürchte, ich thue es nicht;“ und Margaret schüttelte den Kopf, während sie mit Bedauern an all’ die hübschen Sachen dachte, welche sie sich wünschte.
„Aber ich glaube, das Wenige, was wir ausgeben würden, könnte nicht viel helfen. Wir haben jede einen Thaler, und dem Heere würde damit nicht viel gedient sein, wenn wir ihn hergäben. Ich lasse es mir gern gefallen, von Mutter und euch nichts geschenkt zu bekommen, aber ich will mir Undine kaufen; ich habe es mir schon so lange gewünscht,“ sagte Josephine, die ein Bücherwurm war.
„ Ich hatte mir vorgenommen, für mein Geld neue Noten zu kaufen,“ sagte Lieschen mit einem leisen Seufzer, den niemand hörte, wenn nicht etwa der Kaminbesen und der Kesselhaken.
„ Ich werde mir einen schönen Kasten mit Faber’schen Zeichenbleistiften kaufen; ich habe sie wirklich nöthig,“ sagte Amy entschieden.
„Die Mutter sagte nichts von unserm Gelde, und sie wird nicht wollen, dass wir alles aufgeben. Lasst uns jede kaufen, was wir uns wünschen, um eine kleine Freude zu haben; wir lassen’s uns wirklich sauer genug werden, um sie zu verdienen,“ rief Josephine, indem sie, wie ein Herr, die Absätze ihrer Stiefel untersuchte.
„Ich sicherlich, — muss ich nicht jene schrecklichen Kinder fast den ganzen Tag unterrichten, wenn ich mich so sehr danach sehne, zu Hause vergnügt zu sein,“ sagte Margaret wieder in klagendem Tone.
„Du bist nicht halb so schlimm daran wie ich,“ rief Josephine. „Wie würde es dir gefallen, stundenlang mit einer nervösen, ungemüthlichen Dame eingesperrt zu sein, die ihre Umgebung in steter Bewegung erhält, nie zufrieden ist und einen quält, dass man aus dem Fenster springen oder ihr Ohrfeigen geben möchte?“
„Es ist unrecht, zu klagen, — aber ich glaube, Schüsseln waschen und das Haus in Ordnung halten, ist die schlimmste Arbeit in der Welt. Es macht mich verdriesslich, und meine Hände werden ganz steif, ich kann gar nicht gut üben.“ Und Lieschen betrachtete ihre rauhen Hände mit einem Seufzer, den diesmal jeder hören konnte.
„ Ich glaube, keine von euch hat soviel zu leiden wie ich,“ rief Amy, denn ihr braucht nicht zur Schule zu gehen mit impertinenten Mädchen, die ihre Mitschülerinnen plagen, wenn sie ihre Lectionen nicht wissen, über ihre Kleider spotten, ihren Vater infamiren, wenn er nicht reich ist, und sie beleidigen, wenn sie keine hübsche Nase haben.“
„Was sagst du da von ,infamiren‘, insultiren meinst du wohl“, rief Josephine lachend.
„Ich weiss, was ich meine,“ versetzte Amy mit Würde, und du brauchst nicht ,statirisch‘ zu sein. Es gehört sich, gute Ausdrücke zu gebrauchen und sein ,Vocabilarium‘ zu bereichern.“
„So streitet doch nicht, Kinder. Möchtest du nicht, ,Jo‘, dass Papa das Geld noch hätte, welches er verlor, als wir noch klein waren? Ach, wie glücklich und gut würden wir sein, wenn wir keine Sorgen hätten,“ sagte Margaret, die sich besserer Zeiten erinnern konnte.
„ Du sagtest doch neulich, wir wären weit glücklicher als King’s Kinder, denn sie zanken und klagen den ganzen Tag, trotz ihres Geldes.“
„ Das ist wahr, Lieschen. Und ich glaube wirklich, dass wir glücklicher sind; denn obgleich wir arbeiten müssen, machen wir doch Spass mit einander und sind eine muntere ,Bande‘, wie Jo sagen würde.“
„ Jo braucht so viele Studentenausdrücke,“ bemerkte Amy, mit einem tadelnden Blicke auf die lange Gestalt, die auf dem Kaminteppich hingestreckt lag. Jo richtete sich augenblicklich auf, steckte die Hände in die Schürzentaschen und fing an zu flöten.
„Lass das, Jo; es ist so knabenhaft.“
„Eben darum thue ich’s.“
„Ich hasse unhöfliche Mädchen mit unfeinen Manieren.“
„Und ich hasse zimperliche Zierpüppchen.“
„Die Vögelein vertragen sich in ihrem kleinen Nest,“ sang Lieschen, die Friedensstifterin, mit so schalkhafter Miene, dass die beiden scharfen Stimmen zum Lachen übergingen, und der Streit für den Augenblick ein Ende hatte.
„Wirklich, Mädchen, ihr seid beide zu tadeln,“ sagte Margaret, indem sie begann, sie in ihrer Weise als ältere Schwester zu ermahnen. „Du bist alt genug, um die Knabenmanieren abzulegen und dich besser zu benehmen, Josephine. Es kam nicht soviel darauf an, als du ein kleines Mädchen warst; aber jetzt, wo du so gross bist und dein Haar aufsteckst, solltest du dich doch erinnern, dass du eine junge Dame bist.“
„Das bin ich nicht! und wenn das Aufstecken des Haares mich zur jungen. Dame macht, so will ich es in zwei Zöpfen tragen, bis ich zwanzig Jahre alt bin,“ rief Jo, indem sie ihr Netz vom Kopfe riss und ihre kastanienbraune Mähne schüttelte. Ich hasse den blossen Gedanken, dass ich heranwachsen, Fräulein March genannt werden, lange Kleider tragen, und wie aus der Lade genommen erscheinen muss. Es ist schon schlimm genug, ein Mädchen zu sein, da ich Knabenspiele, Knabenarbeit und Knabenmanieren liebe.
Ich kann mich nicht darüber trösten, dass ich kein Knabe bin, und jetzt weniger als je, denn ich sterbe vor Sehnsucht, an Papa’s Seite zu kämpfen, und muss zu Hause sitzen, und stricken, wie ein jämmerliches altes Weib;“ und Josephine schüttelte den blauen Soldatenstrumpf, dass die Nadeln wie Castagnetten klirrten und ihr Knäuel durch das Zimmer flog.
„ Arme Jo, es ist wirklich gar zu schlimm; aber es lässt sich nicht ändern, und so musst du dich damit begnügen, deinen Namen so knabenhaft zu machen wie möglich und unsern Bruder zu spielen,“ sagte Lieschen, indem sie mit einer Hand, deren Berührung alles Abstäuben und alles Schüsselwaschen nicht unsanft zu machen vermochte, den rauhen Kopf streichelte, der sich an ihre Kniee lehnte.
„Was dich betrifft, Amy, “ fuhr Margaret fort, „so bist du zu eigen und legst zuviel Werth auf Aeusseres. Du giebst dir oft ein ganz kömisches Ansehen und du wirft ein Gänschen werden, wenn du dich nicht in Acht nimmst. Ich liebe deine netten Manieren und deine feine und höfliche Ausdrucksweise, so lange du nicht die Elegante zu spielen versuchst; aber deine albernen gesuchten Ausdrücke sind oft ebenso schlimm wie Jo’s Studentensprache.
„Nun, wenn Jo ein Knabe ist, und Amy eine Gans, was bin ich denn?“ fragte Lieschen, die auch ihren Antheil an der Vorlesung haben wollte.
„Du bist ein liebes Geschöpf, und nichts anderes,“ antwortete Margaret warm, und niemand widersprach ihr, denn die ,kleine Maus‘ war der Liebling der Familie.
Da junge Leser gewöhnlich gern wissen wollen, ,wie die Leute aussehen,‘ so wollen wir diese Gelegenheit wahrnehmen, um ihnen eine kurze Beschreibung der vier Schwestern zu geben, welche im Dämmerlicht da sassen und strickten, während draussen der Decemberschnee ruhig niederfiel und drinnen das Feuer gemüthlich knisterte. Es war ein behagliches altes Zimmer, obgleich der Teppich verblichen, und die Möbel sehr einfach waren; denn einige gute Gemälde hingen an den Wänden, Bücher füllten die Nischen, Goldlack und Weihnachtsrosen blühten vor den Fenstern, und ein wohlthuender Hauch häuslichen Friedens war über dasselbe ausgegossen.
Margaret, die älteste der vier Schwestern, war sechzehn Jahre alt und recht hübsch; sie war rund und hatte die zarte Gesichtsfarbe einer Blondine, grosse Augen, eine Fülle weichen braunen Haares, einen lieblichen Mund und weisse Hände, auf welche sie ein wenig eitel war. Die fünfzehnjährige Josephine war sehr hoch aufgeschossen und braun; sie erinnerte an ein Füllen und schien nicht recht zu wissen, was sie mit ihren langen Gliedern anfangen sollte, die ihr sehr im Wege waren. Sie hatte einen entschiedenen Mund, eine komische Nase und scharfblickende graue Augen, die alles zu sehen schienen und abwechselnd wild, schalkhaft oder gedankenvoll waren. Ihr langes dichtes Haar war ihre einzige Schönheit; aber es war gewöhnlich in ein Netz gesteckt, um ihr nicht im Wege zu sein. Josephine hatte runde Schultern, grosse Hände und Füsse; ihre Kleider hingen lose um sie herum, und sie glich einem Mädchen, das widerwillig rasch zur Frau heranwächst.
Elisabeth, oder Lieschen, wie sie allgemein genannt wurde, war ein rosenwangiges Mädchen von dreizehn Jahren, mit weichem Haar und glänzenden Augen; ihr Wesen war schüchtern, aber ihr friedlicher Ausdruck wurde selten getrübt. Ihr Vater nannte sie ,die kleine Stille,‘ und der Name war sehr bezeichnend für sie; denn sie schien in ihrer eigenen kleinen glücklichen Welt zu leben, aus welcher sie sich nur herauswagte, um sich mit den wenigen zu vereinigen, denen sie vertraute, und die sie liebte.
Amy, obgleich die jüngste der Schwestern, war eine höchst wichtige Persönlichkeit, wenigstens in ihrer eigenen Meinung. Ein rechtes Schneewittchen, mit blauen Augen und goldenem Haar, das in Locken auf ihre Schultern herabfiel. Sie war bleich und schlank und benahm sich immer wie eine junge Dame, die auf ihre Haltung und ihr Wesen achtet. Die Charaktere der vier Schwestern ausfindig zu machen, wollen wir dem Leser selbst überlassen.
Die Uhr schlug sechs, und Lieschen setzte, nachdem sie den Herd abgefegt, ein Paar Pantoffeln an’s Feuer, um sie zu wärmen. Es war, als wenn der Anblick der alten Schuhe eine gute Wirkung auf die Mädchen hätte; denn die Mutter musste gleich kommen, und jede machte ein freundliches Gesicht, um sie willkommen zu heissen. Margaret hielt in ihrer Vorlesung inne und zündete die Lampe an; Amy stand unaufgefordert aus dem Lehnstuhl auf, und Josephine vergass, dass sie müde war, richtete sich auf und hielt die Pantoffeln näher ans Feuer.
„Sie sind ganz abgetragen; die Mama muss ein Paar neue haben.“
„Ich dachte,“ sagte Lieschen, „ich wollte ihr für meinen Thaler ein Paar kaufen.“
„Nein, das werde ich thun,“ rief Amy.
„Ich bin die älteste,“ sagte Margaret, aber Josephine unterbrach sie in entschiedenem Tone: „Ich bin der Mann der Familie, jetzt da der Papa fort ist, und ich werde für die Pantoffeln sorgen, denn er trug mir auf, in seiner Abwesenheit besondere Sorge für Mama zu tragen.“
„Ich will euch sagen, was wir thun wollen,“ sagte Lieschen; lasst uns jede ihr etwas zu Weihnachten kaufen, und nichts für uns selbst.“
„Das sieht dir ähnlich, Lieschen!“ rief Jo. Was wollen wir kaufen?“
Jede dachte einen Augenblick ruhig nach; dann verkündete Margaret, als wäre ihr der Gedanke durch den Anblick ihrer eigenen hübschen Hände eingegeben worden: „Ich werde ihr ein Paar schöne Handschuhe kaufen.“
„Ein Paar Schuhe,“ rief Jo, die besten, die zu haben sind.“
„Einige gesäumte Taschentücher,“ sagte Lieschen.
„Ich werde eine kleine Flasche kölnisches Wasser kaufen; sie liebt es, und es wird nicht viel kosten, so dass mir etwas übrig bleibt, um eine Kleinigkeit für mich zu kaufen,“ fügte Amy hinzu.
„Wie wollen wir ihr die Sachen schenken?“ fragte Magaret.
„Wir wollen sie auf den Tisch legen, dann die Mutter hereinführen und zusehen, während sie die Pakete aufmacht. Erinnert ihr euch nicht, wie wir’s an unsern Geburtstagen zu machen pflegten?“ antwortete Josephine.
„Ich fürchtete mich so, wenn an mir die Reihe war, mit einem Kranze auf dem Kopfe auf dem grossen Sessel zu fitzen und euch alle herankommen zu sehen, um mir die Geschenke mit einem Kusse zu überreichen. Ich liebte die Sachen und die Küsse, aber euer aller Augen auf mich gerichtet zu sehen, während ich die Pakete öffnete, war schrecklich,“ sagte Lieschen, welche ihr Gesicht mit dem Brod zum Thee zugleich röstete.
„ Lasst die Mama denken, dass wir für uns selbst etwas kaufen, und sie dann überraschen. Wir müssen morgen Nachmittag unsere Einkäufe machen, Margaret; das Schauspiel für den Weihnachtsabend wird uns auch noch viel zu thun geben,“ sagte Jo, indem sie, die Hände auf dem Rücken und die Nase in der Luft, auf und abging.
„ Dies wird das letzte Mal sein, dass ich spiele, ich werde zu alt für solche Dinge,“ bemerkte Margaret, die noch ebenso sehr wie je zuvor ein Kind war, wenn es galt, einen Possen zu spielen.
„ Du wirst nicht aufhören, so lange du in einem weissen Schleppkleide mit wallendem Haar und Schmuck von Goldpapier einhergehen kannst. Du bist unsere beste Schauspielerin, und wenn du die Bühne verlässest,“ sagte Jo, „so ist alles zu Ende. Wir müssen eigentlich heute Abend eine Probe haben. Komm her, Amy, und spiele die Ohnmachtsscene, denn du benimmst dich darin so steif wie ein Stock.“
„Ich kann’s nicht ändern; ich habe nie jemand in Ohnmacht fallen sehen und will mich nicht braun und blau fallen, wie du. Ich werde versuchen, leicht hinzusinken, gelingt das nicht, so werde ich mit Grazie in einen Sessel fallen. Es ist mir gleich, ob Hugo mit einer Pistole auf mich zukommt,“ sagte Amy, die nicht mit dramatischem Talent begabt war, und die man nur gewählt hatte, weil sie klein genug war, um von dem Helden des Stückes schreiend hinausgetragen zu werden.
„Mach’ es so; ringe die Hände und wanke durch’s Zimmer, indem du wie wahnsinnig schreist: ,Rodrigo! rette mich! rette mich!‘“ Und Josephine spielte ihr die Scene vor, mit einem herzdurchdringenden Schrei.
Amy folgte, aber sie streckte die Hände steif vor sich her und bewegte sich stossweise wie eine Gliederpuppe. Bei ihrem Schrei dachte man an Nadelstiche, aber nicht an Furcht und Herzensangst. Jo stöhnte verzweiflungsvoll, und Margaret lachte laut auf, während Lieschen über dem Interesse, mit welchem sie dem Spass zusah, ihr Brod verbrennen liess.
„ Es kann nichts helfen, diese Scene noch länger zu probiren, spiele so gut du kannst, wenn der grosse Augenblick kommt, und wenn die Zuhörer dich auslachen, so mache mir keine Vorwürfe. Komm Margaret.“
Alles Uebrige ging ohne Anstoss. Don Pedro forderte in einer zwei Seiten langen Rede die ganze Welt heraus, ohne ein einziges Mal stecken zu bleiben; Hagar, die Hexe, sprach in schauerlichem Tone eine furchtbare Zauberformel über ihrem Kessel voll Kröten; Rodrigo zerriss männlich seine Ketten, und Hugo starb vergiftet unter Gewissensqualen mit einem wilden Schrei.
„ Dies ist das beste Stück, welches wir je gespielt haben,“ sagte Margaret, als der todte Bösewicht sich aufrichtete und sich die Ellbogen rieb.
„ Ich begreife nicht, wie du so herrliche Sachen schreiben und spielen kannst, Jo, du bist wirklich ein zweiter Shakespeare,“ rief Lieschen, die überzeugt war, dass ihre Schwestern mit ganz wunderbarem Genius begabt seien.
„ Nicht ganz,“ erwiederte Jo bescheiden. „Ich finde freilich auch, dass ,der Fluch der Hexe‘ ein ganz hübsches Stück ist; aber ich würde lieber Macbeth versucht haben, wenn wir nur eine Fallthür für Banquo hätten. Ich habe immer gewünscht, die Rolle des Mörders zu spielen. „Ist das ein Dolch, was ich da vor mir sehe?“ murmelte Jo, indem sie die Augen verdrehte und in die Luft griff, wie sie es bei einem berühmten Tragiker gesehen hatte.
„ Nein, es ist die Gabel zum Brotrösten mit Mama’s Schuh anstatt des Brotes. Lieschen ist ganz hingerissen,“ rief Margaret, und die Probe endete mit einem allgemeinen Gelächter.
„ Es freut mich, euch bei so heiterer Laune zu finden, meine lieben Mädchen,“ sagte eine freundliche Stimme auf der Thürschwelle, und Schauspieler und Zuschauer wandten sich um, um eine corpulente Dame zu bewillkommen. Der Ausdruck ihres Gesichtes war ein so mütterlicher und vertrauenerweckender, dass es eine Freude war, sie anzusehen. Sie war nicht eigentlich hübsch zu nennen; aber eine Mutter ist in den Augen ihrer Kinder immer schön, und den Mädchen schien die Mutter im schlichten grauen Mantel und altmodischen Hute die schönste Frau in der Welt.
„Nun, Kinder, wie ist’s euch heute ergangen? Es gab soviel zu packen, damit die Kisten morgen abgehen können, dass ich deshalb zum Mittagessen nicht zu Hause gekommen bin. Ist kein Besuch gekommen, Lieschen? Wie geht’s mit deiner Erkältung, Magaret? Jo, du siehst ja todmüde aus. Komm, Amy, gieb mir einen Kuss.“
Während sie sich so mütterlich nach dem Ergehen ihrer Kinder erkundigte, legte Frau March ihre nassen Kleider ab, zog ihre warmen Pantoffeln an, setzte sich in den Lehnstuhl und zog Amy auf ihren Schooss, um so die glücklichste Stunde ihres geschäftigen Tages zu geniessen. Die Mädchen eilten, jede in ihrer Weise, hin und her, um alles behaglich zu machen. Margaret deckte den Theetisch; Jo brachte Holz herein und setzte die Stühle zurecht, nicht ohne in ihrer unbeholfenen Weise hier einen Stuhl umzustossen und dort ein paar Stücke Holz fallen zu lassen. Lieschen trippelte stillgeschäftig zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her während Amy die Hände in den Schooss legte und ihre Anweisungen gab.
Als die Familie sich um den Theetisch versammelte, sagte Frau March mit besonders glücklichem Ausdruck: „Nach dem Abendessen habe ich etwas Schönes für euch.“
Ein helles lächeln leuchtete wie Sonnenschein auf allen Gesichtern. Lieschen klatschte vor Freude in die Hände, ohne an den heissen Zwieback zu denken, den sie in der Hand hielt, und Jo schleuderte ihre Serviette in die Luft, indem sie ausrief: „Ein Brief! ein Brief! Papa lebe hoch! dreimal hoch!“
„Ja, ich habe einen schönen langen Brief von ihm. Es geht ihm wohl, und er hofft die kalte Jahreszeit besser zu überstehen, als wir fürchteten. Er sendet seine besten Grüsse und Wünsche zum Weihnachtsfeste, und für euch Mädchen enthält der Brief noch eine besondere Botschaft,“ sagte Frau March, indem sie auf ihre Tasche klopfte, als bärge sie einen grossen Schatz.
„Beeilt euch, dass wir fertig werden. Spiele nicht mit deinem kleinen Finger, Amy, und sitze nicht da, in Anschauung deines Tellers versunken,“ rief Jo, indem sie hastig ihren Thee trank und über ihrer Eile, den Brief zu hören, ihr Brot mit der Butterseite auf den Teppich fallen liess. Lieschen ass nicht mehr; sie schlich sich in ihren dunkeln Winkel, um an die kommende Freude zu denken, bis die andern fertig wären.
„ Wie schön war es doch vom Vater, als Feldprediger mitzugehen, da er zu alt und nicht stark genug war, um als Soldat zu dienen,“ sagte Margaret mit Wärme.
„ Ich möchte als Trommler, als Marketenderin, ja als Krankenpflegerin hingehen, könnte ich nur bei ihm sein und ihm helfen,“ rief Jo mit einem tiefen Seufzer.
„ Es muss sehr unangenehm sein, in einem Zelte zu schlafen, allerlei schlechte Kost zu essen und aus einem zinnernen Kruge zu trinken,“ seufzte Amy.
„ Wann wird er wieder heimkehren, Mama?“ fragte Lieschen mit einem leisen Zittern der Stimme.
„ Darüber können noch viele Monate vergehen, liebes Kind, wenn er nicht krank wird. Er wird bleiben, so lange er kann, und treulich seine Arbeit thun, und wir wollen ihn keine Minute früher zurückwünschen, als man ihn entbehren kann. Nun kommt und hört den Brief.“
Sie sammelten sich alle um das Kaminfeuer; die Mutter nahm ihren Platz im Lehnsessel ein, Lieschen setzte sich zu ihren Füssen, Margaret und Amy jede auf eine Armlehne und so stützte sich auf die Rückenlehne des Sessels, wo niemand etwaige Zeichen der Rührung in ihren Zügen bemerken konnte. In jenen harten Zeiten wurden wenige Briefe geschrieben, die nicht rührend waren, besonders wenn sie von Vätern in die Heimat gesandt wurden. In diesem jedoch war wenig von erlittenen Mühseligkeiten, bestandenen Gefahren oder Heimweh die Rede; es war ein heiterer, hoffnungsvoller Brief, voll Lebendiger Schilderungen des Soldatenlebens und Kriegsnachrichten; nur am Ende floss des Schreibers Herz von väterlicher Liebe und Sehnsucht nach seinen kleinen Mädchen in der Heimat über.
„ Bringe ihnen allen meinen innigen Gruss und Kuss. Sag’ ihnen, dass ich bei Tage ihrer gedenke und bei Nacht für sie bete, und dass mein bester Trost ihre Liebe ist. Ein Jahr lang getrennt zu bleiben, scheint uns hart, aber erinnere sie, dass wir alle während dieser Wartezeit arbeiten können, so dass diese schweren Tage nicht verloren sind. Ich bin überzeugt, sie werden sich alles dessen erinnern, was ich ihnen gesagt habe; sie werden dir liebevolle Töchter sein, treulich ihre Pflicht erfüllen, tapfer gegen ihre innern Feinde kämpfen und sich selbst zu überwinden suchen, so dass ich sie, wenn ich zurückkehre, wo möglich, noch mehr als zuvor lieben und auf meine ,kleinen Frauen‘ stolz sein werde.“
Alle räusperten sich bei diesem Theile des Briefes. Jo schämte sich der grossen Thräne nicht, die an ihrer Nase niederrann, und Amy vergass die Sorge für ihre Locken, als sie ihr Gesicht an der Schulter ihrer Mutter verbarg und schluchzend ausrief: „Ja, ich bin ein selbstsüchtiges Geschöpf! aber ich will versuchen mich zu bessern, damit er sich in mir nicht getäuscht sieht.“
„Das wollen wir alle,“ rief Margaret. „Ich denke zuviel an mein Aeusseres und hasse die Arbeit; aber es soll anders werden.“
„Und ich will mich bemühen ,eine kleine Frau‘ zu werden, wie er mich gern nennt. Ich will nicht mehr knabenhaft und wild sein, sondern meine Pflicht hier thun, anstatt mich anders wohin zu wünschen,“ sagte Jo, der es eine schwerere Aufgabe schien, zu Hause sanft und bei guter Laune zu bleiben, als draussen im Süden gegen ein paar Rebellen zu kämpfen.
Lieschen sagte nichts, aber sie trocknete ihre Thränen mit dem blauen Soldatenstrumpf und begann mit aller Macht zu stricken. Sie wollte ohne Zeitverlust die nächstliegende Pflicht erfüllen und beschloss in ihrem kleinen stillen Herzen, bis zur glücklichen Rückkehr ihres Vaters das zu werden, was er sich von ihr versprach.
Frau March unterbrach das Schweigen, welches Josephinens Worten folgte, indem sie in heiterm Tone sagte: „Erinnert ihr euch noch, wie ihr als ganz kleine Mädchen die „Pilgerreife‘ spieltet? Nichts machte euch mehr Spass, als wenn ich euch meine Flickenbeutel als Bürde auf den Rücken band, euch Hüte, Stöcke und Papierrollen gab. und euch vom Keller, ,der Stadt des Verderbens‘, bis oben auf’s Haus wandern liess. Dort oben hattet ihr alle möglichen schönen Dinge zusammengetragen, um eine ,himmlische Stadt‘ daraus zu erbauen.
„ Es war ein herrlicher Spass, besonders an den Löwen vorbeizugehen; dann der Kampf mit Apollyon und die Reise durch das Thal der Kobolde,“ sagte Jo.
„ Mir gefiel die Stelle am besten, wo die Bündel abfielen und die Treppe hinunterpolterten,“ sagte Margaret.
„ Mein Lieblingstheil war der, wo wir auf das platte Dach hinaustraten; dort standen unsere Blumen und hübschen Sachen im Sonnenschein, und wir sangen alle vor Freude,“ sagte Lieschen, die sich in Gedanken ganz in den glücklichen Augenblick zurückversetzte.
„ Ich weiss nicht mehr viel davon, ausgenommen, dass ich mich vor dem Keller und dem dunkeln Eingange fürchtete, und dass mir der Kuchen und die Milch, die wir oben auf dem Dache bekamen, herrlich mundeten. Wäre ich nicht zu alt für solche Dinge, so möchte ich’s gern noch einmal spielen,“ sagte Amy, die in dem reifen Alter von zwölf Jahren anfing davon zu reden, dass sie ,kindischen Vergnügungen‘ entsagen müsse.
„ Für dieses Spiel sind wir nie zu alt,“ sagte Frau March; auf die eine oder andere Weise spielen wir es unser ganzes Leben. Jeder hat seine Bürde zu tragen; der Weg liegt vor uns, und die Sehnsucht nach Güte und Glückseligkeit ist die Führerin, die uns durch viel Trübsal uud Irrthümer zum Frieden, der wahren ,Himmelsstadt‘, geleitet. Wie wäre es nun, meine kleinen Pilger, wenn ihr noch einmal von vorn anfinget, nicht im Scherz, sondern in allem Ernst, um zu sehen, wie weit ihr kommen könnt, ehe der Vater heimkehrt.“
„Ich verstehe dich nicht recht, Mutter; wo sind, denn unsere Bündel?“ fragte Amy, die alles sehr buchstäblich nahm.
„Hat mir nicht noch eben jede von euch gesagt, welches ihre Bürde ist, Lieschen ausgenommen? Ich vermuthe, sie hat gar keine Bürde zu tragen,“ versetzte Frau March.
„O ja, ich habe die meinige auch,“ seufzte Lieschen. „Es sind Schüsseln und Staubtücher und Neid auf junge Mädchen, die schöne Pianos haben, und Furcht vor den Leuten.“
Lieschens Bündel war so komisch zusammengesetzt, dass alle eine grosse Lachlust anwandelte; aber niemand lachte, um des kleinen Mädchens Gefühle nicht zu verlegen.
„Lasst uns an’s Werk gehen,“ sagte Margaret nachdenklich; es ist nur ein anderer Name für das Bestreben, gut zu werden, und die Geschichte hilft uns vielleicht; denn obgleich wir wirklich wünschen, gut zu werden, so ist es doch nicht leicht, und wir vergessen nur zu oft, alle unsere Kräfte daran zu setzen.“
„Heute Abend staken wir in dem Sumpfe der Muthlosigkeit, aber die Mutter kam und zog uns heraus, wie ,Hülfreich‘ es im Buche thut. Wir müssten eigentlich auch einen Führer haben wie Christian.“
„Wie können wir uns den verschaffen?“ fragte Jo, entzückt über diesen Einfall, welcher der einförmigen Aufgabe der Pflichterfüllung etwas Romantisches verlieh.
„Sucht am Weihnachtsmorgen unter euren Kopfkissen, so werdet ihr einen ,Wegweiser‘ finden,“ erwiederte Frau March.
Sie besprachen den neuen Plan, während die alte Hannah den Tisch abräumte; dann kamen vier Arbeitskörbchen zum Vorschein, und die Mädchen setzten ihre Nadeln in Bewegung, um für die Tante March Betttücher zu nähen. Es war eine langweilige Arbeit, aber heute beklagte sich niemand. Jo’s Plan, die langen Näthe in vier Theile einzutheilen und die Viertel Europa, Asien, Afrika und Amerika zu nennen, wurde genehmigt, und so ging die Arbeit trefflich von statten, besonders da sie sich über die verschiedenen Länder unterhielten, während sie mit der Nadel ihren Weg durch dieselben zurücklegten.
Um 9 Uhr hörten sie auf zu arbeiten, um wie gewöhnlich vor dem Zubettegehen ein Abendlied zu singen. Niemand anders als Lieschen konnte dem alten Clavier viel
Musik entlocken; sie aber wusste die gelben Tasten so sanft zu berühren, dass ihr Spiel zu den einfachen Liedern, die sie sangen, eine angenehme Begleitung bildete. Margaret befass eine wahre Flötenstimme, und sie und ihre Mutter leiteten den kleinen Chor. Amy zirpte wie ein Heimchen, und so erging sich nach Gefallen in den Lüften und verfehlte nicht, am unrechten Orte einen Triller oder Vorschlag anzubringen, der der ernstesten Melodie etwas Komisches gab.
Sie hatten so jeden Abend gesungen, seit die Kinder
„ Binke, Binke, keiner Tern,“
Fröhliche Weihnachten
Die erste, welche im grauen Dämmerlichte des Weihnachtsmorgens erwachte, war Jo. Es hingen keine Strümpfe am Kamin, und einen Augenblick fühlte sie sich ebenso sehr getäuscht wie vor langer Zeit, als ihr kleiner Socken auf die Erde fiel, weil er so voll Bonbons war. Aber plötzlich erinnerte sie sich des Versprechens ihrer Mutter; ihre Hand glitt unter ihr Kopfkiffen und zog ein kleines Buch in rothem Einbande darunter hervor. Sie kannte es sehr wohl, denn es war jene schöne alte Geschichte von dem besten Leben, das je gelebt wurde, und so fühlte, dass es der rechte Führer für jeden Pilger fei, der auf die lange Reife ging. Sie weckte Margaret mit einem ,fröhlichen Weihnachten!‘ und forderte sie auf, auch unter ihrem Kopfkissen zu suchen. Ein grüngebundenes Büchlein kam zum Vorschein, mit demselben Bilde darin und einigen von der Mutter geschriebenen Worten, welche ihr einziges Geschenk in ihren Augen noch kostbarer machten. Nun erwachten auch Lieschen und Amy, um ihre Bücher zu suchen und zu finden. Das eine war grau, das andere blau. Alle sassen eine Zeitlang in Betrachtung ihrer Büchlein versunken, und während sie dann ihre Gedanken darüber austauschten, begann der Himmel im Osten sich rosig zu färben.
Trotz ihrer kleinen Schwächen, hatte Margaret ein freundliches, frommes Gemüth, welches unbewusst einen grossen Einfluss auf ihre Schwestern übte, besonders auf Josephine, die sie zärtlich liebte und ihr gehorchte, weil sie ihre Rathschläge auf so freundliche Weise gab.
„Mädchen“, sagte Margaret, indem sie von dem rauhen Kopfe neben ihr zu den beiden andern kleinen Köpfen in weissen Nachtmützen hinüberblickte, „die Mutter wünscht, dass wir diese Bücher lieben, sie lesen, und das Gelesene zu Herzen nehmen; lasst uns damit gleich anfangen. Früher versäumten wir das nie; aber seit der Vater fort ist, und dieser böse Krieg uns beunruhigt, haben wir vieles vernachlässigt. Mein Buch soll jedenfalls hier auf dem Tische seinen Platz haben, und ich will jeden Morgen, sobald ich erwache, einen kurzen Abschnitt darin lesen, denn ich weiss, es wird mir gut sein und mir helfen, meine Pflichten zu erfüllen.“
Dann schlug sie ihr Buch auf und fing an zu lesen. Jo lehnte ihren Kopf an den ihrer Schwester, schlang ihren Arm um sie und folgte ihrem Beispiel mit einem so ruhig ernsten Ausdruck, wie man ihn in ihren beweglichen Zügen selten sah.
„Wie gut Margaret ist! Komm, Amy, wir wollen es ebenso machen wie sie. Ich will dir bei den schweren Worten helfen, und die Schwestern werden uns erklären, was wir nicht verstehen,“ flüsterte Lieschen, auf die die hübschen Bücher und das Beispiel ihrer Schwestern einen tiefen Eindruck machten.
„Ich freue mich, dass meins blau ist,“ sagte Amy, und nun wurde es still in den Zimmern, während die Seiten leise umgeschlagen wurden, und der. Wintersonnenschein durch die Fenster drang und den finnigen und doch so fröhlichen Kindergesichtern auch seinen Weihnachtsgruss zulächelte.
„ Wo ist die Mutter?“ fragte Margaret, als sie und Jo eine halbe Stunde später hinuntereilten, um ihr für ihr Geschenk zu danken.
„ Gott weiss es. Ein armer Knabe kam und bettelte, und gleich darauf ging Frau March aus, um zu sehen, wie sie am besten helfen könne. Eine solche Frau hat’s nie gegeben. Es ist unerhört, was sie an Nahrungsmitteln, Kleidern und Feuerung fortgiebt,“ sagte Hannah, die seit Margaret’s Geburt in der Familie diente und deshalb von allen mehr als Freundin, denn als Dienerin betrachtet wurde.
„ Ich denke, sie wird bald zurückkommen; backe also nur deine Kuchen und halte alles bereit,“ sagte Margaret, während sie die Geschenke besah, die in einem Korbe unter dem Sofa standen, um zu geeigneter Zeit zum Vorschein zu kommen. „Wo ist denn aber Amy’s kölnisches Wasser?“ fragte sie, als sie das Glas nicht fand.
„ Sie hat es vor einem Augenblick aus dem Korbe genommen, um es, glaube ich, mit einem Bande zu verzieren,“ versetzte Jo, die in den neuen Pantoffeln im Zimmer herumtanzte, um ihnen die erste Steifigkeit zu nehmen.
„Wie hübsch meine Taschentücher aussehen, nicht wahr? Hannah hat sie gewaschen und geplättet, und ich habe sie selbst gezeichnet,“ sagte Lieschen, mit Stolz die etwas ungleichen Buchstaben betrachtend, welche ihr soviel Mühe gekostet hatten.
„Welches Kind! da hat sie statt Frau March ,Mutter‘ hineingezeichnet!“ rief so lachend. „Das ist doch gar zu komisch!“
„Hab’ ich’s verkehrt gemacht?“ rief Lieschen bestürzt. Ich glaubte, es wäre besser, sie so zu zeichnen, weil Margaret’s Anfangsbuchstaben auch ,M. M.‘ sind, und ich möchte nicht gern,“ fügte sie zögernd hinzu, „dass jemand anders als Mama diese Tücher gebrauchte.“
„ Das hast du ganz hübsch ausgedacht, Lieschen; denn nun kann keine Verwechslung vorkommen. Mama wird sich sehr darüber freuen,“ sagte. Margaret mit einem vorwurfsvollen Blicke auf so und einem Lächeln für Lieschen.
„ Da kommt die Mutter! Versteckt den Korb, schnell!“ rief so, als man eine Thür zuschlagen und Schritte auf dem Vorplatz hörte.
Amy in Mantel und Kapuze trat hastig herein und war etwas betroffen, als sie ihre Schwestern schon alle versammelt fand.
„ Ei, bist du’s, Amy.“ Woher so früh? und was versteckst du hinter dir?“ fragte Margaret.
„ Lach mich nicht aus, Jo,“ sagte Amy; „ es sollte eigentlich niemand wissen, bis der Augenblick gekommen war; ich wollte nur die kleine Flasche gegen eine grosse umtauschen und habe nun all’ mein Geld ausgegeben, um sie zu bekommen. Ich will wirklich versuchen, nicht mehr selbstsüchtig zu sein.“
Bei diesen Worten zeigte Amy das hübsche grosse Glas, und in ihrem Bestreben, sich selbst zu vergessen, sah sie so ernst und demüthig aus, dass Margaret sie umhalste, und Jo sie für ein ,prächtiges Mädchen‘ erklärte, Lieschen aber lief ans Fenster und pflückte ihre schönste Rose, um die stattliche Flasche damit zu schmücken.
„ Ich schämte mich meines Geschenks, nachdem ich heute Morgen in meinem Buche gelesen hatte,“ sagte Amy; „ich lief also, sobald ich aufgestanden war, um die Ecke und tauschte das Glas um; und ich freue mich sehr, dass ich’s gethan habe, denn mein Geschenk ist nun das hübscheste.“
Jetzt hörte man die Thür von neuem zuschlagen, der Korb flog unter das Sofa, und die Mädchen eilten an den gedeckten Tisch, denn es war längst über die gewohnte Frühstückszeit hinaus, und sie waren sehr hungrig.
„ Fröhliche Weihnachten, Mama! Fröhliche Weihnachten! und tausend Dank für die schönen Bücher. Wir haben schon darin gelesen und werden es alle Tage thun,“ riefen sie im Chor.
„ Fröhliche Weihnachten, liebe Kinder! Es freut mich, dass ihr gleich angefangen habt, und ich hoffe, ihr werdet so fortfahren. Ehe wir uns niedersetzen, möchte ich euch gern ein Wort sagen. Nicht weit von hier liegt eine arme Frau mit einem neugeborenen Kindlein. Sechs grössere Kinder liegen in einem Bette zusammengedrängt, um sich zu erwärmen, denn sie haben kein Feuer und nichts zu essen. Der älteste Knabe kam herüber, um mir zu sagen, wie sehr sie durch Hunger und Kälte litten. Was meint ihr, Kinder, wollt ihr ihnen euer Frühstück zu Weihnachten schenken?“
Sie waren alle ungewöhnlich hungrig und hatten sich sehr auf ihr Frühstück gefreut, und eine Minute lang sprach niemand; aber nur eine Minute; dann rief Jo:
„Wie freut es mich, dass wir noch nicht angefangen hatten!“
„Darf ich helfen, den armen Kindern die Sachen hinzutragen?“ fragte Lieschen eifrig.
„Ich nehme die Sahne und die Milchbrödchen,“ sagte Amy, heldenmüthig entschlossen, gerade das fortzutragen, was sie am liebsten ass.
Margaret deckte die Buchweizenkuchen zu und häufte Brot auf einen grossen Teller.
„Ich dachte wohl, dass ihr’s thun würdet, sagte Frau March zufrieden lächelnd.“ Ihr sollt alle mitgehen und mir helfen, und wenn wir zurückommen, wollen wir Milch und Brot frühstücken; heute Mittag wollen wir uns dann zu entschädigen suchen.“
Sie waren bald fertig, und der Zug setzte sich in Bewegung. Glücklicherweise war es früh am Tage, und da sie durch Nebenstrassen gingen, so wurden sie von wenigen Leuten gesehen, und niemand lachte über die komische Gesellschaft
Es war ein ärmliches, kahles, elendes Zimmer mit zerbrochenen Fensterscheiben, ohne Feuer, mit zerlumpten Betten, wo sie die kranke Mutter mit dem schreienden Säugling und eine Schaar bleicher hungriger Kinder fanden. Letztere waren unter eine alte Decke gekrochen, um sich gegenseitig, warm zu halten. O, wie die grossen Augen die hereintretenden Mädchen anstarrten, und die blauen Lippen sie anlächelten!
„ Ach, mein Gott! es sind gute Engel, die zu uns kommen!“ rief die arme Frau unter Freudenthränen.
„ Komische Engel in Kapuzen und Handschuhen,“ sagte Jo lachend.
Nach wenigen Minuten aber schien es wirklich, als ob gute Geister in dem ärmlichen Zimmer geschäftig gewesen wären. Hannah, die Holz gebracht hatte, machte Feuer an und verstopfte die zerbrochenen Fensterscheiben mit alten Hüten und mit ihrem eigenen Tuche. Frau March gab der Mutter Thee und Hafergrütze und tröstete sie mit dem Versprechen, ihr nach Kräften zu helfen, während sie das kleine Kind mit so zärtlicher Sorgfalt ankleidete, als wäre es ihr eigenes gewesen. Mittlerweile deckten die Mädchen den Tisch, setzten die Kinder um das Kaminfeuer und fütterten sie unter freundlichem Gespräch und Lachen wie eben so viele hungrige Vögel.
„ Die Engelskinder!“ riefen die armen kleinen Dinger, während sie sich’s gut schmecken liessen und ihre rothen Hände vor dem behaglichen Feuer wärmten. ,Engelskinder!‘ waren die Mädchen noch nie genannt worden; aber der Name klang ihnen süss, besonders Jo, für die er am wenigsten zu passen schien. Das war ein glückliches Frühstück, obgleich sie nichts davon bekamen; und als sie fortgingen mit dem Bewusstsein, eine Hungernde Familie gesättigt und getröstet zu haben, da gab es wohl in der ganzen Stadt keine glücklichere Leute als die vier hungrigen kleinen Mädchen, die ihr Frühstück weggegeben hatten und sich am Weihnachtsmorgen mit Milch und Brot begnügten.
„ Ich denke, das heisst „unsern Nächsten lieben wie uns selbst“, und ich freue mich, dass Mama uns dazu Gelegenheit gegeben hat,“ sagte Margaret, als sie und ihre Schwester die Geschenke für die Mutter ordneten, welche hinaufgegangen war, um Kleider für die arme Familie zusammenzusuchen.
Der Weihnachtstisch war kein reichbesetzter, aber eine grosse Schale mit Rosen und andern Blumen verliehen demselben ein ganz festliches Ansehen, und die Liebe, mit welcher die kleinen Gaben dargebracht wurden, gab ihnen ihren inschätzbaren Werth.
„ Da kommt sie! Fang an, Lieschen! Oeffne die Thür, Amy! Mama lebe hoch!“ rief Jo, im Zimmer herumspringend.
Lieschen spielte ihren lustigsten Marsch, Amy riss die Thür auf, während Margaret der Mutter entgegen ging und sie triumphirend an den Ehrenplatz führte. Frau March war sehr überrascht und gerührt und unter Thränen lächelnd, besah sie ihre Geschenke und die denselben angehefteten kleinen Zettel. Die Pantoffeln mussten gleich anprobirt werden; eins der schönen Taschentücher wurde mit Amy’s kölnischem Wasser parfümirt, und die Rose vor die Brust gesteckt. Die seinen Handschuhe dagegen wurden für die nächste passende Gelegenheit bei Seite gelegt.
Und nun gab’s viel zu lachen und zu erklären in jener einfachen, liebevollen Weise, welche solchen Familienfesten einen so grossen Reiz verleihen und noch nach langen Jahren die Erinnerung daran so süss machen.
Die Ereignisse des Morgens hatten soviel Zeit in Anspruch genommen, dass der übrige Theil des Tages unter Vorbereitungen zu den Festlichkeiten des Abends verging. Da sie noch zu jung waren, um oft ins Theater zu gehen, und nicht reich genug, um für ihre kleinen Aufführungen kostspielige Einrichtungen zu machen, so bedurfte es seines geringen Aufwandes von Phantasie, um das Fehlende zu ersetzen. Aber auch hier traf das Sprichwort zu. ,Noth ist die Mutter der Erfindung.‘ Aus Pappe, Gold- und Silberpapier und allerlei andern Kleinigkeiten wurden die prächtigsten Aufzüge zu Stande gebracht, und das grosse Zimmer war es schon gewohnt, das Unterste zu oberst gekehrt zu sehen. Wie oft war es schon der Schauplatz solcher unschuldigen Feste gewesen!
Herren wurden nicht zugelassen, und so konnte Jo nach Herzenslust Männerrollen spielen, wobei es ihr Hauptvergnügen war, in einem Baar ungeheuren Lederstiefeln einher zu stolzieren; sie waren das Geschenk einer Freundin, welche sie sich durch eine Dame verschafft hatte, die einen Schauspieler zu ihren Bekannten zählte. Diese Stiefel, ein altes Rappier und ein geschlitztes Wamms, welches einst von einem Künstler zu einem Gemälde benutzt worden war, waren Jo’s Schätze und kamen bei jeder Gelegenheit zum Vorschein. Da das Theaterpersonal so wenig zahlreich war, so mussten die beiden Hauptpersonen verschiedene Rollen übernehmen, und die Gewandtheit, welche sie im beständigen Wechseln der Costüme und in der Anordnung der Bühne entfalteten, war höchst anerkennenswerth. Es war eine treffliche Uebung für ihr Gedächtniss, ein unschuldiges Vergnügen und füllte manche Stunde aus, die sonst vielleicht auf weniger angenehme Weise und in minder guter Gesellschaft zugebracht worden wäre.
An diesem Weihnachtsabend nun sassen zehn bis zwölf junge Mädchen zusammendrängt auf einem Bette, welches die Zuschauerloge vorstellte. Ein blau und gelb gestreifter Vorhang von Möbelkattun, hinter welchem man viel Rauschen, Flüstern, Hin- und Herlaufen und gelegentlich ein unterdrücktes Sichern hörte, trennte sie von der Bühne. Doch jetzt hörte man schellen; der Vorhang wurde aufgezogen, und das Trauerspiel begann.
Der auf dem Theaterzettel angedeutete ,düstere Wald‘ wurde durch einige Gesträuche in Töpfen, eine grüne Fussdecke und eine Höhle im Hintergrunde dargestellt. Das Dach dieser Höhle bildete ein Kleiderhalter, die Wände, zwei Büreaux; in derselben befand sich ein Ofen in voller Glut, und eine alte Hexe stand über einen schwarzen Kessel gebeugt. Die Bühne war dunkel, was die Glut des Ofens und den aus dem Kessel aufsteigenden wirklichen Dampf um so effectvoller machte. Einen Augenblick liess man die Versammlung ungestört dieses überraschende Schauspiel geniessen, dann trat der Bösewicht Hugo auf, mit klirrendem Säbel, breitkrämpigem ins Gesicht gedrücktem Hut, schwarzem Bart, weitem Mantel und den bekannten grossen Stiefeln. In heftiger Aufregung geht er auf der Bühne auf und nieder, dann giebt er in einem wilden Gesange seinem Hasse gegen Rodrigo und seiner Liebe für Zara Ausdruck und endet mit dem Entschlusse, den Einen zu ermorden und die Andere zu gewinnen. Der rauhe Ton seiner Stimme machte einen tiefen Eindruck, und die Zuhörer benutzten einen Augenblick, wo er Athem schöpfte, um ihren lauten Beifall kund zu geben. Er verbeugte sich mit der Miene eines an die Gunst des Publitzums gewöhnten Künstlers, trat an den Eingang der Höhle und rief in gebieterischen Tone:
„Halloh! mein Schatz, hieher! ich brauche deine Hülfe.“
Auf diesen Ruf trat Margaret als Hexe aus der Höhle. Sie trug ein Kleid aus rothem und schwarzem Stoff, und einen Stab in der Hand. Graues Pferdehaar hing um ihr Gesicht, und ihr Mantel war mit kabbalistischen Zeichen bedeckt. Hugo verlangte einen Zaubertrank, der Zara mit Liebe zu ihm erfüllen sollte, und einen zweiten, um Rodrigo zu vergiften. Hagar versprach beide in einer effectvollen Arie, welche damit begann, dass sie den Geist heraufbeschwor, der ihr den Liebestrank bringen sollte:
Hieher, hieher, luft’ger Geist,
O komm’ aus den himmlischen Auen!
Rosenkind, von Thau gespeist.
Kannst Zaubertränke du brauen?
Bringe doch mit eil’gem Fuss
Den Trank mir, den ich haben muss!
Süss mach’ ihn, stark und wirksam, schnell
Gieb Antwort mir, o Elf, zur Stell’!
Es ertönte eine sanfte Melodie, und aus dem Hintergrunde der Höhle trat eine kleine Gestalt in duftigem weissen Gewande mit glänzenden Flügeln, goldenem Haar und einem Rosenkranze auf dem Haupte. Sie schwang ihren Zauberstab und sang:
„ Hier komm’ ich aus meinem luft’gen Haus,
Weit, weit in dein silbernen Mond.
Nimm hin den Trank,
Nur zögre nicht lang,
Denn schnell ist sein Zauber dahin!“
Der Geist liess eine kleine vergoldete Flasche zu den Füssen der Hexe niederfallen und verschwand. Eine zweite Arie von Hagar beschwor eine neue Erscheinung herauf; — diesmal aber war’s ein hässlicher schwarzer Kobold; unter donnerähnlichem Getöse erschien er, schleuderte, einige unverständliche Worte krächzend, dem Hugo ein schwarzes Fläschchen zu und verschwand mit einem heisern und höhnischen Lachen. Hugo sang seinen Dank, steckte jeden der Zaubertränke in einen seiner Stiefel und entfernte sich. Nun erzählt Hagar dem Publicum, dass Hugo vor Jahren mehrere ihrer Freunde getödtet, dass sie ihn deshalb verflucht hat und, um sich zu rächen, seine Pläne durchkreuzen will. Hierauf fällt der Vorhang, und die Zuhörer ruhen sich aus, essen Confect und bewundern die Schönheiten des Stückes.
Man hörte nun viel Geräusch und Hämmern, ehe der Vorhang wieder aufgezogen wurde, aber bei dem Anblick der neuen prächtigen Decorationen verstummte jedes ungeduldige Murren.
Ein Thurm erhob sich bis unter die Decke; in halber Höhe befand sich ein Fenster, vor dem eine Lampe brannte, und hinter dem weissen Vorhange erschien die liebliche Zara in blauem mit Silber verzierten Gewande, auf Rodrigo wartend. Endlich kam er, seine kastanienbraunen Locken beschattete ein Hut mit wallendem Federbusch, die Schultern deckte ein rother Mantel, er trug eine Guitarre im Arm, und an den Füssen natürlich — die grossen Stiefel. An Fusse des Thurmes niederknieend, sang er in schmelzenden Tönen ein Ständchen; Zara antwortete, und nach einem Wechselgesange willigte sie ein, mit Rodrigo zu entfliehen. Nun aber kam der Haupteffect des ganzen Stückes. Rodrigo wirft Zara das eine Ende einer Strickleiter zu und fordert sie auf, herabzukommen. Diese steigt ängstlich aus dem Fenster, stützt ihre Hand auf Rodrigo’s Schulter und ist im Begriff leicht hinabzuspringen, aber — o weh! ihre Schleppe war am Fenster hängen geblieben, der Thurm wankte, neigte sich auf eine Seite, stürzte und begrub die unglücklichen Liebenden unter seinen Trümmern.
Ein allgemeiner Schrei ertönte, als die grossen Stiefel sich aus den Ruinen erhoben, und man Zara’s Stimme rufen hörte: „Hatte ich’s euch nicht vorher gesagt?“ Mit wunderbarer Geistesgegenwart stürzte Don Pedro, der grausame Vater, hinein, zog die Tochter unter den Ruinen hervor, und nachdem er ihr mit leiser Stimme befohlen, nicht zu lachen und weiter zu spielen, als sei nichts vorgefallen, gebot er dem Rodrigo zornig, aufzustehen und verbannte ihn aus seinem Gebiet. Obgleich durch den Fall des Thurmes augenscheinlich erschüttert, widersetzt sich Rodrigo dem alten Edelmann, und rührt sich nicht von der Stelle. Seine Unerschrockenheit giebt auch Zara Muth. Sie wagt es, ihrem Vater zu trotzen, und dieser befiehlt, sie beide in den tiefsten Kerker des Schlosses zu werfen. Ein kleiner Gefängnisswärter trat mit Ketten herein und führte sie ab, sah aber dabei selbst höchst erschrocken aus und vergass offenbar, die seine Handlung erklärenden Worte zu sprechen oder zu singen.
Der dritte Act beginnt. Die Scene stellt die Schlosshalle vor. Hagar erscheint, um die Liebenden zu befreien und sich an Hugo zu rächen. Als sie ihn kommen hört, verbirgt sie sich und steht nun, wie er die Zaubertränke in zwei Becher mit Wein gietzt und dem schüchternen kleinen Gefängnisswärter gebietet: „Bringe sie den Gefangenen in ihre Zellen und sage ihnen, dass ich augenblicklich kommen werde.“ Der Diener ruft Hugo bei Seite, um ihm eine Mittheilung zu machen, und Hagar benutzt diesen Augenblick, um die beiden Becher gegen zwei unschädliche zu vertauschen. Ferdinando, der Page, trägt sie fort, und Hagar stellt den für Rodrigo bestimmten Giftbecher auf den Tisch. Hugo, von einer langen Arie, die er gesungen, durstig, trinkt den Inhalt des Bechers, stürzt bewusstlos nieder und giebt unter heftigen Qualen seinen Geist auf, nachdem Hagar dem auf einen Augenblick wieder zum Bewusstsein Erwachten in einer grossen Arie offenbart hat, was sie gethan hat.
Dies war eine wirklich ergreifende Scene. Der Held wurde herausgerufen und erschien mit grosser Würde, Hagar an der Hand führend, deren Gesang fast noch mehr als Hugo’s Spiel das Publicum zur grössten Bewunderung hingerissen hatte.
Der vierte Act zeigt den verzweifelnden Rodrigo im Begriff, sich zu tödten, weil man Zara der Untreue beschuldigt. Er zückt eben den Dolch gegen die eigene Brust, als man eine liebliche Stimme unter dem Fenster ertönen hört. Das Lied versichert ihn, dass Zara treu aber in Gefahr ist, und dass er sie retten kann, wenn er will. Es wird ein Schlüssel in den Kerker geworfen, welcher die Thür öffnet. Die unverhoffte Freude giebt ihm Kraft, seine Ketten zu zerreissen, und er stürzt hinaus, um seine Geliebte zu retten.
Der fünfte Act beginnt mit einer stürmischen Scene zwischen Zara und Don Pedro. Er verlangt, sie solle im ein Kloster gehen; sie aber weigert sich standhaft. Vergeblich sucht sie den Vater zu erweichen und ist einer Ohnmacht, nahe, als Rodrigo hereinstürzt und um ihre Hand wirbt. Don Pedro verweigert sie ihm, weil er nicht reich ist. Der Streit wird immer heftiger, und schon ist Rodrigo im Begriff, die völlig erschöpfte Zara fortzutragen, als der schüchterne kleine Diener hereintritt, mit einem Brief und einem Sacke von Hagar, die auf geheimnissvolle Weise verschwunden ist. Der Brief enthält die Mittheilung, dass Hagar dem jungen Paare unermessliche Schätze hinterlässt, dem Don Pedro aber ihren Fluch, falls er nicht einwilligt, die Liebenden glücklich zu machen. Man öffnet den Sack und der Anblick der darin enthaltenen Reichthümer rührt den gestrengen Vater, der nun ohne Murren seine Einwilligung giebt, und während alle Betheiligten einen freudigen Chor anstimmen, fällt der Vorhang, im Augenblick, wo das junge Paar vor Don Pedro niederkniet, um seinen Segen zu empfangen.
Rauschender Beifall folgte; ein lautes Krachen aber machte demselben ein plötzliches Ende. Das Bett, worauf die Zuschauerloge gebaut war, brach zusammen, und ein Theil der begeisterten Zuschauer verschwand. Aber Rodrigo und Don Pedro eilten zur Hülfe herbei, und alle wurden unversehrt unter den Trümmern hervorgezogen, wenn auch einige vor Lachen dem Ersticken nahe. Die Aufregung war kaum vorüber, als Hannah erschien, um die Gesellschaft in Frau March Namen zum Abendessen einzuladen.
Dies Abendessen war selbst für die Schauspieler eine Ueberraschung, und als sie den reichbesetzten Tisch erblickten, sahen sie einander mit Staunen und Entzücken an. Es sah der Mama ähnlich, ihnen eine besondere Freude machen zu wollen; aber etwas so Schönes und Feines war seit den Tagen ihres verlorenen Reichthums unerhört. Zwei Schüsseln Eiscrême, weiss und rosa, Kuchen, Früchte, seine Bonbons, und in der Mitte des Tisches vier grosse Bouquets von Treibhausblumen! Sie konnten sich von ihrem Erstaunen kaum erholen und starrten erst den Tisch und dann ihre Mutter an, welche die ganze Scene höchlich zu ergötzen schien.
„ Haben gütige Feen den Tisch gedeckt?“ fragte Amy.
„Der Weihnachtsmann hat uns die schönen Sachen beschert,“ sagte Lieschen.
„ Die Mutter hat’s gethan,“ rief Margaret mit ihrem süssesten Lächeln, trotz ihres grauen Bartes und der weissen Augenbrauen.
„Die Tante March hat einen guten Einfall gehabt,“ rief Jo, als sei ihr plötzlich ein Licht aufgegangen.
„ Alle auf dem Irrwege,“ sagte Frau March. „Der alte Herr Lorenz hat diese Leckerbissen geschickt.“
„ Der Grossvater des jungen Lorenz? Wie in aller Welt kommt er auf diesen Gedanken! Wir kennen ihn ja gar nicht,“ rief Margaret.
„ Hannah hatte seiner Köchin die Frühstücksgeschichte erzählt, und durch sie scheint er sie erfahren zu haben. Er ist ein sonderbarer alter Herr, aber dies hat ihm gefallen. Er hat meinen Vater gekannt, so dass wir uns nicht ganz fremd sind. Heute Nachmittag nun schickt er mir ein sehr höfliches Billet, in welchem er mich bittet, ihm zu erlauben, dass er seiner freundlichen Gesinnung für meine Kinder Ausdruck gebe, indem er ihnen zu Ehren des Festes einige Bonbons sende. Ich glaubte das nicht ablehnen zu dürfen, und so habt ihr heute Abend ein kleines Festmahl, um euch für euer einfaches Frühstück zu entschädigen.“
„ Auf diesen Einfall hat ihn sein Enkel gebracht, das könnt ihr glauben! Er ist ein prächtiger Junge; ich wollte, wir könnten mit einander näher bekannt werden! Er sieht aus, als ob er’s auch wünschte; aber er ist schüchtern, und Margaret ist so zurückhaltend. Sie will mich nie mit ihm sprechen lassen, wenn wir vorbeigehen;“ sagte Jo, während die Schüsseln und Teller in Bewegung waren, und der Eiscrême unter Ausrufungen der höchsten Befriedigung hinwegzuschmelzen begann.
„Ihr meint die Leute, welche in dem grossen Hause nebenan wohnen, nicht wahr?“ fragte eins der jungen Mädchen. „Meine Mutter kennt den alten Herrn Lorenz, aber sie sagt, er sei stolz und verkehre nicht gern mit seinen Nachbarn. Er hält seinen Enkel fast immer zu Hause, wenn er nicht mit seinem Hauslehrer ausgeht oder reitet, und der arme Bursche muss entsetzlich studiren. Wir luden ihn zu unserer Gesellschaft ein, aber er kam nicht. Mama sagt, er sei ganz nett, obgleich er nie mit uns Mädchen spricht.“
„ Eines Tages lief unsere Katze fort,“ sagte Jo, „und er brachte sie zurück. Wir sprachen über die Hecke von Cricket und andern Dingen, aber als er Margaret sah, ging er fort. Ich muss durchaus seine Bekanntschaft machen, denn es fehlt ihm an Zerstreuung.“