Loreley - Andreas Stichmann - E-Book

Loreley E-Book

Andreas Stichmann

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Beschreibung

Acht Geschichten von Sehnsucht, Zauber und Gefährdung: «ach, all beauty must die / vorbei: loreley.» Menschen vom Rhein. Manche schwingen wilde Reden, andere führen kurze Gespräche über das Suchen und Finden des Glücks. Da ist die Witwe, die noch mal den großen Schritt wagen und ein Motel eröffnen will. Ein Motel, in dem es, ihres Erachtens, ruhig ein wenig anrüchig zugehen darf. Da ist der Journalist, der in Asien Jagd auf einen geheimnisvollen Robbenmann macht. Wie er auf der Suche ist Motte, die Ausreißerin. «Zelte mal allein in der Stadt, in der du immer schon warst.» Das ist seltsam, findet sie, und besingt ihre Heimatstadt Bonn und ein schönes Mädchen von außerhalb, das möglicherweise Anlass geben könnte zu einer Dichtung, zu einem weltberühmten, touristisches Potenzial entfaltenden Heimatgedicht. Wo sie auch sind, wohin sie auch streben, am Ende verorten sie sich hartnäckig am Rhein. Und lassen uns dort das Fantastische im Realismus finden, das Spielerische im Ernst. «Andreas Stichmann ist ein Spezialist für gerade so weit ins Fantastische verrückte Geschichten, dass zwar die Ränder verschwimmen, man das Zentrum aber umso klarer sieht … Das hat Stil und Humor.» Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Seitenzahl: 92

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Andreas Stichmann

Loreley

Erzählungen

 

 

 

Über dieses Buch

Acht Geschichten von Sehnsucht, Zauber und Gefährdung: «ach, all beauty must die / vorbei: loreley»

Menschen vom Rhein. Manche schwingen wilde Reden, andere führen kurze Gespräche über das Suchen und Finden des Glücks. Da ist die Witwe, die noch mal den großen Schritt wagen und ein Motel eröffnen will. Ein Motel, in dem es, ihres Erachtens, ruhig ein wenig anrüchig zugehen darf. Da ist der Journalist, der in Asien Jagd auf einen geheimnisvollen Robbenmann macht. Wie er auf der Suche ist Motte, die Ausreißerin. «Zelte mal alleine in der Stadt, in der du immer schon warst.» Das ist seltsam, findet sie und besingt ihre Heimatstadt Bonn und ein schönes Mädchen von außerhalb, das möglicherweise Anlass geben könnte zu einer Dichtung, zu einem weltberühmten, touristisches Potenzial entfaltenden Heimatgedicht.

Wo sie auch sind, wohin sie auch streben, am Ende verordnen sie sich hartnäckig am Rhein. Und lassen uns dort das Phantastische im Realismus finden, das Spielerische im Ernst.

«Andreas Stichmann ist ein Spezialist für gerade so weit ins Phantastische verrückte Geschichten, dass zwar die Ränder verschwimmen, man das Zentrum aber umso klarer sieht … Das hat Stil und Humor.» Frankfurter Allgemeine Zeitung

Vita

Andreas Stichmann, 1983 in Bonn geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Für den Erzählungsband «Jackie in Silber» (2008) sowie die Romane «Das große Leuchten» (2012) und «Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk» (2017) erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise, unter anderem den Hamburger Förderpreis für Literatur, den Clemens-Brentano-Preis, den Kranichsteiner Literaturförderpreis und den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis. Andreas Stichmann hat zwei Kinder. Er lebt in Berlin, von wo aus er Südostasien und zuletzt Nordkorea bereiste. «Eine Liebe in Pjöngjang» (2022), sein dritter Roman, war unter anderem für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Impressum

Die auf Seite 107 zitierten Zeilen stammen aus Rainer Maria Rilkes Gedichtzyklus Das Stunden-Buch: «Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen» (1899).

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung Alpay Efe

ISBN 978-3-644-02026-9

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für Nina

Heimatgedicht

Steffanie kommt von einem anderen Stern. Auf diesem Stern sind alle hyperaktiv, wunderschön und dünn. Motte denkt das am Morgen, als Steffanie aufwacht im Schlafsack neben ihr. Seit fünf Wochen ist Motte von zu Hause weg, von ihrer ewig streitenden Familie, und wohnt jetzt im Zelt. Steffanie ist seit ein paar Tagen bei ihr und wird vermutlich nicht lange bleiben. Weil eben: wunderschön. Sie sieht nicht mal nach einem Problemkind aus. Und so eine bleibt nicht, da ist sich Motte sicher, so viel Erfahrung hat sie mit ihren fünfzehn Jahren.

«Morgen!», sagt sie und versucht, ihren Mundgeruch nicht in Steffanies Gesicht zu blasen.

«MOIN!»

Wellensittichschnell kratzt sich Steffanie unter den Achseln und setzt auf diese Weise ein Süßsaueraroma frei. Sie redet drauflos, als wollte sie um jeden Preis verhindern, dass Motte etwas Persönliches fragt.

«HEUTE FÄRBEN WIR ALLE WASSER BONNS. OKAY?»

Dazu malt Steffanie mit den Händen Kryptisches in die Luft und lächelt ihr Guten-Morgen-Lächeln. Weil Motte schon daran gewöhnt ist, was Steffanie so redet und wie unverständlich das ist, stellt sie keine Fragen.

Steffanies Augen sind so blau wie die von diesen kitschigen Spielzeugponys, die blaue Glitzersteinchen als Augen haben. Motte hatte mal so eines. Steffanie trägt ein Kleid und zieht Buffalo-Schuhe dazu an. Wenig Punk-Anteile. Ihr Haar hat nach einem Färbeversuch gestern die Farbe des Rheinschlicks Höhe Alter Zoll angenommen. Die verschiedenen Farben der verschiedenen Schlicke der verschiedenen Rheinbuchten kann Motte ihrer fünf Zeltwochen wegen recht genau bestimmen.

 

Wer Punk wird, wählt einen neuen Namen. So weit hat Motte das wohl vermitteln können. Dass es nicht unbedingt Sinn der Sache ist, einen normalen Namen gegen einen normalen Namen zu tauschen, hat Steffanie entweder geflissentlich ignoriert oder tatsächlich nicht begriffen. Bis vor wenigen Tagen hieß sie nämlich Nadine, und als neuen Namen hat sie dann «STEFFANIE» gewählt. Motte findet das inzwischen so stier, dass es irgendwie wieder phantastisch ist. Nicht Loreley, was auch gut gepasst hätte, nicht Blitzkrieg oder so. Nein, Steffanie! Wann hat es das je gegeben?

Motte macht das Zelt von außen zu. Sie sagt: «Hopp-hopp», weil ihr gefällt, wie Steffanie dann hüpft und, obwohl sie sich nicht auskennt, vorangehen will.

Sie gehen durch den Lakritzduft bei den Haribo-Werken ins Bonner Stadttal runter. Das Schnorren am Bahnhof läuft an diesem Tag gut. Motte benutzt ihren Standard-Move: «Entschuldigung, haben Sie Kleingeld? Ich muss meine Eltern anrufen. Die suchen mich.» Jeder Dritte springt darauf an, zumindest, wenn man erst fünfzehn ist, mit einem Fuß in der Telefonzelle steht und hilflos guckt. Bei Steffanie – obwohl sie etwas zu schrill spricht – klappt es auch einmal.

 

Im McDonald’s kauft Motte zwei Kaffee. Weil Steffanie inzwischen verraten hat, dass sie von weiter weg kommt – wahrscheinlich Bochum oder so, es ist ja auch egal –, erzählt Motte von Bonn auf die Weise, wie es eine Fremdenführerin tun würde. Die Kennedybrücke heißt Kennedybrücke, weil da mal Kennedy drübergefahren ist, im offenen Wagen. Bonn-Beuel heißt Bonn-Beuel, weil es die Form einer Beule vorweist. Der Rhein ist zweihundertfünfzig Millionen Jahre alt und wurde durch den Einschlag von Kleinasteroiden aus dem Jupiternebel geformt. Die Loreley, auch wenn die jetzt nicht in Bonn liegt, sondern in Sankt Goarshausen, gab es wirklich, also, es gab ein reales Vorbild für die Dichtung von Brentano, eine Wirtshaustochter, die starb, ohne je etwas von ihrer späteren Bedeutung zu ahnen. Der Friedensplatz hieß früher Adolf-Hitler-Platz. Der wurde nach dem Krieg – Simsalabim! – umbenannt. Aber die Menschen sind natürlich nicht besser geworden. Es sind die gleichen Gesichter wie früher, die Gesichter von allen, sagt Motte. Auch sie beide hätten so ein Gesicht.

«Ich nicht!» – Steffanie interessiert sich nicht für Geschichte. Steffanie, die vielleicht aus besserem Hause ist, ist nicht klug, das hat Motte inzwischen deutlich gemerkt. Steffanie würde auch sicher nicht verstehen, dass Motte seit fünf Wochen so sonderbar über Heimat nachdenken muss. Zelte mal alleine in der Stadt, in der du schon immer warst, würde Motte gerne zu jemandem sagen. Das ist ein komischer Kontakt. Dein Körper besteht plötzlich aus demselben Material wie die Stadt und sogar aus demselben Stoff wie die Zeit! – Aber sinnlos, sinnlos. Motte versucht gar nicht erst, Steffanie damit zu kommen.

Stattdessen sagt sie nur: «Das Wort Rhein kommt von Rinnen beziehungsweise Fließen. Ist das nicht erstaunlich? Ein Fluss, der einfach Fließen heißt?»

Nein, auch dafür zeigt das Mädchen, das möglicherweise Anlass einer Dichtung werden könnte, einer weltberühmten, touristisches Potenzial entfaltenden Dichtung, kein Interesse.

 

Am Kaiserplatz kippt Steffanie einen großen Pott Textilfarbe ins Brunnenwasser. Die Farbe hat sie vom Hanfshop-Jan geschenkt bekommen. Jawohl, sie wolle alle Wasser Bonns färben, wiederholt sie, außer den Rhein natürlich, weil der ja fließe. «Den kann man nicht färben», sagt sie in vollem Ernst.

Und die Buffalos werden ausgezogen und weggeschleudert. Und die Tennissocken zieht sie aus und wirft sie von sich, um ins Wasser zu steigen.

Warum muss körperliche Schönheit bloß so lächerlich anziehend sein?, fragt sich Motte. Sollte ich nicht einfach gehen und sie machen lassen? Wo sie doch kaum mit mir spricht? Sollte ich nicht alleine am Rhein mein Gedicht weiterschreiben?

Barfuß steigt Steffanie ins Wasser und verteilt die Farbe. Es entsteht ein überraschend schönes, in der Sonne leuchtend sich entwölkendes Rosa. Und Steffanies Augen drehen sich vor lauter Einfachheit einen Moment lang im Kreis. Ja, Steffanie schielt ein wenig vor Einfachheit, und diese Einfachheit gerät ins Kreiseln, Steffanies Augen kreiseln, wie es die Flügel der Windmühlen bis vor wenigen Hundert Jahren hier noch überall getan haben mögen. Dazu trifft Steffanies Stimme eine Frequenz, die das Mark in Mottes Knochen berührt.

«STEIG MIT REIN!»

«Nein.»

«TRINK HANFWEIN!»

«Nein, nein.»

Steffanie trinkt, bindet sich ihr schlammblaues Haar zu einer Proll-Palme hoch und setzt sich ins Brunnenwasser, als müssten die Haare trocken bleiben, das Kleid aber nicht. Schon bespritzt sie Passantenhunde. Schon wird deutlich: Sie will heute Ärger haben. Schon ahnt Motte: Das war die letzte zweisame Nacht im Zelt. Vielleicht gut. Vielleicht ein Anlass, das Zeltleben ganz zu beenden. Irgendwann muss Motte ja eh mal wieder, wo auch immer das ist, nach Hause.

Als die anderen kommen, scheint es für einen Moment möglich, Steffanie aus dem Wasser zu holen. Gut wäre es, vor allem für Steffanie, weil: Sie wird von der Polizei gesucht, soweit Motte weiß. Komischerweise kommt das gar nicht so selten vor, dass Leute gesucht werden und trotzdem die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich lenken. Manchmal gibt es dann eine große Solidarität unter den Kaiserplatzleuten.

Aber leider: Momentan sind da nur die Unvernünftigsten. Ein Typ wie Mini-Stark kommt, beispielsweise. Sitzt sofort im Wasser. Arbeitet sich mit krakenhaften Bewegungen, die lustig sein sollen, zur nassen, Unterwäsche zeigenden, betrunkenen Steffanie hin. Und redet davon, dass das mit der Textilfarbe Street Art sei. Und spritzt mit Wasser.

Helmut, der Penner, kommt.

Farhad, der Perser.

Marlene, die Gehbehinderte – die entschließt sich sofort zum Bade.

Röhre, die Röhre.

Alex, der Skin.

Und als Motte schon auf Abstand gegangen ist, weil sie eben keine Lust auf Polizei hat – im Zweifelsfall will sie höchstselbst nach Hause und aus freien Stücken –, kommen Fritte, Mützchen, Riesen-Stark, Janine und Tante Zara. Das sind die Vernünftigeren. Viel vernünftiger als Mottes Familie, beispielsweise. Aber: Heute sind auch sie schon angetrunken. Und sehen die Schöne und die Sonne und finden’s irgendwie gut. Und keine zwanzig Minuten später – Simsalabim! – hält Steffanie eine abgebrochene Weinflasche in der Hand und schreit.

Da ist Motte schon Richtung Hofgarten und sieht nur von Ferne noch zu. Wie die beiden Polizisten, die hier alle schon kennen, heranjoggen. Und Steffanie hat plötzlich ein Passantinnen-Hündchen auf dem Arm und hält dem die halbe Weinflasche an die Kehle. Sie rennt mit Hündchen und Flasche an Motte vorbei Richtung Bahn.

«Die wirft sich vor die Bahn!», ruft jemand.

Aber das passiert nicht, die S-Bahn steht, die Türen gehen zu. Steffanie schiebt ihre Hände zwischen das schwarze Dichtungsgummizeug und klammert sich von außen an die S-Bahn-Tür. Mit den nackten Füßen