Love me, boy - Julia Hauer - E-Book

Love me, boy E-Book

Julia Hauer

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Beschreibung

Schon als Kind musste Gabriella Sanchez lernen, dass das Leben sehr kostbar ist. Deshalb genießt sie jeden Moment in vollen Zügen. Sei es ihr Job in der Forschung, die Zeit mit ihren Lieben oder ihr Singledasein. Als ihre beste Freundin June sie bittet, den Aushilfsjob im Laden ihres gemeinsamen Freundes Logan für ein Jahr zu übernehmen, kann sie nicht Nein sagen. Gabby und Logan sind allerdings beide Hitzköpfe und selten einer Meinung. Ob das gutgehen kann? Die Zusammenarbeit läuft jedoch ganz anders als gedacht. Bald hegen sie Gefühle, die über Freundschaft hinausgehen und sie können sich nicht dagegen wehren, so sehr sie es auch versuchen. Alles scheint perfekt, doch was tun, wenn die Vergangenheit dich wieder einholt und mit deiner Zukunft kollidiert?

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Für Liz.

Miles away or worlds apart, always on my mind, forever in my heart.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Nachwort

KAPITEL 1

»Einen Latte Macchiato mit extra viel Karamellsirup. Nur für dich.«, sagt Meghan fröhlich und stellt den dampfenden Becher neben meinem Teller ab. Einmal in der Woche halten wir an unserer Tradition fest, die wir während unseres Studiums gepflegt haben und starten mit einem gemeinsamen Frühstück in den Tag. Früher bestand es meistens aus einem schnellen Heißgetränk am Kaffeewagen vor der ersten Vorlesung. Jetzt, nach dem Ende unseres Studiums, haben wir es in unsere WG verlegt. Die Uni liegt zwar für uns beide auf dem Weg zur Arbeit, aber das heimische Wohnzimmer erschien uns doch ein wenig gemütlicher.

Das ist leider auch nicht die einzige Veränderung. Früher war unsere Freundin June jedes Mal mit von der Partie, was allerdings so schnell nicht mehr passieren wird. Vor etwas mehr als drei Wochen ist sie, gemeinsam mit ihrem Freund Paxton, nach Australien aufgebrochen und sie fehlt mir jetzt schon so sehr. Eigentlich wollten wir diese Reise gemeinsam machen, ein Jahr Australien, nur sie, ich und jede Menge verrückter Abenteuer. Stattdessen bot man mir meinen Traumjob im Salk Institute an und ich habe zugegriffen. Beim Gedanken daran, den ganzen Tag im Labor zu verbringen, macht mein Herz Freudensprünge. Auch wenn es in unserem Labor etwas muffig ist, liebe ich jede Minute darin. Es macht mich einfach glücklich. Ich höre schon Junes genervtes Stöhnen in meinen Gedanken und muss schmunzeln. In diesem Punkt hätten wir nicht unterschiedlicher sein können. Aber das Erforschen der menschlichen Genetik ist genau das, was ich schon immer machen wollte. Als meine beste Freundin seit Kindertagen wusste sie das und nahm mir daher das Canceln unserer Reise auch nicht ganz so übel, wie befürchtet. Sie hat immerhin auch tollen Ersatz dabei. Naja, toll wäre vielleicht etwas übertrieben. Er ist natürlich nicht so gut wie ich versteht sich, aber würdig genug, mich zu vertreten. Ich hätte im Vorfeld allerdings nicht gedacht, dass mir meine beste Freundin so schlimm fehlen wird. Es ist verrückt, wie sehr man jemanden vermisst, dessen Anwesenheit immer so selbstverständlich war wie Atmen.

»Erde an Gabby. Bitte kommen. Hallohooo? Hörst du mir eigentlich zu?« Meghan schnippt mit ihrem Finger vor meinem Gesicht herum und reißt mich aus meinen Gedanken.

»Ich war gerade ganz wo anders, tut mir leid.«

»Lass mich raten: In Australien?«

Nickend greife ich nach meinem Becher und nehme einen großen Schluck daraus.

Meghan legt einen Arm um meine Schulter und lehnt ihren Kopf an meinen. »Mir fehlt sie auch. Aber wenn diese düstere Stimmung jetzt das ganze Jahr anhält, muss ich leider ausziehen.«

Ich knuffe ihr in die Seite und löse mich aus ihrer Umarmung. »Nur noch ein paar Tage Liebeskummer und dann ist es wieder gut. Versprochen.« Als Beweis, wie ernst es mir ist, halte ich ihr meinen kleinen Finger hin, woraufhin sie sich direkt mit ihrem einhakt.

»Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen.«, lacht sie.

»Oh, sind wir heute wieder sieben Jahre alt?«

Ich habe gar nicht mitbekommen, dass sich Meghans Freund Matt zu uns an den Tisch gesetzt hat. Am Kaffeewagen vor der Uni, an dem er jobbt, hatte es zwischen den beiden gefunkt und seitdem sie offiziell ein Paar sind, sieht man sie gefühlt nur noch im Doppelpack. Das ist fast schon ekelhaft niedlich. Irgendwann wird ihre Geschichte noch verfilmt. Kaffejunkie meets Teilzeit-Barista. Wenn das nicht nach der größten Lovestory aller Zeiten klingt, dann weiß ich es auch nicht.

»Wir sind traurig. Da darf man kindisch sein.«, erklärt sie.

»Na, wenn das so ist, dann habe ich hier etwas für euch, dass eure Laune ganz sicher heben wird.« Lächelnd hält er uns zwei solcher kleinen Schokoladentäfelchen entgegen, die man normalerweise zu seiner Kaffeebestellung dazubekommt. Natürlich reißen wir sie ihm sofort aus den Händen.

»Nichts heilt ein gebrochenes Herz so gut wie Schokolade. Weisheit meiner Großmutter.«

»Recht hat die gute Frau. Und auf seine Granny soll man bekanntlich immer hören. Weisheit der Gabriella Sanchez.«

»Man kann ihr die beste Freundin nehmen, aber nicht ihre Schlagfertigkeit.«, kontert Matt.

»Zu viele Worte am frühen Morgen. Lasst uns frühstücken.« Meghan hält mir eine vollgepackte Tüte entgegen. Ich atme den herrlichen Duft von frischen Brötchen ein und seufze, bevor ich hinein und nach einem mit Kürbiskernen greife.

»Das sind die besten! Ich hoffe für deinen Freund, es hat sein ekelhaftes Kümmelbrötchen nicht berührt und damit kontaminiert.«

Matt verzieht leidend das Gesicht, als er in die Tüte blickt. »Sie hat mir gar keins mitgebracht. Wie kannst du nur?«

»Es gab heute Morgen keine. Sorry.«

»Vielleicht haben sie die mit Kümmel aus dem Sortiment gestrichen, weil sie gemerkt haben, dass keiner außer dir sie mag.«

»Okay, ihr habt es geschafft. Ich bin jetzt offiziell auch traurig.«

Meghan und ich schauen uns fragend an, bevor wir dann beide laut losprusten. »Mein armer, armer Schatz.«, grinst sie und legt ihm den Arm um die Schulter.

»Spart euch euer gespieltes Mitleid.« Matt greift nach dem Teller Pancakes, die Meghan vorhin gezaubert hat und wirft uns vernichtende Blicke zu. An seiner zuckenden Lippe erkennt man allerdings, dass er sich zusammenreißen muss, ernst zu bleiben.

»Wie sieht eure weitere Tagesplanung aus?«, frage ich, während ich mein Brötchen mit Butter bestreiche.

»Hmmm… Ich muss nach der Arbeit noch kurz zu meinem Dad ins Büro. Wieso?«

»Wenn wir mehr als Licht im Kühlschrank haben möchten, muss sich einer erbarmen und einkaufen gehen. Ich muss heute allerdings vom Institut aus direkt zum Pier, meine erste Schicht in Logans Laden antreten. Betet für mich, dass er in den drei Wochen nicht all die Arbeit von June zunichtegemacht hat und wieder das Chaos regiert. Mit Einkauf sieht es dann aber eher schlecht bei mir aus.«

»Kein Problem. Ich springe noch in den Supermarkt und kaufe für die nächsten Tage ein.«

»Meghan, du bist die Beste. Am Wochenende können wir dann gemeinsam einen Großeinkauf machen. Ist das okay?«

»Samstag sind wir bei meiner Schwester zum Essen eingeladen.«, erinnert Matt sie. Meghan nickt nur und schlägt dann vor, morgens zusammen zum Markt zu fahren.

»Super. Dann machen wir das so.« Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und nehme mein Handy zur Hand. Schnell speichere ich den Termin im Kalender ein und wieder schweifen meine Gedanken zu June. Früher hätte ich niemals die Kalenderapp verwendet, aber seit sie Meghan und mich genötigt hat, unsere Kalender mit ihrem zu verknüpfen, ist die App mein treuster Begleiter geworden, den ich nicht mehr missen wollte.

»Ich gehe schnell duschen und dann können wir los, Babe.« Mit diesen Worten springt Meghan vom Tisch auf und verschwindet in Richtung Badezimmer. Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass sie überhaupt etwas gegessen hat. Allgemein habe ich das Gefühl, dass sie in letzter Zeit viel zu wenig isst. Von Luft und Liebe wird man scheinbar doch satt.

Matt schaut ihr hinterher, bis die Tür im Schloss eingerastet ist und dreht sich dann mit erwartungsvollem Blick zu mir um. Er macht mir nur ein bisschen Angst. »Reicht es vielleicht, wenn wir heute nur schnell das Nötigste kaufen gehen?«

Fragend ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe und lege den Kopf schief.

»Ich hätte da nämlich noch einen Anschlag auf dich vor.«

Das sind genau die Sätze, die niemand mag. Dennoch siegt meine Neugierde. Anscheinend soll Meghan dieses Gespräch auch nicht mitbekommen. Sonst würde er sich wohl auch nicht ständig umdrehen und über seine Schulter schauen, um zu überprüfen, ob die Badezimmertür wirklich geschlossen ist, während er spricht. »Dann schieß los, Babe.«, grinse ich, bevor er sich noch eine Nackenzerrung zuzieht.

Er ignoriert meine Stichelei. »Könntest du heute Abend vielleicht erst etwas später nach Hause kommen?«

»Was hast du vor, Matt?« Ich flüstere es fast, weil er es geschafft hat, mich mit seiner Paranoia anzustecken. Als ich jedoch das Brausen des Wassers höre, bin ich beruhigt.

»Heute vor einem Jahr sind Meghan und ich uns zum ersten Mal begegnet. Ich habe einen romantischen Abend geplant, von dem sie natürlich nichts ahnt. Du weißt schon, das volle Programm. Für sie kochen, ein wenig Zweisamkeit und ihr dann endlich meine Liebe gestehen.«

»Unfassbar, dass du dich an so ein Datum erinnerst.«, lache ich. »Und lass mich raten. Dieses große Ereignis willst du nur ungern mit dem fünften Rad am Wagen verbringen?«

»Du weißt, dass ich dich sehr gerne habe. Aber ja, deine Anwesenheit wäre etwas seltsam.«

»Glaub mir, ich bin auch nicht sonderlich scharf auf wildes Geknutsche, an dem ich nicht beteiligt bin.«

Matt verzieht das Gesicht und verkneift sich sichtlich einen Kommentar. »Ich wollte es eigentlich bei mir machen, aber mein grandioser Mitbewohner weigert sich wehement, mir die Wohnung zu überlassen und…«

»Schon gut, schon gut. Hol Luft, Amor. Natürlich kannst du unsere Wohnung dafür missbrauchen. Ich kriege mich schon irgendwie beschäftigt. Gabby ist doch ein großes Mädchen.«

»Wirklich?«

»Ja, wirklich. Mach dir da mal keinen Kopf. Das ist allemal besser, als Zeuge eurer Liebesbekundungen zu werden. Wenn du weißt, was ich meine.« Gespielt angeekelt rümpfe ich die Nase. »Nur für’s Protokoll. Ich dachte eigentlich, dass ihr über den Punkt schon hinaus seid.«

»Nein, noch nicht. Deshalb soll der Abend einfach schön werden. Nicht perfekt, aber einfach schön. Sie soll sich wohl fühlen, bevor ich sie mit den drei magischen Worten überrumpele.«

»Für mich sind die drei magischen Worte übrigens Chili Cheese Fries. Aber das muss ja jeder für sich selbst entscheiden.«, grinse ich.

»Du bekommst eine ganze Ladung davon als Dankeschön.«

»Du bist gut zu meiner Freundin und du liebst sie. Das reicht mir völlig.« Ich schenke ihm ein aufrichtiges Lächeln. Es wurde Zeit, dass Meghan mal an einen guten Mann gerät. Sie ist einer der ehrlichsten und nettesten Menschen, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte. Und nach allem, was ich über ihre Eltern weiß, bin ich froh, dass sie so ein Mensch geworden ist und dass sie Teil meines Lebens ist.

»Danke, Gabby.«

»Ach, doch nicht dafür. Aber wenn du jetzt schon für das berühmte Ich liebe dich so einen Aufwand betreibst, bin ich schon sehr auf den Heiratsantrag gespannt. Ich sag’s dir gleich, wenn du mit einer Pferdekutsche ankommst, dann bin ich weg. Und sie auch. Pferde sind unheimlich.«

Matts herzliches Lachen erfüllt den Raum und ich stimme mit ein. »Mit einem Antrag habe ich doch noch ein bisschen Zeit, oder?«

»Oh mein Gott, das hoffe ich doch. Gut Ding braucht Weile, oder wie sagt man?«

»Ich merke es mir einfach für den Tag der Tage und wenn es soweit ist, nehme ich dich ins Planungsteam mit auf.« Er nimmt einen großen Schluck aus seiner Tasse und lässt den Blick wieder Richtung Badezimmer schweifen.

»Oh, ja… Ich kann mir nichts Tolleres vorstellen.«

»Ich will dich nicht in Panik versetzen, Gabby, aber müsst ihr nicht langsam los?«, wechselt er abrupt das Thema.

Der Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass er Recht hat, ich mich schon wieder verquatscht habe und zu spät dran bin. Fluchend beiße ich noch ein letztes Mal in mein Brötchen, springe vom Stuhl auf und renne in mein Zimmer. Mist, Mist, Mist. Ausgerechnet heute darf ich nicht zu spät kommen. Heute ist der Tag der Tage im Institut. Heute werden die Forschungsgelder verteilt und wenn mein Kollege Oliver und ich es nicht schaffen, den Vorstand von unserem Projekt zu überzeugen, werden wir den Rest des Jahres vermutlich wieder nur Blutproben für jeden im Labor analysieren dürfen, statt die Forschung zu betreiben, die uns beiden wirklich am Herzen liegt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn genau diesem Teil des Menschen wollen wir unsere Zeit widmen und mehr darüber herausfinden.

Gerade kommt es mir zugute, dass ich meine Kleider, nachdem ich sie einmal getragen habe, nie in den Schrank zurücklege. Noch eine Eigenschaft, die mir June seit Jahren versucht abzugewöhnen. Ohne Erfolg wie man sieht. Ich schlüpfe rasch in meine Röhrenjeans und tausche das Bandshirt, das ich zum Schlafen getragen habe, gegen ein weißes Basicshirt, das über meinem Stuhl hängt. Auf dem Weg ins Wohnzimmer stecke ich mir fix meinen Pony hoch, damit er mir nicht im Gesicht hängt und kämme mir am Spiegel der Garderobe noch einmal durch meinen Longbob. Das muss reichen. »Ich bin dann mal weg ihr Süßen. Bis später dann.«, rufe ich noch in Richtung Wohnzimmer, bevor ich die Haustür hinter mir zuziehe und zu meinem Auto hechte.

Da der Berufsverkehr um diese Uhrzeit eine absolute Katastrophe ist, schaffe ich es natürlich nicht pünktlich im Labor zu sein. Zu meinem Glück sind die hohen Tiere, die über unser Schicksal entscheiden werden, auch noch nicht zu sehen. Also werfe ich mir meinen Kittel über und widme mich der Arbeit, die auf mich wartet. Die werten Herren sollen ruhig sehen, dass ich ehrgeizig und fleißig bin. Ich mag vielleicht im privaten Bereich nicht immer alles im Griff haben und es mag auch nicht immer alles so laufen, wie ich es gerne hätte, aber in meinem Job gehe ich auf und dafür gebe ich auch alles.

In dem Moment, als ich meinen Schreibtisch erreiche und die gestrigen Unterlagen durchgehe, öffnet sich die Tür erneut und der Leiter unserer Abteilung betritt mit drei Anzugträgern das Labor.

»Feuer frei.«, flüstert mir Oliver ins Ohr und ich atme tief durch, bevor ich sie begrüße.

KAPITEL 2

Das Gespräch mit dem Vorstand lief besser als erwartet. Oliver und ich hatten eine kleine Präsentation vorbereitet, um ihnen ganz genau aufzuzeigen, was wir mit den Fördermitteln vorhaben. Dabei übernahm Oliver den Part am Computer und ich das Reden. Wir sind in den letzten Wochen ein ziemlich gutes Team geworden. Nach knapp einer dreiviertel Stunde verabschiedete sich unser Abteilungsleiter von uns und führte die Vorstandsmitglieder wieder hinaus, mit der Aussage, sich innerhalb der nächsten ein bis zwei Wochen bei uns zu melden. Egal, ob das Ergebnis zu unseren Gunsten ausfallen würde oder nicht. Wir nickten höflich und sobald die Tür ins Schloss gefallen war, fielen wir uns auch schon jubelnd um den Hals, froh es hinter uns gebracht zu haben.

Den Rest des Arbeitstages war ich wie berauscht. Unsere Vorstellung hat so gut funktioniert und sowohl Oliver als auch ich haben ein gutes Gefühl. Das Gespräch hatte meine Laune sogar so weit angehoben, dass ich mich freiwillig bereiterklärte, die Laborschalen zu säubern.

Ich will diese Gelder. Um jeden Preis. Dafür habe ich alles gegeben was ich konnte. Hoffentlich war das genug.

Mittlerweile ist es fast Nachmittag und die Uhr auf meinem Handy sagt mir, dass ich Feierabend habe und erst in einer Stunde bei Logan sein muss.

»Wir sollten zur Feier des Tages etwas trinken gehen.« Oli grinst breit, während er seinen Computer herunterfährt.

»Zu früh feiern bringt Unglück. Wenn wir die Zusage bekommen, bring ich eine Flasche von meinem Lieblingswein mit und wir stoßen an, versprochen.«

»Ich mag, wie du denkst. Das klingt nach einem sehr guten Plan.«

»Ich habe jetzt sowieso keine Zeit mehr. Meine erste Schicht im Surfshop steht gleich an.«

Oliver hebt den Blick von seinen Unterlagen. »Arbeitet dort nicht deine Freundin?«

»Eigentlich schon, ja. Aber das ist auch die Freundin, die nach Down Under geflogen ist. Und ich habe ihr hoch und heilig versprechen müssen, ihre Aufgaben im Büro zu übernehmen, bis sie wieder zurück ist.«

»Und der Chef ist cool?«

Ihm mit wenigen Worten zu erklären, was für ein Typ Mensch Logan ist, ist unmöglich. Logan gehört zu der Sorte, die man einfach erleben muss. »Sagen wir mal so: Logan ist ein liebenswerter Chaot. Aber wenn es um den Shop geht, kann er auch ganz professionell sein. Außer beim Büropart.«

»Also ist er quasi eine männliche Gabby.«

Bei seiner Aussage muss ich laut lachen. »Nur nicht ganz so schillernd, facettenreich und fabelhaft wie ich.« Ich stecke mein Handy in meine Tasche und werfe sie mir über die Schulter.

Oli legt mir seinen Arm um die Taille und schiebt mich in Richtung Tür. »Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass Eigenlob stinkt? Aber wo du Recht hast, meine Liebe. Zu schade, dass ich glücklich vergeben bin. Sonst würde ich deinem Charme bestimmt erliegen.«

»Wie gut, dass du glücklich verheiratet bist. Sonst müsste ich mir Gedanken darüber machen, wie ich dir sanft einen Korb geben kann.«

Er fährt sich theatralisch mit der Hand zur Brust. »Autsch.«

»Ich habe dein armes Herz bis hierher brechen hören. Sorry, Oli. Aber ernsthaft. Es bringt nur Ärger Arbeit und Liebesleben zu vermischen. Don’t fuck the company und so.«

»Dann können wir ja froh sein, dass alles so ist, wie es ist.« Ich nicke ihm grinsend zu.

~

Als ich auf den großen Parkplatz am Pier biege, halte ich nach Logans blondem Wuschelkopf Ausschau. Allerdings hätte ich lange danach suchen können, er war scheinbar beim Frisör und trägt die Haare viel kürzer als sonst. Steht ihm aber mindestens genauso gut.

Auf dem Weg vom Institut zu meinem Wagen habe ich ihm noch schnell eine Nachricht geschickt, dass ich in zwanzig Minuten da sein werde. Er lässt es sich wohl nicht nehmen, am ersten Tag Begrüßungskomitee für mich zu spielen. Aber hey, es gibt durchaus schlimmeres.

»Hey, du.«, rufe ich ihm zu, als ich auf ihn zugehe.

Logan umarmt mich zur Begrüßung. »Selber hey.« Dann reicht er mir eine braune Tüte, auf der verdächtig viele Fettflecken zu sehen sind. »Ich dachte, wenn ich dich mit ein paar Fritten besteche, reißt du mir nicht sofort den Kopf ab, nachdem du das Büro gesehen hast.« Der Blick, den er aufsetzt ist eine Mischung aus gestiefeltem Kater von Shrek und einem kleinen Jungen, der einen Lolli haben möchte.

»Und lass mich raten. Ich soll June bloß nichts davon erzählen, weil du sehr an deinem Leben hängst und Angst vor ihr hast?«

»Auch wenn sie so aussieht, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte… Dieses zierliche, kleine Mädchen kann wirklich sehr angsteinflößend sein.« Sein Grinsen wird breiter, was seine Grübchen zum Vorschein bringt.

»Ich weiß das. Ich bin schließlich mit ihr aufgewachsen. Kleiner Expertentipp: Besser, man stellt lieber gar nicht erst etwas an, was einem im Nachhinein leidtun müsste.«

»Zu spät.«

Seufzend massiere ich mir meine Schläfen. »So schlimm?«

»Schlimmer.«

»Gib mir die Tüte. Ich muss meine Nerven stärken.«

Mit einem Nicken deutet er zu der aschefarbenen Bank, die vor dem Surfshop steht und ich folge ihm kommentarlos. Erst auf den zweiten Blick fällt mir auf, dass sie farblich zu dem Schild darüber passt, auf dem in großen Buchstaben Lowaboards steht. Logan hat seinen Laden nach sich selbst benannt, Logan Walker. Nicht gerade der kreativste Name. Aber was er bei der Namensgebung zu wenig hineingesteckt hat, macht er bei seinen Surfbrettern wieder wett. Ich bin kein Profi was diese Sportart angeht, aber seine Designs sind wirklich wunderschön und einzigartig.

Logan reißt die fettige Verpackung auf und legt sie zwischen uns auf die Sitzfläche. Dann greift er in die Tasche seiner Weste und holt ein Tütchen Ketchup und ein Tütchen Mayonnaise hervor. »Die Aushilfe in Edie‘s Diner wusste nicht, wie du sie magst und Edie hat heute frei.«

Ich nehme ihm die Mayonnaise ab und verteile sie über dem Essen. »Edie hätte es auf jeden Fall gewusst. Zum Mitschreiben: Eigentlich mit Jalapeños und Käse, aber die hier sollten es für heute auch tun.« Genüsslich schiebe ich mir eine Pommes in den Mund und seufze. »Goldenes Glück.«

Logan schüttelt lachend den Kopf und greift dann selbst beherzt zu. Während wir essen, erklärt er mir ein bisschen das Konzept seines Ladens. Ursprünglich hatte er Lowaboards allein eröffnet und alle Arbeiten wie Kundenakquise, Lieferantengesprächen, Fertigung und Buchhaltung selbst übernommen. Zusätzlich zur Herstellung der Bretter, verkauft er auch noch Zubehör wie Wachs, Surf Pads, Ankle-Straps oder verschiedene Arten von Fangleinen. Nach und nach hatte er sich mit seinen ausgefallenen Designs einen Namen in der Gegend gemacht und es kamen immer mehr Anfragen von Leuten, die auch ein Board von ihm wollten. Er musste irgendwann sogar Aufträge absagen, weil er so viele hatte. Dass da auch keine Zeit mehr war, sich um die Bürokratie zu kümmern, muss er gar nicht erst erwähnen.

Nach einigen Monaten zog dann Logans bester Freund aus Kindertagen, Paxton, von New York zurück in die Heimat und fing an, für ihn zu arbeiten. Zusammen konnten sie weitere Aufträge annehmen und abarbeiten. Mehr Aufträge bedeuteten aber auch mehr Papierkram und die Laufkundschaft wurde auch immer mehr. Logan drohte im Chaos zu versinken – okay, dafür braucht er in der Regel nicht einmal andere Menschen, das schafft er auch allein ziemlich gut – und meine liebe Freundin June war der rettende Anker. Sie suchte einen Job und er brauchte Hilfe. Win Win.

Mehrmals die Woche half sie ihm nach den Vorlesungen und zog sogar bei ihm ein. Eine Wohnung brauchte sie nach der Trennung von ihrem verlogenen Exfreund nämlich auch. Sie baute sich ein neues Leben auf und lernte ihre große Liebe kennen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Fakt ist, dass Logan in den nächsten zwölf Monaten weder auf June, noch auf Paxton zurückgreifen kann und dafür mich an der Backe hat. Oder ich ihn, ganz wie man es sieht.

»Und was genau kann ich für dich tun, Boss?«, scherze ich.

»Du, liebste Gabriella, bekommst zuerst einmal die große Führung von deinem neuen Lieblingschef.«

»Sie pokern hoch, Mister. DEN Titel muss man sich erst einmal verdienen.«

»Challenge accepted!« Logan reicht mir seine Hand und zieht mich von der Bank hoch auf die Füße. Ganz gentlemanlike hält er mir die Eingangstür zum Laden auf, was vom Klingeln der Glocke über uns kommentiert wird. »Herzlich willkommen bei Lowaboards. Und willkommen im Team.«

Bei Logans Kreativität und künstlerischem Talent, wundert es niemanden, dass er das Thema Surfen ganz unterschwellig auch in die Gestaltung des Verkaufsraums mit eingebunden hat. Die Wände sind in einem kräftigen Türkisblau gestrichen, was an die Farbe des Ozeans erinnert. Hier und da hat er weiße Wellen hingepinselt und knapp unter der Decke auch ein paar Möwen angedeutet. Die Theke besteht aus dunklem Holz, Mahagoni oder Teak vielleicht und deutet die Form eines Surfboards an. Sowohl an der rechten als an der linken Wand befinden sich weiße Holztüren, wovon eine schätzungsweise zum Büro führt und die andere zur Werkstatt. Gegenüber der Theke lädt eine Sitzecke aus cremefarbenem Leder zum Verweilen ein. Die soll wohl den Strand symbolisieren. Der Tisch dazu ist aus dem gleichen Holz wie die Theke. Es passt einfach alles zusammen. Falls das mit den Surfbrettern irgendwann nichts mehr für Logan ist, würde er wohl auch als Innenarchitekt eine prima Figur machen.

»Wow, Logan. Dein Laden ist toll.«, lobe ich ihn. »Ganz ehrlich, ich habe etwas ganz anderes erwartet.«

Verlegen fährt er sich mit der Hand durch die Haare und schenkt mir ein fast schon schüchternes Lächeln. »Danke. Es war, um ehrlich zu sein, auch einiges an Arbeit notwendig. Du hättest den Schuppen mal vorher sehen sollen.«

»Hier war mal ein Tierarzt drinnen, oder?«, überlege ich laut. »Wenn ich mich nicht arg täusche, haben wir damals meinen Hamster Sir Lancelot hier einschläfern lassen.«

»Dein Hamster hieß Sir Lancelot?« Logan lacht so laut los, dass ich mich erschrocken zu ihm umdrehe.

»Ich war eben ein Riesenfan von König Artus, der Tafelrunde und Merlin. Was ist daran so lustig?« Sein Lachen ist leider so ansteckend, dass ich nicht so ernst bleiben kann, wie ich gerne würde.

»Ich lache nicht über den Namen, sondern über die Tatsache, dass er zu einhundert Prozent zu dir passt.«

Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt ein Kompliment war oder nicht. Aber so ist das mit Logan immer. Man wird ihn nie ganz verstehen, aber genau diese sprunghaften Gedanken machen ihn auch einfach aus. Entweder man mag es oder nicht. Ich mag es.

»Mir war, als hätte mir jemand die große Führung versprochen. Von mir aus könnten wir damit weitermachen, bevor wir morgen noch hier stehen. Vielleicht zeigst du mir erst einmal den Schandfleck, den du Büro nennst?«

Logan nickt in Richtung der rechten Tür. »Lass uns erst kurz in die Werkstatt gehen. Dann kann ich dich noch Graham vorstellen.«

»Graham?«, frage ich verwirrt. Ich kann mich nicht erinnern, den Namen jemals gehört zu haben.

»Na, irgendjemand muss doch auch für Paxton einspringen. Mir sind ja gleich beide Mitarbeiter auf einmal abhandengekommen.« Wenn er Mitleid will, dann ist er bei mir an der falschen Adresse. Immerhin ist mir auch meine beste Freundin verlorengegangen. Logan führt mich in einen großen Raum, in dem mehrere Werkbänke und Geräte stehen. An einer der Bänke steht ein Mann schätzungsweise im Alter meiner Eltern, mit grau melierten Haaren und blauer Latzhose. Er hat uns den Rücken zugewandt und merkt nicht einmal, dass wir die Werkstatt betreten haben, so vertieft ist er in seine Arbeit. Zu seiner Verteidigung muss ich gestehen, dass er große Kopfhörer auf den Ohren hat und mit einer Maschine ein Stück Holz bearbeitet, wenn ich das von weitem richtig erkennen kann, sodass er die Tür auch gar nicht hat hören können. Logan macht sich vorsichtig bemerkbar. Graham nimmt die Kopfhörer ab und dreht sich zu uns rum.

»Hey, ich wollte dich nicht lange stören. Hab hier nur jemanden, den ich dir vorstellen wollte. Graham, das ist Gabriella Sanchez, Junes beste Freundin, von der ich dir erzählt habe.«

»Hallo Gabriella.« Er zieht seinen rechten Handschuh aus und streckt mir seine Hand zur Begrüßung entgegen. Ich reiche ihm meine und er schüttelt sie gut gelaunt. »Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Unser Chef war schon ganz nervös wegen heute.«

»Das liegt vermutlich an seinem schlechten Gewissen. Er hat vorhin bereits angedeutet, dass da einiges an Arbeit auf mich zukommen wird, an der der Gute hier nicht ganz unschuldig ist.«

Graham schmunzelt leise vor sich hin, als ich Logan einen bösen Blick zuwerfe. »Wie ich feststellen muss, hat dich auch diese junge Dame fest im Griff, Logan.«

»Story of my life.«, seufzt er theatralisch und zuckt kopfschüttelnd mit den Schultern.

»Ach, komm. Du wolltest es doch gar nicht anders.« Ich lege den Kopf schief und sehe ihn erwartungsvoll an.

»Alles andere wäre doch auch langweilig. Oder was meinst du dazu, Graham?«

»Ich halte mich da raus. Macht das unter euch aus.« Damit zieht er sich wieder seine Kopfhörer über und überlässt Logan seinem Schicksal.

»Na, dann lass mich dir mal deinen Tanzbereich zeigen.«, schlägt er vor und ich folge ihm zurück in den Verkaufsraum. Wie erwartet führt die linke Tür zu den Büroräumen und der Toilette. Logan öffnet die Tür und betätigt den Lichtschalter. Die Deckenlampe erwacht mit einem leisen Surren zum Leben. »Nach dir.«

Bereits nach wenigen Schritten wird mit schmerzlich bewusst, auf was ich mich hier eingelassen habe. »Logan Walker… Kann es sein, dass du den gesamten Posteingang der letzten vier Wochen blind hineingeworfen hast?«

»Nicht ganz. Ich habe mir zumindest angeschaut, ob es Rechnungen sind, die bezahlt werden müssen. Bei allem anderen habe ich ganz auf deine Hilfe spekuliert.«

»Langsam begreife ich, warum June sich jedes Mal aufs Neue die Frage gestellt hat, wie der Laden überhaupt fast zwei Jahre ohne Unterstützung überlebt hat.« Ich stemme die Hände in die Hüfte und atme tief durch. »Es hilft ja alles nichts… Dann wollen wir mal. Hast du einen Vorschlag, wo ich anfangen soll, Boss?«

»Es macht dir Spaß, mich so zu nennen, oder?«, stellt Logan fest.

»Ein bisschen.«

»Es sei dir gestattet. Wenn du willst, kannst du den Stapel hier durchgehen und schauen, ob wir auf irgendein Schreiben davon reagieren sollten. Das meiste davon sind vermutlich Einladungen zu irgendwelchen Events.«

»An denen du teilnehmen willst oder nicht?«, frage ich ihn.

»Schau sie dir einfach mal an und die, von denen du denkst, dass sie interessant sind, zeigst du mir dann. Okay?«

Ich nicke und murmele ein zustimmendes Okay, während ich bereits nach dem Stapel greife und damit zum Schreibtisch gehe. Ich lasse mich auf den Stuhl fallen, drehe meinen Kopf dann aber nochmal in Logans Richtung. »Wenn du nach den nächsten zwei Stunden kein Lebenszeichen von mir hörst, schick einen Suchtrupp los. Dann bin ich vermutlich von etwas, das in der Unordnung lebt, gefressen oder von den Unterlagen erschlagen worden.«

»Dass ihr beiden immer so übertreiben müsst.«, lacht er und verschwindet noch beim Sprechen aus dem Zimmer.

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen ist, starte ich meine »Chillout« Playlist auf Spotify. Als die ersten Noten von Novo Amor’s Song Haven zu hören sind, erfasst mich diese innere Ruhe, die nur Musik erzeugen kann. Besonders dieses Lied erreicht Teile meiner Seele, die sonst gut weggeschlossen sind. Ich schließe die Augen, strecke mich und lasse die Melodie auf mich wirken. Die nächsten zweieinhalb Stunden knie ich mich in die Arbeit hinein. Ich sortiere die ganze Eingangspost und verteile sie auf drei Stapeln: Events, Anfragen und Kann weg. Danach sichte ich jedes Schreiben der ersten beiden Stapel und suche die heraus, die Logan und seine Kariere meiner Meinung nach weiterbringen. Mittlerweile hat er sich einen Ruf aufgebaut, sodass etliche Firmen in der Szene auf ihn aufmerksam geworden sind. Alle Schreiben, die für mich nicht in Frage kommen, lege ich ebenfalls auf den dritten Stapel. Zum Schluss halte ich vier Event- und sieben Arbeitsanfragen in der Hand. Das ist, denke ich, eine gute Ausbeute für einen Tag. Als ich danach auf mein Handy schaue, ist es schon fast 18:00 Uhr und ich beschließe, dass ich es für heute gut sein lasse.

»Bitteschön.«, sage ich und strecke Logan die Briefe entgegen. »Ich denke, mit denen machst du nichts verkehrt. Besonders die letzte Einladung sieht gut aus. Das ist zwar schon diesen Samstag, aber da solltest du hingehen.«

Er nimmt mir die Umschläge aus der Hand und wirft einen Blick auf die erste Einladung. »Die hier kannst du gleich vergessen. Da gehe ich auf gar keinen Fall hin.«

»Und warum nicht? Ich finde sie klingt gut.«, entgegne ich. Das geht ja schon gut los mit ihm, wenn er gleich gegen meine erste Amtshandlung schießt.

»Weil ich schon einmal bei einem ihrer Events war und mir sicher bin, als reines Frischfleisch eingeladen worden zu sein. Am Ende des Abends hatte ich zwar einen neuen Auftrag, aber dafür auch eine ganze Hand voll Telefonnummern zugesteckt bekommen.«

»Oh, ja, das muss sicher ganz furchtbar gewesen sein, wenn man so heiß begehrt wurde.«, erwidere ich sarkastisch.

»Beim nächsten Event mit Männerüberschuss werfe ich dich gerne ins kalte Wasser.«

»Und ich wette, ich komme mit mehr als einem neuen Auftrag zurück. Im Gegensatz zu dir, weiß ich, meinen weiblichen Charme zu nutzen und bevor du jetzt einen chauvinistischen Spruch loslässt, ich spreche nicht von meinem Aussehen.«

Logan grinst. »Ich wollte nichts in diese Richtung sagen.«

»Sei brav und schau dir die restlichen Einladungen an.«

Er nimmt sich gleich den Umschlag, den ich zum Favoriten auserkoren habe.

»AERIAL HIGH«, liest er leise vor und zieht konzentriert die Augenbrauen zusammen. »New Collection.«

»Sagt dir der Name etwas?«

»Natürlich. Die sind groß in der Szene. Zwei Quereinsteiger aus La Jolla, die sich auf Neoprenanzüge und Bodysuits spezialisiert haben. Wenn ich mich richtig erinnere, waren sie einer der Hauptsponsoren des letzten großen SDS-Turniers.«

»Für uns Normalsterbliche bitte noch einmal so, dass man es versteht. Was bitte ist ein SDS-Turnier?«, frage ich verwirrt.

»Sorry, ich vergesse immer, dass ich es bei dir mit einem Sportnoob zu tun habe. Das ist das San Diego Surf Turnier. Der Name ist so easy, da wärst du auch allein draufgekommen.«

Ich rolle grinsend mit den Augen. »Hätte, hätte, Fahrradkette. Kommt das Event für dich in Frage, oder nicht? Dann würde ich ihnen morgen die Zusage schicken. Ich weiß ja nicht, wie lange die Einladung schon hier rumliegt… Die müssen sich eben auch ein wenig richten.«

»Wäre durchaus eine Überlegung wert. Dann sag ihnen bitte, dass ich plus Eins komme. Sehen und gesehen werden, oder wie heißt es im Business?«

»So ist das nun einmal als Geschäftsmann.«, grinse ich. »Aber meinst du wirklich, dass Graham sich für Red Carpet Events, bei denen es um Klamotten geht, interessiert?«

Logan lacht laut auf. »Allein die Vorstellung ist so paradox. Nie im Leben geht Graham mit mir dahin, egal, was ich ihm dafür zahlen würde. Wie kommst du darauf, dass ich ihn mit dorthin nehmen wollte?«

»Na, plus Eins.«, sage ich schulterzuckend. Irgendwie war das für mich die logischste Erklärung. Soweit, dass er ein Date mit auf das Event nehmen wollte, habe ich ehrlich gesagt gar nicht gedacht. Um meine Unsicherheit zu überspielen, setze ich den selbstbewusstesten Gesichtsausdruck auf, den ich zu bieten habe. »Die Lady, die sich den ganzen Abend mit dir langweilen muss, tut mir jetzt schon leid.«

»Dann darfst du dir jetzt gerne selbst leidtun, weil du mich nämlich dorthin begleiten wirst.«, kontert er.

»Aber…«, stammele ich, doch er unterbricht mich sofort.

»Na, na, na, bevor du jetzt weiter nach einer Ausrede suchst. Arbeiten musst du nicht, weil es ein Samstag ist. Also bist du wohl oder übel an dem Tag mein Plus Eins. Das sage ich als dein Chef, nicht als dein Freund. Aber als dein Freund appelliere ich wahlweise an dein schlechtes Gewissen, dass ich armer Logan sonst ganz allein dorthin gehen muss oder an deinen Drang zum Feiern, weil sie für die Veranstaltung einen Club gemietet haben. Und dort gibt es mit Sicherheit kostenlose Getränke, die den Abend erträglicher machen.«

»Eins muss man dir lassen, Walker. Du weißt es, zu verhandeln.«

»Ist das ein Ja?«, fragt er schmunzelnd.

»Aber nur, wenn du fährst.«

»Wenn es sonst nichts ist. Kein Problem.« Sein Grinsen reicht vom einen bis zum andern Ohr. »Dann würde ich sagen, wir haben ein Date.«

»Moooment. Wir haben sicher alles, aber KEIN Date!«

Sein Grinsen wird noch breiter. »Ach, Gabs. Es ist mir immer wieder eine Freude, dich auf die Palme zu bringen.« Dann boxt er mir spielerisch auf den Oberarm und ich zwinge mich, nicht auch zu grinsen. »Und jetzt guck, dass du nach Hause kommst. Genug gearbeitet für heute.«

»Würde ich ja, aber es wurde mir verboten.«

»Was wurde dir verboten?«, fragt er.

»Nach der Arbeit nach Hause zu kommen.«

Der Ausdruck in Logans Gesicht wird immer verwirrter. »Wieso um alles in der Welt verbietet man dir, in deine eigene Wohnung zu gehen? Hast du etwas angestellt?«

Ich seufze leise aus, bevor ich beginne, ihm die ganze Geschichte von heute Morgen zu erzählen. Er nickt zwischendurch immer mal wieder und man kann ihm richtig ansehen, dass die Rädchen in seinem Kopf rattern.

»Dann sollten wir zwei Hübschen heute Abend etwas zusammen unternehmen.«, ruft er wie aus der Pistole geschossen, nachdem ich beim Ende der Story angekommen bin.

»Es ist Mittwochabend. Groß was unternehmen ist da nicht.«

»Ohje, da hat jetzt aber die alte Frau aus dir gesprochen, Gabby.«, lacht er.

»So meinte ich das doch gar nicht. Mittwochs ist nur einfach nichts los hier.«

»Lass das nur mal meine Sorge sein.« Er macht einen ausladenden Schritt zur Seite und wirft einen Blick auf die Uhr. »Gib mir noch zehn bis fünfzehn Minuten und dann können wir los.«

»Ich sitze draußen auf der Bank, wenn du mich suchst.«

»Alles klar.« Damit dreht er mir den Rücken zu und ich tue es ihm gleich. Ich schnappe mir schnell noch meine Tasche im Büro und mache mich auf den Weg nach draußen. Da ich weiß, dass Logans Zeitangaben nie der Wahrheit entsprechen, wundert es mich kaum, als er erst nach über zwanzig Minuten neben mir steht und mir erwartungsvoll ansieht.

»Können wir?«

Ich werfe, genau wie er vorhin, einen Blick auf die Uhr an der Wand hinter mir und sehe ihn mit schiefgelegtem Kopf an. »Ich war bereits vor zehn Minuten so weit.«

»Ach, du weißt doch, wie es ist.«, feixt er und legt den Arm um meine Schulter. »Easy, Gabs. Jetzt kommt der entspannte Teil des Tages.«

»Auf den habe ich mich schon gefreut, als heute Morgen mein Wecker geklingelt hat.«, gebe ich zu und lache laut auf.

»Na, siehst du. Dann hast du genau den richtigen Mann an deiner Seite. Und ich weiß auch schon, was wir mit dem angebrochenen Abend anstellen. Man folge mir unauffällig.«

KAPITEL 3

Statt zu seinem Wagen zu gehen, läuft Logan in Richtung Strand und ich stolpere unwissend hinter ihm her. Keine zehn Minuten später stehen wir vor dem alten Kino an der Promenade. Seit das Große in der Innenstadt vor ein paar Jahren eröffnet hat, war ich nicht mehr hier. Ich hätte nicht einmal genau sagen können, ob dieses hier überhaupt noch in Betrieb ist. Frühstück bei Tiffany prangt in großen Buchstaben über dem Eingang und ich muss lächeln.

»Die spielen hier die alten Klassiker.«, durchbricht Logan die Stille. »Dachte, das könnte was für dich sein.«

»Auf jeden Fall. Ich hab den Film seit Jahren nicht mehr gesehen. Herzchen und Kitsch sind eigentlich ja nicht mein Lieblingsgenre, aber wie du sagst: Das ist ein Klassiker.« Jetzt bin ich es, die vom einen bis zum andern Ohr grinst.

»Eine Liebesschnulze wäre auch nicht meine erste Wahl gewesen. Ich hatte auf etwas wie Der Pate oder Citizen Kane gehofft, aber Klassiker bleibt Klassiker.«

»Aber Logan, ich befürchte, dass wir leider selbst auf Liebesschnulze heute verzichten müssen, so sehr du das auch sehen wolltest. Die Anzeigentafel da oben ist das einzige, was hier beleuchtet ist. Drinnen sieht es stockdunkel aus. Ich glaube, das Kino ist geschlossen.«

Logan dreht den Kopf nach rechts und seine Mundwinkel wandern nach unten. Er läuft ein paar Schritte in Richtung Eingang und blickt sich suchend um. Dann findet er scheinbar wonach er gesucht hat, verharrt einen Moment und kommt dann wieder zurück zu mir. »Die haben heute Ruhetag.«, stöhnt er genervt.

»Schade.« Ich finde es tatsächlich richtig schade. Nicht, dass ich jetzt so erpicht auf diesen Film gewesen wäre, aber ich weiß, dass ich dieses Kino als Kind geliebt habe und hätte gerne noch einmal dieses Feeling erlebt. »Nächstes Mal haben wir bestimmt mehr Glück.«

»Hmmm…«, grummelt er.

»Jetzt sei nicht grumpy. Die Idee war wirklich super.«, versuche ich Logan aufzumuntern, aber der grummelt nur weiter vor sich hin. Ich lasse mich an der Hauswand entlang auf den Boden sinken, krame mein Handy aus der Tasche und öffne die Google-Suche. Logan sieht mich fragend an, aber ich bedeute ihm mit der Hand, mir einen Moment zu geben. Also lässt er sich neben mich fallen und lehnt den Kopf an die Wand. Nach kurzer Zeit werde ich fündig, springe auf und strecke ihm meine Hand entgegen, um ihm auf die Beine zu helfen. »Komm, steht auf. Ich weiß, was wir jetzt machen.« Ich ernte zwar erst einmal einen skeptischen Blick seinerseits, aber schließlich siegt die Neugierde. Er kommt meiner Aufforderung sofort nach, reicht mir seine Hand und lässt sich von mir auf die Beine ziehen. Seine Hand fühlt sich so weich an, dass ich kurz verwundert bin. Keine Ahnung, was ich mir genau vorgestellt habe, aber irgendwie hatte ich erwartet, dass sie von seiner Arbeit, dem vielen Schleifen und allem Drum und Dran rau und spröde sind. Wie man sich Handwerkerhände eben vorstellt.

Ich lasse seine Hand los und setze mich in Bewegung. »Du musst mir unbedingt verraten, welche Handcreme du benutzt.«

Logan bleibt abrupt stehen. »Bitte was?«

»Was ist daran bitte nicht zu verstehen?«, reagiere ich und halte neben ihm an.

»Ich habe die Frage schon verstanden. Ich war mir nur nicht sicher, ob das eine ernst gemeinte Frage war oder ob du mich gerade nur wieder am Aufziehen bist.«

»Natürlich war das eine ernst gemeinte Frage. Deine Hände sind weicher als meine und du bist ein Mann. Und ein Schreiner noch dazu.«

Sein Blick schwankt von fragend zu belustigt. »Gerade, wenn man glaubt, dass alles easy ist, kommst du mit so einer Frage und wirfst einen völlig aus der Bahn. Du tust nie das, was man erwartet.«

»Und das ist etwas Schlimmes?«, frage ich ihn.

»Absolut nicht.« Er lächelt wieder sein Grübchenlachen, das einfach maximal ansteckend ist. Dann setzt er sich wieder in Bewegung und schließt zu mir auf. »Magst du mir wenigstens einen Tipp geben, wohin wir gehen?«

»Du hast mir eben doch auch nicht verraten, was du mit mir vorhast.«

»Du hast mich ja auch nicht gefragt.«

Okay, damit hat er irgendwie sogar Recht. »Na schön.«, sage ich, hebe den Finger und zeige auf einen leuchtenden Punkt am Horizont.

Logans Augen beginnen zu strahlen und kleine Lachfältchen kräuseln sich um sie herum. »Ich verstehe. Guter Plan.« Den restlichen Weg schweigen wir uns zwar an, aber sein Lächeln bleibt auf seinen Lippen, bis wir vor einem großen, bunt beleuchteten Torbogen stehen. Die Luft ist geschwängert von dem süßen Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln. Überall um uns herum blinken bunte Lampen und Sirenen schrillen laut in die Nacht.

»Du wusstest nicht, dass das Kino noch existiert und ich wusste nicht, dass hier eine Kirmes aufgebaut ist. Ich glaube, wir sind quitt.«

»Japp, sind wir. Worauf hast du Lust?«

»Knutschen in der Geisterbahn.«, antwortet er trocken.

»Ähm… wie sage ich das jetzt höflich, ohne dein Herz zu brechen? Kannst du vergessen.«

»Du hast gefragt, worauf ich Lust habe.« Er zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich unschuldig an.

»Ja. Und ich habe es sogleich bereut.«

Schneller als ich reagieren kann, schnappt Logan sich meine Hand und zerrt mich zum nächstgelegenen Kassenhäuschen zu unserer Rechten. »Zwei Mal, bitte.«, sagt er zum Verkäufer und hebt dabei zwei Finger in die Luft. Dann beugt er sich zu mir nach unten und bringt seinen Mund auf Höhe meines Ohres. »Ich hoffe, du bist schwindelfrei.«

Sein heißer Atem an meinem Ohr bringt mich für einen kurzen Moment aus der Fassung und jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich nicke nur bestätigend, weil er meine Stimme vor lauter Gebimmel und Geschrei um uns herum sowieso nicht verstehen würde. Nachdem die Bahn zum Stehen gekommen ist und alle Gäste ausgestiegen sind, hechtet Logan wie von der Tarantel gestochen los, um uns eine Kabine zu sichern. Wie viel Ehrgeiz er dabei an den Tag legt, bringt mich zum Schmunzeln. Dass er dabei nicht wehrlose Kinder und Rentner aus dem Weg schubst, nur um eine Gondel zu ergattern, ist alles.

»Gabby, hier.«, ruft er und winkt mir enthusiastisch zu. Als ob ich nicht gesehen hätte, wo der Tasmanische Teufel entlang gewütet ist. Damit er endlich Ruhe gibt, hebe ich auch die Hand und signalisiere ihm, dass ich zu ihm hinüberkomme. Er zieht jetzt schon sämtliche Blicke auf sich.

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass du erst zwölf Jahre alt bist.«

Logan zuckt nur mit den Schultern und hält mir seine Hand hin. Ich rolle mit den Augen und klettere in die Kabine. Er nimmt neben mir Platz und schließt den Bügel über uns. Ein leises Klicken signalisiert, dass er eingerastet ist. Vorsichtshalber überprüfe ich das noch einmal und rüttele an der Metallstange, was Logan mit einem leisen Schnauben quittiert.

»Was?«, frage ich ihn und weiß genau, dass ich jetzt mit einer blöden Antwort rechnen muss.

Sein Grinsen wird breiter, aber er schaut mich nicht an. »Nichts.«

»Das Schnauben klang aber nicht nach nichts.«

»Du bringst mich einfach immer zum Lachen, liebste Gabriella. Im einen Moment knallharte Herzensbrecherin, im nächsten hast du Schiss vor einem Karussell.«

»Ich will eben nicht abstürzen.«, rechtfertige ich mich, muss aber selbst über diese Ironie lachen.

Logan legt seinen Arm um mich und zieht mich enger zu sich. »Ich halt dich fest. Genieß einfach die Fahrt.« Und tatsächlich entspanne ich mich gleich. Ob das jetzt an Logans Nähe oder doch an der Tatsache liegt, dass ich den Bügel eigenhändig überprüft habe, sei mal dahingestellt. Der Mitarbeiter kommt an unsere Kabine geschlurft, anders kann man seine schlaffe Gangart nicht bezeichnen und nimmt uns jeweils die Fahrkarte ab. Dann ertönt über uns ein schriller Pfiff und das Gefährt setzt sich in Bewegung. Zuerst drehen wir uns weiter auf dem Boden im Kreis, aber nach ein paar Umdrehungen fängt der hydraulische Arm über uns an zu surren. Er hebt uns langsam in die Höhe, während sich die Gondeln immer schneller drehen. Nach einer halben Minute ist es geschafft und wir fliegen durch die Abenddämmerung.

»Wohooo…«, schreie ich laut und werfe die Arme in die Luft. Jetzt fühle auch ich mich, als ob ich wieder ein Kind wäre. Mein Bauch kribbelt und der Wind weht mir peitschend die Haare durchs Gesicht. Die Aussicht über den Strand und den Ozean, zusammen mit diesen vielen bunten Lichtern um uns herum und unter unseren Füßen ist einfach unglaublich schön.

Logan stimmt in meine Jubelschreie mit ein und auch er grinst vom einen bis zum andern Ohr.

Nach ein paar Minuten ertönt ein weiterer Pfiff und ich spüre, wie die Maschinerie sich wieder in Gang setzt, um uns auf den Boden zurückzubringen. Schade eigentlich. Ich wäre gerne noch eine Weile geflogen. Schneller als gewollt haben wir wieder festen Boden unter unseren Füßen. Das Lächeln allerdings ist wie festgeklebt.

»Riesenrad?«, fragt Logan und ich nicke ihm zu.

»Aber dieses Mal bezahle ich.« Dann ist es Logan der mir zunickt. Wir bahnen uns einen Weg durch die Menschen, die sich auf dem Rummelplatz tummeln und versuchen nicht angerempelt zu werden. Gar nicht so einfach, bei der Masse um uns herum. Vor dem Riesenrad drücke ich Logan meine Tasche in die Hand und steuere das Kartenhäuschen an. Ich schiebe meinen Geldschein unter der Plexiglasscheibe hindurch und die Kassiererin tut es mir mit den beiden Plastikkärtchen gleich.

»Bereit in die Luft zu gehen?«, grinse ich und halte die beiden Karten hoch.

»Meine Persönlichkeit ist viel zu entspannt, um in die Luft zu gehen. Aber ich mache heute eine Ausnahme. Nur für dich, Gabby.«, scherzt Logan, gibt mir meine Tasche wieder zurück und lehnt sich lässig an die Wartemarkierung am Fahrbahnrand.

»Wie überaus freundlich von dir. Was habe ich doch ein Glück.« Als das Rad zum Stehen kommt und die Leute in der untersten Kabine aussteigen, krabbeln wir hinein. »Willst du lieber vorwärts oder rückwärts fahren?«, frage ich und hoffe, dass er nicht rückwärts sagt. Dieser gibt mir jedoch keine Antwort, sondern setzt sich gleich auf die Bank auf der linken Seite. Okay, vorwärts also. Ich lasse mich neben ihn fallen und strecke meine Beine aus.

»Willst du dieses Mal denn gar nicht überprüfen, ob wir sicher sind?«, zieht er mich auf und erntet sowohl einen Tritt ans Scheinbein als auch einen bösen Blick von mir. Letzteren halte ich allerdings nicht lange aus, da sich das Rad in Bewegung setzt und mich das sofort wieder zum Strahlen bringt. Logan hebt seinen Arm und sieht mich mit wackelnden Augenbrauen an. Das sieht so urkomisch aus, dass ich laut losprusten muss. Ich rutsche ein Stück näher und kuschele mich ein bisschen an ihn heran. Da wir dieses Mal nicht in der freien Luft hängen, sondern in einer geschlossenen Kabine sitzen, nehme ich seinen Duft gerade sehr intensiv wahr. Und noch bevor ich mich selbst davon abhalten kann, drehe ich meinen Kopf in Richtung seines Halses und schnuppere unauffällig.

»Du kannst es auch einfach sagen, wenn du die Option mit dem Knutschen jetzt doch in Erwägung ziehst.«

Erschrocken fahre ich hoch. Ich war wohl doch nicht so unauffällig wie gedacht. Aber ich wäre ja nicht Gabby, wenn ich zugeben würde, dass mich seine Anwesenheit, seine Nähe und der Duft seines Aftershaves, oder was auch immer das ist, hier drinnen ein wenig aus dem Konzept bringen. Was tut eine Gabby in einem solchen Fall? Richtig. Sich rausreden.

»Bild dir bloß nichts ein, mein Lieber. Dein Parfum hat mich nur an etwas erinnert.« Okay, das war jetzt nicht gerade die schlagfertigste Antwort aller Zeiten, aber das Erste, was mir so spontan eingefallen ist. Und vermutlich allemal besser als das, was er sich gerade vorgestellt hat. Wir, wildknutschend in dieser Gondel? Wird nicht passieren. Um das nochmal zu verdeutlichen, rutsche ich ein paar Zentimeter von ihm weg und richte meinen Blick aus dem Fenster.

»Schau mal. Von hier aus kann man sogar deinen Laden sehen.«, wechsele ich schnell das Thema.

Logan streckt sich und kneift die Augen zusammen. Dann entdeckt er scheinbar den Shop und lächelt. »Von hier oben sieht das alles so winzig aus.«

»Hmmm…«, stimme ich ihm zu. »Und all deine Sorgen kommen dir irgendwie auch weniger dringlich vor.« Dann schweigen wir eine Weile. Niemand sagt mehr etwas, was diesen Moment dieser Idylle zerstören könnte. Wir genießen einfach den Ausblick auf die langsam am Horizont versinkende Sonne, die sich auf dem Meer spiegelt, bis die Fahrt vorbei ist und wir aussteigen müssen.

Wir kaufen uns keine Fahrkarten mehr, sondern schlendern noch eine ganze Weile über den Festplatz, beobachten die Besucher und Logan versucht sich an einer der Buden daran, ein Kuscheltier für mich zu schießen. Am Ende wird es dann allerdings nur eine rote Trostpreis-Plastikrose, die er mir dennoch ganz feierlich überreicht. Es ist der Gedanke, der zählt, oder?

Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und es wird ein bisschen frisch hier am Meer. Ich reibe mir über meine Arme, die von einer Gänsehaut überzogen sind.

»Ist dir kalt?«, fragt Logan und sieht mich an.

»Hm, ja, ein bisschen.«, antworte ich wahrheitsgemäß.

Wieder legt er einen Arm um meine Schultern und zieht mich an sich. »Na, dann machen wir uns mal auf den Weg zu unseren Autos.«

»Danke.«

Wieder laufen wir schweigend nebeneinander her und genießen einfach nur das Treiben um uns herum. »Schade, dass der Film heute Abend nicht gelaufen ist.«, durchbreche ich irgendwann die Stille.

»Dafür hatten wir doch ein schönes Alternativprogramm. Oder nicht?«

»Ja, schon. Es war echt schön, danke, Logan. Trotzdem habe ich jetzt schon den ganzen Abend Lust, Frühstück bei Tiffany zu sehen.«

Logan sieht auf die Uhr, legt den Kopf schief und überlegt. Dann blitzt etwas in seinen Augen auf. Er bleibt stehen und dreht mich an meinen Schultern zu sich um. »Neuer Vorschlag. Du springst in den Supermarkt und organisierst uns Popcorn und was alles zu einem Abend im Kino dazugehört und ich schaue, dass ich an den Film rankomme. Danach treffen wir uns bei mir in der WG und holen den Kinoabend nach?«

»Klingt sehr gut. Je später ich heute nach Hause komme, desto weniger bekomme ich von den beiden Lovebirds in unserer Wohnung mit. Ich bin dabei.«

Da ich nicht wusste, ob Logan lieber salziges oder süßes Popcorn isst, habe ich einfach beides gekauft. Dazu noch eine Tüte Nachos, einen Käse- und einen Salsadip und jeweils eine Tüte M&M’s und Gummibärchen.

Ich habe gerade die Tüte mit den Einkäufen auf den Beifahrersitz meines Autos geworfen, als die ersten Tropfen des seit Tagen angekündigten Regens auf das Dach prasseln. Das perfekte Wetter für einen Filmabend. Meine Scheibenwischer knirschen, als sie über die Scheibe wischen und bis ich bei Logan angekommen bin, hat sich das Tröpfeln in einen wahren Platzregen verwandelt. Natürlich ist genau in solchen Momenten kein Parkplatz vor der Wohnung zu finden. Also parke ich einige Meter weiter in der Seitenstraße, schnappe mir die braune Papiertüte und sprinte in Richtung des Backsteingebäudes, in dem Logan wohnt.

Schwer atmend hebe ich die Hand, um anzuklopfen, da wird die Tür auch schon so heftig aufgerissen, dass ich zusammenzucke. Mit großen Augen sehe ich Logan an.

»Du hast ja ein prima Wetter mitgebracht, Sonnenschein.«

Ich zucke nur mit den Achseln und drücke ihm die Papiertüte gegen die Brust. Dann schiebe ich mich an ihm vorbei ins Trockene und versuche mir meine nassen Haare aus der Stirn zu streichen. Meine Schuhe streife ich mir an der Garderobe ab, um keine nassen Flecken in der Wohnung zu verteilen. Meine Klamotten sind mindestens genauso durchnässt und innerlich verfluche ich mich dafür, dass ich mich heute Morgen aus reiner Faulheit für das weiße Shirt entschieden habe. Mein BH, der heute Gott sei Dank ausnahmsweise farblich passt, schimmert gänzlich durch mein Oberteil durch.

»Komm doch erstmal rein.«, schlägt Logan ganz ironisch vor. Dann wandert sein Blick meinen Hals abwärts und er schluckt schwer. »Vielleicht sollten wir dich erst einmal aus den nassen Klamotten schälen.« Ich bin mir nicht sicher, ob er sich darüber im Klaren ist, wie das gerade rüberkam, aber er schiebt mich ohne weiteren Kommentar in Richtung Wohnbereich. Dann verschwindet er in seinem Zimmer und kommt kurz darauf mit einem Shirt und einer Jogginghose zurück. Beides streckt er mir entgegen und zeigt in Richtung Badezimmer.

»Ich weiß, wo euer Badezimmer ist. Ich war schon einmal hier, um June zu besuchen. Schon vergessen? Dein Zimmer, Abstellkammer, dann Paxton, June und das letzte hier ist das Badezimmer.« Ich gehe die Räume durch und zeige mit dem Finger auf die jeweiligen Türen.

»Ich bin schon ruhig, Chef.«, brummt er.

»Du kannst dich schon einmal nützlich machen, während ich mich umziehe. Das Popcorn wandert schließlich nicht von allein in die Mikrowelle.« Ich schenke ihm mein schönstes Lächeln. Dann husche ich hastig ins Bad, bevor er mit einem blöden Spruch kontern kann. Ich streife mir das nasse T-Shirt über den Kopf und hänge es über die Heizung. Mit etwas Glück ist der dünne Stoff getrocknet, bis ich nach Hause fahre. Die Jeans rolle ich von meinen Beinen und komme mir dabei nur ein bisschen so vor, als würde ich die Pelle von einer Wurst rollen. Nasse Kleidung ausziehen ist einfach absolut unsexy. Gut, dass mich keiner dabei beobachtet. Mein BH ist zwar auch etwas feucht, aber ich habe keine große Lust, später noch meine Unterwäsche einsammeln zu gehen. Also lasse ich ihn an und werfe mir Logans Shirt über. Sofort steigt mir wieder der typische Logan Duft, eine Mischung aus Blumen und Mann, in die Nase, den ich heute Mittag im Riesenrad schon gerochen habe. Schnell schüttele ich den Kopf und schaue an mir herunter. Auf dem schwarzen Stoff ist