Love me, girl - Julia Hauer - E-Book

Love me, girl E-Book

Julia Hauer

3,0

Beschreibung

Wieso öffnen wir unser Herz für jemanden, wenn es uns doch nur gebrochen wird? Diese Frage stellt sich Juniper Cole, nachdem ihr Leben plötzlich völlig kopfsteht. Genau in diesem Moment kreuzt Paxton ihren Weg. Auch er ist vom Leben gezeichnet und hat mit den Lasten der Vergangenheit zu kämpfen. June spürt eine tiefe Verbundenheit zu ihm, aber sie will nicht noch einmal den gleichen Fehler begehen und hält ihn auf Abstand. Dabei sieht jeder, dass die Luft zwischen ihnen mächtig knistert. Aber wird er sie überzeugen können, die Vergangenheit ruhen zu lassen oder wird sie ihrer gemeinsamen Zukunft im Weg stehen? Eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und Vertrauen. Und am Ende stellt sich die allesentscheidende Frage: Herz oder Verstand?

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Für Marla.

Du wirst immer das Wunder sein, das mein Leben vollständig gemacht hat.

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

EPILOG

NACHWORT

KAPITEL 1

»Juniper!«, schreit Ethan voller Panik und stolpert hinter mir her. Wutentbrannt und mit meinen Tränen kämpfend stürme ich die Treppe hinunter. Ich will nur noch weg. Fort von unserem Zuhause, das wir uns in den letzten Wochen mit so viel Herzblut aufgebaut hatten, fort von dem Bild das sich mir gerade bot und vor allem fort von ihm.

Eine bittere Übelkeit steigt in mir auf. War das wirklich sein Ernst?

»Warte doch mal und lass es mich erklären.«, höre ich ihn hinter mit rufen.

An unserer Haustür bleibe ich abrupt stehen, drehe mich zu ihm um und funkele ihn finster an. »Und was jetzt? Willst du mir etwa erzählen, dass es nicht so ist, wie ich denke?« Keine Antwort abwartend und ihn keines Blickes mehr würdigend, schnappe ich mir meinen Schlüsselbund, der auf dem kleinen Tisch neben der Tür liegt, den ich aus alten Weinkisten zusammengebaut und weiß bepinselt hatte. Für diese Wohnung hatte ich mir echt den Hintern aufgerissen. Es sollte ein gemütliches Zuhause für Ethan und mich werden, in dem wir eines Tages unsere Familie gründen würden. Ich hatte schon immer ein gutes Auge für Details und bin kreativ, aber dieses Mal, hier in unseren eigenen vier Wänden, hatte ich mich echt selbst übertroffen.

Und wie lange wir nach dieser Wohnung suchen mussten… Ethan zuliebe stimmte ich zu, die zweistöckige Penthouse Wohnung in Little Italy zu mieten, die einen atemberaubenden Blick über die Stadt bietet. Die Nachbarn in den anderen beiden Wohnungen des Hauses sind glücklicherweise auch sehr freundlich und die Miete ist bezahlbar. Aber wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns trotz allem in einem ruhigeren Vorort San Diegos umgesehen. Ich war nämlich schon immer eher der naturverbundene Typ. Vielleicht zieht es mich auch wegen meiner Liebe zum Surfen eher in Richtung Strand und Meer, als in diese belebtere Region mit ihren Bars und Restaurants. Und vielleicht studiere ich wegen meiner Naturverbundenheit auch Biologie. Wer weiß.

All diese Wünsche habe ich allerdings für diesen Mann beiseitegeschoben, weil ich seine Bedürfnisse über meine eigenen gestellt habe. Gutgläubig und naiv wie ich war, dachte ich, wir könnten überall glücklich werden, solange wir einfach nur zusammen sind. Damit habe ich wohl gehörig falsch gelegen! Ich hätte einfach meinen Prinzipien treu bleiben sollen. Verlieb dich nicht, dann kann dich auch keiner verletzen.

»Können wir bitte darüber reden?«, fleht er mich an, aber im gleichen Moment lasse ich schon die Haustür hinter mir ins Schloss fallen und ihn somit einfach stehen. Es gibt für mich nichts mehr zu reden. Er weiß genau, wie sehr Mom und ich darunter litten, dass mein Vater uns für eine Jüngere verlassen hatte. Und jetzt tut er es ihm gleich? So etwas ist für mich unverzeihlich. Er hat mir mein Herz aus der Brust gerissen, es auf den Boden geworfen und ist darauf rumgesprungen. Ich dachte immer, das sei nur eine Redensart, aber genauso fühlt es sich gerade für mich an.

»Selbst schuld, wenn du dich auf einen wie ihn einlässt und dich auch noch dazu in ihn verliebst.«, höre ich eine leise Stimme in meinem Kopf, aber ich vertreibe sie so schnell wie sie gekommen ist.

Ethan ist kein Kind von Traurigkeit, war er nie gewesen. Seit ich ihn kenne, ist er ein Frauenmagnet. Groß, blond, breit gebaut und im Anzug, den er für seinen Job als Anwalt täglich trägt, einfach zum Dahinschmelzen. Egal wo wir gemeinsam auftauchen, gibt es immer Frauen, die sich ihm auch in meiner Anwesenheit an den Hals werfen.

Aber trotz allem gab er mir in den letzten zwei Jahren nie das Gefühl, dass ich ihm nicht reichen würde, oder, dass ich mit meinen 22 Jahren – und somit fast acht Jahren Altersunterschied – nicht reif genug für ihn wäre. Im Gegenteil. Wir führen meiner Meinung nach eine Beziehung auf Augenhöhe. Ach nein, führten, Vergangenheitsform. Betrug ist für mich keine Option für zweite Chancen.

Dabei dachte ich wirklich, dass er mich liebt. Auch, wenn er es nie wirklich aussprach, verstand er es doch immer, mir zu zeigen, wie viel er für mich empfand. Würde er das noch immer tun, dann hätte ich ihn nicht gerade mit Brooke Turner, der Bedienung aus dem Restaurant gegenüber, die nicht einmal zwei und zwei zusammenzählen kann, im Bett erwischt. Warum muss es immer diese Art von Frau sein? Das ist ja so ein verdammtes Klischee!

Arschloch! Arschloch! Arschloch!

Als ich die schwere Eingangstür zu unserem Wohnhaus öffne, hole ich tief Luft. Ich atme so tief ein, dass auch die letzte Zelle meiner Lunge mit Sauerstoff gefüllt ist. Am liebsten würde ich meine Wut ganz laut herausschreien. Da ich aber keine Lust auf die verstörten Blicke der Passanten habe, reiße ich mich zusammen und schnaube nur verächtlich.

Wäre das hier ein schlechter Film, dann würde jetzt, sobald ich die Tür und somit mein altes Leben hinter mir schließe, ein riesiger Platzregen einsetzen, der mich bis auf die Unterwäsche durchnässt, nur um die Dramatik dieses Augenblicks noch ein klein wenig mehr zu unterstreichen. Aber Gott sei Dank bleibt mir dieses Szenario dank gutem San Diego Wetter erspart. Wenigstens etwas.

Im Schaufenster des Lokals nebenan betrachte ich mein Spiegelbild. Meine braunen, schulterlangen Haare habe ich zu einem unordentlichen Knoten gebunden, ich mag es nämlich nicht, wenn sie mir im Gesicht hängen. Mochte ich noch nie. Meine Jeansshorts ist an mehreren Stellen gecuttet, darüber trage ich ein lockeres schwarzes Tanktop mit Princess Peach Print und dem Schriftzug This princess saves herself. Oh, it’s so true, girl! Hätte ich mal besser auf Peach gehört. Es ist schon total verwaschen, aber ich kann mich einfach nicht davon trennen.

Auch meine Chucks haben schon einmal bessere Tage gesehen, aber ich finde, die sind einfach erst dann so richtig bequem, wenn sie schon fast auseinanderfallen. Und meine sind mittlerweile verdammt bequem. Als mein Blick allerdings zu meinem Gesicht gleitet, vergeht die gute Laune. Ich sehe so dermaßen durch den Wind aus, wie schon lange nicht mehr. Was soll ich jetzt bitte machen?

Seufzend lehne ich mich an die Hauswand und starre in den abendlichen Himmel. Mein ganzes Hab und Gut, ja wirklich mein ganzes Leben, liegt da oben in dieser verkackten Penthouse Wohnung. Ich kann da beim besten Willen nicht mehr hinein und Ethan will ich in diesem Leben am liebsten auch nie wiedersehen. Wieder kämpfe ich gegen die Tränen an, die sich gerade einen Weg nach draußen bahnen wollen, aber ich schlucke sie runter. Ich würde hier jetzt keinen Heulkrampf kriegen, nein, nein, nein! Kein Mann der Welt hat es verdient, dass ich wegen ihm auf offener Straße weine. Wäre ich jetzt zuhause auf der Couch, dann würde ich vermutlich schon längst wie ein Schlosshund heulen und einen riesen Becher Cookie Dough Eis löffeln.

Mom sagt immer mein Patronus sei ein Waschbär, ganz besonders, wenn ich traurig bin. Nachtaktiv, dunkle Ringe um die Augen, ernähre mich von Müll und würde jeden angreifen, der versucht mir mein Junkfood zu klauen. Haha, sehr lustig, Mom… Aber 5 Punkte für Gryffindor, dass sie tatsächlich weiß, was ein Patronus ist. Sie hat nun mal einen Nerd großgezogen und den musste sie auch verstehen lernen.

»Reiß dich zusammen June!«, ermahne ich mich selbst in Gedanken. Ich blicke auf mein Handy, 17:33 Uhr. Ich frage mich, ob ich es in 27 Minuten von hier nach Ocean Beach schaffe, um mein Surfboard beim alten Sam zu holen. Natürlich habe ich einen eigenen Schlüssel zum Laden, aber der hängt – wie unerwartet – natürlich auch in der Wohnung. An meinem Harry Potter Schlüsselbrett um genau zu sein, Alohomora und so. Also stecke ich mein Handy zurück in meine Tasche und stoße mich von der rauen Wand ab. Das sollte ich schaffen!

Keine zwei Schritte später pralle ich gegen etwas Hartes und stürze auf meinen Hintern. Als ich aufblicke, sehe ich was oder besser gesagt wer mich da gerade umgerannt hat. Das klassische Bild, das sich hier Tag für Tag beobachten lässt. Menschen die es eilig haben, meistens, wie in diesem Fall auch, mit Telefon am Ohr und keinem Sinn für die Mitmenschen um sie herum. Heute habe ich echt das große Los gezogen und scheinbar bei Allem hier gerufen.

»Bleib kurz dran.«, sagt der Typ, bleibt stehen und reicht mir seine Hand, um mir aufzuhelfen.

»Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?«, fauche ich ihn an. Dann stehe ich, seine Hand ignorierend, auf und schiebe mir eine Strähne, die sich aus meiner Frisur gelöst hat, zurück hinters Ohr. Mir immer noch den Staub vom Hintern klopfend, schaue ich in die grünsten Augen, die ich je gesehen habe. Er hebt entschuldigend die Hände und sprintet im selben Moment schon weiter, ohne auch nur noch ein einziges Wort zu sagen. Zumindest nicht zu mir. »Schon gut, schon gut, ich bin gleich da. Behalt die Nerven.«, höre ich ihn ein wenig atemlos in sein Telefon keuchen. Dann ist er um die nächste Ecke verschwunden und ich stehe hier und frage mich ganz ehrlich, ob der Tag heute noch beschissener werden kann. Und meistens wird er das, wenn man schon so fragt. Wenn das heute also nicht der perfekte Tag ist, um seinen Frust in den Wellen abzulassen, dann weiß ich es auch nicht.

KAPITEL 2

Dank des kleinen Zwischenfalls schaffe ich es fast nicht rechtzeitig zu Sam an den Pier. Als ich bei dem kleinen Shop ankomme, dreht er gerade den Schlüssel im Schloss um. Klick… Klack… Das darf doch echt nicht wahr sein. Das Glück ist heute einfach nicht auf meiner Seite.

»Stopp!!«, brülle ich über die letzten 20 Meter hinweg.

Sam fährt mit erschrockenem und gleichzeitig suchendem Blick zu mir herum. »Warum war mir nicht gleich klar, dass du das bist. Erschreck doch einen alten Mann nicht so, June. Mein armes Herz ist nicht mehr das jüngste.«

Schwer atmend komme ich einen Meter vor ihm zum Stehen. Da ich die restlichen Meter wie eine Irre gerannt bin, stütze ich mich keuchend mit den Händen auf meinen Oberschenkeln ab. Jeder, der mal in Turnschuhen auf Sand gelaufen ist, kann sich vorstellen, wie anstrengend es ist, mit ihnen darauf zu rennen. Vermutlich kann ich mir nachher den halben Strand aus den Chucks kippen. »Ich weiß, dass du immer auf Pünktlichkeit pochst, aber ich brauche wirklich ganz dringend mein Board. Jetzt.«

»Du weißt, wie es hier läuft. Ich warte nicht bis ihr alle ausgesurft habt. Deshalb gibt es ja schließlich Öffnungszeiten. Und nur, weil ich dich so lieb habe und Edie sich für dich verbürgt hat, habe ich dir einen eigenen Schlüssel gegeben. Wenn du ihn vergisst, kann ich dir auch nicht helfen.« Er legt den Kopf schief und sieht mich sanft aber bestimmend an, während er seinen Schlüssel in seine Hosentasche gleiten lässt. »Entweder du nimmst deinen, oder du kommst morgen wieder. Denn morgen ist, wie du weißt, auch noch ein Tag, June.« Dann dreht er mir den Rücken zu und läuft in Richtung Pier.

»Ethan hat mich betrogen.«, rufe ich Sam hinterher, als er sich schon einige Schritte von mir entfernt hat. Eigentlich würde ich darüber nur mit meinen beiden besten Freundinnen Meghan und Gabriella reden, aber drastische Zeiten erfordern drastische Maßnahmen. Und Sam hat mir mit seinen über sechzig Jahren Lebenserfahrung schon mehr als einen weisen Ratschlag gegeben. Ganz besonders in Bezug auf die Liebe. Ich habe mir immer geschworen, mich niemals zu verlieben, damit ich niemals so ende wie meine Mom, nachdem mein Vater uns verlassen hat. Und er sagte mir immer, ich solle doch wenigstens versuchen, jemandem mein Herz zu öffnen. Die Quittung dafür habe ich jetzt. Ein gebrochenes Herz und keine Ahnung, wohin ich gerade sonst gehen soll.

Sams Kopf dreht sich wieder zu mir um und ich kann ganz deutlich das Mitleid in seinem Blick erkennen. Wie ich diesen Ausdruck verabscheue… Ich hasse fast nichts mehr auf der Welt, als bemitleidet zu werden. Erst recht nicht, wenn ich in eine Opferrolle gepresst werde und es nicht steuern kann.

»Ach, June.«, flüstert er.

Den Blick habe ich nach der Trennung meiner Eltern so oft gesehen. Von den Nachbarn, den Lehrern in der Schule, ja sogar von den anderen Kindern, oder zumindest von denen, die mich nicht deswegen hänselten. Das arme Kind muss jetzt so ganz ohne Vater aufwachsen. Mein Gott Leute, ich war damals dreizehn, keine drei. Ich war alt genug, um zu wissen, was er getan hatte. Und ich bin seither auch sehr gut ohne ihn klargekommen, weil ich eine verdammt tolle Mom habe, die mir – nachdem es ihr wieder besserging – beigebracht hat, dass man keinen Mann braucht, um als Frau in dieser Welt etwas zu sein oder zu erreichen.

Sam machte wieder ein paar Schritte auf mich zu, immer noch mit diesem mitfühlenden Blick in den Augen, der einen Teil von mir sehr aufwühlt.

»Ich würde dich nicht darum bitten, eine Ausnahme zu machen, wenn es heute nicht ein so verflucht beschissener Tag wäre. Bitte, Sam. Bitte mach nur dieses eine Mal eine Ausnahme.« Ich lege all mein Flehen in meine Worte und versuche, meine Stimme nicht brechen zu lassen.

»Schließ später ab und bring den Schlüssel zu Edie ins Diner. Dann hole ich ihn mir morgen früh bei ihr ab.« Mit den Worten drückt er mir seinen Schlüssel in die Hand und nimmt mich fest in den Arm. »Wenn dieser Typ so etwas mit dir macht, dann hat er dich auch nicht verdient, Kleines. Zweifel deshalb bitte nicht an dir oder an der Liebe. Sie ist da draußen, ich weiß es genau.«

Ich erwidere seine Umarmung, bedanke mich bestimmt zwanzig Mal und verspreche ihm hoch und heilig, dass ich morgen Früh pünktlich hier sein werde und er seinen Entschluss nicht bereuen wird. Er winkt mir zum Abschied über die Schulter, als er sich in Richtung Pier aufmacht.

Beim Öffnen der Ladentür schießt mir direkt der fruchtige und süßliche Duft der verschiedenen Wachspolituren die Sam vorne im Laden unter anderem verkauft in die Nase. Natürlich bin ich nicht die Einzige, die ihr Board hinten im Lager unterstellen darf, aber die Einzige die nichts dafür bezahlen muss. Seit ich Sams Enkelin Mary vor ein paar Jahren das Surfen beigebracht hatte und kein Geld nehmen wollte, erließ er mir die Miete auf Lebzeit, die Mom sonst immer überpünktlich zahlte.

In den Wellen kann ich seit jeher meinen Frust loswerden. Sobald ich meinen Neoprenanzug überstreife und meine Zehen das Wasser berühren, legt sich ein Gefühl von Glückseligkeit über mich und ich finde meinen inneren Frieden. Das klingt vielleicht total esoterisch, was ich eigentlich so gar nicht bin, aber es ist die Wahrheit. Das offene Meer wirkt schon seit ich denken kann außergewöhnlich beruhigend auf mich. Auf der einen Seite ist da der rhythmische Klang der Wellen, die sich am Strand brechen. Auf der anderen Seite die Stille, die sich draußen auf dem Wasser über alles legt.

Surfen ist für mich der Inbegriff von Freiheit.

Ich lasse den Blick durch den Raum gleiten. An der linken Wand steht eine rostrote Schlafcouch, auf der ich schon die ein oder andere Nacht verbracht habe, wenn meine Mom mich in einem ihrer Anfälle vor die Tür setzte oder ich sie einfach nicht ertragen habe. Das kam leider immer mal wieder vor, aber Sam lies mich jedes Mal hier übernachten und brachte mir etwas zu Essen von Edie.

Auf der rechten Seite stehen die Surfbretter in Reih und Glied. Mein Board ist mit Abstand das ausgefallenste hier im Lager, aber das war tatsächlich nicht immer so.

Vor ungefähr zwei Jahren änderte sich das durch einen glücklichen Zufall. Genau wie das Brett vieler anderer Surfer, war meins damals ziemlich schlicht gehalten. Ein tolles Geschenk von Mom, aber ziemlich unspektakulär! Nach sieben Jahren musste dann endlich etwas Anderes her. Ich weiß noch, wie glücklich ich war, als mein erstes selbstverdientes Geld, aus dem Café in dem ich nebenher jobbte, auf dem Konto stand. Zusammen mit meinen übrigen Ersparnissen machte ich mich auf den Weg zum lokalen Fachmarkt, um mir ein neues Surfboard auszusuchen.

Zeig mir dein Board und ich sag dir wer du bist.

Mit diesem Satz im Kopf stand ich im Laden, aber irgendwie hatte mich keins der Bretter auf Anhieb angesprochen. Der Mitarbeiter bot mir an, in ihrem Katalog zu blättern, ob mich vielleicht eins der nicht vorrätigen Modelle reizen würde, aber irgendwie wollte mir so gar keins hundertprozentig gefallen. Völlig geknickt ging es dann wieder nach Hause und die nächsten Stunden habe ich mich und meine Laune selbst nicht ertragen.

Abends im Bett klickte ich mich, wie so ziemlich jeden Abend, durch Instagram, als ich über das Profil eines Surfers aus Ocean Beach stolperte. Seine Bilder waren einfach genial und ich verteilte viele Herzchen unter ihnen. Auf einem der neusten Fotos beugte er sich über eine Werkbank und grinste, scheinbar mitten bei der Arbeit ertappt, frech in die Kamera.

»The future depends on what you do today.« stand darunter und er hatte es mit den Hashtags #newboyintown #lovemyjob und #surfporn versehen.

»Willkommen in Ocean Beach!«, tippte ich, ohne groß darüber nachzudenken, in das Kommentarfeld unter dem Foto und drückte auf Senden. Ich glaube noch keine zehn Sekunden später ploppte eine Benachrichtigung auf meinem Display auf:

lowaboards gefällt deine Nachricht

Wir fingen an ein bisschen hin und her zu schreiben und irgendwie war er mir auf Anhieb sympathisch. Sein Name war Logan Walker, 26 Jahre jung und erst vor ein paar Wochen von Escondido nach Ocean Beach gezogen. Mein Kommentar, dass ein Umzug innerhalb San Diegos nicht als neu in der Stadt zählt, tat er schmunzeln ab. Das Eis zwischen uns war sofort gebrochen. Er erzählte mir, dass er von seiner Werkstatt aus die Surfszene mit Unikaten revolutionieren will.

Mein Instagramname verriet mich sofort als Surfergirl, ohne dass ich es explizit erwähnen musste. Er lautet »makai_june«, was eine Kombination aus dem hawaiianischen Wort für Richtung Meer und meinem Spitznamen ist. Aber sind wir mal ehrlich, wir leben direkt an der Küste. Die Wahrscheinlichkeit hier auf Gleichgesinnte zu treffen ist jetzt nicht so gering.

Logan lud mich ein paar Tage später in sein Atelier ein, um mir seine Arbeiten zu zeigen. Natürlich hielt ich es für eine Anmache, à la Netflix and Chill, aber ich war neugierig.

Nachdem ich ihm von meiner Misere erzählte, bot er mir an, ein Board nach meinen Wünschen herzustellen. Zum Freundschaftspreis verstünde sich. Ich erklärte ihm, was ich mir grob vorgestellt hatte und, dass ich selbst gern das Motiv zeichnen würde. Noch am gleichen Abend setzte ich mich hin und fertigte diverse Zeichnungen an. Diese drapierte ich danach an dem Board über meinem Bett, um zu schauen, was gut zusammenpassen und mich widerspiegeln würde und natürlich auch welche Größe das Motiv haben musste.

Das Endergebnis konnte sich sehen lassen! Wir entschieden uns bei dem Brett für ein Exemplar aus Balsaholz, das wegen seines geringen Gewichts besonders gerne genommen wird. Der Vorschlag kam von Logan und ich hätte dem Profi dabei auch niemals widersprochen. Ich vertraute ihm, was das Board an sich anging, komplett und ließ ihm absolut freie Hand. Und das Vertrauen wurde ja auch mehr als belohnt.

Als Grundfarbe bekam es ein sattes Schwarz verpasst. Nose, Tail und Rail als Kontrast ein strahlendes Weiß. Für den Bottom hatte ich mich für drei meiner Motive entschieden, die ich passend zu meinem Instagramnamen im hawaiianischen Stil gemalt hatte. Irgendwie habe ich ein Faible für Hawaii, aber die Insel ist ja auch als einer der Ursprünge des Surfens bekannt und bis heute ein absolutes Surferparadies. In der Mitte des Brettes ragt ein riesiger, sehr grimmig dreinschauender Tikikopf auf. Über ihm vollendet eine Schildkröte und unter ihm eine Hibiskusblüte das Bild. Die Schildkröte symbolisiert meine Leidenschaft für Meerestiere. Die Blüte steht für Entschlossenheit und Durchhaltevermögen, was beim Surfen zwei wichtige Eigenschaften sind. Den Tiki fand ich einfach nur lustig.

Ich liebe mein Board einfach!

Leider sieht man Logan mittlerweile wegen der vielen Arbeit in der Werkstatt nur noch selten selbst beim Surfen. Aber wenn er sich ein Zeitfenster schaufelt und wir uns treffen, ist er jedes Mal aufs Neue begeistert, was für tolle Teamarbeit wir da abgeliefert haben. Er fotografierte das Brett, bevor ich es das erste Mal nutzen durften, auch mindesten ein Dutzend Mal aus allen Blickwinkeln für sein Portfolio und kassierte von allen Seiten dafür sehr viel Lob. Er hat es sich redlich verdient. Ich mache auch heute noch fleißig Werbung für ihn, online und offline versteht sich.

Ich lasse meine Finger über die glatte Oberfläche meines Surfboards streichen und als Zeichen der Vorfreude fährt ein kleines Kribbeln durch meinen Körper. Er macht sich bereit in die Fluten zu springen und durch die Wellen zu gleiten. Und genau das werde ich jetzt auch machen, um diesen beschissenen Tag aus dem Kopf zu bekommen.

KAPITEL 3

Die Wellen haben mir geholfen, den Kopf frei zu kriegen. Zumindest so frei, wie er nach dem heutigen Mist eben sein kann. Die Bilder aus unserem Schlafzimmer blitzen nach wie vor unkontrolliert vor meinem inneren Auge auf und immer wieder steigen mir die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke, dass ich die letzten zwei Jahre mit diesem untreuen Mann vergeudet habe.

Wann wurden aus den legendären Gentlemen von früher diese Egoisten, für die ihre Bedürfnisse Priorität Nummer Eins darstellen?

Ich war tatsächlich ziemlich glücklich mit meinem Leben gewesen und ich wollte es auch gar nicht anders. Ich hatte keine Verpflichtungen gegenüber einem Partner, keine Verantwortung eine funktionierende Beziehung am Laufen zu erhalten und vor allem kein Herzschmerz. Okay, hier und da hatte ich auch Dates, aber das war eher ein Zeitvertreib, als ein Versuch der Einsamkeit zu entgehen. Einsam war ich eigentlich nie.

Und dann kam Ethan wie ein Tornado in mein Leben gewütet und hat meine Mauern eingerissen. Ich habe Gefühle für ihn zugelassen, obwohl ich so etwas nie wollte. Nie im Leben wollte ich mich schwach und verletzlich machen, aber er war so nett und zuvorkommend. Er hat mir einfach das Gefühl gegeben, dass er mir niemals wehtun wird. Aber Pustekuchen! Selbst die Lieben und Netten bescheißen dich, wie ich heute feststellen musste. Ich krame in meinem Beutel nach meinem Handy. Als ich es endlich finde, wähle ich Gabbys Kontakt aus. Es klingelt.

»Gut, dass du anrufst. Meghan überlegt gerade ernsthaft, ob sie sich eine Schlaghose bestellen soll. Eine Schlaghose, hörst du!! Bitte sag ihr, dass das wirklich eine absolut furchtbare Idee ist.« Gabby ist wieder voll in ihrem Element.

»Aber Herzogin Meghan hat die ständig an!«, höre ich Meghan im Hintergrund rufen.

»Du bist aber nicht Herzogin Meghan, sondern Meghan Hawkins aus San Diego, mein Schatz. Manchmal blau, aber kein blaues Blut. Entiendes?« Man muss die beiden einfach lieben. Und irgendwie geht es mir allein beim Klang ihrer Stimmen schon ein kleines bisschen besser.

»Wo treibt ihr euch rum?«, frage ich sie, bevor ihre Diskussion in die nächste Runde geht.

»Wir sind zuhause und suchen für Meghan ein passendes Outfit für die Geburtstagsfeier ihrer Mutter. Aber wir könnten noch tatkräftige Unterstützung gebrauchen, falls Ethan dich entbehren kann.«

Den Namen aus ihrem Mund zu hören, fühlt sich an, als ob man mir ein Messer, das in meinem Herzen steckt, noch einmal umdrehen würde, weil es beim ersten Stich noch nicht schmerzhaft genug war. Ich schlucke schwer, presse mir ein »Bin unterwegs« raus und lege auf. Nachdem ich mich am Pier kurz abgeduscht habe, schlinge ich meine nassen Haare wieder zu einem Knoten zusammen und mache mich auf den Weg zu den Mädels.

»Was hat das Arschloch gemacht?«, flucht Gabby, als sie die Tür öffnet und mich ansieht.

»Sehe ich echt so scheiße aus?«, frage ich und seufze.

»Meghan, wir brauchen Wein. Jede Menge Wein!«, ruft sie in Richtung Küche. Meghan streckt verwundert den Kopf in den Flur, sieht das Häufchen Elend im Türrahmen stehen und nickt uns bestimmend zu, bevor sie wieder in der Küche verschwindet. Nur wenige Sekunden später erfüllt ein lautes Plopp den Raum. Die beiden verschwenden wie immer keine Zeit.

»Du setzt dich jetzt hier hin und dann erzählst du uns, was los war.«, diktiert Gabby während sie mich in Richtung Couch bugsiert. Ich gebe keine Widerworte und lasse mich neben meiner ältesten Freundin in die weichen Kissen des riesigen Ungetüms, das sich XXL Sofa nennt, fallen.

Gabby habe ich nicht erst beim Studium kennengelernt, so wie Meghan, nein, wir kennen uns seit dem Sandkasten. Und das ist wörtlich zu nehmen. Gabbys Vater stammt aus Mexiko und von ihm hat sie auch den dunklen Teint und die schwarzen Haare geerbt, die sie mittlerweile glatt und als stylischen Longbob trägt. Eines schönen Tages ging ich mit Mom auf den Spielplatz und fragte sie, warum das Mädchen mit den Locken da alleine spielt. Mom sagte daraufhin etwas zu mir, was ich nie vergessen habe. »Vielleicht wartet sie nur auf eine Freundin wie dich.« und gab mir einen kleinen Schubs in Richtung Sandkasten. Ich stapfte los und freundete mich mit dem Mädchen an, das so anders aussah als der Rest der Kinder auf dem Spielplatz. Und diese Freundschaft hält bis heute an. Wir sind mehr als nur Freundinnen, sie ist wie eine Schwester für mich.

Meghan haben wir dann auf der San Diego State University kennengelernt, als sie völlig verwirrt durch die Gänge lief und den Hörsaal für Biochemie suchte. Zu Beginn des Studiums haben wir zu dritt in einer WG in Bay Park gewohnt. Günstige Mieten und günstiges Ambiente, aber wir haben es uns einfach so schön wie möglich gemacht. Als ich dann vor einem halben Jahr mit Ethan zusammengezogen bin, haben sich Gabby und Meghan eine neue Wohnung in Ocean Beach gesucht, worauf ein Teil von mir immer ein bisschen neidisch war. Vielleicht habe ich deshalb so oft wie möglich meine Freizeit bei meinen Freundinnen verbracht, einfach um die Atmosphäre dieses Ortes zu spüren.

Meghan kommt mit drei klirrenden Gläsern zu uns herüber gestapft und macht es sich neben uns auf dem Ohrensessel gemütlich. »So und jetzt schieß los. Fang von vorne an und lass bloß kein Detail aus!«, befiehlt sie mir.

Also beginne ich ihnen von meinem Nachhausekommen zu erzählen, mit der Absicht Ethan zu überraschen.

»Überrascht war er wohl… Nur nicht positiv.«, wirft Gabby ein und ich seufze.

Dann versuche ich ihnen den Anblick von Brookes Rückansicht, nackt auf Ethans Schoß zu beschreiben, was offene Münder, angeekeltes Stöhnen und Würgen, sowie Kopfschütteln bei meinen Freundinnen hervorruft. Ansonsten lassen sie mich im Großen und Ganzen einfach weitererzählen. Sei es von meiner unfreiwilligen Arschbombe vor unserer Haustür, Sams mitleidigem Blick oder meinem Ausflug in die Wellen. Zwischendurch kommt mal ein »Hat er nicht getan.«, »Nicht dein Ernst.« oder ein »Dieser Mistkerl.«, was meiner Meinung nach noch viel zu nett dafür ist und nicht mal im Ansatz das beschreibt, was ich aktuell für ihn empfinde.

»Ich werde ihm seine Eier abreißen und sie den Hunden im Tierheim zum Fraß vorwerfen.«, schreit Gabby und springt so schnell von der Couch auf, dass sie fast ihren Wein auf ihr verteilt.

»Du hast zu viel Game of Thrones gesehen.«, feixt Meghan.

»Damals wusste man eben noch, wie man sich anständig rächen kann.«

Meghan schmunzelt nur über Gabbys Aussage. »Eine anständige Backpfeife hat er sich aber schon verdient. Hast du ihm wenigstens schön eine geklebt?«

Ich schüttele den Kopf. »Um ehrlich zu sein, war ich in dem Moment völlig überfordert von der Situation. Ich war so wütend, am liebsten wäre ich auf die beiden losgegangen, aber was hätte das gebracht?«

»Sie hätten es definitiv verdient.«, rechtfertigt Gabby die Idee.

»Das hätte langfristig gesehen auch nichts geändert.«, kontert Meghan.

Die beiden waren manchmal wie der Engel und der Teufel, die auf meiner Schulter sitzen und mein Denken und Handeln bewerten und kommentieren. Gabby immer mit Feuer unterm Hintern und Meghan die Stimme der Vernunft. Und ich? Ich glaube, ich bin irgendwo dazwischen.

»Ich habe mir meine Tasche geschnappt und bin gegangen. Ethan ist hinter mir hergerannt, aber ich habe ihn gar nicht erst zu Wort kommen lassen. Was hätte er auch sagen sollen, um die Situation zu retten? Egal, was aus seinem Mund gekommen wäre, es hätte nichts gebracht oder geändert.«

Meghan legt mir mitfühlend ihre Hand aufs Bein. »Du bleibst erstmal schön hier, mein Schatz. Zu diesem Arschloch lassen wir dich nicht mehr zurück!«

Gabby nickt zustimmend in meine Richtung, steht dann völlig euphorisch auf, diesmal ohne Beinahe-Weinunfall und verschwindet im Bad. »Du weißt ja, was das für den heutigen Abend heißt, oder?«, ruft sie.

»Dass ich hier schlafen, eine Tonne Chocolate Chip Eiscreme in mich reinstopfen und schnulzige Filme ansehen darf, damit ich mir noch schön selbst leid tun und mich mental zerfleischen kann?«, antworte ich.

»Ja zu Ersterem. Nein zum Rest!«, belächelt sie meinen Vorschlag und wirft mir ein Handtuch entgegen. »Du kannst dir auch morgen noch leidtun und dich in Selbstmitleid suhlen. Jetzt allerdings, mein Schatz, nimmst du eine schöne, lange Dusche und in der Zwischenzeit suchen Meghan und ich was Schickes zum Anziehen für uns drei raus. Wir brezeln uns heute mal so richtig auf und ziehen um die Häuser. Das haben wir ewig nicht mehr gemacht und das wird dir guttun, glaub mir.«

Stöhnend lasse ich mich zurück in die Kissen fallen. »Tu mir das nicht an Gabby, ich bin heute wirklich nicht in der Verfassung, tanzen zu gehen.«

»Ah ah, keine Widerworte. Dein Ego braucht das heute, Bonita.«, sagt sie.

Meghan nickt beipflichtend mit dem Kopf und grinst mir zu. So viel zum Thema Stimme der Vernunft. Pah!

»Nichts heilt ein gebrochenes Herz schneller, als ein Abend mit Freundinnen und vielleicht dem ein oder anderen Flirt.«, ruft sie und signalisiert mir immer deutlicher, dass ich aus der Nummer nicht mehr rauskommen werde. Wie mir scheint, muss ich mich meinem Schicksal wohl einfach ergeben. Gabby wird heute kein Nein gelten lassen.

Eine Stunde später stehen wir zu dritt vor dem Spiegel im Ankleidezimmer und ich erkenne uns fast nicht wieder. Meghan ist in ein dunkelblaues Neckholderkleid geschlüpft, das ihre blauen Augen total zum Strahlen bringt. Ihre langen blonden Haare hat sie zu einem französischen Zopf gebunden, der ihr über die Schulter hängt.

Gaby trägt wie so oft ihr schwarzes Lederkleid, sie liebt dieses Teil einfach. Ich kann froh sein, dass sie es mir nicht aufs Auge gedrückt hat. Das war mein erster Gedanke, nachdem sie im Schrank verschwunden war und »Für dich habe ich was ganz Tolles, ich liebe es.« rief. Sie kam mit einer schwarzen Paperback Shorts und einem roten, sehr, sehr knappen Body wieder heraus.

»Dazu ein paar schöne Heels und du hast das perfekte Outfit für eine aufregende Nacht.« Dass sie nicht vor Freude in die Hände klatscht oder auf und ab springt, ist alles.

»Ohje, ich weiß nicht Gab. Der Body ist schon ziemlich knapp geschnitten. Und High Heels? Du weißt doch, dass ich eher der Typ Turnschuhe bin. Darin mach ich mich doch mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit zum Vollhorst des Jahres.«, protestiere ich mit dem Wissen, sowieso keine Chance gegen ihren Willen zu haben. In Modefragen versteht Gabby keinen Spaß. Ich meine, sie hat da auch echt ein Auge für, aber der Anblick von mir in High Heels ist für mich wirklich gewöhnungsbedürftig. Normalerweise verlasse ich ohne meine Sneakers nicht das Haus, maximal wechsele ich zu Flip-Flops, wenn es in Richtung Strand geht.

»Zieh es doch einfach mal an und wenn es blöd aussieht, dann suchen wir weiter.« Da ist der Engel auf meiner Schulter wieder.

Trotz aller Bedenken muss ich gestehen, dass Gabby Recht hat. Das Outfit steht mir, ohne anzugeben, ziemlich gut. Der Body schmiegte sich wie eine zweite Haut um meine kurvigen Hüften und die locker sitzende Hose nimmt ein wenig die Strenge aus dem Ganzen. Mir wären darunter zwar ein paar schöne schwarze Chucks lieber, aber auf diese Diskussion wird sich keine der beiden einlassen, also spare ich mir gleich den Atem.

»Ich habe uns ein Uber gerufen. Der Wagen sollte in 15 Minuten da sein.«, ruft Meghan.

»Wenn das nicht nach einem letzten Glas Wein schreit.«, lacht Gabby.

KAPITEL 4

Der Bass vibriert in meiner Brust, als wir uns von der Garderobe den Weg zur Bar bahnen. Gabby ist fast jedes Wochenende hier und mittlerweile mit den meisten Barkeepern und Stammgästen per Du. Ein paar davon gehören mittlerweile zu ihren engsten Freunden. Sie hat mit ihrer fröhlichen und offenen Art auch wirklich ein Talent dafür, neue Menschen kennenzulernen und sich direkt mit ihnen anzufreunden. Ich dagegen bin immer froh, wenn mich die anderen Leute einfach in Ruhe lassen. Ich mag es nicht, angequatscht, geschweige denn angebaggert zu werden. Keine Ahnung, wie ich mit dieser Einstellung jemals ein Date zustande bekommen habe.

Und wenn ich es genau betrachte, haben die Männer auch immer eine Weile darum kämpfen müssen, bis ich einem Date zugestimmt habe. Sei es jetzt ein Essen, ein Kinobesuch oder lediglich einen Tee am Kaffeewagen nach der Vorlesung.

»Da drüben ist Keith.«, ruft Gabby, nimmt meine Hand und zieht mich mit. Meghan schnappt sich meinen Arm und folgt uns.

»Hey, wenn das nicht meine Lieblingsmexikanerin ist.«, ruft er und zieht sie in eine innige Umarmung.

»Halb-Mexikanerin.«, korrigiert sie ihn. »Durch meine Adern fließt zu gleichen Teilen auch amerikanisches Blut.«

»Ladys, ihr kommt genau richtig. Sydney ist gerade los ein paar Shots besorgen. Ich hoffe, ihr habt Durst mitgebracht.« Dann flüstert er Gabby etwas ins Ohr, woraufhin sie mich ansieht und kichert.

»Hey. Was wird da drüben denn getuschelt?«, brülle ich zu ihnen hinüber, aber beide setzen die Unschuldsmiene auf und schütteln mit dem Kopf.

»Nichts.«, ruft Gabby zurück, aber tuschelt weiter mit Keith.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und widme mich Meghan, die nach Sydney und den Shots Ausschau hält. Wie aufs Stichwort taucht er hinter uns auf, sich mit beiden Händen an einem vollgeladenen Tablett festkrallend. Seine blonden Haare trägt er etwas länger als Keith und bändigt sie heute Abend mit einem Bandana, das er sich um die Stirn gebunden hat. Ich würde mein Board darauf verwetten, dass er surft.

»Wer soll das bitte alles trinken?«, frage ich ihn und er nickt nur in unsere Richtung.

»Willst du uns abfüllen?«, richtet Gabby das Wort an Sydney, der als Antwort nur blöd grinst und dafür von ihr die Zunge rausgestreckt bekommt.

Ich lasse meine Finger suchend über die kleinen Gläser kreisen, als ob das etwas an meiner Wahl ändern würde. Dann schnappe ich mir eins, das bis zum Rand mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt ist und warte, bis sich jeder von den anderen ebenfalls eins genommen hat. Keith gibt noch einen Trinkspruch zum Besten, den ich wegen der lauten Musik kaum verstehe. Dann setzen wir alle unsere Gläser an und trinken. Es schmeckt irgendwie nach Minze, viel süßer als ich erwartet hatte und brennt nur ein klein wenig. Ich hatte definitiv mit etwas Schlimmerem gerechnet!

»Noch ne Runde, Ladys?«, ruft Keith und nachdem wir alle nicken, ist es Sydney der mit einem Kampfschrei loswettert.

Nach der dritten Runde brauche ich eine Pause, immerhin habe ich seit heute Mittag nichts mehr gegessen und trinke einfach zu selten, um mit den anderen mithalten zu können.

Sydney hält mir eine kleine Wasserflasche entgegen. »Für zwischendurch?«

Dankbar lächelnd greife ich danach, drehe den Verschluss auf und nehme einen großen Schluck. »Danke, das war genau das Richtige.«

»Wasser?«, höre ich Gabbys Stimme in meinem Ohr schrillen. »Wir sind hier, um ordentlich auf die Kacke zu hauen und Frust abzulassen. Wasser ist zum Waschen da, das kannst du morgen früh gegen deinen Kater trinken.« Dann reißt sie mir die Flasche aus der Hand und reicht sie an Sydney zurück, der mich mit teils mitleidigem und andererseits belustigtem Blick ansieht.

»Lady, es wird Zeit. Wir gehen jetzt tanzen!« Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, packt Meghan uns beide am Handgelenk und schleift uns mit auf die Tanzfläche.

»Warte. Nicht so schnell. Die Schuhe.«, schreie ich und stolpere hinter ihr her.

Sie drosselt ihr Tempo ein klein wenig und hält nach einem geeigneten Plätzchen auf der Tanzfläche Ausschau. Ziemlich mittig zum DJ Pult findet sie ein leeres Fleckchen und steuert es sofort an. Dann lässt sie unsere Hände los und beginnt, sich zum Takt der Musik zu bewegen. Meghan ist definitiv die passionierteste Tänzerin von uns dreien. Ich liebe es auch, zu tanzen. Man kann den Kopf ausschalten, die Gedanken beiseiteschieben und sich einfach mal fallenlassen. Es macht Spaß, aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich das Surfen immer dem Tanzen vorziehen.

»Du wirst beobachtet. Weißes Poloshirt auf 11 Uhr zieht dich gerade mit seinen Blicken aus.«, flüstert Gabby mir ins Ohr und zeigt unauffällig ans andere Ende der Tanzfläche. Sie macht es wie immer so unauffällig auffallend, dass der Typ, der locker an einem Stehtisch lehnt, mir zuzwinkert und ein Küsschen zuwirft. Würg. Ich tanze zu Gabby hinüber und tausche mindestens genauso unauffällig den Platz mit ihr, damit ich Whity den Rücken zudrehen kann und seiner peinlichen Anmache nicht weiter ausgesetzt bin.

»Der ist doch süß.«, stellt sie mit unschuldigem Blick fest.

»Ich habe mich heute von meinem Freund getrennt. Und selbst wenn der Proll da drüben der letzte Mensch auf Erden wäre, hätte er keine Chance bei mir. Luftküsschen… Ich bitte dich, Gabs.« Ich deute ein Würggeräusch an und Gabby lacht.

Wir bewegen uns weiter zum Takt der Musik. Gerade läuft der Dauerohrwurm von Shawn Mendes und Camila Cabello, Senorita, einer meiner liebsten Songs im letzten Jahr und mit seinen kubanischen Klängen quasi ein Garant dafür, die Leute im Club auf die Tanzfläche zu locken. Für einen kurzen Moment schaffe ich es wirklich, meinen Kopf genau wie heute Nachmittag auf dem Surfboard komplett auszuschalten und lasse meinen Blick über die Menge hinweg schweifen. Heute Abend sind erstaunlich viele Leute hier, definitiv mehr als sonst. Normalerweise würde mich diese Tatsache etwas nervös machen. Ich mag absolut keine Menschenmassen und Events, bei denen man von jeder Seite angetatscht wird oder sich ständig jemand an einem vorbeiquetscht. Besonders auf der Tanzfläche kann so etwas ganz schön nerven und teilweise auch echt eklig sein. Je nachdem, wer sich da an einem vorbeischiebt.

Heute allerdings haben der Wein und die Shots dafür gesorgt, dass ich das Ganze etwas entspannter sehe. Ich will heute Spaß haben und nicht wie Gabby es immer nennt, so verkopft sein. Aber sorry, der Typ da eben ging echt gar nicht.

»Ach, hierhin seid ihr Hühner verschwunden.«, höre ich jemanden sagen. Als ich mich umdrehe, stehen Keith und Sydney neben uns und beobachten Gabbys sexy Tanzeinlage. Das ist genau ihre Musik und da dreht sie das Thermometer gern mal so richtig auf. Dann schnappt sie sich meine Hand, zieht mich ganz eng zu sich und animiert mich, mit ihr zu tanzen. Ich lache laut auf. Und auch hierbei hatte Gabby mal wieder Recht. Es tut so richtig gut, mir all den Frust von der Seele zu tanzen, anstatt wie ein Häufchen Elend daheim auf der Couch zu versauern und einem Typen hinterherzutrauern, der nicht eine einzige meiner Tränen verdient hat.

Als der Song vorbei ist, spielt der DJ einen Track, den ich nicht kenne. Ich lege den Kopf schief und sehe die anderen fragend an. »Ist der neu?«

»Ich glaub, der neue von Katy Perry?!«, ruft Meghan, aber hebt auch fragend die Schultern.

»Der ist gut!«, brülle ich zurück, woraufhin Meghan mir zunickt.

Die Jungs tanzen eine gute Weile mit einem gewissen Abstand mit uns mit und halten uns auch schön potentielle Grabscher vom Hals, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Als die beiden einen kurzen Moment nicht aufpassen, weil sie mit der Frage beschäftigt sind, wer die nächsten Getränke besorgt, wird unser Dreiergespann von zwei dunkelhaarigen Latinos in Beschlag genommen. Der größere der beiden schnappt sich gleich Gabby und wirbelt sie über die Tanzfläche. Sie scheint sich nicht daran zu stören, denn sie lacht laut auf und schmiegt sich beim Zurückwirbeln an seine Brust. Der kleinere Typ ist sich wohl noch nicht ganz sicher, bei wem von uns er sein Glück versuchen soll. Da ich absolut kein Interesse habe, tanze ich weiter mit Meghan, als sich plötzlich von hinten eine Hand auf meine Hüfte legt.

»Entschul…«, will ich mich gerade rausreden, als ich sehe, dass die Hand zu Sydney gehört und er mich nur aus der misslichen Lage befreien will. Sofort wird meine Miene wieder weich und ich nehme mir vor, mich nachher mit einem Bier oder wahlweise auch einem Wasser dafür erkenntlich zu zeigen.

Er dreht mich zu sich um und legt seine andere Hand auf meinen Rücken. Sein Grinsen ist so breit, dass ich selbst schmunzeln muss. Mit meinen Lippen forme ich ein wortloses Dankeschön und schenke ihm ein ehrlich gemeintes Lächeln.

Er nickt nur und wiegt dann seine Hüften im Gleichtakt zu meinen. Und ich muss ihm wirklich ein großes Kompliment machen. Der Junge weiß, wie man sich auf einer Tanzfläche bewegen muss. Für einen kurzen Moment lässt er mich meine Probleme vergessen und wir genießen einfach die Musik und bewegen uns zu ihr.

Nach zwei weiteren Liedern haben die zwei Jungs begriffen, dass von unserer Seite absolut kein Interesse an ihrer Person besteht und haben den Rückzug angetreten. Erleichtert atme ich aus und lasse meinen Blick im Raum umherschweifen, als ich doch tatsächlich ein Seitenprofil an der Bar entdecke, das mir, wenn meine Augen mich nicht arg täuschen, mehr als bekannt vorkommt. Die kantigen Gesichtszüge und der Dreitagebart passen genau zu der Person, die ich an der Bar zu erkennen meine.

»Bleibt ihr hier? Ich brauche was zu trinken, bevor ich dehydriere.«, schreie ich über die Musik hinweg. Als sie mir zunicken, lasse ich die beiden auf der Tanzfläche zurück und stapfe geradewegs in Richtung Bar.

»Hey, du!«, brülle ich über die Musik hinweg, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. »Bist du nicht der Arsch, der mich heute Nachmittag über den Haufen gerannt hat?« Ich pieke ihm mit meinem Zeigefinger mehrmals in die Brust, die erstaunlich fest ist und kaum unter meinem Finger nachgibt. Der Alkohol macht mich mutig.

Er sieht mich verdutzt an, bevor er sichtlich begreift, wer da vor ihm steht und der überraschte Blick einem breiten Lächeln weicht.

»Was ist daran denn bitte so lustig? Ich hätte mir den Hintern brechen können!«

Jetzt schlägt sein Grinsen in ein lautes Lachen um. Ein herzliches Lachen. Ein echtes Lachen. Welches es viel zu selten gibt. »Bei aller Liebe, aber ich glaube nicht, dass sich jemals jemand den Hintern gebrochen hat.«

»Und ich glaube, dass du das gar nicht beurteilen kannst.«

Wieder lacht er.

»Hat dir denn noch niemand gesagt, dass es unhöflich ist, sein Gegenüber auszulachen?«

Er winkt den Barkeeper zu uns herüber. »Lass es mich wiedergutmachen. Ich lade dich ein. Was willst du trinken? Eine Pina Colada oder einen Cosmopolitan vielleicht?«

»Was an mir sagt bitte bunte Schirmchen?«, frage ich augenrollend.

»Naja, ohne deine abgetretenen Chucks und den Holzfällerlook hätte ich dich zwar fast nicht erkannt, aber mit einem Klassiker macht man doch nie was falsch, oder?« Er lässt den Blick an mir hinunter und dann wieder hinaufgleiten.

»Sag nichts gegen meine Chucks, die müssen so sein. Außerdem hat dein Anzug wohl auch schon mal bessere Tage gesehen, also lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster.«

Er gibt, ohne mich weiter zu fragen, beim Barkeeper eine Bestellung auf und grinst triumphierend.

»Ich denke schon, dass ich weiß, was du willst, Sweetheart.«, grinst er süffisant.

Bei der Art, wie er das sagt, beginnt sofort etwas in meinem Bauch zu kribbeln, obwohl ich Kosenamen nicht ausstehen kann. Sein neckischer Blick macht mich nervös, doch ich versuche, mich weiterhin cool zu geben.

»Ach ja, ist das so? Und woher willst du das so genau wissen. Bist du etwa Dr. Love, der Frauenversteher, der jede Frau direkt durchschaut und ihre sehnlichsten Wünsche erahnt?«

Als der Barkeeper kurz darauf mit zwei Flaschen meines Lieblingsbieres zu uns zurückkommt, muss ich mir ein Schmunzeln verkneifen. In einer der beiden Flaschen steckt ein kleines rotes Cocktailschirmchen. Okay, okay, ich gebe zu, die Idee war nicht schlecht. Dieses Mal geht der Punkt an ihn. Damit hat er sich zumindest ein bisschen Respekt verdient, aber das werde ich ihm sicherlich nicht zeigen, geschweige denn aussprechen. Nicht, dass er noch einen weiteren Höhenflug bekommt.

»Vielleicht braucht selbst das einfachste Bier ab und zu einfach mal ein bisschen Farbe in seinem Leben.«, sagt er lächelnd und reicht mir die sichtbar für mich gemünzte Flasche.

»Das war jetzt schon fast poetisch.«, sage ich, ohne auch nur die Miene zu verziehen.

»Immer noch böse?«, fragt er mich und setzt den besten Dackelblick auf, den ich seit langem gesehen habe. Und eigentlich bin ich ihm auch gar nicht mehr böse. Die Schirmaktion war schon ziemlich lustig.

»Ich warte immer noch auf eine Entschuldigung, Mister.«, funkele ich ihn herausfordernd an. Jetzt, ohne Groll, habe ich Lust, mit ihm zu spielen, um herauszufinden, wer von uns das Wortduell gewinnt.

»Soso, tust du das?«, schmunzelt er und ich nicke ihm entschlossen zu. Er steht von seinem Hocker auf und so groß hatte ich ihn wirklich nicht in Erinnerung. Aber ich saß ja auch auf dem Boden und von da unten hat man eine recht bescheidene Sicht. Dann macht er einen Schritt auf mich zu, sinkt vor mir auf die Knie und nimmt meine Hand.

»Ich bitte vielmals um Verzeihung, Lady…« Er legt fragend den Kopf schief.

»June.«, sage ich, als ich verstehe, was er von mir will.

Er nimmt das Schirmchen aus meinem Bier und streckt es mir wie eine rote Blume entgegen. »Lady June. Ich wäre gar außer mir vor Freude, wenn Ihr meine Tat, die durchaus nicht rechtens war, entschuldigen, diese Rose annehmen und dem gemeinsamen Umtrunk dieses wohlschmeckenden Gestensaftes zustimmen würdet.« Jetzt ist er es, der ein Lachen zu unterdrücken versucht. Ich allerdings kann es nicht mehr und pruste los.

»Oh wow, bist du jetzt der Bachelor, oder wie? Möchtest du diese Rose annehmen?« Ich lache so laut, dass sich ein paar Leute an der Bar zu uns umdrehen. »Ja, alles klar, ich nehme deine Rose an, aber bitte…Komm hoch, du hast dich genug zum Affen gemacht. Die Leute starren schon zu uns rüber.«, lache ich, nehme ihm das Schirmchen aus der Hand und klemme es mir hinters Ohr.

»Nur, wenn du meine Entschuldigung wirklich annimmst und aufhörst, mich anzupieken. Die Stelle auf meiner Rippe tut nämlich immer noch weh, Fräulein Eisenfinger.« Demonstrativ streichelt er über besagte Stelle auf seiner Brust. Als ob die Stelle ernsthaft noch schmerzen würde. Was ein Simulant.

»Was wird denn das, wenn‘s fertig ist?«, höre ich eine mir nur allzu bekannte Stimme neben uns. Ich drehe mich um und blicke in Ethans blaue Augen, die vor Zorn funkeln. »Lass gefälligst die Hände von meiner Freundin.«

Ich lache hämisch. »Deine Freundin? Ich höre wohl nicht richtig. Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Jetzt sei doch nicht so stur, June. Lass uns nach Hause fahren und über die Sache reden.« Er streichelt über meine Wange und ich erzittere unter seiner Berührung. Allerdings nicht mehr aus Sehnsucht, sondern aus Wut. Aus blanker Wut. Wahlweise über seinen Fehltritt oder meine Dummheit und Naivität.

»Ich denke, sie kann selbst entscheiden, was sie tut und auch mit wem sie das tut.«, mischt sich mein neu gewonnener Freund ein. Ich signalisiere ihm aber mit einem Kopfschütteln, dass ich alles unter Kontrolle habe.

Ich mache einen Schritt auf Ethan zu und sehe ihm tief in die Augen. Der Alkohol macht mich locker und mutig genug, um zu sagen, was ich zu sagen habe. All das, was ich heute Mittag nicht sagen konnte.

»Du bist ein riesen Arschloch Ethan Brown. Alles, was wir uns in den letzten zwei Jahren so mühsam aufgebaut haben, hast du heute mit Füßen getreten und für immer kaputt gemacht. Ich hoffe, das war dir der Fick wert! Ich hole meine Sachen, sobald ich eine neue Wohnung gefunden habe, ich werde keine Sekunde mehr mit dir unter einem Dach verbringen. Wenn du jemandem die Schuld dafür geben willst, dann kannst du sie dir geben. Vielleicht solltest du mehr mit deinem Hirn, als mit deinem Schwanz denken, dann hättest du diesen Schlamassel jetzt nicht und wir könnten heute Abend wie geplant Infinity War schauen! Und jetzt geh mir aus den Augen, bevor ich brechen muss. Du widerst mich einfach nur noch an!« Ich speie ihm die Worte entgegen und spüre, wie mein Körper sich bei jedem Wort mehr entspannt. Es tut so gut, mir das von der Seele und ihm ins Gesicht zu brüllen. Dann drehe ich mich um und will ihn erneut stehen lassen.

Seine Hand schießt vor und packt grob mein Handgelenk. Ich zucke zusammen, reiße mich los und stolpere in die Arme meines Möchtegern-Bodyguards. Er legt seinen Arm schützend um meine Taille, zieht mich an sich heran und sieht zu mir hinunter.

»Ich halte mich da gerne weiterhin raus, wenn es das ist, was du willst. Aber sag nur einen Ton und ich befördere diesen Idioten auf direktem Weg nach draußen. Ganz wie du willst, es liegt bei dir.«

Je näher Ethan kommt, desto fester schlingt er seinen Arm um mich.

»Lass deine Drecksgriffel bei dir!«, brüllt Ethan, der langsam immer wilder wird.

»Was soll ich unterlassen? Das hier?« Provokant lässt er seine Fingerspitzen über die dünne Haut an meinem Hals gleiten, was einen heißen Schauer durch meinen Körper fahren lässt.

Ethans Augen glühen immer mehr vor Zorn., seine Stimme ist nur noch ein Knurren. »June, benimm dich nicht wie ein sturer Bock. Wir gehen. Jetzt und auf der Stelle. Los.«

»Hast du es seit neustem mit den Ohren? Mit Sicherheit werde ich nicht mit dir nach Hause gehen. Für mich gibt es kein Zuhause mehr. Zumindest nicht das in Little Italy.« Um meine Aussage zu unterstreichen, drücke ich mich noch enger an meinen Beschützer. »Lass einfach gut sein Ethan und geh nach Hause. Du wirst hier heute keinen Erfolg haben.«, sage ich, um die Situation hier hoffentlich endlich zu entschärfen.

Langsam macht mir seine schroffe Art Angst.

Er macht einen weiteren Schritt auf uns zu.

»Die Dame hat nein gesagt. Was daran ist nicht zu verstehen?«

»Das sagt ja der Richtige. Du willst ja scheinbar ebenso wenig verstehen, dass du sie gefälligst nicht anfassen sollst.«, antwortet Ethan. Er ist langsam so rasend vor Wut, dass nur noch der Schaum vorm Mund fehlt und er könnte als tollwütiges Tier durchgehen.

Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen und Ethan vollends fertigzumachen, beugt sich mein Bodyguard zu mir hinunter und presst seine Lippen auf meine. Er schmeckt nach einer Mischung aus Bier und Minze.

Instinktiv schließe ich die Augen und lasse den Kuss zu. Spätestens als er seine Hand in meinem Haar vergräbt und mich noch näher an sich heranzieht, fühlt sich mein Körper an, als stünde er komplett in Flammen. Unwillkürlich muss ich an Katniss denken, das Mädchen, das in Flammen steht, was mir ein Lächeln entlockt.

Der Kuss bringt für Ethan das Fass zum Überlaufen. Er springt auf uns zu und schlägt meinem persönlichen Peeta die Faust mitten in sein Gesicht.

»So langsam gehst du mir echt gehörig auf den Sack.«, antwortet dieser, als er sich wieder gesammelt und schützend vor mich geschoben hat. Dann verpasst er Ethan einen Stoß, sodass er das Gleichgewicht verliert und nach hinten stolpert.

Ich stehe wie angewurzelt da und starre sie an, bis mich eine schrille Stimme ins Hier und Jetzt zurückholt. Es ist Meghan, die an meiner Hand zerrt und meinen Namen ruft.

»Schafft sie hier raus, ich kümmere mich um den Helden hier.«, höre ich jemanden rufen.

Das lassen sich meine Freundinnen nicht zweimal sagen und bugsieren mich durch den Club zum Hintereingang, der in eine kleine Gasse abseits der Hauptstraße führt. Gabby pfeift uns ein Taxi bei und kaum mehr als zehn Minuten später halten wir auch schon vor der Mädels-WG.

»Du bleibst erstmal hier, Bonita. Ich lasse dich nicht zurück zu diesem Idioten.«, sagt sie und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. »Wie Ethan dich angeschaut hat… Da ist es mir echt kalt den Rücken runtergelaufen. War der immer so aggressiv?«

»Nein, eigentlich gar nicht.«, sage ich. »Ich glaube, er hat heute Abend einfach eine Menge Alkohol getrunken.«, sage ich unsicher.

»Alkohol ist nicht die Universalausrede, um arschig zu sein. Sorry, wenn ich das jetzt so hart sage, aber heute Mittag als er die Tussi gevögelt hat, war er auch voll und ganz Herr seiner Sinne, oder?«