Ludewig Schmuddelig und der Zauberstock - J. W. Pfaff - E-Book

Ludewig Schmuddelig und der Zauberstock E-Book

J. W. Pfaff

3,9

Beschreibung

Lulus Eltern haben sich getrennt und in der neuen Schule wird er von allen nur gehässig Ludewig Schmuddelig genannt. Das ändert sich, als er eines Tages im Wald einen Stock findet, der wackelpuddinggrün funkelt. Er weiß noch nicht, dass der Stock der schrecklichen Hexe Hargia gehört, die in den Wald zurückgekehrt ist, um nach ihm zu suchen. Der Autor über das Buch: Das pädagogisch wertvolle Buch über Schulprobleme, Mobbing, Trennung der Eltern, Mut, Freundschaft und erste Liebe ist eine Abenteuergeschichte, ein Fantasyroman im Stil der Unendlichen Geschichte von Michael Ende, in dessen Verlauf der Protagonist durch den Kampf gegen die Hexe Hargia stark und selbstbewusst wird. Es ist geeignet für Kinder, Jungs und Mädchen, ab 8 Jahre, ggf. bereits ab 6 Jahre.

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Seitenzahl: 179

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Inhaltsverzeichnis

Erfunden und erdichtet

Edeldingen

Ein sonderbares Gezwitscher

Räuber und Gendarm

Zur selben Zeit

Ludewig Schmuddelig

Der Stock

Spaghettiessen

Hargia

Krank im Bett

Piet und Kasi

Wuguuisch

In Sicherheit

Wurzelsuppe

Gwendolin

Ein Träumer

Verflixte Hausaufgaben

Ein perfider Plan?

Hargias Krähen

Ein einst grüner Platz

Nachtwanderung

Die Grüne Insel

Das Versteck

Morgendämmerung

Neue Freunde

Zwei Tore

Lustlos

Die Höhle

Kriegsschminke

Ein Anführer

Zu Unrecht beschuldigt?

Beim alten Kirschbaum

Hargias Hunger

Er kommt und rettet uns

Flucht

Trennung

Gefecht

Die Brücke

Ruhe vor dem Kampf

Vergebliche Mühe

Konfrontation

Ein starker Wind

Rabenschläue

Morgenmüdigkeit

Lichterspiel

Piet Bohnenstange

Schulfrei für alle

Für meine lieben Kinder.

Ein Stock, so mächtig und so alt,

schlummert draußen im Schleierwald.

Ein Stock, der zwei Gesichter hat:

Das Wuguuland und tief unten die Nacht.

Erfunden und erdichtet

In einem kleinen Dorf saß Gwendolin am Fuße eines großen Eichentischs auf einem kleinen Hocker und überlegte: „Erzähl uns noch einmal die Geschichte, Opa! Die vom Schleierwald!“

Sie hatte sich mit ihrer Bitte zur Höhle gewandt aus der nun ein Greis wankte, der mindestens hundert Jahre alt zu sein schien. Seine Nase zierte eine Brille, die so locker darauf saß, dass man befürchtete, sie würde bei jedem seiner wackeligen Schritte herunterfallen.

Der alte Kautz war aufgrund seiner Jahre die er schon auf dem Buckel hatte natürlich durch und durch ergraut und besaß einen lustigen langen Bart, der ihm bei jeder seiner schwerfälligen Bewegungen um die Füße schlenkerte. Seine Nase war dick wie eine Tulpenknolle und genauso rund. Seine Ohren, die an den Spitzen überlappten und ein bisschen an die Schlappohren eines kleinen Hundes erinnerten, standen zu beiden Seiten ab und seine knotigen runzeligen Finger glichen eher Ästchen eines Baumes als Fingern eines normalen Menschen wie wir ihn kennen.

„Es handelt sich“, hob der Alte zu sagen an, „um eine uralte Geschichte. Sie ist so alt wie der Wald selbst.“

„Und natürlich stimmt kein Wort davon!“

„Misch dich nicht ein!“

Aus der Höhle, die mit allerlei bunten Blumen hübsch verziert war - jemand musste sie dort mit großer Sorgfalt drapiert haben -, trat eine genauso alte und runzelige kleine Frau, die ihre Hände in die drallen Hüften stemmte und sich mit dem Mund Luft in die Stirn blies. Dabei verrollte sie ihre Augen und sah so aus, als würde sie dem Alten kein Wort von dem abnehmen, was er da erzählte.

„Es war einmal ein großer Anführer. Seine Leute waren so alt wie der Wald selbst und lebten friedlich zusammen mit dem grauseligen Hexenvolk. Keiner kam dem anderen in die Quere.“

Der Alte pausierte. Es war spät geworden und Wuselig, Gwendolins kleiner Bruder, wuselte ungeduldig auf dem Schoß seines Opas herum.

„Er muss ins Bett!“, keifte die Alte, „und du hältst ihn wieder mit deinen Erdichtungen wach!“

„Wie es ihnen gelang, dass keiner den anderen störte, müsst ihr mich nicht fragen. Aber irgendwann war Hargia, so hieß die grausame Hexe, der Friede nicht mehr gut. Er passte einfach nicht zu ihrer Natur, die boshaft war und falsch. Als sie sich mit dem Alten zum üblichen Nachmittagsspaziergang traf, denn die beiden pflegten seit Ewigkeiten miteinander auszugehen, fanden sie, gar nicht weit von unserem Dorf, einen sonderbaren Stock.

Er war deshalb so sonderbar, weil er, als Hargia ihn seiner Schlichtheit und Schönheit wegen aufhob und betrachtete, plötzlich hell anfing zu funkeln.

So begriffen beide zur selben Zeit, dass der Stock Zauberkräfte haben musste. Sie sahen einander an und ihre Kameradschaft war dahingeblasen.

Hargia versuchte, sich des Stockes zu bemächtigen. Der Alte wollte das um jeden Preis verhindern, weil er ahnte, dass Hargia die Kraft des kleinen Stocks nicht für gute Zwecke gebrauchen würde.

Und er hatte Recht.

Hargias rote Augen glühten wild, während sie den kleinen Zauberstock in der Hand hielt, sie glühten, weil Hargia bereits in diesem Moment da sie den Stock zum ersten Mal besaß im Sinne hatte, mit seiner Hilfe den ganzen Wald zu unterwerfen. Alle seine Bewohner würden ihr fortan dienen und die Nacht würde im Schleierwald regieren.“

Wuselig und Gwendolin machten Augen wie Dominosteine. Wuselig war gar nicht mehr wuselig sondern sprachlos und saß reglos mit gehobenem Kinn und aufmerksamen Augen auf dem Schoß seines Großvaters.

„Jetzt ist aber Schluss!“, bestimmte Wudrun Wuu.

Und weil der kleine Wuselig von seiner Großmutter unter lautem Protest ins Bett gezerrt wurde, erlebte nur sein Schwesterchen an diesem Abend das Ende der seltsamen Geschichte, das folgendermaßen lautet:

„Hargia war gierig nach Macht. Ein Krieg brach unter den beiden Völkern aus, die doch vorher so verträglich miteinander gewesen waren. Sie stritten sich, weil jeder den kleinen Stock haben wollte, so bitterlich, dass bald nicht mehr als Verwüstung den Wald ausmachte.

Endlich sah der große alte Anführer ein, dass was er tat falsch war.

Und er schlug Hargia einen Pakt vor: Sie und ihr Hexenvolk sollten fortan unter der Erde leben, er und seine Leute dagegen im Wald.

Weil sie wusste, dass sie ihrem Gegner im Kampf zwar gleichgestellt war, ihn aber nie würde besiegen können und weil sie die Nacht so sehr liebte, ließ Hargia sich auf den Vorschlag ein.

Den unheilvollen Stock warfen beide in den Grünen See, der auf einer kleinen friedvollen Insel mitten im Wald liegt.

Und da, mein liebes Kind, liegt er heute noch und ist sicher verwahrt.

Und der Wald, falls dich das noch interessiert,“ – Gwendolin hatte angefangen zu gähnen – „begann nach langer, langer Zeit der Unfruchtbarkeit wieder zu blühen. Und nach ein paar Jahren deutete nichts mehr auf den Krieg hin, der hier einmal ausgefochten worden war.“

„Jetzt ist aber genug! Ab ins Bett mit dir! Und du solltest dich etwas schämen, Wufus Wuu! Das Mädchen hat Augen wie Ostereier! Sie wird die ganze Nacht nicht schlafen können wegen deiner abenteuerlichen Geschichten!“

Edeldingen

Die letzten Monate waren so schnell vergangen, dass Lulu ganz überrascht war, als der Kalender an diesem Morgen den ersten März zeigte. Der Frühling schlief noch unter der Erde, aber lange würde es nicht mehr dauern und alles würde blühen in weiß und gelb und rot und rosa.

Sein Leben hatte sich so sehr verändert, dass es ihm vorkam, als wäre von dem Alten überhaupt nichts mehr übrig geblieben. Der neue Schulweg war kurz. Er führte über zwei kleine Sträßchen in Edeldingen statt über die große, viel befahrene Kreuzung in Grundstätt. Lulu drückte nicht mehr Cordulas Hand, während die Autos an ihnen vorbei fuhren, weil Cordula nicht mehr da war.

Heute Nachmittag betrat er die stille Wohnung und wartete wie immer auf Mama, die um drei von der Arbeit kam.

In ihrem Arbeitskostüm stand sie keuchend im Flur und als sie Lulus Jacke, Schuhe und Schulranzen auf dem Boden liegen sah, beschwerte sie sich lautstark: „Räum deinen Kram weg! Ich bin schließlich nicht dein Kindermädchen!“

Lulu hängte die Jacke an den Haken, packte die Schuhe in den Schrank, setzte sich an seinen Schreibtisch, stellte den Schulranzen daneben und gab vor, bereits mitten in die Hausaufgaben vertieft zu sein, als Mama ihren Kopf wenig später durch seine Zimmertür steckte: „Wie vorbildlich! Du sitzt an deinen Aufgaben! Was ein artiges, gewissenhaftes Kind du doch bist! Ich bin froh, dass du dich in der neuen Schule wohl fühlst!“

‘In der neuen Schule wohl fühlst..’ Mama hatte ja keine Ahnung! Gerade heute hatte Lulu wieder darüber nachgedacht, ihr endlich von den Schwierigkeiten mit Frau Reinmut zu erzählen und von den Boshaftigkeiten, die er täglich von Piet und Kasi über sich ergehen lassen musste.

Aber jetzt verließ ihn wieder der Mut.

Mama besaß schließlich andere Sorgen. Seine eigenen erschienen ihm belanglos gegenüber dem, womit sich Mama gerade herumschlagen musste: Sie musste jetzt viel mehr arbeiten. Es gab jetzt niemanden mehr, dem sie abends auf der Couch von ihren Problemen erzählen konnte. Seine Eltern hatten sich im letzten Jahr getrennt und seitdem war nichts mehr, wie es war.

Bums.

‘Jetzt, wo Papa fehlt, muss ich für Mama da sein.’

„Ein bisschen Shopping, ein bisschen Shopping..“, zwitscherte Mama und hüpfte in der Küche herum. „Den gefallen kannst du mir tun!“

„Iich mit dir in die Stadt?“

Wusste Mama nicht, dass Jungen Videospiele bevorzugten und einen gemütlichen Couchnachmittag?

„Vielleicht bekommst du auch ein Eis!“

„Ich bin keine fünf mehr! Außerdem ist heute der letzte Lulutag, bevor ich das Wochenende bei Papa bin.“

„Geeh du runter auf den Bolzplatz, ich erledige noch ein paar kleine Besorgungen in der Stadt. Aber dass du mir bloß keine Videospiele spielst!“

„Ich doch nicht.“

„Und um fünf treffen wir uns wieder hier?“

„Abgemacht, Mama.“

„..Um dann gemeinsam an der Flöß zu spazieren!“

„Aaber..!

Bevor Lulu protestieren konnte, denn er mochte Spazierengehen nicht ausstehen, hatte Mama ihn auf die Stirn geküsst, sich ihre Handtasche geschnappt und war im nächsten Moment verschwunden.

Ein sonderbares Gezwitscher

„Ich weiß nicht, was passiiert ist, nicht im Geringsten was passiiert ist, was ist bloß passiiert?“, hechelte Piruli und landete mit ihren müden Flügeln auf Wufus Wuus Schulter.

Gwendolin und Wuselig saßen auf dem Schoß ihres Opas und begafften das Vögelchen verdutzt. Bald war Schlafenszeit und sie warteten schon ungeduldig auf Opas Geschichte, aber der hatte sich von ihnen abgewandt und war nun ganz Ohr, was der kleine Vogel zu berichten hatte.

„Sind geflohen“, piepste der aufgeregt, „alle geflohen. Ich flog meine übliche Route durch den Schleierwald, um Futter für meine Kleinen nach Hause zu bringen. Ich segelte also gedankenlos die Promenade entlang und da ahnte ich ja noch nicht, was mir gleich Schreckliches, Schreckliches passieren würde!“ Piruli schüttelte aufgeregt ihr Gefieder.

„Eessenszeit!“, trällerte Wudrun Wuu. Sie war mit einem schweren Eisenkessel aus der Küche gewackelt, aus dem es dampfte und duftete. „Schlaafenszeit!“, verbesserte sie sich, als sie Wufus und die Kinder so aufgeregt mit Piruli sah. „Sicher nichts, überhaupt nichts für müde Kinderohren.“

Wuselig und Gwendolin rutschten widerwillig vom Schoße des Alten.

„So habe ich den Schleierwald noch nie gesehen“, fuhr Piruli fort. „In all meinen jungen Jahren nicht.“

Und jetzt beugte sie sich verschwörerisch zu Wufus vor, so, dass ihr kleiner Schnabel nur eine Erbsenweite noch von seinem Ohr entfernt war und flüsterte geheimniskrämerisch: „Die wilden Bäume, die Wiesen, die ich so sehr liebe, die Schleichwege, die ich entlang segle. Du kennst mich Wufus Wuu. Und irgendwann bin ich auf diesen Pfad geraten. Daneben schlängelte sich ein seltsamer Flussarm.

Als ich eine Weile so geflogen bin, bemerkte ich plötzlich, wie kühl mir unter den Federn war.“ Sie beäugte Wufus Wu aber der Alte gab seine Gedanken nicht preis.

"Seltsam, seltsam“, piepste Piruli weiter, „Kälte am ersten Frühlingstag des Jahres? Aber dann fiel mir ein, dass ich mich ja mitten unter dem Gefieder der Bäume befand. Außerdem trage ich mein Sommerkleid, die Daunen habe ich bereits ausgewechselt, siehst du?“

Sie zog ein Flügelchen nach oben unter dem viele schöne bunte Schwingen hervorschauten.

„Aber das Laub war dichter als zuvor. Die Blätter raschelten nicht mehr im Wind und auch die grünen Wiesen, die mir so gefallen, waren verschwunden.

Als ich zum Himmel sah, war schließlich auch meine schöne goldene Sonne fort.

Ich sah mich nach allen Seiten um, aber kein Tier, keine Menschenseele war mehr unterwegs. Dabei wuselt es doch hier nur so am Boden und an einem schönen Tag wimmelt es hier von Menschen.“

Piruli hielt an, um den Alten zu beobachten, aber der änderte seine Mimik nicht.

„Ich schauderte. ‘Was ein ungastlicher, garstiger Ort’, schimpfte ich, und dabei wurde mir auf einmal ganz ungemütlich zumute.

Du kennst mich, Wufus, neugierig flog ich gleichwohl weiter.

Und dann dieses Beben.“

„Ein Beben?“

Jetzt horchte Wufus Wuu auf.

„Ich zuckte kurz zusammen, ließ mich aber nicht beirren“, beeilte sich Piruli, dem die Aufmerksamkeit des Alten schmeichelte, zu sagen.

„Wer weiß schon, was irgendeiner irgendwo in diesem großen Wald treibt, du verstehst mich. Und plötzlich flatterte ich vor diesem Ufer. Hier verlor sich der Weg und der Flussarm kringelte sich um –„

„– eine Insel?“

„Wie kannst du das wissen?

Unberührt und arglos wirkte die Insel, irgendwie wie gerade aus dem Ei geschlüpft, wenn du mich fragst. Über das schmale Wasser führte eine Brücke, die so alt und verfallen aussah wie ein uralter Vogelgreis, der unter dem Gewicht einer Schneeflocke zusammenbrechen würde.

Auf den linken Brückenpfeiler war unübersehbar ein Schild genagelt. Ich flog ein wenig herab, um es zu studieren und da stand in schwarzen Lettern zittrig wie von einer dahinschwindenden Dohle geschrieben:

‘Mich kennt ihr schon lang nicht mehr, lang ist’s her ich war einst, eher, euer Glanze euer Glück, nimmermehr komm ich, findet mich der Junge nicht, wieder in euren Wald zurück.’ “

„Der Junge?“, fragte Wufus Wuu, aber Piruli fuhr aufgeregt fort:

„Du glaubst nicht, wie sehr es mich juckte, herauszufinden, was das alles bedeutete, was es mit der seltsamen Insel auf sich hatte. Aber jetzt pass auf!“

Piruli war von Wufus Schulter abgehoben und ein Stückchen nach oben geflattert: „Kannst du’s dir vorstellen? Etwas hielt mich zurück. Es war, als wenn ein unsichtbares Band, irgendetwas in der Luft oder am Boden, vielleicht habe ich auch fantasiert, mich mit allen Kräften davon abhielt..“

„Schluß jetzt! Geh und füttere deine Kinder! Ich danke dir, Piruli. Und nimm dich in Acht! Sag allen Tieren des Waldes, denen, die noch nicht die Beine in die Hand genommen haben und geflohen sind..“, Wufus Wuu hielt inne. Er stand auf und sah sich plötzlich nach allen Seiten um, so, als befürchtete er, belauscht zu werden, aber um die beiden herum war nichts, war die Grüne Wiese wie ausgestorben. Wufus Wuu atmete tief durch und ließ sich wieder auf seine Sitzgelegenheit, einen alten Baumstumpf, fallen.

„..Hargia sei zurückgekehrt!“, flüsterte er dann.

Gwendolin saß unter dem Tisch und hatte gelauscht. Sie hatte sich bemüht, keinen Mucks von sich zu geben, um bloß nicht ihre Anwesenheit preiszugeben. Als sich über ihr die geheime Zusammenkunft auflöste, kroch sie unter dem Tisch hervor und rannte in Richtung der Höhle die vielen Treppenstufen und gewundenen Gänge hinunter und legte sich laut atmend in ihr Bett.

Räuber und Gendarm

„Ludewig! Ab! Ich habe dich gesehen!“

Lulu kroch aus seinem Versteck hinter den dunklen Pappeln.

Die Glieder waren ihm schon eingerostet und sein Rücken war steif von der Verrenkung, die er hier seit ein paar Minuten ausgehalten hatte. Im Wald war es frostig, trotz der ersten Frühlingssonne, die jetzt gelegentlich zwischen den Zweigen hervorglitzerte.

‘Ludewig!’, knurrte Lulu im Geheimen. ‘Dass die sich nicht endlich diesen Namen verkneifen können! Dass die mich immer wieder damit aufziehen müssen! Sie ziehen das ‘u’ lächerlich lang und fügen ein ‘e’ hinter das ‘d’, das in meinem Namen eigentlich gar nicht vorkommt. Ich heiße Ludwig. Ludwig Meinert. Oder passender: Lulu.’

Er rappelte sich auf und trottete den anderen über den grauen, diesigen Bolzplatz entgegen.

Piet zog sein Kaugummi lang und grinste lässig, als er Lulu herannahen sah.

Er stand vor einer Gruppe von Kindern, die mit roten Nasen und bleichen Gesichtern im ‘Kerker’ um die große Kastanie ausharrten, bis das Spiel zu Ende war und sie befreit.

Piet besaß eine Hakennase und sein Gesicht war übersät mit roten Punkten. Seine Ohren glichen Watscheln, sein Hals war zu lang und auf dem Kopf trug er Haare die Keimlingen aus einem Blumentopf ähneln, wenn sie sich der Sonne entgegenstrecken. Aber jeder achtete Piet. Sein Freund Kasi, klein und drollig, führte aus, was Piet, der Oberboss, ihm auftrug.

‘Jetzt ist Mama also hier in ihrem Lieblingsviertel untergekommen’, seufzte Lulu, während er die beiden betrachtete, ‘Edeldingen’, und er verzog das Gesicht. ‘Edeldingen mit all den feinen Kindern und schicken Häusern.’

„Wie wirst du sie mögen, die Wohlreichschule!“, äffte er Mama nach. „Nur die schicksten Kinder verkehren da!“

‘So wie Piet und Kasi’, dachte Lulu angewidert.

Piet und Kasi fanden also nicht nur an den Schulvormittagen, sondern den ganzen Tag über Zeit, ihm auf den Wecker zu gehen.

Ginge es nach Mama, das wusste Lulu, dann wären sie längst alle nach Edeldingen gezogen. Aber Papa HASSTE Edeldingen.

Papa war für Mama kein Hindernis mehr.

Sie bewohnten das Dach einer der wenigen Sandsteinaltbauten, die der Krieg hier einmal stehen gelassen hatte, und von dem einzigen kleinen Dachfenster seines Zimmer aus beobachtete Lulu nach einem anstrengenden Schultag den Fluss und den Schleierwald.

Zu seinem Glück war er ein guter Fußballspieler und das begriffen auch schnell die Jungen. Wenn Piets Mannschaft gewinnen wollte, das wusste Piet, dann war besser Lulu in ihrem Team.

„Laangweile!“, hörte er Piet von weitem nörgeln. „Lasst uns lieber Fußball spielen!“

Er stellte die Kinder zu Mannschaften auf und winkte Lulu in sein Team. Der legte los.

Er blockierte Deniz aus der gegnerischen Mannschaft, der in Ballbesitz war.

Er kickte Deniz geschickt den Ball durch die Beine und nahm ihn hinter dessen Rücken wieder auf.

„Getunnelt!“, schrie Piet.

Lulu trug den Ball in Richtung Tor vor und Konstantin hatte keine Chance, als Lulu mit voller Wucht schoss.

„Eins zu Null!“, brüllten die Kinder aus Piets Team.

Schnell war der Ball wieder bei Kasi.

Der schlängelte sich damit um ein paar Jungen der gegnerischen Mannschaft herum, bevor er ihn zu Lulu passte. Lulu war nach vorne geeilt und jetzt schoss er erneut und es war nur Konstantins Glück zu verdanken, dass der gerade im richtigen Moment in die Knie gegangen war und damit den Ball vom eigenen Tor abhielt.

Der prallte von Konstantins Beinen ab und zurück ins Spielfeld, wo ihn Greta aufnahm und Leo zupasste.

Lulu stoppte Leo, sicherte den Ball, passte ihn zu Kasi, der auf der Außenlinie stand, und empfing ihn kurz vor dem Tor zurück.

Dann schoss er erneut.

Lulu verpasste Konstantin ein Tor in die linke obere Netzseite.

„Toor!“

Lulu verdrückte sich schnell nach hinten in die Abwehr und nur zufällig warf er dabei einen flüchtigen Blick auf die Uhr.

Ach du meine Güte! Es war ja fast fünf!

Mama wartete auf ihn.

Und Lulu erklärte: „Ich spiele nicht mehr“.

Enttäuscht wischte er sich den Schweiß von der Stirn und kehrte den Jungen den Rücken. Er eilte den Hügel zur Wohnsiedlung hinauf, als er Piet von hinten hecheln hörte: „Luudewig! Haalt! Du denkst an das große Fußballspiel morgen?“

Lulu blieb auf der Stelle stehen.

‘Das große Fußballspiel!’

Piet und Kasi hatten das Spiel organisiert und die Jungs aus dem Nachbarviertel klargemacht, um es denen wieder einmal richtig zu zeigen. Morgen Nachmittag um drei würde es abgehen hier unten auf dem Bolzplatz und ihn, Lulu, brauchten sie, um zu gewinnen. Morgen würde sich hier zeigen, wer der King im Fußball war.

„Klar bin ich dabei“, log Lulu schnell, denn Papa hatte er noch nichts von dem Spiel erzählt.

‘Er wird das Wochenende ja sicher nicht mit mir verplant haben! - Unsinn!’, dachte Lulu. ‘Papa wird nicht versäumen wollen, wie ich spiele, denn er ist ein ebenso großer Fußballfan wie ich.‘

Morgen würde Papa endlich seine neuen Freunde kennenlernen und bei dem Gedanken, dass Papa Piet und Kasi die Hände schütteln würde, glänzten Lulus Augen. Aus irgendeinem Grund vergaß er völlig, wie sehr er für gewöhnlich unter den beiden Jungen litt.

Zur selben Zeit

Zur selben Zeit hörte auch eine ganz andere an einem ganz anderen Ort das seltsame Beben.

„Vermaledeidu Hexeidu! Fabelhafte Hexenkunst, sollte es wahr sein?“

„Sollte es dir endlich gelungen sein?“

Hinter dem Rücken der grässlichen großen Hexe mit der prominenten Nase, auf der eine einzige hässliche Warze saß, explodierte ein grüner Hexentrank und grüner Rauch stieg in die Luft auf. Sie besaß einen Buckel und oben auf ihrem Kopf trohnte ein großer schwarzer Hut. Strähnen wie Tintenfischtentakel strömten darunter hervor.

„Ich habe es geschafft, Haus! Ich habe es dir immer gesagt. Vermaledeidu Hexeidu“, krächzte sie, „du wolltest ja nicht auf mich hören!“

„Puff!“

Ein weiterer grüner Hexentrank war explodiert und Hargia, zuerst erschrocken, wedelte sich jetzt die grünen Schwadronen, die sie umwaberten, aus dem Gesicht.

„Oh, der runzelige Alte, jetzt werde ich es ihm zeigen!“ Sie schlug lüstern ihre Hände zusammen, die gegerbten Schuhsohlen glichen.

„Ich werde ihn aufspüren und finden. Vermaledeidu Hexeidu. Ich werde sein armseliges Volk glubschiger Knubbelnasen vernichten und die Nacht wird in den Schleierwald zurückkehren. Ich werde.. Hi Hi!“

Und sie stampfte mit ihren Füßen auf wie ein kleines Kind vorm Schokoladeneis und ihre roten Augen glühten wild.

„Du hast es lange versucht“, stimmte das kleine blaue Haus zu. Es sah aus, wie aus einem Märchen entwendet. Aber die Fensterläden waren Augen und die Holztür glich einem Mund, der schief grinste.

„Lange versucht..“, erwiderte Hargia.

„Viel Kraft aufgewendet. Viele Jahre umsonst bemüht..“

„Du sagst es, du sagst es“, krähte Hargia, „das weiß ich ja! – Und jetzt lass mich in Ruhe! DU hast nicht über mich zu walten! Du bist ein Haus. Deine Ratschläge und Besserungsversuche können mir gestohlen bleiben! Vermaledeites Haus mit deiner Besserwisserei! Ich gehe! Ich hole ihn mir jetzt hier her! Kommt Krähen, ihr Dummköpfe! Vermaledeite Hexerei! Boscus Fressibus Vernichtibus Meinus Meinus!“

Dann breitete sie ihre Schwingen aus, die denen einer riesigen Krähe glichen, und verschwand unter einem Gemisch aus Siegesrufen und Fluchen in der Nacht.

Ludewig Schmuddelig

„Beeilst du dich bitte? Luudwig? Die Sonne wird nicht mehr ewig scheinen.“

Ludwig. Nicht schon wieder! Hatte er den Namen heute nicht schon zur Genüge gehört? Was fiel Mama und Papa eigentlich ein, ihn so zu nennen? Lulus Opa hieß so. Der Alte war wenige Tage vor seiner Geburt mausetot umgefallen.

Wagemutig war sein Opa gewesen, verwegen und clever, das sah Lulu, wenn er das Foto betrachtete, das er eines Tages auf seinem Schreibtisch vorgefunden hatte.