1,99 €
Aufstieg des Bösen
von Michael M. Thurner
Colonel Aran Kormak weiß nicht, dass er eine Katastrophe ausgelöst hat, die unzählige Leben kostete, einen Mond zerstörte und Parallelwelt-Anomalien auf der Erde entstehen ließ. Ihm ging es nur darum, aus dem Ringplanetensystem zu entkommen - und das ist ihm gelungen.
Nun, zurück auf der Erde, steht er wieder ganz am Anfang. Aber er wäre nicht Aran Kormak, wenn er nicht mit aller Energie, Skrupellosigkeit und Härte daran gehen würde, seinen alten Satus wiederzuerlangen. Koste es, was es wolle ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 150
Cover
Impressum
Was bisher geschah …
Aufstieg des Bösen
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
Autor: Michael M. Thurner
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7963-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, „Maddrax“ genannt, dessen Staffel ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese ihm fremde Erde. Bis sie durch ein Wurmloch in ein Ringplanetensystem versetzt werden, während der Mond auf die Erde zu stürzen droht. Matt findet Hilfe und Verbündete, und die Rettung gelingt in letzter Sekunde – aber sie hinterlässt Spuren: Areale aus verschiedenen Parallelwelten tauchen plötzlich auf der Erde auf …
Matt und Aruula ahnen nicht, was bei dem Wurmloch-Unfall geschah; nur, dass der Mond wieder in seinem alten Orbit und die Erde gerettet ist. Vom Untergang der Kasynari im Ringplaneten-System wissen sie nichts, und auch nicht, dass Colonel Aran Kormak mit seiner Flucht durch das Wurmloch zur Erde die Katastrophe ausgelöst hat. Genauso wenig, dass der Kasynari Hordelab ins Jahr 1947 versetzt wurde und dort unfreiwillig den Grundstein für die UFO- und Grey-Hysterie legte. Aber sie entdecken ein etwa fünfzig Kilometer durchmessendes Areal, das von einer hohen, lebenden Dornenhecke umgeben ist – ein Stück aus einer Parallel-Erde, wie sie bald herausfinden, das zusammen mit der Stadt Lancaster in ihre Welt versetzt wurde. Hier wird die Technik durch Dampfmaschinen bestimmt und das Britische Empire ist eine Weltmacht. Doch was hat die Versetzung ausgelöst, und kann man sie rückgängig machen?
Während sie von einem mächtigen Luftschiff-Reeder gejagt werden, der die Technik dieser neuen Welt für sich nutzen will, finden Matt und Aruula heraus, dass es im Zentrum des Areals eine Verbindung beider Universen gibt, die aber nur sporadisch „flackert“. Mit der Hilfe des jungen Piloten Julian Springs können sie den Reeder dingfest machen und sich mit den Stadtherren verständigen.
Die Bewohner von Lancaster müssen sich in den nächsten Monaten an ihre neue Heimat gewöhnen, die wenigstens von der Dornenhecke vor Mutationen und Barbaren geschützt ist. Wer ließ diese äußerst widerstandsfähige Barriere wachsen, die einen Austausch beider Welten zu verhindern scheint? Und vor allem: Wird es weitere Areale geben, und wenn ja, wo? Das will man mit dem Satelliten-Netzwerk herausfinden, das die Pancinowa im Erdorbit installiert haben und das eine Besonderheit des Phänomens erkennen kann: plötzlich auftauchende Polarlichter über dem Ort des Geschehens, die den Funkverkehr blockieren.
Matt und Aruula sind auf der Wacht; dabei können sie sich mit einem Gleiter aus Miki Takeos Produktion schnell und frei bewegen und die Hecke überwinden. Vielleicht können sie im nächsten Gebiet herausfinden, was vor sich geht und wie es sich abstellen lässt, bevor die ganze Erde von einen Flickenteppich paralleler Areale mit verschiedenen Entwicklungsständen überzogen ist …
Aufstieg des Bösen
von Michael M. Thurner
Alle Lichter gingen aus. Plötzlich lag Aran Kormak in völliger Finsternis im Inneren der Transportkapsel.
Er unterdrückte die Furcht vor einer Schwärze, in der es wimmelte vor Viechern, die über ihn herfallen wollten. Sie drohten ihn in einen tiefen Abgrund zu ziehen, in dem er sich alleine den Dämonen stellen musste.
Etwas prallte von außen gegen die Hülle. Einmal. Mehrmals. Immer wieder. Es klang, als würde jemand mit einem Hammer gegen die Kapsel schlagen.
Kormak zählte Olivenkerne, wie er es früher getan hatte. Allmählich kehrte die Vernunft zurück. Er suchte nach Halt in der sargähnlichen Kapsel und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Seitenlehnen. Er hatte den Weg durch das Wurmloch zurück zur sterbenden Erde geschafft – aber etwas war dabei schrecklich schiefgelaufen.
Ein weiterer, diesmal urgewaltiger Schlag traf die Transportkapsel. Es hob Kormaks Magen aus, als sie sich mehrfach überschlug.
Und die Automatik reagierte: Eine weiche, klebrige Masse wurde ins Innere gespritzt. Nach Sekunden vermochte Kormak sich kaum noch rühren, zumal die Masse wie schnell härtender Zement eindickte.
Er wollte dagegen ankämpfen und irgendetwas tun – aber was? Er war hilflos gefangen, ein Opfer der Umstände, während die Schläge weiterhin wuchtig gegen die Kapsel dröhnten.
Punkte tanzten vor seinen Augen. Würde er hier drin sterben, getötet von dieser klebrigen Masse? Die sich verfestigende Flüssigkeit kroch an seinen Wangen und Schläfen hoch, würde bald Mund und Nase erreicht haben! Und dann würde er elendiglich ersticken! Schwach und hilflos wie ein Kind.
Die Panik spülte uralte, längst verdrängte Erinnerungen an die Oberfläche seines Denkens. Als würde sein Leben vor dem inneren Auge ablaufen.
Auch damals war er schwach und verletzlich gewesen und hätte dies fast mit dem Leben bezahlt ...
Damals
„Du sollst essen kommen, Aran! Und bring deinen unnützen, verlausten Bruder mit! Eschollescheek!1)
„Ja, ja, bin gleich da, Aane2)!“, rief Aran zurück, ohne sich umzudrehen. „Nur noch eine letzte Runde!“
Er packte seine Murmeln, schnippte die größte davon meterweit weg und bemühte sich, drei weitere im tiefen, lehmigen Boden so nahe wie möglich neben sie zu setzen. Was ihm gründlich misslang.
„Das ist peinlich, Kleiner“, sagte Aydeen, sein älterer Bruder. „Du hast das Feingefühl einer Taratze.“
„Pass auf, dass die Taratze dich nicht beißt!“, fauchte Aran zurück.
Aydeen grinste, wurde aber gleich wieder ernst. Er streckte die Zungenspitze heraus, wie immer, wenn er sich konzentrierte, und legte zwei seiner Murmeln bis auf eine Handbreit an die große heran.
„Du hast zehnmal hintereinander verloren, Kleiner“, sagte er. „Das bedeutet, dass du mir zehn Gefallen schuldest.“
„Das ist unfair“, murmelte Aran. „Ich kann das halt noch nicht so gut.“
„Komm mir jetzt bloß nicht mit Tränen, Winzling! Du weißt, dass das bei mir nicht zieht. Und jetzt los, sonst streicht uns Mama das Essen. Und ich habe einen Riesenhunger.“
Aran trippelte hinter seinem Bruder her. Seine Augen füllten sich mit Tränen, sein Körper zitterte leicht. Die anderen Kinder meinten, er sei zu weich für das harte Leben in Turgutraas. Zu schmächtig, zu zart gebaut, zu dumm, zu klein, zu ungeschickt ...
„Jetzt hör schon auf zu heulen, Winzling!“ Aydeen packte ihn grob unter dem Arm. „Du gehst heute Nachmittag Wasser für die Aane holen, und damit sind deine Schulden bezahlt. Einverstanden?“
„J-ja.“ Aran lächelte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Aydeen war der einzige Bruder, der mit ihm spielte und halbwegs nett zu ihm war. Obwohl er schon fünfzehn Sommer zählte und fast erwachsen war. Im nächsten Frühjahr sollte er mit Baanu verheiratet werden und eine Familie gründen, die die Bande mit dem Besitzer der besten Ölpresse des Dorfs weiter stärken sollte.
„Da seid ihr ja endlich!“, sagte die Aane, als Aydeen und er den Essensgarten erreicht hatten. Sie reichte ihnen ohne weiteres Wort Holzbesteck, Holzgefäße und eine Schüssel, in der einige Kichererbsen in einer tomatengesäuerten Brühe trieben.
Aadnan kam aus dem Haus geschlichen, noch blass und übernächtig von der Arbeit auf dem Fischerboot. Hinter ihm Ezaan, der das Tischlerhandwerk lernte. Meerih, die bereits verheiratet war und deren Mann meist betrunken bei seinen Eltern herumlungerte. Aatila mit dem unschuldigen Gesicht, der jedermanns Liebling war und der niemals bestraft wurde. Faatos, die heute nur zufällig da war, weil sie als Bodrums Gesandte auf der Halbinsel umherwanderte und den Stadträten von den Problemen in den kleineren Gemeinden berichtete.
Das Getratsche und Geschnatter seiner Geschwister erreichte eine derartige Lautstärke, dass sich Aran die Ohren zuhielt und meterweit vom gemeinsamen Essenstisch zurückzog. Aane beschimpfte ihn einmal mehr, seine Brüder und Schwestern hänselten ihn. Sie wussten eben nicht, wie sich all der Lärm und diese Unruhe für ihn anhörte und anfühlte.
Mit einem Mal kehrte Stille ein. Aran duckte sich instinktiv. Vater war eingetroffen. Gewiss stand er hinter ihm, gewiss schwankte er, gewiss roch er nach Raake3).
„Die liebe Familie ist glücklich vereint“, dröhnte Vater. „Wie schön, dass wir alle wieder mal zusammen essen. Nicht wahr? Wie gut es uns doch geht.“
„Setz dich, Memeed“, sagte die Aane und stellte den Stuhl am Ende des Tischs zurecht, sodass Vater sich darauf fallen lassen konnte. „Und iss. Du kannst es brauchen.“
„Was willst du damit sagen?“, fragte Vater, griff nach der großen Schüssel und begann zu löffeln.
„Dass du etwas Anständiges in deinen Magen bekommen solltest“, antwortete die Aane. „Diese verdammte Sauferei ...“
„Ach, darum geht es also! Du wirfst mir vor, dass ich zu viel trinke!“ Vaters Hände zitterten. „Du findest, dass ich dir kein guter Mann bin und mich zu wenig um dich kümmere.“
„Das habe ich nicht gesagt, Mann. Ich will bloß, dass ...“
„Du hast nichts zu wollen! Sorg für die Familie und dafür, dass diese Versager allesamt so schnell wie möglich mein Haus verlassen. Ich arbeite mir den Rücken krumm für diese undankbaren Bälger, und als Dank bekomme ich Vorwürfe zu hören, wenn ich nach Hause komme. Bloß weil ich ein oder zwei Gläser getrunken habe.“
Das Mittagessen verlief wie immer, mit viel Streit zwischen den Eltern und viel Schweigen von den Geschwistern und Aran. Sie alle kannten nichts anderes. Vater, den die anderen Dorfbewohner Memeed riefen, war kein guter Mann. Aber er war nun mal der Baaba4), der Vater.
Aran half der Mutter im Haushalt und beschäftigte sich mit den stinkenden Zeeka. Er trieb sie ins hügelige Hinterland, er reinigte gemeinsam mit Aydeen das Dach des einfachen Hauses und ging anschließend mit seiner Rückentrage so langsam wie möglich den Weg hoch zu den Hainen. Baaba wartete am Ende des Pfades auf ihn, auf den stufenförmigen Terrassen, die ihre Vorfahren über Jahrhunderte hinweg aus dem Stein gehauen und mit fruchtbarer Erde überzogen hatten.
Die Ernte stand unmittelbar bevor, es gab viel zu tun. Er war der Einzige, der Zeit hatte, dem Vater dabei zu helfen.
Die Sonne hatte bereits ihren Abstieg begonnen. Sie würde noch drei, vier Stunden über dem Horizont ausharren. Es waren dies die Blutstunden, in denen die Schatten allmählich länger wurden und die Strahlen des Gestirns den fruchtbaren Boden von Turgutraas rot färbten.
Aran atmete tief ein und aus. Er genoss die Brise, die landeinwärts wehte. Er schmeckte das Salz und roch die Algen. Vor allem aber meinte er den Duft der Freiheit zu riechen. Dort, ganz weit hinten, wo das Meer endete, warteten große Wunder auf diejenigen, die es wagten, den Weg auf sich zu nehmen und dabei den großen Meeresungeheuern zu trotzen.
Aran keuchte laut und heftig, als er den Zugang zum Hain erreichte. Sein Körper war schwach, er musste oft husten und war kaum in der Lage, längere Zeit mit anderen Kindern aus Turgutraas dem Fetzenball hinterher zu laufen.
Der Strohkorb drückte gegen seinen Rücken. Noch war er leer. Der Abstieg mit voller Trage würde weitaus mühevoller werden.
Ein lautes Schnarchen wies ihm den Weg zu Baaba. Er lag, wie so oft, unter Cidi, dem vermutlich ältesten Olivenbaum der Siedlung. Man sagte, dass er bereits alt gewesen war, als Kristofluu auf die Erde gestürzt und sie verwüstet hatte.
Sollte er den Baaba pflichtgemäß wecken, oder sollte er die Stille genießen und darauf warten, dass Vater von selbst wieder hochkam?
Als hätte ihn der Baaba gehört, grunzte er, richtete seinen Oberkörper auf und blickte verständnislos um sich.
„Du wolltest, dass ich dir helfe“, sagte Aran leise.
„Ja. Du und alle anderen.“ Baaba rotzte Schleim auf den Boden und zog sich am Stamm seines Olivenbaums hoch. „Und wen bekomme ich? Den kleinen schwächlichen Zwerg. Den Nachzügler der Familie, der noch nicht mal bis zu den kräftigsten Ästen der Bäume langen kann.“
„Aber Baaba ...“
Ihr wollt mir meine Mühsal nicht erleichtern und erfreut euch daran, dass ich mir für euch den Buckel rund schufte. Irgendwann lauft ihr alle weg und lasst mich im Stich.“ Er griff nach einer Korkflasche, öffnete sie und trank mit langen Zügen. „Niemand unterstützt mich, niemand ...“
Die Worte gingen in sinnloses Gebrabbel über. Baaba stolperte rückwärts, stieß sich den Kopf an einem Ast und sank zu Boden, halb bewusstlos und halb betrunken.
Aran war nicht sonderlich besorgt. Es war nicht das erste Mal, dass er Vater in einem derartigen Zustand erlebte.
Er nahm seinen Strohkorb ab und sah sich um. Die Bäume am Rande der Plantage trugen frühreife Früchte. Er würde die schönsten von ihnen pflücken, sie unten am Meer abspülen und anschließend in Salzlauge einlegen. Er hatte oft genug gesehen, was zu tun war.
Aran machte sich an die Arbeit.
„Siragippen? Hier ...?“
„Diese Viecher waren doch noch nie so weit südlich ...“
„Man sagt, dass es besonders große und wilde Tiere sind, und dass sie auf der Halbinsel ausschwärmten ...“
„Sie können einen Menschen mit ihren Zangen in zwei Teile zerhacken ...“
Aran hatte die Erwachsenen von Turgutraas noch nie derart verängstigt gesehen. Der Agabeey, der Dorfälteste, hatte alle Hände voll zu tun, um die Versammelten zu beruhigen.
Aran duckte sich hinter den maroden Zaun, der die Dorfarena umfasste. Hier wurden Geschäfte getätigt, Entscheidungen getroffen, Streitigkeiten beigelegt. Heute aber ging es um ein ernstes Thema, das jedermann in Turgutraas nervös machte. Angeblich hatten Siragippen in einer Nachbarortschaft Shiips und Zeekas gerissen.
Aran wusste, was Siragippen waren. Die Aane hatte oft genug behauptet, dass ihn eins der Spinnentiere holen und zerkauen würde, wenn er nicht brav einschlief.
Er lugte zwischen den Holzbrettern hindurch. Eben erhob sich ein Mann. Es war Baaba, der nüchtern wirkte und sein schönstes Gewand trug: eine Jacke aus Zeekaleder, die mit einem Shiip-Kragen verziert war und gegen die abendliche Kühle half, die der Nachtwind von den Bergen mit sich brachte.
„Sollen wir etwa Angst haben?“, rief Arans Vater. „Turgutraas ist weit weg von der Stadt der Verderbten. Wenn diese dämonischen Siragippen ausschwärmen sollten, holen sie sich gewiss die sündigen Bodrumer. Vor allem die Blasshäutigen in ihrem Bodenloch ...“
„Was bist du bloß für ein Mann!“, unterbrach ihn Nivel, der Schuster. „Du machst die besten Geschäfte mit den Bunkermenschen! Du verkaufst ihnen deine versalzenen Oliven und krümmst den Buckel, bis deine Nase den Boden berührt. Hier aber, in der Ratsversammlung, machst du sie schlecht.“
„Man darf mit den unreinen Sündern Geschäfte machen und sie auch reinlegen. So sagen es unsere Gesetze. Wenn sie mehr als die Marktpreise zahlen, sind sie selbst schuld. Das weißt du, Nivel.“
Der Schuster sprang mit hochrotem Kopf auf, fluchte und sagte etwas, das Aran nicht verstand. Denn die Unterhaltung ging in wildem Geschrei unter, das von allen Seiten der versammelten Männer aufgenommen wurde. Auch der Agabeey konnte sich nicht mehr durchsetzen, so sehr er sich auch bemühte.
Irgendwann wurde es Aran zu langweilig. Diese Streitereien würden sich viele Stunden fortsetzen, wie er wusste. Irgendwann würde man Raaki zu trinken beginnen und sich gegenseitig Lügengeschichten erzählen. So lange, bis der letzte Mann vom Stuhl fiel.
Aran machte sich auf den Weg nach Hause. Es war dunkel geworden. Aane war sicherlich schon böse; er hätte längst im Bett sein sollen. Er eilte den schmalen Weg mit traumwandlerischer Sicherheit entlang, vorbei an halbverfallenen Hütten, die schon lange nicht mehr bewohnt wurden, und vorbei an Feldern, auf denen Unkraut wuchs. Viele Menschen waren nach Bodrum gezogen, weil dort besser zu leben war. So sagte man zumindest.
Ein Knacksen ertönte. Aran zuckte zusammen und blieb augenblicklich stehen.
Er sah sich um und konnte doch nichts sehen. Die Dunkelheit verschluckte alles. Bloß von der Dorfarena her war das Licht des großen Feuers zu erkennen, das von einem Feuermeister ständig am Leben erhalten wurde.
Arans Herz schlug schneller, als er rechts von sich zwei grellrot leuchtende Flecken sah, keine zwanzig Schritte entfernt. Sie bewegten sich ein wenig – und erloschen dann plötzlich.
Aran zählte bis zehn, ohne sich von der Stelle zu rühren. Die Hand lag auf seinem Messer, das er seit einigen Monden tragen durfte. Es war schartig und alt und durch die Hände all seiner Geschwister gegangen, aber es gab ihm ein Gefühl der Sicherheit.
Die roten Flecken blieben verschwunden. Er musste sich geirrt haben; seine Fantasie hatte ihm einen Streich gespielt. Dieses blöde Gerede von riesigen Siragippen hatte ihn völlig kirre gemacht.
Aran seufzte erleichtert und setzte seinen Weg fort. Er schlich ins Haus, band den Türvorhang fest und schlüpfte unter seine fadenscheinige Decke. Rings um ihn waren die ruhigen, regelmäßigen Atemzüge seiner Geschwister zu hören. Niemand hatte bemerkt, dass er gefehlt hatte. Auch die Aane nicht, deren Gehör normalerweise schrecklich gut war ...
„Sind die Männer schon beim Saufen?“, hörte er da ihre leise Stimme.
„J-ja, Aane. Ich wollte nicht ...“
„Dein Vater ist wohl mittendrin, schwingt kluge Reden und streitet mit den anderen?“
„Ja, Aane.“
„Dann wird er heute nicht mehr nach Hause kommen und ich habe das Bett für mich alleine. Sehr gut.“
Stille. Lange, beunruhigende Stille. Wieder waren ringsum tiefe Atemzüge zu hören. Wenn Arans Geschwister wach waren, so taten sie doch so, als würden sie schlafen.
„Du wirst morgen die Wäsche all deiner Geschwister waschen“, sagte Aane. „Du wirst sie sauber rubbeln, bis deine kleinen Finger aufplatzen. Das wird dich lehren, dich in der Nacht davonzuschleichen, Aran. Ich habe immer schon gesagt, dass du gehorchen sollst.“
„Ja, Aane.“
Das gute Gehör seiner Mutter und ihr leichter Schlaf waren zum Verzweifeln. Noch schlimmer aber war das leise Gekicher seiner Geschwister ringsum.
Aran schlief ein und träumte von großen, glühend roten Flecken.
Heute
Kormaks Schläfrigkeit war mit einem Mal weg. Die Füllmasse hatte seinen Mund nicht erreicht und ließ ihn atmen!
Kormak schalt sich einen Narren. Natürlich hatten die Initiatoren ihre Transportkapseln mit Sicherheitsvorkehrungen versehen. Die Masse war nachgiebig und federnd und hielt ihn dennoch fest in Position. Sie schützte ihn vor dem, was draußen vor sich ging.
Wenn er nur etwas sehen könnte! Was, wenn er im Wurmloch feststeckte und dessen elementaren Kräften so lange ausgeliefert war, bis es die Kapsel zerriss?
Nun, dann könntest du trotzdem nichts dagegen tun, dachte Kormak. Nimm es, wie es kommt.
Eine weitere Serie von Schlägen erschütterte die Kapsel. Kormak meinte zu spüren, wie sich die Schwerkraftverhältnisse umkehrten. Wie unten zu oben und oben zu unten wurde, immer wieder und rasend schnell.