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Sie floh aus ihrem Dorf in Meeraka, wo Frauen als Hexen lange Jahre ertränkt und verbrannt worden waren. Sie hoffte auf der anderen Seite des Ozeans eine neue Heimat zu finden, in einer Stadt, über die Aruula ihr berichtet hatte. Wo man ihre Macht über das Feuer würdigen und sie mit offenen Armen aufnehmen würde. Doch als Carry Beelinn erreichte, erfuhr sie von einer Schicksalsgenossin die schreckliche Wahrheit ...
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Was bisher geschah...
Die Feuerhexe von Berlin
Leserseite
Vorschau
Impressum
Am 8. Februar 2012 trifft der Komet »Christopher-Floyd« die Erde. In der Folge verschiebt sich die Erdachse, und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – auf rätselhafte Weise degeneriert.
In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Fliegerstaffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 versetzt wird. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn »Maddrax« nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula findet er heraus, dass Außerirdische mit dem Kometen – dem Wandler, der sich als lebende, schlafende Entität entpuppt – zur Erde gelangten und schuld sind an der veränderten Flora und Fauna und der Verdummung der Menschen. Nach langen Kämpfen mit den Daa'muren erwacht der Wandler, weist sein Dienervolk in die Schranken und zieht weiter. Mit zwei Daa'muren, die auf der Erde zurückblieben – Grao und Ira – haben sich Matt und Aruula sogar angefreundet.
Bei einem Abstecher zum Mars, auf dem sich eine Expedition aus dem Jahr 2010 zu einer blühenden Zivilisation entwickelt hat, erfährt Matt von der Spezies der Hydree, die vor 3,5 Milliarden Jahren hier lebten und mittels eines Zeitstrahls zur jungfräulichen Erde umzogen, als ihr Planet seine Atmosphäre und Ozeane verlor. Mit ihren Nachkommen, den telepathisch begabten Hydriten, die von den Menschen unentdeckt am Meeresgrund leben, hatte Matt schon Kontakt und nennt einen von ihnen, Quart'ol, einen guten Freund.
Diese »Tunnelfeldanlage«, die wie ein Transporter funktioniert, in dem die Zeit unendlich gedehnt werden kann, ist bis heute in Betrieb und verursachte auch den Zeitsprung von Matts Flugstaffel um 504 Jahre, als die den Strahl querte. Dabei legt der Strahl einen Tachyonenmantel um lebende Zellen, der den Altersprozess fünfzig Jahre lang drastisch verlangsamt.
Seither ist viel Zeit vergangen – wir schreiben inzwischen das Jahr 2554 –, und all die Erlebnisse unserer Helden an dieser Stelle zu schildern, wäre unmöglich. Es gibt sogar eine Erdkolonie in einem fernen Ringplanetensystem, zu dem allerdings der Kontakt abgebrochen ist. Ihre Freunde Tom, Xi und deren Tochter Xaana (die eigentlich Matts Kind ist) leben dort auf dem Mond Novis.
Nicht nur einmal haben Matthew Drax und Aruula die Erde vor dem Verderben gerettet und mächtige Feinde bekämpft – zuletzt die vampirhaften Nosfera, die die WCA (World Council Agency, kurz: Weltrat) übernehmen wollten. Auf diese Organisation traf Matt schon früh. Momentan steht ihr General Aran Kormak vor, ein in der Vergangenheit eher zwielichtiger Charakter, der sich aber gewandelt und großes Interesse zu haben scheint, Meeraka (ehem. USA) und danach andere Länder friedlich zu einen.
Auch um Kormak weiterhin im Auge zu halten, geht Matt auf seinen Vorschlag ein, zusammen mit Aruula im Auftrag des Weltrats eine schnelle Eingreiftruppe zu bilden und für ein Bündnis unter dem Dach der WCA zu werben.
Dies sind ihre Abenteuer...
Weitere Informationen und Hintergründe zur Serie findet ihr unter https://de.maddraxikon.com im Internet!
Die Feuerhexevon Berlin
von Lucy Guth
Es war dunkel, feucht und kalt, und in der Luft lag der Gestank nach totem Fisch. Das war wahrscheinlich in allen Häfen so, doch seitdem Carry an Land gegangen war, schien Euree sie nicht willkommen zu heißen, sondern ihr üblen Atem ins Gesicht zu blasen. Dabei hatte sie sich so viel von ihrer Flucht versprochen.
Sie griff die Henkel ihrer abgewetzten Stofftasche fester und sah sich in der düsteren Gasse um. Irgendwo hier musste die Kneipe sein, von der Riek gesprochen hatte. Wo sie vielleicht eine Anstellung finden würde. Sie brauchte Geld – fast alle ihre Besitztümer waren für die Passage draufgegangen.
Endlich erspähte sie die Tür und darüber das Schild »Shaaka-Bar«. Sie atmete tief durch, fasste den Knauf und riss die Tür auf. Eine Flammenwand schlug ihr entgegen ...
Carry blinzelte und taumelte erschreckt einen Schritt zurück.
»Rein oder raus, und Tür zu!«, bellte eine unwirsche, tiefe Stimme von drinnen. Nach der ersten Schrecksekunde erkannte Carry, dass sie keineswegs vor einer Flammenwand stand. Links und rechts der Tür waren nur Feuerbecken aufgestellt, deren Flammen wegen des Luftzugs der geöffneten Tür aufgeflackert waren.
Kein Grund, sich zu erschrecken, beruhigte sich Carry. Es ist eine ganz normale Kneipe.
»Los jetzt, Mädchen!«, erklang wieder die Stimme, und Carry bemühte sich, schnell einzutreten und die Tür hinter sich zuzuziehen. Mit wachsender Verblüffung sah sie sich um. In der Kneipe herrschte im Gegensatz zu draußen große Wärme, fast schon Hitze. Das lag an den zahlreichen Feuerbecken, die in regelmäßigen Abständen aufgestellt waren. Obwohl der Winter seinen Grimm verloren hatte, war es vor allem nachts noch empfindlich kühl.
Neben den Becken standen Metallfässer als Tische und hölzerne Hocker als Sitzgelegenheiten. An den Wänden und der Decke sah sie Fischernetze und Hummerfallen. Am erstaunlichsten war ein gewaltiger Shaaka, der im Zentrum des Raumes an der Decke hing – so lang wie zwei Männer, das Maul mit den scharfen Zähnen weit aufgerissen. Dass das Tier tot und ausgestopft war, nahm ihm nichts von seinem Schrecken.
»Die Shaaka-Bar ist eine der ältesten Kneipen in Ambuur«, hatte Riek erzählt, der Kapitän des Schiffes, mit Carry aus Meeraka nach Euree gekommen war. Ambuur war ein schäbiges Städtchen, oft zerstört, aber von den störrischen Einwohnern immer wieder neu aufgebaut und besiedelt.
Carry mochte das, was sie bisher gesehen hatte, nicht sonderlich, und sie plante auch nicht, lange an diesem Ort zu bleiben. Aber vorerst brauchte sie eine Bleibe und die Möglichkeit, ein paar Baxx zu verdienen – oder was auch immer in Euree als Zahlungsmittel akzeptiert wurde. Beides würde sie in der Shaaka-Bar finden, hatte Riek ihr versichert.
Die Leute, die sich bei ihrem Eintreten zu ihr umwandten, machten allerdings keineswegs den Eindruck, ihr eine große Hilfe sein zu wollen. An zwei Fässern saß ein halbes Dutzend Seeleute, erkennbar an ihren wilden Tätowierungen und der wind- und wetterfesten Kleidung, die Carry auch bei der Mannschaft der Riekmers gesehen hatte. Die Männer waren ganz offensichtlich betrunken und grölten erfreut, als sie Carry sahen.
An der Theke – einer langen Bohle, die auf mehreren Fässern aufgelegt war – saßen zwei grobschlächtige Frauen, die ihre Aufmerksamkeit nach einer kurzen Musterung wieder ihrem Gespräch zuwandten. Am anderen Ende der Theke saß eine in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt. Carry konnte ihr Gesicht nicht erkennen, es blieb im Schatten unter der Kapuze verborgen. An einem anderen Fass saßen drei alte Männer, die Karten spielten.
Hinter der Theke stand eine breitschultrige Frau, die sie missbilligend musterte. Carry hätte ihr Alter nicht schätzen können. Sie war etwa so breit wie hoch und überragte Carry um zwei Kopfeslängen. Ihr Gesicht war stark geschminkt, die weißblonden Haare waren zu einer wilden Frisur aufgetürmt und mit bunten Strähnen versehen. Sie trug ein schulterfreies Kleid in schrillen Paradiesfarben – blau, rosa, gelb und hellgrün – und hatte die Hände mit ihren langen roten Nägeln auf dem Tresen abgestützt. Ihre Schulter zierte das pinkfarbene Tattoo eines Shakaas.
»Was will denn ein Snäkkchen wie du in meiner Shaaka-Bar?«
Als die Frau ihre Stimme erhob, schrak Carry zusammen: Es war jene tiefe Stimme, die sie zuvor angefahren hatte. Und sie passte überhaupt nicht zu der Frau – so wenig, wie diese bunte Frau an diesen Ort passte.
»Ich ... äh ... ich ... das ...«, stammelte Carry. Sie konnte keinen gerade Satz herausbringen, so verwirrt war sie.
Die Seeleute lachten. »Du bringst die Kleine ganz durcheinander, Juuns!«, rief einer von ihnen der Frau hinter dem Tresen zu.
Ein anderer wandte sich an Carry: »Komm, setz dich zu uns, Mädel, hier findest du deine Sprache wieder.«
»Lasst die Deern in Ruhe, sonst komm ich euch rüber!«, sagte Juuns herrisch zu den Seeleuten, deren Gelächter prompt verstummte. Sie wandte sich Carry zu. »Nun komm schon her an den Tresen. Ich glaube, du brauchst erst mal was Ordentliches zu trinken.«
Sie stellte Carry ein kleines Glas mit klarer Flüssigkeit hin. Carry griff dankbar nach dem Getränk. Einen Schluck Wasser konnte sie jetzt wirklich gebrauchen. Sie stürzte die Flüssigkeit herunter und verschluckte sich prompt. Das war kein Wasser, das war Schnaps! In Salem hatte Carry nie Alkohol getrunken – dieses Privileg war den Männern vorbehalten gewesen, und Parrisch, der verrückte Priester, der ihr Dorf kontrolliert hatte, war ohnehin gegen den Genuss von Alkohol gewesen.
Juuns verdrehte die Augen. »Wunderbar, ein Landei. Aus welchem Bunker bist du denn gekrochen?«
Die anderen Kneipenbesucher widmeten sich nun wieder ihren eigenen Angelegenheiten; nur bei der Gestalt mit dem Mantel hatte Carry noch das Gefühl, dass sie sie unter der Kapuze hervor beobachtete.
»Ich bin aus keinem Bunker – ich komme aus Meeraka«, sagte Carry hustend. Während der langen Wochen der Überfahrt hatte sie die Unterschiede in der Aussprache in ihrer Heimat und in Euree gelernt. Riek hatte sie gegen eine kleine Entlohnung abends darin unterrichtet, und jetzt konnte sie sich gut ausdrücken und die Eureer ebenso gut verstehen. Sie schob einen Bakk über den Tresen und verlangte ein Wasser.
Juuns zog die lila gefärbten Augenbrauen in die Höhe und betrachtete den Bakk.
»Kann ich damit bezahlen?«, fragte Carry vorsichtig.
Juuns nickte. »Mittlerweile schon. Seit ein paar Jahren kommt man in Euree mit Baxx weiter. Du bekommst dafür noch einige Coins zurück.« Mit einer fließenden Bewegung strich sie die Karte ein und legte ein paar Münzen auf den Tresen. Dann stellte sie Carry ein Glas Wasser hin. »Meeraka, so, so. Und was willst du hier?«
»Ich habe gehört, in der Shaaka-Bar bekomme ich Informationen.«
»Ich meinte, in Euree.«
»Ach so ... ich ... na ja, meine Heimatstadt war nicht besonders freundlich zu ... zu Frauen.« Sie würde einer Wildfremden nicht auf die Nase binden, dass sie nur knapp dem Schicksal entronnen war, als Hexe verbrannt zu werden.
Juuns beugte sich über den Tresen. »Kindchen, der Ort auf der Welt, der freundlich zu Frauen ist, muss erst noch gefunden werden.«
»Aber jemand hat mir erzählt, dass es in einer Stadt namens Beelinn starke Frauen gibt, dass dort sogar die Männer unterdrückt wurden.«
»Beelinn? Früher war das vielleicht mal so. Hab schon lange niemanden aus Beelinn mehr getroffen, der das bestätigt hat. Die Zeiten haben sich überall geändert.« Juuns zuckte mit den Schultern. »Und, was für Informationen suchst du?«
»Ich brauche eine Unterkunft und Arbeit.«
Juuns nahm einen schmierigen Lappen, um damit Gläser abzutrocknen. Carry schob ihr Wasser von sich und nahm sich vor, in dieser Bar nichts mehr zu trinken. »Da hast du dir die falsche Zeit ausgesucht, Schätzchen. Momentan gibt's keine Arbeit. In ein paar Wochen vielleicht wieder.« Sie dachte nach. »Aber eine Unterkunft kann ich dir nennen. Die alte Hanne vermietet ein Zimmer.« Juuns erklärte Carry den Weg. Die bedankte sich, ohne große Hoffnung, das Zimmer zu bekommen. Wie sollte sie das Geld für die Miete aufbringen?
Sie verließ die Shaaka-Bar und schlug den Weg ein, den die Bardame ihr beschrieben hatte. Als sie das Ende der Straße erreichte, merkte sie, dass sie verfolgt wurde.
Carry beschleunigte ihre Schritte, doch schon bald hatten die vier Seeleute sie eingeholt und umkreisten sie wie Shaakas ihre Opfer.
»Du kannst doch nicht so einfach verschwinden, Deern«, sagte einer lachend – ein dreckiger Kerl mit fusseligem Bart und kaum noch Haaren auf dem Kopf. »Wir wollen doch noch ein wenig Spaß mit dir haben.«
»Verschwindet! Lasst mich in Ruhe!«, rief Carry. »Sonst kann ich für nichts garantieren!«
»Oha! Müssen wir jetzt Angst haben?« Die Seeleute grölten und rückten näher heran.
Carry hob seufzend die Schultern. »Ich habe euch gewarnt.« Sie hob die Hände – und aus ihren geöffneten Handflächen ergoss sich Feuer auf die Männer. Die schrien auf, als die Flammen sie erfassten und ihre Bärte und Kleidung in Brand steckten. Drei von ihnen liefen schreiend und jammernd davon, während einer zu Boden ging und nach einigen Zuckungen reglos liegen blieb.
Carry stand keuchend da und lauschte auf die davoneilenden Schritte. Obwohl sie sich mitten in der Stadt zwischen lauter Wohnhäusern befanden, blieb es ruhig. Niemand sah nach, was los war.
Dann ertönte das Geräusch klatschender Hände. Carry fuhr herum; um ihre Finger züngelten neue Flammen. Aus den Schatten trat die Gestalt mit dem Kapuzenmantel. Ihre schlanken Hände schlugen in einer lässigen Geste zusammen.
»Bravo. Diesen Vollidioten hast du es gezeigt.«
»Bleib zurück!«, warnte Carry.
Die Gestalt blieb stehen und schob die Kapuze nach hinten. Lange Locken quollen darunter hervor, grüne, schräg stehende Augen blitzten spöttisch. Es war eine Frau! »Ich will dir nichts Böses, Kleine. Im Gegenteil. Ich glaube, wir können uns gegenseitig helfen. Wir sollten uns zusammentun.«
Carry senkte ihre Hände, und die Flammen erloschen. Misstrauisch runzelte sie die Stirn. »Und warum sollte ich darauf eingehen?«
Die Fremde grinste wie eine Katatze vor dem Sahnetopf. »Ich hörte, du willst nach Beelinn ...«
Der Großraumgleiter flog bodennah über das Gebiet, das vor fünfhundert Jahren als Deutschland bekannt gewesen war. Matt war ganz froh, dass sie Aarachne wieder verlassen hatten und ihr Gleiter nicht mehr von Chitiins belagert wurde.
Er schätzte Ch'zzarak als Verbündete, aber das Insektenwesen war so grundlegend fremdartig, dass sich das Zusammensein mit ihm immer so anfühlte, wie auf einem seidenen Spinnfaden zu balancieren.
»Wir haben noch gut fünfhundert Kilometer bis zu den Dreizehn Inseln vor uns«, sagte Aruula. Auch sie war sichtlich froh, die Stadt der Insekten hinter sich gelassen zu haben. Sie fieberte auf das Wiedersehen mit Königin Haaley hin.
Das lag wahrscheinlich weniger an Haaley als an der Aussicht darauf, endlich wieder einen Fuß auf Heimaterde zu setzen. Aruula sprach nicht oft darüber, aber sie hatte die Sehnsucht nach den Dreizehn Inseln nie verloren. »Gleich werden wir Beelinn passieren.«
»Oder vielmehr Berlin, wie man es früher nannte«, sagte Matt. »Die Stadt hat nicht mehr viel mit dem Beelinn zu tun, das wir kennen.« Dafür tatsächlich mehr mit dem Berlin, dachte er weiter, in dem ich vor dem Kometeneinschlag stationiert war – nur ohne Inquisition und Kirchenstaat.
Das postapokalyptische Beelinn war bei einer Parallelwelt-Verwerfung gegen jenes moderne Berlin ausgetauscht worden.1 Nach anfänglichen Schwierigkeiten hatte die Stadtregierung mit Matthew Drax und seinen Verbündeten kooperiert, vor allem, um die Lage zu stabilisieren und das Portal in die alternative Realität zu schließen. Seitdem hatten sie nichts mehr von dort gehört.
Matt war neugierig darauf, wie sich die Lage in den letzten fünf Jahren weiter entwickelt hatte, und sprach den Gedanken laut aus.
»Das interessiert mich auch«, gab Aruula zu seiner Überraschung zurück. »Vor allem, was aus den Amazonen und den angeblichen Hexen geworden ist. Seit unserem Abenteuer in Salem muss ich immer wieder daran denken.«2
Matt stimmte ihr zu. Der verrückte Prediger Parrisch war ähnlich fanatisch gewesen wie der Inquisitor Jakob Kramer. Parrisch war tot, und Kramer war auf der anderen Seite des Portals zurückgeblieben, als GRÜN es schloss. Er konnte in Berlin kein Unheil mehr anrichten und würde dort nie mehr Jagd auf Frauen mit psionischen Fähigkeiten machen. Bundeskanzler Razinger hatte zugesagt, die Hexenjagd in Berlin einzustellen, doch Razinger war damals bereits alt gewesen – wer wusste schon, wie die Situation sich entwickelt hatte.
»Wir könnten einen Zwischenstopp einlegen und nach dem Rechten sehen.« Als Aruula die Stirn runzelte, ergänzte Matt: »Es könnte auch hilfreich sein, diplomatische Beziehungen zwischen dem Weltrat und der Berliner Regierung zu knüpfen.«
Aruula biss sich auf die Unterlippe, nickte dann jedoch. »Du hast recht, das ist eine gute Gelegenheit.«
Er korrigierte den Kurs geringfügig.
»Was ist das?«, fragte Aruula, als sie das Umland überflogen, das Matt als »Alt-Beelinn« bezeichnete, da es als ursprüngliche Ruinenstadt erhalten geblieben war. Aruula zeigte auf große schwarze, spiegelnde Flächen.
Matt sah genauer hin. »Ich glaube, das sind Solarpanels. Damit wird Strom aus Sonnenenergie gewonnen.« Er pfiff durch die Zähne. »Das sind beeindruckende Anlagen. Die Berliner müssen sie gebaut haben. Zu meiner Zeit war diese Technik noch jung, doch das Parallelwelt-Berlin stammt aus einer späteren Zeitepoche; sie müssen große Fortschritte gemacht haben.«
Wenig später landete Matthew den Großraumgleiter auf einem riesigen brachliegenden Gelände im ehemaligen Stadtteil Schönefeld. Hier war einst der Bau eines Flughafens geplant gewesen, doch zumindest in der Inquisitions-Parallelwelt und dem hierher versetzten, etwa fünfzig Kilometer durchmessenden Areal war es nicht dazu gekommen. Schon bei ihrem ersten Besuch im Parallelwelt-Areal hatten sie ihren Gleiter – damals die »Riverside« – dort abgestellt.
»Lass uns mit PROTO in die Stadt fahren«, schlug Aruula vor.
Matt runzelte zweifelnd die Stirn. »Erinnerst du dich an unseren letzten Besuch? Asphaltierte Straßen mit Autos, Straßenbahnen und Bussen – ich weiß nicht, ob ein Panzer in diesem Fall das richtige Fortbewegungsmittel ist. Wir sind hier nicht in einer Ruinenstadt.«
Er sollte recht behalten: Als sie wenig später durch die belebten Berliner Straßen liefen, war er froh, dass sie PROTO im Gleiter gelassen hatte. Wahrscheinlich hätte die Polizei sie ziemlich schnell am Weiterfahren gehindert.
»Wohin jetzt?«, fragte Aruula und sah einer schwarzen Limousine hinterher. Der Verkehr hatte sich nur wenig verringert. Nach wie vor kreuzten zahlreiche Autos und Busse die Straßen, hier und da sah man auch eine Kutsche. Matt erkannte, dass es meist Elektroautos waren. Wahrscheinlich hatte man die meisten Autos mittlerweile umgerüstet, da Benzin in der postapokalyptischen Welt ein rares Gut war. Matt dachte an die Solaranlagen, die sie gesehen hatten, und fragte sich, wie effektiv diese Technik tatsächlich war.
»Hey, braucht ihr 'n Ritt?« Ein junger Radfahrer hatte neben ihnen angehalten. Hinten an seinem Rad war eine Passagierkabine für zwei Personen festgemacht.
»Wir müssen in die Innenstadt, zum Kreistag«, sagte Matt mit einem zweifelnden Blick auf die blassen Beine des Radlers.
»Kein Prob, Mann! Nix geht schneller als ein Ritt mit der E-Rikscha.« Er machte eine einladende Geste.
Matt und Aruula schauten sich an, zuckten die Schultern und stiegen ein.
Tatsächlich war ihr Chauffeur äußerst geschickt darin, sich mit dem ungewöhnlichen Gefährt durch den Verkehr zu schlängeln. So erreichten sie in etwas mehr als einer Stunde das Zentrum von Berlin, in dem sich das Reichstagsgebäude erhob.
Matt war erstaunt, wie wenig sich im Parallelwelt-Berlin geändert hatte, obwohl es zum Berlin der postapokalyptischen Welt geworden war. Es gab Strom, und die Leute ließen sich nicht von ihrem alltäglichen Leben abhalten, eilten geschäftig durch die Straßen und wirkten kein bisschen postapokalyptisch. Allerdings machten die Frauen immer noch einen irgendwie bekümmerten Eindruck, so wie bei ihrem letzten Besuch. Damals hatten sie in ständiger Furcht vor der Inquisition gelebt. Matt hatte eigentlich gehofft, dass sich dies mittlerweile geändert hatte.