Magic Inferno - Helen Harper - E-Book

Magic Inferno E-Book

Helen Harper

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Beschreibung

Eine Reihe mysteriöser Mordfälle gibt Emma Bellamy das bisher größte Rätsel ihrer Karriere auf ...

Die junge Ermittlerin Emma Bellamy wird zu einem gruseligen Tatort gerufen, denn die Polizei des Londoner Bezirks Hackney vermutet, dass es sich um ein Verbrechen handelt, das in Emmas übernatürlichen Zuständigkeitsbereich fällt. Doch gerade als sie sicher ist, dass dieser Mordfall nicht mit den magischen Wesen Londons in Zusammenhang steht, wird eine weitere Leiche gefunden. Nun wird Emma klar, dass nicht nur Menschen, sondern auch Vampire, Werwölfe und Pixies in tödlicher Gefahr schweben. Und auch wenn ein Serienkiller schon schlimm genug wäre, wird Emma das Gefühl nicht los, dass hinter den Morden mehr stecken könnte. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt ...

Band 6 der FIREBRAND-Reihe

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Helen Harper bei LYX

Impressum

HELEN HARPER

Magic Inferno

Roman

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Eine Reihe mysteriöser Mordfälle gibt Emma Bellamy das bisher größte Rätsel ihrer Karriere auf …

Die junge Ermittlerin Emma Bellamy wird zu einem gruseligen Tatort gerufen, denn die Polizei des Londoner Bezirks Hackney vermutet, dass es sich um ein Verbrechen handelt, das in Emmas übernatürlichen Zuständigkeitsbereich fällt. Doch gerade als sie sicher ist, dass dieser Mordfall nicht mit den magischen Wesen Londons in Zusammenhang steht, wird eine weitere Leiche gefunden. Nun wird Emma klar, dass nicht nur Menschen, sondern auch Vampire, Werwölfe und Pixies in tödlicher Gefahr schweben. Und auch wenn ein Serienkiller schon schlimm genug wäre, wird Emma das Gefühl nicht los, dass hinter den Morden mehr stecken könnte. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt …

Den Harparty People gewidmet.

1

Wann ich gegen den Gestank des Todes immun geworden war, konnte ich nicht sagen, aber als ich auf den verwesenden Leichnam hinuntersah, merkte ich, dass der üble Geruch mir nicht länger zusetzte.

Die Haut der Pixie war totenbleich, doch ihr Mund war ein purpurroter Schlitz, und der sorgfältig aufgetragene Lippenstift stand in grellem Kontrast zum übrigen Gesicht.

»Ist sie daheim?«, fragte der besorgte Nachbar von der Wohnungstür her, und sein tadellos getrimmter Schnurrbart bebte. »Geht es ihr gut?«

Ich kam aus dem kleinen, sehr aufgeräumten Schlafzimmer zurück in den Flur. Fred war in der Küche und begutachtete den Inhalt des Kühlschranks. Ich sah ihn kurz an und musterte dann den blassen Mann. »Wissen Sie, ob Miss Thorn Verwandte hat?«

Die Schultern des Mannes sackten herunter. »Oh«, flüsterte er.

Ich warf ihm ein mitfühlendes Lächeln zu, das er nicht bemerkte. »Leider ist sie gestorben.«

Nun blinzelte er hektisch. »Oh«, sagte er wieder. »Oh.«

Ich nahm ihn am Ellbogen und führte ihn behutsam von der Tür der verstorbenen Rosie Thorn weg. Seine Wohnung lag direkt gegenüber. Er stolperte hinein und ins Wohnzimmer, ließ sich auf ein elegantes samtbezogenes Sofa fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.

Ich ließ ihm etwas Zeit, sich zu beruhigen, sah mich dabei ein wenig um und wünschte, meine Wohnung wäre so gepflegt und sauber wie seine. Weder Lukas noch ich waren sonderlich unordentlich, aber dieses Zimmer befand sich auf einem völlig anderen Niveau. »Soll ich Ihnen einen Tee machen?«

»Nein«, sagte er kopfschüttelnd. »Nein, alles gut.« Er lächelte mich mit tränenfeuchten Augen an. »Danke, aber es geht schon. Das war nur der Schreck. Letzte Woche habe ich sie noch besucht und hätte früher nach ihr gesehen, doch ich habe ein paar Tage Urlaub im Norden gemacht und bin erst heute Morgen zurückgekommen.«

»Das hätte wahrscheinlich nichts geändert, Mr Harris«, sagte ich. »Natürlich wird es eine Obduktion geben, aber für mich sieht alles nach einem schnellen, friedlichen Tod aus. Wissen Sie, wie alt sie war?«

»Neunundsiebzig. Sie war dabei, für nächsten Monat ihre Feier zum Achtzigsten zu planen, eine Motto-Party: Glamrock. Sie wollte sich aufbrezeln wie die Musiker von Kiss und hatte sich schon passendes Make-up besorgt.«

Lebenslustige Pläne.

Harris fuhr sich zittrig durchs Haar, sah mich kurz an, blickte weg und schaute mich erneut an.

»Was ist?«, fragte ich leise. Offenkundig lag ihm etwas auf der Seele.

»Ich bin Krankenpfleger«, flüsterte er, als fürchtete er, jemand könnte uns belauschen, obwohl nur wir zwei in der Wohnung waren. »Rosie hatte keine Lust auf Untersuchungen beim Hausarzt. Sie verabscheute es, dort zu sitzen, bis sie aufgerufen wurde, und hat immer gesagt, das Wartezimmer sei voller Kranker und sie wolle sich dort nichts einfangen.«

»Aha.« Ich wartete, denn mir war klar, dass er mehr loswerden wollte.

»Ich habe mich ein wenig um ihre Gesundheit gekümmert.« Schuldgefühle vertieften seine Falten so sehr, dass sein Gesicht fast ausgezehrt wirkte. »Monatlich habe ich ihren Blutdruck gemessen und ihr auch Vitamine und Lebensmittel empfohlen, damit sie bei Kräften bleibt. Immer wieder habe ich sie aufgefordert, zu ihrem Arzt zu gehen, da ich nicht viel für sie tun könne, aber sie wollte nicht hören.«

»Gut. Danke, dass Sie mir das erzählt haben. Demnächst müssen Sie ins Supernatural Squad kommen und genauer beschreiben, was Sie für sie getan haben.« Ich ließ meine Stimme weiter mitfühlend klingen. »Man kann niemanden zwingen, zum Arzt zu gehen, und womöglich hätte es nichts geändert, wenn sie das getan hätte.«

Alan Harris unterdrückte ein Schluchzen. »Sie war eine sehr nette Dame und eine tolle Nachbarin.«

»Hat sie Angehörige in der Gegend?«, wollte ich wissen.

»Einen Sohn und eine Enkelin aus erster Ehe, denke ich. Aber sie hatten nicht viel Kontakt. Einer ihrer Ex-Ehemänner ist allerdings mitunter vorbeigekommen und hat nach ihr geschaut.«

Einer ihrer Ex-Ehemänner? Ich lächelte kaum merklich. »Gehört er auch zu den Pixies?«

Harris schüttelte den Kopf. »Er ist ein Werwolf.«

Das war ungewöhnlich, aber nicht beispiellos. »Wissen Sie, wie er heißt?«

»Robert Sullivan.«

Ich hob eine Braue. Der einzige mir bekannte Robert Sullivan war Beta-Wolf im Sullivan-Clan. Er war störrisch, renitent und allein Lady Sullivan gegenüber loyal. Außerdem war er gut dreißig Jahre jünger als Rosie Thorn. Die tote Pixie stieg in meiner Wertschätzung noch höher. Trotz ihres Männergeschmacks hatte sie das Leben voll ausgekostet.

Ich erfragte noch einige Kleinigkeiten, ließ Mr Harris dann in Ruhe und kehrte in die Wohnung der Toten zurück. Fred war nun im Wohnzimmer und sah aus dem Fenster. Ich räusperte mich, und er fuhr zusammen. »Verzeihung, Boss.« Er wies auf die Straße. »Ich habe die Aussicht bewundert.«

Mein Blick folgte seinem ausgestreckten Finger in diverse Wohnungen gegenüber. Nur da und dort war ein Vorhang vorgezogen, es ließ sich also vieles beobachten.

»Da wir den Leuten dort in die Wohnungen sehen können«, meinte Fred, »können sie hier reingucken und uns vielleicht sagen, wann sie Miss Thorn zuletzt herumgehen sahen. Das könnte bei der Bestimmung des Todeszeitraums helfen.«

»Wir können eine kleine Befragung machen«, pflichtete ich ihm bei. Unser Erfolg würde von der Neugier der Nachbarn abhängen, doch ich bezweifelte, dass an Rosie Thorns Tod etwas verdächtig war. Nichts deutete auf Mord hin, und sie war schon älter gewesen. »Gibt es noch was Bemerkenswertes?«

»Die Milch im Kühlschrank ist vor drei Tagen abgelaufen.« Also war sie vermutlich mindestens so lange tot.

Ich nahm ein halb leeres Glas vom Wohnzimmertisch und roch daran. Gin Tonic. Es gab schlimmere Todesarten als das Sterben im eigenen Bett nach ein, zwei solchen Gläsern, wie ich genau wusste. Vielleicht hatte Rosie geahnt, was kommen würde, und sich in halb bewusster Vorbereitung darauf vor dem Schlafengehen noch einen Drink gemixt. Womöglich würden wir das nie erfahren. Tod und Sterben waren selbst für mich noch sehr geheimnisvoll, obwohl ich beides mehrmals erlebt hatte.

»Wo bleiben die Sanitäter, um den Tod aufzunehmen?«, fragte ich.

»Notfälle haben Vorrang. Ms Thorn geht nirgendwo mehr hin, hat also keine Priorität. Ich habe mit dem nächsten Allgemeinarzt hier gesprochen. Sie war dort Patientin, hat aber seit zwei Jahren keine Termine mehr vereinbart. Vermutlich hat sie sich fit und gesund gefühlt.«

Das bestätigte, was Alan Harris mir erzählt hatte.

»Die Praxis schickt jemanden her, der den Totenschein ausstellt«, fuhr Fred fort.

Ich sah auf meine Uhr. Das konnte dauern, und die Nachricht von ihrem Tod würde sich rasch verbreiten. Es war besser, Robert Sullivan und Rosies Sohn ausfindig zu machen, bevor ihnen Miss Thorns Tod gerüchteweise zu Ohren kam. »Sie warten bitte hier, während ich versuche, die Angehörigen zu erreichen.«

Fred nickte, und ich tat, als hätte ich seine Erleichterung nicht bemerkt. Beim Sullivan-Clan zu klopfen, war selbst im besten Fall keine angenehme Aufgabe.

»Halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte ich.

»Für den Fall, dass sie Feuer fängt und vor meinen Augen aufersteht?«

Ich runzelte die Stirn.

»Es sind schon seltsamere Dinge passiert, Boss.«

Ja, ja. Ich verdrehte die Augen und ging.

Die glänzende Lacktür schwang auf. »Lady Sullivan empfängt keinen Besuch«, knurrte Robert und sah mich verächtlich an. »Also verschwinden Sie, ehe ich mich bei Ihren Vorgesetzten beschwere. Es gibt schließlich Gesetze gegen Belästigung durch die Polizei.«

Geflissentlich wahrte ich eine ausdruckslose Miene. »Eigentlich, Mr Sullivan, wollte ich mit Ihnen sprechen.«

»Ich habe nichts getan.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Und seit wann nennen Sie mich Mister?«

»Darf ich reinkommen?«

Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust und funkelte mich an. Ehe er weiter mit mir diskutieren konnte, fügte ich hinzu: »Leider bringe ich schlechte Nachrichten.«

Sein Verhalten änderte sich sofort: Er wurde bleich, seine Miene schlaff. Todesnachrichten zu überbringen, gehörte zu den unangenehmsten Aufgaben meines Berufs, und zu wissen, dass Robert für seinen Clan die gleiche Aufgabe würde übernehmen müssen, half dabei nicht. »Um wen handelt es sich?«

»Wenn wir das bitte drin besprechen könnten –«

»Nun sagen Sie schon.«

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Er wollte es unbedingt an der Haustür hören. »Um Rosie«, sagte ich leise.

Fast sofort schüttelte Robert den Kopf. »Nein.«

»Mein aufrichtiges Beileid, Mr –«

»Nein. Sie haben sich vertan.«

Das war immer möglich, doch in diesem Fall hatte ich meine Zweifel.

»Wie?«, fragte er dann. »Wie ist sie gestorben?«

»Genaueres wissen wir erst nach der Obduktion, aber anscheinend ist sie im Bett entschlafen.«

»Also eines natürlichen Todes gestorben?«

»Ja.«

»Nein.«

Nicht zum ersten Mal weigerte sich jemand, die traurige Nachricht zu glauben, die ich zu überbringen hatte. »Es tut mir sehr leid, Mr Sullivan.«

»Das ist sie nicht.« Er warf den Kopf in den Nacken. Dunkle Fellflecken erschienen auf seinen Wangen – nicht übel, da der Vollmond erst zwei Tage zurücklag und Roberts Wolfsenergie sicher sehr erschöpft war. »Ich wusste, dass Ihre Unfähigkeit sich eines Tages offenbart, DC Bellamy.« Er schniefte. »Und ich habe recht behalten.«

»Wissen Sie, wie wir Rosies Sohn oder ihre Enkelin erreichen?«, fragte ich. »Und ob es andere Angehörige gibt, die wir informieren müssen?«

Robert trat einen Schritt vor, und sein Gesicht war nur noch Zentimeter von meinem entfernt. »Sie ist nicht tot, du Vampirgroupie!«

Ich öffnete den Mund, konnte aber nichts sagen, weil seine Hand blitzschnell an meine Kehle schoss. Dass unsere Unterhaltung diesen Verlauf nehmen würde, hatte ich wirklich nicht erwartet.

Seine Finger schlossen sich fester um meinen Hals. Das war keine Warnung: Er wollte mich töten – wohl, weil auch er wusste, dass ich nicht tot bleiben würde.

Ich wollte ihm nicht wehtun, aber mich von ihm erwürgen lassen, wollte ich auch nicht. Also trat ich gegen sein Schienbein und rammte ihm mein Knie in den Magen. Es war kein mit voller Wucht geführter Angriff, doch Robert ließ mich mit einem so schmerzerfüllten wie überraschten Ächzen los. Er hätte froh sein sollen, dass ich die Armbrust nicht dabeihatte, denn ich hätte sie trotz silberner Pfeilspitzen legitimerweise gegen ihn einsetzen dürfen (moralisch gesehen wohl eher nicht).

Leider wusste er nicht, wann er sich geschlagen geben sollte, sondern stürzte sich mit gesenktem Kopf auf mich. Seine Fingernägel verwandelten sich in unförmige Klauen, mit denen er mir das Fleisch von den Knochen reißen wollte.

Ich fauchte vor Verärgerung und sprang zur Seite, um dem Angriff auszuweichen. Robert stieß einen unartikulierten Schrei aus, fuhr herum und war nun mehr Wolf als Mensch. Ein wildes Leuchten lag in seinen gelben Augen. Da es keinen Schuldigen am Tod von Rosie Thorn zu geben schien, machte er offenbar mich dafür verantwortlich. Er würde nicht nachlassen, noch nicht. Ich würde ihn dazu bringen müssen.

Es gab ein paar Übernatürliche, von denen ich wusste, dass ich es nicht mit ihnen aufnehmen konnte: Lukas natürlich, die Alphas der Werwolf-Clans, die Ghule, ein oder zwei Kobolde und eine Handvoll Pixies. Dann gab es Übernatürliche, bei denen ich zweifelte, ob ich sie besiegen konnte; deshalb wäre mir nicht eingefallen, sie bannen zu wollen, da ich fürchten musste, zu scheitern oder das Gesicht zu verlieren. Und es gab eine ziemliche Menge Übernatürlicher, die ich nur meinem Willen unterwerfen konnte, wenn ich sie beim richtigen Namen nannte.

Roberts richtigen Namen kannte ich nicht, doch mir war klar, dass meine Kraft ihm überlegen war, egal, welchen Posten er in seinem Clan bekleidete. Ich holte tief Luft – und sah Lady Sullivan auf der Türschwelle hinter ihm stehen. Sie schüttelte den Kopf.

Ich musterte sie und trat einen Schritt zurück.

»Komm her, Robert«, befahl sie, und ihre Worte ließen die Luft vibrieren.

Zwar war er aufgebracht, aber auch ihr Beta und konnte sich ihrem Befehl deshalb nicht widersetzen. Seine Schultern sackten herab, doch seine Augen funkelten weiter vor Zorn. Er bleckte die Zähne in meine Richtung und ließ rosa Zahnfleisch sehen. Dann trat er neben seine Herrin.

»Braver Junge.« Sie schubste ihn ins Haus, schloss die Tür hinter ihm und sah mich an. »Danke, Emma.«

Sie wusste so gut wie ich, dass ich Robert hätte zwingen können, sich zu beruhigen. Das hätte ihm nicht gutgetan, nicht auf die Dauer, und den Ruf des Sullivan-Clans nicht verbessert. Er pries sich als stärkster Werwolf-Clan des Landes, hätte aber an Stolz und Ansehen verloren, wenn eine einfache Ermittlerin der Polizei einen seiner Betas in die Knie gezwungen hätte.

Lady Sullivan die Kontrolle übernehmen zu lassen, war allerdings nicht ganz selbstlos geschehen. Sollte allgemein bekannt werden, dass ich mächtig genug geworden war, einen Beta-Wolf zu bezwingen, wäre das auch für mich gefährlich.

»Angesichts der Umstände«, sagte ich, »bin ich bereit zu vergessen, was gerade passiert ist. Aber das darf sich nicht wiederholen.«

»Robert wird das einsehen. Dafür sorge ich.«

»Nicht er allein, sondern alle Ihre Wölfe«, mahnte ich.

Ein kaum merkliches Nicken zeigte ihr Einverständnis. Das musste mir genügen.

»Trauer ist ein starkes Gefühl, Lady Sullivan«, fuhr ich fort. »Sie kann den gesunden Verstand lähmen. Aber ich brauche Informationen von Robert, und es wäre hilfreich, wenn ich mich mit ihm vernünftig unterhalten könnte.«

»Damit warten Sie am besten ein paar Tage.«

»Ich muss Rosie Thorns Angehörige ausfindig machen.«

»Ich spreche mit ihm und lasse Sie noch heute wissen, wo sie sind. Wenn Robert so weit ist, kommt er ins Dezernat und redet mit Ihnen. Jetzt braucht er uns, Detective, nicht Sie.«

»Gut.« Ich hielt inne. »Zwar hilft ihm das jetzt nicht, aber für eine Pixie hat sie ein hohes Alter erreicht.«

Lady Sullivan sah mich unverwandt an. »Wie Sie schon sagten, Detective: Trauer ist ein starkes Gefühl.«

Richtig. Ich seufzte, drehte mich um und ging.

2

Detective Sergeant Owen Grace musterte mich über den Rand seines Computerbildschirms hinweg. Er glaubte wohl, das geschehe heimlich, doch seine ständigen Blicke ließen sich kaum ignorieren. Ihm geisterte etwas durch den Kopf.

Ich konzentrierte mich auf meine Unterlagen. Früher oder später würde er etwas sagen. Es war ergiebiger, DS Grace Zeit und Raum zu geben, seine Gedanken zu formulieren.

Liza schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Ich gehe kurz raus und besorge mir ein Sandwich. Braucht jemand was?«

»Mit Käse und Tomaten, bitte«, sagte ich.

»Draufgängerisch wie immer«, brummte sie. »Und Fred? Wieder in Essig ertränkte, unter Käse begrabene Pommes, um die Adern endgültig zu verstopfen?«

Er strahlte und ging nicht auf ihren Ton ein. »Danke, Liza.«

»Und was magst du, Honigmäulchen?«, fragte sie Grace.

»Das Gleiche wie du, Sahnetörtchen«, gab er mit dem Lächeln zurück, das allein für sie reserviert war.

Fred verdrehte die Augen und tat, als stecke er sich den Finger in den Hals. Liza sah ihn verständnislos an. »Ist Ihnen übel? Dann sollten Sie die fetten Pommes nicht essen – ich hole Ihnen einen Salat.« Sie gab Grace einen Kuss auf die Wange und fegte aus dem Zimmer.

Fred runzelte die Stirn. »Ob sie mir tatsächlich einen Salat mitbringt?«

Ich grinste. »Vermutlich.«

Er nahm seinen Helm und stand auf. »Ich begleite sie besser.« Er eilte ihr nach.

Ich konzentrierte mich wieder auf den Bildschirm. Nur noch ein Bericht – hurra!

In der anderen Ecke des Zimmers holte Grace vernehmlich Luft. Erwartungsvoll sah ich auf. Jetzt ging es los. »Haben Sie Rosie Thorns Familie schon ausfindig gemacht?«

Hm. Das hatte er zwar eigentlich nicht sagen wollen, aber ich würde erst mal mitspielen. »Gestern, ja. Ihr Sohn liegt in Bahrain im Krankenhaus und kann nicht reisen, doch ich habe die Enkelin gesprochen, die auch als nahe Angehörige gilt.«

Unter der Telefonnummer, die Lady Sullivan mir besorgt hatte, war sofort der AB angesprungen. Ich hatte mehrere Nachrichten hinterlassen und vier Tage warten müssen, bis die Enkelin die Nachrichten abgerufen hatte. »Sie war in Europa unterwegs, darum hat es einige Zeit gedauert. Jetzt ist sie auf der Rückreise.«

Er schnaubte. »Gut. Was ist mit Robert Sullivan? War er schon hier?«

»Noch nicht.«

Grace bekam schmale Lippen. »Die Obduktion hat ergeben, dass Rosie Thorn an einem Herzinfarkt gestorben ist?«

»Ja. Der Pathologe der Werwölfe hat die Untersuchung selbst vorgenommen, damit Robert nicht behaupten kann, wir hätten was übersehen. Er ist wohl noch nicht aufgetaucht, weil er sich schämt. Bestimmt kommt er früher oder später vorbei.«

»Das sollte er«, brummte Grace. »Wenn wir bis heute Abend nichts von ihm hören, rede ich noch mal mit Lady Sullivan. Sein Verhalten Ihnen gegenüber war inakzeptabel. Deshalb kümmere am besten ich mich nun um ihn.«

All das hatten wir schon besprochen. Ich nickte und wartete, während Grace an seinen Manschetten zupfte. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, räusperte sich und nahm ein Blatt Papier. »Hier ist ein Schreiben vom Polizeirevier in Hackney. Jemand vom Supernatural Squad soll die Kollegen dort bei der Aufklärung eines kürzlich begangenen Verbrechens beraten.«

Das war es also, was er bisher verschwiegen hatte. Fast hätte ich die Augen verdreht. Seit dem Gipfel im Vorjahr waren Übernatürliche aller Art ungemein populär geworden. In Lisson Grove und Soho waren viel mehr Touristen unterwegs als früher, und es verging kaum eine Woche, ohne dass Lukas von einem Fernsehsender um ein Interview gebeten wurde.

Ich hatte sogar eine Werbekampagne für ein verbreitetes Parfüm gesehen, bei dem Mitglieder des McGuigan-Clans als Models aufgetreten waren. Sie verabscheuen den Geruch von nassem Hund? Dann verwenden Sie diesen Duft! – so lautete der Slogan zwar nicht, aber so hätte er lauten können.

Dieser Gesinnungswandel, nach dem wir uns alle gesehnt hatten, begeisterte mich, doch manchmal haftete ihm etwas Lächerliches an. In pessimistischen Momenten schwante mir, es sei nicht viel besser, angehimmelt als verunglimpft zu werden, denn es bedeutete, dass der Sturz umso tiefer war, wenn etwas wirklich schieflief. Ich hätte es lieber gehabt, wenn Übernatürliche behandelt worden wären wie Menschen, also weder als Böse noch als Engel. Übernatürliche waren, aufs Ganze gesehen, so gut und so schlecht wie Menschen.

Doch nicht nur die Übernatürlichen erhielten Aufmerksamkeit; das Supernatural Squad bekam Anfragen aus allen Ecken von London. Anfangs war das aufregend gewesen und hatte sich angefühlt, als würden wir endlich wegen unseres Sachverstands und unserer Erfahrung mit allem Übernatürlichen wertgeschätzt, doch bald war der Lack ab. Hätte ich für jedes gefälschte Pentagramm und jede andere Lappalie, der ich selbst in tiefster Nacht nachgehen musste, ein Pfund bekommen, hätte ich Geld genug, mir ein neues Auto zu kaufen. Oder Tallulah zumindest frisch lackieren zu lassen.

»Gibt es nähere Angaben?«, fragte ich Grace.

Er schüttelte den Kopf. »Leider nein.«

Möglicherweise waren die Leute vom Revier in Hackney deshalb so schweigsam, weil sie wussten, dass das Verbrechen nicht von Übernatürlichen begangen worden war. Vielleicht wollten sie nur jemanden von uns hinzuziehen, damit es so aussah, als hätten sie alle Hebel in Bewegung gesetzt. Beliebtheit hatte ihre Schattenseiten. »Gut«, seufzte ich.

»Sie kümmern sich also darum?«

»Habe ich denn eine Wahl?«

Grace grinste mich an. »Eigentlich nicht.«

Ich rieb mir den Nacken und rang mir ein Lächeln ab. »Dann kann ich es kaum erwarten.«

Kurz nach drei Uhr nachmittags stellte ich mich in Hackney am Schalter des Polizeireviers vor. Der Uniformierte hinter dem Tresen musste zweimal hinschauen. »Sie … Sie … Sie sind DC Bellamy!«, keuchte er.

Fast hätte ich einen Hofknicks gemacht. »So ist es.«

»Ich bin ein Riesenfan!«

»Danke.« Ich lächelte höflich und sah auf das Papier, das Grace mir mitgegeben hatte. »Ich möchte mit Detective Inspector Colquhoun sprechen – ist sie im Haus?«

»Aber ja.« Er strahlte mich weiter an.

Ich musterte ihn und sagte schließlich: »Würden Sie ihr bitte sagen, dass ich da bin?«

»Oh!« Nervös griff er zum Hörer. »Wenn Sie bitte kurz warten, bestimmt kommt sie gleich runter.«

Ich nickte und setzte mich möglichst weit von ihm weg. Hoffentlich würde er mich nicht um ein Autogramm bitten wie der Parkwächter, der Tallulah neulich einen Strafzettel verpasst hatte. Diese Verlegenheit sollten wir uns beiden ersparen.

Ich wartete fünf Minuten, zehn. Als es fünfzehn Minuten wurden und der Mann am Schalter langsam einen roten Kopf bekam und sich offenbar unbehaglich fühlte, überlegte ich, ob es sich um eine wohlkalkulierte Machtdemonstration von DI Colquhoun handelte. Vielleicht wollte sie dafür sorgen, dass ich meinen Platz kannte. Ob beliebt oder nicht – ich war Ermittlerin beim Supernatural Squad und galt als nicht so nützlich wie typische Polizeibeamte.

Als sich die innere Sicherheitstür endlich öffnete und ich Colquhouns erschöpfte Züge und ihre angespannte Miene sah, begriff ich, dass ich gerade die Todsünde beging zu denken, alles drehe sich um mich. Colquhoun hatte offenbar Stress und Probleme. Ihrem Blick zufolge war mein Auftauchen kaum mehr als eine Störung.

»DI Colquhoun«, sagte sie knapp. »Und Sie sind die Ermittlerin vom Supe-Squad?«

»Emma Bellamy« antwortete ich mit einem Lächeln, das sie nicht erwiderte.

Sie musterte mich von oben bis unten. »Wahrscheinlich verschwenden Sie Ihre Zeit, aber danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, quer durch die Stadt hierherzukommen.«

Diese Feststellung wusste ich zu schätzen und fand es erfrischend, dass sie zu sagen schien, was sie dachte. »Warum meinen Sie, dass ich meine Zeit verschwende?«

»Weil es sich hier nicht um ein Übernatürlichen-Verbrechen handelt, sondern um die Tat eines Psychopathen. Und soweit ich weiß, geht beides nicht Hand in Hand.« Sie zuckte die Achseln. »Aber für meinen Boss ist es sehr ungewöhnlich, dass er Ihre Beteiligung an den Ermittlungen wünscht. Geben Sie ihm die Schuld, nicht mir. Bestimmt haben Sie Besseres zu tun.« Leise fügte sie hinzu: »Bei mir jedenfalls ist das so.«

»Dann zeigen Sie mir bitte die Akten, und ich sage Ihnen meine Meinung dazu. Danach können Sie schnellstens mit dem weitermachen, woran Sie gerade arbeiten.«

Colquhoun warf mir einen stechenden Blick zu. Als sie merkte, dass ich es aufrichtig meinte, lächelte sie. »Sie sind anders als erwartet.«

Ich beschloss, nicht wissen zu wollen, was sie erwartet hatte.

»Jedenfalls soll ich Ihnen nicht nur die Akten zeigen«, fuhr sie fort, »sondern auch den Tatort. Aber keine Sorge«, sie tätschelte die Tasche an ihrer Seite, »ich habe Einweg-Overalls dabei, damit Sie Ihre Sachen nicht ruinieren.«

Einweg-Overalls? Ich sah sie stirnrunzelnd an. »Wieso sollte ich mir die Sachen ruinieren? In was für einem Verbrechen ermitteln Sie denn?«

Sie starrte mich an. »Hat man Ihnen das nicht gesagt?« Sie lachte auf. »Gut, dass ich weiß, wer Ihr Freund ist. Da sind Sie vermutlich nicht zimperlich. Es ist der Hammer!«

Also handelte es sich nicht um ein Pseudo-Pentagramm oder um Ruhestörung in tiefer Nacht. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und ich hatte das plötzliche Gefühl, derart banale Ermittlungen wären mir letztlich doch lieber gewesen.

Colquhoun brachte mich zu einem Haus, das mal eine prächtige viktorianische Villa gewesen war, anderthalb Kilometer vom Polizeirevier entfernt. »Gestern am späten Abend hat ein Nachbar das Verbrechen gemeldet«, sagte sie. »Der Tatort ist noch frisch.«

Ich streifte den Einweg-Overall über und war nun in Weiß gehüllt. Nur mein Gesicht blieb sichtbar. Dann zog ich Handschuhe und eine Maske an und schlüpfte in blaue Überschuhe. Colquhoun tat das Gleiche und ließ ihre braunen Locken unter der weißen Kapuze des Overalls verschwinden. »Falls Sie sich übergeben müssen –«, begann sie.

»Das passiert mir nicht.«

Sie musterte mich durchdringend. »Gut.« Dann hob sie das blaue Absperrband. »Nach Ihnen.«

Ich trat über die Schwelle der Haustür. Schon von hier konnte ich Blut riechen.

»Wir vermuten«, sagte Colquhoun, »dass der Täter sich durch den von allen Hausbewohnern genutzten und gepflegten Garten Zutritt verschafft hat.« Sie wies den Flur entlang. »Sehen Sie das eingeschlagene Fenster dort?«

Zwei Leute von der Forensik untersuchten den Rahmen auf Fingerabdrücke, und ich sah ihnen kurz zu. Etwas erschien mir merkwürdig. Endlich begriff ich und fragte: »Haben Sie die Glasscherben schon weggeräumt?«

»Es gab keine Scherben«, erwiderte Colquhoun. »Die hat der Mörder entfernt. Womöglich hat er einen Putzfimmel. Oder er wollte die Entdeckung des Einbruchs hinauszögern.«

Ich kaute auf der Unterlippe. Ohne Scherben dachten Passanten besonders bei Nacht vermutlich, das Fenster sei nicht eingeschlagen worden, sondern stehe offen. Das sprach für einen pedantischen Täter. Nach meiner Ansicht aber sprach es noch für etwas anderes. »Übertötung«, sagte ich.

Colquhoun schnaubte. »Treffer. Dabei haben Sie noch gar nichts gesehen.«

Düstere Vorahnungen zogen mir den Magen zusammen. Ich schluckte. Colquhoun hatte recht, ich war nicht zimperlich, sicher nicht. Trotzdem behagten mir solche Dinge nicht.

Ich folgte ihr zu einer offenen Tür mit der Aufschrift »Wohnung 1 A« und runzelte die Stirn. »Sagten Sie nicht, das Verbrechen wurde im ersten Stock begangen?«

»So ist es, Miss Kleinlich.« Colquhoun wirkte leicht amüsiert. »Doch diese Wohnung ist wichtig, denn die Leute hier haben die Polizei verständigt.«

»Weil sie ein Handgemenge gehört haben?«

»Nichts haben sie gehört – aber gesehen haben sie etwas. Und gespürt.«

Nun war ich noch verblüffter. Colquhoun streckte den Arm aus. »Hereinspaziert«, sagte sie. »Schauen Sie sich um.«

Vorsichtig schob ich mich in die Wohnung. Sie war leer, doch die Spurensicherung hatte sie untersucht. Ich sah kurz in die große, luftige Küche und in ein Schlafzimmer. Nichts zu entdecken. Dann warf ich einen Blick ins Wohnzimmer und fuhr mit einem Zischen zurück.

Colquhoun beobachtete mich. »Ja«, sagte sie trocken, »es ist, wie Sie denken. Das Paar hier hat auf dem Sofa einen Liebesfilm geschaut. Er hat ihren Hals gestreichelt, sie seine Beine, Kerzen brannten, Wein war eingeschenkt, alles perfekt.« Sie schürzte die Lippen. »Kaum zu glauben, dass es Leuten gelingt, so was wirklich zu tun. Woher nehmen sie die Zeit dafür?«

Auf meinen Blick hin kam sie wieder zur Sache. »Die Woche war lang, und ich wohne allein mit meiner Katze. Was soll ich sagen? Wenn ich bei Tinder Glück hatte und etwas Nasses im Gesicht spüre, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass es kein Blut ist, das aus der Wohnung über mir tropft.«

Ich biss die Zähne zusammen und betrachtete die Szene erneut. An der Decke befand sich ein dunkler Fleck. Soweit ich vermuten konnte, war Blut von oben auf das Paar auf dem Sofa getropft. Kein Wunder, dass es die Polizei verständigt hatte. Es musste viel Blut gewesen sein, sonst wäre es nicht bis in diese Wohnung gedrungen.

»Warten Sie ab, was es oben zu sehen gibt«, sagte Colquhoun. »Es ist ein Blutbad.«

3

Zurück im Polizeirevier von Hackney nippte ich an übersüßtem Tee und versuchte, möglichst wenig daran zu denken, wie viel Blut in der Wohnung gewesen war. Trotz meines Wissens um den menschlichen Körper erschien es mir erstaunlich, dass solche Mengen von nur einer Person stammten. Der ganze Boden des Wohnzimmers im ersten Stock war damit bedeckt, als sei ein Innenarchitekt hereingeschneit und habe beschlossen, null positiv sei die verheißungsvollste Farbe für Bodenbeläge.

»Keine Fußabdrücke«, sagte ich. Tatsächlich hatte es keine Hinweise dafür gegeben, dass außer dem Opfer jemand im Zimmer gewesen war. Naheliegend also die Vermutung von Colquhouns Chef, es könnte Verbindungen zu Übernatürlichen geben.

Colquhoun schob mir über den Tisch ein Foto zu. »Das wurde einige Straßen vom Tatort entfernt bei einer Mülltonne gefunden. Wir überprüfen das umliegende Gebiet, haben bisher aber nichts entdeckt.« Sie wies auf das Bild. »Der ist ganz blutig. Wir haben noch keine Testergebnisse, aber ich nehme an, es ist das gleiche Blut.«

»Das ist vermutlich kein …«

»Es handelt sich um einen gewöhnlichen Eimer, wie man ihn überall kaufen kann. Davon werden jedes Jahr Millionen hergestellt.«

Das passte. »Der Mörder hat also das Blut des Opfers in einem Eimer gesammelt und dann …«, ich verzog das Gesicht, »… säuberlich auf dem Fußboden verteilt?«

Colquhoun nickte. »Darum keine blutigen Spuren. Für die Ecken hat er vermutlich einen Pinsel verwendet, aber den haben wir noch nicht gefunden. Jedenfalls hat er darauf geachtet, beim Abgang keinen Schritt durch das Blut tun zu müssen.«

Ihr makabrer Witz ließ mich aufblicken, doch sie lächelte nicht. Dass sie »er« gesagt hatte, also von einem Täter ausging, ließ ich unkommentiert. Es war eine plausible Annahme, weil dreiundneunzig Prozent aller Morde in England auf das Konto von Männern gingen. Allerdings hatte ich es auch schon mit einigen Mörderinnen zu tun gehabt.

Ich dachte über das Zimmer nach. Es hatte kein Blut an den Wänden gegeben, im Gegenteil: Sie hatten klinisch sauber gewirkt. »Das Opfer muss woanders umgebracht worden sein.«

Colquhoun schüttelte den Kopf. »Genaueres erfahren wir erst durch die Obduktion, doch die Spurensicherung geht davon aus, dass er in der Wohnung ermordet wurde.«

Ha. Jemanden ausbluten zu lassen, ist eine schmutzige Angelegenheit, aber bis auf den roten Fußboden hatte es sich um eine saubere Tötung gehandelt. »Ob es jemand mit medizinischer Ausbildung war, der weiß, wie man eine Arterie anzapft und möglichst viel Blut aus dem Körper holt?«

»Das vermutet Don Murray, mein Vorgesetzter.« Sie verzog das Gesicht, doch ich wusste nicht, ob das ihrem Chef oder seiner Theorie galt. »Aber bei YouTube gibt es zu praktisch allem Erklärvideos. Es mag also auch ein Amateur gewesen sein. Ob ein Vampir der Täter sein könnte?«

Der Zweifel in ihrer Stimme entsprach meinen Bedenken. »Auch der willensstärkste Vampir hätte angesichts des vielen Bluts sehr mit der Versuchung zu kämpfen. Außerdem enthält ein Vampirbiss Speichel, der sofort zur Wundheilung führt. Kaum hat er die Fänge aus seinem Opfer gezogen, verliert es kein Blut mehr. Theoretisch könnte ein halb verhungerter Vampir zwar so viel Blut getrunken haben, aber es wurde ja abgezapft.« Ich sah ihr in die Augen. »Oder haben Sie am Opfer Bisswunden entdeckt?«

»Nein.« Sie lächelte matt, und ich begriff, dass sie mich mit der Vampirfrage hatte testen wollen. Ich beschloss, darüber nicht beleidigt zu sein; schließlich kannten wir uns gar nicht.

»Es gibt keine Hinweise auf einen Kampf«, sagte ich stattdessen.

»Nein. Und an dem Toten finden sich keine Abwehrspuren. Aber er muss vor der Blutentnahme außer Gefecht gesetzt worden sein. Die Obduktion wird uns Näheres verraten.«

Gut. Ich kaute auf meiner Wange und überlegte. »Was können Sie mir über das Opfer erzählen?«

»Er war kein Übernatürlicher.« Colquhoun schob mir ein weiteres Foto zu. »Frederic Fisher, zweiundvierzig Jahre alt.«

Ich betrachtete das Bild. Fisher saß mit gezücktem Stift am Schreibtisch, posierte übertrieben stirnrunzelnd, trug Anzug und Krawatte und hatte einen gepflegten Bart. Sein akkurat gekämmtes Haar war noch fast voll. Die Polizei von Hackney hatte das Foto vermutlich von der Website der Firma, für die er arbeitete. »Anwalt?«, tippte ich.

»Verwaltungsangestellter im Verkehrsministerium. Er hat nicht geraucht, kaum getrunken, hatte weniger als fünfzig Facebook-Freunde und anscheinend keine Hobbys. Geschieden, keine Kinder. Sieht so aus, als sei Frederic Fisher zur Arbeit gegangen, nach Hause gekommen und schlafen gegangen und habe den nächsten Tag genauso durchgezogen. Kein sonderlich aufregendes Leben.«

Ich blickte zu Colquhoun hoch.

»Nein«, sagte sie, »ich glaube das auch nicht. Ziemlich luxuriöse Wohnung für einen Verwaltungsangestellten. Und dass er kaum soziale Kontakte hatte?« Sie schüttelte den Kopf. »Der hat was verborgen. Ob es mit dem Mord zu tun hat, ist eine andere Frage.«

Sie wies auf ihre Kollegen, die an Computern saßen. »Die sind an der Sache dran. Falls es bei Fisher etwas zu entdecken gibt, werden sie es finden.«

Der Tod ist nichts Würdevolles, und es bleibt sicher wenig geheim, wenn das Leben von der Polizei durchleuchtet wird. Nicht, dass Frederic Fisher das noch etwas ausgemacht hätte.

»Kann ich Tatort-Fotos sehen, auf denen die Leiche noch da ist?«, fragte ich.

»Viel Vergnügen«, meinte Colquhoun und gab mir eine Akte. Ich schlug sie auf und blätterte die Aufnahmen durch. Fisher hatte auf einem Stuhl gesessen, nackt bis auf die Unterhose. Sein Kopf war vornüber gesunken, seine beginnende Glatze war sichtbarer als auf professionellen Passfotos. Ich betrachtete die Einstiche an Armen und Beinen. Entweder hatte er Drogen konsumiert oder war Diabetiker gewesen. Oder es waren die Stellen, an denen das Blut abgezapft wurde.

»Das hier wollen Sie vermutlich auch sehen.« Colquhoun zog ein Foto von Fishers Gesicht hervor.

Ich schnappte nach Luft. Es war so sorgfältig mit Blut bestrichen wie der Fußboden. Mich fröstelte. »Was ist das da auf seiner Wange?«

»Nichts.«

Ich runzelte die Stirn. Auf Fishers linker Wange gab es einen Fleck, der nicht mit Blut bedeckt war.

»Da ist kein Blut, da ist gar nichts. Verglichen mit dem Rest des Gesichts scheint die Stelle absichtlich sauber geblieben zu sein.«

Ich hielt das Foto von meinen Augen weg, um eine andere Perspektive zu bekommen, und neigte den Kopf zur Seite. »Das ist ein Kuss«, sagte ich plötzlich. »Ein Lippenstiftabdruck, nur ohne Lippenstift.«

Colquhoun trat hinter mich und besah sich das Foto erneut. »Nein, ich bin nicht überzeugt.«

Ich folgte dem Umriss mit dem Finger. »Das ist ein Kuss.«

Sie verzog das Gesicht. »Wirklich seltsam.«

Dem konnte ich nicht widersprechen. »Vielleicht sollten Sie sich seine Ex-Frau genauer ansehen.«

Colquhoun wirkte ernst. »Ich habe viele unheimliche Fälle bearbeitet und viel Mist gesehen, aber hier habe ich ein wirklich schlechtes Gefühl.«

Sie sah aus, als bräuchte sie eine Umarmung, doch ich war klug genug, ihr die nicht anzubieten. »Egal, wer der Täter ist – er ist krank«, pflichtete ich ihr bei. »Aber nichts weist auf Übernatürliche hin.«

Colquhoun war nicht überrascht. »Trotzdem würde ich es begrüßen, wenn Sie einen Bericht schreiben. Ich muss da pingelig sein.«

Ich lächelte matt. »Und ich muss mir angewöhnen, das Berichteschreiben zu lieben.«

Wir tauschten einen resignierten Blick, und ich stand auf. Ich hatte genug von ihrer Zeit in Anspruch genommen und wenig Nützliches zu bieten. »Ich schreibe Ihnen den Bericht, sobald ich im Supe-Squad bin.«

»Danke.«

Ich hielt inne. »Eins passt hier nicht ins Bild.«

»Nämlich?«

»Der Mörder von Fisher hat die Scherben von seinem Einstieg weggeräumt und dafür Sorge getragen, dass nur auf dem Fußboden Blut gelandet ist. Und er hat die Nadeln und alle anderen bei der Tat verwendeten Gegenstände mitgenommen und keine Spuren hinterlassen.«

»Stimmt.«

»Außer dem Eimer«, fuhr ich fort. »Den hat er ein paar Straßen weiter weggeworfen.«

»Wir haben geprüft, ob es Überwachungskameras in der Nähe gibt«, sagte Colquhoun. »Wir haben die ganze Straße nach privaten und städtischen Kameras abgesucht, nach allen möglichen Aufzeichnungsgeräten. Fehlanzeige. Hier gibt es nichts dergleichen, und das ist womöglich nirgends sonst in der Stadt noch so. Als hätte der Mörder gewusst, dass er hier nicht gefilmt wird.«

»Vielleicht hat er es gewusst«, sagte ich leise.

Ich parkte Tallulah vor dem Supernatural Squad und rief Lukas an. »Na du«, begann ich.

»D’Artagnan«, schnurrte er. »Hast du einen schönen Tag?« Als ich nicht sofort antwortete, wurde sein Ton schärfer. »Alles okay bei dir?«

»Ja, ja, alles gut. Es war nur … etwas trostlos. Und blutig.«

Das steigerte Lukas’ Besorgnis. »Richtig blutig? Waren Übernatürliche beteiligt?«

»Nein, es sieht nach einer Auseinandersetzung zwischen Menschen aus. Aber es war nicht angenehm. Ich komme heute etwas später, weil ich einen Bericht schreiben muss.«

»Ich bin dann im Club. Fahr hin, wenn du fertig bist.«

»Mach ich.« Ich brauchte bloß seine Stimme zu hören, schon ging es mir besser. Dann sah ich eine schwerfällige Gestalt auf mich zukommen, und das warme Gefühl verschwand.

»Du weißt ja, dass ich dir in blutigen Angelegenheiten Beistand schicken kann«, sagte Lukas. »Vermutlich kann ich dich noch immer damit in Staunen versetzen, was ein Vampir beim Thema Hämoglobin alles entdecken kann.«

»Und das weiß ich zu schätzen.« Die Gestalt kam näher. »Ich muss los. Wir sehen uns später.«

»Ich liebe dich.«

Lächelnd gab ich zurück: »Ich liebe dich auch.«

Kaum hatte ich aufgelegt, griff ich zu meiner Armbrust, stieg aus dem Wagen, entsicherte die Waffe und zielte.

Robert Sullivan hielt an und hob die Hände. »Ich werde Sie nicht wieder angreifen, DC Bellamy.«

»Bleiben Sie, wo Sie sind.«

Max, der Page, spähte von der Tür des benachbarten Hotels herüber. »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte er besorgt. »Soll ich jemanden rufen?«

Ich wandte den Blick nicht von Robert. »Nein, ich habe alles im Griff. Danke, Max.« Ich senkte die Armbrust ein wenig. »Sie sehen nicht gut aus«, sagte ich zum Werwolf. Das war eine Untertreibung: Seine Kleidung war zerknittert, als hätte er tagelang darin geschlafen, und er hatte einen ungepflegten Bart und dunkle Ringe unter den Augen.

»Entschuldigen Sie mein Benehmen vor ein paar Tagen«, sagte er steif. »Ich hätte mich so nicht verhalten sollen. Es war falsch.«

Ich blinzelte. Mit einer Entschuldigung hatte ich gerechnet, denn die würde Lady Sullivan von ihm erwarten, aber ich hatte gedacht, sie käme ihm widerwilliger über die Lippen. Ich senkte den Kopf. »Entschuldigung angenommen. Sie standen unter großer Spannung, und so überraschend es scheinen mag: Ich verstehe das gut. Lassen Sie uns nicht weiter darüber reden.«

Ich ließ die Armbrust sinken und wandte mich zum Eingang des Supernatural Squads.

»Aber ich habe mehr dazu zu sagen.« Seine Stimme hatte etwas Verzweifeltes.

»Sie haben sich entschuldigt. Das genügt.«

»Sie müssen sich näher mit Rosies Tod befassen!«, stieß er hervor. »Sie müssen ihn untersuchen!«

Unversehens empfand ich eine Welle an Sympathie für ihn. »Sie starb eines natürlichen Todes. Sie war fast achtzig, Robert. Es war ein Herzinfarkt. Ihr Pathologe hat das bestätigt. Ihr Verlust tut mir sehr leid, aber ich kann nichts weiter machen.«

Er schüttelte energisch den Kopf. »Sie ist keines natürlichen Todes gestorben.«

»Robert –«

»Lassen Sie mich ausreden. Bitte.« Er senkte den Blick. »Das tut ja sonst niemand.«

Ich seufzte; wie dumm von mir, mich darauf einzulassen. »Also gut. Gehen wir rein.«

Der grauhaarige Werwolf lächelte nicht, bebte aber vor Erleichterung. Armer Kerl. Hoffentlich würde ich seine Qual nicht verlängern, indem ich seinen Wünschen entsprach. Ich forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zuerst einzutreten; zwar dachte ich nicht, hier auf hinterhältige Weise erneut angegriffen zu werden, aber man konnte nie wissen. Als er an mir vorbeiging und ich flüchtig seinen starken Körpergeruch wahrnahm, steigerte das mein Mitgefühl nur.

Ich brachte ihn direkt ins Befragungszimmer. Owen Grace streckte den Kopf aus seinem Büro und riss vor Schreck die Augen auf, als er Sullivan sah. »DC Bellamy«, mahnte er.

Ich winkte ab. »Alles gut.«

»Ich sagte doch, dass ich mich um Mr Sullivan kümmere.«

Das blieb die vernünftigste Möglichkeit, aber der alte Werwolf war nun mal zu mir gekommen. »Befragen wir ihn doch gemeinsam«, schlug ich vor. »Er hat sich schon entschuldigt und bittet um unsere Hilfe.«

Grace straffte sich. »Jetzt will er unsere Hilfe?«

»Ich finde, wir sollten ihm zumindest zuhören.«

Er schnalzte mit der Zunge, folgte mir aber ins Zimmer, setzte sich, verschränkte die Arme und blickte zornig drein. Ich nahm neben ihm Platz.

»Nun?«, fragte Grace.

Robert kam sofort zur Sache. »Rosie ist keines natürlichen Todes gestorben. Jemand hat sie umgebracht.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Ich kenne sie schon lange. Wir waren mal verheiratet.«

Grace beugte sich vor. »Darf ich fragen, warum Sie sich getrennt haben?«

Robert verzog schmerzlich das Gesicht. »Die Scheidung ging von ihr aus. Sie hat gesagt, sie liebt mich nicht mehr.«

»Und Sie fühlten ganz anders?«, fragte ich.

»Ich liebe sie«, sagte er, ohne zu merken, dass er in der Gegenwartsform über sie sprach. »Ich habe sie immer geliebt. Aber sie ist ein freier Geist und konnte sich nie lange binden.« Seine Stimme bekam etwas Wehmütiges. »Ich war für zwei herrliche Jahre ihr Mann, dann wurde sie meiner überdrüssig. Solange wir zusammen waren, habe ich mich kaum um meine Stellung im Clan gekümmert, aber danach habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Sie hat immer gesagt, ich wäre nicht Beta geworden, wenn sie mich nicht verlassen hätte.«

»Sie hatten also nach der Scheidung weiter ein gutes Verhältnis zueinander?«

Robert nickte. »Das war Wunschdenken. Ich glaubte, wenn ich in Kontakt mit ihr bleibe, erkennt sie ihren Fehler vielleicht und stellt fest, dass wir zusammengehören.« Seine Mundwinkel senkten sich. »Aber das hat sie nie getan.«

Grace ließ die Arme sinken und beugte sich vor. Roberts Auftreten hatte seine Gefühle offenkundig verändert. »Ihr Verlust tut mir sehr leid.« Er klang aufrichtig. »Wie kommen Sie darauf, dass sie keines natürlichen Todes gestorben ist? In Ms Thorns Alter –«

Robert unterbrach ihn. »Das Alter tut nichts zur Sache! Rosie war stark wie ein Ochse. Ihr Herz war in bester Verfassung.«

Nur dass sie sich nach Aussage ihres Hausarztes und ihres nächsten Nachbarn seit Jahren nicht hatte untersuchen lassen. Woher wollte Robert das also wissen?

»Früher oder später versagt der Körper«, sagte ich möglichst sanft. »Und das wissen Sie, Robert.«

»Das ist nicht alles!« Er sah noch verzweifelter drein. »Ich habe sie gesehen, als sie ins Leichenschauhaus gebracht wurde. Ihr Lippenstift …« Er schüttelte den Kopf. »Rosie hätte sich nie den Mund geschminkt. Das brauchte sie nicht – ihre Lippen waren von Natur pink wie Pfingstrosen. Deshalb hätte sie niemals Purpur aufgetragen!« Es klang, als hätte er seit der Scheidung viel über den Ton von Rosie Thorns Lippen nachgedacht.

»Wann haben Sie sich getrennt?«, fragte ich.

»Vor achtzehn Jahren.«

Das war eine lange Zeit, um jemandem nachzutrauern. »Vielleicht hat sich ihr Stil geändert?«

»Ich sagte Ihnen doch«, gab er mit zusammengebissenen Zähnen zurück, »dass wir weiter befreundet waren und sie nie Lippenstift aufgelegt hätte, erst recht keine so grausige Farbe.«