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Schunkeln is awesome! Adam Fletcher hat sich ausgiebig mit den Marotten und Skurrilitäten der Deutschen beschäftigt. Doch jetzt ist es an der Zeit, endlich den letzten Schritt zu gehen und ein richtiger Deutscher zu werden. Also zieht der Brite die Hausschuhe aus und erkundet Good Old Germany via Mitfahrgelegenheit und Deutscher Bahn – und besteht unterwegs ein paar Prüfungen: Fletcher nimmt an Schützenfesten teil, reist ins 17. Bundesland Mallorca und stürzt sich in die Abgründe des deutschen Schlagers. Liebevoll und mit viel britischem Humor erzählt er von seinen teutonischen Abenteuern, und warum er dieses Land und seine Bewohner so in sein Herz geschlossen hat. Schunkeln is awesome! After two best-selling books exploring the quirks of German culture, British author Adam Fletcher finds he's become a pundit for German life. Unsure about his position, and with severe doubts about his own expertise, he decides to take on a series of hilarious integration challenges. Follow him as he traverses the country by Mitfahrgelegenheit and Deutsche Bahn, creates a Schlager song, marches in a Schützenfest, completes a Goverment Integrationskurs, takes a package holiday to the 17th Federal State of Mallorca and much more. Lovingly written, with a lot of British humor and avoiding the usual national clichés, he recounts his adventures of trying to become German. On the way, he reaffirms why this country and its inhabitants have such a special place in his heart.
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Das Buch
Schunkeln is awesome!
Adam Fletcher hat sich ausgiebig mit den Marotten und Skurrilitäten der Deutschen beschäftigt. Doch jetzt ist es an der Zeit, endlich den letzten Schritt zu gehen und ein richtiger Deutscher zu werden. Also zieht der Brite die Hausschuhe aus und erkundet Good Old Germany via Mitfahrgelegenheit und Deutscher Bahn – und besteht unterwegs ein paar Prüfungen: Fletcher nimmt an Schützenfesten teil, reist ins 17. Bundesland Mallorca und stürzt sich in die Abgründe des deutschen Schlagers. Liebevoll und mit viel britischem Humor erzählt er von seinen teutonischen Abenteuern und davon, warum er dieses Land und seine Bewohner so in sein Herz geschlossen hat.
Der Autor
Adam Fletcher, geboren 1983 in England, ist inzwischen ein glatzköpfiger Berliner. Nachdem er bereits viele Jahre in diesem wunderbaren Land verbracht hat, könnte er sich eigentlich Deutscher nennen – hätte er nicht solche Probleme, Dativ und Akkusativ auseinanderzuhalten und den Plastikmüll korrekt vom Altpapier zu trennen.
Wenn er nicht gerade Bücher oder Artikel über seine geliebte Wahlheimat schreibt, isst er meistens Schokolade oder macht ein Nickerchen. Egal, zu welcher Tageszeit du diesen Text liest – der Autor wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 87,4 Prozent gerade vor sich hindösen. Chrrrr. In den kurzen Wachphasen hat er unter anderem die Bestseller Wie man Deutscher wird und Denglisch for Better Knowers geschrieben.
Adam Fletcher
Make Me German
Wie ich einmal loszog, ein perfekter Deutscher zu werden
Aus dem Englischen von Oliver Thomas Domzalski
Ullstein
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Auf nachdrücklichen Wunsch habe ich einige Namen und Erkennungsmerkmale von Personen, die in diesem Buch auftauchen, verändert. Sie bestehen in erster Linie darauf, weil sie Superhelden sind. Oder Verbrecher. Oder verbrecherische Superhelden. Manchmal habe ich die Namen auch einfach geändert, weil ich fiese Sachen über jemanden geschrieben habe und nicht möchte, dass dieser Jemand mir weh tut. Ich habe keine besonders ausgeprägte Schmerztoleranz.
Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Januar 2015
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015
Umschlaggestaltung und -abbildung: Robert M. Schöne
ISBN 978-3-8437-0974-3
Alle Rechte vorbehalten.
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E-Book: LVD GmbH, Berlin
Für Paul. Danke für die Idee. Na ja, besser gesagt, für alle Ideen …
Make Me German
2007 bestieg ich einen Flieger von London Stansted (keineswegs bei London, eher bei Cambridge) nach Leipzig-Altenburg (keineswegs bei Leipzig, eher bei Zwickau). Ein Leipziger Unternehmen hatte mir den kleinen Finger eines Vorstellungsgesprächs hingehalten – und ich schnappte mir gleich den ganzen Arm und erschien mit Sack und Pack zur Arbeitsaufnahme. Wenn es verlangt worden wäre, hätte ich damals auch einen echten Arm verspeist.
Niemals in meinem Leben war ich so aufgeregt wie während dieses Flugs. Ich hatte gerade meine vertraute Heimat verlassen und brach auf in eine unbekannte, exotische neue Welt. (Na ja, neu zumindest.) Ich war ein Abenteurer, der sein Schicksal selbst in die Hand nahm. Ich startete eine Expedition – mit unzureichender Ausrüstung, minimalen Kenntnissen des Geländes, aber ohne mich tödlichen Gefahren auszusetzen.
Während ich in dieser geflügelten U-Bahn hockte (ich habe keine Ahnung, wie Flugzeuge funktionieren) und auf das rasend schnell schrumpfende Inselchen blickte, das 23 Jahre lang meine Heimat gewesen war, durchlebte ich eine kurze, kompakte Lebenskrise. War ich eigentlich vollständig irre? Ich hatte nicht das geringste Interesse an Deutschland und war deshalb auch noch nie dort gewesen. Und jetzt zog ich da hin! Natürlich kannte ich dort buchstäblich niemanden – nicht mal den Freund eines Bekannten eines Freundes. Oder wenigstens einen Cousin zweiten Grades.
Und selbstverständlich sprach ich kein Wort Deutsch. Ich hatte eine Woche vor der Abreise eine dieser »Deutsch-lernen-in-15-Minuten«-CDs gekauft und mir fest vorgenommen, wenigstens die Zahlen von eins bis zehn zu lernen, bevor ich ins Flugzeug stieg. Hatte ich auch nur eine gelernt? Natürlich nicht. Woher soll man auch die Zeit für so was nehmen? Zehn Wörter einer anderen, völlig fremden Sprache! Auf keinen Fall machbar!
Außerdem war ich damals, wie die meisten Engländer, fest davon überzeugt, dass man für jedes erlernte Wort einer Fremdsprache eines der eigenen Muttersprache vergisst. Also auch so wichtige wie »and« oder »flagellate«. Das wollte ich keinesfalls riskieren.
Und Informationen über das Land, in das ich gerade zog? Phhh! Ich kannte die Namen einiger Fußballvereine und die vollständige deutsche Geschichte: fieser Schnurrbart, 1945, Ende. Das musste genügen.
Warum nur verließ ich England – ein Land, das ich so gut kannte und dessen Kultur, bei allen irritierenden Schwächen, doch meine war? Warum nur warf ich die überlebensnotwendige Fähigkeit, Menschen anzusprechen und hoffen zu dürfen, dass sie mich verstanden, einfach weg? Warum zog ich in ein Land, das von sich behauptete, zivilisiert zu sein, aber weder Marmite1 noch Crumpets2 kannte?
Beruhige dich, Adam! Tief durchatmen! Es würde schon gutgehen. Wenn nicht, konnte ich immer noch zurück nach Hause fahren, tonnenweise Crumpets mit Marmite beschmieren und so tun, als sei das alles nie passiert.
Und tatsächlich: Der kurze Flug genügte, um mich zu beruhigen. Als ich das Flugzeug verließ, sog ich so viel frische Luft ein, wie ich konnte – und sie roch ein kleines bisschen besser als die englische. Dann stieg ich die Treppe hinunter aufs Flugfeld und sah eine Menge Leute vor einem Zaun stehen. (Altenburg war kein echter Flughafen, sondern eine Betonfläche zwischen Feldern und Wiesen. Ryanair landete damals einmal täglich dort und setzte Passagiere aus, denen man weisgemacht hatte, es gehe nach Leipzig. Mittlerweile hat selbst Ryanair diesen Acker aufgegeben.)
Ich war Neil Armstrong, der kleine Schritte für einen Mann, aber Riesenhopser für AdamFletcherkind auf der Oberfläche dieses merkwürdigen Planeten namens Sachsen unternahm. Ich hoffte, intelligentes Leben zu entdecken. Tatsächlich fand ich sehr viel mehr als das.
Mein erstes Jahr in Leipzig war einfach nur das beste meines Lebens. Mit fröhlicher Naivität stürzte ich mich in diese fremde Welt wie in eine Riesenparty. Keine Komfortzone, nirgends. Ich quatschte jeden an, den ich traf – mit unbe-holfenem Gestammel und oft unverständlich für meine bedauernswerten Opfer, aber voller Enthusiasmus. Jeden, der sich dem länger als zehn Sekunden aussetzte, erklärte ich umgehend zu meinem Freund. Ich brauchte welche, ich war einsam. Wann immer mich jemand fragte, ob ich Lust hätte, morgen mit ihm …, unterbrach ich ihn mit einem hastigen »Ja!«. Alles war schließlich besser, als alleine zu Hause rumzuhocken. Ich geriet in die absurdesten Gegenden und Situationen – fantastische und furchtbare. Einmal wurde ich zu einem Abend mit »Klang-Liebhabern« eingeladen und hörte mir eine geschlagene Stunde lang die Geräusche an, die sie in einem kleinen Hafen aufgenommen hatten: dümpelnde Boote, die manchmal leise aneinanderstießen. Ich schlief ein.
Diese Erinnerungen gehören heute zu den kostbarsten aus meiner Leipziger Zeit. Nie wieder war ich so gesellig, so neugierig, so unternehmungslustig und so offen wie in diesem Jahr. Alles Positive, was in meinem Leben geschehen ist, verdanke ich dieser irrsinnigen Entscheidung, in ein Flugzeug zu steigen und mich ins Ungewisse zu stürzen.
Heute, sieben Jahre später, weiß ich, was ein Umzug ins Ausland bedeutet: Dein Reset-Knopf wird gedrückt. Denn es ist ja so: Wenn du seit der Geburt in einem Land lebst – so wie ich damals in England –, bist du nur von Menschen umgeben, die deine Sprache und Kultur mit dir teilen. Du hast kein Bewusstsein dafür, dass es nur eine unter vielen Kulturen ist. Vielleicht fallen dir manchmal kleine Ungewöhnlichkeiten oder Macken auf – aber im Großen und Ganzen sitzt du dem fatalen Irrtum auf, die Lebensweise bei dir zu Hause sei ganz einfach die einzig richtige. Es gibt die Normalen und die Fremden – und du bist zum Glück beim Stamm der Normalen aufgewachsen und nicht bei den Fremden, mit ihren merkwürdigen, sinnlosen Sprachen, Sitten und Klamotten. Uff!
Dann bist du plötzlich woanders. Bei den Fremden. Und nichts ist mehr normal. Du stolperst dauernd in Situationen, in denen du nicht weiterweißt. Du bist nicht mehr der Meister der Sprache, der Kenner der örtlichen Geographie und der Experte der Paarungsrituale deines Stamms. Du erlebst, dass Millionen von Menschen die Dinge anders machen und sehen als du – und fragst dich irgendwann, ob hinter ihrem Handeln nicht doch ein Sinn stecken könnte und ob dein normal nicht einfach nur heißt: »Ich kenn’s halt nur so.« Deine neuen Mitmenschen finden, du machst vieles sehr merkwürdig – und irgendwie sinnlos.
So ersetzt du mit der Zeit die Wörter »normal«, »fremd«, »richtig« und »falsch« durch »anders«. Aber das ist keineswegs die einzige Veränderung. Während du dich an den simpelsten Verrichtungen versuchst und scheiterst – Zahnpasta im Supermarkt kaufen, dem Taxifahrer erklären, wo du hinwillst, den Burger ohne die ekligen Gurken bestellen –, merkst du, dass du dich in ein Kind zurückverwandelst. Du stolperst mit derselben traumhaften Mischung aus Neugier und Ahnungslosigkeit durch die Welt. Und lernst. Und staunst.
Es ist wie ein Zauber. Eine Art Disneyland – mit den Einheimischen als Micky Maus und Donald Duck.
Das Tollste an Kindern ist ja, dass sie sich für praktisch alles begeistern können. Eine ordinäre Pfütze macht sie glücklicher als uns abgeklärte Erwachsene eine Villa mit Pool. Wir Großen haben einfach schon zu viele Pfützen gesehen, um noch dieses existentielle Glück empfinden zu können, mit dem Kinder da reinhüpfen (und uns die hellen Sommerklamotten versauen). Wenn wir eine Pfütze sehen, denken wir an nasse Socken. Daran, dass der Sommer zu Ende geht. Und dass wir unaufhaltsam dem Tode entgegengehen.
Um aus dieser traurigen Gedankenpfütze rauszukommen, sollte wirklich jeder mal ins Ausland gehen! Nicht zuletzt, weil Auswanderer mit der Ankunft ein zusätzliches Sinnesorgan ausbilden: den Ausländerblick. Er wirkt wie eine Zauberbrille und sorgt dafür, dass alles, was man sieht und erlebt, automatisch mindestens doppelt so aufregend ist wie für die Einheimischen – einfach weil es fremd ist.
Du siehst nicht einfach nur eine Pfütze – du siehst eine ausländische Pfütze! In einem aufregenden ausländischen Schlagloch in einer superinteressanten ausländischen Straße! Gefüllt mit ausländischem Wasser und Matsch! Da reinzulatschen ist kein Missgeschick mehr, sondern ein Abenteuer. Das sich nur noch toppen lässt durch den Versuch, das aufregende ausländische Wort auszusprechen, das sie dafür verwenden. »P-f-u-z-z-ä«.
Aber es ist nicht nur die fremde Welt, die für dich interessant ist – das klappt auch umgekehrt. Du wirst ermutigt, frei von der Leber weg zu erzählen wie ein Kind. Denn du bist nicht mehr ein stinknormaler Engländer oder Belgier oder Deutscher zwischen Millionen anderen, sondern ein Exot, der den Einheimischen etwas zu geben hat. Du bist wie eine frische Mango.
Plötzlich kannst du deine langweiligen Familienanekdoten wieder loswerden – verpackt als funkelnde Köstlichkeiten aus einer fremden Kultur. Deine lahmen Thekenwitze werden zu Knaller-Botschaften aus einem romantischen, fernen Land. Du kannst haarklein Banalitäten wie deinen täglichen Arbeitsweg in England beschreiben – wer nie dort war, wird an deinen Lippen hängen, als seist du Reinhold Messner. Du erwischst dich dabei, die Geschichte von Marmite zu erzählen, als sei sie der achte Band von Harry Potter.
Aber irgendwann verändert sich das Verhältnis zu deiner neuen Heimat. Über Jahre hast du dich in deinem Status als Outsider gesonnt. Du hast das Privileg genossen, nicht wirklich zu kapieren, was um dich herum vorging, und die Leute fanden das niedlich – und nicht nervig, wie zu Hause. Du fandst es super, den lauten Gesprächen am Nachbartisch oder im ICE nicht unfreiwillig zuhören zu müssen – du hast ja eh nix verstanden. Kein Wortspiel auf einem Werbeplakat konnte dich von dem ablenken, woran du gerade dachtest. Du musstest dich nicht tierisch aufregen, wenn ein Politiker, den du nicht kanntest, etwas gesagt oder getan hatte, das du sowieso nicht verstandst. Du hattest echt viel Zeit für dich.
Aber irgendwann beginnst du dich zu integrieren. Du lernst doch irgendwie, Deutsch zu sprechen und zu verstehen. Du wirst zu einem essentiellen Bestandteil im Leben deines Partners, deiner Freunde, deiner Kollegen und Nachbarn. Man erwartet von dir, dass du dich wie ein Mensch verhältst statt wie eine Mango. Und so stehst du plötzlich mit dem Telefon in der Hand da, weil du der Oma deiner Freundin zum Geburtstag gratulieren sollst – auf Deutsch.
Du kannst – vor dir und den anderen – nicht länger den Eindruck erwecken, du seist ja nur »zu Besuch« in Deutschland und würdest bald wieder »nach Hause« zurückkehren. Dein Zuhause ist jetzt hier. Deshalb beginnt es dich erstmals zu stören, dass du so vieles noch nicht weißt und begreifst. Du verstehst inzwischen die einzelnen Worte der Insider-Gags, die deine Freunde machen. Aber warum sie lachen, bleibt dir trotzdem schleierhaft – weil dir die kulturellen Hintergründe fehlen. Ganz allmählich definierst du dich nicht mehr über deinen Outsider-Status, sondern willst ein Insider werden. Du willst dazugehören.
Dieser Prozess wurde für mich erheblich durch das beschleunigt, was 2012 geschah: Ich geriet auf die schiefe Bahn und wurde Autor. Ich schrieb einen Text mit dem Titel How to be German in twenty easy steps. In kleinen Anekdoten erläuterte ich darin, warum ich mich in den vergangenen fünf Jahren regelrecht in Deutschland und seine Bewohner verliebt hatte.
Ich postete den Text – und mir fiel umgehend der Himmel auf den Kopf. Für die ersten 100 Facebook-Likes brauchte es weniger als eine Stunde. Nach einem Monat hatten mehrere Hunderttausend Leute diesen englischsprachigen Text gelesen. Die Medien wurden aufmerksam. Ein Ausländer hatte einen Liebesbrief an Deutschland geschrieben?! »Die Leute mögen uns? Warum? Was ist so gut an Deutschland?«, fragten die Kommentatoren. Radiosender luden mich ein, und ich versuchte auch dort, meine Zuneigung zu den Deutschen loszuwerden.
Im Netz diskutierten die Leute anhand meines Texts, was denn nun typisch Deutsch sei und was nicht. Dann kam ein Verlag und fragte, ob ich aus dem Text nicht ein Buch machen wolle. Wollte ich. Während ich diesen Satz niederschreibe, anderthalb Jahre später, steht das Buch noch immer auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Ich stehe weiterhin ratlos vor dieser Entwicklung. Wenn ich bisher an Personen des öffentlichen Lebens dachte, an Menschen, die in Talkshows auftreten und Interviews mit Zeitungen führen, habe ich mir immer vorgestellt, dass sie alle schwer bewacht wie Spitzenpolitiker durch die Gegend laufen. Außerdem dachte ich, zwischen mir kleinem Würstchen und der Welt der Promis gebe es fünf bis zehn gepanzerte Hochsicherheits-Stahltüren, die sich nur jenen öffneten, die privilegiert und mit besonderem Talent gesegnet sind. Aber als ich mich mit meinem kleinen Büchlein in der Hand schüchtern der ersten dieser Türen näherte, stellte ich verblüfft fest, dass sie nicht nur unbewacht war, sondern auch sperrangelweit offen stand. So war es auch mit den anderen Türen – einfach durchgelatscht, und schon stand ich in einem Studio, das Publikum applaudierte, eine Wand aus Kameras und Scheinwerfern stand vor mir, und der Talkmaster begrüßte mich zum Gespräch über meinen Bestseller.
Klar, von außen sieht das jetzt alles super aus – nach gebratenen Tauben, neuen Freunden und schönen Schecks. Aber wie es in mir drinnen aussah – danach fragt mal wieder keiner. Denn der Erfolg bringt natürlich auch Probleme mit sich. Man muss verstehen und einordnen, was da geschieht. Genauso wie der einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes lief ich eine Weile durch die Welt und fragte mich: Warum ich? Wieso saß ich in einem Berliner Rundfunkstudio und ließ mich stellvertretend für 63 Millionen Briten nach meiner Meinung über die 80 Millionen Deutschen fragen? War ich ehrlich überzeugt davon, der qualifizierteste Gesprächspartner hierfür zu sein? Der integrierteste Ausländer Deutschlands? Der Deutschland-Experte? Der begnadetste Autor? Oder wenigstens der lustigste?
Nö. War ich nicht.
Hatte ich jemals mehr als zehn Minuten deutsches Fernsehen geschaut? War ich jemals in einer deutschen Schule gewesen? Hatte ich mal als Zimmermann gearbeitet? Was wusste ich über die Schlagerszene? Hatte ich mal Nordic Walking ausprobiert? Oder dieses »Wandern«? War ich per Mitfahrgelegenheit durch das Land gereist? Hatte ich schon einen Mallorca-Urlaub absolviert? War ich bei einem Schützenfest gewesen? Hatte ich den Kopf der Karl-Marx-Büste in Chemnitz geküsst? An einer deutschen Wahl teilgenommen? Mehr als drei Bundesländer besucht? Fließend Deutsch gelernt?
Nein, ich hatte nichts von all dem getan bisher. Ich kannte nur die östlichen Bundesländer. Mein Deutsch reichte lediglich dann für eine gepflegte und den Gesetzen der Logik folgende Konversation, wenn mein Gesprächspartner nicht älter als vier war.
Ich lebte hier und ich beobachtete – aber beobachten und sich integrieren sind zwei ganz verschiedene Dinge. Zugucken heißt nicht machen. Berichten heißt noch nicht verstehen.
Soll heißen: Ich musste den nächsten Schritt tun und mich integrieren. Denn während es von außen so wirkte, als hätte ich alles erreicht und sei der glücklichste Mensch der Welt, fühlte ich mich wie ein Hochstapler. Mit diesem Buch will ich dieses Gefühl wieder loswerden – damit ich nachts wieder ruhig schlafen kann. Dieses Buch schildert meinen Weg vom Zufallsexperten, vom oberflächlichen Pseudo-Kenner zum wirklichen, hochqualifizierten Deutschland-Spezialisten. (Ob dieser Weg erfolgreich war, wird sich zeigen.)
Ich habe mich aufgemacht, um rauszukriegen, welche der vielen Behauptungen aus meinen ersten beiden Büchern überhaupt wahr sind. Ich will wissen, was dieses komische Ding namens »Nationalcharakter« ausmacht, das 80 Millionen Menschen miteinander verbindet. Also: Steigt ein und fühlt euch wie der Passagier einer holprigen Mitfahrgelegenheit, an deren Steuer ein glatzköpfiger Engländer sitzt, der zu heftigen, unerwarteten Lenkmanövern neigt, dessen Ziel keineswegs feststeht – und der eine ganze Armee von Leuten braucht, die seine Kommasetzung korrigieren.
Schützenfest
»Ich hab ’ne Idee für dein Buch«, sagte mein Freund Alex eines Tages zu mir. »Auf dem Dorf, wo meine Eltern wohnen, in der Nähe von Mönchengladbach, ist demnächst Schützenfest. Da solltest du dabei sein.«
»Schützenfest? Nie gehört«, antwortete ich. »Aber Mönchengladbach kenne ich. Borussia.«
»Du weißt nicht, was ein Schützenfest ist?! Das ist das Ereignis des Jahres!«
»Echt?«
»Aber ja. Das wichtigste Event überhaupt– für ein Dorf. Die meisten Dörfer haben ein eigenes Schützenfest.«
»Was wird da gemacht?«
»Das Wichtigste sind Fahnenschwenken und der Schießwettbewerb.«
»Man schießt auf Leute, die Fahnen schwenken?«
»Nein«, seufzte er. »Diese beiden Sachen finden unabhängig voneinander statt.«
»Schade. Wär doch mal ’ne Idee gewesen«, sagte ich.
»Ich werd sie dem Schützenkönig vortragen.«
»Was zum Teufel ist ein »Schützenkönig«?«
»Derjenige, der das Wettschießen gewinnt, ist für ein Jahr Schützenkönig.«
»Und was ist mit dem Sieger beim Fahnenschwenken?«, fragte ich und wedelte eifrig mit einer imaginären Fahne.
»Der kriegt wahrscheinlich ’nen Schnaps.«
»Hm.« Ich ließ meine imaginäre Flagge wieder sinken. »Hat der Schützenkönig bestimmte Attribute und Privilegien? Eine Krone? Ein Zepter? Einen eigenen Parkplatz?«
»Nee. Na ja, vielleicht eine Krone. Und sein Haus wird geschmückt. Vor allem ist er ein Jahr lang eine besonders wichtige Person im Dorf. Aber er muss auch permanent einen ausgeben. Ist ein teurer Spaß, Schützenkönig zu werden. In der Regel muss man dafür einen Kredit aufnehmen. Kostet schlappe 30.000 Euro, die Ehre.«
Ich schnappte nach Luft. »Nochmal zum Mitschreiben«, sagte ich. »Man nimmt an einem Schießwettbewerb teil– und wenn man gewinnt, besteht der Preis darin, dass mandie anderen ein Jahr lang mit Bier und Schnaps versorgen muss und danach 30.000 Euro Schulden hat?«
»Ja«, sagte er, und weil ich meine Ungläubigkeit schlecht verbergen konnte, fügte er hinzu: »Ist Tradition. Da sollte man bekanntlich keinen Sinn drin suchen.«
»Wenn das der erste Preis ist, will ich nicht wissen, was mit dem zweiten und dritten Sieger passiert. Werden die irgendwo hinterm Rathaus erschossen und verscharrt?«
»Genau, oder sie müssen die schwerste Fahne durchs Dorf schleppen. Also– bist du dabei?«
»Klar, wenn es einen Schießwettbewerb gibt, hin da!«
Die Tradition der Schützenfeste hat ihre Wurzeln im Mittelalter. Viele Dörfer bildeten eine Art Bürgerwehr, um sich gegen »Plündererbanden« wehren zu können. Ich weiß, was Wikipedia damit meint. Ich bin in einem üblen Viertel aufgewachsen und kann bestätigen, dass es solche Gangs bis heute gibt. Allerdings sind sie inzwischen fauler als im Mittelalter– niemals würden sie sich die Mühe machen, von Dorf zu Dorf zu ziehen, um zu plündern. Lieber hängen sie an Bushaltestellen oder vor dem Kiosk rum.
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