Mama, bleib mal im Slip - Anke Müller - E-Book

Mama, bleib mal im Slip E-Book

Anke Müller

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Beschreibung

Haben Sie Kinder, die mit Ihren Nerven Tauziehen spielen?

Sind Sie Dompteur in einem Flohzirkus, und keiner hört auf Sie? Wachsen Ihnen stattdessen Schmutzwäscheberge und unerledigte Aufgaben über den Kopf? Keine Sorge, Sie sind nicht allein. Auch Anke Müller lebt im Familienchaos. Besonders, ihr dreizehnjähriger Sohn, der Pubertikel, bringt sie immer wieder an den Rand des Wahnsinns. Aber auch das kleine Schwesterchen hat es in sich. Weil ihr Geflatter an ein kopfloses Huhn erinnert, ruft die Familie es Geflügel.

Wie Anke Müller es schafft, bei den täglichen Familiendramen die Nerven zu behalten und warum kleine Monster am besten mit Humor zu bändigen sind, das erzählt sie in diesem wunderbar komischen Buch.

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Seitenzahl: 262

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INHALT

CoverTitelImpressumVORWORT1. BIRTHDAYCAKE2. DIE FRISCHLUFTAFFÄRE3. WENN MUTTER KRANK IST …4. KUNDSCHAFT, HERR DOKTOR!5. KINDERGEBURTSTAG6. TATORT SCHWIMMBAD7. SPERRMÜLLDRAMA8. KLEIDER MACHEN PUBERTIKEL9. KULINAREN ALLER LÄNDER, WEHRT EUCH!10. SIEBENSACHENSALDO11. FEIERTAGSFRISUR12. UNGERNGESEHENER GAST13. WAS SICH LIEBT, DAS SAMMELT14. WENN DIE BACKFRAU ZWEIMAL KLINGELT15. BESUCH EINES PREUSSLER-PROTAGONISTEN16. WER FRISST WEN? ODER: DIE KANNIBALEN-SAU17. TRAURIGE SICHT18. EINE ALTERSFRAGE19. GEFLÜGEL UND DIE BORDSTEINSCHWALBE20. MÜLLER, MEIER, SCHULZE, SCHMIDT – ALLES PUTZT, WIR PUTZEN (NICHT) MIT21. GESCHWÄTZIGE LEUCHTSTÄBE22. FALSCHER GANOVE23. WEIL FISCH NICHT GLEICH FISCH IST24. WENN ASCHENPUTTEL BEIDE SCHUHE VERLIERT25. ALTE GRILLWURST26. KLARE PILZSACHE27. GEBADET WIRD WOANDERS28. AUFLAUF29. FOLGEN EINER NACHZAHLUNG30. DIE SCHÖNSTE ZEIT IM JAHR31. TOMATEN GEGEN MÜCKEN32. LANDPLAGEN33. SPORTLICHE FRÜHSTÜCKSSCHLAPPE34. ALLTAGSGRAU(EN)35. ÜBERVÖLKERTER TEICH36. EINE GARDINE ZUM BIKEN37. HÄTTEN WIR MAL BESSER …38. DAS GLEICHE IM SELBEN THEATER38. KRÄHENKUCHEN39. LATEINERKELLER40. STRIPPENBÜRDE41. FLIEGENDE NOTDURFT42. KÜCHENCHEFS EHRE43. VON WÖLFEN UND ERDBEEREN44. VEGETARISCHER JOB45. FLIEGEROHREN46. SCHUHWERK47. MUSIK IM EISSCHRANK48. ROCK MEATS CHRISTMAS CHICKEN49. BACKTRADITION50. MADIG UNTER TANNEN51. WEIHNACHTSBESUCH AUF WICHSPARKETT52. KLEINES SCHORNSTEIN-EINMALEINSNACHWORT

Anke Müller

Mama, bleib mal im Slip

Wenn das Kind Pubertät bekommt und 51 andere Familienkatastrophen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Friederike Haller, Berlin

Titelillustration: © shutterstock/braingraph

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3076-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

VORWORT

Haben Sie Kinder, die mit Ihren Nerven Tauziehen spielen? Sind Sie Dompteur in einem Flohzirkus, und keiner hört auf Sie? Versuchen Sie, von zu Hause zu arbeiten und zeitgleich den Haushalt im Griff zu behalten? Und wachsen Ihnen stattdessen Schmutzwäscheberge und unerledigte Aufgaben über den Kopf? Haben Sie zudem noch zwei linke Hände, die Gabe, misanthropische Tiere anzulocken, und eine Familie, die verblüffend an eine Sitcom erinnert?

Keine Sorge, Sie sind nicht allein!

Mein Name ist Anke Müller und ich lebe im Familienchaos. Ich bin frühe vierzig, angenehm verheiratet, habe zwei Kinder, ein Meerschweinchen und ein Volk Fische. Die wenigsten Schwierigkeiten macht Eddy, die kleine Sau.

Unser Familienleben ereignet sich auf der Grenze zwischen Humor und Drama, Bilderbuch und Wahnsinn. Meine jungen und spätjungen Sippenmitglieder bieten unendlich viel Stoff für lustige Alltagsgeschichten, von denen dieses Buch einige erzählt, die sich in nur einem Jahr in unserem Haus abgespielt haben.

Jederzeit muss ich in meiner Dreifach-Rolle als Mutter, Arbeitskraft, Haus- und Ehefrau (Letzteres lässt sich nicht immer sauber trennen) auf der Hut sein, mit dem Schlimmsten rechnen, Geheimnisse bewahren und immer eine Antwort parat haben, damit es so aussieht, als hätte ich alles unter Kontrolle.

Manchmal denke ich, dass ich in einer dieser Familien-Sitcoms lebe, von denen es jede Woche eine neue Folge gibt. Ich brauche mich nur mit Zettel und Stift in eine Ecke zu setzen und zu warten. Es gab Zeiten, da sprach ich meine Notizen der Einfachheit halber in ein Diktiergerät. Das verwarf ich jedoch bald wieder, denn eines Tages trällerte mir beim Abhören derselben plötzlich das liebliche Stimmchen meiner Tochter entgegen. Es sang vom weißen Arsch eines Fisches.

Bei den Protagonisten dieses Buches handelt es sich zum einen um mich, die allzeit sonnige, aber gestresste Mutter. Ranggleich agieren die beiden Fortpflanzen: Pubertikel, kurz Pubi, ein lebhafter Mittelstufengymnasiast. Melde ich ihn morgens krank, freuen sich seine Lehrer. Pünktlich zum dreizehnten Geburtstag erkrankte mein Pubi an Pubertät. Während des Geburtstagsfrühstücks sprang er plötzlich auf, stürmte in sein Zimmer, riss das Fenster auf und brüllte aus Leibeskräften in den Garten: »IHRKÖNNTMICHALLEAMARSCHLECKEN! ICHWILLMEINEIGENESLEBENLEBEN!« Von irgendwo rief jemand zurück: »Ist schon recht!«, und damit war die Sache für die Nachbarschaft vorerst erledigt. Ich jedoch stellte mir fortan immer häufiger diese eine Wenn/Dann-Frage: Was wäre passiert, hätte ich dreizehn Jahre und neun Monate zuvor einen Apfel gegessen? Oder besser zwei, um auch ganz sicher zu gehen? Wäre es bei mir andersherum als bei Adam und Eva gewesen und hätte ich im Paradies bleiben dürfen?

Neben dem Stressherd Pubi gibt es das Schwesterchen. Im späten Kindergartenalter, herzensgut und sehr neugierig. Weil uns das Geflatter des Schwesterchens oft an ein kopfloses Huhn erinnert, hört das kleine Ding auf den Namen Geflügel. Geflügel ist meistens zu zweit unterwegs: es selbst und seine Kuschel-Eule. Das flauschige braune Stofftier hält es gewöhnlich unter den Arm geklemmt, deshalb haben beide Federviecher an der Kontaktstelle eine Delle.

In manchen unserer Geschichten mischt auch der vielbeschäftigte Vater mit, bald fünfzig, Informatiker. Darüber hinaus haben wir bemerkenswerte Großeltern; die wohnen vierhundertfünfzig Kilometer die Straße rauf, irgendwo auf dem Land. Wir hingegen residieren am Saum des Ruhrgebiets.

Aber nicht allein die Menschlein sorgen stets für gute Unterhaltung im Haus. Da gibt es außerdem noch Kämpfe mit Raben, Reihern und dem Sonntagsbraten; Aale, die übers Land spazieren, eine Garagentür, die sich nie öffnen lässt, und Omas Freundinnen, die sich noch immer nicht daran gewöhnt haben, dass jetzt jeder einen Telefonanschluss besitzt. Wer sagt da noch, dass das Leben im Vorstadtidyll nicht abwechslungsreich sei?

Mama, bleib mal im Slip! (Pubis Lieblingsspruch, seit er Pubertät hat) ist ein Buch für alle Eltern, denen während der Erziehungsarbeit der Humor nicht abhanden gekommen ist und die lieber lachen, statt sich die Haare zu raufen. In 52 Episoden erzählt es von den Abenteuern mit Familie, Job und einem Rattenschwanz.

Doch lesen Sie selbst. Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung.

Herzlichst

Ihre Anke Müller

1. BIRTHDAYCAKE

Bei uns beginnt jedes neue Jahr, wie das alte endet: mit einer Party. Ich bin nämlich ein Neujährchen. Zwar habe ich mich das letzte Mal mit fünf gefreut, ein Jahr älter zu werden, aber es lässt sich nicht aufhalten, also nehme ich es mit und lasse mich feiern. Und damit wir gar nicht erst aus der Übung geraten, schließen sich über den Januar hinweg meine Sippenmitglieder an. Dergestalt kommt es, dass ich am Ende von Monat eins die Nase voll habe von familiären Festakten – dafür dann aber auch fast ein Jahr lang Ruhe. Nur Geflügelküklein tanzt aus der Reihe und wählte – sicher weil es so zart ist – den beginnenden Frühling zum Schlüpfen.

Jedenfalls schafft so ein Familienleben im Laufe der Zeit eine Menge Rituale, und einer unserer jüngeren Bräuche beinhaltet eine Torte. Jedes Familienmitglied erhält zu seinem Ehrentag ein Backkunstwerk nach dem gleichen Muster: Ein dreigeschossiger Boden wird in einer geheimen Rezeptur aus dunkler Sahne versenkt und am nächsten Tag mit bunten Schleckereien verziert. Um standhaft zu werden, braucht die Torte eine einsame, kalte Nacht. Doch obwohl wir fast sämtlich Wintergeborene sind, stellt uns dieser Umstand trotzdem vor ein Problem: Wo zur Hölle ist es innerhäusig kalt genug? Oberirdisch heizen wir die ganze Hütte, in den Dachboden gelangt man nur mithilfe einer Hühnerleiter, bleibt also der Keller. Doch auch der ist größtenteils kuschelig warm. Im hinteren Teil befindet sich nämlich unser Badezimmer (mit Sauna für ganz kalte Tage), davor liegt das Arbeitszimmer meines Mannes mit kleinem Proberaum, denn neben dem Job ist mein Mann auch Musiker. Dann gibt es noch den Vorratskeller, bei dem jedoch immer die Gefahr besteht, dass einer in die Torte reintritt, weil in den Regalen kein Platz ist. Da am nächsten Tag einer meiner zahlreichen Mitbewohner älter werden würde, kämpfte ich eines Januarabends mal wieder mit der Matschmasse. Sie müssen sich das wie eine brackige Pfütze vorstellen: Versuchen Sie mal, die an eine Hauswand zu schmieren! Was passiert? Richtig, es tropft herunter.

Als ich endlich obsiegte, kam mein Pubertikel hereingeschlichen. Er war auf Nahrungssuche und scannte die üblichen Schokoladenverstecke. Als er hinter mir im Regal kramte, erinnerte ich ihn an die offengelassene Kühlschranktür. »War ich nicht.« Pubi knurrte zufrieden, er hatte etwas entdeckt.

»Bürschlein!«

»Ja, ja, schon gut …« Die Tür krachte zu, dass die Fonduesoßen schepperten.

»Bring mal die Torte ins Kalte!« Ich hielt ihm das triefende Werk hin. Zögerlich griff Pubi mit der linken Hand zu, in der rechten hielt er einen Schokoriegel.

»Halt sie gerade, Mensch!«

»Du glaubst doch nicht im Ernst« – Pubi kaute – »dass ich jetzt bis in den Keller renne!«

»Meinetwegen kannst du sie auch ins Gästeklo bringen. Hauptsache, sie friert!«

»Ich hab aber zu tun!«

»Weiß ich«, entgegnete ich, »ich auch.« Pubi guckte grimmig, stürmte aber los. Ich zog die Augenbrauen hoch und hielt die Luft an, als er um die Ecke ins Treppenhaus rauschte. Offensichtlich war die Masse klebrig und damit träge genug, denn nichts platschte und keiner fluchte. »Stell sie so ab, dass keiner reintritt!«, rief ich noch, als er die erste Treppe hinunterpolterte. Ich hörte, wie er die Tür des Gäste-WCs aufriss, nach einem kurzen Moment wieder zuschmiss und die Treppe emporrumpelte. Als er fast oben in seinem Zimmer angelangt war, rief er etwas. Ich verstand nur: »Heizung aufgedreht« und »kalt«.

»In Ordnung«, brummte ich, im Gegensatz zur Torte sollte der Junge ja nicht frieren. Danach widmete ich meine ganze Aufmerksamkeit der Reinigung der Küche. Ein Ableger meiner geheimen Rezeptur war unbemerkt unter die Bedienknöpfe des Gasherds getropft und hatte sich dort breitgemacht. Ich weiß nicht, wieso die beim Hersteller so einladende Verstecke auf der Arbeitsfläche konstruierten, vermutlich haben das Männer entwickelt. Wie zu erwarten, wehrte sich der Herd gegen mein Eindringen in seine Intimzonen und böllerte Protestfunken. Hätte ich das Geknalle nicht schon mal erlebt – damals balgte sich der Herd infolge von Geflügels Topfguckneugierde mit einem halben Liter Nudelkondenswasser –, wäre ich besorgt gewesen. Trotzdem wollte ich den Ofen befrieden und zog eilig die Drehknöpfe zur Gasmengenregulierung ab. Was für eine Schweinerei. Mithilfe eines Zahnstochers ging ich entschieden dagegen vor.

Als ich und der Putzlappen endlich über den Schlamassel triumphierten, setzte ich mich zu meinem Mann vor den Fernseher. Immerhin hatte ich nun Feierabend. Der Gasherd beruhigte sich langsam wieder und mit Ende des Films knallte er zufrieden einen letzten Funken.

Gegen Mitternacht, ich war gerade auf dem Weg ins Bett, fiel mir die Torte ein. Einer Eingebung folgend ging ich nach ihr sehen. Gleich beim Öffnen der Klotür wurde mir klar, von welcher Heizung Pubi vorhin genuschelt hatte. Wie beim Betreten eines Tropenhauses klatschte mir die Luft in Form eines heißen Handtuchs ins Gesicht. Um sie vor unbefugtem Betreten zu schützen, hatte Pubi die Torte ins Waschbecken gezwängt. Unter den tropfenden Wasserhahn.

»HOLZKOPF!«, brüllte ich durch das schlafende Haus. In der Tortenmitte stand eine schöne Pfütze, von der vier Rinnsale hinuntertropften. Weil die Torte schwitzte, war der mehrschichtige Turm seitlich außerdem halb vom Tortenständer gerutscht. Das Ganze sah aus wie eine beinamputierte Spinne auf einem Haufen Hundedreck.

Nun bin ich glücklicherweise per Geburtsurkunde ein Landei, sodass mich solch ein Bild nicht schrecken kann. Kurz entschlossen bugsierte ich die Torte aus dem Waschbecken. Um sie vollständig unter dem Wasserhahn hervorzubekommen, musste ich das Backwerk leicht ankippen. Während ich mit einer Hand gegenhielt, damit der ganze Schmodder nicht ins Bad klatschte, verabschiedete sich durch die Schräglage plötzlich die Pfütze. Wegen des Fettgehalts der Glasur perlte das Wasser vollständig ab wie Regenwasser von frisch geölten Gartenstühlen. Glück gehabt! Damit die Torte es endlich so kalt hatte, wie sie es verdiente, brachte ich sie nun doch in den Vorratskeller. Da alle längst schliefen, hoffte ich sie dort sicher.

Am nächsten Tag war das Kunstwerk zwar etwas ramponiert und erinnerte in der Form an den schiefen Turm von Pisa, geschmacklich tat ihm das aber keinen Abbruch, und das Geburtstagskind war glücklich.

Eine Frage stellte sich jedoch noch immer: Wieso, in drei Teufels Namen, hatte der Junge bloß die Heizung aufgedreht? Er hätte doch wissen müssen, dass die Torte es kühl liebt!

Nun, das habe ich bis heute nicht herausgefunden. Aber das ist eben die Sache mit der Pubertät. Liefe alles glatt, gäbe es dieses Buch nicht. So viel ist sicher: Zum nächsten Geburtstag rennt das Bürschlein mit der Torte bis in den Keller! Dafür werde ich sorgen!

2. DIE FRISCHLUFTAFFÄRE

Kurze Zeit nach der Geschichte mit der beinahe vermasselten Torte verspürte mein Pubertikel plötzlich vermehrt das Bedürfnis nach frischer Luft. Bis zum letzten Kälteeinbruch lautete sein Leitsatz: Lieber im Mief erstickt, als an frischer Luft erfroren! Ich vermute, es war einsetzende jugendliche Hitze, die ihn eines Januarmorgens veranlasste, das Fenster in seiner Bude sperrangelweit aufzureißen, bevor er sich auf den verschneiten Weg zur Schule machte.

Das Pubizimmer ist ziemlich groß, es liegt im oberen Stock am anderen Ende des Hauses, und normalerweise bekomme ich davon nicht viel mit. Ein langer, mit beigefarbenem Teppich ausgelegter Flur und etliche Treppen trennen uns. Sie müssen sich das so vorstellen: Ein Einfamilienhaus in der Mitte aufgeschnitten, um ein halbes Stockwerk verschoben und dann wieder zusammengesetzt. Heutzutage nennt sich solche Bauart Splitlevel; zu Zeiten, als unser Haus gebaut wurde, hätte das keiner verstanden. Dem nächsten Besitzer war Privatsphäre besonders wichtig, und er ließ extradicke Holztüren und viel Lärmschutz einbauen. Theoretisch könnte Pubi jeden Tag in seinem Zimmer eine Party feiern und Geflügel obendrein den Kindergarten in seine Kemenate laden – in meinen Gefilden unten würde mich das nicht stören. Theoretisch. Wer jedoch Kinder hat, weiß, dass Kinder nie in den angedachten Räumen bleiben – deshalb bleiben alle Partygäste zu Hause.

Nachdem sich die arktische Frischluft in Pubis Bude breitgemacht hatte, expandierte sie, bis ein frostiger Ausläufer gegen frühen Vormittag meinen Schreibtisch erreichte. Ich kriegte lausig kalte Füße und legte mir eine Decke über die Knie. Weil ich damit die Eispfropfen im Blutkreislauf aber nur nach oben vertrieb und sich mit froststarren Fingern schlecht tippen lässt, holte ich mir eine halbe Stunde später zusätzlich ein Kirschkernkissen. Am Abend wies ich meinen Mann an, die Heizanlage hochzudrehen.

Nächster Morgen, gleiches Spiel: Pubi riss oben die Luke auf und verließ das Haus. Ich wieder wie am Vortag Eisbein. Erst Decke, dann heißes Kissen. Auch der Abend verlief gleich: Mein Mann justierte die Heizung nach. Am dritten Abend langte es ihm.

»Vielleicht ziehst du dir einfach ein bisschen mehr an!«, knurrte er. »Denk mal an die Heizkosten!«

»Die Mutter wird alt«, feixte Pubi. »Bei alten Schachteln ist das so. Die frieren ständig.«

»Was für eine Schachtel?« Im Sturzflug kam Geflügel mit der Kuschel-Eule unterm Arm angesaust und fragte interessiert: »Krieg ich auch eine?«

»Bei dir dauert das noch.« Pubi machte eine verächtliche Handbewegung. »Bist ja noch ’n Wicht.«

»Wenn du eine alte Schachtel hast, will ich auch eine!«, pochte Geflügel auf sein Recht.

»Hast du doch!« Pubi wieherte und fiel fast von der Treppe, als er auf mich zeigte.

»Lass dich nicht ärgern.« Mein Mann nahm das Kleine, dessen Unterlippe bereits gefährlich zitterte, huckepack. »Und du zeigst mir mal deine Hausaufgaben!«, baute sich der schwankende Turm anschließend vorm Stammhalter auf.

»Konnte keine machen«, knurrte der.

»Wieso nicht?«

»Füller ging nicht.«

»Dann nimm ’ne neue Patrone, Mensch!«

»Hätte nichts gebracht.«

»Warum nicht?« Langsam schwoll meinem Mann der Kamm.

»Der scheiß Füller ist eingefroren!«

Mein Mann tippte sich an die Stirn. »Dank deiner Mutter …« – er begann, einen Ärmel seines hellblauen Businesshemds aufzukrempeln – »… haben wir in der Bude mittlerweile 24 Grad.« Er war fertig mit wickeln und knöpfte nun auch noch an seinem gestärkten Kragen herum. »Da kocht dein Füller eher.«

»Bei mir oben ist es saukalt! Mindestens zehn Grad minus. Ich beschwere mich!«

»Mach das mal.« Mein Mann zuckte mit den Schultern. »Jugendamt am besten, die freuen sich.«

»Gute Idee«, nickte Pubi beleidigt und zog ab.

»Ich will trotzdem deine Hausaufgaben sehen!«, rief mein Mann hinterher. Weil dann länger nichts passierte und es auch sonst verdächtig still im Haus blieb, stieg er Pubi irgendwann hinterher. Auf halber Treppe fand er seinen Youngster im Bad. Der Junge hockte auf dem geschlossenen Klodeckel und zockte seelenruhig mit dem Smartphone.

»Was machst du denn hier?«, schimpfte mein Mann.

»Ich uriniere.« Pubis Blick am Display festgeheftet.

»Auf den Deckel?«

»Ich denk noch nach, ob ich muss …«

»Mach, dass du in dein Zimmer kommst, ich will deine Matheaufgaben sehen!«

»Da geh ich nicht rein!«, empörte sich Pubi. »Außerdem, Vadder, ich hock auf dem Klo! Hier ist besetzt!«

»Ich mach dir gleich Beine!«, knurrte mein Mann. Er hatte einen harten Tag hinter sich.

Murrend stand Pubi auf und drückte die Klospülung. »Bitte!« Er knallte die Hacken zu einem zackigen Diener zusammen. »Nach Ihnen.«

Sie erreichten das Pubizimmer. Kaum hatte mein Mann die Klinke gedrückt, stieß er ein Brüllen aus: »WASISTDASDENNSOSAUKALTHIER??«

»Sag ich doch!« Pubi nickte zustimmend.

»Mach das Fenster zu, Mensch!« Mein Mann schmiss das Fenster so kräftig in den Rahmen, dass die Scheibe vor Angst zitterte.

»Das dämliche Fenster steht schon den ganzen Tag offen«, beschwerte sich Pubi.

»KERL!« Offensichtlich rang mein Mann mit sich, ob er sein Pubertikel beuteln sollte. »Im Winter wird stoßgelüftet! Zehn Minuten! Mehr nicht!« Diesen Energiespartipp hörten sie sicher noch im Nachbarhaus …

»Euch kann man’s echt nicht recht machen!«, schimpfte mein Pubi zurück. »Lüfte ich nicht, wird gemeckert! Lüfte ich mal anständig, passt es euch auch nicht!«

»Dann machst du deine Hausaufgaben jetzt unten am Küchentisch.«

»Nee«, Pubi winkte ab. »Jetzt bin ich zu müde. Jetzt muss ich schlafen.«

Am nächsten Morgen hatte er sich immer noch nicht akklimatisiert. Er trug drei Pullover und eine Kappe. Schlecht gelaunt kam er aus dem Bad getrottet, angelte sich in der Küche eine Trinkflasche und wollte wortlos an mir vorbei.

»Wo ist dein Rucksack?«, fragte ich ihn.

»Was denn für ein Rucksack?« Statt einer Antwort stieß ich einen unwirschen Ton aus. »Ach ja, der Schulrucksack«, erinnerte sich Pubi da. »Der steht noch im Bad.« Er war schon den halben Weg geschlurft, bevor er kehrtmachte und zurückkam. »Am besten ich vergess den heute. Hausaufgaben hab ich ja auch nicht.«

Nach der Grönlandexpedition funktionierte das mit dem Fensterschließen beim Verlassen des Hauses. Eine Weile lang. Kaum stiegen draußen die Temperaturen, wurde es bei uns drinnen wieder kälter. Trotz Sonne vor dem Fenster und Vogelgezwitscher über durstigen Priemeln zog es frisch um meinen Schreibtisch. Immerhin lerne ja auch ich dazu und drehe seit der Frischluftaffäre immer eine Runde durchs Haus, wenn ich kalte Füße kriege.

4. KUNDSCHAFT, HERR DOKTOR!

Kaum war ich genesen, trieb mich die nächste Unbill in die Hände eines Halbgottes in Weiß. An meinem Oberlid spross ein kleiner Vulkan, den ich zwar für einen stressbedingten Auswuchs hielt, aber man kann ja nie wissen. Also vereinbarte ich einen Termin beim Hautarzt.

Geflügel und ich ließen uns im Dermatologenwartezimmer im dritten Stock eines vielfenstrigen Patrizierhauses nieder. Wir waren die einzigen Patienten. Die gleißende Wintersonne ließ uns blinzeln und funkelte jeden Winkel des Zimmers unbarmherzig aus. Weil Geflügel deswegen alles besonders gut erkennen konnte, unterzog es den Wuchs in meinem Gesicht einer genauen Betrachtung. Immer wieder stellte es besorgt fest: »Du siehst überhaupt nicht aus wie meine Mama! Hoffentlich geht das wieder weg!« Daraufhin begann der Vulkan auch noch zu jucken…

Irgendwann betrat ein junger Mann das Wartezimmer. Ein Teeny in Pubertikels Alter, ähnlich gestylt – nur vielleicht nicht ganz so schlimm. In den Haaren klebte ein Bruchteil weniger Gel und die Hose hing nicht ganz so tief unterm Hintern. Geflügel betrachtete den Neuankömmling eingehend. »Was will der denn hier? Der sieht doch ganz normal aus!«

Ich warf dem fremden Pubertikel einen unauffälligen Blick zu. Gottlob, es trug Kopfhörer! Ich zuckte die Schultern und legte den Finger an den Mund.

»Ich kann nichts erkennen«, ließ Geflügel nicht locker. »Der hat nur ein paar Pickel auf der Stirn. Genau wie mein Bruder.«

»Schatz!«, ermahnte ich es und legte erneut den Finger an die Lippen.

»Vielleicht will er nur die Schule schwänzen«, sinnierte mein Nachwuchs.

Ich stöhnte, hielt dann aber doch eine kurze Erläuterung für angemessen. »Haut kann auch unter Kleidung verborgen sein. Zum Beispiel Zehenzwischenräume.«

»Zehenzwischenräume?« Mein Geflügel guckte entgeistert. Dann ratschte es den Reißverschluss seines schwarzen Hello-Kitty-Stiefels auf.

»Lass das!« Ich legte meine Hand auf den Reißverschluss.

»Lass mich doch mal gucken!«, beschwerte sich das Kleine.

»Bei dir ist doch alles in Ordnung.« Mir wurde warm. »Sonst wären wir ja wegen dir hier und nicht wegen mir.« Geflügel hielt inne. Dann nickte es und lehnte sich beruhigt zurück. Gerade wollte ich mich ebenfalls bequem hinsetzen, als der junge Mann aufgerufen wurde – kopfhörerbedingt mehrfach, bis er es mitkriegte. Als er sich erhob und Richtung Behandlungszimmer schlurfte, schnippte mein Geflügel aus dem Stuhl.

»Was wird das denn jetzt?«, regte es sich auf. »Wenn der regelmäßig sein Gesicht waschen würde, hätte der keine Pickel!« Ich hielt dem Kleinen den Mund zu, doch es wand sich los. »Und außerdem kam der nach uns!«

Der junge Mann blieb stehen, drehte sich um und musterte Geflügel eingehend. Dann sagte er lässig: »Ich wasche mein Gesicht regelmäßig, Kleine. Die Pickel kommen vom Schokolade Essen.« Damit verschwand er durch eine weiße Tür.

Geflügel wurde extrem blass und starrte ihm noch eine ganze Weile hinterher.

Von dem Geld, das ich sparte, weil der Schokoladenvorrat in den nächsten Wochen nahezu unangetastet blieb, gönnte ich mir später ein Buch, das ich schon ewig lange haben wollte: Das große Buch der Überlebenstechniken. Also, wegen mir darf mich das Geflügelchen jederzeit wieder zum Arzt begleiten.

5. KINDERGEBURTSTAG

Die Angst vor den Folgen einer Schokoladenvergiftung währte allerdings nicht lang, denn spätestens als Geflügels jährlicher großer Tag nahte, waren Nebensächlichkeiten wie Pickel vollständig aus dem Geflügelhirn verschwunden. Das Kleine war aufgeregt, flatterte noch lebhafter als sonst umher und malte eine ellenlange Süßigkeiten-Einkaufsliste, auf der Schokolade ganz oben stand, fett umkringelt.

Nun haben Eltern, wenn ein Zwergengeburtstag ansteht, zwei Möglichkeiten: Entweder sie verfallen aus Sorge ums Mobiliar bereits Tage vor dem Ereignis in Übellaunigkeit, oder die Sause findet aushäusig statt. Ganz klar, ich halte mich an letztere Variante. Wie im Vorjahr buchte ich die Indoorspielhalle mit Schnickschnack und Gedöns. Für Nicht-Eltern: Eine Indoorspielhalle ist ein riesiger Spielplatz, der sich vom herkömmlichen Spielplatz dadurch unterscheidet, dass er überdacht ist und vier Wände außen herum hat. Sprich: Die Gaudi kann wetterunabhängig und beheizt stattfinden. Und wenn einer wo runterfällt, landet er nicht im Sand, sondern schön gemütlich auf Schaumstoffmatten. Außerdem gibt es Klettergerüste und Spielgeräte, die man auf einem normalen Spielplatz nicht findet – die Bällekanone zum Beispiel, die genau das tut, was ihr Name impliziert: Bälle durch die Gegend feuern. Ein Heidenspaß für die Kids, und Dank Netz außen herum keine Gefahr für die zeitungslesenden Großen. Ein Traum!

Auf der Fahrt zur Halle griffen Geflügel und seine Gäste eines ihrer liebsten Themen auf. Same procedure as last Jahr: Es ging ums Kotzen.

Geflügels Freundin gab den Ring frei. »Neulich musste ich ganz viel brechen.«

»Ins Auto?«, fragte mein Kleines interessiert.

»In den Flur«, antwortete die Freundin stolz.

»Ich breche immer im Auto, wenn mir heiß ist.«

Das dritte Küken im Bunde, der Kumpel, ergänzte: »Du hast schon mal bei deinem Bruder auf die Hose gekotzt.«

»Stimmt«, nickte Geflügel, und die Freundin komplettierte: »Im Stau war das, als ihr zu Nadines Hochzeit gefahren seid.« Nicht, dass die Freundin oder der Kumpel dabei gewesen wären oder auch nur wussten, wer Nadine war, aber wie gesagt – das Kotz-Thema hatten sie bereits im letzten Jahr ausgiebig … nun ja … durchgekaut.

»Da waren auch Fleischbrocken drin«, fuhr die Freundin fort, selig in fremden Erinnerungen schwelgend. »Und Möhren, die konnte man noch erkennen.« Bloß kein Detail auslassen …

»Ich ess überhaupt keine Möhren!«, entrüstete sich Geflügel. »Erbsen waren das!«

»Ist egal.« Der Kumpel bewirtschaftete mit dem Zeigefinger seine Nase. »Auf alle Fälle war’s Gemüse.« Die Mädchen nickten.

»Leute«, mischte ich mich ein, denn ich spürte, wie mir allmählich das Mittagessen den Hals heraufkroch, »jetzt ist es mal genug! Eure zerkauten Möhrchen konnte ich schon das ganze letzte Jahr über nicht vergessen!«