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Im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (FgE) gehörte der Mathematikunterricht lange nicht zum Standard. Studien zeigen aber, dass die Entwicklungsprozesse bei Schülern im FgE nicht grundsätzlich anders verlaufen, sondern meist Verzögerungen und Grenzen infolge der Behinderung aufweisen. Das Buch liefert darauf fußend eine Neuausrichtung der sonderpädagogischen Mathematikdidaktik. Verbunden mit dem Anschluss an fachwissenschaftliche Grundlagen steht die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der Schülerschaft im Zentrum des Buches. Zugleich vermittelt es Praxiswissen zum Mathematikunterricht für Schüler mit geistiger Behinderung. Das Buch eignet sich so als Grundlagenwerk für Studium und Lehrerbildung sowohl für den FgE als auch für die Grundschulpädagogik.
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Seitenzahl: 338
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Dr. phil. Holger Schäfer ist Förderschulrektor und Schulleiter (SFgE) sowie Beiratsmitglied und Mitherausgeber der Fachzeitschrift LERNEN KONKRET (Bildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung) im Westermann-Verlag.
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1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-035220-9
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-035221-6
epub: ISBN 978-3-17-035222-3
mobi: ISBN 978-3-17-035223-0
Mit einem Geleitwort in das Themenfeld Mathematik und geistige Behinderung einzuführen ist mir in diesem Zusammenhang deshalb ein großes Anliegen, weil dieses Grundlagenwerk sowohl für die Sonderpädagogik als auch für die Mathematikdidaktik von besonderer Bedeutung ist.
Wer die Entwicklung der Mathematikdidaktik in den letzten 50 Jahren, die mehr und mehr vom angelsächsischen Sprachraum dominiert wird, aufmerksam studiert, kann nicht übersehen, dass sich diese Disziplin zunehmend vom Fach entfernt hat. Der Klagenfurter Mathematiker und Mathematikdidaktiker Willi Dörfler spricht hier zurecht von einer »Entmathematisierung« der Mathematikdidaktik. Hinter dieser Entwicklung steht folgende Logik: Das Fach kann im Wesentlichen nur die Inhalte liefern. Aufgabe der Didaktik ist es, Lehrmethoden zu entwickeln, die auf bestimmte Gruppen von Lernenden zugeschnitten sind. Diese Methoden müssen notwendig aus anderen Quellen geschöpft werden, weil die Inhalte selbst keine Informationen für den Unterricht enthalten.
Diese Sichtweise ist in den Bereichen der Mathematikdidaktik am weitesten fortgeschritten, in denen es um elementare Inhalte geht, d. h. in der Mathematikdidaktik für die Grundschule und den Kindergarten, und sie ist auch in der Sonderpädagogik weit verbreitet, wobei sie hier noch berechtigter zu sein scheint. Unterstützt wird diese Sichtweise dadurch, dass die Bildungspolitik heute Bildungsforschern, die von den Fächern nichts verstehen, die Deutungshoheit über den Unterricht zuspricht.
Wenn man die Geschichte der Mathematik bis in ihre Anfänge zurückverfolgt, wird jedoch deutlich, dass Fach und Unterrichtsmethode in den Ursprüngen der Mathematik eng verbunden waren. Dies zeigt sich bereits am Wort »Mathematik«. Der Name dieser Disziplin leitet sich aus dem altgriechischen μαθηματική τέχνη ab, das die »Kunst des Lernens und Lehrens« bezeichnet. Diese Kunst war damals in der rasch fortschreitenden Mathematik offenbar am weitesten entwickelt und wurde für andere Disziplinen zum Vorbild. Bis zum Mittelalter blieben Inhalte und Methoden eng verbunden. Erst bei der weiteren Entwicklung der Mathematik in der Neuzeit haben sie sich getrennt, weil die Mathematiker bei ihren Publikationen und Vorlesungen die Inhalte zunehmend in komprimierte, auf die logische Struktur reduzierte formale Darstellungen gegossen haben.
Diese Darstellungen verkörpern aber genauso wenig das wahre Fach, wie Weißmehl, das in mehreren Mahlgängen ausgemahlen wird, nicht mehr die Vitalstoffe des vollen Kornes enthält. Um die ›Vitalstoffe‹ der Mathematik erfassen zu können, muss man die Mathematik als Aktivität verstehen, die in elementarsten Operationen des menschlichen Gehirns und Körpers verankert ist und von unten her in nahtlosem Fortgang prozesshaft entwickelt werden kann. Dabei kommt die Reichhaltigkeit der Mathematik an Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeit, an verschiedenen Handlungs-, Darstellungs- und Sprachformen, an Problemlösestrategien, an unterschiedlichen Formen von Begründungen, an schönen Mustern jeweils stufenspezifisch zum Tragen.
Die Lernenden können sich mit diesen Mitteln auf der Grundlage ihrer Vorerfahrungen durch eigenes Tun mit den jeweiligen Inhalten vertraut machen und die Mathematik als Spielraum erfahren. Dieses A und O des Lehrens und Lernens bezieht sich auf alle Unterrichtsstufen und alle Lernenden. Mathematik so zu erfahren ist ein Menschenrecht.
Im Übrigen erschöpft sich auch die Universitätsmathematik keineswegs in den formalen Darstellungen der Inhalte. Bei den Forschungsprozessen ist der soziale Austausch der Mathematiker untereinander unverzichtbar, bei dem Beispiele, Bilder, informelle Darstellungen und eine problemorientierte Sprache benutzt werden und keine Scheu vor unfertigen Lösungen besteht. Mathematiker kommunizieren dies selten nach außen, da sie sich dabei, wie Hans Freudenthal so treffend festgestellt hat, vorkommen, als stünden sie in Unterhosen auf der Straße.
Der authentische Weg zum Mathematiklernen eröffnet sich, indem man die in elementaren Stufen des Faches »eingefrorenen didaktischen Momente« (Peter Heintel) zur Geltung bringt, und dieser Weg wird, namentlich im deutschsprachigen Raum, auch von einer signifikanten Gruppe innerhalb der Mathematikdidaktik beschritten, zu der das Projekt Mathe 2000 gehört.
Dass der Autor mich als Repräsentanten dieses Projekts eingeladen hat, ein Geleitwort zu dem vorliegenden Buch zu schreiben, unterstreicht ein wesentliches Hauptanliegen, das er mit diesem Buch verfolgt: die Öffnung des fachlichen Zugangs zur Mathematikdidaktik auch für den Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in ihrer ganzen Breite.
Diese gewaltige Aufgabe hat der Autor in bewundernswerter Weise gemeistert: Das Buch bietet für den Mathematikunterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sowohl in Förderschulen als auch in inklusiven Settings für Lernende mit geistiger Behinderung ein Kompendium, das kaum Wünsche offenlässt.
Den größten Raum, zwei Drittel des Buches, nimmt, der Intention des Buches entsprechend, der Kapitel 6 mit der Diskussion der Inhaltsbereiche »Muster und Strukturen«, »Zahlen und Operationen«, »Raum und Form«, »Größen und Messen« sowie »Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit« ein, von denen der erste, dritte und letzte im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung bisher kaum eine Rolle gespielt haben. Hier wird also Neuland betreten. Durch die Einbeziehung zahlreicher Beispiele, in die oft Unterrichtserfahrungen des Autors einfließen, wirkt dieser Abschnitt sehr lebendig und regt zu praktischen Umsetzungen an. Die allgemeinen mathematischen Kompetenzen werden in Kapitel 5 nur kurz umrissen, was ausreicht, denn diese Kompetenzen gewinnen ja erst im Zusammenhang mit konkreten Beispielen Leben.
Grundsätzliche Anmerkungen zu Methodik, zur Diagnostik und Förderplanung sowie zur curricularen Einordnung der Themen in den Kapiteln 2, 3 und 4 werden prägnant beschrieben und bieten für das inhaltliche Kapitel 6 eine gute Rahmung.
Die Literaturangaben sind sehr umfangreich und unterstreichen, wie gründlich der Autor gearbeitet hat. Lehrerinnen und Lehrer werden bei der praktischen Umsetzung der Praxisbeispiele freilich darauf verzichten können. Wer sich aber im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit in einzelne Punkte vertiefen möchte, wird den Umfang begrüßen.
Zur Einordnung des Buches möchte ich Beobachtungen nicht verschweigen, die ich im Laufe der Jahre bei meinen Begegnungen mit der Sonderpädagogik gemacht habe. Bereits in meiner aktiven Zeit ist mir deutlich aufgefallen, dass sich die Studierenden des Lehramts Sonderpädagogik mit dem fachlich fundierten didaktischen Konzept von Mathe 2000 viel offener und konstruktiver auseinandergesetzt haben als die Studierenden mit dem Lehramt Grundschule, die in der Regel eine gewisse Zeit benötigten, um sich an dieses Konzept zu gewöhnen. Vermutlich beruht diese Einstellung der Sonderpädagogikstudierenden auf einem Interesse an grundsätzlichen Fragen und der Fähigkeit, neue Angebote vorurteilsfrei zu prüfen und sich in kreativer Weise auf kontrollierte Versuche in diese Richtung einzulassen. Bei meinen professionellen Kontakten mit Elisabeth Moser Opitz, Birgit Werner, Christoph Ratz, Stefan Voss, Simon Sikora, Elke Reiter-Gündel, Wolfgang Gündel und nicht zuletzt Holger Schäfer, um nur einige Namen zu nennen, habe ich diese Einstellung durchgehend vorgefunden, die offenbar für die Sonderpädagogik prägend ist.
Ich bin daher sicher, dass das vorliegende Buch in der Sonderpädagogik die Resonanz und Wertschätzung finden und die Wirkung erzielen wird, die es verdient. Darüber hinaus hoffe ich, dass es auch in die Mathematikdidaktik hineinwirken und dort die Position des fachlich fundierten Zugangs zum Mathematiklernen stärken wird.
Dortmund, April 2019
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Erich Ch. Wittmann
Geleitwort
1 Einleitung
2 Mengen, Größen, Welterschließung
2.1 Zum Mathematikverständnis im FgE – aktuelle Entwicklungen
2.1.1 Der anschlussfähige Mathematikbegriff
2.1.2 Exkurs – Mathematikunterricht und (Allgemein-)Bildung
2.1.3 Unspezifische Vorläuferfertigkeiten und Nicht-numerische Handlungsfelder
2.1.4 Spezifische Vorläuferfertigkeiten und numerische Handlungsfelder
2.2 Methodische Überlegungen
2.2.1 Unterrichtsprinzipien
2.2.2 Mathematik und Sprache
2.2.3 Unterrichtliche Organisationsformen
2.2.4 Darstellungsebenen
2.2.5 Medien I – Veranschaulichung und Anschauung
2.2.6 Medien II – Mathematikhefte
2.2.7 Medien III – Computer und Lernprogramme
3 Diagnostik und Förderplanung
3.1 Standardisierte Inventare
3.1.1 Vorweg
3.1.2 OTZ – Osnabrücker Test zur Zahlbegriffsentwicklung
3.1.3 TEDI-MATH – Test zur Erfassung numerisch-rechnerischer Fertigkeiten
3.2 Informelle Verfahren
3.2.1 Grundlagen der Strukturierten Beobachtung
3.2.2 EMBI – ElementarMathematisches BasisInterview
3.3 Förderplanung
4 Curriculare Orientierung
4.1 Bildungspläne (Auswahl)
4.1.1 Aktuelle Entwicklungen
4.1.2 Bayern (2003)
4.1.3 Baden-Württemberg (2009)
4.1.4 Hessen (2013)
4.1.5 Ausblick
4.2 Die Bildungsstandards der KMK (Grundlagen)
5 Allgemeine mathematische Kompetenzen im Kontext FgE
5.1 Problemlösen
5.2 Kommunizieren
5.3 Argumentieren
5.4 Modellieren
5.5 Darstellen
6 Inhaltsbezogene mathematische Kompetenzen im Kontext FgE
6.1 Muster und Strukturen
6.2 Zahlen und Operationen
6.2.1 »Zahlen bitte« – zur Bedeutung numerischer Kompetenzen
6.2.2 Didaktische Ansatzpunkte
6.2.3 Das Stellenwertsystem
6.2.4 Rechenoperationen
6.3 Raum und Form
6.3.1 Die Grundideen der Geometrie
6.3.2 Fachdidaktische Perspektiven
6.4 Größen und Messen
6.4.1 »Größen und Messen« als Bindeglied zwischen Arithmetik und Geometrie
6.4.2 Grundlagen
6.4.3 Größenbereiche
6.5 Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit
6.5.1 Überblick und Orientierung
6.5.2 Daten erfassen und darstellen
6.5.3 Wahrscheinlichkeiten vergleichen
Literatur
In den Entwicklungslinien der schulischen Geistigbehindertenpädagogik gehörten die sogenannten Kulturtechniken und damit auch die Mathematik in den Anfängen eher zu den Stiefkindern der didaktischen Ausrichtung. Nicht zuletzt die strukturellen Bemühungen und organisatorischen Belange der Schulen vor Ort (und deren Gründungen) standen in den 1950er- und 1960er-Jahren im Mittelpunkt, ebenso wie die pädagogisch-anthropologischen Fragen und formal-rechtlichen Perspektiven eines verbindlichen Schulbesuchs (Schulpflicht und -recht) für Schüler mit einer sogenannten geistigen Behinderung (vgl. hierzu Speck 2018).
Nach dem Aufbau des Sonderschulwesens stand in den 1970er-Jahren der Ausbau im Fokus der Länder und in zunehmend stärkerem Interesse der Konferenzen der Kultusminister, die für die schulische Geistigbehindertenpädagogik 1979 in entsprechende Empfehlungen mündeten (KMK 1979) und mit den 1998er-Empfehlungen unter dem Gesichtspunkt integrativer Entwicklungen (anschließend an die 1994er-Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland) für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (FgE) fortgeschrieben wurden (Schäfer 2017a).
Innerhalb dieser Entwicklungen über die Bundesländer hinweg begann sich auch die Didaktik im FgE mehr an den Fächern (bspw. Deutsch und Mathematik, auch Sachunterricht) zu orientieren und stellte sich beginnend in den 1990er-Jahren zunehmend den Erfordernissen inklusiven Unterrichts. Diese fachlichen Entwicklungen ließen sich für die Mathematik sowohl in der Praxis beobachten (vgl. hierzu bspw. das »Lernen konkret«-Themenheft Mathematik 1997) als auch in der universitären Ausbildung (vgl. bspw. die Herausgeberschaft von Susanne Dank o. J.).
Jedoch schlossen die Arbeiten in Theorie und Praxis wenig (oder gar nicht) an die fachwissenschaftlichen Grundlagen an, sondern beschritten eigene (mehr sonderpädagogische) Wege, die jedoch
• nicht selten fachlicher Grundlagen entbehrten,
• aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht stimmig waren
• und zudem einen interdisziplinären Dialog mit der Regelpädagogik (und damit zugleich der Fachdidaktik der Mathematik) außer Acht ließen.
Forschung und Studien zur Mathematik im FgE stehen heute noch am Anfang (vgl. Moser Opitz et al. 2016, S. 123 ff.; Garrote et al. 2015, S. 24 ff.; Ratz 2016, S. 16 ff.). Sie deuten darauf hin, dass die Kompetenzfortschritte der Schülerinnen und Schüler im FgE nicht grundsätzlich anders verlaufen, jedoch Verzögerungen in der zeitlichen Entwicklung sowie Grenzen infolge der Beeinträchtigung zu bedenken sind (bspw. Siegemund 2016; Peter-Koop 2016).
Die nachstehenden Ausführungen basieren u. a. auf den Herausgeberschaften der Fachzeitschrift »Lernen konkret – Bildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung«
• »Mengen, Größen, Welterschließung« – Grundlagen der Mathematik im FgE (Schäfer 2015c – Heft 3),
• »Zahlen bitte« – Grundlagen der Arithmetik (Schäfer 2016b – Heft 4),
• »Raum und Form« – Grundlagen der Geometrie (Schäfer 2017b – Heft 4),
• »Größen und Messen« – Euro, Gramm und Zentimeter (Schäfer 2018a – Heft 4)
und beschreiben für den Unterricht und die Mathematik im FgE anschlussfähige Gedanken und eine interdisziplinäre (Neu-)Ausrichtung der didaktischen Positionen (vgl. Schäfer 2016a, S. 4 f.; Dönges 2016, S. 12 ff.; Schäfer, Peter-Koop & Wollring 2019).
Diese anschlussfähige Ausrichtung macht es sich für den FgE zur Aufgabe,
• sowohl die genuin fachwissenschaftlichen Grundlagen der Mathematik (auch mit der Perspektive auf die Bildungsstandards) im Unterricht zu berücksichtigen,
• als auch die Beeinträchtigungen und daraus hervorgehenden besonderen Bedürfnisse der Schülerschaft in den Blick zu nehmen und dahingehende sonderpädagogische Expertise im Planungsprozess zu bewahren und weiterzuentwickeln.
Diese annähernde Perspektive ermöglicht zum einen den wichtigen interdisziplinären Dialog, und trägt zum anderen zur Vermittlung bedeutsamer Inhalte bei, die durch einen verengten (sonderpädagogischen) Blick bisher zu kurz kamen (bspw. Geometrie). Bezugspunkte sind hier insbesondere die ideengebenden KMK-Bildungsstandards (KMK 2004; 2013), deren Systematik sich (mit Bezügen zu den allgemeinen und inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenzen) in der Gliederung und im Aufbau der nachfolgenden Studien niederschlägt.
Die Zusammenstellung versteht sich im Sinne einer auch wissenschaftlichen Orientierung nicht als abgeschlossenes Kompendium der Mathematik für den FgE, sondern vielmehr als ein erster fachdidaktischer Entwurf,
• der zum Austausch zwischen den Disziplinen (Mathematik und Sonderpädagogik) anregen,
• fortschreibend Erkenntnisse zusammenführen und
• schließlich für den FgE eine Mathematik grundlegen möchte, die zur Erschließung der gegenwärtigen und zukünftigen Welt beitragen kann (Heymann 2013).
Ein herzlicher Dank (auch für den umfassenden fachlichen Austausch in Gesprächen und im E-Mail-Kontakt) gilt den Beiträgern der o. g. Themenhefte, insbesondere
• für die Didaktik der Mathematik Prof. Andrea Peter-Koop (Bielefeld), Prof. Bernd Wollring (Kassel), Prof. Ursula Bönig (Bremen), Prof. Meike Grüßing (Vechta), Prof. Erich Ch. Wittmann (Dortmund) und Prof. Michael Gaidoschik (Bozen)
• und für die sonderpädagogischen Perspektiven aus Forschung, Lehre und Praxis Dennis Bitter (Düsseldorf), Matthias Kruse (Oberursel), Dr. Christoph Dönges (Landau), Prof. Christoph Ratz (Würzburg) sowie Dr. Susanne Schnepel und Prof. Elisabeth Moser Opitz (Zürich).
Über Rückmeldungen und Anregungen, die den o. g. Dialog pflegen und diesen ersten interdisziplinären Entwurf fortführen freuen sich Verlag und Autor (per E-Mail gerne an [email protected]).
Bernkastel-Kues im Herbst 2019
Dr. Holger Schäfer
Wesentlich selbstverständlicher gehört die Mathematik heute in den Fächerkanon im FgE, als dies noch in den 1970er- und 1980er-Jahren üblich war. Nicht zuletzt der disziplinäre Anspruch der Didaktik in diesem Förderschwerpunkt und auch das Selbstverständnis der spezifischen Schulform mit dem FgE (SFgE), die zunehmende Bedeutsamkeit im Bereich (auch inklusiver) berufsorientierender Maßnahmen, die Entwicklungen im Zusammenhang mit gemeinsamem Unterricht und schließlich die dahingehenden Erwartungshaltungen der Eltern führten berechtigterweise zur stärkeren Beachtung dieses Lernfeldes (vgl. Peter-Koop 2016, S. 6 ff.). Diese Veränderungen lassen sich in zweierlei Richtungen beschreiben:
• Auf der einen Seite findet eine Neubewertung der fachdidaktischen Grundlagen der Mathematik für den FgE statt, die insbesondere die Bildungsstandards Mathematik für die Primarstufe in den didaktischen Fokus rückt (KMK 2004). Hier sind es u. a. die Arbeiten von Ratz & Wittmann (2011), Schäfer (2015b; 2015c; 2016b; 2017b; 2018a), Peter-Koop (2016) und Schäfer, Peter-Koop & Wollring (2019), die den ideengebenden Charakter sowohl der inhaltsbezogenen als auch der prozessbezogenen mathematischen Kompetenzbereiche betonen ( Kap. 5, Kap. 6).
• Auf der anderen Seite bedeutet dieser Anschluss an die Mathematikdidaktik eine Ablösung vom sonderpädagogischen Konstrukt der Pränumerik hin zu einer Betonung der Numerik und des Zahlerwerbs von Beginn an. Aktuelle Arbeiten sprechen statt von einem erweiterten Mathematikbegriff von einem anschlussfähigen Mathematikbegriff im FgE, der fachwissenschaftlich an Modellen des Zahlbegriffserwerbs ausgerichtet ist (bspw. am ZGV-Modell von Krajewski/Ennemoser 2013) und auch im Rahmen der Lehrerbildung fachdidaktische Grundlagen orientierend bereitstellen kann (vgl. hierzu die aktuellen Arbeiten von Jandel & Moser Opitz 2017, S. 195 und Schnepel 2019).
Sozusagen im Kontrast zu diesen Entwicklungen stellt Ratz (2012) auf der Grundlage empirischer Erhebungen (Studie SFgE) in Bayern fest, dass oft »in Mathematik weniger Unterrichtszeit investiert wird, möglicherweise weil ihr weniger lebenspraktische Relevanz zugesprochen wird« (ebd., S. 146). Die Erkenntnisse der Studien sind nach Einschätzung der Autoren durchaus auch auf das Bundesgebiet übertragbar (Dworschak et al. 2012). Die Ergebnisse im Zusammenhang mit Mathematik lassen sich u. a. mit eben jenem verengten (überholten) Blick auf die Mathematik erklären, durch den weniger Inhaltsbereiche im didaktischen Fokus stehen.
Folgt man nämlich dem sonderpädagogischen Konstrukt der Pränumerik als (vermeintlicher) Voraussetzung mathematischen Handelns, richtet Unterricht den Blick auf zunächst unspezifische, nichtzahlige Inhalte (bspw. Sortierübungen ohne Mengenbezüge) und setzt sich sehr spät (ggf. gar nicht) mit den Grundrechenarten (mit einer Betonung der Addition und Subtraktion bei gleichzeitiger Vernachlässigung einerseits der Multiplikation und Division, andererseits der schriftlichen Rechenverfahren) auseinander.
Erschwerend kommt hinzu, dass wesentliche Inhalte des Kompetenzbereichs »Größen und Messen« (Peter-Koop & Nührenbörger 2012, S. 89 ff.) wie bspw. »Zeit« und »Geld« zuvorderst sachunterrichtlichen Unterrichtseinheiten (oft auch sogenannten Projekten) zugeschrieben werden. Dadurch können diese attraktiven und für den Unterricht im FgE zentralen Themen wiederum nicht zum Prestigegewinn des ohnehin schon negativ besetzten Schulfaches Mathematik beitragen (zugleich werden in solchen Projekten genuin mathematikdidaktische Grundlagen oft außer Acht gelassen) (Peter-Koop, Wollring & Schäfer 2018; Schäfer 2018a und b; Schäfer, Peter-Koop & Wollring 2019).
Vergleichbare Effekte sind zu beobachten, wenn man die alleinige Zuordnung mathematischer Größenbereiche zu Themenfeldern der Arbeitslehre und Hauswirtschaft betrachtet, wie etwa
• Gewichte (bspw. das Abwiegen beim Backen und Kochen),
• Rauminhalte (bspw. das Abmessen beim Backen und Kochen),
• Längen (bspw. das Ablängen beim Umgang mit Werkstoffen in der Schreinerei oder in der Schlosserei),
• Flächeninhalte (bspw. das Bestimmen von Inhalten bei Holzarbeiten usf.),
ohne sie zugleich im Mathematikunterricht aufzuarbeiten, bspw. durch annäherndes Umwandeln der Einheiten (1 l = 1.000 ml) und damit verbundene operative Übungen (100 ml + 150 ml = 250 ml = 0,25 l = ¼ l) ( Kap. 6.4).
Dieser verengte (und eben nicht wirklich erweiterte) Blick auf die Mathematik könnte sich möglicherweise weiten lassen mit einem anschlussfähigen Begriff der Mathematik, der sowohl
• für die Mathematikdidaktik die inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen der Bildungsstandards in den Blick nimmt,
• als auch aus sonderpädagogischer Perspektive die Beeinträchtigungen der Schüler im FgE zu berücksichtigen und eine kompensatorische Ausrichtung und bildende Akzentuierung des Unterrichts anzubieten weiß (Fischer & Schäfer 2019).
Analog zu den Entwicklungen des sogenannten erweiterten Lesebegriffs für das Lernfeld Deutsch (bspw. Günthner 2013; Koch 2016, S. 67 ff.; Koch & Euker 2019) etablierte sich in der schulischen Geistigbehindertenpädagogik durch die tradierte Orientierung an dem didaktischen Konzept der Pränumerik auch ein erweitertes Verständnis der Mathematik, »das in der Sonderpädagogik nach wie vor als eine Art Dogma gilt und breit ausgearbeitet ist« (Ratz & Witmann 2011, S. 136, zitiert in Dönges 2016, S. 12).
Dahingehende Arbeiten gehen mit Bezug auf zum Teil überholte Anleihen an Piaget davon aus, das die Grundlegung pränumerischer (also vorzahliger) Kompetenzen zwingend (sozusagen bedingend) notwendig sei, um erst darauf aufbauend (und erst dann) numerische (also zahlige) Kompetenzen aufzubauen (vgl. hierzu weiterführend die kritischen und fachdidaktisch anschließenden Arbeiten von Moser Opitz 2008; Ratz & Wittmann 2011; Dönges 2016; Siegemund 2016). Ein solches pränumerisches (vermeintlich erweitertes) Verständnis von Mathematik (beginnend ohne Zahlen) berücksichtigt außerdem nicht,
• dass die Schüler auch im FgE mit zahligen Vorerfahrungen aus dem Elementarbereich zur Schule kommen,
• mitunter familiär geprägte Interessen an Zahlen in sich tragen (die Fachdidaktik spricht hier in Anlehnung an Dehaene (1997; 1999) vom Number Sense, also vom Zahlen-Sinn) und
• genuin fachliche mathematische Interessen (auch unbewusst) an den Unterricht mitbringen (vgl. Kaufmann 2011; Benz et al. 2015).
Eine an dem (sonderpädagogischen) Konstrukt der Pränumerik ausgerichtete Mathematik führt so – auch mit Blick auf aktuelle Studien (bspw. Siegemund 2016) – vielmehr zu einem weiteren (Be-)Hindern an der Auseinandersetzung mit dem Zahlerwerb. Dönges (2016) spricht in diesem Zusammenhang von einer »unergiebige(n) Warteschleife« (ebd., S. 13), die im Eingangsunterricht die Schüler zu einem Abwarten verpflichtet, statt fachwissenschaftliches Anschließen grundsätzlich zu ermöglichen und auch diagnostisch ermittelte Vorerfahrungen und Interessenslagen aufzugreifen ( Kap. 2, Kap. 3). Er verweist weiter auf dahingehende Problematiken im Kontext Inklusion, »denn wer ein fachwissenschaftlich widerlegtes Konzept zur Sonderdidaktik erklärt, läuft Gefahr, die sonderpädagogische Expertise für einen inklusiven Unterricht zu diskreditieren« (ebd.; vgl. hierzu aktuell Schnepel 2019).
Muss es stattdessen nicht viel mehr das Ziel sein, die tatsächlich besonderen Dinge der schulischen Geistigbehindertenpädagogik in den fachwissenschaftlichen Diskurs einzubinden? Einen Entwurf, der sowohl die fachliche Ebene als auch den sonderpädagogischen Blick wahren kann, zeichnet folgende Abbildung nach ( Abb. 2.1).
Abb. 2.1: Anschlussfähiges Verständnis von Mathematik im FgE
Im Sinne bildungstheoretischer Didaktik ist die Mathematik den inhaltsbezogenen Lernbereichen (Speck 2018, S. 262) bzw. mit Klafkis Worten dem Materialen zuzuordnen (1959; 1963; 2007; Schäfer 2017a; 2017c; 2017d; 2019; Fischer & Schäfer 2017; 2019). In seinen Arbeiten zur »Allgemeinbildung und Mathematik« zeichnet Heymann (2013) nun Konturen eines allgemeinbildenden Mathematikunterrichts ab, dessen Akzente (s. u.) durch den pädagogischen (Lebenswelt orientierten) Zuschnitt im FgE ohnehin mehr gegeben sind, als dies im regelhaften Betrieb der Grund- und weiterführenden Schulen möglich sein kann.
Jedoch können diese Akzente zugleich Orientierung geben und im Sinne der wichtigen fachlichen Ausrichtung (bewahrende) pädagogische Impulse setzen. Folgende (auch für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung bedeutsame) Akzente sind mit Bezug zu Heymann (2013, S. 278–279) zu nennen:
• Berücksichtigung unmittelbar lebensnützlicher Alltagsaktivitäten (Schätzen, Überschlagen, Interpretieren und Darstellen) und die verständige Handhabung technischerHilfsmittel (Lineal, Zirkel, Taschenrechner usf.) (Stichwort: Lebensvorbereitung) (Schäfer & Wittmann 2017).
• Zentrale Ideen der Mathematik, die die Verbindung von Mathematik und außermathematischer Kultur exemplarisch verdeutlichen, sollten ausdrücklich thematisiert werden, wie bspw. das Messen, das räumliche Strukturieren oder das mathematische Modellieren (Stichwort: Stiftung kultureller Kohärenz) ( Kap. 6).
• Erfahrungen sollen ermöglicht werden, wie Mathematik zur Deutung und Modellierung, also zum besseren Verständnis primär nicht-mathematischer Phänomene herangezogen werden kann (Stichwort: Weltorientierung).
• Im Mathematikunterricht soll genügend Zeit und Gelegenheit gegeben werden, sich mit den Fragestellungen aktiv konstruierend und entdeckend auseinander setzen zu können (Ratz & Moser Opitz 2015). Mathematik soll zu kritischem Denken und Verstehen führen und anregen (Stichwort: kritischer Vernunftgebrauch).
• Es sollte Raum gegeben werden »für die subjektiven Sichtweisen der Schüler, für wechselseitige Verständigung über die anstehenden mathematischen Themen, für die produktive Auseinandersetzung mit Fehlern, für Umwege und alternative Deutungen, für lebendigen Ideenaustausch, für spielerischen Umgang mit Mathematik, für eigenverantwortliches Tun« (Heymann 2013, S. 279) (Stichworte: Verantwortungsbereitschaft, Verständigung und Kooperation, Stärkung des Schüler-Ichs) (Pitsch & Thümmel 2017) ( Kap. 5).
Diese Schilderungen scheinen einerseits für den Unterricht und die Didaktik im FgE sehr abstrakt, zugleich spiegeln sie wiederum die Grundzüge aktiv-entdeckenden Lernens und pädagogischer Haltung wider, wie dies Ratz & Wittmann (2011) in ihren fachbezogenen Arbeiten für den FgE schildern.
Darüber hinaus erscheint die Fokussierung auf die Arbeiten von Heymann (2013) gerade durch die stärkere Betonung der Fachorientierung im FgE sinnvoll; ähnliche (bzw. ergänzende) Dimensionen nennt u. a. auch Graumann (2015) mit
• der pragmatischen Dimension,
• der Aufklärungsdimension,
• der sozialen Dimension/Kooperation und Verantwortung,
• und der Persönlichkeitsdimension (ebd., S. 97 ff.).
Zurück zu den Akzenten von Heymann (2013): Während im regelhaften Bildungsgang (insbesondere im Sekundarstufenbereich der weiterführenden Schulen) auf die o. g. Ausführungen hingewiesen werden muss, um den Mathematikunterricht bildungswirksam werden (und nicht nur um seiner selbst willen stattfinden) zu lassen (Stichwort Weltorientierung), scheint dies im Unterricht im FgE zunächst selbstverständliches Gedankengut und pädagogischer Konsens zu sein.
Wenn jedoch die aktuell im FgE notwendige Fokussierung auf die Fächer (hier: die Mathematik) im Sinne von anschlussfähiger Didaktik und Methodik (Dönges 2016) jegliche pädagogische Haltung aus dem Blick verliert und sich die Schüler infolge auch ihrer geistigen Behinderung die Sinnhaftigkeit des Unterrichts nicht mehr erschließen können (in der Praxis sind gerade in inklusiven Settings durch ihre meist originäre Ausrichtung an regelhaften Abläufen erste Tendenzen zu beobachten), genau dann wird die oben gezeigte Akzentuierung notwendig, genau dann müssen die Stiftung kultureller Kohärenz und die Lebensweltvorbereitung im Zuge von Unterrichtsplanung und Gestaltung mitgedacht werden.
Und genau dann ist auf die Bedeutsamkeit kategorialen Erschließens im Sinne des Sich-Reibens materialer und formaler Inhalte hinzuweisen (Klafki 2007), damit auch im FgE die Mathematik nicht zum Selbstzweck, sondern sich ganz im Sinne bildungstheoretischer Didaktik bildsam entfalten und so für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung welterschließend wird (vgl. Schäfer 2016a; 2017a; 2017c und mit Blick auf die Lehrerbildung und dahingehende Bildungs- und Unterrichtsreformen auch Müller, Steinbring & Wittmann 2012) ( Kap. 4).
Die in der Abbildung 2.1 gezeigten unspezifischen (und dann spezifischen) Vorläuferfertigkeiten sind zu verstehen als ein Komplex jener Fähigkeiten und Fertigkeiten, die im Entwicklungsverlauf nicht-beeinträchtigter Kinder im Elementar- und spätestens im Primarbereich abgeschlossen werden und mathematisches Handeln in der Regel im Bereich der Grundrechenarten ohne größere Hürden und weitere Schwierigkeiten möglich machen.
In der Didaktik der Mathematik werden für den Kindergarten- und dann für den regelhaften Grundschulbereich zahlreiche unspezifische Vorläuferfertigkeiten genannt. Für die Didaktik im FgE erscheint es sinnvoll, diese zu identifizieren, zu kennen und damit um möglicherweise unausgeprägte Fertigkeiten zu wissen sowie (auch aus einer kompensatorischen Perspektive) deren Förderung in den Blick nehmen zu können. Hier einige Beispiele:
• Lorenz (2012) nennt in seinen Ausführungen zur frühen mathematischen Bildung zahlreiche unspezifische (und daran anschließend) spezifische Vorläuferfertigkeiten. Er beschäftigt sich insbesondere mit dem Verhältnis von Mathematik und Sprache sowie in diesem Kontext visuellen, nonverbalen, ganzheitlichen und auditiven Verarbeitungsstrategien und spezifischen Sprachfaktoren, die mathematisches Lernen erschweren (u. a. die auditive Figur-Grund-Diskrimination, die auditive Speicherung, Serialität, Wissen über Wortbedeutungen und das Verständnis der semantischen Grundstruktur) (ebd., S. 21 ff. und S. 47 ff.).
• Krajewski & Ennemoser (2013) nennen als unspezifische Vorläuferfertigkeiten u. a. die Gedächtniskapazität im Sinne der auditiven und visuellen Merkspannen und die Zahlenverarbeitungsgeschwindigkeit einschließlich damit einhergehender Kompetenzen und notwendiger Vorerfahrungen. Mit Blick auf das Zahlen-Größen-Verknüpfungsmodell (ZGV) stellen sie auch Unterschiede zum Zahlwortgebrauch nach Fuson (1988) heraus und machen bspw. in Bezug auf Vorgänger- und Nachfolgerzahlen (welche Zahl steht vor 8 und welche Zahl folgt ihr) die Verortung auf der Ebene der Basisfertigkeiten (Ebene 1) und damit die Nähe zu den noch eher unspezifischen Vorläuferfertigkeiten und (auch schon als Schnittstelle zu Schneider et al. 2013) die Verbindung zur phonologischen Bewusstheit deutlich (Krajewski & Ennemoser 2013, S. 48 ff.).
• Schneider et al. (2013) nennen – neben den spezifischen Vorläuferfertigkeiten (ebd., S. 52) – als »unspezifische Prädikatoren von Schulleistungen in Mathematik« (ebd., S. 56 ff.) die Bedeutung familiärer Anregung, die Intelligenz, das Geschlecht, das Arbeitsgedächtnis (visuell, phonologisch, exekutiv) sowie linguistische Kompetenzen im Kontext phonologischer Bewusstheit.
Während Kaufmann (2011) zu Recht die Relevanz der Förderung und Unterstützung spezifischer Vorläuferfertigkeiten betont (ebd., S. 21 ff.), lassen sich mit Schipper (2002) und Benz et al. (2015) zugleich Hinweise darauf finden, dass die sogenannten informellen mathematischen Kompetenzen sich nicht automatisch zu formalen mathematischen Kompetenzen entwickeln (lassen). Für die regelhafte Entwicklung im Vorschulalter weisen sie außerdem auf die große Heterogenität der Kinder hin (Benz et al. 2015, S. 5 ff.).
Dieses (vermeintliche) Spannungsfeld spricht dafür, die unspezifischen und im engeren Sinne nicht-numerischen Vorläuferfertigkeiten (wie bspw. die phonologische Bewusstheit) gerade im FgE nicht außer Acht zu lassen, sondern hinsichtlich möglicher Ursachen von Rechenstörungen stets im Blick zu behalten (vgl. hierzu auch Werner 2009, S. 55 ff.). Umso mehr erscheint dieser Übergangsbereich von den unspezifischen zu den spezifischen Vorläuferfertigkeiten für die Mathematik im FgE bedeutsam und der Einbezug bei entsprechenden Bedarfen wichtig, wenn man zugleich bedenkt, dass »die Entwicklung mathematischer Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit dem FgE in ähnlicher Weise« verläuft wie die bei Kindern und Jugendlichen ohne Förderbedarf (Siegemund 2016, S. 203; Peter-Koop 2016).
Im besonderen Maße bedingt eine sogenannte geistige Behinderung in ihrer Komplexität umfassende Förderbedarfe und in der individuellen Betrachtung mehrdimensionale Herausforderungen im Bereich
• der auditiven und visuellen Wahrnehmung (z. B. visuelles Diskriminieren von Mengen),
• der Motorik und Bewegungsabfolgen (z. B. Zählen, Wegnehmen/Hinzufügen mit den Händen, Raumvorstellungen),
• der Kognition (z. B. das konzeptuelle Verständnis der Zählprinzipien, wodurch der Zählprozess insgesamt wiederum verlangsamt bzw. auch erschwert werden kann) (Siegemund 2016, S. 203 ff.) und
• eines insgesamt eher passiven Lernverhaltens, wodurch das wichtige Üben und die aktive, verinnerlichende Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand weiter erschwert werden und auf externe Impulse angewiesen sind (vgl. hierzu auch Sarimski 2013a; Pitsch & Thümmel 2015a; 2015b).
Erschwerend kommen im Eingangsbereich im FgE noch der sozial-emotionale Aspekt, Aufmerksamkeitsstörungen und kurze Konzentrationsphasen hinzu, wodurch sich die Lern- und Arbeitsphasen in einem kurzen Zeitrahmen bewegen und so mit den wichtigen Übungsphasen kollidieren (Nußbeck 2008, S. 5 ff.). Damit wird es zunächst auf intensivere Eins-zu-eins-Begleitungen ankommen und der eigenständige Umgang mit Materialien als methodische Kompetenz bspw. im Rahmen von Wochenplan oder Freiarbeit ist ebenso Lerngegenstand (vgl. Speck 2018, S. 270 ff.; Schäfer 2017d, S. 124 ff.).
Während in der Mathematikdidaktik diese unspezifischen Vorläuferfertigkeiten eine möglicherweise untergeordnete Rolle spielen (können), sprechen auch neuere Studien dafür, in der Auseinandersetzung mit den mathematischen Inhalten (bspw. mit dem Zählen) diese Faktoren ebenso in den Blick nehmen zu müssen (bspw. eine sprachliche Beeinträchtigung bei der Aussprache der Zahlwörter »zwei« und »drei« – oft als »dei« und »krei« gesprochen). Werner (2009) spricht in ihren Ausführungen zu den unspezifischen Voraussetzungen von »Risikofaktoren, (…) (denen) entsprechende Aufmerksamkeit in der Didaktik und der Diagnostik zu schenken (ist)« (ebd., S. 114). Dementsprechend sind auch diese unspezifischen Vorläuferfertigkeiten in einem anschlussfähigen Modell der Mathematik im FgE zu berücksichtigen ( Abb. 2.1).
»Mathematik ist damit im Kontext der inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzbereiche der Bildungsstandards (KMK 2004)
• von Beginn an zu verstehen als aktive entdeckende Auseinandersetzung von (grundsätzlich) zahligen (numerischen) sowie (wenn notwendig) nicht-zahligen (nicht-numerischen) Gegenstandsbereichen,
• ein Unterrichtsprinzip, das (in Ausrichtung an den KMK-Bildungsstandards für die Mathematik) eine durchgehende und damit differenzierte Mathematisierung alltäglichen Unterrichtshandelns ermöglicht und
• Unterricht, »der sehr sorgfältig die Grundlagen schafft für ein sehr individuelles Verständnis von Relationen, Größen, Mengen, Zahlen und Beziehungen derselben« (Lanzinger 1997, S. 2)« (Schäfer 2015a, S. 5).
Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass die Didaktik der Mathematik (ebenso wie die fragmentarischen Hinweise für die Mathematik im FgE) stark auf arithmetische Inhalte fokussiert. Damit betont sie sehr den Inhaltsbereich der KMK-Bildungsstandards »Zahlen und Operationen«, zugleich lässt sie im Kontext Prädikatoren die Inhaltsbereiche »Raum und Form«, »Größen und Messen« und »Daten, Häufigkeit, Wahrscheinlichkeit« außer Acht (KMK 2004). Zu Recht wurde und wird die Geometrie als Stiefkind beschrieben (Bauersfeld 1993b, S. 8; Schäfer & Wittmann 2017).
Legt man jedoch diese Bereiche (sowie übergeordnet den Kompetenzbereich »Muster und Strukturen«) als ideengebend und wichtig für den FgE zugrunde (z. B. Geld, Zeit, Längen, Gewichte), erscheint es umso mehr indiziert, auch nicht-numerische Profile der Vorläuferfertigkeiten einzubeziehen, wie etwa das Versprachlichen
• räumlicher Beziehungen (z. B. davor – dahinter, drüber – drunter) oder
• zeitlicher Relationen (früher – später, gestern – heute – morgen, schneller – langsamer) ( Kap. 6.3, Kap. 6.4).
Ein wesentlicher Unterschied des o. g. anschlussfähigen Mathematikbildes zur bisherigen sonderpädagogischen Perspektive der Pränumerik ist es, dass es sich beim Einbezug nicht spezifischer Vorläuferfertigkeiten nicht um ein Bedingungsgefüge handeln kann! Stattdessen durchdringen sich mit Bezug auf das Modell der Zahlen-Größen-Verknüpfung von Krajewski & Ennemoser (2013) im Kontext Arithmetik die Fertigkeiten und legen die Auseinandersetzung mit numerischen Inhalten von Beginn an zugrunde (Peter-Koop 2016).
Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, die fachwissenschaftliche Perspektive zu wahren und den Blick auf die zentrale Zielstellung des Unterrichts zu richten, also zwischen etwa einem in erster Linie mathematischen oder einem bspw. mehr künstlerischen Ansatz zu unterscheiden (wiewohl der verbindende, ganzheitliche Ansatz gerade im FgE immer nachhaltige Wirkung hat) (Fischer 2008; Fischer & Schäfer 2017; Schäfer 2018b).
• Gilt der Fokus der Mathematik (bspw. beim Gestalten von Quadraten mit dem Zuschnitt »Raum und Form«), wird wesentlich mehr darauf zu achten sein, dass die Winkel der Quadrate rechtwinklig sind und (wenn es gleichgroße Quadrate sein sollen) diese auch gleiche Maße haben. Darüber hinaus sind die sprachlichen Besonderheiten der Größen einzuführen (Maßzahl »3« – Maßeinheit »cm«) (vgl. hierzu bspw. Rasch & Sitter 2016, S. 32 ff.; Sitter 2015; Peter-Koop, Wollring & Schäfer 2018).
• Handelt es sich um ein künstlerisches Vorhaben (Entwickeln und Gestalten von Quadraten), liegt der Schwerpunkt möglicherweise mehr auf der Farbzusammensetzung (Farbvorgaben), der Pinselführung und -auswahl, der dreidimensionalen Darstellungsform, der Anordnung der Farben oder der handwerklichen Ausführung.
Ein konkretes Beispiel für die Verbindung nicht-numerischer und numerischer Handlungsfelder im Primarbereich im FgE kann die Einkaufsliste des wöchentlichen Einkaufs für das Frühstück sein). Beim Ausfüllen müssen sich die Schüler (Stichwort aktiv-entdeckend und sozial-gemeinsam)
• in der Umgebung orientieren und konkret die Aufträge in Tabellenform erfassen (Wahrnehmung),
• sich mit einem Mitschüler oder mehreren Mitschülern austauschen und beim Eintragen absprechen (Sprache),
• das Lebensmittel richtig einordnen (1 Glas Honig, 1 Brot – jedoch 7 einzelne Brötchen) (konkreter Bezug zur Mathematisierung von Alltagshandlungen) und
• die festgestellte Menge analog-semantisch (»| | | |« oder auch »••••«) oder in Ziffernform in lesbarer Schrift notieren (4) (Mengenverständnis und Ziffernkenntnis).
Die bisherigen Darstellungen zu den unspezifischen Vorläuferfertigkeiten und nicht-numerischen Handlungsfeldern verdeutlichten, dass der Mathematikunterricht im FgE hinsichtlich einer heterogenen Schülerschaft noch mehr die unspezifischen Vorläuferfertigkeiten als Lernausgangsbedingungen in den Blick nehmen muss, als dies der Unterricht für Kinder und Jugendliche ohne Beeinträchtigungen zu beachten hat.
Dies bedeutet jedoch keineswegs, hier einen Schwerpunkt setzen zu müssen oder gar Zahlen zunächst nachrangig zu bewerten. Das Gegenteil ist der Fall. Peter-Koop (2016) stellt mit ihrem Plädoyer »Zahlen bitte!« die Bedeutsamkeit numerischer Kompetenzen im FgE dar und betont deutlich, dass »der Weg zum Verständnis von Zahlen, Mengen und Operationen (nicht) (…) über die intensive Beschäftigung mit pränumerischen Aktivitäten« führt (ebd., S. 7).
In besonderer Weise kann aus heutiger Perspektive (und dies empirisch stützend mit der Interventionsstudie von Clements bereits aus dem Jahre 1984) gezeigt werden, »dass diejenigen Kinder, die bzgl. Zählen, Mengenvergleichen, Rechengeschichten, Eins-zu-Eins-Zuordnung und Invarianz trainiert wurden, im numerischen Posttest signifikant besser abschnitten als die Kinder, die bezüglich Klassifikation, Klasseninklusion und Seriation trainiert wurden« (Kaufmann 2011, S. 17), und mit Peter-Koop (2016) ist auch für die curriculare Ausrichtung im FgE festzustellen, dass aus mathematikdidaktischer Sicht die Auseinandersetzung mit numerischen Inhalten gegenüber alleine pränumerischen Aktivitäten zu bevorzugen ist (Schäfer, Peter-Koop & Wollring 2019)!
Daher sind die spezifischen Vorläuferfertigkeiten genauer zu betrachten, um dahingehende Förderansätze und Interventionen entfalten zu können, insbesondere weil die Entwicklung numerischer Kompetenzen und damit verbundene Teilleistungen im FgE in deutlich größeren Zeitfenstern (in der Regel über viele Jahre hinweg bis hin die Sekundarstufe II) erfolgt und individuell höchst unterschiedlich (auch Grenzen setzend) entwickelt sind.
Zuletzt deutete Siegemund (2016) mit seinen Metaanalysen zu den kognitiven Lernvoraussetzungen (Schuppener 2005; Ratz 2009) im Kontext mathematischer Grundbildung im FgE auf »grundsätzliche Probleme im methodischen Vorgehen zur Erforschung von Unterrichtsmethoden gerade für den FgE« hin und betont, dass »die besondere Heterogenität der Schülerschaft (…) die Generalisierbarkeit der Ergebnisse zusätzlich einschränkt« (ebd., S. 197; vgl. hierzu außerdem Mühl 2008, S. 631 ff; Reisel 2016, S. 636 ff.).
Diese eingeschränkte Generalisierbarkeit (zugleich also der Hinweis zur Berücksichtigung individueller Lernwege und Zugänge) gilt es in methodischer Hinsicht im Kontext Forschung zu beachten (Schuppener 2019), zugleich auch für die Didaktik und dahingehende Lernausgangsbedingungen im Blick zu behalten.
Mit Krajewski & Schneider (2007) nennt Werner (2009) drei Ebenen der Entwicklung mathematischer Basisfertigkeiten:
1. Numerische Basisfertigkeiten (Begriff Mengen, Zählprozedur, korrekte Zahlenfolge),
2. Mengenbewusstsein: Quantitative Bedeutung der Zahlenfolge (unpräzises/präzises Zahlkonzept),
3. Relationskonzept: Teil-Ganzes-Schema (ebd., S. 112).
Als Grundbausteine der Entwicklung mathematischer Kompetenzbereiche nennt sie mit Gerster & Schultz (2000) folgende Bereiche:
• Zählfertigkeit,
• protoquantitative Urteile über Mengen,
• Erfassung/Reproduktion und Analyse/Synthese von Mustern, insbesondere visuell räumlich strukturierte Konfigurationen (ebd., S. 247, in Werner 2009, S. 112).
Mit Werner (2009) lässt sich generell »das mengen- und das zahlenbezogene Vorwissen (…) als bedeutsamste spezifische Vorläuferfertigkeit für mathematische Kompetenzen in den ersten beiden Grundschuljahren« nennen (ebd., S. 112 u. 113; außerdem Krauthausen 2018, Tab. 2.1).
Tab. 2.1: Mengen und Zahlen bezogenes Vorwissen
MengenZahlen
In Bezug auf die zu erwartenden Kompetenzen im Grundschulbereich finden sich bei Schipper (2015b) wesentliche Hinweise für das Zahl- und Operationsverständnis, die wiederum für die Mathematik im FgE hilfreiche Orientierung geben und dem Lehrer förderdiagnostische Hinweise liefern können:
• Zahlen als solche verstehen: Zahlwörter von Nicht-Zahlwörtern unterscheiden; Verstehen, dass das letzte Zahlwort im Abzählprozess die Gesamtzahl der Objekte angibt (Kardinalzahlprinzip);
• Simultane und quasi-simultane Zahlauffassung: Anzahlen bis 5 simultan erfassen; Anzahlen über 5 bis etwa 10 oder 12 (Würfel, Dominosteine) quasi-simultan auffassen;
• Zählende Zahlauffassung und Zahldarstellung: Anzahlen über 10 sicher durch Abzählen auffassen und darstellen (»Wie viele Plättchen sind das?« »Gib mir 12 Plättchen.«);
• Verbales Zählen: Bis mindestens 20 sicher vorwärts und im Zahlenraum bis 10 rückwärts zählen; diese Zählprozesse auch bei beliebigen Zahlen beginnen;
• Mächtigkeitsvergleiche: Mächtigkeitsvergleiche (»mehr«, »weniger« »gleich viel«) von Mengen mit mehr als zehn Objekten durch paarweise Zuordnung oder Abzählen vornehmen;
• Zahlvergleiche und Ordnung der Zahlen: Vorgänger und Nachfolger von Zahlen bestimmen (»Welche Zahl kommt vor/nach 12?«); Zahlen der Größe nach ordnen (z. B. Zahlenkarten);
• Zahlaspekte: Zahlen bis 20 als Kardinalzahlen und bis 10 als Ordinalzahlen in Kontexten sicher verwenden;
• Erstes Rechnen: Mengen mit bis zu zehn Objekten »gerecht teilen« (z. B. durch paarweise Zuordnung); Zahl bis 10 (ggf. durch Rückgriff auf Material) halbieren; erste Rechengeschichten (»Du hast drei Äpfel und bekommst noch drei hinzu«) in Handlungen mit Material übersetzen (zusammenlegen, dazulegen, abtrennen); insbesondere die Methode des Alleszählens am Material bei kontextgebundenen Additions- und Subtraktionsaufgaben mit kleinen Zahlen nutzen können (Modellieren);
• Zahlzeichen: Alle Ziffern lesen (und schreiben) können (Schipper 2015b, S. 77; außerdem Schipper, Ebeling & Dröge 2015a, S. 52 ff.).
Ergänzt wird diese Erwartungshaltung mit Übersichten von Ganser (2004), Lorenz (2003), Kaufmann (2003), Krajewski (2003), Galuori (2004), Gerster (2003) unter folgenden Schwerpunkten:
• Klassifikationsleistungen (Vergleichen von Mengen – weniger, mehr, gleich viel),
• Seriationsleistungen (Reihenfolgen bilden – Muster bilden),
• Zahlen – Zählfertigkeiten,
• Größenrelationen (länger, breiter, kürzer, dicker),
• Wahrnehmungskonstanz und Invarianz (die Menge bleibt bei veränderter Anordnung gleich),
• Teil-Ganzes-Beziehung (Einsicht in die Zerlegbarkeit von Mengen),
• Räumliche Vorstellungsleistungen (Raum-Lage-Beziehung) (vgl. Werner 2009 sowie Peucker & Weißhaupt 2017, S. 47 ff. und Reiss & Obersteiner 2017, S. 66 ff.).
Als eine besondere Fertigkeit im Zusammenhang mit der Zahlbegriffsentwicklung als der Verbindung von Zahl(-Wort) und Größen(-Vorstellungen) werden im Allgemeinen
• das Zählen,
• sowie dessen Verknüpfung mit dem Subitizing (also der Simultanerfassung von Mengen)
• und Mengenvergleichen betont (Moser Opitz 2008; 2016).
Folgt man den Ausführungen von Ratz (2012) zu den »mathematische(n) Fähigkeiten von Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung« (ebd., S. 133 ff.), ist dem Zählen und dem Beachten der Zählprinzipien große Bedeutung beizumessen. Dahingehende Ergebnisse der Studie SFGE legen mit Bezug zu den Arbeiten von Fuson (1988) und der hier gezeigten Stufenfolge der Zählentwicklung entsprechende Herausforderungen und Hürden insbesondere auf der Stufe der unflexiblen Zahlwortreihe offen (»Unbreakable List Level«, Fuson 1988, S. 33; weiterführend Krajewski 2005, S. 53 ff.; Schipper, Ebeling & Dröge 2015a).
Eine besondere Erschwernis besteht für die Schüler im FgE in der »Irregularität« der Zahlwortreihe bis 20 (ebd., S. 54), die zunächst ohne analoge Strukturen aufgebaut wird und linear einfach auswendig zu lernen ist (es heißt nicht »EinsZehn«, sondern »Elf« und nicht »ZweiZehn«, sondern »Zwölf«). Mit dem Ziel des Erreichens der vollständig reversiblen Zahlwortreihe (»Bidirectional Chain Level«) bedeutet dies für den Unterricht, die vorhandenen spezifischen Vorläuferfertigkeiten, wie u. a. sprachliche Leistungen (ggf. im Dialog mit der Logopädie), räumliche Vorstellungs- und Seriationsleistungen sowie das Erfassen von Größenrelationen, zu erkennen, aufzugreifen und hinsichtlich Flexibilität kompensatorisch zu entfalten.
Als ein Komplex weiterer spezifischer Vorläuferfertigkeiten (und nach Daseking et al. 2005, S. 220 ff. zugleich Entwicklungsaufgabe für den Primarbereich) ist das Modell der drei Repräsentationsebenen, das »Triple Code Model« nach Dehaene (1992), zu nennen (Krauthausen 2018) ( Abb. 2.2). »Dehaene geht (…) davon aus, dass bei der Bewältigung mathematischer Aufgaben Zahlen in drei verschiedenen Formaten verarbeitet werden« (Krajewski 2005, S. 58; auch Wittmann 1976).
Stanislav Dehaene (1992) beschreibt drei Transkodierungsprozesse der Zahlenverarbeitung (Codes), denen zufolge Zahlen wie folgt verarbeitet werden können:
• semantisch-analog (»semantic-analogue mode«) (bspw. »••••«),
• verbal (»verbal mode«) (bspw. »vier«),
• in arabischer Schriftform (»Arabic-visual mode«) (bspw. »4«) (Daseking et al. 2006, S. 220 ff.).
Dadurch, dass die Darstellungsformen miteinander verbunden sind, kann jede Darstellungsform in eine andere umgesetzt (kodiert und transkodiert) werden.
Abb. 2.2: Modell der drei Repräsentationsebenen in Anlehnung an Dehaene (1992) (Krajewski, K. (2005): Vorschulische Mengenbewusstheit von Zahlen und ihre Bedeutung für die Früherkennung von Rechenschwäche. In: Hasselhorn, M./Marx, H./Schneider, W. (Hrsg.): Diagnostik von Mathematikleistungen. Test und Trends. Göttingen: Hogrefe, S. 49–70, hier 58 (= Jahrbuch der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. Band 4)
Dies bedeutet, dass die Abrufgeschwindigkeiten der verschiedenen Ebenen für operatives Handeln von Bedeutung sind, weswegen auf die Verknüpfungsformen und deren Transkodierung besonders im FgE Einfluss zu nehmen sein wird ( Kap. 6.1).
Krajewski (2005) betont in diesem Kontext nochmal aus kognitiv-neurologischer und entwicklungspsychologischer Perspektive, dass »erst die Verknüpfung der (Zähl)Zahlen mit den durch sie repräsentierten Mengen und damit erst die Mengenbewusstheit von Zahlen zum tiefen Verständnis der Zahlen in ihrem eigentlichen numerischen Sinn führt« (ebd., S. 59; Ratz & Wittmann 2011; Peter-Koop 2016).
Dies bedeutet umso mehr für die Mathematik im FgE, die o. g. spezifischen Vorläuferfertigkeiten besonders in den Bereichen
• visueller und auditiver Wahrnehmungstätigkeiten (in Verbindung mit mengen- und zahlenbezogenen Übungen),
• Zählstrategien (mit Blick auf die o. g. Entwicklung des Zahlwortgebrauchs nach Fuson 1988) und
• Mengenbewusstheit (besonders hinsichtlich Simultanerfassung und strukturierter Anzahlerfassung)
gemäß dem Plädoyer »Zahlen bitte« von Beginn an (!) in den unterrichtlichen Fokus zu setzen (vgl. Peter-Koop 2016).
Die Perspektive der sogenannten Welterschließung blickt in der schulischen Geistigbehindertenpädagogik auf eine lange Tradition, müssen sich doch mit dem Leitziel der Selbstverwirklichung in sozialer Integration jegliche Bemühungen um Erziehung und Unterricht daran messen lassen, inwiefern sie zur Verwirklichung dieses Vorhabens sachdienlich sind (Schmitz & Scharlau sprachen in diesem Zusammenhang 1985 von einer »Mathematik als Welterfahrung«). Oder anders gefragt: Mit welchen Inhalten und auf welchen Wegen gestalten sich Erziehung und Unterricht, die mithelfen können, dass sich Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung die Welt von heute und morgen möglichst konkret, eigenaktiv und in sozialen, gemeinschaftlichen Kontexten erschließen können?