Meeresvögel fliegen nachts - Wolfgang Wegner - E-Book

Meeresvögel fliegen nachts E-Book

Wolfgang Wegner

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Beschreibung

Auch in der schönsten Zeit des Jahres ruht das Verbrechen nicht. Wolfgang Wegner führt die Leser in dieser Kurzkrimisammlung an die schönsten Strände des Mittelmeeres, an denen sich zwischen all den Sonnenhungrigen auch manch düstere Gestalt herumtreibt.

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Wolfgang Wegner

Meeresvögel fliegen nachts

Drei Kriminalgeschichten vom Mittelmeer

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Meeresvögel fliegen nachts

Die Strandkönigin

Hippokrates der Zweite

Impressum neobooks

Meeresvögel fliegen nachts

Die Nächte können kühl werden an der Costa de la Luz. An der südlichen Atlantikküste Spaniens ist das Klima rauer als am Mittelmeer, das Wasser nicht badewannenwarm und der ständige Winde treibt manchmal den Sand in die Augen. Aber er mochte dieses Klima. Nur die kühlen Nächte nicht und er bereute, keine lange Hosen angezogen zu haben.

Unbeweglich lag er in den Dünen.

Dann fiel ein Schuss.

*

„Komm, lass uns einen Strandspaziergang machen!“

Javier stand auf der geräumigen Terrasse des Hotelzimmers und sah zum Horizont. Zwischen Palmen, deren Zweige leicht vom Wind bewegt wurden, war das blaue Meer zu erkennen, das um diese Zeit Niedrigwasser hatte. Der Strand war jetzt fast doppelt so breit wie sonst.

„Och ne“, kam es gelangweilt aus dem Zimmer.

Miguel lag noch im Bett, tippte aber schon fleißig auf seinem Smartphone herum. Vor einer Viertelstunde hatte Javier Montalban seinen Sohn geweckt. Er konnte es einfach nicht ertragen, einen Ferientag zu verschlafen. Schließlich kam es selten genug vor, dass der Comisario der CNP, der Nationalen Polizei Spaniens, einmal länger als zwei bis drei Tage Urlaub hatte, und dann auch noch gleichzeitig mit den Ferien seines Sohnes. Während Lucia, seine Frau, in ihrer Bank gerade jetzt während der Krise unabkömmlich war, hatte Javier die Chance genutzt, das Verhältnis zu seinem Sohn wieder etwas gerade zu rücken. Miguel war in jenem Alter, in dem Söhne ihren Vätern gegenüber kritisch sind. Besonders wenn ihr Geld als Polizisten verdienen.

„Komm, schwing dich ins Bad. Und dann lass uns zum Strand runter. Da ist jetzt kaum was los und wir können die Gegend erkunden.“

„Was soll es da schon geben?“

Es war immer das gleiche: Egal was Javier vorschlug, Miguel hatte erst einmal keine Lust. Wenn sie dann doch etwas unternahmen, war der Junge hinterher begeistert. Javier hatte ein Gespür für interessante Erlebnisse. Vielleicht lag es an seinem Beruf.

„Wir können noch den ganzen Tag faulenzen, versprochen. Aber jetzt wird gelaufen, du Faulpelz. Keine Widerrede.“ Javier lachte. Was als Befehl gemeint war, sollte nicht wie einer klingen.

Tatsächlich bemühte sich Miguel in Zeitlupe ins Bad, um nach erstaunlich kurzer Zeit angezogen wieder herauszukommen.

Das Frühstück war kurz, denn nun war es Miguel, der zum Aufbruch drängte. Seine Stimmung konnte innerhalb von Minuten von Ablehnung in Euphorie umschlagen. Hormonumstellung eben.

Am Strand war tatsächlich noch nicht viel los. Vielleicht täuschte der Eindruck auch, denn noch herrschte Ebbe, das Meer hatte sich weit zurückgezogen und viel Platz geschaffen, auf dem sich Spaziergänger und Jogger aus dem Weg gehen konnten. Ein paar Kleinkinder bückten sich nach Muscheln, und auch Miguel entdeckte nach ein paar Schritten ein besonders schönes Exemplar, weiß mit Einsprengseln in unterschiedlichen Brauntönen.

Unendlich erschien das weiße Band, an dem sich ein Hotel an das andere reihte, umgeben von großzügigen Parkanlagen. Hier war alles nobler und ruhiger als an den beliebten Mittelmeerküsten Spaniens. Javier graute es vor den grölenden Massen englischer und deutscher Touristen, die jedes Fleckchen in eine Partymeile zu verwandeln schienen. Hier jedoch waren ihnen die Preise zu hoch.

„Hey, guck mal Dad, was ist das denn?“ Miguel zeigte auf ein graues Bauwerk, das er oberhalb des Strands entdeckt hatte. Aus der Entfernung konnte man nicht genau erkennen, um was es sich handelte.

„Dann lass hingehen“, meinte Javier und war froh, dass sein Sohn jetzt nicht mehr an Umkehr dachte.

Das Objekt entpuppte sich beim Näherkommen als ein Turm, der schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel zu haben schien.

„Den muss ich mir näher ansehen!“, rief Miguel und spurtete auf einem breiten gepflasterten Weg, der Versorgungsfahrzeugen diente, die Dünung hinauf. Javier konnte mit seinen Flipflops nur schwer folgen. Der rechte Schuh war außerdem gerade dabei, seinen Zeh wund zu scheuern.

Als er Miguel endlich erreicht hatte, war der gerade über eine Tafel gebeugt. Sie erklärte in drei Sprachen, dass der Turm im 16. Jahrhundert erbaut worden war und als Wachturm vor Piraten schützen sollte.

Javier hatte beim Erklimmen der Düne noch ein zweites Gebäude entdeckt, dass ihn mehr interessierte. Auf den ersten Blick sah es wie eine längst geschlossene Fabrik aus, doch er hatte einen anderen Verdacht. Miguel unterbrach die Gedanken seines Vaters.

„Glaubst du, hier gab es mal viele Piraten und die haben hier richtig gekämpft?“, fragte der Junge, der endlich einmal sein Smartphone in die Hosentasche gesteckt hatte.

„Ich habe gelesen, dass oft Piraten aus Afrika rüberkamen, um hier Beute zu machen. Und die Bewohner der Dörfer suchten nach gestrandeten Schiffen, um sie zu plündern“, antwortete Javier, obwohl er Derartiges nie gelesen hatte. „Komm, schauen wir uns das Ding näher an“, fügte er hinzu, um seinen Sohn von Nachfragen abzuhalten.

Der Turm war erheblich zerfallen und ein rostiges, aber immer noch massiv wirkendes Gitter versperrte den niedrigen Eingang. Sie blickten nach oben. Aus allen Fugen wucherten allerlei Gräser und Sträucher. Die schmalen Schießscharten blickten wie tote Augen in die Ferne.

Eine Bewegung am Boden ließ Javier instinktiv herumfahren. Doch sein Puls beruhigte sich wieder, als er den kleinen braunen Hund sah, der neben ihnen stand und sie neugierig betrachtete. Das grüne Tuch, das er um den Hals trug, gab ihm eine zusätzliche amüsante Note.

„Wo kommst du denn her?“, fragte Javier und wollte sich zu dem kleinen Vierbeiner herunterbeugen, als der kehrt machte und mit kleinen Trippelschritten um die Biegung des Turms verschwand. Neugierig geworden folgte Javier dem Hund, während Miguel weiter den Turm inspizierte und gemächlich hinterher schlenderte.

Auf der Meeresseite saßen zwei Mäner und eine Frau auf kleinen Campingstühlen. Javier ging unauffällig näher und plauderte mit Miguel, der zu ihm aufgeschlossen hatte, über den sich endlos hinziehenden Strand, auf dem er immer wieder etwas entdeckte und seinem Sohn zeigte. Aus dem Augenwinkel heraus betrachtete er die kleine Gruppe, die schweigend aufs Meer blickte.

Die Frau schätzte Javier auf Mitte zwanzig. Sie hatte kurz geschnittenes braunes Haar, ihre Füße steckten in Espadrilles, den rechten Knöchel zierte ein silbernes Fußkettchen. Sie trug als einzige der drei keine Sonnenbrille. Als sie die Herankommenden bemerkte, drehte sich kurz um und nickte Vater und Sohn zu. Dann widmete sie sich wieder einigen Unterlagen, die auf ihrem Schoß lagen und im Wind raschelten.

Rechts neben ihr saß ein Mann in ungefähr gleichem Alter, die langen Haare zu einem Zopf gebunden. Mit seinem Dreitagebart und der modischen Sonnenbrille sah er aus wie die vielen Surfer, die in den Wellen ihre Kunststücke präsentierten, um Touristinnen damit zu beeindrucken und anschließend zu verführen. Der zweite Mann war das komplette Gegenteil: breitschultrig mit lockigem schwarzen Haar. Obwohl er glatt rasiert war, färbten die schon wieder nachwachsenden Barthaare Wangen, Kinn und Hals dunkel. Auch an allen unbedeckten Stellen des Köpers zeigte sich üppige Behaarung. Auffallend war eine Tätowierung am linken Unterarm, die Javier an das Bild der Mona Lisa erinnerte.

Javier stutzte, als er die Aufschrift auf ihren grünen T-Shirts las, die das seltsame Trio als Vogelkundler auswies. Zwar passten die Ferngläser, die alle drei um den Hals trugen, aber sie hielten die Gläser nicht einmal dann vor die Augen, als eine Möwe fast zum Greifen nahe an ihnen vorbeiflog. Die drei zeigten nicht die geringste Reaktion und Javier hätte am liebsten gerufen: „Hey wollt ihr euch den Vogel nicht anschauen?!“ Doch stattdessen stieß ihm Miguel in die Seite und meinte: „Komm, lass uns zum Hotel zurückgehen, sonst haben die Deutschen wieder alle Liegen am Pool belegt.“

Javier lachte: „Das haben die längst. Bei denen muss immer einer früh aufstehen und die Handtücher auf die Liegen schmeißen. Noch vor dem Frühstück. Das muss man sich mal vorstellen. Völlig unentspannt, diese Teutonen.“

Gut gelaunt schlendern sie wieder zurück in Richtung Strand. Schon bald hat richtete sich Miguels Aufmerksamkeit auf das zweite Gebäude, das hundert Meter vom Dünenrand entfernt einen traurigen Anblick bot. Wie schlecht verheilte Wunden sahen die vielen Stellen aus, an denen der Putz heruntergebrochen war und den Blick auf die Backsteine frei gab. Große Fensteröffnungen rundherum waren zubetoniert.

„Was ist das?“, fragte Miguel.

Obwohl sein Vater eine Ahnung hatte, welchen Zweck der graue Kasten einmal hatte, zuckte er mit den Schultern und murmelte nur: „Keine Ahnung.“