Mein erster Aufenthalt in Marokko - Gerhard Rohlfs - E-Book

Mein erster Aufenthalt in Marokko E-Book

Gerhard Rohlfs

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Beschreibung

Rohlfs Reisebericht stammt aus dem Jahre 1861 und schildert seine Reise von Oran Richtung Algerien. Inhalt: 1. Ankunft in Marokko 2. Bodengestalt und Klima 3. Bevölkerung. 4. Die Religion 5. Krankheiten und deren Behandlung. 6. Uesan el Dar Demona. 7. Eintritt in marokkanische Dienste. 8. Die Hauptstadt Fes 9. Mikenes und Heimreise nach Uesan. 10. Politische Zustände 11. Consulatswesen. 12. Aufenthalt beim Großscherif von Uesan. 13. Reise längs des atlantischen Oceans 14. Reise südlich vom Atlas nach der Oase Draa 15. Die Draa-Oase. Mordversuch auf den Reisenden. Ankunft in Algerien.

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Mein erster Aufenthalt in Marokko

und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet

Gerhard Rohlfs

Inhalt:

Gerhard Rohlfs – Biografie und Bibliografie

Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet

1. Ankunft in Marokko

2. Bodengestalt und Klima

3. Bevölkerung.

4. Die Religion

5. Krankheiten und deren Behandlung.

6. Uesan el Dar Demona.

7. Eintritt in marokkanische Dienste.

8. Die Hauptstadt Fes

9. Mikenes und Heimreise nach Uesan.

10. Politische Zustände

11. Consulatswesen.

12. Aufenthalt beim Großscherif von Uesan.

13. Reise längs des atlantischen Oceans

14. Reise südlich vom Atlas nach der Oase Draa

15. Die Draa-Oase. Mordversuch auf den Reisenden. Ankunft in Algerien.

Mein erster Aufenthalt in Marokko, Gerhard Rohlfs

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849625252

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Gerhard Rohlfs – Biografie und Bibliografie

Deutscher Afrikareisender, geb. 14. April 1831 in Vegesack, gest. 2. Juni 1896 in Godesberg, besuchte das Gymnasium in Bremen, kämpfte 1849 in Schleswig-Holstein, wurde nach der Schlacht von Idstedt zum Offizier ernannt, studierte dann in Heidelberg, Würzburg und Göttingen Medizin, trat als Arzt 1855 in die Fremdenlegion, wohnte der Eroberung der Großen Kabylie bei und machte sich die arabische Sprache und orientalische Sitten so zu eigen, dass er als Mohammedaner Marokko durchreisen konnte. 1862 durchzog er die marokkanische Sahara, erforschte das Wadi Draa, wurde von den Führern räuberisch angefallen und verwundet, erreichte aber noch glücklich die französische Grenze. Bei einer zweiten Reise 1864 gelangte er bis zur Oase Tuat, von der er die erste Beschreibung und Karte lieferte, kehrte dann über Ghadames und Tripolis 1865 nach Deutschland zurück, ging aber bald wieder nach Afrika und zog 1866 von Mursuk über Bilma nach Kuka am Tsadsee, wo er beim Sultan von Bornu gute Aufnahme fand. Da indes der Weg nach Wadai verschlossen blieb, brach er nach dem Binuë auf, fuhr ihn bis Lokodja hinab, dann den Niger aufwärts bis Rabba, von wo er 1867 zur Küste bei Lagos gelangte. 1868 begleitete er die englische Armee auf der abessinischen Expedition und erhielt dann den Auftrag, die Geschenke des Königs von Preußen an den Sultan von Bornu zu überbringen. Hiermit betraute er 1869 in Tripolis den Afrikareisenden Nachtigal, während er selbst eine Reise nach Kyrenaika und der Oase des Jupiter Ammon unternahm. Im Auftrag des Chedive führte er 1873–74 eine aus zehn Deutschen (darunter Zittel, Jordan, Ascherson) bestehende Expedition in die Libysche Wüste nach der Oase Siuah (Jupiter Ammon). 1875–76 durchreiste er die Vereinigten Staaten von Amerika. 1878–79 unternahm er mit Unterstützung der deutschen Reichsregierung und begleitet von Stecker eine Expedition von Tripolis nach Wadai, um dem Sultan Geschenke des deutschen Kaisers zu überbringen, wurde aber in der Oase Kufra von Suya-Arabern überfallen und beraubt. Nach Europa zurückgekehrt, begab er sich 1880 im Auftrage des deutschen Kaisers mit Stecker nach Abessinien, um einen Brief an den Negus zu überbringen; 1885 wurde er zum Generalkonsul in Sansibar ernannt, kehrte aber bald wieder nach Europa zurück und lebte seit 1890 in Godesberg am Rhein. Er veröffentlichte: »Reise durch Marokko« (Brem. 1868; 4. Ausg., Norden 1884); »Reise durch Nordafrika 1865–1867« (Ergänzungshefte zu »Petermanns Mitteilungen«, 1868 u. 1873); »Im Auftrag des Königs von Preußen mit dem englischen Expeditionskorps in Abessinien« (Brem. 1869); »Land und Volk in Afrika« (das. 1870; 3. Ausg., Norden 1884); »Von Tripolis nach Alexandrien« (Brem. 1871, 2 Bde.; 3. Ausg., Norden 1885); »Mein erster Aufenthalt in Marokko« (Brem. 1873; 3. Ausg., Norden 1885); »Quer durch Afrika. Reise vom Mittelmeer nach dem Tschadsee zum Golf von Guinea« (Leipz. 1874–75, 2 Tle.); »Drei Monate in der Libyschen Wüste« (Bd. 1 des Reiseberichts, Kassel 1875); »Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Afrikas« (Leipz. 1876) und »Neue Beiträge« (Kassel 1881); »Reise von Tripolis nach der Oase Kufra« (Leipz. 1881); »Meine Mission nach Abessinien« (das. 1883); »Quid novi ex Africa?« (Kassel 1886).

Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet

1. Ankunft in Marokko

Am 7. April 1861 verliess ich Oran und schiffte an Bord eines französischen Messagerie-Dampfers in Mers el kebir ein. Es war Nachmittag, als wir beim herrlichsten Wetter aus der grossen Bucht hinausdampften. Die meisten an Bord befindlichen Passagiere wollten, wie ich, nach Marokko, doch waren auch einige, die Nemours, Gibraltar und Cadix als Reiseziel hatten. Der grösseren Ersparniss wegen hatte ich einen Deckplatz genommen, da mein Geldvorrath äusserst gering war; das Wetter war eben so sommerlich, die das Dampfboot führenden Leute so freundlich und zuvorkommend, dass man kaum an die grösseren Unbequemlichkeiten des Decklebens dachte.

Zudem hatte ich genug mit mir selbst zu thun, ich hatte mir fest vorgenommen, ins Innere von Marokko zu gehen, um dort im Dienste der Regierung meine medicinischen Kenntnisse zu verwerthen. Zu der Zeit sprach man in Spanien und Algerien viel von einer Reorganisation der marokkanischen Armee; es hiess, der Sultan habe nach dem Friedensschlusse mit Spanien die Absicht ausgesprochen, Reformen einzuführen; man las in den Zeitungen Aufforderungen, nach Marokko zu gehen, jeder Europäer könne dort sein Wissen und sein Können verwerthen. Dies Alles beschäftigte mich, ich machte die schönsten Pläne, ich dachte um so eher in Marokko fortkommen zu können, als ich durch jahrelangen Aufenthalt in Algerien acclimatisirt war; ich glaubte um so eher mich den Verhältnissen des Landes anschmiegen zu können, als ich in Algerien gesucht hatte, mich der arabischen Bevölkerung zu nähern und mit der Sitte und Anschauungsweise dieses Volkes mich bekannt zu machen.

Um Mitternacht wurde ein kurzer Halt vor Nemours (Djemma Rassaua) gemacht, um Passagiere abzusetzen und einzunehmen, und wieder ging es weiter nach dem Westen, und als es am folgenden Morgen tagte, befanden wir uns gerade in gleicher Höhe von Melilla. Ich unterlasse es, eine Beschreibung der Küstenfahrt zu geben, von der sich überdies äusserst wenig sagen lässt. Nackt, steil und abschreckend fallen die Felswände ins Meer hinein. Freilich ist die Küste gar nicht so einförmig, wie sie sich in einer Entfernung von circa dreissig Seemeilen ausnimmt, welche Entfernung wir gewöhnlich hielten, auch konnte man deutlich manchmal Wald und Buschwerk unterscheiden; aber das belebende Element fehlt, kein Dorf, kein Städtchen ist zu erblicken, höchstens die einsame Kuppel des Grabmals irgend eines Heiligen sagt dem Vorbeifahrenden, dass auch dort an der Küste Menschen hausen.

Hätte nicht Spanien einige befestigte Punkte, Strafanstalten, an dieser Küste, sie würde vollkommen unbewohnt erscheinen. Alhucemas, Pegnon de Velez bekamen wir nach einander von ferne zu sehen, als einzige Zeichen von Menschenbauten. Denn wenn auch die Rifbewohner einige Dörfer an der Küste haben, so sind diese doch so versteckt angelegt, dass sie sich dem Auge des Vorbeifahrenden entziehen. Der Seeräuber scheut das Licht, er muss Schlupfwinkel haben, und die in unmittelbarer Nähe des Mittelmeers wohnenden Rifi sind nichts Anderes als Seeräuber, und zwar der schlimmsten Art. Freilich wagen sie sich heute nicht mehr aufs offene Meer, haben dazu auch weder passende Fahrzeuge noch genügende Waffen, aber wehe dem Schiffe, das an ihrer Küste scheitert, wehe dem Boote, welches der Sturm in eine ihrer Buchten treiben sollte.

Wie ganz anders ist die gegenüberliegende spanische Küste, grüne, wein- und olivenumrankte Berge, überall Städte, freundliche Villen und Dörfer, kleine Schiffe, die den Küstenverkehr vermittelm [vermitteln]; man kann keinen grösseren Gegensatz denken.

Gegen Abend desselben Tages verliessen wir die Küste, ohne sie jedoch ganz aus den Augen zu verlieren, und hielten auf Gibraltar, welches noch Nachts erreicht wurde. Bis zum folgenden Mittag ruhte der Dampfer, sodann wurde die Meerenge durchschnitten und wir waren um 3 Uhr vor Tanger. Zahlreiche Jollen waren gleich vorhanden, uns Passagiere aufzunehmen, die jetzt ausser mir fast nur noch aus Bewohnern des Landes Marokko bestanden. Eine Jolle war bald gefunden, aber man kann auch mit diesen kleinen Fahrzeugen nicht unmittelbar ans Land kommen, sondern bedarf dazu eines Menschen, der einen heraustragen muss. Bei sehr flachem Strande ist nämlich die Brandung so stark, dass die Böte dort nicht anlegen können. Ich miethete einen kräftigen Neger, der mich rittlings auf seinen Schultern vom Boote aus ans Land trug.

Für einzelne Reisende sind die Douane-Schwierigkeiten nicht lästig, zumal für mich, da mein Pass bekundete, dass ich unter englischem Schutze stände. Die Dragomanen der verschiedenen Consulate fragen die gelandeten Fremden nach ihrer Nationalität, und als ich meinen Bremer Pass in die Hände eines vornehm aussehenden Juden legte, des Dolmetsch des englischen Generalconsulates, waren im Augenblick alle Schwierigkeiten beseitigt. Die Hansestädte standen dazumal unter grossbritanischem Schutze, während Preussen sich durch Schweden vertreten liess.

Ein Absteigequartier war auch bald gefunden, das Hôtel de France, welches von einem Levantiner Franzosen gehalten wurde, ein reizendes Haus, in ächt maurischem Style. Von einem früheren Gouverneur der Stadt erbaut, gehörte dasselbe jetzt der marokkanischen Regierung, der Eigenthümer der Gastwirthschaft hatte es nur miethweise.

Ausser mir war noch ein Blumenhändler dort, der mit dem Bruder des Sultans, Mulei el Abbes, Geschäfte machen wollte, und auch hoffte bei den europäischen Consuln seine Waare absetzen zu können, dann ein Spanier, vormals Offizier der spanischen Armee: Joachim Gatell. Letzterer wollte, wie ich, in Marokko Dienste nehmen und lebte nun schon seit mehreren Monaten in Tanger. Ich weiss nicht, aus welchen Gründen er die spanische Armee verlassen hatte; als Verwandter von Prim, der sich soeben bei Tetuan noch so ausgezeichnet hatte, hätte er in Spanien sicher eine Zukunft gehabt. Beschäftigt mit der Uebersetzung des spanischen Artillerie- Reglements ins Arabische, wollte er dies dem Sultan präsentiren und dann in die marokkanische Armee eintreten. Nebenbei hatte ihm Mulei el Abbes noch glänzende Versprechungen gemacht.

Mein nächster Weg war sodann zum englischen Gesandten, Sir Drummond Hay. Obwohl ich nicht reich war, vielmehr beinahe von allen Mitteln entblösst, obwohl ich kein einziges Empfehlungsschreiben vorzuzeigen hatte und obschon ich ihm ein vollkommen Fremder und nicht einmal ein Engländer war, empfing mich Sir Drummond mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit. Aber wie zerstieben meine Träume. Ich erfuhr, dass an eine Reorganisation der Zustände des Landes nicht gedacht würde, dass der religiöse Fanatismus eher zu- als abnähme, dass, wenn der Sultan für seine Person auch vielleicht Reformen in einigen Dingen wünsche, der Religionshass der Eingeborenen gegen alles Christliche so gross sei, dass an Ausführung nicht gedacht werden könnte. Allerdings habe der Sultan eine regelmässige Armee gebildet, aber diese sei nur dem Namen nach regelmässig, und falls ich auf dem Beschluss bestände, ins Innere des Landes gehen zu wollen, sei vor Allem erforderlich, äusserlich den Islam anzunehmen.

Entmuthigt kehrte ich ins Hotel zurück. Aber eine Berathung mit Gatell, der Reiz des Neuen, das Lockende, völlig unbekannte Gegenden durchziehen zu können, fremde Völker und Sitten, ihre Sprache und Gebräuche kennen zu lernen, ein Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: alles dies bewog mich, das Wagniss auszuführen, und nach einer zweiten Unterredung mit Sir Drummond wurde beschlossen, ich solle—(es war dies das einzige Mittel, um ins Innere des Landes Zugang zu bekommen)—äusserlich den Islam annehmen und eine Anstellung als Arzt in der Armee des Sultans nachsuchen. Unter dieser Verkleidung und mit solchen Intentionen, meinte Sir Drummond, sei ich in Fes eines guten Empfanges sicher und könne mich so lange im Lande aufhalten wie ich wollte. Mulei el Abbes, den ich versuchte zu besuchen, war indess nicht sichtbar für mich, jedesmal kam ich zu ungelegener Zeit.

Unterdessen machte ich mich rasch und mit Energie daran, meinen Vorsatz auszuführen, obschon alle anderen Europäer abriethen. Ich vermied aber so viel wie möglich mit ihnen in weitere Berührungen zu kommen, namentlich mied ich das spanische Consulat (obschon mir dasselbe später in Marokko viel Freundschaft erwiesen hat), um nicht als Spion verdächtigt zu werden. Denn hätten die Mohammedaner mich nach wie vor mit Christen verkehren sehen, so würden sie es gleich gemerkt haben, dass ich nur zum Schein übergetreten. So war ich nur fünf Tage in Tandja, wie der Marokkaner die Stadt nennt, und am sechsten Tage hatte ich dem Orte schon den Rücken gekehrt, in Begleitung eines Landbewohners, der es übernommen hatte, mich nach Fes bringen zu wollen.

Ich hatte meine Sachen auf das Nothdürftigste reducirt, ein Bündelchen mit Wäsche war Alles, was ich bei mir hatte, nach Landessitte trug ich es an einem Stocke hängend auf der Schulter; eine weisse Djelaba (ein weisses langes wollenes, mit Capuze versehenes Hemd) war meine Kleidung. Gelbe Pantoffeln, dann eine spanische Mütze, worein ich mein letztes Geld—eine englische Fünf-Pfundnote—genäht hatte, endlich ein schwarzer weiter europäischer Ueberzug, der als Burnus dienen konnte: das war mein Anzug. Ich hatte keine Waffen, ein kleines Buch mit Bleistift, um Notizen machen zu können, war in der Tasche verborgen. Dies war meine ganze Ausrüstung.

Gewiss ein Wagestück, unter solchen Umständen, mit solchen mehr als bescheidenen Mitteln in ein vollkommen fremdes Land eindringen zu wollen! Um so mehr, als ich von der arabischen Sprache nur die gewöhnlichsten Redensarten auswendig wusste und weit davon entfernt war, auch nur mangelhaft sprechen zu können. Allerdings hatte ich Eine Phrase gut auswendig gelernt, die Glaubensformel der Mohammedaner, welche, man kann es sagen, alleiniger Schlüssel zum Oeffnen dieser von so fanatischer Bevölkerung bewohnten Gegenden ist. Diese Glaubensformel—wer hätte sie nicht schon gehört oder gelesen—lautet: "Lah ilah il allah, Mohammed ressul ul Lah,"1 ausser Gott kein Gott, Mohammed ist der Gesandte Gottes.

Mein Gefährte schien vollkommen überzeugt, ich sei zum Islam übergetreten, nur glaube ich, vermuthete er, ich sei heimlich entflohen aus irgend einem verborgenen unlauteren Grund, vielleicht dachte er auch, dass bei den Christen der Uebertritt von einer Religion, wie bei den Mohammedanern mit dem Tode bestraft würde; aber das schien ihm gewiss, dass mein Päckchen mit Wäsche gestohlen sei, vielleicht noch andere Sachen enthielte und ich mich damit aus dem Staube machen wolle. Natürlicherweise mussten ihm solche Gedanken kommen: ein Marokkaner, wenn er auf Reisen geht, beschwert sich nie mit Wäsche zum Wechseln, und wenn es selbst der Sultan wäre.

Wir schlugen einen Weg ein, der in der Richtung nach Tetuan führte, weil mein Begleiter im "Djebel" (Gebirge) vorher einen Freund aufsuchen wollte, und bald genug hatten wir die nächste Umgegend Tangers verlassen. Der Weg war nicht belebt, denn es war nicht der nach Tetuan führende Karavanenweg. Aber wie entzückend war die Umgebung, und wenn auch die Pflanzenwelt nicht neu für mich war, wenn auch das Thierreich nördlich vom Atlas überhaupt wenig bietet, was nicht in den übrigen Ländern am Mittelmeerbecken zu finden ist, das schon Gesehene unter anderen Verhältnissen übt immer einen mächtigen Zauber aus.

Da sieht man die Wege bordirt von der Stachelfeige oder, wie der Marokkaner sagt: "Christenfeige, karmus nssara", von der langblättrigen Aloës, Lentisken- und Myrtengebüsch, Schlingpflanzen wuchern dazwischen. Der April ist für Marokko die Zeit, welche in Deutschland etwa dem Ende Mai und dem Anfang Juni entsprechen würde. Die Pracht und Fülle der Natur hat nun keine Grenzen. Der heisse und austrocknende Südostwind hat seine tödtenden Wirkungen auf die ganze Natur noch nicht ausgeübt. Wie alle Gärten der Städte Marokko's zeigen sich dann auch die Tanger's durch Ueppigkeit aus. Und da in den unteren Theilen die Bewässerung gut ist, wird Alles gezogen, was man nur in Europa an Gemüse kennt.

Aber wir waren bald im Gebirge, nicht ohne vorher einer von Tetuan kommenden Karavane begegnet zu sein, bei welcher mehrere Europäer waren, die mich alle baten und beschworen, nicht in alleiniger Begleitung eines Mohammedaners und sogar ohne Waffen ins Innere des Gebirges zu gehen. Aber ich liess mich nicht mehr bereden, es waren die letzten Christen, die ich für lange Zeit zu sehen bekam. Man hatte mir in Tanger gesagt, ich solle nie aussagen, ich wolle nach Fes oder zum Sultan, sondern ich ginge nach Uesan zum Grossscherif Sidi el Hadj-Abd-es Ssalam. Da hernach noch ausführlicher von dieser merkwürdigen Persönlichkeit die Rede sein soll, beschränke ich mich darauf, hier anzuführen, dass er der grösste Heilige von Marokko ist und im ganzen Nordwesten von Afrika unter den Mohammedanern ungefähr dieselbe Rolle spielt, wie der Papst bei den ultramontanen Katholiken.

Durch viele kleine Duar (Zeltdörfer) und Tschar (Häuserdörfer) kommend, die alle von hübschen Gärten umgeben waren, zog ich trotz meiner halbmarokkanischen Kleidung überall die Blicke der Eingeborenen auf mich, und Si-Embark (so nannte sich mein Gefährte) hatte genug zu thun, die Neugier der Leute zu befriedigen. Aber kaum hatte er gesagt: "er geht zu Sidi, ist ein zum Islam übergetretener Inglese" (Engländer), als alle beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird schlecht weg der Grossscherif von Uesan genannt, er bedeutet Meinherr) wirkte überall wie Zauber. Ich liess es ruhig geschehen, dass sie glaubten, ich sei Engländer, die Mühe, ihnen auseinanderzusetzen, welcher Nationalität ich angehöre, würde überdies bei ihren kindlichen geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen sein.

Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am Berge gelegenes Dörfchen. Alle Häuser und Gehöfte waren von hohen Cactushecken umgeben, ebenso die einzelnen Gärten. Vor einem Hause wurde Halt gemacht, und Si-Embark wurde vom Besitzer mit grosser Freude empfangen. "Wie ist Dein ich? Wie bist Du? Wie ist Dein Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren die Fragen, die Beide sich unzählige Male, nachdem der erste "ssalamu alikum" ausgetauscht worden war, wiederholten. Dabei küssten sie sich recht herzlich, und allmählich, als etwas mehr Ruhe in die rasch erfolgenden und, wie es schien, stereotypen Fragen kam, wurden diese häufig untermischt mit anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem letzten Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die Tribe gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Natürlich wurde die Neugier in Betreff meiner auch gestillt.

Das Haus, in welches wir sodann geführt wurden, bestand wie alle übrigen nur aus Einem Zimmer. Die Wände waren auswendig und innen überkalkt, der Fussboden war aus gestampftem Lehm, der Plafond aus Rohr, welches auf Stämmen aus Aloes ruhte. Fenster waren nicht vorhanden, und die einzige Thür so niedrig, dass ein fünfjähriges Kind allenfalls aufrecht hindurch gehen konnte. Das äussere Dach, à cheval darüber gelegt, war aus Stroh. Eine Matte, ein Teppich, auf einer Erderhöhung eine Art Matratze war das ganze Ameublement.

Gegenüber dem Hause befanden sich zwei Zelte, für je eine Frau, denn das Haus war von zwei Brüdern bewohnt. Man findet es in Marokko überhaupt sehr oft, dass zwei verheirathete Brüder Eine Wirthschaft haben. Der alte Vater der beiden Brüder lebte noch und bewohnte das Haus.—Der ganze folgende Tag wurde auch noch in diesem Dorfe, dessen Namen ich leider nicht erfuhr, zugebracht. Hier wurde ich in den Augen der Eingeborenen nun zum wirklichen Mohammedaner gestempelt; sie riethen mir nämlich, oder vielmehr befahlen, mein Kopfhaar glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen, mir eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese chinesiche [chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht, und Morgens nach Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das Ansehen, welches Mirza-Schaffy für den schönsten Schmuck des Mannes hält. Der alte Papa hatte selbst das Rasiren besorgt, freilich unter grossen Qualen meinerseits: er bediente sich dazu seines ganz gewöhnlichen Messers. Ein Fötha (d.h. Segen) wurde gesprochen, ein "Gottlob" entquoll jeder Brust, und nun war ich ihrer Meinung nach vollkommener Muselmann.

Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das später näher erörtern werde, nicht als zum Islam unumgänglich nothwendig gehalten2.

Natürlich musste ich von nun an alle Gebräuche, die der Islam erfordert, mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der Hand aus einer irdenen Schüssel mit dem männlichen Hauspersonal. Die Leute unterrichteten mich, wie der Bissen zu fassen und zum Munde zu führen sei, und Nachts musste ich mich bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen, froh für diesmal eine Matte zu haben. Die Beleuchtung Abends bestand aus einer kleinen thönernen Lampe, ganz ähnlich in Form und Gestalt den antiken griechischen und römischen. Ein Klumpen Butter wurde hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu einem Dochte zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der brillanten Gaslampe.

Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich natürlich immer zu Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen, erreichten wir um "Dhaha" beim Ued Aisascha die grosse von Tanger nach L'xor (Alcassar) führende Karavanenstrasse. Eine Uhr besass ich damals nicht, und bald lernte ich wie die Marokkaner meine Zeit nach der Sonne, dem Schatten, den Magenbedürfnissen und anderen Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat als Zeiteintheilung vor allem Sonnenaufgang, Sonnenhöhe oder Mittag, und Sonnenuntergang. Sodann die halbe Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag, endlich zwischen Mittag und Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. Für alle diese Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen3. Wenn ich sagte, dass wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so denke man dabei ja nicht an eine gepflasterte oder makadamisirte Chaussee, dergleichen giebt es im ganzen marokkanischen Reiche nicht, wie denn auch der Gebrauch des Wagens noch ganz unbekannt ist. Eine solche Strasse besteht aus verschiedenen mehr oder weniger parallel neben einander herlaufenden Pfaden. Je betretener eine solche Strasse ist, um so mehr Pfade gehen neben einander, oft zwanzig, ja bis zu fünfzig, die sich in einander schlängeln, so dass das Ganze von der Vogel-Perspective aus gesehen, wie ein langgezogenes Netz erscheinen würde.

Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die weissen Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz derselben zu erhöhen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing schon an hie und da die Gerste zu ernten. Die Verhältnisse sind in dieser Beziehung in Marokko ganz anders als bei uns. Der Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl Anfang Januar bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz derselben Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob die Berber den Pflug vor der arabischen Invasion gekannt haben, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen übrigen Völkern Afrika's kennt nur der Abessinier den Pflug, und nach Abbessinien ist er auch wahrscheinlich aus Arabien herübergekommen. Südlich vom Atlas, in den Oasen der Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke bearbeitet. Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer Messer, Sicheln kann man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre, dass fast das ganze Stroh stehen bleibt, dies soll dann zugleich für die nächste Bestellung des Ackers als Düngungsmittel dienen. In Haufen lässt man alsdann das Getreide einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das Korn durch Rinder, denen das Maul verbunden ist4 und die im Kreise herumgetrieben werden, ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man für den nächsten Gebrauch nicht im Hause behält, wird in grosse Löcher geschüttet. Diese Gruben von birnförmiger Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf Erhöhungen und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll sich jahrelang darin halten.

Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gewöhnt, war mir der Marsch mit blossen Füssen in den dünnen gelben Pantoffeln äusserst beschwerlich; nach der Sitte der Marokkaner hatte ich meine Hosen eingerichtet, d.h. bis zu den Knieen abgeschnitten und die Folge davon war, dass hier die empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde und schmerzhaft brannte. Glücklicherweise hatte Si-Embark eine kleine Rkuá5 bei sich, woraus wir unseren Durst stillen konnten. Abends erreichten wir einen Duar, d. i. ein Zeltdorf, in dem genächtigt wurde. Es war ein Kreis von 17 Zelten; eins, das sich durch grössere Feinheit des Stoffes auszeichnete, auch geräumiger als die übrigen war, gehörte dem Mul el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit Aeltester der Familie und ihr Kaid war. Sein Zelt stand mit den übrigen im selben Kreise, manchmal lagern die Kaids in der Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben herrscht überdies die Sitte, die Zelte kreisförmig aufzuschlagen; viele lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch die Behausungen den örtlichen Verhältnissen der Gegend anzupassen. Si-Embark hatte mir den ganzen Tag über gute Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten hätte, und ich ersah daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortwährend Gott im Munde zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter, die uns lächerlich erscheinen werden. Als er mich das Wort "rsass", Blei, für Kugel anwenden hörte, unterbrach er mich rasch und meinte, es sei unanständig, dies Wort, womit man Menschen tödte, zu nennen; er sagte mir darauf, wie ich zu sagen habe. Das Wort entfiel mir damals, aber später fand ich, dass man in Marokko allgemein für Bleikugel das Wort "chfif", d.h. "leicht" sagt. Gerade die dem Blei entgegenstehende Eigenschaft. Er sagte mir, ich solle nie die Frauen und jungen Mädchen ansehen und als Fremder nicht mit ihnen sprechen, kurz, er gab mir goldene Lehren, machte sich freilich auch am folgenden Tag dafür bezahlt.

Im Duar logirten wir nicht im Gitun el diaf oder Fremdenzelt, sondern Si- Embark hatte auch hier seinen speciellen Freund, bei dem er Unterkommen fand und ich mit ihm. Hatte ich am Abend vorher zum ersten Male eine einheimische feste Behausung kennen gelernt, so war jetzt das Leben und Weben einer Zeltfamilie mir erschlossen. Ich sah jetzt ein, welch ungemeinen Vortheil ich aus der Maske des Islam ziehen würde. Hätte man einen Christen oder auch einen unter Gepränge reisenden Mohammedaner so ohne Weiteres ins geheiligte Innere eines Familienzeltes zugelassen? Nie. Auf diese Art, unscheinbar, ohne alle Mittel, aber ganz wie die dortige Bevölkerung selbst lebt—auf diese Art reisend, durfte ich hoffen, genau die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen kennen zu lernen. Vor mir war keine Scheu, keine Zurückhaltung, Jeder gab sich, wie er war, ja, ich kann sagen, auf dem Lande beeiferte man sich, mich mit Allem, was mir neu und unbekannt war, bekannt zu machen. Freilich war ich auch geplagt dafür vom Morgen bis zum Abend. Ich hatte, um mich besser der zudringlichen Fragen, warum ich gekommen, weshalb ich übergetreten, warum ich nicht heirathe und mich sesshaft mache etc. etc., erwehren zu können, ausgesagt, ich sei Arzt; aber von dem Augenblick war keine Ruhe mehr. Die mit wirklichen Krankheiten Behafteten sowohl, wie die vollkommen Gesunden, Alles wollte Mittel und Rathschläge vom ehemaligen christlichen Arzt haben. Freilich schöpfte ich auch hieraus manchen Nutzen, denn ebenso gut wie in Europa der Arzt manchmal mehr erfährt als der Beichtvater, haben in jeder Beziehung die Marokkaner Vertrauen zu dem Arzte, wenn sie nur einmal den geringsten Beweis seiner Heilkraft erprobt haben.

Das Zelt, welches wir für die Nacht bewohnten, war dasselbe, worin die ganze Familie unseres Gastgebers zubrachte. Im Allgemeinen sind die Zelte der Marokkaner etwas kleiner als die der Algeriner, aber grösser als die der Bewohner von Tripolitanien und Cyrenaika. Dies gilt indess nur für die Theile in Marokko, die unter der Hand des Sultans oder seiner Blutsauger stehen, in den Gebieten, welche eine unabhängige Herrschaft haben, besitzen die Stämme ebenso grosse, wenn nicht noch grössere Zelte als die der Triben in Algerien. Man kann mit Recht von dem grossen Hause oder grossen Zelte auf den Wohlstand Einzelner, sowie auch ganzer Triben schliessen, und wie bei uns ursprünglich die Redensart: "er ist aus einem grossen Hause", "er macht ein grosses Haus", nicht nur bildlich sondern in Wirklichkeit zu nehmen ist, so auch in Marokko; "min dar kebira", oder "cheima kebira" heisst vom grossen Hause, vom grossen Zelte und bedeutet, dass der, auf den es Bezug hat, wirklich ein grosses Haus oder grosses Zelt, mithin Reichthum und Macht besitzt.

Man kann wohl denken, dass das Zelt, welches wir bewohnten, nicht zu den grossen gehörte; in der einen Hälfte schliefen Mann und Frau, in der anderen wir und noch zwei männliche halberwachsene Kinder. Die Scheidewand war durch die im Zelte üblichen Möbel gebildet: hohe Säcke mit Korn, darauf ein Sattel, Ackergeräth, zwei Flinten, ein grosser Schlauch mit Wasser, ein anderer, worin gebuttert wird und der nur halb voll zu sein schien6, Töpfe und leere hölzerne Schüsseln vervollständigten die trennende Barrikade. Bei Vornehmen pflegt aber aus Zeug eine Scheidewand gezogen zu sein. Ein kleines Füllen, welches an unserer Seite angebunden war, bekam mehrere Male Nachts Gesellschaft, Ziegen, Schafe, wahrscheinlich Besitz des Eigenthümers, kamen aus der Mitte des Duars ins Zelt, um einen kurzen Besuch zu machen, wobei sie ungenirt über uns wegkletterten. Glücklicherweise sind die Hunde des Zeltes, in das man einmal aufgenommen ist, nicht mehr zu fürchten, es ist, als ob sie den Gastfreund ihres Herrn respectiren wollten. Aber wehe Dem, der ohne Knittel Nachts einen Duar verlassen oder in denselben einzudringen versuchen wollte, er würde von der ganzen Meute der stets halbverhungerten Bestien angefallen werden. Und dennoch kommt mitunter Diebstahl vor, man lockt durch faules oder frisches Fleisch die hungerigen Thiere fort, und mit Leichtigkeit kann dann gestohlen werden, da die Eingeborenen sich Nachts nur auf die Wachsamkeit ihrer Hunde verlassen.

Die Heerden, d.h. Rinder, Schafe und Ziegen werden stets für die Nacht in den inneren Kreis getrieben und Morgens und Abends gemolken. Besitzt ein Einzelner viele Schafe, so werden sie in zwei Reihen mit den Köpfen nach vorn gerichtet, durcheinander gebunden, um so gemolken zu werden. Sobald ein Schaf gemolken ist, wird es freigelassen. Unter der Zeit führen die Widder der verschiedenen Heerden furchtbare Kämpfe auf und meistens lassen die Besitzer sie gewähren. Ein jeder der Kämpfer geht ungefähr zehn Schritt zurück, und sodann stürzen beide mit gesenktem Kopfe auf einander, dass die Köpfe zu zerspringen drohen. Sie bohren nach jedem Stosse mit dem Kopfe nach vorwärts, sie fallen auf die Knie, endlich räumt der eine das Feld, während der andere laut schnuppernd zu seiner Heerde eilt. Das marokkanische Schaf ist nicht das fettschwänzige. Die Hörner des Schafes sind spiralförmig gebogen, der Kopf ist vorn gewölbt, die Wolle lang und fein, durch Veredlung dieses Schafes ist das spanische Merino entstanden. Für Veredlung der Race der Schafe wird natürlich in Marokko gar nichts gethan, im Gegentheil wundert man sich, dass sie bei so ungünstiger Behandlungsweise noch so ausgezeichnet gedeihen. Hemsö schätzt die Zahl der Schafe auf vierzig bis fünfundvierzig Millionen. Wo Schafe sind, ist gleichzeitig auch Ziegenzucht und verhältnissmässig gedeihen diese besser, weil sie weniger Wartung bedürfen. Vorzugsweise in den gebirgigen Theilen Marokko's zieht man dieselben, und von den Einwohnern werden sie wegen ihrer Felle geschätzt. Die Schläuche zum Wasserbedarf, Eimer, sind nur dann gut, wenn sie aus Ziegen- oder Bockfellen bereitet sind. Aber auch das gegerbte Leder, Safian, Maroquin, oder das, was heute am bewährtesten ist, Fessian und das von Tafilet wird aus Ziegenleder bereitet; als Fleisch zieht der Marokkaner jedoch Schaffleisch dem Ziegenfleisch vor.

Am Morgen ehe wir den Duar verliessen, gab man uns statt der üblichen Morgensuppe, ein Gericht grosser Bohnen, welche in Wasser gekocht und mit Butter gegessen wurden. Wir hatten die Absicht, Abends noch die Stadt L'xor zu erreichen. Wie am Tage vorher war die Hitze ausserordentlich, und ich fing bald an, mich meiner überflüssigen Kleidungsstücke zu entledigen, auch mein spanisches Mützchen wurde dem Bündel beigefügt und dafür aus meinem Tuch zum besseren Schutz gegen die Sonne ein Turban gedreht. Si-Embark war freundlich genug, das Packet, mein ganzes Hab und Gut auf sein Maulthier zu nehmen, welches in zwei an beiden Seiten angebundenen Körben, "Schuari" genannt, verschiedene Waaren seines Herrn trug. So wurde Tleta-Risane erreicht, Oertlichkeit, wo Dienstags ein Markt abgehalten wird; ungefähr halbwegs zwischen Tanger und L'xor gelegen, zeichnet sich dieser Platz sonst durch nichts aus. Manchmal soll auch in der Nähe ein Duar zu finden sein, zu der Zeit sahen wir nur eine leere Stätte, die aber auf den ersten Blick andeutete, dass zu Zeiten dort grosses Leben und Treiben sein müsste. Hier standen leere Hütten aus Zweigen, dort waren Metzgerplätze, und viele Aasgeier und Raben durchwühlten noch den blutdurchtränkten Boden, hier sah man Asche der Schmiedewerkstätte, dort todte Kohlenreste einer Garküche, aber nirgends war ein Mensch zu sehen.

Da Wasser in der Nähe war und die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, würde gelagert, und nachdem wir etwas trockenes Brod gegessen hatten, sagte Si-Embark, er wolle einen Freund aus einem in der Nähe lagernden Duar abholen, ich solle ihn erwarten, gemeinschaftlich wollten wir dann nach L'xor gehen. Ich wagte nicht, um nicht misstrauisch zu scheinen, ihn um mein Bündelchen zu bitten, er entfernte sich und nie habe ich ihn wiedergesehen.

Ich wartete und wartete, Si-Embark kam nicht wieder; die dem Untergange zueilende Sonne mahnte aber zum Aufbruch. Indess ein ängstliches Gefühl beschlich mich, so allein auf jetzt völlig einsamer Strasse weiter zu ziehen, sämmtlicher Sachen beraubt. Ich hatte vor, nach Tanger zurückzukehren, aber ich schämte mich, nach einer dreitägigen Reise dort und noch dazu unter solchen Verhältnissen wieder zu erscheinen. Ich nahm noch einen tüchtigen Trunk Wasser und vorwärts zog ich nach Süden. Da Si- Embark mir gesagt hatte, im Funduk el Sultan in L'xor absteigen zu wollen, hoffte ich noch, ihn dort zu finden; aber auch diese Hoffnung erwies sich als falsch.

Es war Abend, als ich L'xor erreichte, mein eigenthümlicher Aufzug, halb europäisch halb marokkanisch gekleidet, erregte natürlich das grösste Aufsehen. Hunderte von Menschen umdrängten mich bald, Kinder lärmten, schimpften und schrien, auch marokkanische Juden kamen hinzu, und das war ein Glück für mich. Der Pöbelhaufe wollte nämlich nicht glauben, ich sei Moslim, und wenn ich auch nicht Alles verstand, was sie mir Böses sagten, merkte ich doch so viel, dass sie keineswegs vom Eindringen eines Christen in ihre Stadt erbaut gewesen wären; als aber die Juden, welche spanisch verstanden, oder wie die Marokkaner sagen, "el adjmia" reden (adjmia wendet der Marokkaner auf jede fremde Sprache an), erklärten, ich sei allerdings Christ gewesen, habe aber die Religion der Gläubigen angenommen, werwandelte [verwandelte] sich das Schimpfen in ein "Gottlob", und als die Juden nun noch hinzufügten, ich beabsichtige nach dem "dar demana"7 zu pilgern, um später in die Dienste des Sultans zu treten, war Jedermann zufrieden.

Mittlerweile waren auch ein paar Maghaseni (Reiter der Regierung, die zum Theil in den Städten Polizeidienst versehen) hinzugekommen; ohne Weiteres ergriff der eine meine Hand und bedeutete, mit ihm zu kommen. Ich wollte nicht, der Maghaseni rief immerwährend: "tkellem el Kaid" (der Kaid lässt Dich rufen), und schien gar nicht zu fassen, dass man einer solchen Aufforderung überhaupt Widerstand entgegensetzen könne. Die Juden redeten zu, mitzugehen, sie selbst würden für mich dolmetschen, ich solle nur keine Furcht haben, der Kaid sei ein guter Mann.—Angekommen im Dar el Maghasen, wie jedes Regierungsgebäude in Marokko genannt wird, einerlei, ob man das Palais des Sultans oder die Wohnung eines gewöhnlichen Kaid damit meint, wurde ich sogleich vorgelassen. Den ganzen Weg über hatte mich immer der eine Maghaseni bei der Hand gehalten, während der andere hinten drein ging; erst als wir vor dem Kaid waren, wurde ich losgelassen. Auch später habe ich diese Sitte in Marokko beobachtet, dass, wenn Jemand gerufen wurde, er immer an der Hand vom Rufenden herbeigebracht wurde.

Der Kaid Kassem empfing mich sehr freundlich, eine Tasse Thee erquickte mich ungemein, ich musste mich setzen und sodann begann er zu fragen, woher ich komme, nach Vaterland, wes Standes, wohin ich wolle, ob ich verheirathet, etc. etc. Der mich begleitende Jude explicirte Alles. Darauf hielt der Kaid, ich muss ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, eine eindringliche Rede, nicht ins Innere zu gehen; als ehemaliger Christ wäre ich Alles besser gewohnt, denn Alles sei schlecht in Marokko; er erbot sich sogar, mir ein Pferd zur Rückreise nach Tanger zu stellen und mich durch einen Maghaseni begleiten zu lassen.

Als er sah, dass ich darauf bestand, nach Fes gehen zu wollen, glaubte ich zu verstehen, wie er zu dem Juden sagte: "er hat gewiss gemordet oder sonst etwas verbrochen, und darf zu den Christen nicht zurückkehren." Nach Beendigung des Verhörs war ich unvertraut genug mit den Sitten des Landes, nach dem "Funduk el Sultan" zu verlangen; denn der Kaid hatte es natürlich als selbstverständlich betrachtet, dass ich bei ihm wohne. Aber auch so noch erstreckte sich seine Freundlichkeit weiter, er befahl einem Maghaseni und dem Juden, mich nach dem genannten Funduk zu begleiten: ich solle dort auf seine Kosten wohnen, Nahrungsmittel wolle er schicken. Natürlich wird er dem Miethsmann des Funduks als Entschädigung nichts gegeben haben, was er überdies auch kaum nöthig hatte, da der Name "Funduk el Sultan", d.h. "Gasthof zum Kaiser" nicht etwa in unserem Sinne zu verstehen ist, sondern so viel bedeutet, als Eigenthum des Sultans oder der Regierung. In der Regel gehören die Funduks in Marokko entweder der Regierung oder irgend einer Djemma (Moschee) an und werden verpachtet.

Die Stadt L'xor (so gesprochen ist es der marokkanischen Aussprache am nächsten, geschrieben wird aber Alkassar) liegt ungefähr 10 Minuten vom rechten Ufer des Ued-Kus entfernt, nach Ali Bey auf 35° 1' 10" N. B. und 8° 9' 45" W. L. v. P. in einer freundlichen Alluvialebene. Die Stadt soll nach Leo von Almansor8 gegründet sein; da aber Edris derselben unter dem Namen Kasr-Abd-el-Kerim erwähnt, so hat wohl Sultan Almansor, wie Renou richtig bemerkt, nur zur Vergrösserung der Stadt beigetragen. Die Bevölkerung ist sehr schwankend, Hemsö nimmt nur 5000 Einwohner an, Washington 8000, bei meiner zweiten Reise in Marokko taxirte ich die Stadt auf 30,000 Seelen, mich stützend auf die Anzahl der bewohnten Häuser, die mir zu 2600 angegeben wurden. Früher muss die Stadt noch bedeutender gewesen sein, wie man aus den vielen Ruinen und leeren Djemmen schliessen kann. Eigenthümlich für Marokko ist, dass die meisten Häuser nicht flach sind, sondern spitze, mit Ziegeln gedeckte Dächer haben. Wie wenig Abänderungen in den Gebräuchen beim Volke in Marokko vor sich gehen, ersieht man daraus, dass der von Leo als am Montage ausserhalb der Stadt abgehaltene Markt auch noch jetzt am Montage abgehalten wird. Sehr auffallend für alle Besucher der Stadt ist die ungeheure Anzahl von Storchnestern mit ihren Besitzern, wenn die Jahreszeit sie herbeizieht, nicht nur die Häuser sind voll davon, sogar auf den Bäumen erblickt man sie. Aeusserst günstig als Zwischenstapelplatz der Häfen L'Araisch, Arseila und Tanger einerseits, der Binnenstädte Fes und Uesan andererseits, hat bei besserer Entwickelung des Handels L'xor eine Zukunft vor sich.

Ausserdem ist die Gegend eine der reichsten von Marokko, was man an Gemüsen nur bauen will, gedeiht um L'xor. Freilich liegt der Gemüsebau in Marokko noch arg danieder. Obschon der Marokkaner Gelegenheit hat, in den von Christen cultivirten Gärten der Hafenstädte alle Gemüse kennen zu lernen, kann doch von einer eigentlichen Gartencultur der Marokkaner selbst kaum die Rede sein. Wie gut würde aber Alles hier gedeihen; versorgt doch das nahe Algerien unter nicht ganz so günstigen klimatischen Verhältnissen, wegen geringerer Feuchtigkeit des Bodens und der Luft, im Winter fast ganz Europa mit frischen Gemüsen der feinsten Art. Die uns unentbehrliche Kartoffel hat den Weg in das Innere des Landes noch nicht finden können. Mit Ausnahme der Gärten des Sultans in Fes, Mikenes, Maraksch etc. kennt man nirgends Spargel, Artischocken, Blumenkohl und andere feine Gemüse. Und selbst dort werden sie keineswegs des Nutzens halber gezogen; irgend ein Consul brachte sie vielleicht zum Geschenk, man zieht sie nun als Blumen und wundert sich, dass die Christen solches Zeug essen.

Das Gemüse, was in Marokko gebaut wird, ist bald aufgezählt. Rothe und gelbe Rüben, Steckrüben, grosse Bohnen, Rankbohnen, Erbsen, Linsen, Zwiebeln, Knoblauch, Kohl findet man fast überall, Sellerie und Petersilie ebenfalls. Was aber gerade bei L'xor besonders gut gedeiht, sind die Melonen, sowohl die gewöhnlichen wie die Wassermelonen. Man sagt, dass die um L'xor wachsenden Trauben schlecht seien wegen des zu feuchten Bodens.

Gegenstand der grössten Neugier, blieb ich durch starken Regen gezwungen vier Tage in der Stadt und lernte immer mehr mich an die eigenthümlichen Sitten gewöhnen, "Christ, laufe doch nicht immer auf und ab," rief mir ein alter Kaffeetrinker eines Abends zu, als er sah, wie ich im Hofe in Gedanken auf und ab ging. Ich setzte mich und fragte, ob das denn ein Verbrechen sei. "Das nicht," antwortete mir ein Anderer, "aber ohne Zweck auf- und abgehen thun nur die Thiere und ist hier nicht anständig9." "Gott verfluche Deinen Vater," sagte ein Anderer zu mir, "wenn er Dir auch gute Lehren giebt, hat er doch kein Recht, Dich Christ zu nennen; Gott sei Dank, Du glaubst jetzt an einen einigen Gott und an dessen Liebling, Gott vertilge alle Christen und lasse sie ewig brennen!"—"Aber, o Wunder!" fing ein Dritter an, "seht den ungläubigen Hund, wie er die Hände gefaltet hat (ich hatte mich auf türkisch niedergesetzt und in Gedanken die Hände gefaltet), gewiss betet er seine sündhaften Gebete!" Ich entfaltete rasch meine Hände, und ein Anderer ermahnte mich nun, nie wieder in der Gesellschaft von Gläubigen solche gottvergessenen Handlungen vorzunehmen.

So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt wie ein kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch dadurch rasch die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am peinlichsten war mir immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am Boden hockend aus einer Schüssel gegessen wird, und Jeder mit halb oder gar nicht gewaschener Hand ins Essen fährt, haben alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit, zwischen und gleich nach dem Essen laut aufzustossen. "Veizeih's [Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit seiner unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei gelobt" der Anwesenden giebt die Billigung derselben zu erkennen.

Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in Begleitung eines Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise nach Uesan fort. Durch die strotzenden Gärten hatten wir bald den Ued Kus erreicht, setzten über und gingen auf die Berge los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage machen kann, nächtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns als gefährlich geschildert, doch schützte uns der Umstand, dass wir Uesan als Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen Grossscherif ist in der That so gross, dass Alle, die zu ihm pilgern, unter einem allgemein anerkannten Schutz stehen.

Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich Marokko, Rharb el djoani10 im Lande selbst genannt, ist von allen an das Mittelmeer grenzenden Ländern Nordafrika's eins der am günstigsten gelegenen. Es würde zu nichts führen, wollten wir versuchen, die Grösse des Landes in Zahlen anzugeben; selbst eine allgemeine Bezeichnung, dass Marokko zwischen den so und so vielten Längen- und Breitengraden liege, giebt nur annähernd einen Begriff und wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat und Tidikelt, die fast bis zum 26° N. B. nach dem Süden und bis zum 22° O. L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht. Halten wir diese letzte Ausdehnung fest und rechnen die grossen Strecken wüsten Terrains, welche zwischen den Oasen und dem atlantischen Ocean liegen, hinzu, so können wir uns den besten Begriff von der Grösse Marokko's machen, wenn wir dann aus der Karte ersehen, dass es um ein Drittel grösser ist, als Frankreich,11 ohne diese Gebiete aber ungefähr mit Deutschland eine gleiche Grösse hat.

Wenige Länder von Afrika haben im Verhältniss zum Binnenlande eine so grosse Küstenentwickelung. Die Gestadelänge Marokko's am atlantischen Ocean beträgt 1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60, die am Mittelmeere 425 Kilometer, während die Landgrenze nur eine Länge von 250 Kilometer hat.12

Was die Küsten ihrer Beschaffenheit nach anbetrifft, so fallen dieselben im Norden nach dem Mittelmeere steil ab mit unzähligen Buchten, die aber zu klein sind, um einen guten Hafen zu bilden. Dennoch sind sie gross genug, um den Rif-Piraten mit ihren kleinen Fahrzeugen Versteck und Sicherheit gegen Sturm und stürmische Witterung zu gewähren. Indess fehlen die guten Ankerplätze auch nicht. Zwischen den Djafarin-Inseln und an der Küste bei Melilla, bei Ceuta, haben grosse Schiffe vollkommenen Schutz, und noch andere Häfen würden sich mit geringen Mitteln herstellen lassen, so namentlich die grosse Bucht von Alhucemas, fast gegenüber von Malaga, liesse sich mit leichter Mühe zu einem prächtigen Ankerplatz umwandeln.

An der Strasse von Gibraltar liegt Tanger mit einer zu weiten Bucht, um nur als sichere Rhede betrachtet werden zu können; der einstige kleine Hafen der Stadt Tanger wurde von den Engländern, als sie 1684 Tanger freiwillig den Marokkanern überliessen, zerstört.

Die ganze nun folgende längs des atlantischen Oceans in südwestlicher Richtung streichende Küste ist vollkommen flach und sanft das Meer hinabsteigend bis südlich von Mogador. Aeusserst gefährlich für die Schifffahrt, besonders bei nebeliger Witterung, hat man durchschnittlich in einer Entfernung von dreissig Seemeilen erst hundert Faden Wasser. Hohe Sanddünen hat das Meer an dieser langen Küste ausgeworfen, die einen eigenthümlichen Anblick gewähren, weil sie nach der Landseite, oft auch nach der Seeseite zu nicht kahl, sondern mit Lentisken bewachsen sind. Und wahrscheinlich durch den Wind beeinflusst, bilden diese fünf bis acht Fuss hohen Lentiskenbüsche ein vollkommen den Dünen glatt angepasstes Ganze, als ob sie gleichmässig oberhalb derselben beschnitten wären. Gute Häfen würden allerdings mit leichter Mühe herzustellen, der Unterhalt indessen wegen des immer stark vom Meere ausgeworfenen Sandes kostspielig sein. Andererseits haben fast alle Mündungen der grösseren Flüsse, die wohl gut zu Häfen eingerichtet werden könnten, sehr starke Barren.

Gleich südlich von Mogador, wo die Küste von Nord nach Süd bis Agadir läuft, ist sie schroff ins Meer abfallend. Bei Agadir ist offenbar der beste natürliche Ankerplatz, aber vollkommene Sicherheit haben auch hier die Seeschiffe nicht. Von hier an weiter nach dem Süden bewahrt die Küste wieder ihren Dünencharakter, die Berge treten nicht mehr bis unmittelbar an den Ocean hinan.

An bedeutenden, bis ans Meer hineinragenden spitzen Vorgebirgen hat man im Mittelmeer das Cap Tres Forcas oder Ras el Deir; westlich von Melilla gelegen, hat diese Landzunge eine Länge von ungefähr zwanzig Kilometer auf circa sieben Kilometer Breite, und die nordwestliche hat noch auf den Seekarten den speciellen Namen Cap Viego. Das weltbekannte Cap Espartel oder Ras el kebir13 streckt sich nach Europa hin, während die nordöstliche Landspitze bei Ceuta, Cap Almina, unserm Erdtheile noch näher liegt. An der langen atlantischen Küste des Landes haben wir nur das Cap Gher, nordwestlich von Agadir, zu verzeichnen. Es ist hier der Punkt, wo die Haupt-Atlaskette sich ins Meer stürzt. Alle übrigen auf den Karten verzeichneten Vorgebirge, wie Cap Blanco und Cap Cantin nördlich vom Gher- Vorgebirge, oder Cap Nun südlich davon, spielen in der Formation der Küste keine Rolle.

Ein gewaltiges Gebirge, der Atlas, durchzieht Marokko von Südwest nach Nordost. Wir würden zu irren glauben, wenn wir die Gebirge Algeriens zum grossen Atlas rechnen wollten; mögen die französischen Geographen dort immerhin ihre der Küste parallel laufenden Gebirge als grossen und kleinen Atlas bezeichnen, mögen die Franzosen für die Gebirge Algeriens den Namen Atlas beanspruchen—wer beide Länder bereist hat, wird finden, dass Algerien nur ausgedehnte Hochebenen mit davorliegenden Gebirgsketten besitzt, der grosse Atlas ist nur in Marokko, und in dieser Beziehung gilt auch das Zeugniss der Alten, welche den grossen Atlas beim Cap Gher entspringen und beim heutigen Cap Ras el Deir enden liessen, oder umgekehrt.

Im Grossen, kann man sagen, hat der Atlas eine hufeisenförmige Gestalt. Geöffnet nach Nordwesten, ist die Spitze seines einen Schenkels das Vorgebirge Ras el Deir, die Spitze des andern das Vorgebirge Gher. Der Atlas bildet eine Hauptkette, welche durchschnittlich nach dem Nordwesten, d.h. also nach der dem eigentlichen Marokko zugekehrten Seite durch breite Terrassen allmälig ins Tiefland sich hineinzieht. Nach dem Südosten zu senkrecht und steil abfallend, zweigt sich indess auf ungefähr 31° N. B., 12° O. L. von Ferro eine bedeutende Kette nach Süd-Südwest ab und läuft demnach fast mit der Hauptkette des Atlas parallel. Der Abzweigungspunkt giebt dem Sus Ursprung. Etwas weiter von diesem Punkte haben wir überhaupt den eigentlichen Knotenpunkt des grossen Atlas, den "St. Gotthard" dieses Gebirges. Wie bei den Schweizeralpen ist aber auch hier nicht der höchste Gebirgspunkt, dieser scheint im Südwesten zu liegen, etwa südlich von der Stadt Marokko.

Südlich von dieser Stadt haben wir den von Washington gemessenen Djebel Miltsin mit 11,700 Fuss. [3475 Meter.] Höst berichtet von diesem Berge, dass nur Einmal innerhalb eines Zeitraumes von zwanzig Jahren sein Schnee geschmolzen sei, obschon Humboldt für diese Breite die Grenze des ewigen Schnees höher angiebt. Es ist dies um so auffallender, als man gerade hier erwarten sollte, die Schneegrenze höher zu finden. Es ist also wohl anzunehmen, dass Washington's Rechnung nicht ganz richtig gewesen ist. Der Etna z.B. bei einer Höhe von 10,849 Fuss und fast 7° nördlicher gelegen, hat nie Schnee im Sommer (das, was in einigen Felsspalten liegen bleibt, ist kaum zu rechnen und zum Theil künstlich von den Bewohnern Catania's zusammengetragen, um im Sommer benutzt zu werden). Nach den Aussagen der Bewohner dortiger Gegend verlieren die höchsten Atlaspunkte den Schnee nie. Bei der Uebersteigung des grossen Atlas, die ich selbst später zwischen Fes und Tafilet, und etwas westlich vom Knotenpunkt des Gebirges ausführte, erlaubte mir mein mangelhaftes Aneroid nicht, auch nur annähernd richtige Messungen zu machen. Zu der Zeit verstand man bloss Aneroide zu construiren, mit denen man höchstens bis 1000 Meter messen konnte; das meine zeigte nicht einmal so hoch. Wenn ich aber bedenke, dass dasselbe schon auf dem ersten Absatz, auf der Terrasse südlich von Fes und Mikenes, zum Gebiete der Beni-Mtir gehörend, den Dienst versagte, dass ich dann aber, mehrere Tage nach einander immer steigend, verschiedene Terrassen und Plateaux zu überwinden hatte, so glaube ich, dass die höchste Passhöhe auf dieser Strecke, "Tamarakuit" genannt, kaum unter 9000 Fuss sein dürfte. Aber wie hoch thürmten sich daneben und nach allen Seiten hin die schneeigen Spitzen des Atlas selbst auf! Späteren Zeiten und späteren Forschern muss dies zu erforschen vorbehalten bleiben.

Von diesem Knotenpunkt aus werden noch einzelne Ketten nach dem Osten und Süden gesandt, im Ganzen hört aber der Charakter als Kette nach diesen Richtungen auf: das Gebirge erweist sich mehr als ein Gewirr von einzelnen schroffen Felsen und zerklüfteten Bergen. Aber die Hauptkette des Atlas ist erhalten, sie geht mittelst der Djebelaya (Gebirgsland) und dem Djebel Garet direct nach Norden, um mit dem Cap Ras el Deir am Mittelmeer zu enden. Vorher jedoch, etwa auf dem 14° O. L. von Ferro und 34° 40' N. B. entsendet diese Hauptkette einen Zweig gegen Nordwesten; es ist das Rifgebirge, welches an der Strasse von Gibraltar sein Ende erreicht. Ausserdem schickt der grosse Atlas zahlreiche kleinere Zweige in das von ihm umschlossene Dreieck zwischen Ras el Deir und Ras Gher. So sind die Gebirge bei Uesan, die Berge nördlich von Mikenes nur Ausläufer des nördlichen Riesengebirges, welches selbst weiter nichts als ein Zweig des Atlas ist, während das sogenannte Djebel el Hadid ein directer Zweig des grossen Atlas ist, obschon Leo sagt:14 "Der Berg Gebel el Hadid genannt, gehört nicht zum Atlas; denn er fängt gegen Norden am Gestade des Oceans an und dehnt sich nach Süden am Flusse Tensift aus." Von den Höhen des Rif-Gebirges sind nur die vom Meere aus gemessenen Punkte bekannt, deren es bis zur Höhe von circa 7000 Fuss15 giebt; weiter nach dem Süden dürften in dieser Kette Berge von noch bedeutenderer Höhe sein und diese mindestens dem Djurdjura-Gebirge in Algerien gleichkommen.

Haben wir somit durch Zeichnung der Hauptlinien der Gebirge von Marokko ein Bild gewonnen, so bleibt uns nur übrig zu sagen, dass alles Land von der nördlichen Kante des Atlas bis zum atlantischen Ocean und Mittelmeer vollkommen culturfähig ist. Der Ausdruck "Tel" für culturfähiges Land ist in Marokko nicht bekannt. Solche Gegenden und Unterschiede davon, existiren nur in Algerien, durch die Bodenbeschaffenheit bedingt. Der einzige Strich nördlich in Marokko, d.h. auf der Abdachung nach dem Mittelmeere zu, der nicht die Fruchtbarkeit des vollkommen culturfähigen Landes besitzt, ist das sogenannte Angad, südlich vom Gebirge der Beni- Snassen und vom mittleren Laufe der Muluya durchzogen. Aber keineswegs ist dieser Boden hier wüstenhaft, steril und vegetationslos, ebensowenig, wie es die Hochebenen Algeriens südlich von Sebda, Saida oder Tiaret sind. Wenn nur der feuchte Niederschlag reichlich ist und zur rechten Zeit erfolgt, sehen wir überall den Boden in Acker umgewandelt. So im Angad auch, eine Landschaft, die seit dem unglücklichen Versuch Ali Bey's el Abassi, durchzureisen, als vollkommene Wüste verrufen, aber nichts weniger als vegetations- und wasserlos ist. Sie wird durchflossen von einem der mächtigsten Ströme Marokko's, ist das nicht schon bezeichnend genug?

Marokko, auf diese Art ausgezeichnet, ist das Land von Nordafrika, welches den breitesten Gürtel von culturfähigem Lande hat, und dies nicht nur nördlich vom grossen Atlas, sondern auch das lang gezogene Dreieck südlich von demselben, durch diesen und seine nach Südsüdwest gesandten Zweige eingeschlossen: das ganze Sus-Thal ist zum Anbau geeignet.

Wie Algerien und Tunis, so hat auch Marokko seine Vorwüste. Wir verstehen für Marokko unter diesem Namen den Raum, der sich hinerstreckt vom atlantischen Ocean bis zur Grenze von Algerien einerseits, vom Südabhange des Atlas bis zu den Breiten, welche durch die Südpunkte der grossen Oasen gehen, andererseits. Wir schliessen jedoch Tuat von dieser Vorwüste aus, beanspruchen diese Oase im Gegentheil für die grosse Wüste. Auch diese Vorwüste, oder, wie die Franzosen in Algerien das entsprechende Terrain benennen, "petit desert", ist keineswegs ohne Cultur und nach rechtzeitigem Regen sieht man auch hier manchmal Getreide aus dem Boden sprossen, wo vordem der Wanderer jede Cultur für vollkommen unmöglich gehalten haben würde.

Wie der ganze Norden von Afrika, d.h. besonders die Berberstaaten in Bodenformation dasselbe Gepräge zeigt, wie wir es in den übrigen um das Mittelmeer gruppirten Ländern finden, so zeigen auch die Flüsse Marokko's einen Lauf, der nicht abweichend ist von dem der anderen Länder, d.h. sie sind nicht unverhältnissmässig lang, haben zahlreiche Krümmungen und eine starke Verästelung nach der Quelle zu. Jene langgezogenen Wasserläufe, ohne Nebenflüsse, wie sie der übrige weite Norden von Afrika so häufig aufzuweisen hat, und deren Bilder wir am besten im Draa, Irharhar und Nil wiedergegeben sehen, giebt es im eigentlichen Marokko nicht.

Einer der bedeutendsten Ströme von Nordafrika (Nil natürlich ausgenommen) unter denen, die dem Mittelmeer tributär sind, ist die Muluya. Ungefähr beim östlichen siebenten Längengrad von Ferro auf der Ostseite des grossen Atlas entspringend, bekommt die Muluya ausser vielen Nebenflüssen ihren Hauptzustrom vom Süden, dem Ued-Scharef, ein Gewässer, fast so mächtig, wie die Muluya selbst. Dicht bei der algerischen Grenze, etwa 10 Kilometer westlich davon, und etwa 10 Kilometer östlich von Cap del Agua, welches gerade südlich von den spanischen Inseln Djafarin liegt, ergiesst sieh die Muluya ins Mittelmeer. Die Länge dieses Stromes auch nur annähernd in Zahlen ausdrücken zu wollen, wie Hemsö das gethan hat, ist jetzt, wo noch von Niemandem die Quelle des Flusses erforscht wurde, ein vollkommen überflüssiger Versuch. Wir wollen nur erwähnen, dass die Länge der Muluya etwas geringer als die des Chelif zu sein scheint, und dass die Muluya ungefähr ein gleiches Gebiet beherrscht wie der spanische Fluss Guadalquivir.

Auf der oceanischen Seite haben wir, von Norden anfangend, den Ued Kus16 oder el Kus. Dieser Fluss, der die fruchtbarsten Ebenen in zahllosen Krümmungen durchzieht, woher sein Name, geht bei L'Araisch ins Meer, empfängt aber dicht vor seiner Mündung den Ued el Maghasen, bekannt durch die Drei-Königs-Schlacht; beide Flüsse kommen vom Rif-Gebirge und dessen Ausläufern.

Weiter der Küste folgend, kommen wir sodann auf den bedeutenden Ued Ssebú. Mit zwei Armen gleichen Namens, von denen der eine vom grossen Atlas anderthalb Grad südlich von Fes, der andere aber vom grossen Atlas östlich von Tesa entspringt, haben diese Arme, welche sich ungefähr eine Stunde nördlich von Fes vereinigen, verschiedene Nebenflüsse, beide ändern auch häufig den Namen, um den alten vielleicht später wieder aufzunehmen. Von Osten her erhält sodann nach seiner Conjunction der Ssebú auf seinem rechten Ufer den bedeutenden Uargha vom Rif-Gebirge und vom Südosten her auf seinem linken Ufer den Bet. Der Ssebú, welcher sich bei Mamora17 ins Meer ergiesst, würde leicht bis zu dem Punkte, wo sich der Uargha mit ihm vereint, schiffbar gemacht werden können. Die Länge seines Laufes ist ebenso bedeutend, als die der Muluya.

Der von den vorderen Terrassen des grossen Atlas kommende, aber unbedeutende Fluss Bu Rhaba18, in nordwestlicher Richtung fliessend, ist nur erwähnenswerth, weil an seiner Mündung die bedeutenden Städte Rbat und Sla liegen.

Der Fluss Um-el-Rbea (Mutter der Kräuter, oder der Kräuterreiche) entspringt mit einem mächtigen Geäste aus dem grossen Atlas, fliesst seiner Hauptrichtung nach nach Nordwest, um bei Asamor, einer bedeutenden Stadt, den Ocean zu erreichen. Renou nennt ihn den bedeutendsten Fluss vom Norden Afrika's (natürlich der Nil immer ausgenommen) und stellt ihn auf gleiche Stufe mit der Garonne und Seine. Auch dieser Strom ist leicht schiffbar zu machen.