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In diesem Werk beschreibt der deutsche Afrikaforscher seine Reise durch den Norden Afrikas. Inhalt: Vorwort. Philippeville, Bone und Tunis. Kurzer geschichtlicher Ueberblick von Tripolis. Tripolitanien. Tripolis. Leptis magna. Bengasi. Berenice, die Hesperiden-Gärten und der Lethefluß. Teucheira, Ptolemais und Reise nach Cyrene. Cyrene. Barca. Von Cyrene über Bengasi nach Audjila. Audjila und Djalo. Die libysche Wüste zwischen Djalo und der Oase des Ammon. Die Jupiter Ammons-Oase. Von der Ammons-Oase nach Egypten.
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Seitenzahl: 367
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Von Tripolis nach Alexandrien
Gerhard Rohlfs
Inhalt:
Gerhard Rohlfs – Biografie und Bibliografie
Von Tripolis nach Alexandrien
Vorwort.
Philippeville, Bone und Tunis.
Kurzer geschichtlicher Ueberblick von Tripolis.
Tripolitanien.
Tripolis.
Leptis magna.
Bengasi.
Berenice, die Hesperiden-Gärten und der Lethefluß.
Teucheira, Ptolemais und Reise nach Cyrene.
Cyrene.
Fußnoten:
Zweiter Band
Barca.
Von Cyrene über Bengasi nach Audjila.
Audjila und Djalo.
Die libysche Wüste zwischen Djalo und der Oase des Ammon.
Die Jupiter Ammons-Oase.
Von der Ammons-Oase nach Egypten.
Fußnoten:
Von Tripolis nach Alexandrien, Gerhard Rohlfs
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849625245
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com
Deutscher Afrikareisender, geb. 14. April 1831 in Vegesack, gest. 2. Juni 1896 in Godesberg, besuchte das Gymnasium in Bremen, kämpfte 1849 in Schleswig-Holstein, wurde nach der Schlacht von Idstedt zum Offizier ernannt, studierte dann in Heidelberg, Würzburg und Göttingen Medizin, trat als Arzt 1855 in die Fremdenlegion, wohnte der Eroberung der Großen Kabylie bei und machte sich die arabische Sprache und orientalische Sitten so zu eigen, dass er als Mohammedaner Marokko durchreisen konnte. 1862 durchzog er die marokkanische Sahara, erforschte das Wadi Draa, wurde von den Führern räuberisch angefallen und verwundet, erreichte aber noch glücklich die französische Grenze. Bei einer zweiten Reise 1864 gelangte er bis zur Oase Tuat, von der er die erste Beschreibung und Karte lieferte, kehrte dann über Ghadames und Tripolis 1865 nach Deutschland zurück, ging aber bald wieder nach Afrika und zog 1866 von Mursuk über Bilma nach Kuka am Tsadsee, wo er beim Sultan von Bornu gute Aufnahme fand. Da indes der Weg nach Wadai verschlossen blieb, brach er nach dem Binuë auf, fuhr ihn bis Lokodja hinab, dann den Niger aufwärts bis Rabba, von wo er 1867 zur Küste bei Lagos gelangte. 1868 begleitete er die englische Armee auf der abessinischen Expedition und erhielt dann den Auftrag, die Geschenke des Königs von Preußen an den Sultan von Bornu zu überbringen. Hiermit betraute er 1869 in Tripolis den Afrikareisenden Nachtigal, während er selbst eine Reise nach Kyrenaika und der Oase des Jupiter Ammon unternahm. Im Auftrag des Chedive führte er 1873–74 eine aus zehn Deutschen (darunter Zittel, Jordan, Ascherson) bestehende Expedition in die Libysche Wüste nach der Oase Siuah (Jupiter Ammon). 1875–76 durchreiste er die Vereinigten Staaten von Amerika. 1878–79 unternahm er mit Unterstützung der deutschen Reichsregierung und begleitet von Stecker eine Expedition von Tripolis nach Wadai, um dem Sultan Geschenke des deutschen Kaisers zu überbringen, wurde aber in der Oase Kufra von Suya-Arabern überfallen und beraubt. Nach Europa zurückgekehrt, begab er sich 1880 im Auftrage des deutschen Kaisers mit Stecker nach Abessinien, um einen Brief an den Negus zu überbringen; 1885 wurde er zum Generalkonsul in Sansibar ernannt, kehrte aber bald wieder nach Europa zurück und lebte seit 1890 in Godesberg am Rhein. Er veröffentlichte: »Reise durch Marokko« (Brem. 1868; 4. Ausg., Norden 1884); »Reise durch Nordafrika 1865–1867« (Ergänzungshefte zu »Petermanns Mitteilungen«, 1868 u. 1873); »Im Auftrag des Königs von Preußen mit dem englischen Expeditionskorps in Abessinien« (Brem. 1869); »Land und Volk in Afrika« (das. 1870; 3. Ausg., Norden 1884); »Von Tripolis nach Alexandrien« (Brem. 1871, 2 Bde.; 3. Ausg., Norden 1885); »Mein erster Aufenthalt in Marokko« (Brem. 1873; 3. Ausg., Norden 1885); »Quer durch Afrika. Reise vom Mittelmeer nach dem Tschadsee zum Golf von Guinea« (Leipz. 1874–75, 2 Tle.); »Drei Monate in der Libyschen Wüste« (Bd. 1 des Reiseberichts, Kassel 1875); »Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Afrikas« (Leipz. 1876) und »Neue Beiträge« (Kassel 1881); »Reise von Tripolis nach der Oase Kufra« (Leipz. 1881); »Meine Mission nach Abessinien« (das. 1883); »Quid novi ex Africa?« (Kassel 1886).
Seit dem Herbste 1868, in welchem die Reise nach Tripolitanien auf Befehl des Königs von Preussen unternommen wurde, welche Ereignisse sind da an uns vorüber gegangen!
Der König von Preussen ist Kaiser von Deutschland geworden; und wenn schon in den letzten Jahren die Deutschen im Auslande nicht mehr wie Schutzlose oder als nicht ebenbürtig und gleich berechtigt den übrigen Nationen gegenüberstanden, um wie viel mehr wird jetzt "Kaiser und Reich", selbst in den "weitesten Fernen" die Deutschen beschirmen.
Und inmitten dieser gewaltigen Begebenheiten ist auch schon die Nachricht vom günstigen Resultate der Expedition nach Tripolitanien und nach dem Inneren von Afrika angelangt: Dr. Nachtigal erreichte mit den Geschenken glücklich die Hauptstadt von Bornu, Kuka, und wurde, wie zu erwarten stand, auf's Zuvorkommendste vom Sultan Omar empfangen.
Das vorliegende Buch, Ergebniss der Reise nach Tripolis, und der von hier aus unternommenen Reise nach Cyrenaica und der Oase des Jupiter Ammon, sollte ursprünglich Mitte 1870 dem Publicum vorgelegt werden. Die Kriegsereignisse brachten eine Verzögerung der Herausgabe hervor. Möge diesem Werke dieselbe günstige Aufnahme und nachsichtige Beurtheilung von Seiten des Publicums zu Theil werden wie den früheren Arbeiten des Verfassers.
Gestattet sei mir hier, der Verlagshandlung für die schöne Ausstattung des Buches meinen Dank auszusprechen, namentlich dafür, dass dieselbe nicht gescheut hat, ohne den Preis desselben wesentlich zu erhöhen, die musterhaften Karten von Kiepert, sowie die von G. Hunckel ausgeführten Chromolithographien beizufügen. Leider konnten die zahlreichen Photographien, die der Reisende in Cyrenaica aufnehmen liess, nicht eingeschaltet werden, da der Preis des Buches sich dadurch verfünffacht haben würde.
Weima, im Januar 1871.
Gerhard Rohlfs
Inhalts-Verzeichniss.
Philippeville, Bone und Tunis Kurzer geschichtlicher Ueberblick von Tripolis Tripolitanien Tripolis Leptis magna Bengasi Berenice, die Hesperiden-Gärten und der Lethefluss Teucheira, Ptolemais und Reise nach Cyrene Cyrene
Es war im Herbste des Jahres 1868, als ich von der preussischen Regierung den Auftrag bekam, die Geschenke, welche der König für den Sultan von Bornu bestimmt hatte, nach Tripolis zu übermitteln, um sie von dort aus mittelst eigener Karavane ins Innere zu befördern. Die mit den letzten Entdeckungsreisen im Innern von Afrika Vertrauten werden sich erinnern, dass König Wilhelm, in Anerkennung der grossen Dienste, welche Sultan Omar von Bornu gegen deutsche Reisende geleistet, beschlossen hatte, diesem dadurch seine Dankbarkeit zu bezeigen, dass er demselben eine Reihe passender Geschenke übermachte. Sultan Omar hatte von der englischen Regierung aus ähnlichem Anlass auch früher schon Geschenke bekommen.
Die preussischen bestanden in einem in Berlin gearbeiteten Thron, Zündnadelgewehren, Doppelfernglas, Chronometer, Uhren, Bildern der königlichen Familie, und dazu sollten noch in Tripolis durch Consul Rossi angeschaffte Sachen kommen, als Rosenessenz, ächte Corallen, Seiden-, Tuch- und Sammetstoffe. Die von Berlin aus abgegangenen Sachen sollte ich in Marseille empfangen.
Mein Weg führte mich daher über Frankreich, wo ich namentlich meine Ausrüstung zu machen hatte, denn nicht nur hatte ich von Tripolis aus den Abgang der Geschenke einzuleiten, sondern auch die Erlaubniss und Mittel zu einer Reise durch Cyrenaica und die Jupiter-Ammons-Oase erhalten.
Keine Stadt am mittelländischen Meer nimmt einen so raschen Aufschwung wie Marseille, besonders hervorgerufen durch den Handel mit der gegenüberliegenden Colonie. Und was würde Marseille sein, befände sich die Colonie in einem blühenden Zustande, hätten die Franzosen von Anbeginn der Eroberung den Grundsatz befolgt: die Araber, vielleicht die Berber, in die Wüste zu drängen, wohin sie gehören, und so ein freies Terrain für europäische Cultur und Gesittung geschaffen! Unter diesen Umständen würde Algerien statt jetzt einige hunderttausend Europäer, einige Millionen haben. Aber die falschen Grundsätze von Philanthropie, die civilisatorischen Ideen solcher Leute, welche auf die fanatischen Eingebornen dieselben Regeln anwenden wollten, welche man auf durch Jahrhunderte hindurch gereifte Völker anwendet, haben dies alles verhindert.
Ich will damit nicht sagen, dass die Araber sich nicht civilisiren liessen; sie haben sicher dieselben Anlagen, Fähigkeiten, Gefühle, wie wir; aber sie wollen keine Civilisation, ihre Religion erlaubt es nicht. Und eben deshalb werden sie verschwinden, denn die Civilisation lässt sich nun einmal nicht aufhalten, und die Völker, welche nicht mit fort wollen, werden absorbirt oder vernichtet werden. So sehen wir denn auch unaufhaltsam den Islam seinem Ende entgegen gehen, sowohl Araber als Türken können sich gegen das Christenthum nicht halten; ohne dass diesen Völkern ein Zwang angethan wird, gehen sie ihrem Untergange entgegen. Und selbst in der christlichen Religion sehen wir bei den Völkern, welche durch die Religion gefesselt sind, ein geistiges Verkommen, einen Rückschritt; der Franzose sieht und constatirt mit Bangen keine Zunahme der Bevölkerung, und in Spanien, in Italien, wie sieht es da aus!
Dem Islam gegenüber ist aber selbst die katholische Religion Fortschritt, deshalb wird auch das mohammedanische Element über kurz oder lang dem Christenthum in Algerien unterliegen, so sehr sich die französische Regierung auch Mühe giebt, die Araber zu civilisiren, zu pflegen, zu begünstigen und auf Kosten der Europäer zu bevorzugen.
Wir fanden in Marseille alles in bester Ordnung, und wie immer die liebenswürdigste und zuvorkommendste Aufnahme bei unserm deutschen Consul, Hrn. Schnell.
Wie wenig übrigens sonst von den Marseillern auf deutsche Sitte und Sprache gegeben wird, geht daraus hervor, dass nicht ein einziges deutsches Journal im ersten Club der Stadt, dem Cercle des Phocéens, vorhanden war, von den englischen war nur die Times vorhanden. Die eigentlichen Marseiller sind eben nur Krämer, keine Kaufleute; der Grosshandel ist einzig in den Händen eingewanderter Franzosen oder Schweizer.
Aber grossartig ist die Stadt und hat in Hrn. Maupas, dem vorletzten Präfecten, einen wahren Haussmann[1] gehabt. Die Präfectur, die neue Börse, das kaiserliche Palais, das bischöfliche Schloss, ohne viele andere Gebäude zu nennen, sind alle Prachtbauten, und die neuen Stadttheile, die Faubourgs mit den beiden grossartigen Häfen Port Napoléon und Joliette machen Marseille zu einer der glänzendsten Städte des Mittelmeeres.
Und auch die Umgebung hat merkwürdige Veränderungen erlitten. Früher von kahlen Kalkfelsen bordirt, welche die Meeresufer pittoresk, aber nicht schön machten, hat man durch sorgfältige Bewässerungen und Auftragen von Humus grüne, mit Pinien und anderen Bäumen geschmückte Hügel geschaffen, und der Prado von Marseille ist einer der schönsten der Welt. Wer nach Marseille kommt, versäume ja nicht, nach der sogenannten Reserve zu gehen, auf dem Wege nach Toulon längs dem Meere gelegen; eine Restauration, im grossartigsten Verhältnisse aufgeführt, von der aus man die prachtvollste Aussicht auf Stadt, Meer und die vorliegenden Inseln hat.
Doch alle diese Einzelheiten sind in den Reisebüchern zu finden, und ich für meinen Theil hatte Marseille schon so oft gesehen, vom Anfange seines neuen Daseins an (da wo die prächtigen Häuser unterhalb des bischöflichen Palais sich hinziehen, hatte ich vor Jahren gebadet), dass ich gar keine Lust verspürte, den Aufenthalt unnöthig zu verlängern.
Es war mir deshalb sehr erwünscht, dass Consul Schnell sich bereitwilligst erbot, meine sämmtlichen Kisten nach Malta spediren zu wollen; auf diese Art wurde es möglich, dass ich gleich am folgenden Tage Passage an Bord des nach Tunis fahrenden Dampfers nehmen konnte, um so auf diesem Umwege Malta zu erreichen. Der directe Dampfer sollte erst am 27. November und mit ihm mein Gepäck abgehen, wir gingen Nachmittags desselben Monats am 20. an Bord. Unser Schiff, Cayd genannt, war kein der Messagerie gehörender Dampfer, sondern ein von dieser Gesellschaft gemiethetes Boot, welches der Compagnie der Navigation mixte zugehörte. Klein und mangelhaft eingerichtet, war das Schiff bis Philippeville mit Passagieren aller Classen überfüllt, und selbst die erste Classe hatte ein knotiges Aussehen. Mit Ausnahme eines Engländers, der wie ich nach Tunis wollte und ein sehr gebildeter und feiner Gentleman war, bestand die ganze Zahl der Passagiere aus Franzosen. Die zweite Classe war theils mit französischen Officieren, theils mit Kaufleuten besetzt; das Verdeck war überfüllt mit Soldaten aller in Algerien üblichen Truppen, mit leichten Frauenzimmern, welche das Mutterland einer Colonie sandte, und einigen arabischen Pilgern, welche von Mekka kamen.
Glücklicherweise dauerte die Fahrt nicht lange Zeit, und das Wetter war andauernd günstig; schon am Sonntag Morgens, den 22. Novbr., waren die Berge Afrika's in Sicht, und um 2 Uhr lagen wir vor Stora, dem kleinen Hafenorte von Philippeville. Stora ist für Philippeville derselbe Platz, der Mers el Kebir für Oran ist, auch die topographische Lage ist fast dieselbe. Aber sowohl an Wichtigkeit im Verkehr als an Schönheit übertreffen die beiden Orte der Provinz Oran um ein bedeutendes die der Provinz Constantine. Die Ausschiffung ging rasch von Statten, da Barken genug vorhanden waren, und die Araber doch unter französischer Herrschaft schon ein gutes Theil jener Zudringlichkeit und Unverschämtheit verloren haben, welche sie da ausgezeichnet, wo sie unter eigener oder türkischer Herrschaft stehen. Aber nun, wo unser Schiff ruhig auf den glatten Wellen lag, merkte ich, dass es noch eine berühmte und glänzende Schönheit beherbergt hatte, die Marquise von G..., eine der ersten Schönheiten am Hofe Napoleons III. und Ehrendame seiner kaiserl. Gemahlin. Diejenigen, welche mit dem Hofe Napoleons vertraut sind, werden leicht errathen können, wer diese hervorragende Schönheit ist, welche hier von ihrem Gemahl, dem Obersten des 3. Regiments der Chasseurs d'Afrique, empfangen wurde. Wir liessen uns alle direct nach Philippeville rudern, und die meisten von uns stiegen im Hôtel d'Orient ab; das heisst, ich schreibe Hôtel, man denke "Kneipe". In der That merkwürdig genug, wie gleich beim Betreten der Provinz Constantine die angenehme Erinnerung der so sehr guten Hôtels in Algier und Oran zu nichte wird. Gerade das Hôtel d'Orient der Stadt Algier selbst kann mit den grössten Hôtels der grössten Städte wetteifern, und hier? Ein Zimmer, dessen Wände nur hell getüncht waren, schmutzige Wäsche, das primitivste Ameublement. Wie wird sich die Marquise von G..., die so eben aus den glänzendsten Salons von Compiègne kommt, hier zurecht finden, dachte ich, und doch waren ihre Zimmer, welche sie mit ihrem Manne innehatte, wohl nicht besser als das meinige. Doch wozu braucht man Zimmer in einem Lande, wo ewig Frühlingslüfte wehen! Riefs und ging hinaus auf den Platz, wo die Miliz-Musik gerade eine Pièce aus der Afrikanerin spielte. Darüber kam der Abend heran und denselben verbrachten wir, d.h. der Engländer Herr B. vom Foreign Office und ich, gemeinschaftlich. Wir hatten viele Anknüpfungspunkte zusammen, abgesehen davon, dass er, wie jeder Engländer, sehr deutsch gesinnt war, kannte er fast alle meine Bekannten in London und ich die seinigen in Berlin, er war bei der letzten Reise der Königin nach Berlin in deren Gefolge gewesen. Wir durchliefen die verschiedenen Cafés, die Strassen und waren Abends einen Augenblick im Theater, wo zum Besten der Armen ein Ball gegeben wurde. Herr B. war ein ganz angenehmer Gesellschafter, sprach auch gut deutsch und französisch, jedoch konnte er es nie lassen, den Engländer herauszubeissen, wenn's an's Bezahlen ging; dann drang er den Leuten immer mit Gewalt die doppelte Summe auf, so dass Manche ihn sicher für verrückt hielten.
Wir weilten noch einen andern Tag in Philippeville; ich verbrachte ihn damit, die sehr merkwürdigen Alterthümer der Stadt zu besehen. Zum Theil bestehen dieselben aus grossartigen Cisternen, auf den Anhöhen, welche zu beiden Seiten die Stadt flankiren, gelegen. Es scheint, dass Philippeville unter der Römerherrschaft ausschliesslich sein Wasser das ganze Jahr hindurch aus Cisternen bezog, und selbst heute, wo die Franzosen den Ort durch eine Wasserleitung versorgt haben, wird noch ein grosser Theil der Stadt aus den antiken renovirten Wasserbehältern gespeist. Und noch alle Tage entdeckt man neue Reservoirs. So hat man ganz kürzlich noch hinter der Commandantur eine der grossartigsten alten Cisternen, vollkommen gut erhalten, blosgelegt; niemand hatte eine Ahnung davon seit den mehr als 30 Jahren, dass die Franzosen Philippeville besitzen. Die herrlichsten Bauüberreste von Philippeville finden sich da, wo heute das College hingebaut ist, und hier hat man auch das archäologische Museum eingerichtet. Ein Theater, halbzirkelförmig, wie ein ähnliches, aber viel kleiner, in Verona vorhanden ist, beherbergt jetzt eine Menge werthvoller Statuen, Sarkophage und Grabsteine, welche mit den zahlreichen, oft gut erhaltenen Inschriften dem Forscher ein ganzes Blatt aus der Geschichte vorlegen. Eine fast vollkommen erhaltene Statue eines römischen Imperators fesselte vor allem unsere Aufmerksamkeit. Herr Roger, der gelehrte Vorsteher des Museums, glaubt in derselben einen Hadrian zu sehen, Andere haben einen Caracalla darin erkennen wollen. Ich denke, dass der Grund des Herrn Roger, ein Vater-, Bruder- und Menschenmörder könne unmöglich eine so "ausgezeichnete, intelligente und gute Physiognomie gehabt haben," nicht stichhaltig ist. Die Geschichte zeigt, dass sehr häufig die körperlich bestgeformten Menschen die grössten Scheusale waren. Viel richtiger ist indess Herrn Rogers Behauptung, eine grosse Aehnlichkeit in den Gesichtszügen der Statue mit den dem Hadrian gewidmeten Münzen gefunden zu haben. Es sind noch mehrere andere Marmorstatuen aufgestellt, von denen es jedoch noch unsicherer ist, was sie vorstellen sollen. Ein einfacher Marmorsarkophag wurde, vollkommen gut erhalten, dicht bei Philippeville auf dem Wege nach Stora gefunden. Das Skelett befindet sich im Museum selbst. Andere Sarkophage mit Basreliefs, jedoch ohne Deckel, sind in grosser Zahl vorhanden. Die Capitäler vom schönsten corinthischen Laube lassen schliessen, wie reich das alte Rusicade war. Viele dieser Schätze sind aus der Umgegend hergebracht, zum grössten Theil jedoch in der Stadt selbst gefunden worden.
In der That muss das alte Rusicade, aus seinen Ruinen zu schliessen, ein viel bedeutenderer Ort gewesen sein, als wir nach den spärlichen Ueberlieferungen der Alten glauben sollten. Ptolemäus führt Rusicade nicht einmal als Colonie auf, aber durch die Peutinger'schen Tafeln erkennen wir die Bedeutung der Stadt aus den beigemalten Häuschen. Bei Pomp. Mela und Plinius geschieht ihrer Erwähnung. Nach Vibius soll dicht bei Rusicade der kleine Fluss Tapsus ins Meer gemündet sein, und dies ist offenbar der heutige ued Safsaf. Ihr erster Name scheint Thapsa, die Stadt überhaupt phönicischen Ursprungs gewesen zu sein. Im Alter war sie der Stadt Cirta von derselben Bedeutung, wie sie es heute als Hafenort für Constantine ist.
Der Alterthumsforscher findet aber seine eigentlichen Kleinodien im Museum selbst, und wenn das Gebäude auch schuppenartig aussieht, so birgt es doch manche Sachen, um welche es die Museen in London und Berlin beneiden würden. Erst auf Antrieb des Prinzen Napoleon im Jahre 1850 in's Leben gerufen zu der Epoche, wo dieser gelehrte und die Wissenschaften pflegende Prinz rein Rundschreiben an die Präfecten von Algerien richtete: "d'aviser à la conservation des ruines, vestiges et débris de la domination romaine," hat in der kurzen Zeit von nicht 10 Jahren, unter der sorgfältigen Hand des Herrn Roger das archäologische Museum einen raschen und blühenden Aufschwung genommen. Aber um ein solches Werk zu fördern, gehört auch eben ein Mann dazu, wie es Herr Roger ist. Ich hatte das Glück, von ihm selbst, der von Stand Architekt und Professor der Zeichnenkunst am Collegium in Philippeville ist, im Museum herumgeführt zu werden, und konnte mich überzeugen, mit welcher väterlichen Sorgfalt er jedes, auch das kleinste Object würdigte.
Und nicht nur hatte er seine Aufmerksamkeit auf alte römische Ueberreste oder Gegenstände aus der ersten Periode des Christenthums gerichtet; da finden wir prachtvolle Stalaktiten, Korallen, Krystalle aus der Umgegend der Stadt, eine Schädelsammlung, ethnographische Gegenstände selbst aus China; ja in letzter Zeit war es Herrn Roger gelungen, einen echten Tintoretto, den ein Malteser Marketender im Winde aushängen hatte, für's Museum zu erstehen, und das zu dem fabelhaft billigen Preise von 3 Francs. Es soll unzweifelhaft feststehen, dass das Bild von Tintoretto ist, und so würde es jetzt einen Werth von einigen Tausend Thalern erlangt haben.
Hauptsächlich reich ist die Sammlung von Lampen, einige davon auf dem Boden mit einem Kreuze versehen, ein Zeichen, dass sie der christlichen Zeitrechnung angehören; Thränenvasen, Amphoren, Aschenvasen sind in reichhaltigster Auswahl vorhanden, und täglich werden noch neue gefunden.
Ueberhaupt sind alle Haushaltungsgegenstände vorhanden, Schmucksachen, Küchengeschirr etc. Dass die Münzen nicht fehlen, versteht sich von selbst, und besonders ist es der Meeresstrand, der nach heftigen Stürmen oft eine reiche Ernte giebt für's Museum. Die meisten Münzen sind von Hadrian, dann von Antonin dem Frommen, Faustin, Maxentius, Constantin dem Grossen, Constantin dem Jüngern, Marcus Aurelius, Claudius II, Trajan, Vespasian, Alexander Severus und einzelne von allen Imperatoren. Sehr zahlreich sind die numidischen Münzen, alle daran kenntlich, dass sie auf einer Seite ein laufendes Pferd zeigen, meist nach links gerichtet.
Nachmittags besahen wir die Umgegend von Philippeville, welche überall einen lachenden Garten bildet, und selbst zur Winterzeit hatte der warme Regen in wenigen Tagen eine so üppige Vegetation hervorgerufen, dass der Frühling wirklich vor den Thoren zu sein schien. Die Bäume sind meistens Oliven, Korkeichen und Lentisken, und vom kleinerem Gebüsch findet man die Zwergpalme und Aloe; Zahlreiche kleine Dörfer umgeben die Stadt, es scheint aber keines in besonders blühendem Zustande zu sein; wenigstens sehen die, welche wir besuchten, nur kläglich aus. Will man von der einheimischen Bevölkerung sprechen, so fällt einem fast die Feder aus der Hand; die schreckliche Hungersnoth, welche so eben die Araber decimirt hat und jetzt freilich zu Ende ist, sprach noch aus den Augen fast jedes Individuums. Zerlumpt, schmutzig, der Körper nur aus Haut und Knochen bestehend, schleichen sie wie Phantome umher. Aber sie haben schon Alles vergessen und nichts gelernt, eine nächste Missernte wird ihnen ein gleiches Schicksal bereiten. Am Hafen lungerten immer Hunderte dieser halbnackten Kerle herum, und blickten mit stolzer Verachtung auf die arbeitenden Christen, ohne indess zu stolz zu sein, einem Fremden gleich die bettelnde Hand entgegenzustrecken.
Hr. B., der Engländer, kehrte noch Nachmittags an Bord zurück, das Wirthshaus war ihm zu schlecht, und da er seines kranken Zustandes wegen nicht gehen konnte, also fast die ganze Zeit auf das Hôtel d'Orient angewiesen war, konnte er auch nichts Besseres thun.
Ich selbst blieb mit meinen Leuten noch bis am andern Morgen und dann gingen wir zu Fusse nach Stora. Der Weg geht immer längs des Meeres und an zahlreichen Landhäusern, von hübschen Lustgärten umgeben, vorüber und bei jeder Drehung des Weges bietet er ein anderes Panorama, dass die vier Kilometer Entfernung ganz unbemerkt dahin schwinden.
Stora selbst ist ein kleiner Ort von einigen Häusern, und diese sind fast alle Schnapsläden oder Kaffeehäuser, aber auch eine Kirche und Schule fehlen nicht, beide hoch über dem Orte gelegen. Der Ort war auch schon in alten Zeiten besiedelt; eine grossartige Cisterne, von den Römern erbaut und jetzt renovirt, und eine reizende Marmorfontaine, am Meere gelegen und von der Cisterne gespeist, bezeugen dies hinlänglich. Noch heute hat die Cisterne Wasser genug für den ganzen Ort, und die Marmorfontaine strahlt das Wasser noch ebenso aus, wie zur Zeit der Römer. Von einem hohen Gewölbe überdacht, ein Gewölbe, welches halb in die Felswand gehauen und halb aus Ziegeln errichtet ist, aber auch aus den Römerzeiten herstammt, verbreitet die Fontaine eine so angenehme Kühle, dass ich hier mein Frühstück auftragen liess und die Zeit verbrachte, bis ich an Bord zurückging.
Von Zeit zu Zeit kamen die jungen Storenser Mädchen mit ihren Wasserkrügen, um sie zu füllen, fast alle barfuss und fast alle italienisches Blut, denn die eigentliche Volksschichte besteht hier meist aus Maltesern. Sah man aus der künstlichen Grotte heraus, so hatte man das schönste Bild vor Augen; der ganze herrliche Golf, im Hintergrunde Philippeville, die auf den Wellen schaukelnden Dampfer, zahlreiche kleine Fischerboote mit ihren grossen lateinischen Segeln--tagelang hätte ich in diesem Zauberneste bleiben mögen. Aber die Stunde schlug, der alte Bootsmann bemächtigte sich des Gepäckes, und wir ruderten wieder auf unsern Caid los.
Am andern Morgen, der Dampfer war schon gegen Mitternacht angekommen, lagen wir auf der Rhede von Bone.
Stolz lag die Tochter des alten Ortes Hippo regius vor uns. Hatte der heilige Augustin wohl geahnt, dass einst nach 1000 Jahren hier wieder das Evangelium gelehrt werden würde?
Bone liegt jetzt ganz auf der Stelle des alten Hippo, von dem wir wissen, dass es 5 M. nordwestlich von der Mündung des Ubus- (Seibouse-) Flusses gelegen war. Der Name Bona, der schon im zwölften Jahrhundert erscheint und offenbar von [griechisch: hippôn basilikos] gebildet ist, hat jetzt sich in das französische Bone verwandelt. Von den Tyriern angelegt, ist der Name Hippo phönicischen Ursprunges. Zuerst den Carthagern botmässig, wurde von den Römern der Ort Massinissa und seinen Nachfolgern überlassen, und erhielt zu dieser Epoche den Beinamen regius, theils um nun dies Hippo von dem nahen Hippo Zaritus zu unterscheiden, theils weil es oft Sitz der numidischen Könige selbst war. Als die Römer sich später selbst dieses Landes bemächtigten, blieb Hippo noch eine bedeutende, indess wenig beachtete Stadt; aber die Häuschen der Peutinger'schen Tafel beweisen auch hier zur Genüge die Ansehnlichkeit des Ortes.
Der heilige Augustin, der in Tagasta geboren, in Carthago erzogen, hier als Bischof wirkte, war es, der hauptsächlich die Christen zu jener heldenmüthigen Vertheidigung gegen den Vandalen Genserich anspornte. Sein Gebet, nicht in die Hände der Barbaren zu fallen, sollte erfüllt werden: im 3. Monat der Belagerung starb er. Hippo Regius wurde dem Boden gleich gemacht; aber Augustin, einer der grössten Kirchenväter, würde allein das Andenken an Hippo bewahrt haben, wenn nicht in der Neuzeit die grossartigen Ruinen, die selbst dem Vandalismus nicht erliegen konnten, Zeugniss von der einstigen Blüthe dieses Ortes gegeben hätten.
Ich nahm sogleich ein Boot und liess mich ans Land setzen, da wir bis Nachmittag Zeit hatten, und die Strassen der Stadt durchlaufend, kam ich bald ans andere Ende, wo unter einem alten Aquäduct hindurch und zwischen lachenden Gärten liegend der Weg zur Pepinière führt. Fast jede Stadt Algeriens hat eine Pepinière oder Baumpflanzschule. Meist sind dieselben zu vollkommenen Jardins d'essai ausgebildet, und haben somit für die Colonisation das Gute, dass die Pflanzer sich nicht mit unnützen Versuchen abzumühen brauchen. Gedeiht ein Baum gut, oder sieht man namentlich nützliche Pflanzen im Klima Algeriens anschlagen, so wird das öffentlich bekannt gemacht und Sämereien oder Stecklinge zur Disposition der Pflanzer gestellt. Es ist dies gewiss ein sehr nützliches Unternehmen der Communalbehörden, und namentlich der grosse Garten dieser Art von Algier selbst hat grosse Verdienste um Einführung früher nicht gekannter Pflanzen.
Es würde überhaupt zu weit gehen, zu sagen, "der Franzose versteht ganz und gar nicht zu colonisiren". Der französische Bauer ist, namentlich der aus dem Norden, ebenso fleissig, wie andere, und die Bearbeitung wird von den einzelnen ebenso rationell betrieben, wie von uns. Auf den meisten grösseren Farmen wird jetzt Dampf als Hauptarbeitungsmittel angewendet, und die Irrigationen, welche man in Algerien findet, sei es durch Canalisation oder durch das Noria-System, sind bewundernswerth. Will es trotzdem mit der Colonisation nicht recht vorwärts gehen, so liegt das theils an der Militär-Administration, theils an der Einrichtung der Bureaux arabes, welche die Eingeborenen fortwährend auf Kosten der Europäer bevorzugen. Strassen durchziehen sonst nach allen Richtungen das Land, und die Hauptörter werden demnächst durch Eisenbahnen miteinander verbunden sein.
Der Garten ist gross und gut gehalten, und birgt in seinem Innern ein kleines naturhistorisches Museum, das indess nichts besonderes aufzuweisen hat. Ein alter römischer Sarkophag, erst kürzlich hieher gebracht, ist die einzige Reliquie des Alterthums, die man hier aufbewahrt, obschon sonst die Gegend an Ueberresten der Phönicier, Carthager, Römer und Byzantiner überreich ist.
Durch einen glücklichen Zufall erfuhr ich, dass General Faidherbe hier stationirt war, er war es eben, der den Sarkophag hieher hatte transportiren lassen. Die Bekanntschaft dieses ausgezeichneten, so hoch um die Geographie von Afrika[2] verdienten Mannes musste also rasch gemacht werden, und ich liess mich auf das Hôtel der Subdivision, welche Hr. Faidherbe jetzt commandirte, führen. Ich brauche wohl kaum zu sagen, wie zuvorkommend ich vom General empfangen wurde, ich durfte ihn natürlich während der Stunden meines Aufenthaltes nicht mehr verlassen, und nach dem Frühstück hatte er die Güte, mich nach den sehenswerthesten Ruinen der Umgegend zu führen, hauptsächlich zu den grossen Cisternen, oder vielleicht waren es Bäder, an deren oberen Partie man dem heiligen Augustin ein hübsches Denkmal errichtet hat. General Faidherbe, der lange Zeit am Senegal Gouverneur war, theilte vollkommen meine Ansicht, dass die Neger, wenigstens die nördlich vom Aequator, ein viel besseres Naturell als die Araber hätten, und für Cultur und Civilisation weit empfänglicher als diese seien. Er hat sich hauptsächlich mit ethnographischen Studien beschäftigt und wir verdanken ihm manche wichtige Aufschlüsse über die Pullo und namentlich verschiedene Berberstämme. Herr Faidherbe war so aufmerksam, mich bis an Bord zurückzubegleiten, und so konnten wir bis zum letzten Augenblicke zusammen sein. Gastfrei, zuvorkommend und liebenswürdig, das sind Eigenschaften, welche man nirgends so sehr wie bei den Franzosen antrifft.
Die Fahrt nach Tunis ging glücklicherweise rasch von Statten, schon andern Morgens ankerten wir vor der Goletta. Nach einem Augenblick kam der Canzler des preussischen Consulats an Bord, um mich in Empfang zu nehmen; denn um nicht die Unannehmlichkeiten der Tuniser Douane durchmachen zu müssen, hatte ich von Bone aus telegraphirt und um den Consulatskavassen gebeten. Nicht nur brachte der Canzler einen Kavassen mit, sondern auf Befehl des Bei von Tunis hatte der Admiral des Hafens von Goletta eine Barke zur Disposition stellen müssen, um uns an's Land zu rudern. Ohne weitere Formalitäten konnte also gleich das Ausbarkiren vor sich gehen, und die zehn Marine-Soldaten brachten uns rasch an's Land. Ich bemerkte hier, dass die tunisische Flage nicht die des Sultans der Türkei ist, während dieser nämlich einen weissen Halbmond und Stern im rothen Felde führt, hat der Bei von Tunis im rothen Felde eine weisse Kugel, und darin einen rothen Halbmond und einen rothen Stern.
Gelandet, mussten wir dann dem Admiral aufwarten, und machten da zugleich die Bekanntschaft des englischen Generalconsuls, Hrn. Wood, und des französischen Viceconsuls von Goletta. In Tunis ist man schon von der Sitte des Kaffee's und Tschibuks abgekommen, eine Visite verläuft dort bei den höheren Beamten oder bei dem Bei jetzt mit derselben Steifheit wie bei uns.
Bei den Türken und namentlich in den türkischen Provinzen herrscht aber noch die gute alte Sitte einer Tasse Kaffee, und ein Tschibuk oder eine Wasserpfeife fehlen nie. Es ist dies aber nicht die einzige Umwälzung, die in Tunis vor sich gegangen. Seit der Mission des Lords Exmouth nach Tunis, und seit dem Ultimatum, welches die Grossmächte von Aachen aus am 18. Novbr. 1818 an Tunis richteten, und das im folgenden Jahre am 21. Septbr. durch die englischen und französischen Admirale Freemantle und Jurien dem Bei notificirt wurde, schaffte man zuerst die Piraterie ab. Mahmud Bei gab nach, und seit der Zeit sehen wir gewaltige Veränderungen in der Regentschaft vor sich gehen.
Es ist wahr, dass mit dem Vorfahren der jetzigen Dynastie, Hussein ben Ali, welcher am 10. Juli 1705 auf den Thron kam, eine neue Epoche im Staatsleben der Regentschaft begann; denn vorher, und dies ist wichtig zu notiren, hatten alle Regenten von Tunisien den Titel Dei geführt, während Hussein ben Ali zuerst den Titel Bei annahm. Dei nun bedeutet den nicht vollkommen unabhängigen Herrscher, während Bei, welches ausserdem einen sehr weiten Begriff hat, als Regent mit Ausschluss eines jeden andern, die Vollheit der Autorität in sich begreift. Wenn nun auch in der Reihe der Regenten, welche von Hussein-ben-Ali (der, beiläufig gesagt, der Sohn eines griechischen Renegaten war) bis auf den jetzigen Bei, Namens Sadduk, bei Zwistigkeiten, früher mit der Regierung des Deis von Algier, später mit christlichen Mächten, manchmal die hohe Pforte um Intervention angegangen wurde, ja im Kriege gegen Russland das tunisische Gouvernement es sich nicht nehmen liess, der Türkei ein Hülfsheer zu senden, so sieht man immer doch, dass die Regierung in dem Sultan der Türken nur eine Art spirituelle Suprematie erkennen, keineswegs aber von ihm abhängig sein will.
Seit dem Anfang des 18ten Jahrhunderts ist denn auch gar kein Tribut mehr nach Konstantinopel bezahlt worden, und die Nachfolge in Tunis geht ganz ohne Einmischung der Pforte vor sich. Nach Eroberung von Algerien hat keine Macht die Unabhängigkeitsgelüste von Tunis so sehr unterstützt und befördert wie Frankreich, und keine Macht hat dieselben so viel wie möglich einzuschränken gesucht als England. Ersteres Land ging dabei von dem Grundsatz aus, dass ein kleines unabhängiges Land, noch dazu nächster Nachbar, im gegebenen Augenblick leichter zu nehmen sei, als wenn ein gewisses Abhängigkeitsverhältniss zu einem andern Staat, und hier zur Pforte, bestände. Und aus eben diesem Grunde hat England die Beziehungen von Tunis zur Türkei wieder enger zu machen versucht.
Tunis, das gerne vollkommen unabhängig sein möchte, zugleich aber auch das Gefährliche einer solchen Lage Frankreich gegenüber erkannt hat, schwankte in den letzten Jahren von einer Seite zur andern, dazu kam die schreckliche Finanznoth, welche freilich noch nicht beseitigt ist.
Es scheint aber, dass jetzt die Regierung von Norddeutschland im Verein mit England und Italien den französischen Planen gewachsen ist, ohne dass Tunis genöthigt wäre, sich wieder in die Arme der Türkei zu werfen. Wenigstens wurden die letzten Anschläge der französischen Regierung in Betreff der Schuldforderung von diesen drei Mächten hintertrieben; ohne die kräftige Intervention von England, Norddeutschland und Italien wäre Tunis heute eine französische Präfectur und zwar auf ganz friedlichem Wege geworden. Wenn man aber bedenkt, wie wichtig strategisch Tunis für das mittelländische Meer gelegen ist, und was Frankreich durch den Zuwachs einer solchen Provinz gewonnen hätte, dann kann man sicher nicht genug darauf bedacht sein, eine Vergrösserung Frankreichs nach dieser Seite hin zu verhindern.
Ob je Tunis seinem Schicksal entgehen wird, einer europäischen Macht anheim zu fallen, das bezweifle ich. Eigentliche Civilisation ist hier ebenso wenig wie in Aegypten und in der Türkei, und es wird von der Nachwelt gewiss als eines der grössten Wunder betrachtet werden, dass solche Staaten im 19ten Jahrhundert vor den Thoren Europa's haben existiren können.
Staunen wir nicht darüber, wenn wir lesen, dass im Jahr 1823 n. Chr. in Tunis es fast zum Bruch mit der englischen Regierung gekommen wäre, weil die Juden anfingen, sich europäisch zu kleiden und namentlich sich des Hutes bedienten, ja im selben Jahre für dasselbe Verbrechen, d.h. einen schwarzen Cylinder getragen zu haben, zwei Juden in Tunis die Bastonade bekamen und nur mit Mühe durch Hrn. Nylsen, dem holländischen Consul, welcher derzeit Toscana vertrat, ihre Freilassung erlangten. Aber solche Sachen passiren noch alle Tage, wenn auch nicht so eclatant und öffentlich.
Zwei Wagen, die Hr. Tulin, schwedischer General-Consul und preussischer Agent, herausgeschickt, brachten uns in anderthalb Stunden von der Goletta nach Tunis selbst. Der Weg war, da es seit Tagen geregnet hatte, entsetzlich, und je näher wir der Stadt kamen, desto bodenloser wurde er. In der Stadt selbst waren denn die Strassen auch ganz ein Schmutzmeer; es war, als hätte man sie mit Chocolade einen halben Fuss hoch begossen. Eine mohammedanische Stadt kann ich mir nun einmal nicht ohne Schmutz denken, und es würde mir selbst befremdend vorgekommen sein, wenn dem nicht so gewesen wäre; mich amüsirte nur mein Berliner Photograph, der fortwährend ausrief, dass es unter den Linden doch ganz anders sei. Damit man durch diese Schmutzüberschwemmung zu Fuss hindurchkommen kann, hat die europäische Colonie in Tunis ein eigenes Schuhwerk erfinden müssen, hohe Holzschuhe, welche auf noch höheren eisernen Ringen ruhen, und die man mit Lederriemen unter sein Schuhwerk bindet.
Leider sollte es mir nur vergönnt sein, in Tunis eine Nacht zu bleiben, denn die Fahrten der Dampfer waren der Art eingerichtet, dass ich ohne einen Verzug von zehn Tagen den am folgenden nach Malta abfahrenden nicht versäumen durfte. Ich machte indess hier die interessante Bekanntschaft des Herrn von Maltzan, welcher sich Studien halber für längere Zeit in Tunis aufhielt.
Baron von Maltzan, schon seit Jahren an der Nordküste von Afrika und in Arabien heimisch, ein poetisches Gemüth, was seinen Reisebeschreibungen allerdings einen eigenen Reiz verleiht, andererseits aber auch eben der poetischen Auffassung wegen Abbruch thut, hat der Wissenschaft einen grossen Dienst gethan durch Veröffentlichung seines Werkes über Sardinien. Offenbar einer der besten Kenner der phönicischen Sprache und Alterthümer, hat Niemand in Deutschland so sehr auf den Reichthum, den Sardinien in dieser Hinsicht birgt, aufmerksam gemacht, wie Maltzan.
Zu gleichem Zwecke hielt er sich in Tunis auf; bot doch die Stätte des alten Carthago eine wahre Fundgrube für unseren gelehrten Phönicier. Zudem hatte er entdeckt, dass der Sohn des Chasnadar ein ganzes Museum phönicischer Alterthümer besässe mit kostbaren Inschriften. Nach vielen Schwierigkeiten gelang es Hrn. von Maltzan, Einsicht dieses Museums zu bekommen, aber alle seine Bemühungen, Photographieen der interessanten und wichtigen Inschriften machen zu dürfen, sind bis jetzt gescheitert.
Die Bevölkerung von Tunis machte indess einen ebenso peinlichen Eindruck, wie die der algerischen Provinz, man sah, dass Cholera und Hungertyphus hier gewüthet hatten. Dazu die grösste Insolvenz der Regierung, alle Beamten von oben bis unten, das ganze Heer und die Marine hatten seit zwei Jahren keinen Lohn erhalten. Diese Thatsachen sprechen laut genug, wie es um den tunisischen Staat bestellt ist. Möge die Finanzcommission, zusammengesetzt aus Norddeutschland, England, Frankreich und Italien, von der man jetzt Rettung und baldiges Eintreffen erwartet, nicht lange auf sich warten lassen.
Der Rückweg nach Goletta und die Einschiffung ging auf dieselbe Weise von Statten, nur dass wir diesmal an Bord eines Dampfers kamen, der gerade doppelten Tonnengehalt hatte, wie die Germania, welche so eben die erste deutsche Nordpolfahrt zurückgelegt hat.
Man kann sich denken, wie wir an Bord dieser Nussschaale herumgeworfen wurden, aber wir hatten einen englischen Capitän, der Rio-Janeiro, Canton, Danzig, Stettin und andere Häfen gesehen hatte, also ein alter Seelöwe war; und trotz eines Sturmes, welcher auf dem Mittelmeere gar nicht spasshaft ist, kamen wir gut über.
Aber wie sah es oft in der engen Cajüte aus! Der alte Capitain hatte nämlich das Steckenpferd, sich eine ganze Menagerie an Bord zu halten, diese bestand aus seiner Frau, vielen Hunden, Katzen, Hühnern, Vögeln, Enten und anderen Vier- und Zweifüsslern. Das Sonderbarste war, dass alle Thiere einen Namen hatten--da war ein Neufundländer Nelson, eine schlaue Katze, die Napoleon hiess, andere Thiere Wellington, Blücher, Malborough etc.; bitter beklagte indess der alte Capitän, dass Bismarck desertirt sei.
Ich konnte Bismarck das nun gar nicht verdenken, denn wenn bei einem besonders starken Wellenschlage alle diese Thiere mit Bänken und Schüsseln in der Cajüte umhertanzten, gehörten mehr als starke Nerven dazu, um es auszuhalten. Abends 8 Uhr am 28. November warfen wir Anker im Hafen von La Valetta, und waren einige Augenblicke später wieder auf europäischem Grund und Boden.
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Im freundlichen Imperial-Hôtel in Lavaletta abgestiegen, mussten wir nun freilich in Malta längere Zeit bleiben, als wir, wenn es nach unserem Wunsche gegangen wäre, beabsichtigt hatten; aber mit Malta hat der regelmässige Verkehr ein Ende, wenigstens wenn man nach Tripolis will, und man muss sich den Launen der türkischen Dampfschiffs-Eigenthümer, sowie dem Wetter fügen.
Indess kann man die Zeit in Lavalletta und Malta recht gut hinbringen. Freilich bietet die Stadt für einen Nichtmilitair des Interessanten nicht viel. Das Palais des Gouverneurs, ehemals das des Grossmeisters der Johanniter, die Johanniskirche, einige Palläste der ehemaligen Zungen, besonders das castilianische Hôtel, einige hübsche Promenaden, zwei Bibliotheken, endlich Oper und einige Clubs gewähren wohl für einige Tage dem Fremden Unterhaltung, wer aber all dies von früher her schon kennt, und ich war nun schon verschiedene Male in Lavalletta gewesen, der sehnt sich nach etwas Anderem. Dazu kömmt nun noch, dass an keinem Orte von Europa die Familien so abgeschlossen und für den Fremden schwer zugänglich sind, als in Malta. Längere Zeit unter der Herrschaft der Araber, wie ja auch heute noch die Volkssprache auf Malta ein arabischer Dialekt ist, halten die Familien ihr Haus dem Fremden fast so fest verschlossen, wie es der Mohammedaner einem nicht zu seiner Sippe Gehörigen thut, und trotzdem ich mehrere Bekannte in Lavalletta hatte, war es mir nie gelungen, Eingang zu ihren Familien zu bekommen. Natürlich nehme ich die dort residirenden Engländer hiervon aus, welche auch hier wie überall ihre gastlichen Eigenschaften beibehalten haben.
Wer nun aber längere Zeit einen gezwungenen Aufenthalt auf diesen Inseln haben sollte, der bleibe nicht in der Stadt, sondern mache Ausflüge, und ob er diese zu Fuss mache, oder mit jenem antiken Einspänner ohne Springfedern, er wird seine Spaziertouren nicht bereuen. Malta hat die lieblichsten Buchten, viele interessante Ruinen aus phönicischer Zeit, von denen ich hier nur Hedjer Kim, Mnaidra und die merkwürdige natürliche Einsenkung Makluba nenne. Auch Gozzo mit seinem ebenfalls aus phönicischer Zeit stammenden Riesenthurm ist eines Besuches werth; kurz wenn man nicht seinen Aufenthalt auf Lavalletta selbst beschränkt, kann man 14 Tage recht gut auf Malta hinbringen.
Erst am 11. December war der "Trabulos Garb", ein türkischer Dampfer, welcher dem Schich el bled von Tripolis gehört, segelfertig. In den Wintermonaten ist es gar nicht angenehm und oft sehr gefahrvoll auf dem Mittelmeere, und Jeder erinnert sich noch wohl der heftigen Stürme, welche gerade in dem Monat auf unserer Hemisphäre stattfanden. Zudem kam noch, dass "Trabulos Garb" so eben erst eine unheilvolle Katastrophe erlebt hatte: Von Smyrna abgehend mit für Tripolitanien bestimmten Soldaten, sprang der Kessel noch ehe der Dampfer den Hafen verlassen hatte. Der Maschinist, die Heizer und über 50 Soldaten waren augenblickliche Opfer, wie viele aber noch später starben infolge von Verwundungen, hat man nie erfahren können; in dem türkischen Reiche kümmert man sich um dergleichen nicht. Andererseits bot jedoch jetzt das Dampfschiff eine gewisse Garantie, denn in den Docks von Lavalletta mit einem neuen Kessel versehen, durfte man annehmen, dass das Schiff nur seetüchtig entlassen worden sei. Ueberdies war es das einzige Mittel, um nach Tripolis zu kommen, wenn man nicht mit einem Segelschiffe, die im Winter jedoch noch weit gefährlicher und unsicherer sind, die Fahrt hätte machen wollen.
Die Einpackung und Verladung der vielen Kisten hatte unser norddeutscher Consul, Hr. Ferro, schon besorgt, und überhaupt während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Malta sowohl als auch später in Tripolis nicht aufgehört, auf das Liebenswürdigste sich meiner Sache anzunehmen.
Unsere Ueberfahrt nach Tripolis war eine sehr gute, schon nach 30 Stunden erreichten wir das afrikanische Ufer. Oea mit seinen grossen Palmenwäldern lag vor uns, und einen Augenblick später konnten wir schon die einzelnen Häuser unterscheiden. Angesichts der Stadt, liess ich mit Bewilligung des Capitains unsere norddeutsche Flagge am Hauptmaste aufhissen, es war das erste Mal, dass sich dieselbe vor Tripolis zeigte; für meine vielen Freunde und Bekannten daselbst sollte es zugleich ein verabredetes Zeichen sein, dass ich mich an Bord befände. Und kaum hatte man unsere Flagge bemerkt, als sämmtliche Consulatsfahnen an ihren hohen, langen Mastbäumen emporstiegen. Nirgends ist wohl unsere deutsche Flagge ehrenhafter und freudiger bei ihrem ersten Erscheinen begrüsst worden; die Stadt hatte ihr sonntäglichstes Aussehen angenommen. Die Formalitäten des Passes, der Douane und der Sanitätspolizei waren rasch durchgemacht, und kurz nachdem wir Anker geschmissen hatten, konnten wir landen.
Die Ankunft des Dampfers, der zugleich die verschiedenen Posten aus Europa bringt, ist für eine so abgelegene Stadt wie Tripolis immer ein Ereigniss, und die ganze Stadt findet sich dann am Quai des Hafens versammelt; auf diese Art konnte ich auf Ein Mal fast meine sämmtlichen Bekannten begrüssen, fast alle waren auf dem Quai versammelt.
Ich hielt mich nicht lange in der Stadt auf, sondern fuhr gleich nach der Mschia hinaus, wo Consul Rossi mit bekannter Liebenswürdigkeit seinen Landsitz zu meiner Disposition gestellt hatte. Tripolis hatte einen weiteren Schritt in der Civilisation gemacht: es hatte ein Fuhrwerk bekommen, eine kleine Malteser "Kascha", welche Droschkendienst verrichtete. Früher hatten nur der Pascha und einige der Consuln Wagen, jetzt konnte sich jeder, wer einige Piaster über hatte, das Vergnügen des Fahrens machen, und oft genug sah man elegant gekleidete Judendandi's, die noch vor wenigen Jahren baarfuss bei jedem Moslim vorbeigehen und sich jedwede Schmach von einem fanatischen Druisch gefallen lassen mussten, die Kascha benutzen, und durch Extrabakschische angefeuert, fuhr der Kutscher sie zum Aerger der Rechtgläubigen in rasender Geschwindigkeit über den Grossen Platz, zwischen Stadt und Mschia.