Mein Kind - Diana Petersen - E-Book

Mein Kind E-Book

Diana Petersen

4,8

Beschreibung

Felix Behnke wird der Boden unter den Füßen entrissen, als er von dem Verschwinden seiner siebenjährigen Tochter erfährt. Die Polizei schließt eine Entführung nicht aus. Auf der verzweifelten Suche nach der kleinen Emma häufen sich die Überfälle auf die Familie Behnke und diejenigen, die ihnen nahe stehen...

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Für Christina und David

Inhaltsverzeichnis

Prolog

12. Oktober 2012

13. Oktober 2012

Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 2012

14. Oktober 2012

15. Oktober

Nacht 15. / 16. Oktober

16. Oktober

17. Oktober

18. Oktober

19. Oktober

20. Oktober

Sonntag 21. Oktober

August 2007 – November 2010

Sonntagabend 21. Oktober 2012

Nacht Sonntag auf Montag

Montag 22. Oktober

Dienstag 23. Oktober

Samstag 9. Februar 2013

Sonntag 10. Februar

Epilog

Prolog

September 2010

Yvonne sah auf ihre Armbanduhr. Sie zeigte nicht nur die Uhrzeit, sondern auch ihre Geschwindigkeit und die Strecke, die sie bereits zurückgelegt hatte.

Es war 17: 26 Uhr. Sieben Kilometer hatte sie bereits geschafft. Normalerweise schaffte sie zehn, doch jetzt blieb sie stehen und stützte ihre Hände auf die Knie. Durch das Dach der Blätter fielen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn und klebte ihr das T- Shirt an den Rücken. Yvonne atmete tief. Der Atem blieb vor ihr in der kalten Herbstluft hängen. Irgendwie war heute der Wurm drin. Sie hätte es wissen müssen. Als sie den Waldrand erreicht hatte und aus dem Auto ausgestiegen war, war sie über einen Ast gestolpert. Sie hätte direkt umkehren und Heim fahren sollen. Ihr Knöchel schmerzte immer noch. Irgendwo in der Ferne raschelte und knackte es. Wahrscheinlich ein Tier. Yvonne richtete sich auf, und ließ ihren Blick durch das Dickicht schweifen. In ihrem Kopf pochte es unangenehm und sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören. Sie griff sich an den Hals und tastete nach der Pfeife. "Rocky", rief sie und blies in das silberne Mundstück. Ein hoher Ton erklang, doch nichts regte sich. Wann hatte sie den Golden Retriever aus den Augen verloren? Normalerweise lief er nie weit weg. Er kehrte regelmäßig zu ihr zurück, um sich zu vergewissern, dass er sie nicht verloren hatte. Rocky war seit drei Jahren Yvonnes täglicher Begleiter und ihr bester Freund.

Nach dem Tod ihrer Eltern vor fast vier Jahren hatte ihr ein Freund einen Retrieverwelpen besorgt, damit sie sich nicht so einsam fühlte. Rocky hatte ihre Eltern natürlich nicht ersetzen können, aber dieser Hund war alles was Yvonne noch hatte, und einer der wenigen auf dieser Welt, der sie liebte und verstand. "Rockyy", rief sie ein zweites Mal, jetzt energischer. Nichts. Wieder und wieder blies sie in die Hundepfeife, doch von Rocky fehlte jede Spur.

Das Herz schlug hart gegen Yvonnes Rippen. Sie wusste, dass nicht das Training der Grund für ihr Herzklopfen war. Panik stieg in ihr auf. Sie lief wieder los, diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Ihre Oberschenkel schmerzten, jeder Muskel schrie. "Rocky, Rockyyy", rief sie bis ihre Stimme versagte, weil die Panik ihr die Kehle zuschnürte. Yvonne begann zu zittern. Tränen liefen ihr heiß über das verschwitzte Gesicht. Wieder und wieder blies sie in die Pfeife. Hektisch drehte die junge Frau sich um die eigene Achse, blickte in alle Richtungen, lauschte auf das kleinste Geräusch. Rocky blieb verschwunden. Yvonne riss sich ihren Schal vom Hals, weil sie glaubte zu ersticken. Ihr Fuß schmerzte. Sie rannte weiter, begann haltlos zu schluchzen. Ihre Kräfte versagten und Yvonne knickte erneut um. Sie hörte ein Übelkeit erregendes Geräusch als ihr die Bänder rissen und sie zu Boden fiel. Der Waldboden war unerwartet weich. Unbewusst verzog Yvonne das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse. Sie heulte. Lautlos. Sie wollte schreien, doch kein Laut drang aus ihrer Kehle. Da hörte sie es. Ein Bellen. Es hallte von den Bäumen wider. "Rocky", flüsterte Yvonne hoffnungsvoll und blies ein weiteres mal in die Pfeife. Rocky antwortete. Er konnte nicht sehr weit sein. Beruhigt setzte Yvonne sich auf und schämte sich für ihre Panik. Sie verhielt sich so albern. Deshalb hatte sie kaum mehr Freunde.

Seit ihre Eltern unerwartet ums Leben gekommen waren, glaubte sie überall das Böse zu sehen. Niemand hatte Verständnis für ihre Hirngespinste, manchmal nicht einmal sie selbst.

Sie versuchte sich hinzustellen, fühlte wie ihr Knöchel anschwoll. Vorsichtig öffnete sie ihren Schuh. Der Fuß maß bereits das doppelte als noch vor wenigen Sekunden. Doch Yvonne konnte stehen und sich humpelnd fortbewegen. "Rocky", rief sie wieder und diesmal glaubte sie seine bellende Antwort aus nächster Nähe zu hören. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und hielt den Atem an, um zu hören aus welcher Richtung der Retriever kam. Sie konnte den Wind hören, der die Blätter rascheln ließ, die Motoren der Autos in weiter Ferne, aber keine trappelnden Hundepfoten. Sie drehte sich um neunzig Grad, stellte sich gegen den Wind und lauschte erneut. Autos, der Wind, ein Bellen. Wieder rief sie nach dem Hund. Ein erneutes Bellen, diesmal keine Antwort auf ihren Ruf, es klang anders. Panisch, um Hilfe rufend. Das Bellen des Hundes wurde schriller. Wieder begann Yvonne am ganzen Körper zu zittern. Panik ließ sie flach atmen. Vielleicht würde sie wirklich ersticken. 'Konzentrier dich', sagte sie sich selbst. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf das, was sie hörte. "Rocky", diesmal reichte ihre Stimme nur für ein Flüstern.

Ein Bellen, ein Quieken. Stille.

Sie fühlte wie ihre Sinne sie verließen. Ihre Beine gaben nach, doch bevor sie auf dem Boden aufschlug, wurde ihr schwarz vor Augen.

12. Oktober 2012

Ein Polizeiauto stand am Straßenrand. Das Blaulicht war nicht eingeschaltet. Keine Sirene war zu hören. Es hätte das Auto von jedem sein können, wenn nicht dick POLIZEI darauf gestanden hätte.

Felix zitterten die Hände, als er seinen BMW auf die Auffahrt des Hauses lenkte, das einmal seins gewesen war. Ein großes Haus, für eine große Familie. Der Garten noch größer und einfach traumhaft. Es war sein Traum gewesen. Dieses Haus, der Garten, Liliana und Emma. Er war schon vor einiger Zeit zerplatzt. Vor genau vier Jahren, als Liliana plötzlich die Scheidung gewollt hatte. Er hatte gewusst, dass er Emma nicht bei sich behalten konnte. Er hätte zu wenig Zeit für seine Tochter gehabt, deshalb hatte er Liliana das Haus überlassen. Sie sollte Emma dort aufziehen. Ihr eine Kindheit ermöglichen, die er nie gehabt hatte. Doch auch der Traum von einer perfekten Kindheit für Emma war zerplatzt.

Lilianas Stimme hatte gepresst geklungen, sie hatte kaum einen zusammenhängenden Satz heraus bekommen ohne in haltloses Schluchzen zu verfallen. Vor genau einer Stunde hatte Felix ihren Anruf erhalten und auch ohne sie zu verstehen gewusst, dass etwas schreckliches geschehen war. Emma war verschwunden. Sie war nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Eine Siebenjährige brachte man zur Schule und holte sie auch wieder ab. Das hatte er immer gesagt. Doch Liliana wollte ihre Tochter schon früh zur Selbstständigkeit erziehen. Sie waren oft verschiedener Ansichten was Emmas Erziehung anging. Doch auch wenn man diese Meinungsverschiedenheiten außer Betracht ließ, war Liliana nie eine gute Mutter gewesen. Keine mit der Felix Kinder groß ziehen wollte. Sie war nicht die Frau, die er sich für sein Leben erträumt hatte.

Warum er sie geheiratet hatte? Manchmal findet man keine Antworten auf einige Fragen. Fragen, die man sich ohnehin nicht stellen sollte. Dass das Leben nicht immer so verlief wie man es sich schon seit frühester Kindheit erträumt hatte, hatte Felix schon des öfteren schmerzhaft erkennen müssen. Doch heute dachte er, dass er sich vielleicht getäuscht hatte. Ein freudloses Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er sich selbst sagte, dass einige Träume wohl doch wahr werden konnten. Denn sein schlimmster Alptraum hatte sich bewahrheitet. Emma war verschwunden.

Felix schaltete den Motor aus und schloss die Augen. Sein Herz hämmerte wie schon damals zu seiner Hochzeit. Vielleicht hätte es ihm eine Warnung sein sollen. Er konzentrierte sich auf seinen Atem, fuhr sich mit der Hand durch das, in den letzten Jahren dünn gewordene Haar, und eilte zur Eingangstür des Hauses. Liliana empfing ihn mit blutunterlaufenden Augen. Die Tränen hatten ihre Schminke in langen Fäden das schöne Gesicht hinuntergezogen. Schluchzend fiel sie Felix um den Hals. "Die Beamten sagen, sie leiten eine Fahndung ein, weiß der Teufel, wie lange das dauern soll. Es dauert viel zu lange. Wieso passiert nichts?", flüsterte sie ihm mit einer Stimme ins Ohr, die erschöpft und rauh war vom vielen Weinen und unnötigem Gerede.

Er griff nach Lilianas Schultern und schob sie sanft doch bestimmt von sich weg. Er bemühte sich ruhig zu bleiben, blickte in ihre fast schwarzen Augen.

"Beruhig´ dich. Bist du sicher, dass sie nicht zu einer Freundin gefahren ist?"

Ärgerlich wand Liliana sich aus seinem Griff. Sie war stark durch den vielen Sport, der ihr immer wichtiger zu sein schien als ihre Familie.

"Ich habe alle angerufen, bin stundenlang durch die Gegend gefahren und habe jeden verdammten Menschen in ganz Handewitt angesprochen."

Ihre Stimme wurde schrill. "Sie ist weg, Felix. Verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt."

Ihr schlanker Körper, trotz der definierten Muskeln doch so zerbrechlich, begann zu zittern, als sie ein erneuter Heulkrampf schüttelte. Felix packte sie am Arm und trug sie mehr, als dass er sie stützte hinein ins Wohnzimmer. Zwei Männer in Uniformen saßen an dem großen Esstisch auf der linken Seite des Raumes.

Er beachtete sie nicht, trug die Frau, die ihm einmal so viel bedeutet haben musste, zur rechten Seite des Wohnzimmers und setzte sie auf die einladende Couch.

"Herr Behnke?", der größere der beiden Polizisten hatte sich von seinem Stuhl erhoben.

"Ja, das bin ich", Felix reichte erst ihm, dann seinem Kollegen die Hand. Der fremde Mann mit der Uniform stellte sich als Sören Christiansen und seinen Kollegen als Jens Jannsen vor. Sören Christiansen machte eine Geste mit der Hand, mit der er andeutete, dass Felix sich setzen sollte.

Diesem entfuhr ein verächtliches Schnauben. Wenn jemand das Recht hatte einem anderen in diesem Haus einen Platz anzubieten, dann er, Felix. Es war sein Haus. Sein Traum. Doch Felix setzte sich ohne Protest. Der Polizist blieb stehen. "Wie wir Ihrer Frau..." "Exfrau", schnitt Felix ihm das Wort ab.

Der Beamte räusperte sich. "Natürlich. Exfrau. Entschuldigen Sie. Wie wir..." er deutete mit dem Kinn in Richtung Liliana, "... Frau Behnke bereits gesagt haben, sind wir in Begriff eine Fahndung einzuleiten. Allerdings… Ihre Tochter wird erst seit fünf Stunden vermisst. Wir können noch nicht von einem Verbrechen ausgehen." Liliana krampfte sich bei diesen Worten auf der Couch zusammen und schluchzte erneut auf.

Felix versuchte ihre Trauer zu ignorieren. Er war nicht dazu verpflichtet ihr Halt zu geben. Nicht mehr. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte es nicht gekonnt. Er presste die Zähne aufeinander und blickte starr aus der großen Fensterfront. Die Sonne war fast am Horizont verschwunden und malte den Himmel dunkelrot. Rot wie Rosen. Rot wie Blut. Wofür stand diese Farbe noch? Einst hätte Felix sofort mit ´Liebe´geantwortet, doch heute war seine Antwort eine andere. Aggression. Rot. Ein aggressives Rot. Hämisch, sadistisch.

"Das Suchverfahren wird eingeleitet, wie gesagt. Wenn Ihre Tochter bis morgen Mittag nicht aufgetaucht sein sollte, …", meldete sich Jannsen zu Wort und Felix hätte ihm für seinen förmlichen Ton am liebsten den Kiefer gebrochen. Er riss seinen Blick von dem blutenden Himmel, sah die Polizisten an und nickte, ohne die Worte zu verstehen, die sie sagten.

"Ja, danke", er schüttelte den Kopf um wieder klar zu denken.

"Falls Sie noch Fragen an uns haben, scheuen Sie nicht uns anzurufen." Christiansen legte eine Visitenkarte auf den Tisch.

Felix nickte abwesend. "Ja... ja, werden wir", seine Stimme war leiser als üblich. Sie drohte ihm zu brechen.

Die Männer reichten ihm erneut die Hand. "Kümmern Sie sich etwas um Ihre Frau... Exfrau", korrigierte Jannsen sich selbst, "sie wird Ihre Unterstützung brauchen."

Seine Unterstützung. Sie hatte sie nie zu schätzen gewusst. Er hatte sie in allem unterstützt. Er hätte alles für sie gegeben. Doch das war vorbei. Er wollte ihr nicht beistehen. Nicht an sie denken. Er hatte viel zu lange nur an sie gedacht. Er war der Mann. Der starke Teil einer Beziehung. Doch diese Beziehung war Geschichte und nun war er es, der Halt brauchte.

Jens Jannsen trat zu Liliana ans Sofa und beugte sich zu ihr hinunter. "Vielleicht sollten Sie einen Arzt aufsuchen und sich ein Beruhigungsmittel verschreiben lassen."

Sie reagierte nicht. Eine Hand legte sich auf Felix Schulter.

"Sie braucht Sie jetzt", sagte Sören Christiansen mit wissendem Blick.

"Ja, klar", Felix hatte seine Antwort sarkastisch klingen lassen wollen, doch es misslang ihm. Seine Stimme war ungewohnt dünn. "Wir finden allein zur Tür", sagte Jannsen, der eben noch besorgt bei Liliana gestanden hatte und die Beamten verschwanden aus Felix´ Sichtfeld. Kaum war die Haustür ins Schloss gefallen begann Liliana wieder laut zu wimmern. Ungerührt setzte Felix sich wieder an den klobigen Esstisch. Ein Schaudern ergriff seinen Körper und er schlug unbeholfen die Hände vors Gesicht. Er wusste nicht was er fühlen sollte. Sein Herz war leer. Alles was sein Leben ausgemacht hatte war fort. Emma war fort. Wäre sein Kopf doch nur so leer gewesen wie sein Herz. Er hätte sich nicht quälen müssen. Doch schmerzhafte Gedanken kreisten in seinem Kopf. Er konnte an nichts anderes denken. Emma. Emma. Emma...

Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als Liliana sich endlich vom Sofa erhob. "Wir können doch nicht einfach tatenlos herumsitzen", ihre Stimme klang wieder klar.

"Was hast du vor?", fragte Felix, dessen Stimmbänder sich vor Anspannung zu einem Knoten zusammen gezogen haben mussten. "Wir müssen sie suchen", sie trat ein paar Schritte auf ihn zu. Er sah sie nicht an. "Felix, wir können nicht einfach abwarten und nichts tun", ihre Augen funkelten.

"Wo willst du anfangen zu suchen? Es ist sinnlos, Liliana."

"Und wenn ich die ganze Nacht durch die Gegend laufen muss, ich werde nicht einfach hier sitzen und darauf hoffen das sie plötzlich an die Tür klopft."

"Denn lauf los", er wurde laut. Felix konnte fühlen wie die Wut heiß in ihm aufkochte. Liliana hatte besser auf Emma acht geben müssen, doch es war nicht der richtige Moment für Vorwürfe. Er schluckte seine Wut hinunter.

"Lauf los. Lauf dir deine Füße blutig, du wirst sie nicht finden. Wer weiß, wo sie sein kann. Sie ist beinahe acht Stunden fort, sie könnte überall sein." Angst ließ ihn am ganzen Körper zittern.

"Und genau deshalb müssen wir sie suchen", Lilianas Stimme wurde sanft. Sie setzte sich auf den Stuhl neben ihm und griff nach seiner Hand. "Vielleicht liegt sie verletzt in irgendeinem Graben. Vielleicht ist sie wirklich bei einer Freundin und hat die Zeit vergessen. Vielleicht aber hat sie jemand entführt. Vielleicht... "

"SEI STILL! Glaubst du nicht, dass ich auch schon darüber nach gedacht habe?", er riss seine Hand aus ihrer und stand abrupt auf.

"Denkst du nicht, dass ich mir genau so Sorgen mache? Aber es hat keinen Sinn, Liliana!"

"Du hast sie bereits aufgegeben." Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Liliana erschrak, als Felix die Fäuste auf die Tischplatte knallte.

"Halt den Mund!", jetzt schrie er. "Du weißt nicht was in mir vorgeht, du hast keine Ahnung!"

"Hab ich nicht?", sie zog eine Augenbraue in die Höhe. Bei jedem Streit hatte sie dies getan. Herablassend. Entwürdigend. Felix atmete tief durch. Sie brachte ihn in Rage. Sie hatte keine Ahnung, nicht die leiseste. Sie wusste nicht, was er gerade durchmachte. Ja, Emma war auch ihre Tochter, doch es gab Dinge in seinem Leben, von denen sie nichts wusste.

"Nun spiel nicht den besorgten Vater...", jetzt lächelte sie spöttisch. Sie setzte an um noch etwas zu sagen. Etwas Verletzendes. Als hätte sie ihm nicht schon genug Nadeln ins Herz gerammt.

"Halt den Mund", schrie er wieder, den Zeigefinger drohend auf sie gerichtet, das Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzogen.

"Rede nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst. Halt einfach den Mund, Liliana. Halt verdammt noch mal deinen Mund."

"Das war so klar", sagte sie, immer noch herablassend lächelnd, "Herr Behnke weiß nicht weiter und fängt an zu schreien." Das war ungerecht. Er hatte sie nie angeschrien. Felix wusste, dass sie besorgt war, durcheinander. Sie meinte nicht was sie sagte. Oder vielleicht doch? Es war egal. Er war so wütend. So verletzt und so wütend. Jetzt verschränkte sie auch noch tadelnd die Arme vor der Brust. Das war zu viel. Er konnte nichts dagegen tun. All die Gefühle die in den letzten Stunden überhand genommen hatten vernebelten seinen Verstand. Die Wut, die Angst, der Hass, die Sorge, die Verwirrung, die Hilflosigkeit und die Verzweiflung. Das Unverständnis und die Panik, sie alle ballten sich zu einer einzigen Bewegung zusammen. Felix hob die Hand, holte weit aus und schlug sie, der mit weit aufgerissenen Augen und vor Entsetzen zu einem o geformten Mund vor ihm stehenden Liliana hart ins Gesicht. Die Wucht seines Schlags riss sie von den Füßen. Sie fiel krachend auf den gefliesten Wohnzimmerboden. Ungläubig starrte Felix auf seine Hand. Sie kribbelte. Seine Exfrau rappelte sich etwas auf, eine Hand an der Wange, die bereits anschwoll. Ihr Mund verzerrte sich zu einem stummen Schrei, aus ihren Augen quollen Tränen. Er zwang sich sie anzusehen. Wie lange sie so verharrten konnte wohl niemand sagen. Schließlich stürmte Felix aus dem Wohnzimmer, zur Haustür hinaus. Er knallte die Autotür hinter sich zu, startete den Motor und raste in die neblige Nacht hinaus.

Er stand an seinem Waschbecken im Bad. Das Blut tropfte unentwegt von seinem Arm. Verdammtes Mistvieh. Es hatte ihm den rechten Unterarm zerrissen. Da wo die Zähne in sein Fleisch gedrungen waren, klafften unansehnliche Löcher aus denen dunkles Blut quoll. Es war ihm ein Rätsel wo das Tier plötzlich her gekommen war. Verflucht. So einen Fehler hätte er sich nicht leisten dürfen. Man musste immer auf alles vorbereitet sein. Ärgerlich über sich selbst zerriss er den Ärmel seines Hemdes mit den Zähnen. Er knotete die zerfransten Enden zusammen um die Blutung zu stoppen. Vorsichtig hielt er den Arm unter den Hahn und drehte warmes Wasser auf. Es brannte fies. Das Pochen wollte gar nicht mehr aufhören. 'Bei meinem Glück hatte dieses Biest Tollwut', dachte er sich und überlegte einen Arzt aufzusuchen. Nein. Das kam gar nicht in Frage. Wie sollte er alles erklären? Das Wasser mischte sich mit seinem Blut und färbte sich rosa. Lange blieb er so stehen. Sicher ist sicher. Jede einzelne Bakterie musste mit ausgespült werden. Das Tier hatte mit Sicherheit lange Zeit keinen Tierarzt, geschweige denn eine Impfung oder gar eine Wurmkur gesehen. Allmählich blieb das Wasser durchsichtig. Es hatte aufgehört zu bluten. Seine Haut hing in Fetzen von seinem Unterarm. Vielleicht musste er genäht werden. An einigen Stellen konnte er sein bloßes Fleisch sehen, einige Sehnen und Muskeln. Mit ausdruckslosem Gesicht musterte er seine Verletzung. Mit der Blutung hatte auch der Schmerz nachgelassen. Doch nun wünschte er sich beinahe das ätzende Brennen zurück. Nichts zu spüren war unheimlich. Es war nicht einmal mehr ein Kribbeln da. Nichts. Er versuchte die Finger seiner rechten Hand zu bewegen. Es gelang ihm. Jedoch nur um wenige Millimeter. Fühlen konnte er die Bewegung nicht, er musste ganz genau hinsehen um sie wahrzunehmen. Vielleicht bildete er sie sich aber auch nur ein. Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Er stolperte laut fluchend zum Verbandskasten und machte sich daran, umständlich den Arm zu verbinden. Eine dunkle, fast schlammfarbene Salbe schmierte er sich dick auf den gesamten Unterarm. Dann legte er Kompressen darauf. Sie blieben an der dicken Schicht Betaisadona kleben. Dann wickelte er, mehr schlecht als recht, einen Verband darum. Mit fahrigen Fingern versuchte er einen Knoten zu binden, um alles zum Halten zu bringen. Es wollte ihm einfach nicht gelingen und eine vertraute Wut kochte in ihm hoch. Je wütender er wurde, desto mehr begann er zu zittern. Er schrie laut auf. Es kümmerte ihn nicht, ob einer seiner Nachbarn ihn hörte. Er vergaß oft, dass er überhaupt welche hatte. Zu lange, zu oft war er allein. Endlich gelang es ihm, der Verband hielt. Am Ende legte er sich noch eine Schlinge um den Hals, in die er seinen verletzten Arm hängte. Er würde diesem Monster das Fell über die Ohren ziehen.

13. Oktober 2012

Liliana wachte früh auf. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen. Sie konnte sich nicht daran erinnern überhaupt eingeschlafen zu sein. Ihr Kopf tat weh. Als sie sich aufrichtete begann er laut zu pochen. Sie zuckte zusammen. Nicht nur die Schmerzen machten ihr zu schaffen. Auch die Erinnerungen

prasselten nun erbarmungslos auf sie ein. Mit einem Atemzug war alles wieder da. Die Angst, die Verzweiflung. Emma war verschwunden. Nicht wieder aufgetaucht. Weg. Die Sorge um ihre Tochter ließ sie schwer Atmen. Sie schloss die Augen. Sie waren geschwollen vom vielen Geheule. Das eine mehr als das andere. Moment mal. Das eine mehr als das andere? Sie ignorierte den hämmernden Schmerz hinter ihrer Stirn und zwang sich aufzustehen. Sie tapste ins Bad, schaltete das Licht an und sah in den Spiegel. Beinahe erschrak sie. Ihr sonst so schönes Gesicht war fast nicht wiederzuerkennen. Ihre dunkelbraunen Augen waren von roten Linien durchzogen. Ihr immer sorgfältig geschminktes Gesicht war bleich. Da wo Felix´ Schlag sie getroffen hatte, färbte sich ihre makellose Haut lila und blau. Das linke Auge und der Wangenknochen darunter waren dick angeschwollen und entstellten sie fast bis zur Unkenntlichkeit, wie sie fand. Heiß rann ihr erneut eine Träne übers Gesicht. Ein beinahe vertrautes Gefühl. Sie hatte zu viel geweint in den letzten Stunden. Sie konnte immer noch nicht fassen, was gestern alles geschehen war. Es schien ihr wie ein Traum. Doch die Prellungen in ihrem Gesicht zeugten von der Realität. Sie zog sich aus und stellte sich unter die heiße Dusche. Vielleicht würde die Hitze ihren steifen Nacken etwas lockern. Sie fühlte sich wie nach einem Autounfall. Als hätte sie ein Schleudertrauma erlitten. Mit beiden Händen stützte sie sich gegen die Duschkabine und ließ sich das heiße Wasser den Rücken runter laufen. Sie dachte gleich umzufallen. Alle Kraft war aus ihrem Körper gewichen. Was war nur los? Die Welt stand plötzlich Kopf. Vielleicht war das die Quittung für ihr Verhalten. Die Rache dafür, dass sie Felix verlassen hatte. Felix. Er hatte sie geschlagen. Er hatte sie tatsächlich geschlagen. Doch sie konnte ihm nicht einmal böse sein.

Sie hatte es gewiss verdient. Oder war es nicht das? Nahm sie es ihm vielleicht nicht übel, weil es sie einfach kalt ließ? Er war ein Trottel. Ein armer Trottel. Ohne sie war er hilflos. Was wollte er schon machen ohne sie? Ein Mann wie er, brauchte eine Frau wie sie an seiner Seite. Zu blöd, dass er der Scheidung damals zugestimmt hatte. Es war nichts weiter als ein Test gewesen. Er hatte ihn nicht bestanden. Ahnungsloser Dummkopf. Sie war ihm von Anfang an überlegen gewesen. Liliana hatte es schon immer geliebt mit den Männern zu spielen. Und nicht nur mit Männern, alle Menschen legten ihr die Welt zu Füßen. Es lag an ihrem Aussehen, das wusste sie. Schönen Menschen konnte niemand etwas ausschlagen. Sie war sich dessen bewusst. Sie liebte es im Mittelpunkt zu stehen. Nicht nur, dass Emma verschwunden war, auch Felix hatte ihr gut zugespielt. Nachdem sie aus der Dusche gestiegen und sich angezogen hatte, stieg sie in ihren Mini Cooper Cabriolet und fuhr die kurze Strecke bis zur Handewitter Arztpraxis.

"Oh mein Gott, Frau Behnke, was ist denn mit Ihnen passiert?", rief Julia die Sprechstundenhilfe schockiert aus, als sie Liliana erblickte. Auch sie hatte natürlich von Emmas Verschwinden gehört. Handewitt war ein Dorf wie jedes andere. Man liebte den Klatsch. Und die Panik, die Frau Behnke gestern überall verbreitet hatte, war dankbar von allen aufgenommen worden.

Liliana zwang sich ein freudloses Lächeln ab. Es gelang ihr nicht ganz, denn die Schwellungen in ihrem Gesicht blockierten ihre Mimik. Sie wollte gerade antworten, da brabbelte Julia weiter. "Was ist mit Emma? Haben Sie sie gefunden?"

Trauernd blickte Liliana zu Boden. "Nein", flüsterte sie und schüttelte den Kopf. Ihr war bewusst, dass all die anderen Patienten sie durch die Glasscheibe vom Wartezimmer hindurch beobachteten. Sie alle wussten von Emma. Vermutlich war die Familie Behnke an diesem Tag Thema Nummer Eins an jedem Frühstückstisch gewesen.

Die Sprechstundenhilfe sah Liliana mit großen Augen an, bereit jeden weiteren Klatsch in sich aufzusaugen, um es später jedem zu erzählen, der es hören wollte. Liliana sah wieder auf. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie kamen wie von selbst, sie musste gar nichts tun. Schnell blinzelnd biss sie sich auf die Unterlippe. Sie war verdammt gut. Mit zitternden Händen fuhr sie sich durch das lange dunkle Haar.

"Was?", die junge Frau auf der anderen Seite des Tresens sah Liliana immer noch unverwandt an, "was ist passiert?" Sie flüsterte beinahe. Liliana brach in lautes Schluchzen aus und fiel auf die Knie. Julia kam hektisch zu ihr gelaufen und fasste sie bei den Schultern.

"Frau Behnke", sie versuchte Liliana in die Augen zu sehen, aber diese wich ihr aus, "was ist passiert?"

"Felix", presste Liliana heraus, laut, damit auch die Wartenden im Zimmer nebenan sie hörten. "Er hat...", sie schniefte geräuschvoll in ein Taschentuch, "... er hat mich geschlagen."

Stummes Entsetzen stand dick im Raum, wie Nebel in der Nacht.

"Einfach so", Liliana schluchzte noch lauter, "dabei brauche ich ihn jetzt. Unsere Tochter ist verschwunden. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Was habe ich denn falsch gemacht?" Dann fiel sie der jungen Frau, die vor ihr kniete, hemmungslos jammernd in die Arme und wollte sich gar nicht mehr beruhigen.

Erst als Dr. Oler aus dem Behandlungszimmer kam und sie vom Boden hob, zwang sie sich wieder ruhig zu atmen. Er brachte sie in eines der Behandlungszimmer, holte ihr einen Tee und gab ihr ein pflanzliches Beruhigungsmittel. Er nahm sich lange Zeit für die arme Frau, der der Boden unter den Füßen weggerissen worden war. Er besah sich ihre Prellungen im Gesicht, riet ihr zur Polizei zu gehen und Felix anzuzeigen. Sie nickte, weinte wieder, sagte, sie wisse nicht ob sie die Kraft dazu habe. Dr. Oler war ein einfühlsamer Mann. Nur zehn Jahre älter als Liliana. Der Arme. Auch er wurde geblendet von ihrer Schönheit. Er versprach ihr, sie zu begleiten, wenn sie es wollte. Sie weinte noch herzzerreissender, bedankte sich tausend Mal, fiel ihm in die Arme. Hätte jemand diese Szene beobachten können, hätte er Liliana albern finden müssen. Eine wunderschöne Frau, die sich jedem an den Hals warf. Aber niemand beobachtete sie. Die Leute sahen nicht die alberne, berechnende Liliana. Sie sahen die arme Frau, die ihr Kind vermisste, unendliche Qualen litt, und, als wäre das alles nicht genug, auch noch von ihrem Exmann verprügelt worden war.

Dr. Oler tätschelte ihr die Schulter, bis Liliana sich endlich von ihm löste. Dann leuchtete er ihr in die Augen und sagte, dass sie tatsächlich ein Schleudertrauma erlitten hatte. Sie sollte sich ausruhen. Viel schlafen. Er gab ihr ein Rezept für ein Schlafmittel und verabschiedete sich von ihr.

Liliana war sich der Blicke bewusst, die ihr folgten, als sie mit hängenden Schultern die Arztpraxis durchschritt. Sie starrten ihr nach, und ihr gefiel es. Mitleidige Augen sahen sie unentwegt an, als sie in ihren Wagen stieg und zur Polizei fuhr. Nicht um Felix anzuzeigen, sondern um zu berichten, dass Emma nicht aufgetaucht war und um zu fragen, wie es mit der Suche nach ihr voran ging.

"Haben Sie ein Foto von ihr dabei?", fragte Jens Jannsen.

"Nein", Liliana schüttelte den Kopf, "aber ich kann Ihnen nachher eines vorbei bringen." Das Gewissen biss sie, als sie dies sagte. Felix hatte immer ein Bild seiner Tochter bei sich, das wusste sie.

"Ja, das wäre gut", sagte der Polizist und starrte auf ihr geschwollenes Gesicht. Er hatte sie gefragt was geschehen war. Sie hatte nicht geantwortet. Früher oder später würde auch die Polizei erfahren was passiert war, dafür hatte sie gesorgt. Doch solange Liliana keine Anzeige machte, konnten sie nichts tun.

"Können Sie sich daran erinnern was ihre Tochter anhatte, als sie zur Schule gegangen ist?", fuhr Jannsen fort und löste endlich seinen Blick von Liliana. Sie dachte angestrengt nach.

"Eine blaue Daunenjacke", sagte sie. Das stimmte, die hatte sie Emma vor zwei Wochen in der Stadt gekauft.

"Was noch?", bohrte Jannsen, "versuchen Sie sich zu erinnern. Jedes Detail könnte wichtig sein."

Angestrengt starrte Liliana Löcher in die Luft. Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, das ging schon wie von selbst. Sie schüttelte verzweifelt den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. "Ich weiß es nicht", flüsterte sie in ihre Handflächen. Der Mann ihr gegenüber streckte die Hand aus und berührte sie sanft am Arm. Beruhigend, tröstend.

"Versuchen Sie sich zu erinnern." Er zog seine Hand zurück. Wartete.

"Braune Jeans", sagte Liliana endlich, "einen Pullover, dunkelblau. Mit einem Schaf darauf. Einen Schal, pink. Weiße Turnschuhe." Liliana schwieg. Der Polizist dachte wohl, dass sie überlegte, denn er sagte nichts, er wartete ab. Eine kurze Pause entstand.

"Ihr Schulranzen", fuhr Liliana fort, "Pink." Erleichtert atmete sie aus. Der Beamte lächelte ihr aufmunternd zu, "sehr gut."

Sie versuchte zurück zu lächeln.

Was sie gesagt hatte, war gelogen. Emma besaß all diese Klamotten, aber Liliana hätte nicht sagen können, ob sie am gestrigen Tag auch nur eines dieser Kleidungsstücke getragen hatte. Würde es wirklich eine Rolle spielen? Vermutlich nicht. Der Ranzen, er war pink. Das stimmte. Hätte man Felix gefragt, er hätte sagen können ob Pferde darauf zu sehen waren oder Kaninchen. Aber Felix fragte niemand.

Ulrike Wilstermann stand kurz vor ihrer Pensionierung. Der Beruf als Grundschullehrerin hatte ihr immer Freude bereitet. Dass sie in den letzten Monaten, in denen sie noch arbeitete eine solche Tragödie miterleben musste, machte ihr das Herz schwer.

Am gestrigen Nachmittag war Liliana Behnke aufgeregt in die Schule gestolpert. Nichts Böses ahnend hatte Ulrike an ihrem Pult im Klassenzimmer der 2b gesessen und Diktate korrigiert, als die junge Frau herein gestürmt war.

„Wo ist meine Tochter?“, hatte Liliana gefragt, ohne Ulrike zu begrüßen. Ulrike kannte die Familie Behnke. Vor langer Zeit, damals war sie noch eine junge Referendarin gewesen, hatte sie auch den kleinen Felix Behnke unterrichtet. Ein niedlicher kleiner Junge, der sich zu einem gutaussehenden, sympathischen Mann gemausert hatte. Die kleine Emma, seine Tochter, war das Ebenbild ihres Vaters. Die Haare hatte sie eindeutig von ihrer Mutter, doch ansonsten war sie Felix Behnke wie aus dem Gesicht geschnitten. „Du siehst aus wie eine Kleinausgabe von Felix Behnke“, hatte Ulrike einmal zu Emma gesagt.

„Aber wie eine Mädchenausgabe“, hatte die kleine Emma entrüstet erwidert, „und in hübsch!“

Das ihr Vater ein hübscher Mann war, hatte Ulrike ihr nicht erklärt. Natürlich hörte kein Mädchen es gern, wenn man sagte, es sehe aus wie sein Vater.

Liliana Behnke war nicht hübsch, sie war eine vollkommene Schönheit. Sicher hätte Emma es lieber gehabt, man hätte sie mit ihrer Mutter verglichen. Doch Ulrike hatte Liliana Behnke nie leiden können. Sie hätte nicht sagen können was es war, das sie an der Frau störte, doch hegte sie seit dem ersten Treffen eine nicht zu erklärende Abneigung gegen diese Frau.

„Die Klasse hatte bereits um zwölf Schulschluss“, hatte Ulrike der aufgeregten Liliana entgegnet, und ihre offensichtliche Unruhe nicht nachvollziehen können.

„Sie hat mit Greta die Klasse verlassen, wie sonst auch. Ist sie denn noch nicht zu Hause?“

„Nein“, hatte Liliana eine Spur zu scharf entgegnet, „sonst wäre ich wohl jetzt nicht hier.“

„Vielleicht haben die Mädchen die Zeit vergessen“, Ulrike war aufgestanden und zu Liliana getreten. Sie hatte sie beruhigen wollen. Mädchen in Emmas und Gretas Alter ließen sich schnell ablenken. Von einem Hund, einer Blumenwiese, einer Schaukel – gewiss waren die beiden Mädchen ganz in der Nähe.

„Kommen Sie, wir rufen Gretas Mutter an, wahrscheinlich vermisst auch sie ihre Tochter.“

Liliana war Ulrike Wilstermann ins Sekretariat gefolgt und hatte schweigend dagestanden, während die alte Dame die Nummer von Gretas Mutter heraussuchte und sie dann ins Telefon eintippte. Nach einigen endlos scheinenden Sekunden verstummte der Freizeichenton und eine Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung. Liliana hatte nicht verstehen können, was die Stimme sagte. „Frau Gräber, Hallo“, hatte die Lehrerin gesagt, „hier ist Ulrike Wilstermann, die Klassenlehrerin von Greta. Hören Sie, es... Nein nein, Greta benimmt sich immer sehr gut. Keine Sorge, nein... Das... Ja. Frau Gräber, bitte, der Grund warum ich anrufe ist folgender, ist Greta schon zu Haus? … Ja? Bei den Hausaufgaben?! Nun ja, dann... nein, nein... Danke, Frau Gräber... Sie hat was? … Herrje. Aber gut, Sie wissen doch wie Mädchen in dem Alter sind... Ja natürlich... Nein, Frau Gräber, danke... Ja, danke... ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Liebe Grüße an Greta... Ja, ja danke. Tschüß.“ Dann hatte sie den Hörer eingehängt. Die junge Frau Behnke war ganz blass geworden, als Ulrike ihr erzählte, dass Greta bereits zuhause an den Hausaufgaben saß, jedoch weinend von der Schule gekommen sei, weil sie sich mit Emma gestritten hatte. Dann war Liliana davon gerauscht, vermutlich war sie schnurstracks zu Greta gefahren und hatte das arme Mädchen verhört. Ulrike hatte den Kopf geschüttelt und nichts Böses vermutet.

Als an diesem Vormittag jedoch der Schulleiter Herr Hensen mit ernster Miene das Lehrerzimmer betrat, gefolgt von zwei Polizisten, rutschte der alten Frau das Herz in die Hose.

„Ulli, die Herren möchten mit Ihnen sprechen“, sagte Karsten Hensen, „es geht um eine ihrer Schülerinnen, Emma Behnke.“ Oh Gott, Ulrikes Knie begannen zu zittern.

Der kleinere der beiden Beamten reichte ihr die Hand. „Jannsen von der Polizei, das ist mein Kollege Christiansen“, stellte er sich und seinen Begleiter vor. „Frau Wilstermann, ist es richtig, dass Emma Behnke gestern wie üblich am Unterricht teilgenommen hat?“

„Ja, das ist richtig“, bestätigte Ulrike und versuchte den Kloß, der ihr im Hals saß herunterzuschlucken. „Die Klasse hatte gestern in der letzten Stunde Deutsch bei mir, nach dem Klingeln hat Emma das Klassenzimmer zusammen mit ihrer Freundin Greta Gräber verlassen. Seitdem habe ich das Mädchen nicht mehr gesehen. Die Mutter von Greta erzählte mir gestern jedoch, dass sich die Mädchen auf dem Nachhauseweg gestritten hätten, haben sie schon mit Frau Gräber gesprochen?“

Der Mann nickte. „Nicht persönlich, aber Frau Behnke erzählte uns, dass sie mit Frau Gräber gesprochen hat, und erzählte von dem Streit der Mädchen. Es ging wohl um eine Tüte Gummibärchen, Kinderkram, nichts von Bedeutung.“

Die Polizisten nahmen Ulrikes Personalien auf und baten sie eindringlich sich zu melden, falls ihr noch etwas einfiele oder sie etwas hörte, dass der Polizei weiterhelfen könnte, dann verabschiedeten sie sich.

Mein Gott, dachte Ulrike, hoffentlich ist der kleinen Emma nichts passiert.

Wie lange war es nun her, seit das Tier ihn gebissen hatte? Fast einen ganzen Tag. Die Taubheit in seinem Arm war einem ziehenden Schmerz gewichen. War das ein gutes Zeichen? Seine Haut unter dem Verband spannte, und mit den Stunden schien die Bandage sich immer enger gezogen zu haben. Die Stirn in Falten gelegt und mit dunklem Blick, begann er seinen verletzten Arm freizulegen. Durch die Salbe konnte er die Bisswunden nicht sehen. Grob wischte er sie herunter, wobei er an einem Hautlappen hängen blieb und ihn weiter abriss. Er wollte schreien vor Schmerz, doch er tat es nicht. Er biss sich in seine gesunde Hand, doch so fest er auch die Zähne in seine Finger drückte, den Schmerz im Arm konnte er nicht unterdrücken. Er war zu intensiv. Was roch da so unangenehm? Waren das seine Verletzungen? Unbeholfen stapfte er durchs Zimmer und nahm sich eine Flasche hochprozentigen Wodka vom Fensterbrett. Wieso war er nicht früher auf die Idee gekommen? Mit den Zähnen drehte er den Verschluss auf und kippte sich den kompletten Inhalt über den zerbissenen Unterarm. Es brannte. Es brannte wie Feuer und er schrie. Nicht sehr laut, nur durch zusammengepresste Zähne hindurch. Ein bedrohliches Knurren. Der Wodka lief an seinem Arm vorbei und tropfte auf den dicken Teppich unter seinen Füßen. Er sog ihn auf und bald lag nur noch ein beißender Alkoholgeruch in der Luft. Er überdeckte den Übelkeit erregenden Geruch, der von der Verletzung ausging. Nachdem sein Arm von der Betaisadona befreit war und das Stechen allmählich schwächer wurde, besah er sich den Biss genauer. An einigen Stellen spannte sich die Haut und drohte zu reissen. Dicke Beulen hatten sich hier und da gebildet. Eiter und Wundwasser bildeten eine feuchte, schleimige Schicht. Er würgte. Er drohte zu erbrechen, deshalb wandte er den Blick ab und schloss die Augen. Er musste klar denken. Nicht in Panik geraten, es war mit Sicherheit alles nur halb so schlimm. Doch er hatte keine andere Wahl mehr. Er musste einen Arzt aufsuchen. Immer noch flau im Magen schritt er zum Telefon, darauf bedacht, keinen Blick auf seinen entstellten Arm zu werfen. Er wählte die Nummer eines Taxiunternehmens. Nach nicht ganz fünfzehn Minuten stand das Auto am Straßenrand. Er stieg ein und ließ sich in die Notaufnahme eines Flensburger Krankenhauses fahren.

Nachdem er Liliana allein auf dem Boden zurückgelassen hatte, war Felix lange ziellos durch die Gegend gefahren. Er dachte an nichts, fuhr einfach starr geradeaus schauend, die Straßen entlang. Er fuhr schneller als ihm bewusst war. Ihm war alles egal. Er hatte seine Tochter verloren, seine Exfrau verprügelt - wen würde es stören wenn er gegen einen Baum raste? Er wurde sich seiner Umgebung erst dann wieder bewusst, als er am Strand von Wassersleben entlang fuhr. Er parkte neben dem kleinen Restaurant und stapfte ans Wasser. Er war so oft hier gewesen. Erst mit Liliana. Sie hatten sich den Sonnenuntergang angeschaut, die Sterne beobachtet, dem Rauschen der Wellen gelauscht. Später mit Emma. An heißen Sommertagen hatte er mit ihr im flachen Wasser geplanscht oder mit ihr auf dem Spielplatz herumgetollt. Trotz der Dunkelheit konnte er plötzlich alles vor sich sehen. Das schmutzige Wasser, den Hafen der Stadt Flensburg in einiger Entfernung, die vielen Menschen, die sich in der Sonne bräunten. Die behaarten Männer, die tätowierten Frauen, die kreischenden Kinder. Er sah Emma vor sich. Seine kleine Emma. Das schönste Mädchen, das je geboren worden war. Sie hatte dunkle Haare, wie ihre Mutter, doch die Augen waren die seinen. Blaue Augen. Selbst die kleine Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen hatte sie von ihm geerbt. Er glaubte beinahe ihr Lachen hören zu können. Aber sein überfordertes Gehirn spielte ihm nur einen Streich. Es war nur das Kreischen einer Möwe gewesen. Stunde um Stunde hatte er da gesessen. Die Sonne war aufgegangen ohne dass er es bemerkt hatte. Der kühle Wind strich ihm durch das Haar und das Leben um ihn herum nahm seinen Lauf. Spaziergänger mit Hunden, schwerschnaufende Jogger, Autos, Kinder auf Fahrrädern. Alles zog an Felix Augen vorbei, ohne dass er etwas davon sah. Seine Finger waren taub von der Kälte, sein Körper schrie nach Schlaf. Wie spät war es? Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Es musste um die Mittagszeit sein. Liliana hatte gewiss die Polizei benachrichtigt. Hätte sie ihn angerufen, wenn Emma nach hause gekommen wäre? Vielleicht. Er hätte sie nicht schlagen dürfen. Aber er hatte schon zu viele Verluste erlitten. Er konnte es nicht ertragen. Alles nicht mehr ertragen. Was hatte er in seinem Leben nur verbrochen, dass das Schicksal ihm so übel zusetzte? Arme kleine Emma. Wo mochte sie nun sein? War sie überhaupt noch am Leben? Er beschloss, dass es an der Zeit war etwas zu unternehmen. Mit schweren Schritten bahnte er sich seinen Weg durch den tiefen Sand zurück zu dem Parkplatz, auf dem sein Auto stand. Sein Ziel war das Polizeiamt in Handewitt.

"Das Verfahren wurde eingeleitet, Herr Behnke. Es suchen bereits dutzende von Männern nach ihrer Tochter. Wir informieren Sie sobald es etwas neues gibt." Erklärte ihm Jens Jannsen und Felix war klar, dass er ihn mit diesen Worten zum Gehen aufforderte. Er dachte jedoch nicht daran.

"Sie müssen mir doch sagen können, was ich tun kann. Haben Sie keine Spur? Eine Ahnung? Eine kleine Idee, der man nachgehen kann?"

"Tut mir leid, Sie müssen sich gedulden."

"Wie soll ich mich gedulden? Was würden Sie tun, wenn es ihre Tochter wäre?"

"Ich verstehe Ihre Sorge, Herr Behnke. Ich weiß nicht, was ich tun würde. Ich schätze, dass ich vor Sorge umkommen würde."

Felix hob die Augenbrauen. Dieser Feigling wusste nicht wovon er sprach. Vermutlich hatte er nicht mal Kinder. Und wenn doch, dann saßen sie bestimmt sicher daheim auf der Couch und sahen sich das Nachmittagsprogramm im Fernsehen an. Er wollte den Beamten am Kragen packen und schütteln, ihn anschreien. Er tat es nicht. Er war so schwach. Die Erschöpfung und die ständige Angst, die sich in seiner Brust eingenistet hatte, nagten an ihm. Sie zehrten an seinen Kräften. Vielleicht ahnte der Polizist, was Felix dachte, denn er schob ihn unsanft zur Tür hinaus und sagte: "Was auch immer geschehen ist, oder noch geschieht, es gibt keinen Grund einen anderen Menschen zu verletzen." Damit war das Gespräch beendet. Sein Tonfall war eindeutig. Hatte er von Liliana geredet? Wusste er was gestern Abend passiert war? Waren seine letzten Worte eine Drohung gewesen, und Felix hatte sie nicht gleich als eine solche erkannt? Und wenn schon. Alles war egal, solange er Emma nicht in Sicherheit wusste.

Er stieg erneut in seinen Wagen, schaltete den Motor jedoch nicht ein. Was sollte er nun tun? Zu Liliana fahren? Es erschien ihm als keine gute Idee. Sie würde ihn nicht empfangen. Oder vielleicht doch? Er war aus ihr nie schlau geworden. Man konnte nicht wissen, was sie tun würde und was nicht. Felix drehte den Schlüssel im Zündschloss und lenkte seinen Wagen in Richtung Liliana. Die Bäume am Straßenrand verloren ihre Blätter. Braun und schmutzig lag das Laub auf der nassen Fahrbahn. Als er in die Straße einbog, in der das Haus stand, das einmal seines gewesen war, krampfte sich sein Magen zusammen. Das Auto fuhr langsamer. Fast im Schritttempo schlich er an Lilianas Haus vorbei. Er blickte zu den Fenstern hinauf. Kein Licht brannte. Liliana musste da sein, das wusste er. Vielleicht schlief sie. Es war ihm ein Rätsel, wie sie die Ruhe fand um einschlafen zu können. Insgeheim hoffte er, dass es ein unruhiger Schlaf war, der sie befiel, mit jeder Menge Alpträumen und unterdrückten Schuldgefühlen. Felix drückte seinen Fuß auf das Gaspedal. Was war nur los mit ihm? Warum war er so gemein? War es die Sorge um seine Tochter, die sein Herz zerfraß? Entschlossen, sich nicht mehr den Kopf über irgendetwas Unsinniges zu zerbrechen, schüttelte er ihn bis ihm schwindelig wurde und machte sich auf den Nachhauseweg.

Seine Wohnung lag in Oeversee, nicht sehr weit weg. Er arbeitete in Kiel, jedoch hatte er es nie fertig gebracht sich dort nach einer Wohnmöglichkeit umzusehen. Er wollte so nah wie möglich bei seiner Familie sein. Bei Emma. Emma war seine Familie. Alles was er hatte.

Er setzte sich auf das Sofa und sah sich in seiner kleinen Wohnung um. Es war beinahe unfair, dass er hier leben musste, während seine Exfrau in einem riesigen Haus wohnte, das er bezahlt hatte. Er dachte schon wieder an sie. Der Gedanke an Liliana bereitete ihm Kopfschmerzen. Wie lange hatte er nichts mehr getrunken? Er stand auf und holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und zwang sich, sie in einem Zug zu leeren. Dann schaltete er den Fernseher ein. Er musste sich ablenken.

Ein leises Tapsen kündigte den Hund an. Emma lag seit einiger Zeit zusammengekauert in der Ecke einer feuchten Holzhütte. Es schien lange niemand hier gewesen zu sein. Es tropfte hin und wieder von der Decke und Moos wuchs um die Fenster. Emma konnte sich nicht daran erinnern wie sie hierher gekommen war. Geschweige denn, wie viele Stunden verstrichen waren, seit sie sich in diese Ecke verkrochen hatte. Der Kopf eines Kindes vergisst manchmal, an was er sich nicht erinnern will. Es war nicht ganz dunkel, aber auch nicht ganz hell. Durch die Schatten der Bäume und die schmutzigen, kleinen Fenster hindurch drang nur wenig Licht. Emma hätte nicht sagen können wie spät es war. Der Hund, der bereits eine lange Zeit an ihrer Seite gewacht hatte, kam durch die Schatten hindurch auf sie zu gelaufen. Er wedelte mit dem Schwanz, stupste sie mit der Nase und leckte ihr das Gesicht. Emma setzte sich auf und umarmte das fremde Tier. Er wehrte sich nicht. Sie weinte nicht. Nicht mehr. Sie hatte keine Tränen mehr. Stunden lang hatte sie in der Dunkelheit gelegen und nach ihrem Vater gerufen. Nicht laut, nur so, dass er es hätte hören müssen, wenn er im Zimmer nebenan geschlafen hätte. So machte sie es immer, wenn sie schlecht geträumt hatte. Nur bei Papa konnte sie das. Zu hause bei Mama, war es zwecklos zu jammern und zu hoffen, dass jemand kam und sie in seinem Arm einschlafen ließ. Mama brauchte ihren Schönheitsschlaf, deshalb hatte sie nachts keine Zeit für die Hirngespinste ihrer Tochter. Doch Papa nahm sich die Zeit. Egal wie müde und überarbeitet er war.

Aber Papa war nicht gekommen. Nicht dieses Mal. Egal wie laut sie geschluchzt hatte. Niemand war zu ihr unter die Decke gekrochen, hatte ihr beruhigend übers Haar gestrichen. Sie hatte schon gedacht, immer noch zu träumen, in einem Alptraum gefangen zu sein, als plötzlich dieser Hund aufgetaucht war. Er hatte sich fest an ihre Seite gedrückt, seinen Kopf auf ihre Schulter gelegt, und Wache gehalten. So war sie schließlich eingeschlafen. Als sie wieder aufgewacht war, war sie allein gewesen. Ob sie lange geschlafen hatte oder nur Minuten war ihr nicht klar. Emma hatte Angst gehabt. Schreckliche Angst. Doch bevor sie wieder nach ihrem Vater rufen konnte, war er wieder da. Der Hund. Ihr neuer Freund. Ihr Beschützer. Er drückte ihr seine feuchte Nase in die Wange und sie wusste, dass er sagen wollte: 'Alles wird wieder gut.'

Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 2012

Lange hatte sie geschlafen. Die Tabletten, die Dr. Oler ihr verschrieben hatte, hatten Liliana total umgehauen. Eine angenehme Ruhe hatte sie überfallen. Sie wollte schlafen, einfach nur schlafen. Sie musste sich ausruhen, neue Kraft schöpfen und alles um sich herum vergessen. Nur wenn sie schlief konnte sie Emma vergessen.