Meine Hand in deiner - Marie Force - E-Book
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Meine Hand in deiner E-Book

Marie Force

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Beschreibung

Ein Blizzard tobt in Butler, als Wade Abbott nach einem Rettungseinsatz nach Hause fährt. Er traut seinen Augen kaum: Vor seiner kleinen Hütte im Wald sitzt zitternd vor Kälte Mia Simpson. Und zwar die Mia, die er vor zwei Jahren auf einem Yoga-Retreat kennengelernt und in die er sich augenblicklich verliebt hat. Wade hat schon lange nichts mehr von ihr gehört – dennoch ist kein Tag vergangen, an dem er nicht an Mia gedacht hat. Und jetzt, mitten in Sturm und Eis, bittet Mia Wade um einen Gefallen: Sie bittet Wade darum, sie zu heiraten …

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Seitenzahl: 415

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Marie Force

Meine Hand in deiner

Lost in Love - Die Green-Mountain-Serie 9

 

Aus dem Amerikanischen von Lena Kraus

 

Über dieses Buch

 

 

Ein Blizzard tobt in Butler, als Wade Abbott nach einem Rettungseinsatz nach Hause fährt. Er traut seinen Augen kaum: Vor seiner kleinen Hütte im Wald sitzt zitternd vor Kälte Mia Simpson. Und zwar die Mia, die er vor zwei Jahren auf einem Yoga-Retreat kennengelernt und in die er sich augenblicklich verliebt hat. Wade hat schon lange nichts mehr von ihr gehört – dennoch ist kein Tag vergangen, an dem er nicht an Mia gedacht hat. Und jetzt, mitten in Sturm und Eis, bittet Mia Wade um einen Gefallen: Sie bittet Wade darum, sie zu heiraten …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Als Marie Force Urlaub in Vermont, USA, machte, spürte sie sofort, dass diese wunderschöne, unberührte Landschaft die perfekte Kulisse für unwiderstehlichen Lesestoff bietet. Auf der Suche nach Souvenirs entdeckte sie in einer idyllischen Kleinstadt den Green Mountain Country Store und lernte dessen Besitzer kennen: eine moderne und sympathische Familie, die mit großer Freude heimische Produkte verkauft. Und schon sah Marie Force das Setting für die Romane vor sich. Fehlt nur noch die Liebe … aber die findet sich in Butler, dem fiktiven Städtchen in dieser Serie, zum Glück an jeder Ecke.

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Epilog

Danksagung

1

»Den lieb ich, der Unmögliches begehrt.«

Johann Wolfgang von Goethe

Obwohl der Schnee um ihn herum nur so wirbelte, fand Wade Abbott problemlos den Weg nach Hause. Er hätte ihn selbst mit verbundenen Augen gefunden, und im Grunde bestand dazu auch kein großer Unterschied. Im immer dichter fallenden Schnee musste er sich deutlich mehr auf seine anderen Sinne verlassen als auf seine Augen. Er war bereits seit Stunden draußen unterwegs; zusammen mit seinen Brüdern hatte er sich auf die Suche nach zwei Jungen gemacht, die in den Hügeln rund um Butler zum Schlittenfahren losgezogen und dann im Schneesturm verlorengegangen waren.

Sie hatten sie vor einer Dreiviertelstunde gefunden, lebendig, wenn auch stark unterkühlt, und hatten sich dann auf den Heimweg gemacht, um sich auch selbst wieder aufzuwärmen. Seine jüngeren Brüder, Lucas und Landon, beide Rettungssanitäter, hatten die Jungs ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht, wo ihre überaus dankbaren Eltern schon auf sie warteten.

Der Scheinwerfer des Schneemobils beleuchtete den Briefkasten der Nelsons, ein monströses grünes Gebilde, das Wade sagte, dass er noch etwa zweihundert Meter von seiner Einfahrt entfernt war. Dann entdeckte er ein Muster im Schnee, das einer Fußspur verdammt ähnlich sah. Wer zum Teufel ging in diesem Blizzard vor die Tür, wenn es nicht unbedingt sein musste?

Hatte er jetzt schon Sinnestäuschungen, oder führte die Spur etwa wirklich direkt zu seiner Haustür? Ein leichter Schauer lief ihm den Rücken hinunter, das Ganze gefiel ihm ganz und gar nicht. Gleich darauf wunderte er sich über sich selbst – es war noch nie vorgekommen, dass er sich in Butler nicht sicher gefühlt hatte. Er schloss ja meistens nicht mal seine Tür ab. Und das war auch gar nicht nötig. Sein Haus war nicht gerade leicht zu finden, wenn man nicht wusste, wo es war.

Er bog nach rechts in seine Einfahrt ab und folgte den tiefen Fußstapfen noch für etwa fünfhundert kurvenreiche Meter, bis seine Hütte in Sicht kam. Sein Stück Paradies lag inmitten eines kleinen immergrünen Wäldchens.

Er nahm eine Fingerspitze seines Handschuhs zwischen die Zähne und zog den Handschuh aus. Dann griff er nach der Taschenlampe, die in seinem Gürtel steckte, und leuchtete den Hof aus. Der Lichtstrahl durchbrach das Schneegestöber, und er entdeckte eine Art Bündel auf seiner Veranda.

»Was zum …« Wade stellte den Motor ab und sprang vom Schneemobil. Dann kämpfte er sich durch den fast hüfthohen Schnee über den Hof und stieg die Stufen zur Veranda hinauf. »Hallo?«

Nichts.

Er stieß das Bündel mit dem Fuß an.

Es stöhnte.

Er hob das Bündel auf und trug es nach drinnen. Die Wärme des Holzofens, den er angefeuert hatte, bevor er aufgebrochen war, umfing ihn. Er ging vor dem Feuer auf die Knie und legte seinen Besuch ab.

Sie stöhnte wieder.

Lieber Gott, das ist ja eine Frau – eine halberfrorene Frau! Jetzt bewegte sich Wade blitzschnell. Er warf zwei neue Holzscheite auf das Feuer und begann, den eisverkrusteten Schal aufzuwickeln, der ihr Gesicht bedeckte, damit die Wärme zu ihr vordrang. Blaue Flecken. Ihr Gesicht war rot, blau und angeschwollen, so sehr, dass er sie nicht gleich erkannte.

Dann wusste er es.

Sein Herz setzte einen Moment lang aus, und der Schreck ließ seinen ganzen Körper erzittern, während er ihr hastig ihren nassen Mantel und die Handschuhe abnahm.

»Mia.« Er hörte die Panik in seiner eigenen Stimme. »Mia!«

Wieder stöhnte sie leise. Ihre Lippen und ihre Finger waren blau vor Kälte.

Wade versuchte, ihre Hände zwischen seinen aufzuwärmen. »Mia, rede mit mir.« Was machte sie hier, und wer hatte sie so geschlagen? Wut kochte in ihm hoch. Schon als er sie zum ersten Mal getroffen hatte, vor mittlerweile fast zwei Jahren in einem Yoga-Retreat, hatte er den Verdacht gehegt, dass der Mann in ihrem Leben – ihr Ehemann, wie Wade damals vermutete – ihr weh tat. Er und Mia waren sich nie nahe genug gekommen, als dass sie ihm etwas derart Persönliches erzählt hätte, oder dass er sich getraut hätte, sie danach zu fragen. Trotzdem hatte er die Anzeichen deutlich gesehen: Sie war schreckhaft, hektisch und verschlossen gewesen, und sie hatte Angst gehabt, aber er hatte nie herausgefunden, warum.

Vor etwa einem Jahr hatte sie jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen, und seitdem litt er darunter, fragte sich, warum sie nicht mehr anrief, und vor allem, ob es ihr gutging.

»Mia, Schatz … Wach doch auf. Bitte, wach auf.« Er hätte Hilfe gerufen, wenn es jemanden gegeben hätte, der sie in diesem Sturm hätte erreichen können. Aber Hilfe von außen war so, wie sich die Wetterlage entwickelt hatte, völlig ausgeschlossen. Er musste es alleine schaffen, sie wieder aufzuwärmen. Er öffnete den Reißverschluss seines Parkas, zog ihn aus, schleuderte seine Stiefel von den Füßen und zog dann den Survivalanzug aus, der es ihm ermöglichte, in einem solchen Schneesturm stundenlang draußen zu sein, ohne zu unterkühlen. Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus, damit er sie an seinem Körper wärmen konnte.

Dann begann er, sie auszuziehen. Wade ging sehr behutsam vor, falls Mia außer der sichtbaren Blutergüsse im Gesicht noch weitere Verletzungen hatte. Er fing bei ihren Stiefeln an und zog ihr nach und nach die völlig durchnässte Kleidung aus, bis sie in Unterhose und Top vor ihm lag. Beides war feucht. Er legte ihre nassen Sachen zum Trocknen auf den Ofen und erstarrte, als er sah, dass auch ihre Arme und Beine mit Flecken in sämtlichen Regenbogenfarben bedeckt waren.

Er schluckte die Wut hinunter, die wild in ihm aufloderte. Dann atmete er tief durch, nahm eine Daunendecke vom Sofa und zog sie über sich und Mia. Er schmiegte seinen Körper an ihren. Aus seinem Training bei der Bergwacht wusste er, dass es besser gewesen wäre, wenn sie beide nackt wären, aber er war sich nicht sicher, ob er das ausgehalten hätte.

Es würde ihm hoffentlich gelingen, sie aufzuwärmen, ohne sie komplett auszuziehen.

Da lag er also, umgeben vom süßen, frischen Geruch ihres Haares, während sein Herz unregelmäßig schlug und seine Handflächen trotz der Kälte schweißnass waren. Seine Gedanken rasten. Was hatte Mia dazu veranlasst, hierherzukommen? Wer hatte ihr weh getan? Was wollte sie von ihm? Würde er es aushalten, sie jetzt wiederzusehen und dann mitzuerleben, wie sie dorthin zurückging, wo sie hergekommen war? Er schlang die Arme noch fester um sie. Er würde jedenfalls nicht zulassen, dass sie zu dem Mann zurückkehrte, der ihr weh getan hatte, so viel war sicher.

»Mia, Liebling, du bist in Sicherheit. Ich bin’s, Wade. Ich bin so froh, dass du da bist. Wir kriegen dich schon wieder warm.« Er strich sanft mit der Hand über ihren Arm und wünschte sich sehnlichst, dass sie aufwachte. Er hatte sie so vermisst. Mit ihr zu reden war seine absolute Lieblingsbeschäftigung gewesen. Nachdem sie sich im Yoga-Retreat kennengelernt hatten, hatten sie sich ein paarmal in Cafés zwischen ihrem Zuhause in Rutland und seinem in Butler getroffen. Er war jedes Mal mehr als eine Stunde gefahren, um eine halbe Stunde in ihrer Anwesenheit zu verbringen.

Als er zum letzten Mal von ihr gehört hatte, hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn nicht mehr treffen konnte. Er hatte sie angefleht, sich das noch einmal zu überlegen, und versprochen, Abstand zu wahren, um sie nicht noch mehr in Schwierigkeiten zu bringen. Aber er hatte seitdem nichts mehr von ihr gehört, bis er sie vor seiner Tür gefunden hatte, komplett unterkühlt und offensichtlich verletzt.

Ihr armes Gesicht war so geschwollen, dass es ihm im Herzen weh tat, sie anzusehen.

Gott, er würde den Mann umbringen, der ihr das angetan hatte, und zwar mit Freude.

Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Liebling, wach auf und rede mit mir. Ich bin’s, Wade. Es ist jetzt alles okay. Niemand wird dir je wieder weh tun.«

Die einzige Antwort war ein weiteres gequältes Stöhnen.

»Mia.«

Ihre Lider flatterten und gaben schließlich den Blick auf ihre wunderschönen dunkelblauen Augen frei, aus denen ihm einst so viel Zuneigung entgegengeleuchtet hatte. Jetzt starrte sie ihn an, als würde sie ihren Augen nicht trauen. »Wade«, flüsterte sie.

»Ich bin’s, Schatz. Bei mir bist du sicher.«

Sie fing an zu weinen.

Ihre Tränen brachen ihm das Herz.

»Schschsch. Es ist alles gut. Jetzt wird alles gut.«

Sie schüttelte den Kopf. »N-nein, nichts ist gut.«

Wade musste sich Mühe geben, um sie zu verstehen, weil sie so sehr zitterte, dass ihre Zähne klapperten.

»In diesem Moment schon. Das Einzige, woran du jetzt denken musst, ist, dass dir wieder warm wird. Halt dich an mir fest, und lass mich dich aufwärmen.«

Mia vergrub sich tiefer in seiner Umarmung, legte den Arm um seine Taille und schob ihr Bein zwischen seine.

Wade schluckte schwer. Hier in seinen Armen lag die Frau, von der er träumte, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er wollte ihr eigentlich nur helfen, wieder aufzutauen, aber dass sie ihm so nah war, machte ihn auf eine ganz andere Art heiß. Er holte tief Luft und schob seine Hüfte das entscheidende Stückchen nach hinten, damit sie nicht bemerkte, was ihre Nähe mit ihm angestellt hatte.

Was es wohl bedeutete, dass sie zu ihm gekommen war? Er hatte einmal seine Adresse und Telefonnummer und die Adresse seines Büros aufgeschrieben und ihr gesagt, sie solle sich melden, wenn sie ihn jemals brauchte, egal aus welchem Grund. Da in Butler das Handynetz so gut wie nicht vorhanden war, besaß er gar kein Mobiltelefon; er hatte ihr aber alle anderen Möglichkeiten gegeben, wie sie ihn erreichen konnte. Das war jetzt schon so lange her, dass er angenommen hatte, sie habe den Zettel längst weggeworfen und ihn vergessen.

Er hatte sie nie vergessen können. Gedanken an sie und daran, was sie wohl gerade machte, quälten ihn monatelang und verursachten ihm schlaflose Nächte. Die darauffolgenden Arbeitstage waren unerträglich lang geworden, und er befand sich so gut wie ständig am Rande der kompletten Verzweiflung. Er kannte Mia schon ein Jahr, als er zum ersten Mal seiner Schwester Hannah von den komplizierten Gefühlen erzählte, die er für sie empfand. Auch seine Schwester Ella wusste davon, und er hatte seinem Großvater ein bisschen von ihr erzählt – sonst wusste aber niemand davon. Wade behielt seine Gefühle – vor allem seinen Schmerz und seine Verzweiflung – lieber für sich.

Als eines von zehn Kindern, von denen die meisten zusammen im familieneigenen Green Mountain Country Store arbeiteten, war es nicht leicht, ein Geheimnis zu hüten. Für ihn war es wahrscheinlich noch am leichtesten, da er schon immer als das Stille Wasser der Familie galt. Niemand dachte sich besonders viel dabei, wenn Wade sich zurücklehnte und die Verrücktheiten seiner Familie nur beobachtete, statt sich aktiv daran zu beteiligen. Deshalb war es ihm gelungen, seine Lage relativ geheim zu halten, was als Familienmitglied der Abbotts schon einiges heißen wollte.

Er wollte Mia so viel fragen – vor allem warum sie jetzt aufgetaucht, was ausgerechnet jetzt geschehen war –, aber er stellte seine Fragen nicht. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, sie zu wärmen und das Verlangen unter Kontrolle zu halten, das seinen Körper durchzuckte und ihn daran erinnerte, wie sehr er sie wollte, schon seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte.

Noch lange, nachdem Wade sie vor dem Feuer hingelegt hatte, zitterte Mia so sehr, dass ihre Zähne schmerzhaft aufeinanderschlugen. Ihr war noch nie in ihrem Leben so kalt gewesen. Ihr Auto war irgendwo in der Nähe von Butler in einer Schneewehe steckengeblieben. Glücklicherweise hatte sie zuvor stundenlang Straßenkarten von Butler und der Umgebung studiert. Während jeder einzelnen Sekunde des schrecklichen Jahres, das hinter ihr lag, hatte sie Wades Adresse und die Straßenkarte von Butler im Hinterkopf gehabt – ihr Weg in die Freiheit.

Während sie ihre Flucht plante, war ihre größte Sorge gewesen, dass Wade vielleicht gar nicht mehr bereit war, ihr zu helfen. Sie konnte nur hoffen und beten, dass er sie immer noch so wollte, wie er das einmal getan hatte, auch wenn er das nie mit Worten ausgedrückt hatte. So etwas spürte man einfach, und jetzt hing ihr Leben davon ab, dass er immer noch dasselbe fühlte.

Er war so warm und so verlässlich, und als er ihren Rücken mit kleinen, kreisenden Bewegungen massierte, hätte sie am liebsten angefangen zu schnurren. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie so aneinandergekuschelt unter der himmlischen Daunendecke gelegen hatten, aber irgendwann hörten ihre Zähne auf zu klappern, und das Gefühl kehrte mit einem schmerzhaften Stechen in ihre Extremitäten zurück. Die Wärme erfüllte ihren Körper und ihren Geist. Aber die Geborgenheit war noch besser als die Wärme des Holzofens – und Wades muskulöser Körper.

Sie hatte sich so lange gefragt, wie es wohl wäre, von Wade Abbott berührt zu werden, und jetzt wusste sie, wie sich der Himmel anfühlte. Sie atmete seinen holzigen, natürlichen Geruch tief ein und bemerkte, dass er sich die Haare geschnitten hatte, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Vor sehr langer Zeit hatte sie ihm in einem Café gegenübergesessen und sich gewünscht, sie könnte mit den Fingern die scharfen Konturen seines Gesichtes erforschen und ihm durch das wuschelige Haar streichen. Es war weder rot noch blond noch braun, sondern irgendeine interessante, golden leuchtende Mischung aus allen drei Farben.

Während dieser Treffen hatte sie sich jedes Detail eingeprägt, sogar die goldenen Funken, die in seinen braunen Augen tanzten, wann immer er sie ansah, während sie redeten, bis ihr Kaffee kalt und die Sonne schon fast hinter dem Horizont versunken war.

Immer, wenn sie ihn verlassen hatte, hatte Panik ihre Sinne vernebelt wie ein Schleier. Sie war sich jedes Mal sicher gewesen, dass ihre geheime Freundschaft mit Wade von dem Mann entdeckt werden würde, der sie eher umbringen würde, als zuzulassen, dass sie mit einem anderen zusammen war. Aber irgendwie waren sie immer wieder damit durchgekommen. Dann hatten sich andere Dinge ergeben, die sie überzeugt hatten, sich von Wade fernzuhalten – zu seiner eigenen Sicherheit und zu ihrer –, aber sie hatte nie aufgehört, an ihn zu denken, sich zu fragen, wie es ihm ging, und sich zu wünschen, dass alles anders wäre.

Ob er wohl auch an sie gedacht hatte? Oder lebte er längst mit jemand anderem zusammen? Lag vielleicht genau in diesem Moment eine andere Frau in seinem Bett im Schlafzimmer? Würde er sie so im Arm halten, wenn er eine andere hätte? Wenn es darum ging, ihr Leben zu retten, war sie sich sicher, dass er das tun würde. Aber wenn ihr wieder warm war, würde er sie dann loslassen und zu der Frau, die er liebte, zurückgehen?

Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand ein Messer ins Herz gestoßen. Die Gedanken an ihn hatten sie am Leben gehalten, schon lange, bevor sie die Flucht ergriffen hatte. Jetzt setzte sie ihre ganze Hoffnung darauf, dass er ihr helfen würde. Sie schmiegte sich näher an ihn und stieß auf den Beweis, dass er sie noch genauso sehr wollte wie immer.

Er schnappte nach Luft, als sie ihn berührte. »Mia …«

Der Beweis für sein Verlangen ermöglichte es ihr, die Frage zu stellen, die ihr auf der Seele brannte: »Willst du mich nicht küssen, Wade?«

Er starrte sie ungläubig an. »Bist du wirklich hergekommen, um mich zu fragen, ob ich dich küssen will? Oder wache ich morgen auf und merke, dass ich das hier nur geträumt habe?«

Sie legte die Hand an seine Wange, weil sie das schon so lange hatte tun wollen und es jetzt endlich möglich war. »Es ist kein Traum, und ich wünsche mir schon, dass du mich küsst, seit ich dich kenne.«

Er schloss die Augen, holte tief Luft und atmete langsam aus, bevor er die Augen wieder öffnete. »Was ist mit deinem Ehemann?«

»Ich habe keinen Ehemann.«

Ein halberstickter Laut entrang sich seiner Kehle, dann fanden seine Lippen die ihren. Der Schein des Feuers und das jahrelang gezügelte Verlangen sorgten dafür, dass er ihren Mund nicht verfehlte. »Ich will dir nicht weh tun.«

»Mir geht es gut, und ich will wirklich, dass du mich küsst.«

Er küsste sie wie besessen. Seine Finger gruben sich in ihr Haar, umschlossen ihren Kopf, so dass sie sich seinem Kuss nicht hätte entziehen können, selbst wenn sie das gewollt hätte. Glücklicherweise wollte sie das ganz und gar nicht, sie hatte eine Ewigkeit darauf gewartet, dass er sie küsste, und die Realität war tausendmal besser als ihre Phantasien.

Was da passierte einen Kuss zu nennen, wurde den Gefühlen, die in ihr explodierten, nicht ansatzweise gerecht. Seine Zunge fand die ihre in einem erotischen, sinnlichen Tanz, der dafür sorgte, dass ihr vor Verlangen ganz schwindelig wurde.

»Mia …« Er zog sich langsam zurück und küsste sanft die unverletzte Seite ihres Gesichts und ihres Halses. »Du hast ja keine Ahnung, wie lange ich dich schon küssen wollte!«

»Hör nicht auf.« Sie klang verzweifelt, aber das war ihr egal. Sie begehrte ihn von ganzem Herzen, und so strich sie ihm mit den Fingern durchs Haar und zog ihn wieder an sich.

Sie küssten sich, als fürchteten sie, dass es alles war, was sie je haben würden. Vielleicht war es das ja auch. Vielleicht konnte er ihr nicht helfen, und wenn das der Fall war, hätte sie keine andere Möglichkeit, als ihn zu verlassen. Um seinetwillen und um ihretwillen musste es alles sein. Oder nichts.

Aus einem Kuss wurden zwei und dann drei, und als sie endlich nach Luft schnappten, drückte er sich dicht an sie, und ihr war nicht mehr kalt, kein bisschen.

Er schaute sie an, und das Licht des Feuers verwandelte seine Haut und sein Haar in pures Gold. »Wer hat dir weh getan, Mia?«

»Der Mann, den ich einmal geliebt habe.«

»Warum hat er dir das angetan?« Er strich sanft mit den Fingerspitzen über ihre geschwollene linke Wange.

»Das ist eine lange Geschichte.«

»Du kannst nicht zu ihm zurückgehen!«, sagte er erbittert. »Ich wusste, dass er dir weh tut, aber ich konnte es nicht beweisen, und du hast nie mit mir darüber gesprochen.«

»Weil ich nicht konnte.«

»Wie bist du hierhergekommen?«

»Ich bin gefahren, so weit ich konnte, aber mein Auto ist auf dem Weg nach Butler in einer Schneewehe steckengeblieben. Dann bin ich gelaufen.«

»Aber das ist doch noch meilenweit weg!«

»Ich weiß nicht, wie weit es war, aber es hat sehr lange gedauert. Und als ich hier ankam und du nicht zu Hause warst … Das Letzte, an was ich mich erinnere, ist, dass ich nach der Türklinke gegriffen habe in der Hoffnung, dass es dir nichts ausmacht.«

»Natürlich nicht. Du hättest doch reinkommen können.«

»Ich bin wahrscheinlich ohnmächtig geworden, bevor ich mich entschieden hatte.«

»Es ist nicht leicht, meine Hütte zu finden. Du musst gewusst haben, wo sie ist, vor allem bei diesem Wetter.«

»Als du mir deine Adresse gegeben hast, habe ich mir auf der Karte angeschaut, wo es ist, und es mir gemerkt.«

»Warum, Mia? Warum hast du dir den Weg zu mir nach Hause gemerkt?«

»Weil ich wusste, dass ich zu dir kommen würde, sobald ich das konnte. Ich konnte nur hoffen, dass ich nach all der Zeit noch willkommen sein würde.«

»Bei mir bist du immer willkommen. Das weißt du.« Er sah sie voller Liebe, Freude und Hoffnung an. So viel Hoffnung, dass ihr Herz sich zusammenzog. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was passiert ist oder warum du gerade heute gekommen bist, mitten in diesem Schneesturm.«

»Weil …« Sie schluckte schwer und versuchte, den Mut zu fassen, um zu sagen, was sie sagen musste. »Du musst etwas für mich tun.«

»Ich würde alles für dich tun.«

Seine ohne jedes Zögern ausgesprochenen Worte sorgten dafür, dass sie vor Erleichterung beinahe anfing zu weinen. Sie hatte sich also nicht geirrt, was seine Gefühle für sie betraf.

»Sag mir, was du brauchst, Mia. Nichts, um das du mich bitten könntest, könnte je zu viel sein.«

Sie schaute auf und begegnete dem Blick seiner intensiven braunen Augen. »Bitte heirate mich.«

2

»Ich allein erkenne unendliche Leidenschaft, und das Leid zweier endlicher Herzen voller Sehnsucht.«

Robert Browning

Wade starrte sie an. Er war sich sicher, dass das gerade nicht wirklich passierte. Die Frau, nach der er sich gesehnt hatte, lag in seinen Armen und bat ihn, sie zu heiraten? Hatte er sich etwa für die versteckte Kamera angemeldet?

»Wade?« Sie wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum, und er bemerkte, dass er sie immer noch anstarrte.

»Ich habe die ganze Zeit gedacht, du bist schon verheiratet und dass er dir weh tut. Es war die reine Folter, nicht zu wissen, wie es dir geht.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, dass du wegen mir so eine schlimme Zeit hattest. Das wollte ich wirklich nicht.«

Er versuchte, diese Informationen zu verarbeiten. Strahlende Hoffnung erfüllte jede Faser seines Körpers. So intensiv hatte er dieses Gefühl noch nie erlebt.

»Alles okay?«, fragte sie.

Er holte tief Luft. »Äh, ja, mir geht’s gut. Besser als gut. Fabelhaft, wenn du es genau wissen willst.«

Sie lächelte. »Ich weiß, dass das ein ziemlicher Schreck ist, so komplett aus dem Nichts, aber …«

Er küsste sie. Weil er konnte. Weil er völlig verrückt nach ihr war. Weil sie hier war und ihn um Hilfe bat, und weil es absolut nichts gab, das er nicht für sie tun würde.

»Ja«, sagte er, seine Lippen an ihren. »Ich heirate dich.«

Sie entfernte sich ein Stückchen von ihm. »Du willst gar nicht wissen, warum?«

»Ich will unbedingt wissen, warum du verletzt bist und was getan wird, um die Person, die dir das angetan hat, zu bestrafen. Aber mir ist es völlig egal, warum du willst, dass wir heiraten. Ich bin dabei.«

»Wade …«

Er küsste sie wieder, verlor sich ganz in ihr. Er wollte sie mehr, als er je irgendetwas in seinem Leben gewollt hatte, und jetzt bat sie ihn, sein Leben mit ihr zu verbringen? So was von ja.

Mia zog sich wieder zurück, ließ aber ihre Hände an seinem Gesicht liegen. »Du musst wissen, warum.«

»Muss ich nicht.« Was er hingegen unbedingt musste, war, sie weiter zu küssen, immer weiter, und für den Rest seines Lebens nie wieder damit aufzuhören. Wenn er das tun konnte, brauchte er nichts anderes mehr. Nie wieder.

Sie drehte den Kopf weg, um den Kuss zu unterbrechen. »Wade, du musst wissen, warum. Wenn du es weißt, wirst du deine Meinung vielleicht ändern.«

»Ich habe dir meine Antwort schon gegeben, aber wenn du mir noch mehr sagen möchtest, ich bin ganz Ohr. Und P. S.: Ich werde meine Meinung nicht ändern.«

»Ich muss mich dafür hinsetzen, und du darfst mich nicht berühren und damit meine Gehirnzellen so durcheinanderwirbeln, dass ich vergesse, was ich sagen wollte.«

Er grinste selbstzufrieden und half ihr auf, dann legte er ihr die Decke um die Schultern. »Ich wirbele deine Gehirnzellen durcheinander?«

Sie warf einen langen, hungrigen Blick auf seine nackte Brust, Öl ins Feuer des Verlangens, das in ihm loderte. Hatte sie überhaupt den Hauch einer Ahnung, wie schön sie für ihn war? Und dass es seine gesamte Willenskraft erforderte, seine Hände bei sich zu behalten, wenn sie ihn so ansah? »Du hast meine Gehirnzellen schon durcheinandergewirbelt, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben, und das weißt du nur zu gut.«

»Nein, das wusste ich bis gerade eben nicht. Ich habe mich lange gefragt, ob es nur mir so geht.«

»Nicht nur dir.«

Plötzlich verschwand jeglicher Ausdruck von ihrem Gesicht, und sie schien sich in sich selbst zurückzuziehen.

Weil Wade Mia unmöglich so nahe sein konnte, ohne sie zu berühren, jetzt, wo sie es ihm endlich erlaubt hatte, nahm er ihre Hand und küsste ihren Handrücken. »Was es auch ist, wir werden gemeinsam damit fertig. Jetzt, wo du hier bist, lasse ich dich nie mehr los.«

»Du musst wissen, worauf du dich einlassen würdest, bevor du eine Entscheidung triffst.«

Es machte ihm Sorgen, wie tonlos ihre Stimme mit einem Mal war.

»Sag mir alles, von dem du denkst, dass ich es wissen muss, und dann sehen wir weiter. Aber ich habe mich schon entschieden.«

Sie schaute zu ihm auf, und die Traurigkeit in ihren Augen machte es ihm fast unmöglich, sie nicht in den Arm zu nehmen. »Hast du von der großen Drogenrazzia in Caledonia County gehört? Vor ein paar Monaten?«

»Ich habe irgendetwas darüber gelesen.« Und er erinnerte sich daran, dass sein Großvater Elmer ihn gefragt hatte, ob er etwas darüber wusste, ungefähr vor einem Monat. Er setzte sich gerade hin, fragte sich, wo die Verbindung war. »Was ist damit?«

»Der Bandenführer war ein Mann namens Brody Dennison. Er … Er ist der Mann, mit dem ich die letzten drei Jahre zusammen war. Der, von dem ich mich schon fast ebenso lange befreien wollte, aber er …«

Plötzlich machte der Angelausflug, zu dem Elmer ihn mitgenommen hatte, Sinn. Er hatte es gewusst, und er hatte wissen wollen, ob Wade es auch wusste. Woher zum Teufel hatte er es gewusst? »Was, Liebling?« Wade versuchte, die Wut zu kontrollieren, die in ihm kochte. »Was hat er gemacht?«

»Er hat gesagt, wenn ich ihn jemals verlasse, dann würde er mich finden, und er würde mich umbringen.«

Wade seufzte schmerzlich.

»Ich … ich hatte Angst, dass er dich auch umbringen würde, wenn er je etwas von unserer … unserer Freundschaft erfahren würde. Deshalb habe ich nicht mehr angerufen. Ich hatte Angst um dich.«

»Ich kann mich schon verteidigen. Ich möchte nicht, dass du dir Sorgen um mich machst.«

»Ich hab mir aber Sorgen gemacht. Du hast ja keine Ahnung, wozu er fähig ist. Ich habe erst vor kurzem herausgefunden, was er wirklich die ganze Zeit gemacht hat, während er mir etwas von seinem ›erfolgreichen An- und Verkaufsgeschäft‹ vorgelogen hat. Es ging die ganze Zeit um eine riesige Heroinsache. Er hat so vielen Menschen geschadet, so viele Leben zerstört … Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke.«

Wade streckte die Hand aus und streichelte ihren verletzten Hals. »Hat er dir das angetan?«

Sie nickte. »Es hat sich herausgestellt, dass ich gerade genug weiß, um eine Bedrohung bei der Gerichtsverhandlung darzustellen. Er ist nicht mehr im Gefängnis, weil jemand die Kaution gezahlt hat, und er hat versucht, mich dazu zu bringen, ihn zu heiraten, damit ich nicht gegen ihn aussagen muss. Als ich mich geweigert habe, hat er …« Sie atmete tief durch. »Er hat mich geschlagen, und er hat gesagt, er tut mir noch mehr an, wenn ich meine Meinung nicht ändere.« Sie schob ihr Top nach oben. Ihr Bauch und ihre Rippen waren übel zugerichtet.

Wade schnappte nach Luft. »Mia, o mein Gott. Du musst ins Krankenhaus! Was ist, wenn du innere Verletzungen hast?«

»Es ist schon vor ein paar Tagen passiert, ich glaube, es ist halb so wild.«

»Ich weiß, du hast gesagt, ich soll dich nicht berühren, während wir reden, aber ich muss einfach. Darf ich, bitte?«

Ihr Kinn zitterte. »Ja, bitte.«

Er hob sie samt Decke vom Boden auf und setzte sich mit ihr aufs Sofa. Er setzte sie so hin, dass sie sich gegenübersaßen, die Decke über ihren Schultern, damit sie nicht wieder zu frieren begann. »Wie konntest du entkommen?«

»Er musste heute vor Gericht erscheinen, und ich bin abgehauen, während er weg war. Er hat gesagt, wenn er zurückkommt, würde er jemanden mitbringen, der uns traut, so dass ich für immer mein fettes Maul halten müsse. Ich habe mich schon seit Wochen auf die Flucht vorbereitet, aber nachdem er mich so geschlagen hatte, wusste ich, dass er nicht lockerlassen würde, bis er mich auf Lebenszeit an sich gebunden hat. Ich hab mir gedacht, der einzige Weg, wie er mich in Ruhe lassen würde, wäre, wenn ich ihn gar nicht mehr heiraten könnte, weil ich mit jemand anderem verheiratet bin. Und der einzige Mensch, den ich je heiraten wollte, ist dieser unglaublich gutaussehende, süße Typ, den ich vor ein paar Jahren im Yoga-Retreat kennengelernt habe und der mir seitdem einen Grund gegeben hat, am Leben zu bleiben, einfach nur, weil ich wusste, dass er irgendwo da draußen ist.«

Wade wischte eine Träne weg, die ihr die Wange hinunterrollte. Er konnte es nicht ertragen, sie weinen zu sehen. »Er verletzt dich jetzt schon eine ganze Weile lang, oder?«

»So noch nicht, aber anders. Er hat mich an den Armen gepackt, an den Haaren gezerrt … Sachen, die man mir nicht ansehen würde, die mich aber genug einschüchtern sollten, um seine Grenzen nicht zu überschreiten. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie der nette Kerl, in den ich mich verliebt hatte, sich in so ein Monster verwandeln konnte. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis mir klarwurde, dass er schon immer ein Monster gewesen war. Er hat das nur versteckt, als wir uns kennenlernten, als ich noch dachte, ich hätte endlich einen guten Partner gefunden. Erst als ich dich kennengelernt habe, einen wirklich guten Mann, da wurde mir klar, wie sehr ich mich in ihm getäuscht hatte.«

»Ich frage mich, wie du es geschafft hast, dass er dich zu diesem Yoga-Retreat gelassen hat.«

»Er ist übers Wochenende mit seinen Brüdern zum Angeln nach Maine gefahren. Ich bin gegangen, nachdem er weg war, und zurückgekehrt, bevor er wieder da war. Ich habe als Kellnerin gearbeitet, und er hat nie gefragt, wofür ich mein Geld ausgebe, wahrscheinlich, weil er so viel Drogengeld angehäuft hatte, dass er meinen lächerlich kleinen Beitrag nicht brauchte. Ich bin so oft ich konnte abgehauen, damit ich bereit sein würde, wenn sich eine Chance zur Flucht ergab. Ich bin nicht mittellos, falls du dich das fragst.«

»Das frage ich mich aber nicht. Das ist das Letzte, was ich mich gerade frage. Ich werde dich nicht nur heiraten, damit du ihn nicht heiraten kannst und auch sonst niemanden, ich werde dich auch vor ihm beschützen, und vor jedem einzelnen Menschen, der je wieder versuchen könnte, dir etwas anzutun. Ich stehe jetzt hinter dir, und meine ganze, wunderbare Familie auch. Wir kümmern uns um dich, mein Liebling, und ich werde dafür sorgen, dass mein Cousin Grayson dich in rechtlichen Angelegenheiten vertritt. Alles wird gut, das verspreche ich dir.«

»Er wird sich nicht so einfach geschlagen geben«, sagte sie leise. »Ich habe keine Ahnung, wie er reagiert, wenn er herausfindet, dass ich einen anderen geheiratet habe.«

»Er wird niemals wieder in deine Nähe kommen. Nicht, solange ich lebe.«

»Ich wäre fast nicht hergekommen. Ich habe darüber nachgedacht, Richtung Westen zu fahren und einfach zu verschwinden.«

»Ich bin so froh, dass du das nicht getan hast. Ich hätte dich für den Rest meines Lebens vermisst.«

»Wade …« Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Worum ich dich bitte, könnte dich in große Gefahr bringen. Ich muss mir sicher sein, dass du das verstehst.«

»Ich verstehe es.«

»Du musst darüber nachdenken, du musst dir sicher sein …«

Er küsste sie. »Ich bin mir sicher. Meine Tante ist die Notarin im Ort. Mein Großvater ist Friedensrichter. Wir holen uns die Lizenz und heiraten, sobald der Schneesturm vorbei ist.«

»Was wird deine Familie dazu sagen?«

»Es ist mir völlig egal, was sie sagen.«

»Ist es nicht. Du weißt genauso gut wie ich, dass es dir ganz und gar nicht egal ist, was sie von dir denken.«

»Nicht zu dem hier.« Er schaute ihr in die Augen. »Es gibt nichts – und ich meine wirklich nichts –, das irgendjemand sagen oder tun könnte, was mich davon abhalten könnte, dich zu beschützen. Wenn ich dir helfe, bekomme ich außerdem alles, was ich immer wollte. Ich sehe es als Win-Win.«

»Das sagst du jetzt … Ich werde monatelang, vielleicht sogar jahrelang in den Fall Brody verwickelt sein.«

»Das nehmen wir, wie es kommt, einen Tag nach dem anderen, bis es der Vergangenheit angehört und wir nie mehr daran denken müssen.«

»Ich würde es verstehen, wenn du möchtest, dass ich etwas unterschreibe, das dich und deinen Besitz danach schützt.«

»Wonach?«

»Nach unserer Ehe natürlich.«

»Liebling, lass mich eins klarstellen. Ich werde absolut alles tun, was in meiner Macht steht, damit du für den Rest deines Lebens nirgendwo anders sein möchtest als bei mir. Also lass uns nicht darüber reden, wie es enden wird. Reden wir darüber, wie wir dafür sorgen, dass es funktioniert.«

»Wir hatten noch kein einziges Date.«

»Jedes Mal, wenn wir uns in irgendeinem Café gegenübergesessen haben, war das für mich besser als jedes Date, das ich je hatte. Aber wenn du ein offizielles Date haben willst, klar. So viele du willst. Nachdem wir dir einen Ring an den Finger gesteckt haben, so dass niemand mehr versuchen kann, dich mir wegzunehmen.«

Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen, die sie schnell schloss, um die Flut unter Kontrolle zu halten.

»Was?«, fragte er erschrocken.

»Ich hatte solche Angst, dass du mich vergessen hast«, flüsterte sie.

»Ich könnte dich nie, nie, niemals vergessen. Ich möchte nicht, dass du jemals wieder Angst hast. Du hast jetzt mich, und was auch immer auf uns zukommt, wir kümmern uns darum, bis es so weit in der Vergangenheit liegt, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst. Wir machen uns so viele schöne Erinnerungen, dass in deinem Kopf gar kein Platz mehr für die schlechten ist.«

»Du lässt mich daran glauben, dass das tatsächlich möglich ist.«

»Mehr als nur möglich.« Er zog sie sanft in seine Arme. »Mach die Augen zu und ruh dich aus. Du bist jetzt in Sicherheit. Ich halte dich fest, und ich lasse dich nie wieder los.«

3

»Das Geheimnis einer glücklichen Ehe ist, den richtigen Menschen zu finden. Du weißt, dass es richtig ist, wenn ihr die ganze Zeit zusammen sein wollt.«

Julia Child

Wenn irgendwer Wade Abbott gesagt hätte, dass am Ende dieses Tages Mia Simpson in seinen Armen einschlafen würde, hätte er laut gelacht. Als ob darauf auch nur die geringste Chance bestünde. Und jetzt … Jetzt würden sie heiraten. Es passierten mit Sicherheit noch verrücktere Dinge … nur bisher nicht ihm.

Es gab noch viele Details zu klären, aber nicht, bevor der Sturm vorbei war, wahrscheinlich irgendwann am nächsten Tag. Sobald er es schaffte, sie freizuschaufeln, würde er mit Mia in die Stadt fahren und den Ball ins Rollen bringen. Zuallererst würde er sie in die große rote Scheune bringen, die das Zuhause seiner Familie war, um sie seinen Eltern vorzustellen.

Dieser Gedanke sorgte dafür, dass er zum ersten Mal Angst hatte, seit Mia ihn gefragt hatte, ob er sie heiraten würde. Seine Eltern würden das nicht verstehen, und er musste es einfach schaffen, ihnen klarzumachen, wie sehr er das hier wollte – wie sehr er sie wollte. In einer Sache hatte sie nämlich recht gehabt – der Segen seiner Eltern bedeutete ihm viel.

Nicht, dass irgendjemand ihm hätte ausreden können, Mia zu heiraten, aber er wusste, dass sie gegen seine Pläne sein würden, und zwar vehement, weil er ihnen nie von Mia erzählt hatte. Sie wussten nicht einmal, dass Mia existierte.

Das Mindeste, was sie versuchen würden, wäre, ihm ins Gewissen zu reden. Aber weder er noch sein Gewissen hatten das auch nur im Geringsten nötig. Er hatte sich entschieden. Er würde Mia heiraten, und zwar so schnell wie möglich. Und dann würde er alles tun, was in seiner Macht stand, damit ihre Ehe ein Erfolg wurde.

Hatten sie die besten Bedingungen für ihren Start in die gemeinsame Zukunft? Sicher nicht. Aber Ehen hatten schon unter schlimmeren Umständen begonnen. Wenigstens hatten sie echte Gefühle füreinander, und Wade glaubte fest daran, dass diese Gefühle noch wachsen und strahlen würden, wenn sie erst jeden Tag zusammen sein konnten.

Jeden Tag zusammen. Mit Mia, meiner Frau.

Dieser Gedanke machte ihn unglaublich glücklich. Es gab noch so viel, was er nicht über sie wusste, wo sie ursprünglich herkam, zum Beispiel, ob sie Geschwister hatte, wo ihre Eltern lebten oder wer ihre Freunde waren. Er konnte es kaum erwarten, mit ihr zu reden, bis ihnen die Worte ausgingen, hoffentlich in fünfzig oder sechzig Jahren.

Sie in den Armen zu halten war, als wären alle Träume, die er je gehabt hatte, auf einmal in Erfüllung gegangen. Er hatte sie bisher nicht einmal umarmen dürfen, obwohl er so oft am liebsten die Arme um sie geschlungen und sie angefleht hätte, mit ihm nach Hause zu kommen. Aber sie war so schreckhaft und verängstigt gewesen. Und er hatte gedacht, sie sei verheiratet, also blieb er konsequent auf der platonischen Straßenseite – auch wenn sich jede einzelne seiner Zellen nach ihr sehnte. Zu hören, dass sie nicht mit dem Mann verheiratet war, von dem er immer schon gewusst hatte, dass er ihr weh tat … Das war eine der besten Neuigkeiten, die ihn je erreicht hatten.

Er atmete sie ein, prägte sich den frischen Geruch ihres Haares ein und wie sich ihre seidenweiche Haut anfühlte. Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Moment, in dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, in einem Raum voller Menschen beim Yoga-Retreat. In seinen Augen hatte sie ausgesehen wie ein Engel, mit den blonden Locken, die ihr Gesicht umschlossen wie ein Heiligenschein. Ihre dunkelblauen Augen und ihre makellose, helle Haut hatten diesen Eindruck noch verstärkt. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er sich sofort zu einem anderen Menschen hingezogen fühlte, und er hatte zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Wort mit ihr gesprochen.

Die Worte waren später gekommen, als sie sich zum Abendessen an seinen Tisch gesetzt und sie ein Gespräch begonnen hatten, das bis tief in die Nacht dauerte. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, worüber sie geredet hatten, nur daran, dass er gehofft hatte, dass es nie enden würde. In den langen Monaten, seit er zum letzten Mal mit ihr gesprochen hatte, hatte er den Klang ihrer Stimme fast ebenso sehr vermisst wie den Anblick ihres wunderschönen Gesichts.

Und jetzt … Gott, es war fast zu viel für sein armes Gehirn.

Er atmete tief ein und schauderte.

»Was ist denn?«, fragte sie.

»Nichts. Es ist alles absolut perfekt.«

»Wenn du es dir anders überlegt hast, kann ich das verstehen.«

Er legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen. »Ich werde es mir nicht anders überlegen. Nichts davon, also mach dir nie wieder Sorgen darüber.«

Sie schloss die Augen, und erneut traten Tränen unter ihren Lidern hervor.

Er wischte sie weg, dann küsste er sie auf die Stirn. »Warum weinst du?«

»Ich bin einfach so erleichtert! Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, wenn du mir nicht helfen könntest oder wolltest. Ich hätte irgendwo hingehen und verschwinden müssen. Meinen Namen ändern … Und die ganze Zeit Angst haben, dass er mich doch noch findet.«

»Nichts davon wird passieren. Wir stehen das gemeinsam durch, und er wird nie wieder Gelegenheit haben, dir weh zu tun.«

»Ich habe irgendwie auch ein schlechtes Gewissen.«

»Warum?«

»Weil das Ganze nicht das Geringste mit dir zu tun hat, und sobald ich dich heirate, bist du mittendrin.«

»Ich habe dir doch schon gesagt, dass mir das völlig egal ist. Das Einzige, was zählt, ist, dass du in Sicherheit bist und dir keine Sorgen mehr machen musst.«

Sie holte tief Luft und zitterte leicht, während sie wieder ausatmete. »Danke. Ich weiß nicht, ob ich das schon genug gesagt habe oder …«

Er küsste sie. »Du musst mir nicht danken. Dich bei mir zu haben fühlt sich an wie ein Traum, der plötzlich in Erfüllung gegangen ist. Du gibst mir mindestens so viel, wie ich dir gebe.«

»Das ist doch nicht wahr«, sagte sie und lachte.

»Es ist total wahr. Du hast ja keine Ahnung, was ich mir für Sorgen um dich gemacht habe. Wie traurig ich war, dass ich dich nicht mehr sehen durfte, oder mit dir reden … Und jetzt darf ich dich heiraten, du kannst also sofort aufhören, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil es noch nie etwas gab, das mich glücklicher gemacht hat – oder mir mehr Sorgen bereitet hat –, als dich halberfroren auf meiner Veranda zu finden.«

Sie lachte über seine Worte. »Ich hoffe, so geht es dir immer noch, wenn wir verheiratet sind.«

»Ich habe den starken Verdacht, dass es mir immer so gehen wird.«

Zum ersten Mal seit Wochen konnte Mia sich ein wenig entspannen. Wade war alles, was sie gehofft hatte – und mehr. Alles, wovor sie Angst gehabt hatte – dass er mittlerweile mit jemand anderem zusammen war oder dass er sie ganz einfach vergessen hatte –, war nicht passiert. Er war völlig frei, und seine Gefühle für sie schienen so stark zu sein, wie sie immer gewesen waren.

»Hast du Hunger?«, fragte er.

»Nein, danke, alles gut.« Ihr Magen war schon so lange völlig verkrampft, dass es zu einer echten Mammutaufgabe geworden war, genug zu essen.

»Dann lass uns ins Bett gehen, das ist viel bequemer als das Sofa.«

Für sie war es mit ihm auf dem Sofa gemütlicher, als es seit Monaten irgendwo sonst gewesen war, aber sie nahm nur allzu gerne seine Hand und folgte ihm ins Schlafzimmer.

»Das Badezimmer ist gleich hier, wenn du es brauchst, und im Schrank ist noch eine frische Zahnbürste.«

»Ich habe eine in meiner Tasche.« Sie schnappte nach Luft. »Meine Tasche! Bitte sag mir, dass ich die dabeihatte, als du mich gefunden hast.«

»Ich sehe mal nach.« Er ging wieder ins Wohnzimmer und kam mit der Plastiktüte zurück, die sie dabeigehabt hatte, als sie sich durch den Schnee zu seiner Hütte gekämpft hatte. Es hatte sich angefühlt wie eine Ewigkeit.

»Oh, Gott sei Dank, ohne die bin ich verloren.« Sie nahm ihm die Tüte aus der Hand und verschwand im Badezimmer.

Als sie ein paar Minuten später wieder zum Vorschein kam, hatte er eine Schlafanzughose aus Flanell und ein langärmliges T-Shirt für sie aufs Bett gelegt. Sie schlüpfte dankbar hinein, ihre Zähne hatten nämlich wieder angefangen zu klappern, sobald sie das warme Nest am Feuer verlassen hatte.

»Ich werfe noch ein paar Holzscheite in den Ofen«, sagte Wade. Er hatte sich ebenfalls eine Schlafanzughose angezogen, aber seine umwerfende Brust war unbedeckt.

Mia wurde klar, dass sie ihn am liebsten die ganze Zeit angestarrt hätte – wie jemand, der seit Monaten gehungert hat und plötzlich vor einem Festessen steht. All die Emotionen, die es in ihr auslöste, dass sie mit ihm zusammen war, dass er sie beschützen wollte, dass sie sich mit ihm so sicher fühlte, sorgten dafür, dass ihr die Knie weich wurden. Sie setzte sich aufs Bett und konzentrierte sich darauf, zu atmen. Es war noch nicht lange her, dass sie komplett unabhängig gewesen war und keinen Beschützer gebraucht hatte. Aber das war gewesen, bevor sie Brody getroffen und sich in dem Netz dieser schlechten Beziehung verfangen hatte. Von so etwas hatte sie nur gehört und gelesen, bevor es ihr selbst passiert war.

Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sie Freunde gehabt und einen guten Job als Kellnerin in einem teuren Restaurant, sie hatte eine Wohnung gehabt und ein Leben, das sie sich selbst aufgebaut hatte. Sie hätte nie gedacht, dass sie derart unter die Kontrolle eines Mannes geraten könnte. Sie schauderte, als sie daran dachte, wie er auf sie eingeprügelt hatte, bis sie ohnmächtig geworden war. Wie war sie nur aus ihrem vorherigen Leben in eine Situation geraten, in der der Mann, der behauptet hatte, sie zu lieben, sie grün und blau schlug?

Wade kam mit einem Glas Wasser wieder ins Schlafzimmer. Er reichte es ihr. »Du musst genug trinken, nachdem du so ausgekühlt warst.«

»Danke.« Erst als sie einen Schluck Wasser trank, wurde ihr klar, wie viel Durst sie hatte.

»Ich hab auch noch dieses Zeug, das wir in unserem Geschäft verkaufen. Es wirkt bei blauen Flecken wirklich Wunder.« Er holte einen grünen Behälter hervor und hielt ihn ihr hin. »Willst du es ausprobieren?«

»Warum nicht.«

Wade setzte sich neben sie. »Willst du es selber auftragen, oder soll ich das machen?«

»Würdest du?«

»Sehr gerne«, sagte er mit einem breiten Grinsen. Er öffnete den Behälter und nahm etwas von der weißen Creme. »Mach einfach die Augen zu und sag Bescheid, wenn es weh tut.«

Seine Berührungen waren sanft und federleicht, während er die Creme auf der verletzten Gesichtshälfte verteilte. Sofort spürte sie, wie die angenehme Kühle ihr Erleichterung verschaffte. »Was ist denn da drin?«

»Eukalyptus, unter anderem.«

»Fühlt sich wirklich gut an.«

»Es lindert den Schmerz und unterstützt den Heilungsprozess.«

»Können wir auch etwas auf meine Rippen tun?«

»Klar. Leg dich mal hin.«

Mia legte sich aufs Bett und schob T-Shirt und Top hoch, so dass ihr Bauch und ihre Rippen freilagen.

Sein Gesicht stand plötzlich unter Spannung, als er die Hämatome sah. »Wie konnte er dir das nur antun?« Er beugte sich vor und küsste den dunkelsten, schlimmsten blauen Fleck.

Mia schnappte nach Luft.

»Tut mir leid. Ich wollte dir nicht weh tun.«

Sie strich ihm mit den Fingern durchs Haar. »Hast du nicht. Ich habe nicht vor Schmerz nach Luft geschnappt.«

Er schaute voller Verlangen zu ihr auf. »Nicht?«

Sie schüttelte den Kopf.

Wade küsste jede einzelne der Prellungen, bevor er die heilende Creme auftrug. »Jetzt solltest du dich morgen schon deutlich besser fühlen.«

»Ich fühle mich jetzt schon besser.«

Er zog ihr Top vorsichtig wieder herunter und richtete dann das T-Shirt. »Ist dir warm genug?«

»Ja, schon viel besser, danke.« Sie schaute zum Nachttisch, auf dem ein Stapel Bücher neben einem gerahmten Familienfoto stand. Sie nahm das Foto in die Hand und betrachtete es. Alle trugen Jeanshemden, Khakihosen und ein breites Lächeln. Sie sahen so glücklich aus.

»Das da ist der Abbott-Familienzirkus.«

»Stell sie mir vor.«

»Komm unter die Decke, damit dir nicht wieder kalt wird.« Er nahm das Foto, ging hinüber zur anderen Bettseite und setzte sich neben sie. Als sie sich an ihn gekuschelt hatte, zeigte er auf die drei Menschen in der Mitte des Familienfotos. »Das ist meine Mom, Molly, mein Dad, Lincoln, und mein Großvater, Elmer. Und die Hunde meiner Eltern, Ringo und George.«

»Ringo?«

»Mein Dad ist ein völlig verrückter Beatles-Fan. Meine Mutter hat sich geweigert, eines ihrer Kinder Ringo zu nennen, deshalb heißt jetzt der Hund so. Übrigens sind George und Ringo beide Mädchen.«

Mia lachte. »Das ist ja toll. Ich liebe die Beatles.«

»Mein Dad wird dich lieben. Wirklich, das reicht schon völlig. Wenn wir uns den Country Store ansehen, kann ich dir seine Beatles-Sammlung zeigen. Die Leute kommen von überallher, um sie zu bestaunen.«

»Darauf freue ich mich!«

»Das ist mein ältester Bruder, Hunter, der Geschäftsführer unserer Firma. Das hier sind Colton und seine Verlobte Lucy, Max und seine Exfreundin Chloe. Max ist der Jüngste, und er war der Erste, der für ein Enkelkind gesorgt hat. Chloe hat sich nur einen Monat nach der Geburt des Babys aus dem Staub gemacht. Er zieht seinen Sohn Caden jetzt alleine groß.«

»Oh, wow. Wie alt ist Max denn?«

»Fast dreiundzwanzig.«

»Das ist eine große Verantwortung für einen so jungen Menschen.«

»Stimmt, aber er hat sehr viel Unterstützung, und er scheint sich langsam daran zu gewöhnen. Er arbeitet mit Colton auf unserer Ahornplantage auf dem Berg. Im Frühling ist dort oben ungefähr drei Wochen lang geradezu die Hölle los.«

»Hilft Coltons Verlobte auch mit?«

»In der Sirupzeit packen alle mit an, aber Lucy ist eine der Besitzerinnen einer Web-Design-Firma, sie arbeitet von zu Hause aus. Colton und sie leben auf dem Berg, einer der wenigen Orte, an denen man in Butler eine zuverlässige Internetverbindung und Handyempfang hat.«

»Ich hatte mich schon gefragt, warum mein Handy nicht funktioniert hat. Ich habe versucht, dich anzurufen, als ich im Schnee steckengeblieben bin.«

»Dein Handy ist in dieser Stadt völlig nutzlos.«

»Daran muss ich mich erst mal gewöhnen …«

»Das sagen alle. Ich hatte nie ein Handy, ich kann das also nicht beurteilen.«

»Ich versuche gerade, mich daran zu erinnern, wann ich zuletzt jemanden getroffen habe, der kein Handy hat.«

»Da hast du mir schon die Hölle heißgemacht, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, weißt du noch?«

»Ich weiß noch alles.«

»Ich auch. Na ja, das hier sind mein Bruder Will und seine Frau Cameron. In der Stadt nennt man sie ›Das Mädchen, das Fred angefahren hat‹. Fred ist unser Stadtelch, und als sie in der Schlammsaison nach Butler kam, hat sie ihn angefahren. Ihm ging es gut, ihrem Auto weniger. Will hat sie vor Fred und vor dem Schlamm gerettet, seitdem sind die beiden unzertrennlich. Sie wird dieses Jahr ihr erstes Kind bekommen. Er ist verantwortlich für unsere Made in Vermont-Produktlinie. Das da sind meine Schwester Hannah, sie ist Hunters Zwillingsschwester, und ihr Mann Nolan. Ihr erster Mann, Caleb, ist vor acht Jahren im Irak gestorben.«

»O nein, wie traurig!«