Menschen am Abgrund - Jack London - E-Book

Menschen am Abgrund E-Book

Jack London

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Beschreibung

Nur 14 Jahre nach den Jack-the-Ripper-Morden verschlug es Jack London an den Schauplatz der damaligen Verbrechen - ins Londoner East End. In seiner Sozialreportage "Menschen am Abgrund" dokumentiert er seinen dortigen Undercover-Aufenthalt im Sommer 1902. Der junge Autor lebte unter dem gewöhnlichen Volk im berüchtigten Elendsviertel, kam in Arbeitshäusern unter oder schlief auf der Straße. Anschaulich schildert er die Armut und den zermürbenden Lebensalltag der Bewohner und lässt den Leser am Schicksal der Hunderttausenden von Menschen teilnehmen, die unter den härtesten Bedingungen im East End ihren täglichen Überlebenskampf ausfochten. Vollständiger Text, übersetzt von Maria Weber. Mit 80 Abbildungen von Originalfotografien.

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„Jede Bank war mit Schlafenden angefüllt.“ – S. →

Die Hohepriester und Herrscher klagen:

“O Herr und Meister, die Schuld liegt nicht bei uns, Wir bauen nur, wie unsere Väter gebaut haben; Betrachten deine Abbilder, wie sie stehen Hoheitlich und einzig in unserm ganzen Land.

“Unsere Aufgabe ist schwer – mit Schwert und Feuer, Um deine Erde auf ewig gleich zu halten, Und mit scharfen stählernen Klauen deine Schafe, So wie du sie verlassen hast, zu bewahren.”

Dann wählte Christus einen Handwerker aus, Einen kleinen, verkümmerten, ausgezehrten Mann, Und ein mutterloses Mädchen mit Fingern Verkrümmt durch Elend und Not.

Diese setzte er in ihre Mitte, Und als sie aus Angst vor Befleckung Den Saum ihrer Kleidung hoben, Sagte er: „Seht hier die Bilder, die ihr von mir machtet.”

James Russell Lowell.

VORWORT

DIE Erlebnisse, die in diesem Band erörtert werden, widerfuhren mir im Sommer 1902. Ich stieg in die Unterwelt Londons hinab, mit einer Geisteshaltung, die ich am besten mit der des Forschers vergleichen kann. Ich wollte mich mit meinen eigenen Augen überzeugen, anstatt mich von denen belehren zu lassen, die nichts gesehen oder schon vor mir alles gesehen hatten. Ferner habe ich mir gewisse einfache Kriterien vorgenommen, um mit ihnen das Leben der Unterwelt abzuschätzen. Das, was Lebensqualität, körperliche und geistige Gesundheit fördert, ist gut; das, was weniger Lebensqualität bewirkt, das Leid bereitet, niederdrückt und das Leben verzerrt, ist schlecht. Es wird dem Leser leicht erkennbar sein, daß ich viel sah, das schlecht war. Dennoch darf man nicht vergessen, daß die Zeiten, von denen ich schreibe, in England als „gute Zeiten“ angesehen wurden. Der Hunger und der Mangel an Obdach, dem ich begegnete, stellen einen chronischen Zustand des Elends dar, der selbst in Zeiten des größten Wohlstands niemals ausgelöscht wird.

Nach dem Sommer, von dem ich schreibe, kam ein harter Winter. Große Mengen von Arbeitslosen bildeten Prozessionen, bestimmt ein Dutzend auf einmal, und marschierten täglich um Brot bettelnd durch die Straßen von London. Mr. Justin McCarthy faßte im Januar 1903 im New Yorker Independent die Situation folgendermaßen zusammen:

„Die Arbeitshäuser haben keinen Platz mehr, um die hungernden Menschenmengen unterzubringen, die jeden Tag und jede Nacht vor ihren Toren um Nahrung und Obdach betteln. Sämtliche gemeinnützigen Institutionen haben bei ihren Bemühungen, Nahrung für die notleidenden Bewohner der Dachkammern und Keller der Straßen und Gassen Londons bereitzustellen, ihre Mittel erschöpft. Die Quartiere der Heilsarmee in verschiedenen Teilen Londons werden allnächtlich von Heerscharen von Arbeitslosen und Hungrigen belagert, denen weder Obdach noch Nahrung zur Verfügung gestellt werden kann.“

Es wurde behauptet, daß die Kritik, die ich an den Dingen, wie sie in England sind, geübt habe, zu pessimistisch wäre. Ich muß sagen, daß ich im Gegenteil der optimistischste aller Optimisten bin. Doch ich messe Menschlichkeit weniger an politischen Anhäufungen als an Einzelpersonen. Die Gesellschaft wächst, während politische Maschinen zermalmen und „Schrott“ produzieren. Für die Engländer sehe ich, wenn es nach Menschlichkeit und Gesundheit und Glück geht, eine offene und frohe Zukunft. Aber in einer großen Menge der politischen Maschinerie, die sie gegenwärtig mißregiert, sehe ich nichts als einen Haufen Müll.

Jack London Piedmont, Kalifornien.

INHALT

Vorwort

Kapitel – Der Abstieg

Kapitel – Johnny Upright

Kapitel – Meine Unterkunft und einige andere

Kapitel – Ein Mann und der Abgrund

Kapitel – Am Rande des Abgrunds

Kapitel – Die Frying Pan Alley und ein Blick in die Hölle

Kapitel – Der Mann mit dem Viktoria-Kreuz

Kapitel – Der Kutscher und der Zimmermann

Kapitel – Das Arbeitshaus

Kapitel – Das Banner tragen

Kapitel – Die Armenspeisung

Kapitel – Krönungstag

Kapitel – Dockarbeiter Dan Cullen

Kapitel – Hopfen und Hopfenpflücker

Kapitel – Die Frau am Meer

Kapitel – Zweierlei Recht

Kapitel – Die Untauglichen

Kapitel – Löhne

Kapitel – Das Ghetto

Kapitel – Kaffee- und Logierhäuser

Kapitel – Die Unsicherheit des Lebens

Kapitel – Selbstmord

Kapitel – Die Kinder

Kapitel – Eine nächtliche Vision

Kapitel – Die Hungerklage

Kapitel – Trunksucht, Mäßigkeit und Sparsamkeit

Kapitel – Die Verwaltung

1. KAPITEL

DER ABSTIEG

Christus, achte auf uns in dieser Stadt, Und halte unser Mitgefühl und Mitleid Wach und unsere Gesichter himmelwärts; Damit wir nicht hart werden.Thomas Ashe.

ABER das kannst du doch nicht tun”, sagten Freunde, an die ich mich um Hilfe in der Angelegenheit wandte, ins Londoner East End herabzusteigen. „Du solltest besser die Polizei um einen Führer bitten”, fügten sie auf den zweiten Gedanken und im peinlichen Bemühen hinzu, sich auf die psychologischen Prozesse eines Verrückten einzustellen, dessen Empfehlungen offenbar besser waren als sein Geisteszustand.

„Aber ich will nicht zur Polizei gehen”, protestierte ich. „Was ich tun möchte, ist ins East End zu gehen und die Dinge mit meinen eigenen Augen zu sehen. Ich möchte wissen, wie diese Leute dort leben, warum sie dort leben und wofür sie leben. Kurz gesagt, ich will selbst dort leben.”

„Dort unten willst du nicht leben!”, sagten alle, und die Mißbilligung stand in ihren Gesichtern geschrieben. „Es heißt doch, daß es Orte gibt, wo das Leben eines Mannes keinen Schilling wert ist.”

„Genau die Orte, die ich sehen möchte”, unterbrach ich.

„Aber das geht doch nicht”, war die unfehlbare Erwiderung.

„Ich bin nicht zu euch gekommen, um das zu erfahren”, antwortete ich brüsk, etwas verärgert über ihr Unverständnis. „Ich bin hier fremd, und ich möchte, daß ihr mir erzählt, was ihr vom East End wißt, damit ich etwas habe, womit ich anfangen kann.”

„Aber wir wissen gar nichts über das East End. Es ist irgendwo da drüben.” Und sie schwenkten ihre Hände vage in die Richtung, in der man die Sonne in seltenen Fällen aufgehen sehen könnte.

„Dann werde ich zu Cook’s gehen”, verkündete ich.

„Oh ja”, sagten sie erleichtert. „Cook’s wird sicher etwas wissen.”

Aber bei O’ Cook, O’ Thomas Cook & Son, Reiseführer und Pfadfinder, lebende Wegweiser in aller Welt und Erste-Hilfe-Leistende für verwirrte Reisende – könnte man mich ohne Zögern und unverzüglich, mit Leichtigkeit und Schnelligkeit, in das dunkelste Afrika oder das innerste Tibet senden, doch zum Londoner East End, kaum einen Steinwurf vom Ludgate Circus entfernt, kennt man den Weg nicht!

„Aber das können Sie doch nicht tun”, sagte der lebende Katalog von Routen und Tarifen in Cook’s Niederlassung in Cheapside. „Es ist so – hm – so ungewöhnlich.“

„Konsultieren Sie die Polizei”, schloß er autoritär, als ich nicht lockerließ. „Wir sind es nicht gewohnt, Reisende ins East End zu bringen; wir erhalten nie die Bitte, jemanden dorthin zu bringen, und wir wissen auch gar nichts über den Ort.“

Dorset Street, Spitalfields. Die übelste Straße in London.

„Macht nichts“, fiel ich ihm ins Wort, um mich davor zu bewahren, durch seine Flut von Verneinungen aus dem Büro gejagt zu werden. „Es gibt aber doch etwas, das Sie für mich tun können. Ich möchte, daß Sie im Voraus verstehen, was ich vorhabe, damit Sie mich im Falle von Schwierigkeiten identifizieren können.“

„Ach, ich verstehe! Sollten Sie ermordet werden, wären wir in der Lage, die Leiche zu identifizieren.“

Er sagte es so fröhlich und kaltblütig, daß ich in dem Augenblick meinen starren und verstümmelten Leichnam auf einer Platte liegen sah, wo ununterbrochen kühles Wasser rieselte, und ihn, wie er sich darüber beugte und ihn betrübt und ruhig als den Körper des verrückten Amerikaners identifizierte, der das East End sehen wollte .

„Nein, nein“, antwortete ich; „bloß um mich zu identifizieren, falls ich mit den ‚Bobbies‘ aneinander gerate.“ Dieses letzte sagte ich mit einer gewissen Aufregung; ich begann wirklich schon die Volkssprache zu sprechen.

„Das“, sagte er, „ist eine Sache, die Sie mit dem Hauptbüro ausmachen müssen.“

„Es ist so unerhört, wissen Sie“, fügte er entschuldigend hinzu.

Der Mann im Hauptbüro druckste herum. „Wir haben es uns zur Regel gemacht“, erklärte er, „niemals irgendwelche Auskünfte über unsere Kunden zu geben.“

„Aber in diesem Fall“, drängte ich, „ist es der Kunde selbst, der Sie darum bittet, die Auskunft über sich zu geben.“

Wieder druckste er herum.

„Natürlich“, kam ich ihm hastig zuvor, „weiß ich, daß dies noch nie dagewesen ist, aber – “

„Wie ich gerade bemerken wollte“, fuhr er ruhig fort, „ist es noch nie dagewesen, und ich glaube nicht, daß wir etwas für Sie tun können.“

Ich ging also mit der Adresse eines Polizisten fort, der im East End wohnte, und begab mich zum amerikanischen Generalkonsul. Und hier fand ich endlich einen Mann, mit dem ich „Geschäfte machen” konnte. Da gab es kein Herumdrucksen, keine hochgezogenen Augenbrauen, ungläubiges Staunen oder leeres Gaffen. In einer Minute erklärte ich mich und mein Projekt, was er wie selbstverständlich hinnahm. In der nächsten Minute fragte er nach meinem Alter, Größe und Gewicht und musterte mich. Und in der dritten Minute, als wir uns beim Abschied die Hand gaben, sagte er: „In Ordnung, Jack. Ich werde mich an Sie erinnern und Sie im Auge behalten.“

Ich atmete erleichtert auf. Nachdem ich meine Taue gekappt hatte, konnte ich mich nun in diese menschliche Wildnis stürzen, von der niemand etwas zu wissen schien. Aber sogleich stieß ich auf eine neue Schwierigkeit in Gestalt meines Droschkenkutschers, einem graubärtigen und außerordentlich vornehm aussehenden Herrn, der mich mehrere Stunden lang unerschrocken durch die „City“ gefahren hatte.

„Fahren Sie mich zum East End runter“, wies ich ihn an und setzte mich.

„Wohin, Sir?“, fragte er mit unverhohlenem Erstaunen.

„Ins East End, egal wohin. Fahren Sie zu.“

Der Einspänner verfolgte einige Minuten einen ziellosen Weg, dann kam er zu einem verwirrten Halt. Die Öffnung über meinem Kopf wurde aufgedeckt, und der Kutscher blickte mich ratlos an.

„Ich wollte fragen“, sagte er, „wohin Sie wollen, zu welchem Ort wollen Sie denn?“

„East End“, wiederholte ich. „An keinen bestimmten Ort. Fahren Sie mich einfach überall herum.“

„Aber wie ist die Adresse, Sir?“

„Genug!“, donnerte ich. „Fahren Sie mich hinunter zum East End und zwar sofort!“

Nirgends in den Straßen Londons kann man dem Anblick bitterster Armut entkommen.

Es war offensichtlich, daß er nicht verstand, aber er zog seinen Kopf zurück, und trieb mürrisch sein Pferd an.

Nirgends in den Straßen Londons kann man dem Anblick bitterster Armut entkommen, denn fünf Minuten zu Fuß von fast jedem Punkt bringen einen in ein Armenviertel; doch die Gegend, in die mein Kutscher nun eindrang, war ein nicht enden wollender Slum.

Ein Blick in die Petticoat Lane.

Die Straßen waren mit einer neuen und andersartigen Rasse von Menschen angefüllt, klein von Statur und von erbärmlichem oder von Bier durchtränktem Aussehen. Wir rollten durch Meilen von Ziegelmauern und Schmutz, und von jeder Querstraße und Gasse blitzten lange Aussichten von Ziegelmauern und Elend auf. Hier und dort taumelte ein betrunkener Mann oder eine betrunkene Frau herum, und überall ertönten schrilles Gezänk und Geschrei. Auf einem Markt suchten tattrige Männer und Frauen in dem im Matsch herumliegenden Müll nach verrotteten Kartoffeln, Bohnen und Gemüse, während kleine Kinder sich wie Fliegen um eine vergammelnde Masse von Früchten scharten, ihre Arme bis zu den Schultern in die flüssige Verderbnis stießen, und halb zerfallene Brocken daraus hervorzogen, die sie an Ort und Stelle verschlangen.

Tattrige alte Männer und Frauen durchsuchten den im Matsch herumliegenden Müll.

Nicht eine Droschke begegnete mir während meiner ganzen Fahrt, während die meine wie eine Erscheinung aus einer anderen und besseren Welt zu sein schien, so wie die Kinder hinter und neben ihr herliefen. Und soweit ich blicken konnte, waren die massiven Ziegelmauern, die schmierigen Bürgersteige und die von Schreien erfüllten Straßen; und zum erstenmal in meinem Leben empfand ich Angst vor der Menge. Es war wie die Angst vor dem Meer; und die elenden Massen, Straße um Straße, erschienen mir wie die Wellen eines ausgedehnten und übelriechenden Meeres, das an mich brandete und anzuschwellen und mich unter sich zu begraben drohte.

„Stepney, Sir; Stepney Station“, rief der Kutscher.

Ich sah mich um. Es war wirklich ein Bahnhof, und er war verzweifelt dahin getrieben worden, an den einzigen vertrauten Ort, von dem er je in dieser ganzen Wildnis gehört hatte.

„Nun”, sagte ich.

Er brabbelte etwas Unverständliches, schüttelte den Kopf und sah sehr elend aus. „Ich bin ein Fremder hier“, brachte er hervor. „Und wenn Sie nicht zur Stepney Station wollen, so wäre ich sehr froh, wenn ich wüßte, was Sie wollen.“

„Ich will Ihnen sagen, was ich will“, sagte ich. „Sie fahren herum und halten nach einem Laden Ausschau, in dem alte Kleidung verkauft wird. Wenn Sie also einen solchen Laden sehen, fahren Sie geradeaus, bis Sie um die Ecke biegen, dann halten Sie an und lassen mich aussteigen.“

Ein Laden, in dem alte Kleidung verkauft wurde.

Ich konnte sehen, daß er langsam mißtrauisch wurde, ob er seinen Fuhrlohn erhalten würde, aber nicht lange danach fuhr er an den Bordstein und teilte mir mit, daß etwas zurück ein Altkleidergeschäft sei.

„Wollen Sie mich nicht bezahlen?“, bat er. „es sind sieben Schilling sechs, die Sie mir schuldig sind.“

„Ja“, lachte ich, „und es wäre das Letzte, was ich von Ihnen sehen würde.“

„Ach, Sir, aber es würde wohl das letzte sein, was ich von Ihnen sehe, wenn Sie mich nicht bezahlen“, gab er zurück.

Aber es hatte sich bereits eine Menge zerlumpter Schaulustiger um die Kutsche versammelt, und so lachte ich nur und ging den Weg zurück zu dem Laden.

Hier bestand die Hauptschwierigkeit darin, dem Verkäufer begreiflich zu machen, daß ich wirklich und ernsthaft alte Kleidung wollte. Aber nach einigen erfolglosen Versuchen, mir neue und unmögliche Mäntel und Hosen aufzudrücken, begann er, haufenweise alte Kleider zum Vorschein zu bringen, während er mich geheimniskrämerisch ansah und dunkle Andeutungen machte. Dies tat er mit der offensichtlichen Absicht, mich wissen zu lassen, daß er „meine Lügen durchschaut“ hatte, und um mich aus Furcht vor Enthüllungen für meine Einkäufe schwer bezahlen zu lassen. Ein Mann in Schwierigkeiten oder ein hochrangiger Krimineller von der anderen Seite des Ozeans war genau das, wofür er mich hielt – in jedem Fall eine Person, die ängstlich darauf bedacht war, der Polizei zu entgehen.

Aber ich stritt mit ihm über den unerhörten Unterschied zwischen den Preis und dem Wert seiner Waren, bis ich ihn ziemlich von dem Gedanken abbrachte, und er ließ sich auf eine zähe Verhandlung mit einem zähen Kunden ein. Am Ende entschied ich mich für eine derbe, aber abgenutzte Hose, eine ausgefranste Jacke mit nur einem verbliebenen Knopf, ein Paar lederne Stiefel, die vor allem dort gedient hatten, wo Kohle geschaufelt wurde, einen dünnen Ledergürtel und eine sehr schmutzige Stoffkappe. Meine Unterkleidung und Socken waren zwar neu und warm, aber von der Art, wie sie sich jeder heruntergekommene amerikanische Landstreicher unter gewöhnlichen Verhältnissen verschaffen konnte.

„Ich muß schon sagen, Sie sind ein harter Knochen“, sagte er mit geheuchelter Bewunderung, als ich ihm die zehn Schilling überreichte, die schließlich für die Kleidung vereinbart worden waren „Ich will verdammt sein, wenn Sie nicht schon einmal in der Petticoat Lane gewesen sind. Ihre Hosen sind ihre fünf Schilling wert, und jeder Dockarbeiter würde Ihnen zwei Schilling und einen Sixpence für die Schuhe geben, ganz zu schweigen von dem Mantel und dem neuen Unterhemd und den anderen Sachen.“

„Wie viel würden Sie mir für sie geben?“, verlangte ich plötzlich. „Ich habe Ihnen zehn Schilling für das alles bezahlt, und ich werde sie Ihnen gleich jetzt zurückverkaufen, für acht! Kommen Sie, machen wir es!“

Aber er grinste und schüttelte den Kopf, und obwohl ich ein gutes Geschäft gemacht hatte, war mir unangenehm bewußt, dass er ein besseres gemacht hatte.

Ich fand den Kutscher und einen Schutzmann mit zusammengesteckten Köpfen, aber der Letztere wandte sich ab, nachdem er mich scharf gemustert und das Bündel unter meinem Arm besonders genau unter die Lupe genommen hatte, und ließ den Kutscher zurück, damit er sich allein mit mir herumschlagen könnte. Und keinen Schritt wollte der sich fortbewegen, ehe ich ihm die sieben Schilling und Sixpence zahlte, die ich ihm schuldete. Daraufhin war er bereit, mich bis ans Ende der Welt zu fahren, entschuldigte sich sehr für seine Beharrlichkeit und erklärte, daß man in London Town auf die seltsamsten Kunden stieße.

Petticoat Lane.

Indessen fuhr er mich nur nach Highbury Vale im Norden Londons, wo mein Gepäck auf mich wartete. Hier zog ich am nächsten Tag meine Schuhe aus (nicht ohne Bedauern wegen ihrer Leichtigkeit und Bequemlichkeit), und meinen weichen, grauen Reiseanzug und in der Tat all meine Kleidung; und fuhr fort, mich mit der Kleidung der anderen und unvorstellbaren Männer einzukleiden, die in der Tat unglücklich gewesen sein mußten, sich von solchen Lumpen für die bemitleidenswerten Summen trennen zu müssen, die von einem Händler zu bekommen sind.

In die Achselhöhe meines Unterhemdes nähte ich einen goldenen Souvereign ein (ein Notgeld von bescheidenen Ausmaßen); und steckte mich dann selbst in mein Unterhemd. Und dann setzte ich mich nieder und moralisierte über die guten fetten Jahre, die meine Haut weich gemacht und die Nerven nahe an die Oberfläche gebracht hatte; denn das Unterhemd war rauh und kratzig wie ein härenes Hemd, und ich bin sicher, daß die strengsten Asketen nicht mehr litten als ich dies in den folgenden vierundzwanzig Stunden tat.

Der Rest meines Kostüms war ziemlich einfach anzuziehen, obwohl die Schuhe ein Problem waren. So steif und hart, als wären sie aus Holz, war es erst nach längerem Stampfen des Oberleders mit meinen Fäusten möglich, daß ich überhaupt meine Füße hineinstecken konnte. Dann humpelte ich, mit ein paar Schilling, einem Messer, einem Taschentuch und ein paar braunen Zigarettenpapieren und Flockentabak, die ich in meinen Taschen verstaut hatte, die Treppe hinunter und verabschiedete mich von meinen von bösen Vorahnungen heimgesuchten Freunden. Als ich vor der Tür stehen blieb, konnte das Hausmädchen, eine hübsche Frau mittleren Alters, sich nicht verbeißen zu grinsen, daß es ihre Lippen bis zur Kehle teilte, und aus unwillkürlicher Sympathie heraus die unflätigen Tiergeräusche auszustoßen, die wir als „Lachen“ zu bezeichnen gewohnt sind.

Kaum war ich auf der Straße, war ich beeindruckt von dem Statusunterschied, den mein Kleidungsstil bewirkte. Alle Unterwürfigkeit verschwand aus der Haltung des einfachen Volkes, mit dem ich in Berührung kam. Simsalabim! Mit einem Wimpernschlag war ich sozusagen einer von ihnen geworden. Meine ausgefranste an den Ellenbogen geflickte Jacke war das Abzeichen und das Aushängeschild meiner Klasse, welche nun ihre Klasse war. Es machte mich zu einem von gleicher Art, und an die Stelle der höhnischen und übertrieben respektvollen Aufmerksamkeit, die sie mir bis dahin entgegengebracht hatten, trat nun Kameradschaft. Der Mann in Cord mit dem dreckigen Halstuch sprach mich nicht mehr als „Sir“ oder „Chef“ an. Es war jetzt „Kamerad“ – ein feines und herzliches Wort, das ein freudiges und warmes Kribbeln erzeugte, welches der andere Ausdruck nicht hervorrief. Chef! Das schmeckt nach Überlegenheit und Macht und hoher Autorität – die Huldigung des Mannes, der dem Mann an der Spitze untergeordnet ist, in der Hoffnung, daß er ein bißchen nachlassen und sein Gewicht verringern wird, oder anders ausgedrückt, ist es eine Bitte um Almosen.

Dies bringt mich zu einem Entzücken, das ich in meinen Lumpen und Fetzen erlebt habe, und das dem durchschnittlichen Amerikaner im Ausland verwehrt ist. Der europäische Reisende aus den Staaten, der kein Krösus ist, wird schnell von den Horden der kriecherischen Räuber, die seine Schritte von der Morgendämmerung bis zur Dunkelheit belagern und seine Brieftasche in einer Weise leeren, die selbst den Zinseszins zum Erröten bringt, auf einen chronischen Zustand selbstbewußter Schäbigkeit reduziert.

In meinen Lumpen und Fetzen entkam ich der Bettelpest und begegnete den Menschen auf Augenhöhe. Mehr noch, ehe der Tag um war, drehte ich den Spieß um und sagte überaus dankbar „Danke, Sir“ zu einem Herrn, dessen Pferd ich hielt, und der mir einen Penny in meine begierige Hand warf. Auch fielen mir andere Veränderungen in meinem Verhalten auf, die durch mein neues Gewand hervorgebracht wurden. Beim Überqueren von überfüllten Durchgangsstraßen stellte ich fest, daß ich lebhafter darauf achten mußte, Fahrzeugen auszuweichen, und es beeindruckte mich sehr, daß mein Leben sich in direktem Verhältnis zu meinen Kleidern verbilligt hatte. Wenn ich mich zuvor bei einem Schutzmann nach dem Weg erkundigte, wurde ich gewöhnlich gefragt: „Bus oder Droschke, Sir?“. Aber jetzt lautete die Frage: „Wollen Sie gehen oder fahren?“ Und an den Bahnhöfen wurde mir jetzt ganz selbstverständlich eine Fahrkarte der dritten Klasse ausgestellt.

Aber es gab eine Entschädigung für all dies. Zum ersten Mal trat ich den englischen Unterschichten von Angesicht zu Angesicht gegenüber und lernte sie als das kennen, was sie waren. Wenn Müßiggänger und Arbeiter an Straßenecken und in Kneipen mit mir redeten, sprachen sie wie ein Mann zum anderen, und sie redeten, wie natürliche Männer reden sollten, ohne die geringste Absicht, irgend etwas aus mir herauszubekommen für das, was sie sagten oder wie sie es sagten.

Und als ich es endlich ins East End geschafft hatte, war ich zufrieden, als ich bemerkte, daß die Angst vor der Menge mich nicht mehr verfolgte. Ich war ein Teil davon geworden. Das gewaltige und übelriechende Meer war über mich gerollt, oder ich war sanft hineingeglitten, und es war nichts Furchterregendes daran – einzig ausgenommen das Unterhemd.

2. KAPITEL

JOHNNY UPRIGHT

Die Menschen leben in schmutzigen Verschlägen, In denen es keine Gesundheit und keine Hoffnung geben kann. Es existieren nur verbissene Unzufriedenheit an ihrem eigenen Los Und nutzloser Neid auf den Reichtum, den sie bei anderen sehen.Thorold Rogers.

ICH werde Ihnen nicht die Adresse von Johnny Upright geben. Es mag genügen, daß er in der angesehensten Straße im East End wohnt – einer Straße, die in Amerika als sehr schäbig gelten würde, aber in der Wüste von East London eine wahre Oase ist. Sie ist von allen Seiten von dichtgedrängtem Elend und von Straßen umgeben, die mit einer jungen und schmutzigen Generation vollgestopft sind; aber ihre eigenen Bürgersteige sind verhältnismäßig frei von den Kindern, die keinen anderen Platz haben, um zu spielen, während sich eine gewisse Verödung zeigt, da so wenige Leute kommen und gehen.

Jedes Haus in dieser Straße, wie in allen Straßen, steht Schulter an Schulter mit seinen Nachbarn. Die Häuser haben jedes nur einen Eingang, die Haustür; und jedes Haus ist ungefähr achtzehn Fuß breit, mit einem Stückchen eines gemauerten Hofs dahinter, wo man, wenn es nicht regnet, zu einem schieferfarbenen Himmel emporschauen kann. Man vergesse aber nicht, daß dies der East-End-Wohlstand ist, den wir jetzt betrachten. Einige der Leute in dieser Straße sind sogar so wohlhabend, daß sie ein „Mädchen“ beschäftigen. Johnny Upright beschäftigt eines, wie ich wohl weiß, da sie meine erste Bekanntschaft in diesem besonderen Teil der Welt war.

Ich kam zum Haus von Johnny Upright, und das „Mädchen“ kam zur Tür. Nun merken Sie sich, daß ihre Position im Leben bemitleidenswert und verächtlich war, aber ich es war, den sie mitleidig und geringschätzig anblickte. Sie ließ mich deutlich spüren, daß es ihr Wunsch war, unsere Unterhaltung kurz zu halten. Es sei Sonntag, und Johnny Upright nicht zu Hause, und das war auch schon alles, was ich zu hören bekam. Aber ich verweilte und diskutierte, ob das auch wirklich schon alles war oder nicht, bis Mrs. Johnny Upright an die Tür kam, wo sie das Mädchen schalt, weil es diese nicht geschlossen hatte, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf mich richtete.

East End „Mädchen“.

Nein, Mr. Johnny Upright sei nicht zu Hause, und überhaupt würde er niemanden am Sonntag empfangen. Das ist aber wirklich schade, sagte ich. Ob ich Arbeit suche? Nein, ganz im Gegenteil; tatsächlich sei ich zu Johnny Upright gekommen, um Geschäfte zu machen, die sich für ihn lohnen könnten.

Dies veränderte sofort alles. Der fragliche Gentleman sei in der Kirche, aber er würde in einer Stunde oder so zu Hause sein, und dann könne ich ihn zweifelsohne sprechen.

Ob ich freundlich hereingebeten wurde? - nein, die Dame bat mich nicht, obwohl ich um eine Einladung heischte, indem ich sagte, daß ich um die Ecke gehen und in einem Gasthaus warten würde. Und um die Ecke ging ich, aber da es Gottesdienstzeit war, war das „Pub“ geschlossen. Ein trister Nieselregen fiel herab, und in Ermangelung etwas Besseren setzte ich mich auf die Türschwelle eines benachbarten Hauses und wartete.

Und hierhin kam das „Mädchen“, sehr mürrisch und sehr verwirrt, um mir zu sagen, daß die gnädige Frau mich zurückzukommen bäte, und mich in der Küche warten lassen wolle.

„Es kommen so viele Leute, die sich nach Arbeit umsehen“, erklärte Mrs. Johnny Upright entschuldigend. „Darum hoffe ich, daß Sie mir nicht übelnehmen werden, wie ich Sie empfing.“

„Durchaus nicht, durchaus nicht“, antwortete ich in meiner großartigsten Weise, und fühlte mich wie ein niedriger Krimineller, indem ich meinen Lumpen etwas Würde zu verleihen versuchte. „Ich verstehe das, das kann ich Ihnen versichern. Ich vermute, Leute, die nach Arbeit suchen, beunruhigen Sie beinahe zu Tode?“

„Das tun sie“, antwortete sie mit einem beredten und ausdrucksvollen Blick; und führte mich daraufhin, nein, nicht in die Küche, sondern ins Eßzimmer – wie ich glaubte, ein Gefallen als Belohnung für meine vornehme Art.

Dieses Eßzimmer, auf der gleichen Etage wie die Küche, war etwa vier Fuß unterhalb des Bodenniveaus und so dunkel (es war Mittag), daß ich einen Moment warten mußte, damit meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Schmutziges Licht sickerte durch ein Fenster, dessen obere Hälfte sich auf einer Höhe mir einem Gehsteig befand, und bei diesem Licht konnte ich, wie ich feststellte, eine Zeitung entziffern.

Und hier, während ich auf die Ankunft von Johnny Upright warte, möchte ich erklären, was mich zu ihm führte. Während ich bei den Menschen im East End lebte, aß und schlief, war es doch meine Absicht, nicht weit entfernt einen sicheren Hafen zu haben, wohin ich hin und wieder gehen könnte, um mich zu versichern, daß gute Kleidung und Sauberkeit noch existierten. Auch konnte ich in diesem Hafen meine Post empfangen, meine Notizen aufarbeiten und gelegentlich in verändertem Gewand zur Zivilisation wechseln.

Aber dies brachte eine Schwierigkeit mit sich. Eine Unterkunft, in der mein Eigentum sicher wäre, bedeutete eine Wirtin, die einem Herrn, der ein Doppelleben führte, argwöhnisch gegenüberstünde; während eine Wirtin, die sich ihren Kopf nicht über das Doppelleben ihrer Untermieter zerbräche, für mich bedeuten würde, daß mein Eigentum nicht sicher wäre. Der Wunsch, dieses Dilemma zu vermeiden, hatte mich zu Johnny Upright geführt. Er war ein Polizist mit dreißig Jahren ununterbrochener Dienstzeit im East End, weit und breit bekannt unter einem Namen, den ein verurteilter Verbrecher auf der Anklagebank ihm gegeben hatte. Er war genau der Mann, der mir eine ehrliche Wirtin empfehlen und sie bezüglich des seltsamen Kommens und Gehens beruhigen konnte, dessen ich mich schuldig machen könnte.

Seine beiden Töchter kamen vor ihm von der Kirche nach Hause – und hübsche Mädchen waren das in ihren Sonntagskleidern; es war diese ganz spezielle zerbrechliche und zierliche Schönheit, die die Londoner Mädchen charakterisiert, eine Schönheit, die nicht mehr als ein Versprechen mit zeitlicher Begrenzung und dazu verdammt ist, wie die Farbe des Sonnenuntergangs vom Himmel zu verblassen.

Sie musterten mich mit freimütiger Neugierde, als wäre ich ein seltsames Tier, und ignorierten mich dann für den Rest meiner Wartezeit völlig. Dann kam Johnny Upright selbst, und ich wurde nach oben gerufen, um mich mit ihm zu beraten.

„Sie müssen laut sprechen“, unterbrach er meine Eröffnungsrede. „Ich habe eine schlimme Erkältung und kann nicht gut hören.“

Die Schatten von Old Sleuth und Sherlock Holmes! Ich fragte mich, wo sich der Assistent befand, dessen Aufgabe es war, alle Informationen niederzuschreiben, die ich lautstark äußern würde. Und ich bin mir bis heute, sooft ich Johnny Upright gesehen und so sehr ich auch über den Vorfall gerätselt habe, nicht ganz sicher, ob er nun erkältet war oder ob er einen Assistenten im anderen Zimmer plaziert hatte. Aber in einem bin ich mir sicher: Obwohl ich Johnny Upright die Einzelheiten über mich und mein Vorhaben mitteilte, hielt er sein Urteil bis zum nächsten Tag zurück, als ich in konventioneller Kleidung und in einer Kutsche sitzend in seine Straße einfuhr. Da war seine Begrüßung herzlich, und ich ging ins Speisezimmer hinunter, um mich der Familie beim Tee anzuschließen.

„Wir sind bescheidene Leute“, sagte er, „nicht sehr verwöhnt, und Sie müssen uns als das nehmen, was wir sind, mit unserer einfachen Art.“

Die Mädchen begrüßten mich errötend und verlegen, wobei er es ihnen nicht leichter machte

„Ha! Ha!“, brüllte er herzhaft und schlug mit offener Hand auf den Tisch, bis das Geschirr schepperte. „Die Mädchen dachten gestern, Sie wären gekommen, um ein Stück Brot zu erbetteln! Ha! Ha! Ho! Ho! Ho!“

Dies bestritten sie entrüstet, mit beleidigten Blicken und schuldbewußten roten Wangen, als ob es das Höchste wahren Feingefühls wäre, unter seinen Lumpen einen Mann zu erkennen, der keine Notwendigkeit hatte, zerlumpt herumzulaufen.

Und dann, während ich Brot mit Marmelade aß, ergab sich ein lustiges Spiel. Die Töchter betrachteten es als eine Beleidigung für mich, daß ich für einen Bettler gehalten wurde, und der Vater hielt es für das höchste Kompliment meiner Klugheit, eine so erfolgreiche Täuschung vollführt zu haben. Alles das genoß ich, und das Brot, die Marmelade und den Tee, bis Johnny Upright es für an der Zeit hielt, mir eine Unterkunft zu besorgen, was ihm auch glückte, kaum ein halbes Dutzend Türen entfernt, in seiner eigenen respektablen und wohlhabenden Straße, in einem Haus, das seinem eigenen glich wie eine Erbse der anderen.

3. KAPITEL

MEINE UNTERKUNFT UND EINIGE ANDERE

Die Armen, die Armen, die Armen, sie stehen, Gedrängt durch den Druck der Arbeit, Gegen eine sich nach innen öffnende Tür Dieser Druck verstärkt sich immer mehr; Sie seufzen einen tiefen Seufzer Zu der Freiheit draußen, Wo die süße Lerche den Himmel In eine himmlische Melodie verwandelt.Sidney Lanier.

FÜR Ost-Londoner Verhältnisse war das Zimmer, das ich für sechs Schilling oder anderthalb Dollar pro Woche mietete, eine höchst komfortable Angelegenheit. Aus amerikanischer Sicht hingegen war es grob eingerichtet, unbequem und klein. Als ich noch einen gewöhnlichen Schreibmaschinentisch zu seiner kargen Einrichtung hinzufügte, konnte ich mich kaum noch umdrehen; im besten Fall gelang es mir, mich durch eine Art von Schlängeln darin zu bewegen, das große Geschicklichkeit und Geistesgegenwart erforderte.

Nachdem ich mich, oder vielmehr mein Eigentum, dort eingerichtet hatte, zog ich meine groben Kleider an und ging spazieren. Da ich nun schon einmal mit Unterkünften beschäftigt war, begann ich, mir auch andere anzusehen, wobei ich stets behauptete, daß ich ein armer junger Mann mit einer Frau und einer großen Familie wäre.

Meine erste Entdeckung war, daß freie Häuser selten und außerdem weit voneinander entfernt waren – tatsächlich so weit entfernt, daß ich, obwohl ich meilenweit in unregelmäßigen Kreisen über ein großes Gebiet ging, nicht ein leeres Haus finden konnte – ein schlüssiger Beweis dafür, daß die Gegend „gesättigt“ war.

Da ich als armer junger Mann mit Familie in diesem wenig einladenden Stadtteil überhaupt keine Häuser mieten konnte, suchte ich als nächstes nach Zimmern, unmöblierten Zimmern, in denen ich meine Frau und Kinder sowie mein Hab und Gut unterbringen konnte. Es gab nicht viele Zimmer, aber ich fand sie, gewöhnlich einzelne, denn ein Zimmer scheint man für die Familie eines armen Mannes als ausreichend anzusehen, um darin zu kochen, zu essen und zu schlafen. Als ich nach zwei Zimmern fragte, sahen mich die Vermieter etwa so an, wie ich mir vorstelle, daß eine gewisse Person Oliver Twist ansah, als er um mehr bat.

Ein Haus zu vermieten.

Nicht nur wurde ein Zimmer für einen armen Mann und seine Familie als ausreichend erachtet, sondern ich erfuhr auch, daß viele Familien, die Einzelzimmer bewohnten, noch Platz übrig hatten, um einen oder zwei Untermieter aufzunehmen. Wenn solche Räume für drei bis sechs Schilling pro Woche gemietet werden können, so ist es nur recht und billig, daß ein Untermieter mit Referenzen sich für, sagen wir, acht Pence bis zu einem Schilling etwas Platz auf dem Boden verschaffen sollte. Möglicherweise kann er sich sogar für ein paar Schilling mehr von seiner Wirtin beköstigen lassen. Dies habe ich jedoch zu untersuchen versäumt – ein verzeihlicher Fehler meinerseits, wenn man bedenkt, daß ich mich für einen Familienvater ausgab.

Nicht nur, daß die Häuser, die ich in Augenschein nahm, keine Badewannen hatten, ich erfuhr auch, daß es in all den Tausenden von Häusern, die ich gesehen hatte, keine Badewannen gab. Unter den Umständen, mit meiner Frau und meinen Kindern und ein paar Untermietern, die unter der zu großen Geräumigkeit eines Raumes leiden, wäre ein Bad in einer Blechwanne ein undurchführbares Unternehmen. Aber wie es scheint, kommt die Entschädigung mit der Einsparung von Seife, also ist alles gut, und Gott ist immer noch im Himmel.

Ich mietete jedenfalls keine Zimmer, sondern kehrte in mein eigenes in Johnny Uprights Straße zurück. Nachdem ich gedanklich meine Frau, meine Kinder und meine Untermieter in die verschiedenen Abstellwinkel hineingepreßt hatte, war mein geistiges Augenmaß schmal geworden, und ich konnte mein ganzes eigenes Zimmer nicht auf einmal erfassen. Seine Unermeßlichkeit war beeindruckend. Konnte dies das Zimmer sein, das ich für sechs Schilling in der Woche gemietet hatte? Unmöglich! Aber meine Vermieterin, die an die Tür klopfte, um zu erfahren, ob ich mich wohl fühle, zerstreute meine Zweifel.

Ein Haus zu vermieten.

„Oh ja, Sir“, sagte sie als Antwort auf meine Frage. „Diese Straße ist die letzte. Alle anderen Straßen waren vor acht oder zehn Jahren wie diese, und alle Bewohner waren sehr respektabel. Aber die anderen haben unsere Leute vertrieben. Wir in dieser Straße sind die einzigen, die noch übrig sind. Es ist schockierend, Sir!“

Und dann erklärte sie mir den Prozeß der Übervölkerung, bei dem der Mietwert eines Viertels stieg, während sein Ansehen fiel.

„Sie sehen, Sir, unsere Leute sind es nicht gewohnt, sich in der Weise zusammenzudrängen wie die anderen. Wir brauchen mehr Platz. Die anderen, die Ausländer und die Unterschicht, können fünf und sechs Familien in diesem Haus unterbringen, wo wir nur eine hineinbekommen. Dadurch können sie mehr Miete für das Haus zahlen, als wir uns leisten können. Es ist schockierend, Sir; und denken Sie sich nur, daß vor ein paar Jahren das ganze Viertel so schön war, wie es nur sein konnte.“

Ich betrachtete sie. Hier stand mir eine Frau aus der feinsten Schicht der englischen Arbeiterklasse gegenüber, mit zahlreichen Hinweisen auf Verfeinerung, die langsam von jener lärmenden und fauligen Menschenflut verschlungen wurde, die die Mächtigen aus der Londoner Innenstadt nach Osten vertrieben. Dort müssen Banken, Fabriken, Hotels und Bürogebäude gebaut werden, und das arme Volk der Stadt ist eine nomadische Rasse; also wandern sie ostwärts, eine Welle folgt auf die andere, sie überschwemmen und verunreinigen ein Viertel nach dem anderen, treiben die bessere Arbeiterklasse vor sich her, damit sie am Rande der Stadt Pionierarbeit leisten, oder sie verschlingen sie, wenn nicht in der ersten Generation, dann gewiß in der zweiten und dritten.

Es ist nur eine Frage von Monaten, bis die Reihe an Johnny Uprights Straße kommt. Er weiß es selbst.

„In ein paar Jahren“, sagt er, „läuft mein Mietvertrag aus. Mein Vermieter ist einer von unserem Schlag. Er hat die Miete für keines seiner Häuser hier aufgeschlagen, und das hat uns erlaubt zu bleiben. Aber er könnte jeden Tag verkaufen oder jeden Tag sterben, was für uns auf dasselbe hinausliefe. Das Haus wird von einem Geldvermehrer gekauft, der auf der Rückseite des Grundstücks, wo sich mein Weinstock befindet, eine Schwitzbuden-Werkstatt baut, die zum Haus hinzufügt und jedes Zimmer im Haus an eine Familie vermietet. Bitteschön, und Johnny Upright ist erledigt!“

Und wahrhaftig sah ich Johnny Upright, seine gute Frau, seine schönen Töchter und das schlampige Mädchen, wie so viele Schatten durch die Düsternis nach Osten fliehen, während das Großstadtungeheuer ihnen brüllend auf den Fersen war.

Aber Johnny Upright ist nicht allein in seiner Flucht. Weit, weit draußen, am Rande der Stadt, leben die kleinen Geschäftsleute, kleine Kaufleute und erfolgreiche Angestellte. Sie wohnen in hübschen Häusern und Doppelhaushälften, mit kleinen Blumengärten, wo sie Bewegungsfreiheit und Luft zum Atmen haben. Sie blähen sich vor Stolz auf und werfen sich in die Brust, wenn sie über den Abgrund nachdenken, dem sie entkommen sind, und sie danken Gott, daß sie nicht wie andere Menschen sind. Und siehe da! auf sie herab kommt Johnny Upright, und die monströse Stadt folgt ihm auf dem Fuße. Mietskasernen erheben sich wie von Zauberhand, Gärten werden bebaut, Villen werden geteilt und nochmals in viele Wohnungen unterteilt, und die schwarze Londoner Nacht senkt sich wie ein schwarzes Leichentuch herab.

4. KAPITEL

EIN MANN UND DER ABGRUND

Nach einer kurzen Pause sprach Ein Gefäß von plumperer Art; Man verspottet mich, weil ich so schief bin: Wie! hat denn die Hand des Töpfers gezittert?Omar Khayyam.

KANN man bei Ihnen ein Quartier mieten?“

Diese Worte richtete ich sorglos über meine Schulter an eine stämmige ältere Frau, in deren schmuddeligen Kaffeehaus unten am Wasser und nicht weit von Limehouse entfernt ich saß.

„Oh, ja“, antwortete sie kurz, mein Aussehen entsprach vielleicht nicht den Anforderungen, die ihr Haus an einen Mieter stellen durfte.

Ich sagte nichts mehr und verzehrte schweigend meinen Speckstreifen und trank meinen Krug dünnen Tee. Sie nahm auch keine weitere Notiz von mir, bis ich meine Rechnung (vier Pence) bezahlen sollte, und meine ganzen zehn Schilling aus meiner Tasche zog. Die erwartete Wirkung trat ein.

„Ja, Sir”, fuhr sie plötzlich fort; „ich habe schöne Unterkünfte, an denen Sie wahrscheinlich Gefallen finden würden. Zurück von einer Reise, Sir?”

„Wie viel kostet ein Zimmer?”, fragte ich und ignorierte ihre Neugier.

Sie betrachtete mich mit offener Überraschung von oben bis unten. „Ich vermiete keine ganzen Zimmer, meinen gewöhnlichen Mietern nicht, und viel weniger vorübergehenden.”

„Dann werde ich mich nach etwas anderem umsehen müssen“, sagte ich mit großer Enttäuschung.

Aber der Anblick meiner zehn Schilling hatte sie gierig gemacht. „Ich kann Ihnen ein schönes Bett in einem Zimmer mit zwei Männern geben“, drängte sie. „Gute, anständige Männer sind das, und achtbar noch dazu.“

„Aber ich will mein Bett nicht mit zwei anderen Männern teilen“, wandte ich ein.

„Das müssen Sie nicht. Es gibt drei Betten im Zimmer, und es ist kein sehr kleines Zimmer.“

„Wie viel?“, fragte ich.

„Eine halbe Krone die Woche, zwei Schilling sechs, für einen ordentlichen Mieter. Sie werden die Männer mögen, da bin ich mir sicher. Der eine arbeitet