Menscherei - Jochen Krieger - E-Book

Menscherei E-Book

Jochen Krieger

4,9

Beschreibung

Die brutale Wahrheit wird von Lachern unterbrochen, dann wird man wieder von der spannenden Handlung gefesselt. Im steirischen Schweinebauern-Milieu spielt diese Geschichte. In einer Tierfabrik werden zwei Menschen tot aufgefunden. Inspektor Franz Bischof ermittelt abseits der ländlichen Idylle und trifft neben Schweinebauern einige Tierschützer, die auch im Kreis der Verdächtigen sind.

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Menscherei wurde in den Jahren 2014 und 2015 geschrieben.

Text von Jochen Krieger

Dieses Buch sei der Aktivistin und lieben Freundin

Valentina Sbaschnik

28. September 1984 – 4. November 2014 gewidmet.

Möge ihr Handeln für eine bessere Welt uns allen ein Vorbild sein.

Übersetzungen und Erklärungen:

angefressen

-

verärgert sein, es satt haben

Deix

-

Manfred Deix ist ein österreichischer, Karikaturist, Grafiker und Cartoonist

grantig

-

verärgert sein, missgelaunt, auf jemanden sauer sein

Grantler

-

mürrischer, schlechtgelaunter Mensch

Greißler

-

Tante Emma Laden

Gspusi

-

heimliche Liebschaft

Gusch!

-

Halt's Maul!

hantige Leute

-

unfreundliche Leute

Häfnbruada

-

Strafgefangener

Hättiwari

-

Hätte ich, wäre ich...

Kasperl

-

Beliebte Puppenfigur in Österreich

Kibara

-

Polizist

Mundl

-

War eine österreichische TV-Serie in den 1970er Jahren.

Mur

-

Hauptfluss der Steiermark

Nerverl

-

nervöser Mensch

Noch wos da lust, kauns da net grausn

-

Wonach es dich lüstet, kann es dir nicht grausen

ÖAMTC

-

Ist ein österreichischer Verkehrsclub, ähnlich dem ADAC

Palatschinken

-

Eierkuchen, Omelettes

patschert

-

ungeschickt

Puchwerk

-

Automobilwerk in Graz

ruckzuck

-

sehr schnell, etwas sehr schnell erledigen

Sackerl, Sackl

-

Tüte, Einkaufstüte

Sacklpicker

-

Tütenkleber, Schimpfwort für Häftling. In früheren Zeiten wurden Strafgefangene mit Tütenkleben beschäftigt.

Seidl Bier (auch Seidel)

-

In Österreich ist ein Seidel etwa ein drittel Liter (0,354 l) Bier.

Spinnerei; spinnen

-

Hirngespinste; böse auf jemanden sein

Seitenblicke

-

TV-Sendung des ORF über das öffentliche Leben

Trafik

-

Verkaufsstelle für Tabakwaren, Zeitungen, Magazine

Trara machen

-

Sich über etwas aufregen

Tuscher

-

Lauter Knall; wird auch abwertend verwendet, „Du hast ja einen festen Tuscher (Knall)“

Verlängerter

-

Ein Mokka in einer großen Schale mit heißem Wasser aufgegossen

Zwutschkerl

-

„Kleines Zwutschkerl“, wird meist verniedlichend für Babys oder Kleinkinder verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

1

„Du glaubst a, du host die G'scheitheit mit dem Löffl gfressn. Di wird’s a no amoi billiger geb'n, merk dir das!“ Steirische Redewendung

Manchmal denkt man sich, da wohnen nur die Guten, in diesen kleinen, idyllischen Dörfern der Steiermark. Wenn man dann aber genauer hinsieht, dann schaut alles nicht mehr so toll aus.

Es war eine dieser grausam schwülen Sommernächte in der Oststeiermark, als eine schwarzgekleidete Gestalt in den Stall schlich, und nicht einmal die Augen konnte man durch die Sehschlitze in der Sturmhaube erkennen. Die Gestalt ging den Gang entlang, und plötzlich stieß sie in der Finsternis auf etwas Weiches.

Da lag ein totes Schwein, das von seinen Artgenossen isoliert worden war, um entweder gesund zu werden oder um zu sterben. Die Gestalt tappte durch das Dunkel des Stalls. Die Stirnlampe hatte sie trotzdem nicht eingeschaltet, wohl um durchs Fenster nicht gesehen zu werden.

Leicht versteckt hinter der vollautomatischen Futterzufuhr, schien etwas zu hängen, das so aussah wie dieses „Beschäftigungsmaterial“, das den Schweinen manchmal in den Stall getan wird. Die Tiere husteten trostlos durch ihre Ammoniakgetünchten Lungen, und die Fliegen wuselten um das Stück an der Decke. Der Maskierte kotzte sich in diesem Moment die Seele aus dem Leib. Dann fasste er sich wieder und ging noch ein paar Schritte, um alles besser sehen zu können.

Es war kein Spielzeug, das da hing, es war ein Mensch - an den Füßen aufgehängt. Der Maskierte rannte wie panisch zur nächsten Türe, und er stürzte, weil er über etwas gestolpert war. „Entschuldige du armes Schwein“, keuchte er, doch er spürte etwas Ledernes, etwas Schweinuntypisches. Verwirrt schaltete der Mann nun kurz doch die Stirnlampe ein, um in den nächsten Schockzustand versetzt zu werden. Mit seiner Nase stieß er an ein Paar Schuhe, die zu keinem Schwein gehören konnten. Er rollte sich von dem Körper, auf dem er zu liegen gekommen war und drehte sich, um geradewegs in zwei Augen zu sehen, die ihn anstarrten. „Alles okay?“, fragte der Vermummte, aber da kam keine Antwort. Als er versuchte, den Kopf des am Boden liegenden zu heben, bemerkte er dessen eingedrücktes Hinterhaupt. Ein schlechtes Zeichen. Der Vermummte sprang auf und rannte um sein Leben. Etwas Schreckliches war da geschehen, und damit wollte er nichts zu tun haben.

Es war Mitte August, als das alles passiert ist, und bis die beiden Leichen im Stall entdeckt worden waren, sind Stunden vergangen. Erst als die Frau des Bauern ihren Mann vermisste und das Gelände absuchte, fand sie die beiden. Es muss ein grausamer Anblick für sie gewesen sein. Ihren Mann hatte sie zuerst ja gar nicht erkannt, erst als sie im Stall das Licht aufdrehte, erkannte sie ihn an der Kleidung. Sie schrie wie verrückt ins Telefon, nachdem sie die 144 gewählt hatte, die Nummer der Rettung, doch die hatte da nichts mehr tun können. Die beiden Männer waren tot, da hätte man nicht einmal mehr einen Arzt benötigt, um das festzustellen. Der Pokorny lag in einer riesigen Blutlache, und der Lendner, vulgo Pöllibauer, hing daneben. Als die örtliche Polizei kam, wurde die Bäuerin gerade vom Roten Kreuz ruhiggestellt und ins nächste Krankenhaus gebracht.

Die Mordkommission kam aus Graz angereist, und der Inspektor Bischof hatte die Leitung von der ganzen Geschichte. Der wusste gleich, einfach wird das nicht, den Fall zu lösen, denn wer so eine „Sauerei“ veranstaltet, den drückt kein schlechtes Gewissen, und der marschiert auch nicht am nächsten Morgen zu einer Polizeidienststelle seines Vertrauens und stellt sich. Der Mensch, der das getan hatte, der musste schon eine gewisse Kaltblütigkeit mitbringen, denn erschießen kann bald einmal jemand, da hat man jetzt nicht so einen Bezug zu dem, den die Kugel trifft, aber erschlagen, da muss man schon ganz nah ran, und vielleicht muss man dem Menschen auch noch in die Augen schauen, bevor der sie dann für immer schließt.

Jedenfalls hatte man sich auf lange Ermittlungen eingestellt. Der Kirchenwirt rieb sich die Hände, denn die ganze Kommission nächtigte bei ihm. Ein gutes Geschäft, so ein Doppelmord – zumindest für den Dorfwirt. Der Gastrolieferant aus Feldbach grüßte ihn jedenfalls seither immer besonders freundlich. Aus der Sicht des Dorfwirtes hatte so ein Doppelmord also durchaus positive Seiten, zwar waren ihm vielleicht zwei gute Gäste abhanden gekommen, aber dafür war die Polizei tagelang im Haus und auch so mancher Journalist hat sich bei ihm niedergelassen.

Aber nicht, dass ihr denkt, ihr lest jetzt das Ende der Geschichte, und jetzt erzählt er den ganzen Krampf, um am Ende wieder hier am Anfang zu landen. Nein, so ist es nicht – keine Sorge. Es ist ganz anders, als ihr vielleicht denkt.

Manchen Leuten graut es vor diesen kleinen und oberflächlich hübschen Dörfern, wo in jeder Kurve eine Kapelle steht, in der sich jeweils mindestens zehn Leute mit ihren Motorrädern oder Autos den Schädel eingeschlagen haben. Ich habe mich ja oft gefragt, was die sich in den letzten Lebensmomenten so gedacht haben, als sie bemerkten, dass sich die Kurve doch nicht ausgeht, und sie durch die geschlossene Kapelle direkt auf die Jesus-Statue zugeflogen sind. Quasi, bin ich schon im Himmel oder werde ich es gleich sein? Diejenigen, die das Pech hatten und noch ein bisschen bei Bewusstsein waren, bemerkten natürlich sofort, dass sie nicht beim leibhaftigen Messias, sondern lediglich in einer seiner Wochenendhütten gelandet waren. Wenn man jetzt gläubig war und einen auch noch das schlechte Gewissen plagte, weil man gerade in seinem Haus randaliert hatte, dann dürfte sich der Teufel schon die Hände gerieben haben, natürlich nur, wenn man an all das glaubte.

Wenn man so einen typischen steirischen Ort von oben betrachtet, aus der Vogelperspektive, so spiegelt er die Menschen wider, die hier leben. Ein Hochsommertag, der von Natur aus am Land schon so trostlos ist. Die schnurgerade Straße durchs Dorf, die nur von einer Kurve gestört wird, und genau dort steht eben eine dieser vielen Kapellen. Rundherum unendliche Weiten von Maisfeldern, auf denen nicht einmal eine Maus überleben kann, weil der Bauer von heute weiß sich dagegen schon mit Pestiziden und Insektiziden zu wehren. Da hört man im Sommer kein Rascheln aus dem Acker, geschweige denn das Summen der Bienen oder Brummen der Hummeln.

Maiswüste sagen viele Leute in der Steiermark zu diesen Äckern, und wenn man das Ganze wieder von oben aus ansieht, ja, es ist eine Wüste, auch wenn sie grün ist. Nur bin ich mir nicht sicher, ob es in einer echten Wüste nicht doch mehr Leben gibt als auf diesen Ackerflächen, „Steiermark – das grüne Herz Österreichs“, heißt es in der Werbung, vielleicht sind da die Maisäcker gemeint. Die Bauern stellen ja gerne Taferln bei ihren Äckern auf, wo dann steht, wieviel CO2 jeweils auf dieser Fläche in Sauerstoff umgewandelt wird. Aber man soll nicht zu viel schimpfen, man braucht natürlich diese Äcker, denn die Tiere müssen ja gefüttert werden, damit die Leute danach die Tiere essen können. Alles ein Kreislauf, was macht da schon das bisschen Gift. Es wird doch alles mit den entsprechenden Gütesiegeln in Ordnung gebracht, und somit ist auch der kritischste Mensch ruhig gestellt.

Aber zurück zur steirischen Landidylle von oben. Ein Dorfwirt darf da natürlich auch nicht fehlen und daneben unbedingt die Kirche. Der letzte Greißler hat vor 20 Jahren zugesperrt, und so beschränkt sich der Klatsch von heute eben auf das Wirtshaus und teilweise noch auf den Kirchplatz. Dort, wo der Greißler und der Fleischhacker früher einmal ihre Läden hatten, stehen heute diese typischen Wohnsiedlungen aus dem Anfang der 2000er Jahre. Alles top gepflegt, da darf man nicht schimpfen, nur mit einem Charme und einer Ausstrahlung - da würde man am liebsten gleich wieder in die Stadt zurück fahren und sich vor die nächste Straßenbahn legen. Da muss man jetzt kein Energetiker sein, um das zu spüren. Hinter und neben den ganzen aufgeräumten und seelenlosen Häusern sind sie dann, die Tierfabriken, aus denen man täglich das Schreien hört oder zumindest etwas grunzen, riechen tut es dort sowieso selten angenehm, und wenn man einmal einen Schweinemastbetrieb gerochen hat, dann weiß man die Stadtluft wieder zu schätzen.

Zwischen den Äckern eingebettet stehen sie da, diese ewig langen Gebäude, hinter deren Mauern Lebewesen gehalten werden. Der Tierarzt müsste hier entsetzlich viel zu tun haben. Es kommt allerdings nicht selten vor, dass dieser ein Teilhaber solcher Stall-Projekte ist. Doppelter Profit sozusagen, kranke Tiere gesund spritzen, damit sie gesund werden oder bleiben, mit Medikamenten vollstopfen und zum Schluss ab zum Schlachthof.

Gewinnmaximierung heißt das Zauberwort. Aber so ein Tierarzt muss ja schließlich auch von etwas leben, und wenn er sich nicht gerade auf Kleintiere spezialisiert hat und den Leuten für ihre Hunde und Katzen irgendwelche Diätfuttermittel andreht, dann muss er sich nach anderen Zusatzeinkünften umsehen. Wenn man keine Skrupel hat, sind solche Ställe ja eine praktische und sichere Einnahmequelle. Ab und zu kommen dann die LKW, holen ihre Opfer ab und bringen sie zum Schlachthof. Damit die Leute wieder was zum Essen haben und dann so aussehen wie auf den Deix-Zeichnungen. Ich habe mich ja sowieso immer gefragt, wer das ganze Fleisch eigentlich isst, egal mit wem du redest, alle sagen sie, dass sie nur ganz wenig Fleisch essen, und das holen sie nur beim Bauern ihres Vertrauens. Aber ganz kann ich das nicht glauben. Wer sind denn dann die Leute, die in den Wirtshäusern die Schweinsbraten und Wienerschnitzel in ihre Leiber stopfen? Oft sind das die gleichen Leute, die erzählen, wie betroffen sie sind, wenn sie neben einem Tiertransporter fahren müssen. Aber ich sage dazu nichts, weil sie müssen schon selber dahinterkommen, was falsch oder richtig ist.

Aber ich bin vom Thema abgekommen, das ist so ein Laster von mir. Allerdings sind diese Dinge oft gar nicht so unwichtig, um einen Blick für das Wesentliche zu bekommen. Ihr müsst euch in dem Dorf zu Hause fühlen, ihr müsst verstehen, was dort für Sitten und Gebräuche – ja, was für Energien herrschen. Bis in das kleinste Detail hineinfühlen, bis in den Maststall, bis hin zu dem Schwein, das Tag und Nacht eingesperrt ist und das Tageslicht nur einmal kurz zu sehen bekommt – nämlich dann, wenn es zum Schlachthaus fährt. Du musst das Fernweh spüren.

2

Der Pokorny war ja ein gebürtiger Grazer, aber wenn du als Journalist etwas werden willst, dann musst du nach Wien gehen, - zumindest in Österreich - und das hat er auch getan. Nun, Journalist wird man jetzt nicht von heute auf morgen und nach einem Studium passiert es so manchem, dass er nicht bei den großen Medien in Wien landet, sondern im Grazer Puchwerk, oder wie es heute heißt, Magna Steyr Werk. Mit einem Journalismus-Studium kommt man dort auch nicht richtig weiter, und man arbeitet dann wahrscheinlich am Fließband.

Der Pokorny hat das auch gemacht, allerdings nur in den Sommerferien, um sich das Studium finanzieren zu können. Jedenfalls ist er dann in Wien bei einer Zeitung untergekommen, die es heute gar nicht mehr gibt, und er hat nebenbei noch für andere Zeitungen Artikel geschrieben, für ein paar größere aber auch kleinere Blätter. Den großen Durchbruch hat er dann geschafft, als er in Wien einen Polit-Skandal aufdeckte und Akten aus dem Innenministerium veröffentlichte, die auf großes Interesse gestoßen sind. Da sind Gelder geflossen, das kann sich unsereins überhaupt nicht vorstellen. Mit Urlauben oder Opernbesuchen gaben sich die bestochenen Politiker erst gar nicht zufrieden, da ist richtig viel Geld von einem zum anderen gewandert, und bei den Einvernahmen musste sich ein Ex-Politiker die Frage gefallen lassen, was er denn für Leistungen erbracht hatte für das viele Geld.

Erklärungsnotstand hatten jedenfalls so manche Herren, die ansonsten so gerne in den Fernseh-Seitenblicken in die Kamera lachten oder in der VIP-Loge bei großen Fußballspielen mit dem Schal des einen Klubs herumwinkten, um beim nächsten Match mit einem andersfarbigen Schal das gleiche zu machen. Gesinnungselastische Leute mit einem schweren Hang zur Selbstbereicherung könnte man sagen. Aber nachdem die Regierungsparteien den Untersuchungsausschuss abgewürgt hatten, wurde es recht schnell still um die Geschichte. Da konnte die Opposition noch so rumquengeln, und die Medienlandschaft in Österreich, tja die ist sowieso politisch aufgeteilt in rot und schwarz, da hast du als kleiner Journalist keine Chance. Aber der Pokorny hat sich durch diese Geschichte einen Namen gemacht und ist dann ein freier Journalist geworden, der meist solche Enthüllung-Storys geschrieben hat, die die Leute dann halt gerne im Wartezimmer beim Arzt lesen, um sich von der bevorstehenden Darmspiegelung noch ein bisschen abzulenken. Da geht man dann gleich viel entspannter an die Sache ran. Jedenfalls, der Pokorny hat dann bald einmal in Wien geheiratet und auch noch zwei Kinder gezeugt, nur blöderweise nicht mit der eigenen Frau, sondern mit seinen außerehelichen Ausrutschern – nächtliche Recherchen sozusagen. Das hat ihm die Frau etwas übel genommen, und so durfte Pokorny irgendwann, frisch geschieden, eine Gemeindebauwohnung in Wien-Simmering beziehen.

Nun, was tut das zur Sache, werdet ihr euch jetzt fragen, aber das war eben ein Zeitraffer-Profil vom Pokorny, das mir jetzt gerade so am Grazer Zentralfriedhof durch den Kopf gegangen ist, weil begraben worden ist der Pokorny in seiner Heimatstadt. Irgendwie dürfte man ihn hier aber vergessen haben, denn ich schätze, da waren so 20 Leute bei den Trauerfeierlichkeiten, und gefühlte 18 davon sind aus Wien angereist. Kollegen und auch ein oder zwei Politiker waren dabei, wahrscheinlich um nachzusehen, ob der Pokorny auch wirklich tot war. Ein paar Blumen, Kranzspenden nicht erwünscht, einen Schal des SK Sturm Graz hat man ihm auf den Sarg gelegt, und ab ging es in die Ewigkeit.

Da bleibt nicht viel übrig von einem. Die Leute gehen nach Hause, und spätestens auf der Autobahn telefonieren sie schon wieder über den Alltag, da hat dann keiner mehr die Zeit, darüber nachzudenken, wieso der Pokorny eigentlich in einer Schweinefabrik eine über den Schädel bekommen hat und wieso der Lendner, vulgo Pöllibauer, mit seinen Haxen verkehrt herum von der Decke gebaumelt ist.

Der Lendner war der Schweinefabriksbesitzer. Der ist übrigens in seiner oststeirischen Heimatgemeinde würdig beigesetzt worden, da waren mindestens 300 Leute anwesend. Der Pöllibauer, wie sie ihn dort nannten, war schon sehr bekannt. ÖVP-Gemeinderat, Obmann des Verschönerungsvereins, Feuerwehrkommandant, Sektionsleiter beim dortigen Fußballverein und leidenschaftlicher Jäger, wie fast alle Bauern im Dorf. Ein „Hans Dampf in allen Gassen“ sozusagen ist dieser Pöllibauer gewesen. Aber auf dem oststeirischen Friedhof hatten die Sargträger nicht mehr so schwer zu tragen, denn in seinem eigenen Stall hatten sich seine tierischen Opfer zuvor schon bitter an ihm gerächt. Sie haben den Pöllibauer, wie soll ich sagen, abgenagt. Da hat die Spurensicherung einiges zu tun gehabt, weil die Spuren in dem voll belegten Schweinestall etwas verwischt worden waren. Die Massentierhaltung hat halt auch für die Polizei negative Folgen, nicht nur für die Tiere und für die Umwelt.

Es gab endlose Ermittlungen in diesem Fall. Von der Ost-Mafia war oft die Rede, Einbrecher, die Mordopfer selbst sind jeweils abwechselnd verdächtigt worden, den anderen umgebracht zu haben, obwohl – so realistisch muss man jetzt auch wieder sein... Erst einem den Schädel einzuschlagen und sich dann verkehrt herum an den Füßen aufhängen ist jetzt auch nicht besonders schlau, um den Verdacht von sich abzulenken. Aber die Gerüchte, ihr wisst ja wie das am Land so ist. Heiße Spur hat es keine gegeben. Für das war der Pöllibauer zu sehr von den Schweinen hergerichtet worden, und der Pokorny ist ja sowieso nur ein Zufallsopfer, hatte man gedacht.

Jedenfalls ist Bischofs Kommission nicht weitergekommen, und nach ein paar Wochen war das große Geschäft für den Dorfwirt zu Ende, und die Beamten kehrten nach Graz zurück, um von dort aus ihre Ermittlungen weiter zu führen. Natürlich tauchten sie noch ab und zu in der Gegend auf, um dem einen oder anderen Hinweis nachzugehen, aber so richtig Brauchbares war da nicht dabei.

Der Pöllibauer ist ja ein richtig großer Bauer gewesen, und Geld hat er gehabt, da konnten die meisten anderen nur davon träumen. Und so wie bei allen, die Geld haben, hatte er ein Testament und Versicherungen. Die Versicherungsgesellschaft hatte natürlich großes Interesse daran, dass Licht in die Sache kommen sollte, denn der Bauer hatte eine Lebensversicherung abgeschlossen, für den Fall der Fälle, und seine Kinder würden dann die Nutznießer sein.

Nach einem halben Jahr war der Fall so gut wie bei den Akten. Zumindest für die Polizei, denn man wartete auf den Kommissar Zufall, der hoffentlich bald Regie führen würde.

Die Versicherung hat dann einen Privatdetektiv engagiert, um das Ganze nicht komplett abkühlen zu lassen, und der war dann im Dorf beim Dorfwirt und versuchte halt sein Glück. Allerdings müsst ihr wissen, dass so Städter wie dieser Privatdetektiv nicht unbedingt beliebt sind in solch kleinen Ortschaften, denn man bemerkte sofort, dass er ein Fremder war und mit dem Landleben so gar nichts am Hut hatte. Am Abend, wenn er sein Essen beim Dorfwirt einnahm, und die Dorfbauern versammelt an ihren Tischen waren, wurde er zwar wahrgenommen und beobachtet, aber es war ganz klar, für voll genommen wurde er nicht. „A Student!“, waren da noch die nettesten Worte in Richtung des Privatdetektivs, obwohl dieser schon längst die 30er überschritten hatte. Irgendwie hat er sich geschmeichelt gefühlt, dass sie ihn noch immer so jung geschätzt haben. Er hat ja nicht gewusst, dass für die Leute „Student“ so ziemlich das schlimmste Schimpfwort war, und wenn es erlaubt gewesen wäre, hätten sie ihn wahrscheinlich mit ihren Mistgabeln verjagt.

Nur der Michalitsch Toni, ein Trinker und Witwer, redete mit ihm, wahrscheinlich deshalb, weil sonst niemand mit dem Toni reden wollte. Er war so einer, den es in jedem Ort gab, einer der für Heiterkeit sorgte, wegen seinem Sprachfehler und seinem Trinkverhalten. Ein kleiner Mann, der am Sonntag immer beim Dorfwirt mit seinem braunen Anzug auftauchte um dort zu essen. Er aß alles und wenn es eine Zitrone zum Schnitzel gab, so wurde die zum Schluss auch gegessen und zwar mit der Schale. Das war der Michalitsch Toni.

Der Toni kümmerte sich so ein bisschen um den „Studenten“, aber die anderen Leute ließen ihn auf Granit beißen. Er konnte sich noch so bemühen, in dem Fall weiterzukommen, die Leute wollten ihn einfach nicht.

„Hast den Mörder schon gefasst, hast ihn schon, den Mörder? He Detektiv, hast ihn gefunden? Du sagst mir eh, wenn es so ist gö? Ich sag's eh niemandem weiter!“, so begrüßte der Michalitsch Toni fast täglich den „Studenten“. Der war ja fast froh, dass es wenigstens irgendjemanden gab, außer dem Wirt, der ihn nicht komplett ignorierte.

„Toni, jetzt fragst mich glaube ich schon zum 100. Mal das Gleiche, nein ich habe keinen Mörder gefasst. Wenn nicht einmal die Polizei weiterkommt, wie soll ich das denn alleine so schnell schaffen?“, fragte er sich wohl mehr selber als den Toni. Der Toni hatte ja eine Art, dem konntest du nicht böse sein, obwohl er fast so etwas wie die Aufdringlichkeit in Person war.

„Sagst es mir dann eh gleich, wenn'st ihn erwischt hast, bitte sag's mir dann, ich möchte es als Erster wissen, also gibst mir dann bitte gleich Bescheid, gö? Bitte, Herr Detektiv!“

Der Detektiv war ja sonst ein geduldiger Mensch gewesen, aber heute war er etwas geschlaucht, das Wetter, der Mond, oder sonst irgendetwas stimmte nicht und hat ihm die Energien entzogen. Wenn man sowieso nicht voll auf der Höhe ist, dann hält man auch den an sich netten aber doch anstrengenden Toni nicht so leicht aus und versucht ihm eher zu entkommen. Nur der „Student“ hatte keine menschlichen Alternativen in diesem Wirtshaus, und der Wirt hat auch nur dann mit ihm geredet, wenn es zum Abrechnen war.

So kam es, wie es kommen musste, der Detektiv, der überhaupt keinen Zugang zu den Leuten gefunden hatte, ist nach einem Monat wieder verschwunden. Der Dorfwirt war „angefressen“, weil ihn dieser angeblich um die gesamte Zeche geprellt haben sollte. Das Zimmer hat er immer wöchentlich bar im Voraus bezahlt, und so hat der Wirt es schließlich bei einer schlechten Nachrede über den „Studenten“ belassen. Seinen Namen hat ohnehin niemand gewusst, weil er eben „der Student“ oder „der Detektiv“ war, den irgendjemand geschickt hatte, um den Fall aufzuklären. So genau hat das niemand gewusst, und eigentlich wollte das auch niemand so genau wissen, denn dann hätten sie ja nicht so viele Geschichten erfinden können über ihn, und Spekulationen verbreiten. Die Wahrheit ist ja dann oft nur halb so spannend, und das haben die Leute gewusst.

Jetzt, nach fast einem Jahr, redet beinahe niemand mehr über den Fall im Dorf, und es will auch niemand daran denken. Es sind ja Freundschaften daran zerbrochen, weil falsche Gerüchte in Umlauf gebracht worden waren, und Unwahrheiten schweißen die Leute ja bekanntlich selten zusammen.

3

Jedenfalls musste etwas geschehen, um den ganzen Fall wieder ins Rollen zu bringen. Es war an einem dieser Hochsommertage, an denen man glaubt, die Luft steht, und wenn sich die Sonne endlich hinter dem Horizont vertschüsst, dann kühlt es noch immer nicht ab. Diese Trostlosigkeit am Land ist dann besonders schlimm. Wenn man dasitzt und die Kleidung verschmilzt mit dem Körper, und das Lauteste ist das Summen einer Fliege, dann ist Sommer. Ich habe das sowieso nie verstanden, was die Leute an der Hitze mögen, aber bitte, jeder wie er will.

Jedenfalls war wieder jemand tot aufgefunden worden. „Wie lange liegt er schon hier?“, fragte der Inspektor Bischof die Gerichtsmedizinerin, Frau Dr. Helene Prettenthaler. Die Angesprochene erwiderte: „Schwer zu sagen, vielleicht ein halbes Jahr.“

Der Bischof und die Prettenthaler - die zwei waren schon ein ganz eigenes Gespann. Oft haben sie nicht direkt miteinander zu tun gehabt, aber die paar Mal, in denen sie beruflich aufeinandergetroffen sind, da hat es, um es vorsichtig auszudrücken, leichte Spannungen gegeben. Das liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache. Der Eine will einen Fall aufklären und sieht die Zeitungsschlagzeilen, und die Andere will keine falschen Angaben machen, um sich nicht vor den Kollegen lächerlich zu machen. Jedenfalls hatte sie es auch in diesem Fall nicht besonders leicht.

Neben den Bahngeleisen ist etwas vormals Menschliches gelegen, so zugerichtet, dass man nur an der Kleidung erahnen konnte, dass es sich wohl um einen Mann gehandelt hat. Da zwischen den Büschen sind die Teile gelegen, und hätten nicht ein paar Wildschweine angefangen, die Leiche aufzuteilen und auf den Geleisen die Stücke in mundgerechte Teile zu zerlegen, dann hätte dies der arme Lokomotivführer nicht sehen und melden müssen. Er hat ja schon von weitem Signal gegeben, und die Wildschweine zischten in die Gebüsche, aber die Reste auf den Geleisen sind liegen geblieben.

Der arme Mann hatte erst vor einem Monat eine lebensmüde Frau überfahren. Er hatte immer wiederholt, dass das seine letzte Fahrt sein würde, obwohl, diesmal konnte er wirklich nichts dafür, dass der da jetzt lag. Aber auch bei der Lebensmüden hatte er keine Chance gehabt. Auf der gleichen Strecke ist sie neben den Geleisen gestanden und kurz bevor die Lok heranraste, ist sie vor den Zug gesprungen. Den Lokomotivführer jedenfalls hat das sehr mitgenommen. Züge sind bei Menschen, die nicht mehr weiterleben wollen, halt sehr beliebt.

Bischof, der sich ohnehin nicht wirklich eine aussagekräftige Antwort auf seine Frage erwartete, wie lange die Leiche schon hier gelegen hatte, und wusste, wie knausrig die Gerichtsmedizinerin auch sonst so mit ihren Angaben war, wollte, ja, musste die Frage trotzdem stellen. Die Prettenthaler hat sich nicht anmerken lassen, wie unglücklich sie darüber war, nur ganz unpräzise Angaben liefern zu können, und hat ihm ganz locker geantwortet, als ob er gefragt hätte, wann sie auf Urlaub fahren würde. „Da im Osten bleiben die Leichen selten in einem Stück“, versuchte Bischof die Atmosphäre aufzulockern und verkniff sich sogar irgendeinen billigen Spruch, der so ähnlich geklungen hätte wie: „Der hat wohl Schwein gehabt“. Solche Schenkelklopfer-Witze kommen an einem möglichen Tatort nicht so toll an, schon gar nicht bei einer Gerichtsmedizinerin. Wieder ein Fall, wo vom Opfer wenig übrig geblieben war und man nur hoffen konnte, den genauen Tathergang rekonstruieren zu können. Natürlich nur, wenn es überhaupt eine Tat gab. Ob es sich um einen Unfall handelte, konnte nicht ausgeschlossen werden.

Ein Kollege von der Spurensicherung meldete dem Bischof, dass er in der Hose der Leiche einen Führerschein gefunden hatte. Das war schon einer von den neuen im Plastikkarten-Format. Auch wenn die Plastiksackerl-Verweigerer jetzt vielleicht schimpfen, aber in dem Fall war der Plastik-Führerschein für die Polizei sehr hilfreich. Ralf Berger hieß der Mann, und er war im Dorf bekannt gewesen als „der Student“ oder „der Detektiv“.

Die Zeitungen schrieben täglich darüber, es war schließlich Sommer und in einem solchen gibt es meist ein Neuigkeiten-Loch. Aber die Leute wollen schließlich auch im Sommer unterhalten werden, da kommt so ein Mord genau richtig. „Bis wann wissen wir etwas Genaueres?“, wollte der Bischof noch wissen, und die Prettenthaler meinte, dass sie wohl in vier Tagen den Bericht liefern könnte.

Jedenfalls hieß das für den Bischof wieder, dass er in dem Ort bleiben musste, wo er schon einmal Wochen zugebracht hatte und ohne Ergebnisse nach Graz heimgekehrt war. Doch diesmal war der Erwartungsdruck der Öffentlichkeit groß. Drei Tote innerhalb von einem Jahr in einer so kleinen Gemeinde. Da waren die Leute schon etwas neugieriger als sonst, und am Abend ist die Eingangstüre nochmals sorgfältig kontrolliert worden. Man weiß ja nie!

Der Dorfwirt freute sich über das Wiedersehen und bewirtete die Beamten bevorzugt. Am Abend gab es Schweinsbraten mit Sauerkraut und Semmelknödeln für den Bischof und dessen Kollegen Kiendl. Der Bischof ist nach dem fetten Essen und einem Bier gleich in sein Zimmer. Er wollte ja auf seinem Notebook noch den Tag zusammenfassen. In dem kleinen Raum machte er es sich auf dem Bett bequem und begann zu schreiben. Es gab ja einiges, das niedergeschrieben werden musste.

Irgendwie störte ihn der uralte Zigarettengeruch, der in der Luft lag. Obwohl in dem Zimmer Rauchverbot herrschte, roch er ihn noch ganz deutlich. Er als ehemaliger Raucher konnte hinter Autos herfahren und genau sagen, ob der Autofahrer vor ihm im Auto rauchte oder nicht, zumindest im Stadtverkehr. Er hatte eine Nase für den Zigarettenrauch entwickelt, unglaublich. Die Kollegen wollten ihn schon einmal dazu überreden, sich bei „Wetten dass“ zu bewerben, aber der Bischof war jetzt nicht so einer, der gerne in der Öffentlichkeit stand. Man sagt ja, dass die ehemaligen Raucher die schlimmsten Rauchgegner werden, falls sie es einmal schaffen, von dem Zeug loszukommen. Auf den Bischof traf das sicherlich zu. Jedenfalls ist er dann beim Schreiben eingeschlafen, und man könnte denken, dass er vom fetten Essen schlecht geschlafen oder schlecht geträumt hat, nein, es war ihm zumindest kein Traum in Erinnerung geblieben, weil er anscheinend zu müde zum Träumen war, oder er war zu müde, dass er sich die Träume hätte merken können.

Als er wieder munter wurde, klopfte es an der Türe. Es war sein Kollege Kiendl, der ihn schon vermisste. Bischof hatte verschlafen, was aber nicht so schlimm war, weil es ja bei solchen Einsätzen keinen geregelten Dienst gab und bei drei Toten ohnehin genügend Stunden gemacht wurden.

An diesem Tag wollten sich die beiden im Dorf etwas umhören, um an Spuren zu kommen, die zur Aufklärung der Morde führen sollten. Nun, wo beginnt man am besten mit den Ermittlungen in so einem kleinen Ort? Richtig, beim Dorfwirt, und da waren sie ja schon und nahmen ihr Frühstück ein.