Michael der Bruder Jerrys - Jack London - E-Book

Michael der Bruder Jerrys E-Book

Jack London

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Beschreibung

Jack Londons Buch 'Michael der Bruder Jerrys' ist ein fesselndes Werk, das die Abenteuer zweier Hunde, Michael und Jerry, beschreibt. Der Roman präsentiert sich in einem packenden Stil, der den Leser in die Welt der Tiere eintauchen lässt und deren Gedanken und Emotionen auf bewegende Weise vermittelt. London verwebt geschickt Themen wie Loyalität, Mut und Überlebenskampf in diese mitreißende Geschichte, die sowohl Jung als auch Alt begeistert. Durch seinen unverkennbaren Schreibstil und seine einfühlsame Darstellung der Tierwelt hebt sich 'Michael der Bruder Jerrys' von anderen Werken seiner Zeit ab und bleibt auch heute noch ein zeitloser Klassiker der Tierliteratur.

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Jack London

Michael der Bruder Jerrys

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2018 OK Publishing
ISBN 978-80-272-4194-1

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Nachwort

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Michael sollte Tulagi nicht als Niggerjäger an Bord der Eugénie verlassen. Alle fünf Wochen einmal lief der Dampfer Makambo, auf der Fahrt von Neuguinea und dem Archipel nach Australien, den Hafen von Tulagi an. Und als Kapitän Kellar sich eines Abends verspätet hatte, vergaß er Michael an Land. Das hätte nun an und für sich nicht soviel bedeutet, denn um Mitternacht kam Kapitän Kellar wieder und kletterte selbst das Steilufer zum Bungalow des Kommissars hinauf, während die Schiffsbesatzung vergeblich die Umgebung und die Kanuhäuser durchsuchte.

Michael war jedoch eine Stunde vorher durch eine Steuerbordstückpforte an Bord gekommen, gerade als die Makambo die Anker lichtete, während Kapitän Kellar über die Laufplanke an Land ging. Das kam daher, daß Michael die Welt noch nicht kannte, und daß er erwartete, Jerry an Bord dieses Schiffes zu treffen, da er ihn zuletzt an Bord eines Schiffes gesehen hatte, und es kam auch daher, daß er einen Freund gefunden hatte.

Dag Daughtry war Steward auf der Makambo, und er hätte es besser gewußt und hätte auch besser gehandelt, wäre er nicht von seinem eigenen besonderen Rufe erfüllt gewesen. Mit einem lebensfrohen, aber schwachen Charakter geboren, hatte er nämlich den Ruf erlangt, in den letzten zwanzig Jahren nichts gescheut zu haben, weder seine tägliche Arbeit noch seine täglichen sechs Liter Flaschenbier, und das nicht einmal, wie er stolz behauptete, auf den deutschen Inseln, wo jede Flasche Bier ein halbes Gramm Chininlösung als Gegengift gegen die Malaria enthielt.

Der Kapitän der Makambo, wie vor ihm die Kapitäne der Moresby, der Masena, der Sir Edward Grace und verschiedener anderer, auf ebenso merkwürdige Namen getaufter Dampfer der Burns Philp Company, pflegte ihn den Passagieren mit Stolz als einen in den Annalen der Schiffahrt ungewöhnlichen und einzig dastehenden Fall zu zeigen. Und bei derartigen Gelegenheiten warf Dag Daughtry, während er unten auf dem Verdeck unverdrossen seine Arbeit tat, verstohlene Seitenblicke auf die Brücke, von wo der Kapitän und sein Passagier auf ihn herabsahen, und dann schwoll seine Brust vor Stolz, weil er wußte, daß der Kapitän sagte: »Sehen Sie den dort, das ist Dag Daughtry, der menschliche Tank. Er ist zwanzig Jahre nie betrunken oder nüchtern gewesen und hat jeden Tag seine sechs Liter Bier gekriegt. Sie werden es vielleicht kaum glauben, wenn Sie ihn sehen. Aber ich versichere Ihnen, daß es stimmt. Ich verstehe es nicht, aber ich bewundere ihn. Tut stets seine Arbeit, ja, mehr als das, doppelte Arbeit. Ich versichere Ihnen, mir würde schlecht von nur einem einzigen Glas Bier; es würde mir den Appetit auf die nächste Mahlzeit verderben. Aber er gedeiht dabei. Sehen Sie ihn an! Sehen Sie ihn an!«

Dag Daughtry, der die Lobreden seines Kapitäns kannte, pflegte dann, schwellend vor Stolz über seine eigenartige Begabung, seine Arbeit mit noch größerer Energie fortzusetzen und sich nach dem siebenten Liter des Tages umzusehen, um einen weiteren Beweis für seine ungewöhnliche Konstitution zu liefern. Es war eine merkwürdige Art Ruhm, aber nicht merkwürdiger als der mancher anderer Leute. Dag Daughtry fand jedenfalls in diesem Ruhm seine Existenzberechtigung.

Er setzte deshalb seine ganze Energie und seine ganze Seele dafür ein, seinen Ruf als Sechs-Liter-Mann zu bewahren. Daher verfertigte er in seiner Freizeit Schildpattkämme und Haarschmuck zum Verkauf und ging auch einer Bagatelle nicht aus dem Wege, wie z.B. der, einem anderen Manne seinen Hund zu stehlen. Irgend jemand mußte ja für die sechs Liter bezahlen, die, mit dreißig multipliziert, ein hübsches Sümmchen monatlich ergaben, und da dieser Jemand Dag Daughtry war, hatte er es für nötig gehalten, Michael durch eine Steuerbordstückpforte an Bord der Makambo zu schmuggeln.

Am Strande von Tulagi war Michael nachts, als er vergebens darüber nachdachte, was aus dem Walboot geworden war, dem untersetzten, dicken, grauhaarigen Schiffssteward begegnet. Die Freundschaft zwischen ihnen wurde fast augenblicklich geschlossen, denn Michael hatte sich aus einem lebhaften Welpen zu einem lebhaften Hunde entwickelt. Ohne sich auch nur im entferntesten mit Jerry messen zu können, war er ein umgänglicher, braver Bursche, und das trotz der Tatsache, daß er sehr wenige weiße Männer gekannt hatte. Die ersten waren Herr Haggin, Derby und Bob in Meringe gewesen; dann Kapitän Kellar und Kapitän Kellars Steuermann auf der Eugénie, und schließlich Harley Kennan und die Offiziere auf der Ariel. Ausnahmslos hatte er sie alle verschieden, und zudem prachtvoll verschieden, von den schwarzen Gestalten gefunden, die er seiner Erziehung gemäß verachtete, und als deren Herr er sich fühlte. Und Dag Daughtry hatte keine Ausnahme gemacht, als er ihn das erstemal mit einem »Hallo, du Hund eines weißen Mannes, was machst du hier im Niggerland?« begrüßte. Michael hatte verschämt mit angenommener würdevoller Zurückhaltung wiedergegrüßt, der jedoch das eifrige Spitzen seiner Ohren und die aus seinen Augen leuchtende Freundlichkeit widersprachen. Nichts davon entging der Aufmerksamkeit Dag Daughtrys – er verstand einen Hund abzuschätzen, wenn er ihn sah –, und er betrachtete Michael genau beim Schein der Laternen, mit denen die Schwarzen am Löschplatz der Walboote standen.

Zweierlei bemerkte der Steward gleich an Michael: er war ein gutmütiger Hund mit einem liebenswürdigen Ausdruck, und er war ein wertvoller Hund. Als Dag Daughtry diese Entdeckung gemacht hatte, sah er sich schnell um. Niemand beobachtete ihn. Augenblicklich waren nur Schwarze in der Nähe, und deren Augen richteten sich auf das Wasser, wo das Geräusch von Riemen aus dem Dunkel kam und ihnen das Zeichen gab, daß sie sich bereit halten sollten, um das nächste beladene Boot zu empfangen.

Etwas weiter rechts konnte er unter einer anderen Laterne den Bevollmächtigten des residierenden Kommissars und den Superkargo der Makambo in eifriger Diskussion über irgendeinen Fehler im Konnossement erkennen.

Der Steward warf noch einen schnellen Blick auf Michael und faßte dann seinen Entschluß. Wie zufällig ging er weiter und schlenderte den Strand entlang, bis er aus dem Bereich des Laternenscheins kam. Ein paar hundert Meter weiter setzte er sich in den Sand und wartete.

»Mindestens zwanzig Pfund wert«, murmelte er vor sich hin. »Wenn ich nicht zehn Pfund oder so und noch ein Dankeschön dazu für ihn kriege, dann bin ich ein Wickelkind, das einen Terrier nicht von einem Windhund unterscheiden kann. – Zehn Pfund, bestimmt, in jeder Kneipe im Sydneyer Hafen.«

Und zehn Pfund erzeugten, in Bierflaschen umgesetzt, in seinem Kopfe eine mächtige, strahlende Vision, die fast einer ganzen Brauerei glich.

Füßescharren im Sande und ein leises Schnaufen rüttelten ihn wach. Es ging, wie er gehofft. Der Hund hatte gleich Gefallen an ihm gefunden und war ihm gefolgt.

Dag Daughtry hatte nämlich eine besondere Art, was Michael bald heraus hatte, als der Mann die Hand ausstreckte und ihm halb um den Kiefer, halb in die Halsgrube unter dem Ohr griff. In diesem Griff lag keine Drohung, kein Tasten und keine Angst. Er war herzlich, durch und durch vertrauensvoll, was wiederum Michael Vertrauen einflößte. Er war derb, aber gut gemeint, fest, aber ohne Drohung, beruhigend, ohne schmeichlerisch zu sein. Für Michael war es das Natürlichste von der Welt, auf diese vertrauliche Art und Weise von einem völlig Fremden gepackt und geschüttelt zu werden, während eine joviale Stimme murmelte: »So ist's recht, Hundchen. Komm nur mit, du wirst vielleicht noch mal mit Gold aufgewogen werden.«

Michael war noch nie einem Manne begegnet, der ihm so unmittelbar gefallen hatte. Dag Daughtry verstand zweifellos ganz instinktiv, Hunde zu behandeln. Von Natur aus war keine Grausamkeit in ihm. Er ging nie zu weit, weder in Festigkeit noch in Zärtlichkeit. Er bemühte sich nicht allzusehr um Michaels Wohlwollen; ein wenig tat er es vielleicht, aber nicht zu offensichtlich. Kaum hatte er Michael zur Einleitung die Schnauze geschüttelt, als er ihn auch schon wieder losließ und augenscheinlich ganz vergaß. Er machte sich daran, seine Pfeife anzustecken, und brauchte dazu verschiedene Streichhölzer, da der Wind sie immer wieder ausblies. Während sie ihm aber bis auf die Finger herabbrannten und er tat, als paffte er tüchtig, betrachteten seine scharfen, kleinen blauen Augen unter den borstigen grauen Brauen Michael gespannt. Und Michael starrte mit gespitzten Ohren und Augen diesen Fremden an, der ihm schließlich, wie ihm schien, nie ein Fremder gewesen war.

Michael fühlte sich fast enttäuscht, daß dieser freundliche zweibeinige Gott ihn nicht mehr beachtete. Er forderte ihn denn auch zu näherer Bekanntschaft heraus, indem er mit einer plötzlichen Bewegung seine ausgestreckten Pfoten vom Boden hob und niederschlug, während der Körper von der Rute in einem Bogen abwärts ging, daß seine Brust fast den Sand berührte. Und während sein Schwanzstummel, als Zeichen seiner freundschaftlichen Gesinnung, eifrig wedelte, stieß er ein scharfes, herausforderndes Bellen aus. Aber der Mann zeigte kein Interesse, paffte nur in dem Dunkel, das auf das dritte Streichholz folgte, träumerisch seine Pfeife.

Nie war jemandem wohlüberlegter und mit gemeineren Absichten der Hof gemacht worden als Michael seitens dieses ältlichen Sechs-Liter-Stewards. Als Michael, dem es nicht ganz an Verständnis für die Zurechtweisung fehlte, die hinter dem Mangel an Interesse des Mannes lag, als Michael sich unruhig bewegte und sich zu entfernen drohte, wurde ihm ein barsches »Also, komm mit, komm mit!« hingeworfen.

Dag Daughtry triumphierte innerlich, als Michael sich näherte und lange und eifrig an seinem Hosenbein schnüffelte. Er benutzte die Gelegenheit, um ihn genauer zu untersuchen, und ließ, während er sich die Pfeife ansteckte, seinen Blick über den prachtvollen Bau des Hundes schweifen.

»Was für ein Hund, was für eine Rasse!« sagte er laut und beifällig. »Weißt du, Hund, du würdest auf jeder Hundeausstellung prämiiert werden. Der einzige Fehler, den du hast, ist das Ohr, aber das kann ich wohl selber absteifen. Ein Tierarzt kann es jedenfalls.«

Er berührte mit der Hand nachlässig Michaels Ohr und begann mit den Fingerspitzen, die von fühlbarer Teilnahme beseelt waren, den Ansatz, wo das Ohr in die straffe Schädelhaut überging, zu bearbeiten. Und das gefiel Michael. Noch nie war die Hand eines Mannes seinem Ohr so nahe gewesen, ohne ihm wehe zu tun. Diese Finger riefen ein so kräftiges körperliches Wohlbefinden hervor, daß er seinen ganzen Körper zum Dank drehte und wand. Die nächste Bewegung war ein langer, fester Zug am Ohr nach oben, das langsam bis zur äußersten Spitze durch die Finger glitt, während ein feines Kribbeln ganz in der Ohrwurzel zu spüren war. Diese Behandlung wurde bald dem einen, bald dem anderen Ohre zuteil, und unterdessen murmelte der Mann Worte, die Michael zwar nicht verstand, von denen er jedoch wußte, daß sie an ihn gerichtet waren.

»Dem Kopf fehlt nichts, der ist gut und wie er sein soll«, meinte Dag Daughtry, indem er zuerst seine Finger darüber hingleiten ließ und dann ein Streichholz anzündete. »Keine Runzeln, ein guter, kräftiger Kiefer und die Backen nicht im geringsten zu dick oder zu hohl.«

Er ließ seine Finger in Michaels Maul gleiten und bemerkte die starken, regelmäßigen Zähne, maß Schulterbreite und Brusttiefe. Hob eine Pfote hoch. Beim Schein eines neuen Streichholzes untersuchte er alle vier Pfoten.

»Schwarz, alle schwarz, jede Kralle«, sagte Daughtry, »und so hübsche Pfoten, wie je ein Hund besessen, gerade Zehen, nur soviel gebogen, wie sie sollen, und klein, aber nicht zu klein. Ich möchte wetten, daß deine Eltern viele Prämien heimgebracht haben.«

Bei dieser eingehenden Besichtigung begann Michael unruhig zu werden. Plötzlich aber hielt Daughtry mitten in der Untersuchung von Form und Bau der Schenkel und Flechsen inne, faßte mit seinen gewandten Fingern Michaels Rute, betastete die Muskeln an der Rutenwurzel, preßte und drückte das angrenzende Rückgrat, dem die Rute entsprang, und bog es auf die zudringlichste und vertraulichste Art und Weise. Und Michael war begeistert und stemmte bald den einen, bald den anderen Hinterbacken gegen die kosenden Finger. Die flachen Hände halb um die Flanken des Hundes, halb unter seinem Bauche, hob Daughtry ihn plötzlich vom Boden auf. Ehe der Hund aber Zeit hatte, ängstlich zu werden, stand er wieder.

»Sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig – du wiegst jetzt schon über fünfundzwanzig Pfund, darauf will ich jede Wette eingehen, und mit deinem vollen Gewicht wirst du auf dreißig kommen«, erzählte ihm Dag Daughtry. »Aber was macht das? Viele Sachverständige legen gerade Wert auf ein Gewicht von dreißig Pfund. Und wenn es sein muß, kannst du dir immer ein paar Gramm herunterlaufen. Du bist ein erstklassiger Hund und gerade so, wie du sein sollst. Bau und Gewicht stimmen, und deine Beine sind tadellos.

Nein, verehrter Herr Hund, dein Gewicht ist gut und das Ohr kann von dem ersten besten Hundedoktor in Ordnung gebracht werden. Ich wette, daß es in diesem heiligen Augenblick Hunderte von Menschen in Sydney gibt, die zwanzig Pfund bar auf den Tisch legen würden, um dich ihr eigen nennen zu können.« Damit Michael sich aber nicht einbildete, daß man zuviel mit ihm hermachte, lehnte Daughtry sich plötzlich zurück, zündete sich wieder seine Pfeife an und vergaß die Anwesenheit des Hundes offenbar ganz. Statt selbst um Freundschaft zu betteln, beschloß er, Michael dies tun zu lassen.

Und Michael tat es, stieß seine Flanken gegen Daughtrys Knie, rieb seinen Kopf an Daughtrys Hand, als eine Art Bitte, die beseligende Ohrenmassage und Schwanzgymnastik fortzusetzen. Statt dessen packte Daughtry ihn um die Schnauze und schob ihm, während er mit ihm redete, den Kopf langsam vor und zurück. »Wem gehörst du? Vielleicht einem Nigger, aber das ist ja Unsinn. Vielleicht hat dich irgendein Nigger gestohlen, aber das wäre Sünde und Schande. Denk' nur, welch grausames Schicksal einem Hunde begegnen kann! Es ist eine verfluchte Schande. Kein Weißer würde es sich gefallen lassen, daß ein Nigger einen Hund wie dich hat. Hier jedenfalls ist ein weißer Mann, der es sich nicht gefallen lassen will. Soll ein Nigger dich besitzen, ohne zu ahnen, wie er dich erziehen soll? Natürlich hat dich ein Nigger gestohlen. Wenn ich ihn in diesem Augenblick erwischen könnte, würde ich ihn zum Leierkastenmann prügeln. Das kannst du mir glauben. Du brauchst ihn mir nur zu zeigen, dann wirst du sehen, was ich mit ihm tue. Sollst du einem Nigger gehorchen und apportieren? Nein, verehrter Herr Hund, das wirst du nicht mehr tun. Du wirst mich begleiten, und ich glaube nicht, daß ich dich erst lange darum bitten muß.«

Dag Daughtry stand auf und schlenderte gleichgültig den Strand entlang. Michael sah ihm nach, folgte ihm aber nicht. Er wollte furchtbar gern, hatte aber keine Aufforderung dazu erhalten. Schließlich brachte Daughtry einen leisen, kosenden Laut mit den Lippen hervor. Dieser Laut war so gedämpft, daß er ihn selber kaum hören konnte, da er aber die Lippen bewegt hatte, verließ er sich darauf, daß er ihn hervorgebracht hatte. Kein Mensch hätte ihn in der Entfernung hören können. Michael aber hörte ihn und sprang dem Manne in weiten, begeisterten Sprüngen nach.

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Dag Daughtry schlenderte den Strand entlang, und Michael trottete ihm auf den Fersen nach oder tanzte vor Freude im Kreis herum, sobald der merkwürdige, leise Lippenlaut wiederholt wurde. Der Mann blieb vor dem kreisförmigen Lichtschein der Laternen stehen, in dem dunkle Gestalten die Ladung des Walbootes löschten und der Bevollmächtigte des Kommissars sich immer noch mit dem Superkargo der Makambo über das Konnossement stritt. Als Michael weitergehen wollte, hielt Daughtry ihn mit demselben fast unhörbaren Lippenlaut zurück.

Daughtry machte sich nämlich nichts daraus, bei einer solchen Hundediebstahlexpedition gesehen zu werden, er dachte vielmehr daran, wie er ungesehen an Bord kommen könnte. Er bog seitwärts ab und ging um den Lichtschein herum den Strand entlang nach dem Negerdorf. Wie vorausgesehen, waren alle arbeitsfähigen Männer am Landungsplatz, um zu löschen. Die Grashütten schienen ausgestorben, schließlich aber ertönte aus einer von ihnen in jammerndem, greisenhaftem Falsetton ein Ruf.

»Was Name?«

»Mich gehen herum viel zuviel«, antwortete Daughtry in dem Trepang-Englisch, das auf den westlichen Südseeinseln gesprochen wird. »Mich gehören zu Dampfer. Wenn du mich nehmen in Kanu und washee-washee (tüchtig rudern), mich geben dich fella Nigger zwei Stück Tabak.«

»Glaube, du mich geben zehn Stück stimmt bei mich,« lautete die Antwort.

»Mich geben fünf Stück«, feilschte der Sechs-Liter-Steward. »Wenn du nicht wollen fünf Stück, dann du fella Nigger gehen zur Hölle sehr gleich.« Eine Pause trat ein.

»Du wollen fünf Stück?« fragte Daughtry eindringlich ins Dunkel hinein.

»Mich wollen«, antwortete es aus dem Dunkel, und aus dem Dunkel näherte sich das Wesen, dem die Stimme gehörte, mit so merkwürdigen Geräuschen, daß der Steward ein Streichholz anstrich, um sehen zu können.

Ein triefäugiger alter Mann stand, auf einer Krücke balancierend, vor ihm. Seine Augen waren halb von einer krankhaften Hautwucherung überzogen, und was noch nicht verdeckt war, leuchtete rot und entzündet. Sein Haar war räudig und starrte fleckenweise in grauen Büscheln, seine Haut war zernarbt, runzlig und marmoriert, die Farbe blaurot mit einem grauen Überzug versehen, der fast aussah, als wäre er angestrichen, wenn es nicht unzweifelhaft gewesen wäre, daß er auf ihm wuchs und organisch zu ihm gehörte. »Ein armer Aussätziger«, dachte Daughtry, während er einen schnellen Blick von den Händen zu den Füßen gleiten ließ, um möglicherweise das Fehlen von Zehen und Fingergliedern zu entdecken. Aber in dieser Beziehung war der Alte intakt, wenn das eine Bein auch nur bis zur Mitte zwischen Knie und Schenkel reichte.

»Mein Wort! Was Platz bleiben das fella Bein«, sagte Daughtry und zeigte auf den Raum, den das Bein ausgefüllt hätte, wäre es nicht verschwunden gewesen.

»Groß fella Haifisch, das fella Bein bleiben bei ihm«, antwortete der Alte grinsend und zeigte dabei ein scheußliches, zahnloses Loch von Mund.

»Mich alt fella jetzt zu viel«, sagte der einbeinige Methusalem zitternd. »Lang Zeit so viel nicht rauchen Tabak. Wenn du groß fella weiß Herr geben mich ein fella Stück, sehr gleich mich washee-washee dich zu fella Dampfer.«

»Und wenn mich nicht geben?« sagte der Steward ungeduldig, um so billig wie möglich davonzukommen.

Statt einer Antwort machte der alte Mann halb kehrt und begann, seinen Beinstumpf in der Luft schwingend, auf der Krücke seitwärts in die Grashütte zu humpeln.

»Schon gut«, rief Daughtry schnell. »Mich geben dich Tabak schnell fella.«

Er suchte in einer Seitentasche nach diesem Zahlungsmittel der Salomoninseln und riß von einer Handvoll gepreßter Stücke eines los. Der alte Mann, der gierig nach dem Stück griff, war wie verwandelt. Er stieß abwechselnd kleine summende Laute und scharfe wie Schmerzgewimmer klingende Schreie aus, während er entzückt und mürrisch zugleich eine schwarze Tonpfeife aus einem Loch in seinem Ohrläppchen zog, mit zitternden Fingern die billigen Blätter des verdorbenen Virginiatabaks hineintat und den Pfeifenkopf stopfte. Nachdem er den Inhalt des gefüllten Pfeifenkopfes mit dem Daumen niedergedrückt hatte, ließ er sich plötzlich, die Krücken neben und das eine Bein unter sich, zu Boden fallen, so daß er einem beinlosen Torso glich. Aus einem kleinen, aus Kokosfasern geflochtenen Beutel, der von seinem Hals auf die welke, eingefallene Brust herabhing, zog er Feuerstein, Stahl und Zunder und schlug, gerade als der ungeduldige Steward ihm eine Schachtel Streichhölzer anbot, einen Funken, fing ihn mit dem Zunder auf, entfachte ihn durch Blasen und steckte sich seine Pfeife damit an.

Nach dem ersten vollen Zuge hörte sein Jammern und Kläffen auf, die Aufregung legte sich, und Daughtry, der wartend dastand, sah mit Befriedigung, wie seine Hände zu zittern und die hängenden Lippen zu beben aufhörten, der Speichel nicht mehr aus den Mundwinkeln floß und ein Schimmer von Ruhe und Zufriedenheit in die traurigen Reste seiner Augen trat. Welche Visionen der alte Mann in der Stille, die sich über ihn gesenkt hatte, sah, versuchte Daughtry nicht zu erraten. Er war zu sehr von seiner eigenen Vision in Anspruch genommen, denn er sah klar und deutlich vor sich die schmutzige Höhle eines Armenhauses, in der ein alter Mann, sehr ähnlich dem, was er selbst einmal werden würde, jammerte, lallte und sabberte, um eine Krume Tabak für seine alte Tonpfeife zu bekommen, und wo es, um allen Schrecken die Krone aufzusetzen, nicht möglich war, einen Schluck Bier, geschweige denn sechs Liter zu erhalten. Michael aber, der beim matten Schein der glimmenden Pfeife Zeuge der Szene zwischen den zwei alten Männern war, von denen der eine im Dunkel zusammenkroch, während der andere aufrecht dastand, ahnte nichts von der Tragödie des Alters, sondern war ausschließlich von der unermeßlichen Anziehungskraft erfüllt, die von diesem zweibeinigen weißen Gott ausstrahlte, der nur durch die Berührung seiner zauberhaften Finger mit Michaels Ohren, Rute und Rückgrat sein Herz gewonnen hatte.

Als die Tonpfeife ganz ausgeraucht war, erhob sich der alte Neger mit Hilfe seiner Krücke mit verblüffender Schnelligkeit auf das eine Bein und humpelte lächerlich hüpfend zum Strande. Daughtry mußte alle Kraft aufbieten, um das zerbrechliche Kanu aus der Felskluft ins Wasser zu schaffen. Das Kanu war ebenso alt und hinfällig wie sein Besitzer, und um ohne zu kentern hineinzukommen, mußte Daughtry sich dareinfinden, daß ihm das eine Bein bis über den Knöchel und das andere fast bis zum Knie durchnäßt wurde.

Der alte Mann wand sich an Bord, indem er seinen Körper mit solcher Eile über den Rand wälzte, daß sein Gewicht gerade in dem Augenblick, als das Kanu kentern wollte, drüben war, die Gefahr abwehrte und das Kanu ausbalancierte.

Michael blieb auf dem Strande und wartete auf eine Aufforderung, mitzukommen. Er hatte zwar noch keinen Entschluß gefaßt, war aber so weit, daß nur noch eines erforderlich war: dieser merkwürdige Lippenlaut. Dag Daughtry machte den Lippenlaut so schwach, daß der alte Mann ihn nicht hörte. Michael aber sprang vom Strand geradeswegs ins Kanu, ohne sich auch nur die Pfoten zu benetzen. Daughtrys Schulter als Trittbrett benutzend, sprang er über ihn hinweg auf den Boden des Kanus. Daughtry machte wieder den Kußlaut mit den Lippen, und Michael wandte sich um, so daß er ihm ins Gesicht sehen konnte, setzte sich nieder und legte seinen Kopf auf die Knie des Stewards.

»Ich glaube, ich könnte auf einen ganzen Stapel Bibeln schwören, daß du mir von selbst gefolgt bist«, grinste er Michael ins Ohr.

»Washee-washee schnell fella«, kommandierte er.

Der Alte senkte gehorsam seine Paddel ins Wasser und begann einen unregelmäßigen Kurs in der Richtung des Lichthaufens zu nehmen, der den Platz der Makambo bezeichnete. Aber er war zu schwach, schnaufte und stöhnte in einem fort vor Anstrengung und hielt zwischen den Paddelschlägen inne, um auszuruhen. Ungeduldig nahm ihm der Steward die Paddel fort und begann selbst zu rudern. Als sie den Dampfer halbwegs erreicht hatten, hörte der Alte mit seinem Schnaufen auf und begann zu sprechen, während er kopfnickend auf Michael wies.

»Das fella Hund ihn gehören groß fella weiß Herr auf Schoner ... du geben mich zehn Stück Tabak«, fügte er nach einer passenden Pause hinzu, um die Nachricht erst richtig wirken zu lassen.

»Ich geben dir bang auf Kopf«, versicherte Daughtry ihm heiter. »Weißer Herr auf Schoner guter Freund von mir sehr viel. Gerade jetzt er sein auf Makambo. Mich nehmen Hund zu ihm auf Makambo.«

Die Unterhaltung wurde von dem Alten nicht fortgesetzt, und obwohl er noch viele Jahre lebte, erwähnte er nie den nächtlichen Passagier im Kanu, der Michael mitgenommen hatte. Als er später in der Nacht die Verwirrung und den Aufruhr am Strande sah und hörte – Kapitän Kellar stellte bei seiner Suche nach Michael ganz Tulagi auf den Kopf –, verharrte der Alte in diskreter Schweigsamkeit. Warum sollte er sich hineinmischen in den Streit zwischen den Fremden, den weißen Herren, die kamen und gingen, schalteten und walteten, wie sie wollten.

In diesem Punkt verhielt sich der Alte keineswegs anders als die dunkelhäutige melanesische Rasse sonst. Die Weißen hatten unglaubliche, undenkbare Gewohnheiten und Einfälle. Sie bildeten eine andere Welt, traten als höhere Wesen in einem Schauspiel auf erhöhter Bühne auf, wo es keine Wirklichkeit gab, jedenfalls keine wie die, welche die schwarzen Männer kannten, wo sich aber die weißen Männer wie Traumbilder, wie auf den unermeßlichen, geheimnisvollen Teppich des Universums geworfene Scharten bewegten.

Da das Fallreep sich an Backbord befand, paddelte Daughtry nach Steuerbord und hielt das Kanu unter einer bestimmten Stückpforte an.

»Kwaque«, rief er leise, erst einmal und dann noch einmal. Nach dem zweiten Rufe verdunkelte sich das Licht in der Stückpforte, offenbar durch einen Kopf, der in dünnem pfeifenden Ton sagte: »Mich hier, Herr.«

»Ein fella Hund bleiben bei dir«, flüsterte der Steward. »Halt Tür geschlossen. Du warten auf mich. Paß auf! Jetzt!« Mit einem schnellen Griff packte er Michael, reichte ihn den unsichtbaren Händen, die sich ihm vom Schiff entgegenstreckten, und paddelte nach vorn zu einer offenen Ladepforte. Er griff in seine Tabaktasche, steckte dem Alten ein Päckchen in die Hand und stieß das Kanu ab, ohne weiter darüber nachzudenken, ob der hilflose Insasse je an Land kommen würde.

Der alte Mann berührte die Paddel nicht und bemerkte nicht die hohen Seiten des Dampfers, während das Kanu an ihnen vorbeiglitt und achteraus ins Dunkel trieb. Er war zu sehr damit beschäftigt, den Reichtum an Tabak zu zählen, der auf ihn herabgeregnet war. Sein Zählen war ein schwieriges Stück Arbeit. Fünf war die letzte Zahl, die er kannte. Als er bis fünf gezählt hatte, begann er wieder von vorn und zählte zweimal bis fünf. Alles in allem bekam er dabei dreimal fünf und noch zwei Stück dazu heraus; als er aber soweit war, wußte er über die Zahl der Stücke ebenso genau Bescheid, wie ein weißer Mann es mit Hilfe der einen Zahl siebzehn getan hätte. Das war mehr, weit mehr, als er in seiner Gier verlangt hatte. Und doch war er nicht überrascht. Nichts, was weiße Männer taten, konnte ihn überraschen.

Paddelnd, schnaufend, sich ausruhend und die Schattenwelt des weißen Mannes vergessend, legte der alte Schwarze langsam den Weg zum Lande zurück; er kannte nur die Wirklichkeit des Tulagiberges, der seine finsteren Zinnen in den matten Strahlenglanz des perlenübersäten Himmels reckte; nur die Wirklichkeit der See und des Kanus, das er so schwach über das Meer trieb, und die Wirklichkeit des Todes, in dessen Armen er mit seiner erlöschenden Lebenskraft sicher bald endete.

Drittes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Und Michael? Nachdem er durch die Luft gehoben und unsichtbaren Händen übergeben worden war, die ihn durch eine enge, runde, in Messing eingefaßte Öffnung in einen erleuchteten Raum zogen, sah Michael sich um, in der Erwartung, Jerry zu sehen. Jerry aber lag in diesem Augenblick zusammengerollt neben Villa Kennans Hängematte auf dem schrägen Deck der Ariel, während das schöne Schiff den Archipel hinter sich ließ und auf Neuguinea losfuhr, unter dem frischen Passat, der es mit einer Schnelligkeit von elf Knoten vor sich hintrieb, seine Speigatten auf die Seite legte und mit den Wellen an seiner Seite flüsterte und schwatzte. Statt Jerry sah Michael Kwaque.

Kwaque? Ja, Kwaque war Kwaque, ein Wesen, das mehr von andern Menschen abwich, als Menschen sonst im allgemeinen voneinander abweichen. Eine seltsamere Existenz war sicher nie auf den wilden Wogen des Lebens umhergeworfen worden. Nach menschlicher Zeitrechnung war er siebzehn Jahre alt, sah aber aus, als wäre ein Jahrhundert über seine scharfgeschnittenen Züge, seine gerunzelte Stirn, seine eingefallenen Schläfen und seine tiefliegenden Augen dahingegangen. Seine dünnen Beine glichen gebrechlichen Stielen, ihre Knochen waren mit einer Scheide aus welker Haut überzogen, unter der es offenbar nirgends Muskeln gab. Aber auf diesen dünnen Stielen wuchs der Oberkörper eines dicken Mannes. Der riesige, vorstehende Bauch wurde kräftig von schweren, massiven Hüften gestützt, und die Schultern waren so breit wie die eines Herkules. Von der Seite gesehen, zeigte sich aber, daß diese Schultern und die Brust keine Tiefe hatten. Es schien fast, als wäre sein Knochenbau nach zwei verschiedenen Maßen angefertigt worden. Seine Arme waren ebenso dünn wie die Beine, und als Michael ihn das erstemal erblickte, fand er, daß er völlig einer dickbäuchigen schwarzen Spinne glich.

Kwaque begann sich anzukleiden, die Sache eines Augenblicks, da er sich nur ein Hemd und ein Paar Hosen anzog, die durch langen Gebrauch schmutzig und verschlissen waren. Zwei Finger seiner linken Hand waren dauernd geknickt und hätten einem Sachverständigen verraten, daß er aussätzig war. Obwohl er Dag Daughtry ebenso unbedingt gehörte, wie wenn der Steward eine Quittung für seinen Kaufpreis gehabt hätte, wußte sein Besitzer doch nicht, daß diese Verzerrung seiner Finger ein Symptom der furchtbaren Krankheit war.

Das eigentümliche Verhältnis war auf ganz einfache Art und Weise zustande gekommen. Auf der König-Wilhelms-Insel – einer der Admiralitätsinseln – hatte Kwaque, um im Südseejargon zu reden, einen Brückenkopfsprung gemacht. Er war sozusagen mitsamt seinem Aussatz und allem üblichen Zubehör Dag Daughtry geradeswegs in die Arme geplumpst. Der Steward hatte Kwaque aufgelesen, als er auf den Pfaden der Eingeborenen am Rande der Dschungel zum Strande schlenderte, was er zu tun pflegte, um zu sehen, ob er nicht auf irgend etwas stoßen würde. Und er hatte ihn in der äußersten Not aufgelesen.

Von zwei sehr energischen jungen Leuten mit eisernen Speeren verfolgt, war Kwaque, der auf seinen zwei dünnen Stelzen unglaublich schnell angewackelt kam, Daughtry ermattet zu Füßen gefallen und hatte ihn mit flehenden Augen wie ein von Hunden gehetzter Hirsch angeblickt. Daughtry hatte die Angelegenheit untersucht, und die Untersuchung war etwas heftig gewesen; denn er hatte eine heilsame Angst vor Ansteckung und Bazillen, und als die beiden jungen Leute ihn mit ihren schmutzigen rostigen Speeren zu durchbohren suchten, nahm er den Speer des einen unter den Arm und versenkte den anderen durch einen bedauerlichen Schlag unter das Kinn in tiefen Schlaf. Einen Augenblick später schlief der andere junge Mann, dessen Speer er genommen hatte, ebenso fest. Der bejahrte Steward begnügte sich nicht mit den Speeren allein. Während der gerettete Kwaque weiter jammerte und Laute der Dankbarkeit zu seinen Füßen schnaufte, begann er die beiden bis auf die Haut zu entkleiden. Nun hatten sie zwar nichts, was man nach unserem Begriff Kleidung nennen konnte, aber von den Hälsen der beiden entfernte er je ein Halsband aus Delphinzähnen, das als Tauschgegenstand mindestens ein Goldstück wert war. Aus einer der merkwürdigen Locken der nackten jungen Leute zog er einen handgeschnitzten, feinzinkigen Kamm, dessen hoher Rücken mit Perlmutter eingelegt war, und den er später einem Antiquitätenhändler in Sydney für acht Schilling verkaufte. Nasen- und Ohrenschmuck aus Knochen und Schildpatt raubte er auch, ferner einen Brustmond aus Perlmutter, vierzehn Zoll im Durchmesser und überall seine fünfzehn Schilling wert. Die beiden Speere endlich brachten ihm bei Touristen in Port Moresby fünf Schilling das Stück ein. Es ist nicht leicht für einen Steward, einen Sechs-Liter-Ruhm aufrechtzuerhalten.

Als er sich umdrehte, um die energischen jungen Leute zu verlassen, die wieder zum Bewußtsein gekommen waren und ihn mit klaren, glänzenden Tieraugen beobachteten, folgte Kwaque ihm so dicht auf den Fersen, daß er ihn fast auf die Füße trat und zum Straucheln brachte. Dann belud Daughtry Kwaque mit seinem Fund und ließ ihn den Pfad zum Strande vorangehen. Und den ganzen Rest des Weges bis zum Dampfer gluckste und kicherte Dag Daughtry beim Anblick seiner Beute und Kwaques, der auf phantastische Weise stolperte und wie ein wanderndes Faß auf seinen dünnen Stelzen trabte.

An Bord des Dampfers – es war zufällig die Cockspur – überredete Daughtry den Kapitän, Kwaque als Untersteward für zehn Schilling den Monat anzuheuern. Und dann erfuhr er auch die Geschichte Kwaques.

Es war eigentlich die Geschichte eines Schweines. Die energischen jungen Leute waren Brüder, die in einem Dorfe in der Nähe des seinen lebten, und das Schwein hatte ihnen gehört – so erzählte Kwaque in seinem furchtbaren Trepang-Englisch. Er, Kwaque, hatte das Schwein nie gesehen. Er hatte nichts von seiner Existenz geahnt, ehe es tot war. Die beiden jungen Leute hatten das Schwein geliebt. Aber wenn schon! Das ging ja Kwaque nichts an, der von ihrer Liebe zu dem Schwein so wenig wußte wie von dem Schwein selbst. Das erste, was er gehört hätte, erzählte er, sei der Dorfklatsch gewesen, daß das Schwein tot sei, und daß irgend jemand dafür sterben müsse. Das sei ganz in Ordnung, sagte er als Antwort auf eine Frage des Stewards. So sei es Schick und Brauch. Jedesmal, wenn ein geliebtes Schwein stürbe, wäre der Besitzer nach dem Gewohnheitsrecht gezwungen, irgend jemand, einerlei wen, zu töten. Selbstverständlich sei es am besten, den zu töten, durch dessen Zauberei das Schwein krank geworden wäre. Könne man den aber nicht finden, so wäre jeder andere brauchbar. Daher sei Kwaque als blutiges Sühneopfer auserwählt worden.

Dag Daughtry trank, während er lauschte, einen siebenten Liter, so ergriffen war er von der düsteren Romantik dieser dunklen Dschungelbegebenheit, daß die Leute sogar fremde Menschen töteten, weil ein Schwein gestorben war.

Späher, die auf dem Dschungelpfad postiert waren, hatten, wie Kwaque weiter erzählte, gemeldet, daß die zwei trauernden Schweinebesitzer sich näherten, und die Bevölkerung des Dorfes war in die Dschungel geflüchtet und auf die Bäume geklettert – alle mit Ausnahme Kwaques, der nicht imstande war, auf Bäume zu klettern.

»Mein Wort,« schloß Kwaque, »mich nicht machen ihr fella Schwein krank.«

»Mein Wort,« sagte Dag Daughtry, »du zaubern zuviel mit dies fella Schwein. Du sein wie Teufel. Du machen alle fella Dinge krank, wenn nur dich sehen. Du machen mich krank zuviel.«

Es wurde reine Gewohnheit, daß der Steward, ehe er sich in seine Koje legte, sich zu seiner sechsten Flasche Bier Kwaques Geschichte erzählen ließ. Sie rief ihm seine Kindheit wieder ins Gedächtnis, als er von Abenteuern, von wilden Menschenfressern in fernen Ländern erfüllt gewesen war und davon geträumt hatte, sie eines Tages mit eigenen Augen zu sehen. Und jetzt saß er hier – er konnte vor Freude darüber kichern – mit einem richtigen Menschenfresser als Sklaven. Denn Sklave, das war Kwaque ebenso unbedingt, wie wenn Daughtry ihn auf der Auktion erstanden hätte. So oft der Steward innerhalb der Flotte der Burns-Philp-Gesellschaft das Schiff wechselte, machte er zur Bedingung, daß Kwaque ihm folgen und brav und redlich mit zehn Schilling gelohnt werden sollte. Kwaque hatte nichts hiergegen einzuwenden. Selbst wenn er Lust gehabt hätte, in einem australischen Hafen auszureißen, hätte Daughtry keine Ursache gehabt, deshalb auf ihn aufzupassen. Australien mit seiner Politik »Nur für Weiße« paßte selbst auf. Kein Farbiger, weder Malaie noch Japaner oder Polynesier, konnte an seinen Küsten landen, ohne eine Kaution von hundert Pfund bar bei der Regierung zu hinterlegen.

Auch an den andern Plätzen, die die Makambo anlief, hegte Kwaque keinen Wunsch, auszureißen. Die König-Wilhelms-Insel war das einzige Land, das er je betreten hatte, sie war für ihn der Maßstab, den er allen andern Inseln anlegte. Und da die König-Wilhelms-Insel eine Menschenfresserinsel war, mußte er unweigerlich schließen, daß auf den andern Inseln dieselben Lebensgewohnheiten herrschten.

Die Makambo lief jede zehnte Woche die König-Wilhelms-Insel an. Aber die furchtbarste Drohung, die Daughtry für ihn hatte, war, daß er ihn an der Stelle, wo die zwei energischen jungen Leute noch über ihr Schwein trauerten, an Land setzen würde. Tatsächlich machten sich die beiden auch jedesmal das Vergnügen, um die Makambo herumzurudern und wilde Grimassen zu schneiden, die Kwaque durch ebenso wilde Grimassen von der Reling aus erwiderte. Daughtry ermunterte sogar dies Auswechseln physiognomischer Freundlichkeiten in der Absicht, in Kwaque die Hoffnung, je in sein Heimatdorf zurückzukehren, für immer zu ersticken. Übrigens hegte Kwaque auch gar nicht den Wunsch, seinen Herrn zu verlassen, der freundlich zu ihm war und nie die Hand gegen ihn erhob. Nachdem Kwaque den ersten Anfall von Seekrankheit überstanden hatte, war er, da er seine Füße nie mehr an Land setzte, ein für allemal gegen die Krankheit gefeit, und so meinte er, in einem Paradies auf Erden zu leben. Er erhielt regelmäßig sein Essen, und herrliches Essen obendrein! In seinem Dorfe ahnte keiner auch nur in seinen wildesten Träumen, in wie vielen leckeren Dingen er täglich schwelgte. Dank diesen guten Verhältnissen kam er sogar über einen leichten Anfall von Heimweh hinweg und war das zufriedenste Geschöpf, das je die See befahren.

Und Kwaque war es nun, der Michael durch die Stückpforte in Dag Daughtrys Kajüte zog und dann darauf wartete, daß dieser Ehrenmann auf einem Umweg zur Tür hereinkommen sollte. Nachdem Michael einen schnellen Blick durch die Kajüte geworfen, an und unter der Koje geschnüffelt und entdeckt hatte, daß Jerry nicht anwesend war, wandte er seine Aufmerksamkeit Kwaque zu.

Kwaque versuchte liebenswürdig zu sein. Er stieß einen glucksenden Laut aus, um seine freundlichen Absichten zu erkennen zu geben. Aber Michael knurrte den Neger an, der gewagt hatte, ihn zu berühren – Michaels ganzer Erziehung zufolge ein Schimpf –, und der es jetzt wagte, sich zu ihm, der nur mit weißen Göttern verkehrte, zu wenden.

Kwaque schlug die Ablehnung mit einem dummen, unartikulierten Lachen in den Wind und begann sich der Tür zu nähern, um bereit zu sein, sie zu öffnen, wenn sein Herr kam. Kaum aber hatte er das Bein gehoben, als Michael darauflosfuhr. Kwaque blieb augenblicklich stehen, und Michael legte sich nieder, paßte aber scharf auf. Was wußte er von diesem fremden Nigger, als daß er eben ein Nigger, und daß es allen Niggern gegenüber geboten war, aufzupassen, wenn kein weißer Herr zugegen war! Kwaque versuchte langsam den Fuß vorzuschieben, aber Michael bemerkte den Kniff, knurrte und verhinderte ihn mit gesträubten Haaren.

Da trat Daughtry ein, und während er Michael in dem hellen elektrischen Licht höchlichst bewunderte, wurde er sich gleichzeitig über die Situation klar.

»Kwaque, du spazieren auf Bein gehören dir«, kommandierte er, um Gewißheit zu erhalten.

Kwaques ängstliche Blicke auf Michael waren überzeugend genug, aber der Steward blieb bei seinem Befehl. Kwaque gehorchte vorsichtig, hatte aber kaum den Fuß einen Zoll breit vorgeschoben, als Michael auf ihn losfuhr. Fuß und Bein blieben regungslos, während Michael hartnäckig in einem Halbkreis um ihn herumging und ihn in Schach hielt.

»Hat dich auf den Fußboden festgenagelt, he?« lachte Daughtry.

»Mein Wort, das ist ein Niggerjäger!«

»Los, du, Kwaque, geh holen zwei fella Flaschen Bier, sein in Eisschrank«, befahl er in seinem bestimmtesten Ton.

Kwaque sah ihn flehend an, rührte sich aber nicht vom Fleck. Nicht einmal, als der Befehl noch barscher wiederholt wurde, ging er.

»Mein Wort«, drohte der Steward. »Wenn du nicht bringen Bier sehr gleich, ich läuten die Glocken sehr lange. Wenn du nicht bringen sehr gleich, mich lassen dich gehen an Land spazieren auf König-Wilhelms-Insel.«

»Kann nicht«, murmelte Kwaque furchtsam. »Augen gehören Hund, sehen auf mich zuviel. Mich nicht mögen, Hund essen mich.«

»Du Furcht vor Hund?« fragte sein Herr.

»Mein Wort, mich Furcht vor Hund allzuviel.«

Dag Daughtry war begeistert. Da er aber nach seinem kurzen Landausflug durstig war, zog er die Szene nicht in die Länge.

»He, du Hund«, sagte er zu Michael. »Dies fella Nigger sein brav. Savvee? Sein brav.«

Michael wedelte mit der Rute und legte die Ohren an den Kopf, um zu zeigen, daß er verstand. Als der Steward dann dem Schwarzen auf die Schulter klopfte, schnüffelte Michael an den beiden Beinen, die er an den Boden genagelt hatte.

»Geh los«, kommandierte Daughtry. »Geh langsam, fella«, warnte er, obwohl es ziemlich überflüssig war.

Michael sträubten sich die Haare, aber er ließ den ersten furchtsamen Schritt zu. Beim zweiten sah er Daughtry an, um sich über die Situation klar zu werden.

»Stimmt schon«, lautete es zu seiner Beruhigung. »Das fella gehören jetzt mir. Er brav, jawoll.«

Michael gab mit lachenden Augen zu erkennen, daß er verstanden hatte, und wandte sich vorderhand ab, um einen auf dem Fußboden stehenden offenen Kasten mit Schildpattplatten, Sägen und Sandpapier zu untersuchen.

»Und jetzt«, murmelte Dag Daughtry nachdrücklich, indem er sich mit der Flasche in der Hand auf seinem Sessel zurücklehnte, während Kwaque zu seinen Füßen kniete und ihm die Schuhe aufschnürte, »jetzt gilt es, einen Namen für dich zu finden, Herr Hund. Einen Namen, der deiner Abstammung und Erziehung entspricht und meiner Erfindungsgabe Ehre macht.«

Irische Terrier zeichnen sich, wenn sie erwachsen sind, nicht allein durch ihren Mut, ihre Treue und Ergebenheit, sondern auch durch ihre Besonnenheit, Selbstbeherrschung und Selbstzucht aus. Sie lassen sich nicht leicht aus dem Gleichgewicht bringen; sie können die Stimme ihres Herrn selbst in einem Handgemenge und in der Wut unterscheiden und ihr gehorchen, und nie brausen sie in nervösen, hysterischen Anfällen auf, die zum Beispiel bei Foxterriern so häufig sind.

Michael war nicht im geringsten hysterisch, wenn auch reizbarer als sein leiblicher Bruder Jerry, und wenn auch seine Eltern, mit ihnen verglichen, unweigerlich als ein gesetztes älteres Paar bezeichnet werden mußten. Der erwachsene Michael war weit verspielter und heftiger als der erwachsene Jerry. Sein aufbrausendes Temperament war stets im Begriff, bei dem geringsten Anlaß aufzukochen, und er konnte, wie sich später zeigte, selbst einen Welpen im Spiel ermüden. Kurz, Michael war eine lustige Seele. Das Wort »Seele« ist hier mit Wohlbedacht gebraucht. Wie man auch die Seele eines Geschöpfes bezeichnen will – als werdenden Geist, Identität, Persönlichkeit oder Bewußtsein –, jedenfalls besaß Michael diesen unbestimmbaren Begriff. Seine Seele hatte – nur mit einem Gradunterschied – dieselben Eigenschaften wie die menschliche.

Weder Liebe noch Kummer, weder Freude noch Stolz, Selbstbewußtsein oder Humor waren ihm fremd. Drei der wichtigsten Attribute der menschlichen Seele sind Erinnerung, Wille und Verstand; und Erinnerung, Willen und Verstand besaß Michael. Ganz wie ein Mensch stand er mit Hilfe seiner fünf Sinne mit der umgebenden Welt in Berührung. Wie bei einem Menschen bestand das Ergebnis dieser Berührung auch für ihn aus Sinneseindrücken. Und wie bei einem Menschen stiegen diese Sinneseindrücke auch bei ihm zuweilen zu Seeleneindrücken. Ferner vermochte er wie ein menschliches Wesen zu urteilen, und solche Urteile entwickelten sich in seinem Kopfe zu Begriffen. Oh, vielleicht nicht zu Begriffen, die so umfassend, tief und dunkel wie die eines menschlichen Wesens waren, aber doch zu Begriffen.

Um den Menschen ein wenig über diese entehrende Gleichartigkeit auf dem Gebiete der höchsten Seeleneigenschaften hinauszuheben, sollte man doch vielleicht einräumen, daß die Sinneseindrücke Michaels nicht ganz so scharf waren, wenn es sich um einen Nadelstich durch seine Pfote handelte, wie wenn es sich entsprechend um einen Nadelstich durch die Handfläche eines Menschen gehandelt hätte. Wir wollen auch einräumen, daß, wenn das Bewußtsein sein Hirn mit einem Gedanken erfüllte, dieser Gedanke doch unklarer und verschwommener als ein ähnlicher Gedanke in einem Menschenhirn war. Ferner wollen wir einräumen, daß Michael nie, und wenn er so alt wie Methusalem geworden wäre, eine geometrische Figur hätte konstruieren oder eine Gleichung zweiten Grades hätte lösen können. Immerhin war er imstande, zu begreifen, und zwar ohne einen Schatten von Zweifel, daß drei Knochen mehr als zwei waren, und daß zehn Hunde eine gefährlichere Streitmacht ausmachten als zwei.

Aber ein Zugeständnis können wir nicht machen, nämlich, daß Michael nicht imstande gewesen wäre, ebenso warm, aus ebenso vollem Herzen und ebenso uneigennützig, wahnsinnig und aufopfernd zu lieben wie ein Mensch. Denn so liebte er – nicht weil er Michael, sondern weil er ein Hund war.

Michael hatte Kapitän Kellar mehr geliebt als sein Leben. Wie Jerry für Schiffer nicht gezaudert hätte, sein Leben zu geben, so würde er willig das seine für Kapitän Kellar gewagt haben. Und als es ihm mit der Zeit klar wurde, daß Kapitän Kellar in das unumgängliche große Nichts von Meringe und den Salomoninseln eingegangen war, wurde es seine Bestimmung, ebenso voll und ganz diesen Sechs-Liter-Steward mit seiner einschmeichelnden Art und den unwiderstehlichen zärtlichen Lippenlauten zu lieben. Kwaque? Nein; denn Kwaque war schwarz. Kwaque nahm er nur hin als ein Zubehör, als einen Teil des menschlichen Milieus, als einen Besitzgegenstand Dag Daughtrys.

Aber er kannte diesen neuen Gott nicht als Dag Daughtry. Kwaque nannte ihn »Herr«; aber Michael hatte andere Weiße ebenso von den Schwarzen nennen hören. Kapitän Duncan nannte den Steward »Steward«. Michael hörte ihn, seine Offiziere und alle Passagiere seinen Herrn so nennen; für Michael wurde daher der Name seines Gottes »Steward«, und sein ganzes Leben kannte er ihn und dachte er an ihn nur als »Steward«.

Im übrigen erhob sich die Frage, wie er selbst heißen sollte. Dag Daughtry hatte das an dem Abend, als er an Bord gekommen war, mit ihm erörtert. Michael saß da, die Schnauze auf Daughtrys Knie, und während seine Augen sich weiteten, wieder zusammenzogen und glühten, spitzte er die Ohren, um zu lauschen, und klopfte mit dem Rutenstummel begeistert auf den Boden.

»Siehst du, mein Junge«, sagte der Steward zu ihm, »dein Vater und deine Mutter waren Irländer, doch, leugne es nicht, du Schlingel.«

Weiter kam er nicht, denn Michael, von der unverkennbaren Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit in der Stimme des Mannes ermutigt, wand den ganzen Körper vor Begeisterung und verdoppelte das Klopfen mit der Rute. Nicht, weil er ein Wort verstand, aber er verstand das unerklärliche Etwas, das hinter den Worten lag, und das dieser Kette von Lauten die ganze unerklärliche Gutmütigkeit der weißen Götter mitteilte.

»Schäm' dich nie deiner Eltern und vergiß nicht, daß Gott die Irländer liebt. – Kwaque, hol' mir zwei fella Flaschen Bier – stehen im Eisschrank! – Ja, ja, mein Junge, man kann es dir an der Nase ansehen, daß du ein Irländer bist.« (Michaels Rute schlug einen förmlichen Zapfenstreich.) »Na, versuch' nicht, dich bei mir einzuschmeicheln. Ich muß aufpassen, daß du kein Speichellecker wirst. Laß dir nur sagen, daß mein Herz undurchdringlich ist. Es ist zu lange von Bier durchtränkt worden. Ich habe dich gestohlen, um dich zu verkaufen, nicht, um Schoßhündchen mit dir zu spielen. Ich hätte dich vielleicht einmal liebgewinnen können; aber das war, ehe das Bier und ich uns kennenlernten. Ich würde dich auf der Stelle für zwanzig Pfund bar verkaufen, wenn ich soviel für dich kriegen könnte, darauf kannst du Gift nehmen. Aber, was wollte ich dir noch sagen, als du mich so unerzogen mit deinen fidelen Manieren unterbrachst –« Er brach ab, um die aufgezogene Flasche, die Kwaque ihm reichte, an den Mund zu setzen. Er seufzte, wischte sich den Mund mit dem Handrücken und fuhr fort: »Es ist komisch mit dem dummen Bier, mein Sohn. Du kannst mir glauben, Herr Hund, ich beneide dich, wie du so dasitzt mit einem guten Magen, der nie einen Schluck Alkohol gesehen hat. Du bist kein Sklave des Bierteufels, du bist doch ein freierer Mann als ich, Herr Hund, obwohl ich deinen Namen nicht kenne. Ja, sag' mal, es ist wahr, wir wollten ja –«

Er leerte die Flasche, schleuderte sie Kwaque zu und machte ihm ein Zeichen, die letzte zu öffnen.

»Einen Namen für dich zu finden, ist nicht leicht, mein Sohn. Ein irischer muß es natürlich sein, aber was für einer? Paddy? Ja, du magst den Kopf schütteln. Der ist weder geschmackvoll noch vornehm. Wer würde dich mit einem Steinträger verwechseln? Ballymena könnte gehen, aber das klingt zu sehr nach einer Dame, mein Junge. Und ein Junge bist du ja. Warte mal: wie wäre es mit Banshee Boy? Ausgeschlossen. Knabe von Erin!«

Er nickte beifällig und streckte die Hand nach der zweiten Flasche aus. Er trank, überlegte, trank wieder.

»Jetzt hab' ich's«, meldete er feierlich. »Killeny-Boy ist ein hübscher Name. Du sollst Killeny-Boy heißen. Wie gefällt das Euer Hochwohlgeboren? – Prachtvoll, würdevoll wie ein Graf. Oder ... wie ein früherer Brauer. Manchem von der Sorte habe ich dazu verholfen, daß er sich vom Geschäft zurückziehen konnte.«

Er leerte die Flasche, packte plötzlich Michaels Schnauze, lehnte sich vor und rieb seine Nase an der des Hundes. Michael starrte, plötzlich losgelassen, mit leuchtenden Augen dem Gott ins Gesicht und wedelte mit der Rute. In den Augen des Hundes leuchtete eine entschlossene Seele, ein Wesen, ein Gemüt, das bereits zärtliche Ergebenheit für diesen grauhaarigen Gott hegte, der zu ihm, er wußte nicht wovon, sprach, dessen Rede allein aber seiner Seele herrliche, wenn auch unfaßbare Dinge verkündete.

»He, Kwaque!«

Kwaque, der auf dem Boden hockte, hielt in seiner Beschäftigung, einen von seinem Herrn gezeichneten und geschnitzten Schildpattkamm zu polieren, inne und blickte diensteifrig auf.

»Kwaque, du fella diesmal nicht savvee, Name bleiben dies Hund.