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Milas Reise geht weiter. Etappe 3 aus: "Handbuch zur Rettung der Welt""Ein neuer Aufbruch".Mila und Josh erfahren eine schmerzhafte Trennung. Der Winter naht, sie brauchen eine sichere Unterkunft. Schließlich treffen sie eine schwere Entscheidung.E-Book-Serie über ein großes Abenteuer, verzweifelte Hoffnung, grenzenlose Zuversicht und aufrichtige Freundschaft. (Illustrierte Ausgaben mit 37 Abbildungen)
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Mein besonderer Dank geht an Birgit D. für ihre wertvolle Unterstützung und ihre Zuversicht.
(aus der Trilogie "Handbuch zur Rettung der Welt")
Anthropozän 2050
Winter
Mila und Josh hatten die Begehung der Hütte abgeschlossen und traten aus ihr heraus. Sie waren so sehr damit beschäftigt, die notwendigen Arbeiten zur Reparatur ihres Winterquartiers zu besprechen, dass sie Antons Stimmungswandel nicht bemerkten.
Ausgelassen erkundeten sie die nähere Umgebung.
Unter ihnen im tief eingeschnittenen Tal rauschte ein Bach. Wasser war also da.
Josh schätzte die Höhe über dem Meeresspiegel anhand der vorhandenen Vegetation auf rund 1000 Meter. Vielleicht auch 1500. Aber nicht mehr.
Das bedeutete, sie würden auf ausreichend jagdbares Wild treffen, wenn es am Bach zur Tränke kam.
Unterhalb des Douglasien-Hains standen Laubbäume und Fichten. Mischwald. Also durfte man Früchte und Pilze erwarten. Im Frühjahr und im Sommer dann Beeren.
Vielleicht lebten in dem Bach sogar Fische, die man an seichten Stellen speeren konnte.
Brennholz gab es mehr als genug. Es musste nur eingesammelt werden.
Josh hatte auch schon eine Idee, wie er ein Tragegestell zusammenbinden würde, um mehr davon auf dem Rücken zur Hütte zu tragen. Ein solches Gestell könnte auch dazu dienen, größeres erlegtes Wild zu transportieren.
„Lasst uns die Rucksäcke holen und sofort beginnen“, rief er und stapfte voraus.
„Ich muss euch etwas sagen“, rief Anton ihm hinterher.
Josh stoppte abrupt und drehte sich um. Mila schob ihre Hände tief in ihre Hosentaschen, schaute Anton mit einer unheilvollen Vorahnung an und fürchtete sich plötzlich vor dem, was sie als Nächstes hören würde.
„Ich werde umkehren und die Männer suchen, die meine Familie zerstört haben.“
Josh ging langsam einige Schritte auf ihn zu.
„Und dann?“
„Bringe ich sie um und befreie meine Mutter und meine Schwester.“
„Aber du weißt doch gar nicht, ob sie noch leben?“
„Schon deshalb brauche ich Gewissheit.“
Anton hatte sich entschlossen. Ein schneller scheuer Blick zu Mila verriet, dass er sehr wohl wusste, wie schwer ihr der Abschied fallen würde. Deswegen wollte er ihn so kurz wie möglich halten.
„Tut mir Leid“, sagte er knapp, wandte sich um und ging fort.
„Ja, geh nur!“, rief Mila ihm aufgebracht hinterher. „Du bist ohnehin zu nichts zu gebrauchen. Ein richtiger Tölpel bist du. Sie werden dich töten. Du wirst sehen.“
Die letzten Worte gingen in ein Kreischen über, weil Anton nicht stehen blieb, sondern im Gestrüpp verschwand, anscheinend ohne auf Milas wütende Rufe zu reagieren.
Doch dann antwortete er, während er sich seinen Rucksack auf den Rücken warf und nach dem Bogen griff: “Ich komme wieder. Ich weiß ja, wo ich euch finde. Ich bringe meine Mutter und meine Schwester mit, und dann suchen wir gemeinsam nach dem Tal.“
In Mila tobten mächtige Gefühle, die sie noch nicht kannte. Sie wollte so vieles sagen und hätte Anton am liebsten geschüttelt, bis er wieder zur Vernunft gekommen wäre. Stattdessen aber stand sie nur wie festgewachsen da und versuchte, zu begreifen und Ordnung in ihr brennendes Inneres zu bringen. Ihr Kopf glühte, doch ihr Körper fror. Verzweifelt suchte sie nach einer Lösung, nach irgendetwas Überzeugendem, was sie Anton hätte nachrufen können und ihn zur Umkehr bewegen würde. Doch ihr fiel nichts ein.
Josh erkannte Milas Verzweiflung und es überraschte ihn. Ohne dass er es bemerkt hatte, hatte Mila bereits Gefühle für diesen dürren Jungen entwickelt. Langsam trat er an sie heran und überlegte, wie er sie am besten trösten könnte. Mila kam ihm zuvor. Mit Tränen in den Augen lehnte sie sich plötzlich an ihn. Josh legte seinen Arm um ihre Schultern und sie ließ es geschehen.
„Sie werden ihn umbringen“, schniefte sie leise.
Josh sagte nichts. Er fürchtete, dass Mila recht behalten würde. Aber was sollte er dagegen tun? Anton hatte sich entschlossen, und es schien, als hätte er es sich gut und lange überlegt. Hätte er ihm sagen sollen, dass es unwahrscheinlich war, dass Antons Mutter und seine Schwester noch lebten und es noch unwahrscheinlicher war, dass Anton die Gruppe Männer überhaupt wiederfand? In Anton brannte der Durst nach Rache, und er war erfüllt von der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den Resten seiner Familie.
Josh drückte Mila ein letztes Mal an sich.
„Lass uns Moos suchen. Wir müssen die Hütte damit abdichten. Vielleicht gibt es Fische im Bach. Gehen wir nachsehen.“
Sie holten ihre Rucksäcke und stellten sie in der Hütte ab. Damit waren sie offiziell eingezogen und hatten ihr Winterquartier in Besitz genommen.
Auf der Suche nach Moosen und Farnen, mit denen sie die Ritzen der Wände ausstopfen konnten, achteten sie auf Spuren und Hinweise auf die Anwesenheit anderer Menschen.
Doch die Gegend schien vor langer Zeit verlassen worden zu sein. Nichts deutete darauf hin, dass sie nicht allein sein könnten.
Mila fand den Kadaver eines jungen Hirschbullen. Den Bissspuren an den Knochen nach zu urteilen, war er die Beute eines Wolfes geworden. Vielleicht auch eines ganzen Rudels. Sie nahm den Schädel mit dem Geweih mit.
Der Bach stürzte sich wild ins Tal. Es gab nur eine einzige ruhige Stelle. Trittspuren bewiesen, dass sie von den Tieren des Waldes als Tränke genutzt wurde. Ein Ansitz an dieser Stelle würde sich sicher lohnen.
Fische gab es auch. Mila durchbohrte mit einem abgeschossenen Pfeil eine große, alte Forelle.
Josh sägte vier Astgabeln aus einer umgestürzten Birke, um daraus später Tragegestelle zu bauen. Von den Ästen einer Weide am Ufer schälte er lange dünne Rindenstreifen zum Binden.
Sie arbeiteten in den folgenden Tagen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Mila streifte umher und beschaffte Brennholz und Material zum Ausbau der Hütte. Josh flickte mit der Plane das Dach und ließ sie über der Tür überhängen. Nachdem er sie an zwei in den Boden gerammten Stämmen befestigt hatte, baute er sogar eine einfache Veranda darunter.
Der Ofen war der größte Schatz. Er funktionierte tadellos, und oben auf seiner Platte dampfte schon ein Kessel mit Wasser.
Die Reparatur des Bettes misslang. Die vorhandenen Teile waren morsch und nicht mehr verwendbar. Josh verbrannte sie im Ofen.
Stattdessen legten sie Reisig aus und darauf feine Zweige von Nadelbäumen. Dann folgten mehrere Schichten Farn, Gras und Moos. Alles, was weich war, fand Verwendung. Zum Schluss deckten sie ihr neues Lager mit ihren Decken ab und legten ihre Schlafsäcke darauf.
„So weich gebettet lag ich seit Monaten nicht mehr“, rief Josh vergnügt und streckte sich zur Probe in seinem Bett aus.
Mila öffnete die Klappe des Ofens und legte Holz nach.
„Ich vermisse Anton“, sagte sie leise, und der Feuerschein spiegelte sich in einer einzelnen Träne, die ihr über die Wange lief.
„Ich weiß“, antworte Josh und verzichtete darauf, nach tröstenden Worten zu suchen. Die Zeit musste Milas Wunde heilen, nicht das Wort.
Wie Mila es vorausgesagt hatte, schlug schon bald das Wetter um. Es regnete beinahe jeden Tag. In den wenigen trockenen Stunden streifte sie durch die Wälder und saß an.
Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, weg vom Wild, hin zu Anton. Lebte er noch? Wo befand er sich jetzt? Hatte er die Männer, die er suchte, gefunden? Hatte er seine Mutter und seine Schwester retten können? Waren sie schon auf dem Weg zurück? Oder war er längst tot?
Plötzlich stand eine Ricke kaum fünf Meter von ihr entfernt und schaute sie an.
Mila wagte es kaum, zu atmen.
Würde sie sich jetzt bewegen, sprang das Tier sofort davon. Sie musste warten, bis sich die Ricke abwendete. Dann erst konnte sie ihren Bogen aufnehmen und einen Pfeil anlegen.
Das Reh schien unschlüssig. Äsen oder weglaufen? Drohte von der unter einem Baum kauernden Gestalt Gefahr oder nicht?
Die Minuten verrannen. Das Schicksal entschied.
Für einen Moment wandte sich das Tier ab. Mit einer einzigen Bewegung griff Mila nach ihrem Bogen, legte einen Pfeil an die Sehne, spannte und stand auf.
Die Ricke hatte die Bewegung im Augenwinkel bemerkt. Doch bevor der Fluchtreflex sie davonspringen ließ, bohrte sich Milas Pfeil in ihre Flanke. Ihr Sprung endete, bevor er begonnen hatte. Dumpf fiel das Tier zu Boden und blieb zuckend liegen. Mila legte ihren Bogen nieder, zog ihr Messer aus der Scheide und ging auf die sterbende Ricke zu.
Dampfend lagen die Eingeweide im Laub. Es roch nach warmem Blut. Es tropfte von Milas Tragegestell herab, während sie mit ihrer Beute auf dem Rücken zurück zur Hütte stapfte.
Sie dachte wieder an Anton. Es begann zu schneien.
Seit die Arbeiten an der Hütte abgeschlossen waren, hatte Josh sich auf seine Suche nach Nüssen, Pilzen, Beeren und Kräutern konzentriert.
Beeren gab es nicht mehr viele. Was er fand, aßen sie meist am gleichen Tag. Pilze ließen sich auf dem reparierten Tisch sehr gut trocknen. Josh hatte ihn an den Ofen herangeschoben. Die wenigen Kräuter, die er fand, aßen sie entweder gleich, oder er trocknete sie, um später daraus Tee zu brühen.
Er fand viele Bucheckern und Haselnüsse. Kastanien fand er keine. Am Bach entdeckte er Minze.
Mila zerteilte auf der Veranda das erlegte Reh, als er mit einem dicken Büschel davon zurück zur Hütte kam. Sie hatte die Ricke an den Hinterläufen aufgehangen und löste soeben das Fell vom Fleisch.
Sie blickte nur kurz auf und arbeitete weiter.
Josh hatte sich in den letzten Wochen sichtlich erholt. Seine Wangen glühten rosig nach dem Aufstieg vom Bachlauf zur Hütte.
Ihre Entscheidung, vorerst nicht weiter nach dem Tal zu suchen, sondern in der Hütte zu bleiben und die Vorbereitungen für den Winter zu treffen, war also richtig.
Schwer atmend blieb er vor der Veranda stehen. Schneeflocken landeten auf seinem grauen Haar und den Schultern. In den letzten Stunden war aus den vereinzelten Schauern ein Schneetreiben geworden. Die Flocken wurden größer. Die Temperatur sank. Von nun an würde eine geschlossene Decke Schnee die Landschaft bedecken.
Krähen krächzten in der Nähe irgendwo in den Wipfeln der Bäume.
Es schien, als zöge sich die kleine Hütte etwas weiter unter die tief hängenden Äste der mächtigen Douglasien zurück.
Am nächsten Morgen entdeckten sie die Spuren eines streunenden Wolfes im Schnee. Er hatte das herabgetropfte Blut von den Stämmen des Verandabodens geleckt. An das Fleisch an einem Ast hoch oben im Baum, kam er nicht dran. Mila hatte das abgezogene Reh an einem Seil hinauf in eine der Douglasien gezogen. Unerreichbar für Füchse und Wölfe. Lediglich ein paar Schnabelhiebe von Krähen oder Greifvögeln konnte man daran feststellen. Aber als die Temperaturen weiter sanken, gefror das Fleisch und die Vögel ließen davon ab. Das war einer der Vorteile des Winters. Lebensmittel verdarben nicht und blieben wochenlang haltbar. Mila und Josh konnten Vorräte anlegen.
Dann kam die Zeit der Winterstürme. Blizzards zogen über das Land und hätten Joshs Plane mit Sicherheit davon gerissen, mit der er das Dach abgedichtet hatte. Aber unter den Douglasien stand die Hütte geschützt vor dem Wind. Die Plane flatterte in vereinzelten Böen, drohte aber nicht, zu zerreißen.
Jagen und nach Früchten oder Nüssen zu suchen, war jetzt nicht möglich. Der Schnee lag mehr als zwei Meter hoch. Nur unter den Bäumen war er weniger tief.
Sie gingen auch nicht mehr zum Bach. Den ganzen Tag dampfte der Kessel auf dem Ofen und sie schmolzen darin Schnee.
Beruhigt schätzte Josh den zusammengetragenen Brennholzvorrat. Ob er bis zum Ende des Winters reichen würde, konnte er nicht sagen, aber darüber wollte er erst nachdenken, wenn es so weit war.
Stampfend trampelte er sich auf der Veranda den Schnee von den Stiefeln und stieß kurz darauf die Tür auf.
Mila saß vor dem Ofen und las im Feuerschein der offenstehenden Klappe in ihrem Buch.
Wer auch immer diesen Ofen einst den Berg hinauf geschleppt hatte, Josh war ihm zu ewigem Dank verpflichtet. Sogar 40 Zentimeter lange Scheite passten hinein und das erleichterte das Heizen der Hütte ungemein. Jeden Abend wärmte er daran seine alten Knochen.
Josh ließ die Holzscheite in einer Ecke polternd zu Boden fallen.
„Müsste für heute Nacht reichen“, schätzte er und rieb sich die Hände aneinander.
Mila schaute kurz auf und las weiter.
„Hmm“, brummte sie abwesend. Der gelesene Text beschäftigte sie offenbar sehr.
Josh trat neugierig hinter sie und las den Titel des aufgeschlagenen Kapitels.
„Kapitalismus und Globalisierung“.
Es war warm in der Hütte. Der tiefe Schnee isolierte die klirrende Winterkälte und verhinderte, dass der Wind die eisige Luft durch die letzten verbliebenen Ritzen in den Wänden drücken konnte. Die aufgetürmten Wehen reichten beinahe bis unter das Dach. Nur im Schutz der Veranda trotzten blanke Bretter dem Wintersturm, der fortwährend Flocken gegen das morsche Holz warf, die dann daran kleben blieben und zu einer immer dicker werdenden Eisschicht erstarrten. Hin und wieder rieselten kleine Eisnadeln knisternd gegen das zugefrorene Fensterglas und erinnerte daran, welch ein Segen diese Baracke war.
Josh zog seine Jacke aus und hängte sie an ein Hirschgeweih, welches Mila zu diesem Zweck zwischen die Bretter der Wand geklemmt hatte. Einen ganzen Vormittag hatte sie sich damit beschäftigt und zudem Astgabeln für den gleichen Zweck an jeder geeigneten Stelle in der Hütte angebracht.
Wieder rieb er seine Hände aneinander und verspürte ein wohliges Gefühl der Gemütlichkeit in dem einfachen Unterschlupf, der sie vor dem Tod draußen in der Winterlandschaft bewahrte. Sie froren nicht, hatten ausreichend zu essen und sauberes Wasser. Das stellte in diesen Zeiten einen außergewöhnlichen Luxus dar.
Mila rieb sich die Augen, gähnte und schlug das Buch zu.
Nur der Schein des Feuers im Ofen erhellte das Innere der Hütte und warf zuckenden Schatten an die Wände und in die bleichen Gesichter der beiden Menschen, die in dieser Einsamkeit das Glück hatten, ein Dach über dem Kopf zu haben. Für einen kurzen Moment dachte sie an Anton.
‚Würde er den Weg zurückfinden? Lebte er überhaupt noch?‘
Josh legte sich auf sein Bett, faltete die Hände hinter dem Kopf und schaute an die Decke.
Mila blieb vor dem Ofen sitzen und starrte in die Glut.
„Eigentlich ist es doch gut, wenn Menschen zusammenarbeiten“, sagte sie plötzlich.