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DREIßIG NÄCHTE UND EIN LEBEN Dreißig Tage muss Nathan gemäß dem Testament seines besten Freundes in dessen Haus in Hunter's Landing wohnen. Nur dann erhält der Ort eine großzügige Spende. Beschauliches Leben auf dem Land - ein Albtraum für den weit gereisten Hotelier. Trotzdem will Nathan den letzten Wunsch seines Freundes erfüllen. Helfen will ihm dabei die bezaubernde Keira Sanders. Mit viel Charme und einer Prise Erotik bemüht sich die engagierte Bürgermeisterin, ihn bei Laune - und vor allem im Dorf zu halten. Und immer drängender stellt sich Nathan die Frage: Geht es Keira nur ums Geld? VERBOTENE MOMENTE DES GLÜCKS Was für ein Kuss! Erotik pur - Lauren kann kaum glauben, dass Matt sich derart verändert hat. Eigentlich wollte sie die Verlobung mit ihm lösen, und jetzt ... Vor ihr liegen verheißungsvolle Nächte und glückliche Tage in der einsam gelegenen Blockhütte am Lake Tahoe. Bei langen Spaziergängen durch die idyllische Natur lernt Lauren ihren Verlobten neu kennen. Sie sind sich so nah wie nie zuvor, und in den Nächten schwören sie einander ewige Treue. Lauren schwebt auf rosa Wolken - die sich plötzlich tiefschwarz färben, als sie hinter Matts Geheimnis kommt ... SCHICKSALSNACHT IN ATLANTIC CITY Devlin küsste zart ihre Fingerspitzen. Sie schmeckte … genau so gut, wie er es sich ausgemalt hatte. Und wie süß sie duftete - alles an der schönen jungen Frau erregte ihn. Sein Begehren wuchs mit jeder Sekunde. Als Nicole lustvoll in seinen Armen erschauerte, gab es kein Halten mehr. Was für eine traumhafte Nacht! Doch am nächsten Morgen muss Devlin aus Atlantic City abreisen. Eine Wiederholung war nicht geplant - umso größer ist seine Überraschung, als er Nicole vier Monate später unerwartet am Lake Tahoe wiedersieht: Sie ist schwanger! TRAUMFRAU OHNE NAMEN? Es knistert auf den ersten Blick! Ryan ist von der jungen Frau fasziniert. Er will sie küssen, ihre Haut unter seinen Händen spüren. Dann will er sie in einer leidenschaftlichen Nacht verführen. Und am nächsten Morgen wird er ihr seine Welt zu Füßen legen … Da reißt ihn die Realität unsanft aus den Tagträumen. Zuerst muss er diese hinreißende Schönheit überhaupt kennenlernen, die in seinem Heimatort einen kleinen Laden betreibt. Erfolgsgewohnt fragt der attraktive Millionär nach ihrem Namen. Und mit zwei kleinen Wörtern - Kelly Hartley - zerstört sie seine kühnen Wünsche … KÜSS MICH, JETZT UND IMMER! Völlig überraschend hat seine Assistentin gekündigt. Ein Schock für den millionenschweren Unternehmer Matthew Barton! Denn mit einem Mal merkt er: Ohne Kendra geht es nicht. Und während er versucht, sie für seine Firma zurückzugewinnen, lernt er Kendra von einer neuen Seite kennen. Keine Spur mehr von der eifrigen, respektvollen Angestellten. Matt sieht sich einer sexy Kendra gegenüber, die weiß, was sie will - und ihn zu erotischen Fantasien inspiriert. Beim gemeinsamen Dinner macht er ihr deshalb ein besonderes Angebot, das sie eigentlich nicht ablehnen kann … DU KÜSST SO TEUFLISCH GUT Jack Howington verschlägt es beinah die Sprache! Als er am Lake Tahoe eintrifft, steht plötzlich Meri vor ihm. Als Teenager war sie in ihn verliebt gewesen, Jack hatte es jedoch nie zu mehr als platonischen Umarmungen kommen lassen. Und heute kann er sich dem erotischen Knistern zwischen ihnen kaum entziehen! Immer wieder berührt Meri ihn wie zufällig, streift ihn scheinbar unbeabsichtigt und wirft ihm eindeutige Blicke zu. Aus der kleinen Schwester seines besten Freundes ist eine hinreißende junge Frau geworden, die zweifellos etwas im Schilde führt …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1318
Maureen Child, Christie Ridgway, Susan Crosby, Anna Depalo, Elizabeth Bevarly, Susan Mallery
Millionäre des Monats (6-Teilige Serie)
Maureen Child
Dreißig Nächte und ein Leben
IMPRESSUM
BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
© 2007 by Maureen Child Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1499 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Kai Lautner
Fotos: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format im 03/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86349-900-6
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
„Hunter“, murmelte Nathan Barrister nun, als er seinen Blick über das gigantische Landhaus am Lake Tahoe wandern ließ. „Wenn du jetzt hier wärst, dann würde ich dich umbringen.“
Aber natürlich war Hunter Palmer nicht hier, und Nathan konnte seinen besten Freund nicht umbringen, da er bereits tot war.
Er spürte die Kälte, die jedes Mal in ihm aufstieg, wenn er daran dachte, dass er Hunter für immer verloren hatte. Doch er war geübt darin, diese Gefühle zu verdrängen. Nostalgie war reine Zeitverschwendung.
„Und der nächste Monat ist ebenfalls für die Katz“, konstatierte Nathan, stieg aus dem Mietwagen und landete mit beiden Füßen im Schneematsch.
Angewidert kickte er den schmutzigen Schnee von seinen auf Hochglanz polierten Schuhen. Ich hätte auf die Sachbearbeiterin der Leihwagenfirma hören sollen, dachte er. Sie hatte ihm geraten, einen Geländewagen zu mieten. Stattdessen hatte er auf einem sportlichen Flitzer bestanden.
Aber wer kam schon auf die Idee, dass es im März noch Schnee gab?
Er lächelte grimmig. Ich hätte auf diese Idee kommen sollen, schimpfte er stumm. Er war im Osten der USA aufgewachsen und hätte daran denken sollen, dass es hier jederzeit und überall schneien konnte, besonders so hoch oben in den Bergen. Allerdings hatte er sein ganzes Leben damit verbracht, seine Vergangenheit zu vergessen. Daher überraschte es ihnkaum, dass ihm selbst die Wetterverhältnisse fremd geworden waren.
Die Luft war kühl und sauber, und der Himmel war so blau, dass es den Augen fast wehtat. Ein scharfer Wind fegte durch die großen Bergkiefern. Die Äste knarrten, und ab und zu wurde Schnee hinuntergeweht.
Nathan fröstelte und zog den Kragen seiner braunen Lederjacke höher. Er hatte nicht das geringste Interesse daran, an diesem Ort zu sein, schon gar nicht für einen ganzen Monat. Er blieb grundsätzlich nirgendwo länger als ein paar Tage. Außerdem erinnerte ihn Hunters Haus an Dinge, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte.
Zögernd ging er zum Haus hinüber und ließ sein Gepäck vorerst im Auto. In der Stille hier oben war das Knirschen seiner Schritte das einzige Geräusch. Es war, als hielte die Welt den Atem an … Großartig, Nathan, dachte er entnervt. Eine Viertelstunde in dieser Umgebung genügt, und du wirst poetisch!
Er wünschte, er wäre nicht hier. Er wünschte, er wäre immer noch auf Tahiti, um in seinem Luxushotel nach dem Rechten zu sehen. Es gab immer etwas zu tun. Streitigkeiten schlichten, Verbesserungen planen, Ausschau nach Expansionsmöglichkeiten halten. Nächsten Monat würde er auf Barbados sein, danach in Jamaika. Nathan war immer unterwegs, hielt nie inne, gab sich nie die Chance, zur Ruhe zu kommen, sich niederzulassen. Ein paar Tage am selben Ort – dann trieb es ihn weiter.
Und jetzt?
Wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte, aus der Sache herauszukommen – Nathan hätte sie genutzt. Er hatte alles versucht, um eine undichte Stelle im Testament seines Freundes zu finden. Doch die Familienanwälte der Barristers hatten ihm mitgeteilt, dass die Verfügung seines Freundes absolut wasserdicht war. Hunter Palmer hatte sichergestellt, dass seine Freunde keine andere Wahl hatten, als sich seinem letzten Willen zu beugen.
„Das macht dir richtig Spaß, nicht wahr?“, flüsterte Nathan und dachte an seinen verstorbenen Freund. Der Wind fuhr in die Äste der Nadelbäume und ließ sie rascheln. In Nathans Ohren hörte es sich an wie höhnisches Gelächter.
„Na gut. Ich bin hier. Und ich versuche, einen Monat lang zu bleiben“, murmelte er. Sobald er Hunters letzten Wunsch erfüllt hatte, würde sein alter Freund hoffentlich aufhören, ihm Albträume zu verursachen.
An der Eingangstür aus massivem Holz steckte ein großer weißer Umschlag, auf dem in krakeliger Handschrift sein Name stand. Nathan stieg die wenigen Stufen hoch, nahm den Umschlag und riss ihn auf. Darin befanden sich die Hausschlüssel, die an einer verschnörkelten Kette hingen, sowie ein Blatt Papier.
Hallo, ich bin Meri, Ihre Haushälterin. Ich habe immer sehr viel zu tun, deshalb bin ich leider nicht hier, um Sie zu begrüßen. Wahrscheinlich werden wir uns während Ihres Aufenthaltes nur selten sehen. In der Küche finden Sie frische Vorräte. Das Städtchen Hunter’s Landing erreichen Sie in zwanzig Minuten mit dem Auto, falls Sie noch etwas brauchen sollten. Ich hoffe, dass Sie und die anderen, die noch kommen werden, Ihren Aufenthalt hier genießen werden.
Nathan zerknüllte den Zettel in der rechten Hand und ballte sie zur Faust.
Die anderen.
Er dachte an das letzte Jahr in Harvard und an die Sieben Samurai. So hatten sich die Freunde und er genannt. Kindisch, doch damals schien es ihnen nicht so. Sie hatten vier harte Studienjahre hinter sich und waren unzertrennlich. Ihre Zukunft schien ihnen wie der gerade Weg zum Erfolg. Bei der äußerst feuchtfröhlichen Abschlussfeier schworen sich die Samurai, zusammen ein Haus zu bauen und sich in zehn Jahren wiederzutreffen. Jeder von ihnen sollte einen Monat in dem Haus verbringen. Im siebten Monat wollten sie sich alle dort treffen und die erfolgreichen Karrieren feiern, die sie dann alle – davon gingen sie selbstverständlich aus – vorzuweisen haben würden.
Es war alles genau geplant. Und dann …
Nathan schüttelte den Kopf und verscheuchte die Erinnerungen. Schnell öffnete er die Haustür und blieb in der Eingangshalle stehen. Von dort fiel sein Blick auf einen riesigen holzgetäfelten Raum mit einem offenen Kamin, in dem bereits ein Feuer prasselte. Breite, bequem aussehende Polstermöbel luden zum Verweilen ein.
Na gut, dachte Nathan. Immerhin ist das Gefängnis angenehm möbliert. Die Haushälterin und die nahegelegene Stadt fielen ihm ein. Er konnte nur hoffen, dass die Leute ihn in Ruhe ließen. Es war schon schlimm genug, hier festzusitzen. Da brauchte er nicht auch noch die Gesellschaft von fremden Menschen.
Er hatte nicht vor, hier Freundschaften zu schließen. Alles, um was es ging, war, einem verstorbenen Freund die letzte Ehre zu erweisen.
Eine Stunde später parkte Keira Sanders ihren Truck vor Hunter’s Lodge, nahm den großen Korb vom Beifahrersitz, sprang aus dem Wagen und schlug die Fahrertür zu. Beinah wäre sie im Schneematsch ausgerutscht, doch sie fing sich im letzten Moment. Ein schmutziger Hosenboden bei der ersten Begegnung mit dem Gast der Lodge hätte ihr gerade noch gefehlt.
„Das würde einen super Eindruck machen“, murmelte sie, während sie das große Landhaus näher betrachtete.
In der hereinbrechenden Nacht leuchtete es wie ein Juwel. Im ganzen Haus brannte Licht und warf einen goldenen Schimmer auf den Schnee. Aus dem Schornstein stieg Rauch, der sich im eisigen Wind verflüchtigte. Das tiefe Dach war schneebedeckt wie auch die Kiefern und Espen, die das Haus umstanden. Es war lange Winter hier oben in den Bergen, aber Keira hätte es gar nicht anders haben wollen.
Die Kälte und die vom Schnee gedämpften Geräusche hatten für sie immer etwas Magisches. Am liebsten hätte sie sich jetzt in ihrer gemütlichen Wohnung in Hunter’s Landing aufs Sofa gekuschelt, mit einem Buch und einem Glas Wein.
Stattdessen war sie hier, um den ersten jener sechs Männer zu begrüßen, die jeweils einen Monat in dem Haus am See verbringen würden. Keira kämpfte gegen ihre Nervosität an. Das, was heute hier begann und in den nächsten Monaten fortgeführt würde, war zu wichtig. Für das Städtchen Hunter’s Landing, aber ebenso für sie selbst.
Vor zwei Wochen hatte sie ein förmliches Schreiben erhalten. Es kam vom Anwalt eines Mannes, der Hunter Palmer hieß. In dem Brief erläuterte der Anwalt die ungewöhnlichen Klauseln des Vermächtnisses.
In den kommenden sechs Monaten würden sechs verschiedene Männer nach Hunter’s Landing kommen, um jeweils dreißig Tage in Hunter’s Lodge zu verbringen. Falls jeder dieser Männer einen ganzen Monat blieb, erhielt die Stadt zwanzig Millionen Dollar, das sie für wohltätige Zwecke verwenden konnte. Das Landhaus selbst sollte danach Krebspatienten zur Erholung dienen.
Keira atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sie war Bürgermeisterin von Hunter’s Landing. Es war ihre Aufgabe, die sechs Gäste dazu zu bringen, die Klausel in Hunter Palmers Testament zu erfüllen. Sie konnte es sich nicht leisten, eine solch gewaltige Spende zu verlieren. Das Geld würde es ihr ermöglichen, das Krankenhaus zu erweitern, das Gefängnis zu modernisieren, die städtische Verwaltung besser auszustatten und, und, und …
Sie lächelte, als sie merkte, wie ihre Gedanken sich überschlugen. Keira packte den Henkel des Korbes fester und vergewisserte sich, dass der Deckel geschlossen war. Dann strich sie den Kragen ihrer Jacke glatt, straffte die Schultern, setzte ein Willkommenslächeln auf und bereitete sich darauf vor, den ersten Gast in Hunter’s Lodge kennenzulernen.
Es fiel ihr leicht, auf Menschen zuzugehen. Und sie war entschlossen, jede Chance zu nutzen, um ihrer Stadt das Geld zu sichern. Sie würde dafür sorgen, dass alle sechs Männer dreißig Tage in dem Landhaus verbrachten. Dazu musste sie den Gästen klarmachen, wie wichtig die Sache für Hunter’s Landing war.
Entschlossen marschierte sie los, Richtung Eingangstür. Ihre Schritte knirschten im Schnee, und als sie auf eine vereiste Stelle trat, die unter dem Schnee verborgen gewesen war, schlidderte sie trotz der festen Schuhsohlen und drohte, die Balance zu verlieren. „Oh nein.“
Entsetzt umklammerte sie den Korb und ruderte wild mit dem anderen Arm. Doch ihre Füße fanden keinen Halt. Keira wusste, dass sie kurz davor war, sowohl die Balance als auch ihre Würde zu verlieren.
„Au!“, rief sie, als sie zu Boden ging. Sie ließ den Korb los und hoffte, dass der Deckel fest genug geschlossen war, damit der Inhalt blieb, wo er war. Entnervt seufzte sie. „Großartiger Auftritt, Keira.“
Die Haustür wurde mit einem Ruck geöffnet. Licht fiel nach draußen. Keira blinzelte und sah die Silhouette eines Mannes im Türrahmen.
Verflixt, dachte sie. So wollte ich Nathan Barrister nicht begrüßen.
„Wer sind Sie?“, fragte er, machte dabei aber keine Anstalten, die Treppe herunterzukommen und ihr zu helfen.
„Mir geht es gut, danke der Nachfrage.“ Sie spürte, wie der eiskalte Schneematsch ihre Hose durchnässte. Toller Eindruck, den ich mache, grollte sie im Stillen. Vielleicht sollte ich zurück zum Auto kriechen und noch mal von vorn anfangen?
„Falls Sie Schadenersatz fordern wollen, sollten Sie wissen, dass ich nicht der Besitzer des Anwesens bin“, sagte Nathan.
„Wow.“ Keira vergaß für einen Moment, dass dieser Mann nebst fünf weiteren entscheidend für die Zukunft ihrer Stadt war. Stattdessen saß sie nur da und starrte ihn an wie ein seltenes Tier. „Sie sind wirklich ein Idiot.“
„Wie bitte?“
„Habe ich das laut gesagt?“
„Ja.“
„Tut mir leid.“ Das stimmte sogar. Mehr oder weniger. Nichts lief wie geplant.
„Haben Sie sich verletzt?“
„Verletzt ist nur mein Stolz“, gab sie zu, obwohl ihr Po wehtat und das schmelzende Eis sein Übriges tat, um die Lage zu verschlimmern. Trotzdem nahm Keira sich vor, das Beste daraus zu machen. Sie wedelte mit der Hand in Nathans Richtung. „Könnten Sie mir bitte helfen?“
Er murmelte etwas Unverständliches. Sie nahm an, dass es nichts Freundliches war. Aber dann kam er immerhin zu ihr, ergriff ihre Hand und zog Keira mühelos hoch, sodass sie wieder auf die Füße kam.
Seine Finger fühlten sich warm an. Warm, kräftig … und irgendwie gut. Es war ein unerwartetes Gefühl. Nathan ließ ihre Hand los, als habe er sich verbrannt, und sie fragte sich, ob er ebenfalls dieses Prickeln gespürt hatte, als sich ihre Finger berührten.
Sie klopfte sich den Hosenboden ab, während sie zu dem Mann vor ihr aufsah. Seltsamerweise hatte sie einen älteren Mann erwartet. Aber er war nicht alt. Er war groß und schlank, breite Schultern, schmale Hüften und lange Beine. Zog sie die Mühelosigkeit in Betracht, mit der er ihr aufgeholfen hatte, dann war er außerdem kräftig. Nicht dass sie besonders schwer war. Aber sie war sicher nicht der magersüchtige Modeltyp, der zurzeit als schick galt.
Normalerweise hätte ihr ein Mann wie Nathan Barrister sofort Schmetterlinge im Bauch verursacht. Die Art jedoch, wie er sie grollend betrachtete, ließ Keira erst einmal Abstand halten. Er trug sein schwarzes Haar relativ lang und in einem modischen Schnitt. Aus kühlen blauen Augen sah er misstrauisch auf sie hinab. Ein Muskel zuckte an seinem markanten Kinn, und seine sinnlichen Lippen bildeten jetzt eine schmale Linie, die Keira verriet, wie unwillkommen sie hier war.
„Haben Sie schlechte Laune, oder liegt es an mir?“, fragte sie geradeheraus.
„Wer auch immer Sie sind“, erwiderte er mit einer tiefen, rauen Stimme, die ihr einen heißen Schauer über den Rücken sandte, „ich habe Sie nicht eingeladen. Ich habe kein Interesse daran, meine Nachbarn kennenzulernen.“
„Das trifft sich gut“, gab Keira zurück und lächelte zufrieden, als sie sah, dass er irritiert war. „Sie haben nämlich keine Nachbarn. Das nächste Haus am See ist ein paar Meilen weiter nördlich.“
Er runzelte die Stirn. „Und wer sind Sie dann?“
„Keira Sanders“, antwortete sie und streckte ihm die Hand hin. In dieser Position wartete Keira, bis er sich seiner guten Manieren erinnerte.
Wieder war da dieses angenehm prickelnde Gefühl, als sich ihre Hände berührten. Ob er es wohl auch empfand? Falls ja, schien er darüber nicht erfreut. Keira dagegen genoss den Moment. Es war schon verdammt lange her, seit sie einen Mann attraktiv gefunden hatte. Ihr Bedarf an Romantik war seit ihrer letzten gescheiterten Beziehung gedeckt.
Trotzdem war das, was sie gerade spürte, eine nette Abwechslung.
Sie ließ seine Hand nicht los und sah ihn lächelnd an. Er sah wirklich toll aus. Schade, dass er so grantig war. Aber sie hatte oft genug mit seltsamen Leuten zu tun. Und seine schlechten Manieren waren kein Grund, die Chance auf eine Millionenspende zu vertun.
„Ich bin Bürgermeisterin von Hunter’s Landing und hergekommen, um Sie zu begrüßen.“
„Das ist nicht notwendig“, sagte er und ließ ihre Hand los.
„Das Vergnügen ist ganz meinerseits“, erwiderte sie überaus höflich, bückte sich und hob den großen Korb auf. „Und“, fuhr sie fort, während sie mit festem Schritt zur Haustür ging, „ich habe Ihnen einen Geschenkkorb mitgebracht, sozusagen als Willkommensgruß der Stadtverwaltung.“
„Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen …“, wehrte er ab und eilte ihr nach.
„Aber gern doch“, sagte Keira, betrat das Haus und blieb in der Eingangshalle stehen. „Ich gebe zu, dass ich vor Neugier auf das Haus fast geplatzt bin. Ich bin gespannt, wie es innen aussieht.“
Es dauerte einen Moment, doch schließlich hörte sie, wie Nathan ebenfalls eintrat und entnervt seufzend die Tür hinter sich schloss. Er war offenbar nicht nur ein bisschen, sondern außerordentlich grantig.
Na schön, dachte sie. Soll er doch. Ich werde ihn schon auftauen.
Schließlich musste sie dafür sorgen, dass er und die anderen fünf, die in den nächsten Monaten hier wohnen würden, sich an die Testamentsklausel hielten. Nur so konnte die Stadt profitieren.
„Ms. Sanders …“
„Nennen Sie mich Keira“, forderte sie ihn mit einem Lächeln auf.
„Gut.“ Er schob beide Hände in die Hosentaschen und musterte Keira ungeduldig.
Offenbar wollte er tatsächlich keinen Besuch.
„Keine Sorge“, sagte sie und betrat das große Wohnzimmer. „Ich bleibe nicht lang. Ich wollte Sie nur begrüßen und Ihnen mitteilen, dass Sie nicht mutterseelenallein hier sind.“
„Ich bevorzuge das Alleinsein“, entgegnete er. Keira, die begonnen hatte, den riesigen, wandvertäfelten Raum mit dem steinernen Kamin zu erkunden, blieb stehen und wandte sich um. Nathan stand immer noch im Foyer.
„Warum nur?“, fragte sie mit einem leicht spöttischen Unterton.
Er wirkte von einem Moment zum anderen noch missmutiger, falls das überhaupt möglich war. Kein besonders geselliger Mensch, entschied Keira und zuckte die Achseln.
„Egal“, sagte sie, um nicht länger über sein abweisendes Verhalten nachdenken zu müssen, und stellte den Korb auf einen handgeschnitzten Wohnzimmertisch, der unter Garantie mehr gekostet hatte als ihre monatliche Miete. „Hier drin sind ein paar Sachen, die Ihnen den Aufenthalt bestimmt angenehmer machen werden.“
„Ich bin sicher, ich kann auch ohne den Inhalt leben.“
Sie ignorierte das und begann, in dem Korb zu kramen. Eins nach dem anderen kam zum Vorschein, von Keira jedes Mal kurz kommentiert. „Hier haben wir einen Gutschein für dreißig Mal kostenloses Frühstück im Diner. Sie wissen schon: Croissants, frischer Kaffee, Orangensaft oder auch deftig, wenn Sie das lieber mögen. Dann ein Glas selbst gemachte Marmelade von Margie Fontenot. Sie ist die Witwe des letzten Bürgermeisters und kocht die beste Marmelade im ganzen Land. Außerdem eine Flasche Wein aus Stans Liquor Shop, frisches Brot aus der Bäckerei, eine Packung frisch gemahlener Kaffee …“ Sie hielt inne und schnupperte mit einem Laut des Entzückens an der Kaffeepackung, ehe sie fortfuhr: „Hier ist ein Glas eingelegte Meeresfrüchte aus demClearwater Restaurant. Sie sollten dort mal essen gehen, solange Sie hier wohnen. Von der Terrasse aus haben Sie einen wundervollen Blick auf den See, und nirgendwo kriegen Sie einen schöneren Sonnenuntergang geboten …“
„Ms. Sanders …“
„Keira.“
„Keira, wenn es Ihnen nichts ausmacht …“
„Und“, redete sie einfach weiter, als hätte er nichts gesagt, „es gibt in diesem Korb noch weitere Kleinigkeiten, aber die sollen Sie selbst auspacken.“
„Danke“, sagte er knapp.
Sie sah zu ihm hinüber. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, um Ihnen den Aufenthalt hier interessanter zu machen?“
„Wie wär’s mit gehen?“, fragte er.
Keira schüttelte den Kopf, als sei sie sehr enttäuscht. Sie setzte ihre Erkundungstour durch den Raum fort, strich über den geschnitzten Kaminsims und genoss für einen Augenblick die Wärme, die das prasselnde Feuer verströmte. Sie schaute dabei aus dem Panoramafenster auf den See. Der Mond ging gerade auf und warf den ersten silbernen Schein auf das schwarze Wasser.
Himmel, ist dieser Nathan Barrister unhöflich, dachte sie und versuchte, ihr Temperament unter Kontrolle zu halten. Ihn zu beleidigen kam absolut nicht infrage. Seine Anwesenheit in diesem Haus war die Voraussetzung für die positive Entwicklung ihrer Stadt. Gleichzeitig fragte Keira sich, weshalb er sich so unmöglich benahm. Sie sah zu ihm hinüber und stellte fest, dass er immer noch in der Eingangshalle stand. Offenbar glaubte er, er könne sie dadurch zum Gehen bewegen.
Doch sie fragte sich noch etwas anderes. Weshalb zog dieser Mann sie körperlich so an, wenn seine Unhöflichkeit Grund genug gewesen wäre, ihn unsympathisch zu finden?
Und wie sollte sie es jemals schaffen, ihn für die Stadt und ihre Bewohner zu interessieren, wenn er so offensichtlich nicht das geringste Interesse an ihnen besaß?
Nathan reichte es.
Er war gerade mal eine Stunde in diesem Haus am See, und der erste ungebetene Gast suchte ihn bereits heim.
Dazu kam, dass Keira Sanders offensichtlich immun gegen Beleidigungen war und kein Problem damit zu haben schien, dass sie hier nicht willkommen war.
Er musterte sie von oben bis unten. Vorhin, als sie im Schnee saß, war dazu keine Zeit gewesen. Sie trug enge, ausgeblichene Jeans, dazu einen überlangen schwarzen Pullover, der ihre Figur seltsamerweise mehr zu enthüllen als zu verbergen schien. Vielleicht lag es an dem weichen Material, das ihre Rundungen betonte. Nathan genoss den Anblick durchaus, obwohl er Keira gleichzeitig zur Hölle wünschte.
Ihr rotblondes Haar fiel in weichen Wellen bis auf ihre Schultern und umspielte ihr hübsches Gesicht, wann immer sie sich bewegte. Und das geschah oft. Nathan hatte noch nie eine Frau erlebt, die so aktiv war. Es fiel ihr schwer, auch nur zwei Sekunden lang stillzustehen. Interessiert erkundete sie das große Wohnzimmer, berührte ein paar Möbelstücke und strich hin und wieder über eine glänzende Oberfläche. Er fragte sich unwillkürlich, wie sich ihre Finger wohl auf seiner Haut anfühlen würden.
Im gleichen Moment wurde ihm nur zu bewusst, dass er alles daransetzen musste, Keira aus dem Haus zu vertreiben. Er hatte nicht das geringste Interesse an einer Affäre für einen Monat. Ein Monat – mehr als jede andere Frau in den letzten zehn Jahren von ihm bekommen hätte.
Also, nichts wie raus mit ihr. Wenn das bedeutete, dass er noch unhöflicher sein musste, als er bereits gewesen war, dann gern.
„Danke, dass Sie hergekommen sind“, begann er und wartete, bis sie mit der Begutachtung der Bücher im Regal fertig war. Als sie sich ihm zuwandte, fuhr er fort: „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie jetzt bitten zu gehen.“
Nun war es heraus. Deutlicher konnte man kaum werden.
„Wow“, erwiderte sie sanft. Ihre grünen Augen reflektierten das Licht des Kaminfeuers. „Hat Ihnen nie jemand beigebracht, was Gastfreundlichkeit ist?“
Er schluckte und versuchte, nicht daran zu denken, was seine Großmutter zu seinem groben Verhalten gesagt hätte. „Sie sind nicht mein Gast“, gab er gepresst zurück. Schließlich war das eine Tatsache, auch wenn sie sie vergessen zu haben schien. „Sie sind hier eingedrungen.“
Keira lachte spontan. „Ja, aber nur, um Ihnen Geschenke zu bringen!“
Nathan wurde klar, dass es offenbar nicht reichte, untätig im Flur stehen zu bleiben, um ihr klarzumachen, dass sie in seinem Wohnzimmer nichts verloren hatte. Jemanden wie Keira hatte er noch nie kennengelernt. Sie schien unempfindlich gegen Grobheit. Sie überging Unhöflichkeit einfach und plauderte fröhlich weiter, als ob nichts geschehen sei. Er nahm an, dass sie mit diesem Verhalten auch sonst ihre gesamte Umwelt nervte.
„Hören Sie“, sagte er und kam auf sie zu. Seine Schritte klangen laut auf dem glatt polierten Steinboden. „Ich habe versucht, höflich zu sein.“
Sie sah zu ihm auf und blinzelte verwundert. Dann lächelte sie breit. „Wirklich? Das war ein Versuch, höflich zu sein?“
Er runzelte die Stirn und erwiderte: „Ich weiß die Geschenke zu schätzen. Danke, dass Sie die Zeit gefunden haben, sie herzubringen. Aber ich wäre jetzt wirklich gern allein.“
„Oh, natürlich. Sie wollen sich sicher ein wenig einleben“, antwortete sie und wies mit einer weit ausholenden Armbewegung auf das Wohnzimmers, ohne dabei Anstalten zu machen, aufzubrechen. „Ich werde auch gar nicht mehr lange bleiben. „Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir in Hunter’s Landing bereit sind, Sie und die anderen, die noch kommen werden, auf jede erdenkliche Art und Weise zu unterstützen.“ Sie schlenderte zu dem überdimensionalen Fernsehapparat, nahm die Fernbedienung und studierte neugierig die Tasten.
Nathan fürchtete, er würde diese Frau nie wieder los, wenn sie erst den Fernseher eingeschaltet hatte. Er eilte auf sie zu, nahm ihr die Fernbedienung ab und legte sie auf einen Tisch. Keira wandte sich mit einem Achselzucken ab und ging zum Panoramafenster, von dem aus man einen wundervollen Blick auf den See hatte. Sie stand da und genoss den Anblick, der sich ihr bot.
Nathan beobachtete sie, und für einen Augenblick genoss er den Anblick, den sie bot. Das glänzende Haar, das ihr auf die Schultern fiel. Das hübsche Profil mit dem energischen Kinn. Der knackige Po. Als sie sich zu ihm umdrehte, trafen sich ihre Blicke. Es war ein elektrisierender Moment.
„Sie bleiben nur einen Monat“, sagte Keira ruhig. „Und vielleicht haben Sie noch nicht begriffen, wie wichtig Ihr Aufenthalt und der der anderen Männer für Hunter’s Landing ist.“
Nathan seufzte und machte sich auf weitere Minuten nutzloser Konversation bereit. Ihm wurde klar, dass Keira Sanders erst dann gehen würde, wenn sie alles losgeworden war, was sie sich vorgenommen hatte. „Mir ist bewusst, dass Ihre Stadt vom Testament Hunter Palmers profitiert“, bemerkte er kühl.
„Aber was Sie nicht wissen können, ist, wie viel uns dieses Vermächtnis bedeutet“, beharrte sie und lehnte sich mit einer Schulter gegen das dicke Glas des Panoramafensters. „Mit dem Geld können wir ein neues Gerichtsgebäude bauen, unser Krankenhaus erweitern …“ Ihre Stimme verebbte, und sie lächelte in Gedanken an die wundervolle Zukunft ihrer Stadt.
Dann straffte sie die Schultern und fügte hinzu: „Da wir gerade von der Klinik sprechen … Ich möchte Sie für morgen Abend einladen. Wir veranstalten ein öffentliches Benefiz-Dinner für die Erweiterung des Krankenhauses und …“
„Sie bekommen doch das Geld von Hunter Palmer …“
„Darauf kann ich erst bauen, wenn ich es habe, nicht wahr?“, unterbrach sie ihn, ehe er sein Argument vorbringen konnte. „Unsere Klinik ist gut, aber sie ist viel zu klein. In Lake Tahoe gibt es natürlich ein großes Krankenhaus, aber die Stadt ist weit entfernt. Vor allem im Winter ist das ein Problem, wenn die Straßen wegen des Schnees unpassierbar sind. Wir müssen in der Lage sein, die Bewohner unserer Stadt selbst zu versorgen. Das Dinner ist eine Chance, Geld zu sammeln. Die Spende geht direkt in einen Fonds für …“
Sie redete so schnell, dass es in Nathans Ohren summte. Er hatte nicht die geringste Lust, an der Benefizveranstaltung morgen teilzunehmen, und er nahm an, dass auch Keira nicht besonders scharf darauf war, ihn dort zu sehen. Alles, was sie wollte, war eine Spende. Geld. Das war schließlich das, was jeder von ihm wollte.
Als Erbe des Barrister-Vermögens war Nathan es gewohnt, dass jeder zuerst sein Scheckbuch sah, und dann erst den Menschen dahinter wahrnahm. Er war damit zufrieden, denn er brauchte keine Freunde, keine Geliebte und keine Ehefrau. Alles, was er wollte, war, in Ruhe gelassen zu werden.
Plötzlich fiel ihm ein, wie er Keira Sanders loswerden konnte. Gib ihr doch einfach, was sie will, dachte er. Deswegen ist sie doch hier. Während sie ohne Punkt und Komma weiterredete, ging er hinüber zu einem der großen weinroten Polstersessel, auf dem er seine Aktentasche abgestellt hatte. Er öffnete sie, holte sein schwarzes, ledergebundenes Scheckbuch heraus und schraubte die Hülle seines Füllfederhalters ab.
Kopfschüttelnd schrieb er einen Scheck zugunsten Hunter’s Landing und ging zurück zu Keira, die immer noch begeistert von den Plänen für ihre kleine Stadt erzählte.
„Daher haben Sie morgen die einmalige Gelegenheit, gleich die meisten Einwohner von Hunter’s Landing kennenzulernen. Es ist doch nett, sich mit der Stadt vertraut zu machen, in der Sie den nächsten Monat verbringen werden. Ich bin sicher, Sie werden bald erkennen, wie wichtig es für uns ist, dass Sie und Ihre Freunde jeweils die dreißig Tage hier ausharren, um den Letzten Willen Mr. Palmers zu erfüllen.“ Sie holte tatsächlich einmal Luft, doch nur, um sofort hinzuzusetzen: „Wenn es Ihnen recht ist, hole ich Sie morgen um sechs Uhr ab und fahre Sie zum Dinner. Vorher können wir noch eine Spritztour rund um den See machen, falls Sie Lust haben, und …“
„Bitte“, sagte Nathan, der begriff, dass dies der einzige Weg war, sie zu stoppen. Er hielt ihr den Scheck hin und wartete, bis sie ihn genommen hatte. Fragend sah sie zu ihm auf. „Nehmen Sie das als meinen Beitrag zur Erweiterung Ihrer Klinik“, fügte er hinzu.
„Oh“, erwiderte sie überrascht, „das ist sehr großzügig von Ihnen, aber …“ Sie hielt inne, warf einen Blick auf die Summe, und Nathan bereitete es nicht wenig Genugtuung, sie erblassen zu sehen. Ihr Gesicht verlor alle Farbe, und ihre Hand zitterte. „Ich … ich … Sie …“, stammelte sie. Dann schluckte sie mehrmals und keuchte: „Oh, mein Gott.“
„Alles in Ordnung?“, fragte Nathan und fasste ihren Arm, weil sie nicht aufhörte zu zittern.
Sie sah zu ihm auf. Ihr Atem ging immer noch schwer, und sie rang sichtlich um Worte. Anscheinend war es ihm endlich gelungen, ihren Redefluss zu unterbrechen.
Schließlich brachte sie heraus: „Meinen Sie das ernst?“
„Was? Den Scheck?“
„Die Summe“, sagte sie heiser. Und dann, sich aus seinem Griff lösend: „Ich muss mich setzen.“
Was sie umgehend tat.
Und zwar auf den Fußboden.
Sie zog die Beine an und lehnte sich aufatmend an den am nächsten stehenden Sessel. „Ich kann es nicht glauben“, flüsterte sie und sah zu Nathan auf.
„Es ist nur eine Spende“, wehrte er ab.
„Eine Spende von fünfhunderttausend Dollars“, betonte sie.
„Wenn Sie sie nicht annehmen möchten …“
„Oh doch!“ Sie faltete den Scheck, streckte das rechte Bein aus, sodass sie ihre Hosentasche erreichen konnte, und steckte ihn ein. Mit der Hand klopfte sie liebevoll auf ihre Jeanstasche und lächelte breit. „Natürlich wollen wir ihn. Und wir danken Ihnen. Die ganze Stadt wird Ihnen danken wollen. Es ist einfach wundervoll. Sie sind so großzügig. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll …“
„Aber Sie versuchen es trotzdem unentwegt“, bemerkte Nathan ungnädig, weil es ihm seltsamerweise peinlich war, wie sehr sie sich über eine simple Spende freute.
„Wow. In meinem Kopf dreht sich immer noch alles. Aber es fühlt sich gut an“, gab sie zu. Sie streckte ihm eine Hand hin. „Würden Sie mir bitte aufhelfen?“
Nathan seufzte, ergriff ihre Hand und zog Keira mit Schwung auf die Füße. Sie landete direkt in seinen Armen und keuchte verblüfft. Automatisch umfasste Nathan ihre Taille, damit Keira nicht das Gleichgewicht verlor, und sekundenlang war er in Versuchung, sie zu küssen.
Was ihn äußerst überraschte.
Keira Sanders war nicht der Typ Frau, für den er sich normalerweise interessierte. Erstens redete sie viel zu viel. Er bevorzugte Frauen, die schweigen konnten. Zweitens war sie klein. Er dagegen stand auf große Frauen. Große, schlanke Brünette mit blauen Augen.
Und doch, als Keira jetzt zu ihm aufsah, zog der Blick ihrer grünen Augen ihn magisch an. Er verlor sich in diesem Blick und spürte, dass ihn etwas darin tiefer berührte, als ihm lieb war.
Als ihre Brüste Nathans Oberkörper berührten, stieg Verlangen in Keira auf. Es war ein starkes Gefühl, heiß und drängend, und es kam völlig unerwartet. Denn dieser Mann war eiskalt und unnahbar. Trotzdem – irgendetwas an ihm zog sie an. Sie wollte ihn berühren, die Arme um seinen Hals schlingen, ihn küssen, lang und leidenschaftlich.
Der Scheck, der sich in ihrer Hosentasche befand, hatte damit absolut nichts zu tun.
„Sie überraschen mich“, brachte sie mit heiserer Stimme hervor.
Er ließ sie sofort los und trat rasch einen Schritt zurück, sodass Keira fast wieder die Balance verlor. Diesmal schaffte sie es jedoch, sich zu fangen.
„Es ist doch nur ein Scheck“, erwiderte er.
„Es ist viel mehr als das“, versicherte sie ihm. Du meine Güte! Sie konnte es kaum erwarten, ihren Kollegen in der Stadtverwaltung von der Riesenspende zu erzählen. Eva Callahan würde vermutlich sofort ohnmächtig, wenn sie den Scheck sah. „Sie können sich gar nicht vorstellen, was dies für unsere Stadt bedeutet.“
„Schon gut“, antwortete er knapp. „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern arbeiten.“
„Nein“, sagte sie vergnügt.
„Wie bitte?“
„Sie wollen gar nicht arbeiten“, erklärte Keira und legte den Kopf schief, als ob sie aus dieser Perspektive besser beurteilen konnte, weshalb ein Einzelgänger wie Nathan so viel Geld verschenkte, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. „Sie wollen bloß, dass ich verschwinde.“
„Genau.“ Er runzelte wieder die Stirn. „Ich glaube, das habe ich Ihnen bereits zu verstehen gegeben.“
„Haben Sie.“ Sie klopfte auf ihre Jeanstasche, wo sich der Scheck befand, ehe sie mit einer Kopfbewegung ihr Haar zurückwarf und ihn anlächelte. „Und ich werde Ihnen den Gefallen tun.“
In seinen Augen blitzte so etwas wie Humor auf, und Keirafragte sich, ob das tatsächlich sein konnte. Doch der Moment ging vorüber, und sie blickte wieder in ein undurchdringliches Gesicht, das keine Emotion preisgab.
„Na gut“, verkündete sie endlich und ging Richtung Haustür. Nathan machte keine Anstalten, ihr zu folgen, was sie etwas überraschte. Er schien so wild entschlossen zu sein, sie loszuwerden, dass sie annahm, er würde keinen Moment zögern, um ihr nachdrücklich das Geleit nach draußen zu geben. Als sie sich zu ihm umdrehte, sah sie, dass er immer noch am selben Fleck stand.
Allein, vor dem großen Panoramafenster mit Blick auf den See. Hinter ihm tauchte der Mond das Wasser in silbernes Licht. Sterne funkelten, so weit das Auge reichte. Keira spürte das Bedürfnis, zu ihm zurückzugehen. Damit er nicht mehr so einsam aussah.
Doch sie wusste, dass sie nicht willkommen gewesen wäre.
Aus irgendeinem Grund hatte sich Nathan Barrister offenbar mit seiner Einsamkeit so gut arrangiert, dass er nicht die geringste Lust hatte, etwas daran zu ändern.
Nun, Keira hatte nicht vor, ihn mit einer anonymen Spende davonkommen zu lassen. Sie würde dafür sorgen, dass die Einwohner der Stadt die Gelegenheit bekamen, sich ordnungsgemäß bei ihm zu bedanken.
Ob er wollte oder nicht – Keira hatte vor, Nathan unter die Leute zu bringen.
Am nächsten Abend war Keira überaus nervös. In der vergangenen Nacht hatte sie kaum geschlafen, weil sie unentwegt an Nathan Barrister denken musste. Es war, als konnte sie immer noch die Berührung seiner Hände spüren. Ruhelos wälzte sie sich im Bett und wurde von Fantasien verfolgt, die eindeutiger nicht hätten sein können.
Wirklich lächerlich. Sie wusste doch genau, dass dieser Mann nur für einen Monat hier sein würde. Außerdem hatte er kein Interesse an ihr. Das hatte er nur zu deutlich gezeigt. Und trotzdem reagierte ihr Körper auf ihn, als sei genau das Gegenteil passiert.
Sie fühlte sich seltsam erregt, und das Bedürfnis, ihr Verlangen zu stillen, war größer, als sie es sich eingestand.
Anscheinend war es viel zu lange her, seit es einen Mann in ihrem Leben gegeben hatte. Doch der letzte Mann, in den sie verliebt gewesen war, hatte sich auf eine Weise benommen, dass sie dem Y-Chromosom endgültig den Laufpass gegeben hatte.
Und jetzt tauchte dieser grantige, reiche, gut aussehende Nathan Barrister auf und brachte ihr kleine geordnete Welt durcheinander.
Keira rührte mit dem Strohhalm in ihrem Glas Eistee und beobachtete, wie die Eiswürfel sich drehten und gegen die Glaswand klickten. Es war sehr entspannend, hier zu sitzen und Tee zu trinken, nachdem sie den ganzen Morgen hektisch beschäftigt gewesen war. Zuerst hatte sie eine außerplanmäßige Sitzung des Stadtrates einberufen, um die Kollegen über Nathans Spende zu informieren. Sie lächelte, als sie an Eva Callahan dachte, die natürlich genau so reagiert hatte wie erwartet. Sie hatte sich in einen Sessel fallen lassen und sich mit einer gelben Mappe Luft zugefächelt.
Nach dem Meeting musste sie sich noch um andere Dinge kümmern. Zum Beispiel darum, den Scheck einzulösen und danach mit dem Bauunternehmer zu reden, der den Auftrag für die Klinikerweiterung erhalten hatte. Dann gab es einen Streit zwischen Harrys Eisenwarenladen und Frannies Stoffladen über einen Parkplatz zu schlichten. Als das erledigt war, hatte Keira endlich Zeit, sich imLakeside Diner eine Pause zu gönnen.
Es war anstrengend, Bürgermeisterin einer Kleinstadt zu sein, und dabei war es mehr oder weniger ein Ehrenamt. Ihre Aufgaben bestanden vor allem darin, einmal im Monat die Versammlung des Stadtrates einzuberufen und ihr vorzusitzen. Außerdem war sie so etwas wie die Streitschlichterin des Ortes, obwohl mit etwas Vernunft die meisten der kleinen Streitigkeiten von den Betroffenen selbst hätten beigelegt werden können. Darüber hinaus bemühte sie sich, Geld für städtische Projekte aufzutreiben. Trotzdem war sie fast rund um die Uhr im Einsatz. Sie fragte sich, wie die Bürgermeister von großen Städten ihr Pensum schafften und trotzdem noch Zeit für ihr Privatleben fanden.
Doch Keira wollte es so und nicht anders. Die viele Arbeit ließ ihr keine Zeit darüber nachzudenken, dass sich ihr Leben so ganz anders entwickelt hatte als geplant. Sie nahm eine Pommes vom Teller und schob sie in den Mund. Während sie kaute, sah sie sich in dem Bistro um, das gut besucht war. Sie fühlte sich wohl hier, und jedes Mal, wenn sie herkam, kehrte so etwas wie Ruhe in ihre Seele ein.
Lakeside Diner war ein kleines Bistro, nicht viel mehr als ein Coffeeshop mit Imbiss. Und doch war es der Ort in Keiras Leben, der ihr Halt gab, der ihr das Gefühl gab, irgendwohin zu gehören. Ihre Eltern hatten Lakeside Diner gegründet. Schon als junges Mädchen hatte Keira hier Geschirr abgeräumt und Gäste bedient.
Als ihre Eltern starben, übernahm Keira das Bistro, um sich und ihrer kleinen Schwester Kelly den Lebensunterhalt zu sichern. Heute gab es einen Restaurantmanager, der sich um alles kümmerte. Aber wenn sie eine Pause brauchte, um zur Ruhe zu kommen und neue Kraft zu sammeln, dann kam sie hierher.
Sie liebte die mit rotem Leder bezogenen Sitznischen, die polierten Oberflächen der Holztische und des langen Bistrotresens. In Glasvitrinen gab es Kuchen und Quiches, und die Schallplatten in der Jukebox waren immer noch dieselben, die ihr Vater gehört hatte. Ja, dieser Ort hier war voller Erinnerungen. Keira schloss die Augen und stellte sich ihren Vater hinterm Tresen vor, der liebevoll zu seiner Frau hinüberlächelte, die an der Kasse saß.
DasLakeside Diner war ihr Zuhause. Wie auch Hunter’s Landing.
„Hallo, Keira, zeig mal her.“
Sie öffnete die Augen und sah, dass Sallye Carberry sichan ihrem Tisch niederließ. Sallye streckte eine silberberingte Hand aus.
„Was soll ich zeigen?“, fragte Keira.
„Den Scheck natürlich“, gab Sallye zurück. „Die ganze Stadt redet von nichts anderem. Margie Fontenot hat mir erzählt, sie habe noch nie etwas Schöneres gesehen als all die vielen Nullen. Da wollte ich auch mal gucken.“
„Tut mir leid, Sallye“, sagte Keira und trank einen Schluck Tee. „Ich habe ihn bereits zur Bank gebracht.“
„Schade“, schmollte die ältere Frau und lehnte sich aufseufzend zurück. „Welch ein Schicksalsschlag.“
Keira lachte.
Sallye wedelte mit einer beringten Hand. „Aber warte nur, ich werde diesen Mann schon kennenlernen. Man erzählt sich, er sähe gut aus. Er kommt doch heute Abend zum Benefizdinner, sodass wir ihn alle sehen … ich meine, sodass wir ihm alle danken können?“
Gute Frage, dachte Keira.
Sie wusste nur zu gut, dass Nathan nicht das geringste Interesse daran hatte, die Einwohner von Hunter’s Landing kennenzulernen oder an der Benefizveranstaltung teilzunehmen. Er wollte weder Dank noch sonst etwas, und schon gar nicht Keira Sanders wiedersehen. Also würde jeder, der noch halbwegs bei Sinnen war, sich von diesem Mann fernhalten, nicht wahr?
Jedenfalls war es absolut unangebracht, hinaus zu Hunter’s Lodge zu fahren, um einen Mann aufzusuchen, der nicht das Geringste mit ihr zu tun haben wollte.
Und trotzdem …
Keira sah auf ihre silberne Armbanduhr und stellte fest, dass sie noch ein paar Stunden Zeit hatte, bis es sechs Uhr war. Sie trank ihren Tee aus, stand auf und lächelte die beste Freundin ihrer verstorbenen Mutter an. „Er wird da sein“, versprach sie entschlossen.
Nathan kam sich vor wie im Gefängnis.
Warum bloß?, fragte er sich. Ich bin doch gern allein.
Doch diese Art von Alleinsein war verdammt noch mal zu einsam.
Er trat hinaus auf die Veranda, von der aus man einen grandiosen Blick über den See hatte. Der kalte Wind wehte ihm das Haar ins Gesicht, während er die schneebedeckte Landschaft betrachtete. Die ihn umgebende Stille wurde nur gebrochen durch das dunkle Wasser, das gegen die Holzpfähle der Veranda schwappte. Das Geräusch schien Nathan unwirklich und überlaut.
Ich bin diese Art von Alleinsein einfach nicht gewohnt, dachte er. Die Leute mochten ihn für einen Einzelgänger halten, doch selbst in seiner sonstigen Zurückgezogenheit gab es mehr … Kommunikation.
Er war ständig unterwegs, reiste von einem seiner Hotels zum nächsten. Auf diesen Reisen musste er pausenlos kommunizieren. Mit Servicepersonal, Hotelmanagern, Zimmermädchen, Kellnern und ab und zu auch mit Hotelgästen. Wie sehr er sich auch bemühte, den Kontakt mit anderen Menschen zu vermeiden – es gab immer jemanden, mit dem er redenmusste.
Bis zu diesem Zeitpunkt.
In Wahrheit hasste er es noch mehr, völlig allein zu sein, als er es hasste, mit vielen Menschen zusammen zu sein.
Seine Hände umklammerten das lackierte Holzgeländerder Veranda so fest, dass es ihn nicht überrascht hätte, wenn er anschließend die Abdrücke seiner Finger im Holz hätte sehen können. Er war es gewohnt, dass Menschen auf den kleinsten Wink von ihm reagierten. Seine Angestellten erledigten all seine Anweisungen sofort. Wenn er frei hatte, ging er gern ins Kasino in Monte Carlo, spielte ein wenig und verbrachte die Nacht mit jener Blondine, Brünetten oder Rothaarigen, die ihm am besten gefiel. Er mochte das Geräusch knallender Champagnerflaschenkorken, klingender Kristallgläser und das Geräusch angenehmer Gespräche im Hintergrund, ab und zu unterbrochen von gedämpftem Lachen. Er war es gewohnt, sich ein Menü aufs Hotelzimmer zu bestellen, oder seinen Piloten anzurufen, um den Privatjet startklar zu machen, wann immer er Lust hatte, weiterzureisen.
Und nun saß er hier fest und konnte nirgendwohin.
Das war das eigentlich Fatale an der Sache. Nathan war seit seiner Kindheit nie länger als zwei, drei Tage an einem Ort gewesen. Und er wollte es auch gar nicht anders. Hier in diesen verschneiten Bergen, allein in diesem riesigen Haus am See, kam er sich vor wie in der Falle. Einen Monat musste er hier ausharren! Er hatte nicht übel Lust, sofort seinen Piloten anzurufen.
Weshalb er es nicht tat, konnte er nicht erklären.
„Hunter, du schuldest mir was“, knurrte er und wusste nicht, ob er dabei eher Richtung Himmel oder Richtung Hölle schauen sollte.
Hunter Palmer war ein guter Freund gewesen, doch dass er selbst im Grab noch die Macht hatte, Nathan in diese Situation zu bringen, war Grund genug, ihn in die Hölle zu wünschen.
„Warum bin ich überhaupt hergekommen?“, flüsterte er, obwohl er wusste, dass er keine Antwort finden würde.
Eine alte Freundschaft war wohl kaum ein ausreichender Grund. Hunter war seit zehn Jahren tot. Zehn Jahre lang hatte Nathan kaum mehr einen Gedanken an die Collegezeit verschwendet oder an den Freund, der viel zu jung gestorben war. Ganz zu schweigen von den anderen fünf, die einst ein so wichtiger Teil seines Lebens gewesen waren. Er hatte ein neues Leben begonnen, sich eine Zukunft geschaffen, so wie er sie sich vorgestellt hatte. Es interessierte ihn nicht im Geringsten, was andere von ihm dachten. Der Schwur, den die Samurai geleistet hatten? Das alles schien aus einer anderen Welt zu stammen.
Oben im Flur des ersten Stocks hing ein gerahmtes Foto der Sieben Samurai, wie sie sich damals genannt hatten. Wenn er daran vorbeiging, schaute er nicht hin. Nur Archäologen beschäftigten sich mit der Vergangenheit. Ein Angehöriger der Familie Barrister tat so etwas nicht. Er schuldete weder Hunter noch den anderen irgendetwas. So eng die Freundschaften auf dem College meist auch waren – danach verliefen sie doch in der Regel im Sand. Warum in aller Welt bin ich dann hergekommen?, fragte er sich.
Eine Möwe flog tief übers Wasser. Sie berührte mit ihren Flügeln fast die Wasseroberfläche. „Dieser verflixte Vogel ist freier als ich“, sagte er ärgerlich.
Er ließ das Geländer los, wandte sich ab von dem Naturschauspiel des Sees und der verschneiten Berge, und ging zurück in sein Gefängnis.
Im Wohnzimmer warf er einen Blick auf den Fernseher, entschied sich aber dagegen, ihn einzuschalten. Es gab Dutzende von guten Büchern, die er hätte lesen können, dazu ein modern eingerichtetes Büro im ersten Stock. Doch er war zu rastlos, um zu arbeiten. Alles, was ihm einfiel, war ziellos herumzulaufen. Natürlich hätte er auch spazieren gehen können. Aber er befürchtete, er würde einfach weiterlaufen, bis zum Flughafen, wo sein Privatjet auf ihn wartete.
„Ich werde es niemals schaffen, einen ganzen Monat hierzubleiben“, murmelte er mit zusammengepressten Zähnen. Er fuhr sich entnervt durchs Haar und wandte sich zum Tisch, wo er seinen Laptop abgestellt hatte.
Er setzte sich und wählte sich ins Internet ein. Sobald die Verbindung hergestellt war, checkte er seine E-Mails. Er hatte zwei neue Nachrichten, je eine vom Manager des Barrister-Hotels in London und in Tokio.
Nachdem er ihre Anfragen bearbeitet hatte, gab es für Nathan nichts mehr zu tun. Für die meisten Dinge musste er vor Ort sein. Von unterwegs ließ sich vieles einfach nicht lösen.
Als es an der Haustür klingelte, sprang er erleichtert auf. So weit ist es schon mit mir gekommen, dachte er. Ich bin dankbar für jede Störung!
Hauptsache, jemand – irgendjemand – durchbrach diese fürchterliche Stille, die an seinen Nerven nagte. Er klappte den Laptop zu und ging mit langen Schritten zur Haustür.
Als er öffnete, sagte er: „Ich hätte mir ja denken können, dass Sie es sind.“
Keira lächelte, schlüpfte an ihm vorbei ins Haus und wandte sich zu ihm um. „Sie werden einen Mantel brauchen.“
Nathan schloss die Tür. Er wollte nicht einmal vor sich selbst zugeben, dass er froh war, Keira zu sehen. So aufdringlich sie auch war – sie war immerhin ein menschliches Wesen in dieser Einöde.
„Mir ist warm genug, danke.“
„Nein, ich wollte damit sagen, dass das Benefiz-Dinner im Freien stattfindet. Daher brauchen Sie einen Mantel.“ Sie ging hinüber in das riesige Wohnzimmer, als ob das Haus ihr gehörte. Ihre Stimme hallte von den hohen Wänden wider, und ihre Schritte klangen laut auf dem Steinboden. „Wir hätten das Dinner auch im Gerichtssaal machen können, aber dort ist es ein bisschen eng, und die Band meinte, es wäre einfacher, wenn sie ihr Equipment draußen aufbauen könnten.“
„Die Band?“
„Klar“, erwiderte sie und schaute sich um, als erwarte sie, dass sich in dem Raum seit ihrem Besuch gestern etwas verändert hätte. „Es sind Musiker aus dem Ort. Sie heißen Super Leo. Meisten spielen sie Rockmusik, aber man darf sich auch was wünschen. Es sind total nette Jungs. Sie sind hier aufgewachsen.“
„Faszinierend“, bemerkte Nathan nur und lehnte sich gegen den Rahmen der Flügeltür, die das Wohnzimmer mit dem Foyer verband. Er kreuzte einen Fuß über den anderen und beobachtete Keira bei ihrer Erkundungstour.
Die Frau sah wirklich gut aus.
Unsinn, dachte er. Das ist bloß die Einsamkeit. Eine andere Erklärung, weshalb ihm eine kleine, unaufhörlich schnatternde Rothaarige gefiel, der er unter anderen Umständen keinen zweiten Blick gegönnt hätte, gab es nicht.
„Der Stadtrat hat dieses Jahr neue Straßenlaternen bewilligt, sodass es auf dem Platz richtig hell sein wird. Es gibt viel Platz zum Tanzen. Als ich vorhin losgefahren bin, haben sie bereits angefangen, die Tische mit dem Büfett aufzubauen, und die Band machte ihren Soundcheck. Also sollten wir schleunigst aufbrechen, wenn wir nicht das Beste verpassen wollen.“
„Verpassen?“, erwiderte Nathan und schüttelte den Kopf. „Ich dachte, ich hätte Ihnen gestern bereits mitgeteilt, dass ich kein Interesse an Ihrer Party habe.“
„Und ich dachte, dass Sie das gar nicht so meinten.“
„Weshalb?“
„Wer will schon eine Party verpassen?“
„Ich.“ Wenn die Party in St. Tropez oder in Gstaad gewesen wäre, ja dann … Aber ein Kleinstadtfest im hintersten Winkel der USA? Nein, danke.
Sie schaute ihn an, als sei ihm gerade ein zweiter Kopf gewachsen. Dann zuckte sie die Achseln und fuhr fort, als habe er nichts gesagt.
„Der Stadtrat ist Ihnen extrem dankbar für Ihre Spende.“
„Sie haben ihnen davon erzählt?“ Das war ihm denkbar unangenehm. Es machte ihm nichts aus, Geld zu spenden. Das gehörte zu seinem Leben. Aber er wollte dabei anonym bleiben. Er brauchte keine Dankbarkeit. Alles, was er wollte, war, in Ruhe gelassen zu werden.
Im gleichen Moment fiel ihm ein, dass er sich noch vor wenigen Minuten höchst einsam gefühlt hatte.
„Natürlich habe ich ihnen davon erzählt“, antwortete sie, nahm eines der Sofakissen und schüttelte es auf, ehe sie es zurück aufs Sofa legte. „Bin ich etwa der Nikolaus? Ich kann nicht einfach Geld in die Stadtkasse einzahlen, ohne zu erklären, woher ich es habe. Jetzt wollen alle Nathan Barrister kennenlernen, um sich zu bedanken.“
„Das ist nicht nötig.“
„Oh doch, das ist es“, beharrte sie und ordnete einen Stapel Zeitschriften auf einem Beistelltisch. „Wenn Sie nicht zum Dinner kommen, sodass die Leute Sie kennenlernen können, dann …“
„Dann?“
„Dann glaube ich, dass die Leute zu Ihnen kommen werden.“
Nathan seufzte. Sie erpresste ihn, damit er bei diesem verflixten Dinner erschien. Er konnte nicht umhin, sie für ihre Taktik zu bewundern. Wenn er nicht mitkam, dann würden sich in den nächsten Tagen die Leute in Hunter’s Lodge die Klinke in die Hand geben. Daran gab es keinen Zweifel. Das Haus würde permanent voller Menschen sein.
„Sie wenden unlautere Mittel an“, sagte er.
„Sagen wir einfach, ich nutze verschiedene Möglichkeiten der Verhandlung“, erwiderte sie.
„Wenn ich mit zur Party komme – werden Sie mich danach in Ruhe lassen?“
Sie hob die Hand und sagte: „Ich schwöre es feierlich.“
„Ich glaube Ihnen kein Wort.“
Sie kicherte. „Na so was. Attraktiv, grantig und schlau.“
Er musste unwillkürlich lächeln, doch er unterdrückte es sofort. Sonst fühlte Keira sich noch ermutigt.
„Gut, dann komme ich mit.“
„Wow“, sagte sie und legte eine Hand aufs Herz. „Ich bin ja so aufgeregt.“
Ihre grünen Augen blitzten, und sie lächelte verführerisch.
Der graue, eng anliegende Pullover, den sie unter ihrer schwarzen Lederjacke trug, ließ die Rundungen ihrer Brüste ahnen, und ihre knapp sitzenden, ausgeblichenen Jeans waren zu sexy für einen Mann, der die nächsten vier Wochen auf diesem einsamen Berg hier festsaß.
Nathan bemühte sich, seine Hormone unter Kontrolle zu bringen, und ging zum Garderobenschrank im Foyer. Dort nahm er seine braune Lederjacke heraus und zog sie an. Darunter trug er einen dunkelgrünen Kaschmirpullover. Das sollte warm genug sein.
Vor ein paar Minuten noch hatte er sich darüber beklagt, dass er einsam war. Und jetzt war er auf dem Weg zu einem Stadtfest.
Man soll vorsichtig mit seinen Wünschen sein, dachte er.
Während der Fahrt in die Stadt warf Keira Nathan ab und zu verstohlene Blicke zu. Sein Profil allein genügte, um ihr Herzklopfen zu verursachen, und wenn er sie ab und zu ansah, fuhr sie fast gegen einen Baum.
„Huch.“ Sie lenkte in die Spur zurück, und der Wagen schlingerte trotz der Winterreifen auf der vereisten Straße.
„Haben Sie mich entführt, um mich umzubringen?“, knurrte Nathan.
„Ich habe Sie nicht entführt, und alles ist in Ordnung“, erwiderte sie und fasste das Lenkrad fester. „Wollen Sie sich nicht ein wenig die Landschaft ansehen, ehe wir die Stadt erreicht haben?“
„Nein, danke.“ Er sah auf seine goldene Armbanduhr. „Ich habe sowieso nur höchstens ein oder zwei Stunden Zeit.“
„Warum?“
„Darum.“
„Guter Grund.“ Keira lächelte und fuhr um eine Kurve. Hinter der Leitplanke ging es steil bergab, und Nathan schaute nervös in den Abgrund.
„Hören Sie“, begann er erneut, „ich gehe nur zu diesem Fest, weil sie mich praktisch dazu gezwungen haben.“
„Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden froh sein, dass sie Ja gesagt haben.“
„Weshalb sind Sie so scharf darauf, dass ich heute Abend erscheine?“
„Weshalb?“ Sie riskierte einen Blick zu ihm, weil sie sich auf einem schnurgeraden Teil der Straße befanden, schaute aber gleich wieder nach vorn. „Sie und die anderen fünf, die in der Lodge wohnen werden, sind enorm wichtig für das Wohlergehen unserer Stadt. Daher ist es doch nur natürlich, dass wir uns bei Ihnen bedanken wollen.“
Nathan rutschte nervös auf dem Beifahrersitz hin und her. „Für die anderen kann ich nicht sprechen – aber ich tue das weder für Sie noch für Ihre Stadt.“
„Und weshalb tun Sie es dann?“
Er presste die Lippen zusammen. „Das ist nicht wichtig.“
„Es ist immerhin wichtig genug für Sie, um herzukommen und einen Monat lang zu bleiben.“
Grimmig erwiderte er: „Es stimmt, ich bin hier. Aber ob ich einen Monat lang bleibe, weiß ich noch nicht.“
Panik stieg in Keira auf. Er durfte Hunter’s Lodge nicht verlassen. Denn wenn er es tat, erhielt die Stadt keinen Cent, und das Haus am See würde verkauft.
Das durfte auf keinen Fall geschehen.
Sie musste Nathan Barrister dazu bringen, den ganzen Monat durchzuhalten. Vielleicht war es wirklich der beste Weg, ihn mit der Stadt und ihren Bewohnern bekannt zu machen. Dann konnte er selbst sehen, wie sehr Hunter’s Landing auf das Vermächtnis angewiesen war.
Aber was war, wenn er tatsächlich abreisen wollte? Wie konnte sie ihn dazu bewegen, hierzubleiben?
„Sie haben doch zugesagt, einen Monat lang zu bleiben.“
„Habe ich“, stimmte er zu. „Aber ich weiß nicht, ob sich das mit meinen Terminen vereinbaren lässt. Ich führe ein großes Unternehmen und werde vor Ort gebraucht.“
Er sucht bereits nach Ausreden, dachte Keira entsetzt. Um einen Grund zu finden, abzureisen und die Bedingungen des Testaments nicht zu erfüllen. Keiras Puls beschleunigte sich, und ihr wurde flau im Magen. Glaubte er etwa, die großzügige Spende sei der Ausweg aus der Klemme, in die das Testament ihn gebracht hatte?
„Sie werden doch nicht abreisen, oder?“
Wieder rutschte er in seinem Sitz hin und her. „Ich kann Ihnen keine Garantien geben, wenn es das ist, was Sie meinen.“
„Aber Sie haben sich doch auf die Bedingungen eingelassen.“
„Ja.“
„Dann ist Ihr Ehrenwort nichts wert?“
Er runzelte die Stirn. „Glauben Sie, dass es in dieser Angelegenheit hilfreich ist, wenn Sie mich beleidigen? Ich glaube es jedenfalls nicht.“
„Ich auch nicht.“ Sie seufzte und fuhr die letzte Meile bergab. Unterhalb lag Hunter’s Landing, wo ihre Freunde und Nachbarn gerade zusammenkamen, um Zukunftspläne für die Stadt zu schmieden, die durch das Testament nach sechs Monaten Wirklichkeit werden würden.
Keira fragte sich, wie herzlich die Bewohner der Stadt Nathan Barrister wohl willkommen heißen würden, wenn sie wüssten, dass er vorhatte, diese Pläne zu ruinieren.
Entschlossen fuhr sie an den Straßenrand, stellte den Motor ab und zog die Handbremse an. Dann wandte sie sich Nathan zu.
„Gibt es ein Problem?“, fragte er.
„Könnte man so sagen“, erwiderte sie. Seine hellen blauen Augen glitzerten im fahlen Abendlicht wie Eis, und sein Blick war alles andere als freundlich. „Es kann sein, dass es Ihnen nicht viel bedeutet“, erklärte sie, „aber für die Leute in dieser Stadt macht es einen großen Unterschied, ob Sie einen Monat hierbleiben oder nicht.“
„Ich habe doch gar nicht gesagt, dass ich abreise“, bemerkte er.
„Sie haben aber auch nicht gesagt, dass Sie bleiben“, konterte sie.
„Ich bin hier, oder?“
„Ja, im Moment“, gab sie zurück. „Aber was ist mit morgen? Oder übermorgen?“
„Ich kann Ihnen keine Zusagen geben.“
Keira hätte ihn am liebsten gepackt und geschüttelt, aber sie wusste, dass das keine gute Idee gewesen wäre. Er war absolut nicht bereit, die Sache aus einem anderen Blickwinkel als seinem eigenen zu betrachten. Vermutlich hätte sie einen Hammer gebraucht, um ihre Argumente in seinen Kopf zu bringen. Im Moment erschien ihr der Gedanke äußerst verlockend.
„Sie sind doch erst einen Tag hier“, versuchte sie es noch einmal. „Geben Sie sich eine Chance. Geben Sie uns eine Chance.“
Der letzte Schein der Abenddämmerung tauchte alles in ein weiches Licht. Nathan sah Keira an, und für einen Moment dachte sie, sie hätte so etwas wie Verständnis in seinen Augen gelesen. Doch wahrscheinlich täuschte sie sich. Sekunden später war die Wärme aus seinem Blick gewichen, er schaute wieder kühl und distanziert.
„Wenn Sie sich darauf einlassen, werden Sie vielleicht sogar feststellen, dass es Ihnen hier gefällt“, meinte sie.
Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich erwarte nicht, dass es mir hier gefällt.“
Sie wandte sich ab, um den Truck wieder zu starten. Während sie zurück auf die Straße fuhr, bemerkte sie nebenbei: „Wer weiß. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.“
„Es geht Sie absolut nichts an, ob ich bleibe oder abreise.“ Damit war für ihn die Diskussion beendet.
Keira wusste zwar nicht, mit wem er normalerweise zu tun hatte, doch sie ließ sich von seinem herablassenden Ton ganz bestimmt nicht einschüchtern.
„Da haben Sie unrecht, Nathan.“ Sie lächelte ihn herausfordernd an. „Sie haben doch nichts dagegen, dass ich Sie Nathan nenne, nicht wahr? Also, Nathan, es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Sie hierbleiben. Als Bürgermeisterin kann ich nicht zusehen, wie Sie einfach verschwinden und uns um etwas bringen, was uns sehr am Herzen liegt.“
Er sah sie nachdenklich an. Sie spürte die Intensität seines Blicks und zwang sich dazu, geradeaus auf die Straße zu schauen. Sie hatten den Stadtrand erreicht und konnten bereits Musik hören. Keira wappnete sich gegen das, was Nathan jetzt vermutlich sagen würde.
„Nur damit Sie Bescheid wissen, Keira: Wenn ich mich dazu entschließe, abzureisen, können Sie absolut nichts dagegen machen.“
Sie bog um eine Kurve, und schon lag der Platz, auf dem die Party stattfand vor ihnen, mitsamt Festbeleuchtung, Tribüne für die Band, Tischen und Bänken. Überall drängten sich Leute, aßen und tranken, unterhielten sich, und einige tanzten bereits.
Das Herz ging ihr auf, als sie das bunte Treiben sah. Das waren die Menschen, die ihr wichtig waren. Menschen, mit denen sie aufgewachsen war. Entschlossen wandte sie sich an den Mann, der neben ihr saß. Sie lächelte und sagte: „Sie sollten wissen, dass ich dies als Kampfansage auffasse, Nathan. Und ich gewinne immer.“
Sobald sie den Truck geparkt hatten und auf den Festplatz kamen, wurden sie Teil der Party. Keira sah amüsiert zu, wie Nathan sofort ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Der Mann war so steif und arrogant, dass er wirkte wie ein Vogel Strauß in einer Hühnerschar.
Die Band spielte einen bekannten Song nach dem anderen. Keira stand etwas abseits und beobachtete, wie ein paar Alteingesessene Nathan in eine Diskussion übers Fliegenfischen verwickelten.
Keira lächelte still in sich hinein und überließ ihn seinem Schicksal. Es war genau, wie sie es haben wollte. Er sollte die Bewohner der Stadt kennenlernen. Allerdings war ihr klar, dass das auch genau den gegenteiligen Effekt haben konnte.
Falls ihm das alles auf die Nerven ging und er sich langweilte, gab es für ihn keinen Grund, die Bedingungen des Testaments zu erfüllen und einen ganzen Monat in Hunter’s Lodge zu bleiben.
Also ging sie zurück zu der Gruppe, lächelte in die Runde und sagte: „Tut mir leid, Jungs, aber ich muss euch Nathan entführen, weil ich mit ihm tanzen möchte.“
„Aber wir sind doch gerade dabei, ihm zu verraten, wo die besten Stellen im Truckee River sind, um Lachse zu fangen“, wandte einer der Männer ein.
„Und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar“, erwiderte Nathan, legte einen Arm um Keiras Schultern und zog sie an sich, als habe er Angst, sie würde ihn den Anglern erneut ausliefern. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen“, fuhr er fort. „Ich habe dieser Dame einen Tanz versprochen.“
Keira unterdrückte ein Lächeln und redete sich ein, dass die Wärme, die von Nathan ausging, rein physikalischer und nicht erotischer Natur war. Trotzdem reagierte ihr Körper so heftig, wie sie es seit Langem nicht mehr erlebt hatte.
Als sie in Richtung der tanzenden Paare schlenderten, beugte sich Nathan zu ihr und flüsterte: „Ich weiß nicht, ob ich mich bei Ihnen für die Rettung bedanken oder sie erwürgen soll, weil sie mich überhaupt erst hierhergebracht haben.“
Seine Stimme ging im Lärm der Musik fast unter, sodass Keira sich näher an ihn drängte, damit er ihre Antwort verstehen konnte. „Sie sahen aber aus, als hätten Sie richtig Spaß.“
„Ich angle nicht“, gab er zurück.
„Mag sein“, erwiderte sie, „doch da Sie jetzt so gute Bekannte wie Sam Dover und die anderen haben, könnten Sie es lernen, wenn Sie wollten.“
Er blieb stehen, und da sein Arm immer noch um ihre Schultern lag, wurde sie ebenfalls gestoppt und prallte abrupt gegen Nathan.
„Das macht Ihnen richtig Spaß, nicht wahr?“, fragte er ein wenig bissig.
„Wäre das so schlimm?“
Er sah auf sie hinunter. „Ich glaube, jemanden wie Sie habe ich noch nie kennengelernt.“
„Nathan! War das ein Kompliment?“
„Keine Ahnung, wie ich das gemeint habe.“
„Dann nehme ich es als Kompliment.“
„Das wundert mich überhaupt nicht.“
Keira sah nun deutlich, dass ein Lächeln um seine Mundwinkel zuckte. Dieser sinnliche Mund, den sie zu gern geküsst hätte. Immerhin hatte sie nun schon ein paarmal erlebt, dass er ein Lächeln unterdrückte. Sie fragte sich, was das bedeutete.
„Das heißt also, dass Sie mit mir tanzen werden?“, erkundigte sie sich.
Er seufzte. „Wenn ich es nicht tue, hetzen Sie unter Garantie die Fischer wieder auf mich.“
Sie hob ihre Arme in tanzbereiter Pose und sagte: „Es geht doch nichts über eine wirkungsvolle Drohung.“
Die Musik wurde langsamer, und die Rockband spielte als Nächstes einen Song, der einer romantischen Ballade so nah wie möglich kam. Nathan legte Keira einen Arm um die Taille. Sofort spürte er, wie elektrisierende Wärme ihn durchflutete, immer wieder, von Kopf bis Fuß.
Keira lächelte zu ihm auf, und er wusste, dass sie es ebenfalls spürte.
Ihre rechte Hand lag klein und zart in seiner, und obwohl ihre Linke federleicht auf seiner Schulter lag, hatte er das Gefühl, als versenge ihm etwas die Haut. Die Luft war eiskalt. Das Fest war in vollem Gange, überall waren Menschen. Und trotzdem war ihm, als sei er mit Keira allein in den Tropen. Eine innere Glut schien sie beide zu wärmen – eine Glut, aus der bei Unachtsamkeit Flammen der Leidenschaft werden konnten.