Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück. Studienausgabe - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück. Studienausgabe E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Diese Studienausgabe von Lessings berühmtem Schlüsselwerk der deutschen Komödienliteratur setzt konsequent die textkritischen und buchanalytischen Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte um. Sie löst damit endlich die Textfassung der noch immer einzigen historisch-kritischen Lessing-Ausgabe von Karl Lachmann in der Bearbeitung durch Franz Muncker aus dem Jahr 1886 ab und dokumentiert Lessings Lustspiel in historisch authentischer Gestalt. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 170

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Gotthold Ephraim Lessing

Minna von Barnhelm,oder das Soldatenglück

Studienausgabe

Herausgegeben von Bodo Plachta

Reclam

2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961007-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019312-9

www.reclam.de

Inhalt

Personen.

Erster Aufzug.

Zweyter Aufzug.

Dritter Aufzug.

Vierter Aufzug.

Fünfter Aufzug.

Anhang

Zu dieser Studienausgabe

Überlieferung

Textgrundlage und Textgestaltung

Entstehung

Uraufführung

Literatur

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

[5] Minna von Barnhelm,

oder

das Soldatenglück.

Ein Lustspiel in fünf Aufzügen.

Verfertiget im Jahre 1763.

[6] Personen.

MAJOR VON TELLHEIM, verabschiedet.

MINNA VON BARNHELM.

GRAF VON BRUCHSALL, ihr Oheim.

FRANCISKA, ihr Mädchen.

JUST, Bedienter des Majors.

PAUL WERNER, gewesener Wachtmeister des Majors.

DER WIRTH.

EINE DAME IN TRAUER.

EIN FELDJÄGER.

RICCAUT DE LA MARLINIERE.

Die Scene ist abwechselnd in dem Saale eines Wirthshauses, und einem daran stossenden Zimmer. |

[7] Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

JUST.(sitzet in einem Winkel, schlummert, und redet im Traume)

Schurke von einem Wirthe! Du, uns? – Frisch, Bruder! – Schlage zu, Bruder! (Er hohlt aus, und erwacht durch die Bewegung) He da! schon wieder? Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Hätte er nur erst die Hälfte von allen den Schlägen! – – Doch sieh, es ist Tag! Ich muß nur bald meinen armen Herrn aufsuchen. Mit meinem Willen soll er keinen Fuß mehr in das vermaledeyte Haus setzen. Wo wird er die Nacht zugebracht haben? |

Zweyter Auftritt.

DER WIRTH. JUST.

DER WIRTH. Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ey, schon so früh auf? Oder soll ich sagen: noch so spät auf?

JUST. Sage Er, was Er will.

DER WIRTH. Ich sage nichts, wie guten Morgen; und das verdient doch wohl, daß Herr Just, großen Dank! darauf sagt?

JUST. Großen Dank!

DER WIRTH. Man ist verdrießlich, wenn man seine gehörige Ruhe nicht haben kann. Was gilts, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat hier auf ihn gelauert?

[8] JUST. Was der Mann nicht alles errathen kann!

DER WIRTH. Ich vermuthe, ich vermuthe.

JUST.(kehrt sich um, und will gehen) Sein Diener!

DER WIRTH.(hält ihn) Nicht doch, Herr Just!

JUST. Nun gut; nicht Sein Diener! |

DER WIRTH. Ey, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, daß Er noch von gestern her böse ist? Wer wird seinen Zorn über Nacht behalten?

JUST. Ich; und über alle folgende Nächte.

DER WIRTH. Ist das christlich?

JUST. Eben so christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hause stoßen, auf die Strasse werfen.

DER WIRTH. Pfuy, wer könnte so gottlos seyn?

JUST. Ein christlicher Gastwirth. – Meinen Herrn! so einen Mann! so einen Officier!

DER WIRTH. Den hätte ich aus dem Hause gestoßen? auf die Strasse geworfen? Dazu habe ich viel zu viel Achtung für einen Officier, und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Noth ein ander Zimmer einräumen müssen. – Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (er ruft in die Scene:) Holla! – Ich wills auf andere Weise wieder gut machen. (Ein Junge kömmt) Bring ein Gläßchen; Herr Just will ein Gläßchen haben; und was gutes! |

JUST. Mache Er sich keine Mühe, Herr Wirth. Der Tropfen soll zu Gift werden, den – doch ich will nicht schwören, ich bin noch nüchtern!

DER WIRTH.(zu dem Jungen, der eine Flasche Liqueur und ein Glaß bringt) Gieb her; geh! – Nun, Herr Just; was ganz vortreffliches; stark, lieblich, gesund. (Er füllt, und [9] reicht ihm zu) Das kann einen überwachten Magen wieder in Ordnung bringen!

JUST. Bald dürfte ich nicht! – – Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine Grobheit entgelten lassen? – (Er nimmt und trinkt)

DER WIRTH. Wohl bekomms, Herr Just!

JUST.(indem er das Gläßchen wieder zurück giebt) Nicht übel! – Aber Herr Wirth, Er ist doch ein Grobian!

DER WIRTH. Nicht doch, nicht doch! – Geschwind noch eins; auf einem Beine ist nicht gut stehen.

JUST.(nachdem er getrunken) Das muß ich sagen: gut, sehr gut! – Selbst gemacht, Herr Wirth? – |

DER WIRTH. Behüte! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!

JUST. Sieht Er, Herr Wirth; wenn ich heucheln könnte, so würde ich für so was heucheln; aber ich kann nicht; es muß raus – Er ist doch ein Grobian, Herr Wirth!

DER WIRTH. In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt. – Noch eins, Herr Just; aller guten Dinge sind drey!

JUST. Meinetwegen! (Er trinkt) Gut Ding, wahrlich gut Ding! – Aber auch die Wahrheit ist gut Ding. – Herr Wirth, Er ist doch ein Grobian!

DER WIRTH. Wenn ich es wäre, würde ich das wohl so mit anhören?

JUST. O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.

DER WIRTH. Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur hält desto besser.

JUST. Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilfts Ihn, Herr Wirth? bis auf den letzten Tropfen in der Flasche würde ich bey meiner Rede bleiben. Pfuy, Herr Wirth, so [10] guten | Danziger zu haben, und so schlechte Mores! – Einen Mann, wie meinen Herrn, der Jahr und Tag bey Ihm gewohnt, von dem Er schon so manchen schönen Thaler gezogen, der in seinem Leben keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein Paar Monate her nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen läßt, – in der Abwesenheit das Zimmer auszuräumen!

DERWIRTH. Da ich aber das Zimmer nothwendig brauchte? da ich voraus sahe, daß der Herr Major es selbst gutwillig würde geräumt haben, wenn wir nur lange auf seine Zurückkunft hätten warten können? Sollte ich denn so eine fremde Herrschaft wieder von meiner Thüre wegfahren lassen? Sollte ich einem andern Wirthe so einen Verdienst muthwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, daß sie sonst wo untergekommen wäre. Die Wirthshäuser sind ietzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge, schöne, liebenswürdige Dame auf der Strasse bleiben? Dazu ist sein Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabey? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafür eingeräumt? |

JUST. Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars Feuermauren – –

DER WIRTH. Die Aussicht war wohl sehr schön, ehe sie der verzweifelte Nachbar verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant, und tapeziert –

JUST. Gewesen!

DER WIRTH. Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stübchen darneben, Herr Just; was fehlt dem Stübchen? Es hat einen Kamin; der zwar im Winter ein wenig raucht – –

[11] JUST. Aber doch im Sommer recht hübsch läßt. – Herr, ich glaube gar, er vexirt uns noch oben drein? –

DER WIRTH. Nu, nu, Herr Just, Herr Just –

JUST. Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder –

DER WIRTH. Ich machte ihn warm? der Danziger thuts! –

JUST. Einen Officier wie meinen Herrn! Oder meint Er, daß ein abgedankter Officier nicht | auch ein Officier ist, der Ihm den Hals brechen kann? Warum waret ihr denn im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirthe? Warum war denn da jeder Officier ein würdiger Mann, und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das Bißchen Friede schon so übermüthig?

DER WIRTH. Was ereyfert Er sich nun, Herr Just? –

JUST. Ich will mich ereyfern. – –

Dritter Auftritt.

V. TELLHEIM. DER WIRTH. JUST.

V. TELLHEIM.(im Hereintreten) Just!

JUST.(in der Meynung, daß ihn der Wirth nenne) So bekannt sind wir? –

V. TELLHEIM. Just!

JUST. Ich dächte, ich wäre wohl Herr Just für Ihn!

DER WIRTH.(der den Major gewahr wird) St! st! Herr, Herr, Herr Just – seh Er Sich doch um; Sein Herr – – |

V. TELLHEIM. Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?

DERWIRTH. O, Ihro Gnaden! zanken? da sey Gott vor! Ihr unterthänigster Knecht sollte sich unterstehen, mit [12] einem, der die Gnade hat Ihnen anzugehören, zu zanken?

JUST. Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben dürfte! – –

DER WIRTH. Es ist wahr, Herr Just spricht für seinen Herrn, und ein wenig hitzig. Aber daran thut er recht; ich schätze ihn um so viel höher; ich liebe ihn darum. –

JUST. Daß ich ihm nicht die Zähne austreten soll!

DER WIRTH. Nur Schade, daß er sich umsonst erhitzet. Denn ich bin gewiß versichert, daß Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen haben, weil – die Noth – mich –

V. TELLHEIM. Schon zu viel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie räumen mir in meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie müssen be|zahlt werden; ich muß wo anders unterzukommen suchen. Sehr natürlich! –

DERWIRTH. Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnädiger Herr? Ich unglücklicher Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muß die Dame das Quartier wieder räumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muß fort; ich kann ihr nicht helfen. – Ich gehe, gnädiger Herr – –

V. TELLHEIM. Freund, nicht zwey dumme Streiche für einen! Die Dame muß in dem Besitze des Zimmers bleiben – –

DER WIRTH. Und Ihro Gnaden sollten glauben, daß ich aus Mißtrauen, aus Sorge für meine Bezahlung? – – Als wenn ich nicht wüßte, daß mich Ihro Gnaden bezahlen können, so bald Sie nur wollen. – – Das versiegelte Beutelchen – fünfhundert Thaler Louisdor, stehet drauf – – [13] welches Ihro Gnaden in dem Schreibepulte stehen gehabt – – ist in guter Verwahrung. – |

V. TELLHEIM. Das will ich hoffen; so wie meine übrige Sachen. – Just, soll sie in Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat. – –

DERWIRTH. Wahrhaftig, ich erschrack recht, als ich das Beutelchen fand. – Ich habe immer Ihro Gnaden für einen ordentlichen und vorsichtigen Mann gehalten, der sich niemals ganz ausgiebt. – – Aber dennoch – – wenn ich baar Geld in dem Schreibepulte vermuthet hätte – –

V. TELLHEIM. Würden Sie höflicher mit mir verfahren seyn. Ich verstehe Sie. – Gehen Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem Bedienten zu sprechen. – –

DER WIRTH. Aber gnädiger Herr – –

V. TELLHEIM. Komm Just, der Herr will nicht erlauben, daß ich dir in seinem Hause sage, was du thun sollst. – –

DER WIRTH. Ich gehe ja schon, gnädiger Herr! – Mein ganzes Haus ist zu Ihren Diensten. |

Vierter Auftritt.

VON TELLHEIM. JUST.

JUST.(der mit dem Fusse stampft, und dem Wirthe nachspuckt) Pfuy!

V. TELLHEIM. Was giebts?

JUST. Ich ersticke vor Bosheit.

V. TELLHEIM. Das wäre so viel, als an Vollblütigkeit.

[14] JUST. Und Sie – Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor Ihren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses hämischen, unbarmherzigen Rackers sind! Trotz Galgen und Schwerd und Rad, hätte ich ihn – hätte ich ihn mit diesen Händen erdrosseln, mit diesen Zähnen zerreissen wollen. –

V. TELLHEIM. Bestie!

JUST. Lieber Bestie, als so ein Mensch!

V. TELLHEIM. Was willst du aber?

JUST. Ich will, daß Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie beleidiget.

V. TELLHEIM. Und dann? |

JUST. Daß Sie Sich rächten – Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering. –

V. TELLHEIM. Sondern, daß ich es dir auftrüge, mich zu rächen? Das war von Anfang mein Gedanke. Er hätte mich nicht wieder mit Augen sehen, und seine Bezahlung aus deinen Händen empfangen sollen. Ich weiß, daß du eine Hand voll Geld mit einer ziemlich verächtlichen Miene hinwerfen kannst. –

JUST. So? eine vortreffliche Rache! –

V. TELLHEIM. Aber die wir noch verschieben müssen. Ich habe keinen Heller baares Geld mehr; ich weiß auch keines aufzutreiben.

JUST. Kein baares Geld? Und was ist denn das für ein Beutel, mit fünfhundert Thaler Louisdor, den der Wirth in Ihrem Schreibepulte gefunden?

V. TELLHEIM. Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.

JUST. Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister vor vier oder fünf Wochen brachte? |

[15] V. TELLHEIM. Die nehmlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?

JUST. Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen können Sie machen was Sie wollen. Auf meine Verantwortung –

V. TELLHEIM. Wahrhaftig?

JUST. Werner hörte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Foderungen an die Generalkriegskasse aufzieht. Er hörte –

V. TELLHEIM. Daß ich sicherlich zum Bettler werden würde, wenn ich es nicht schon wäre. – Ich bin dir sehr verbunden, Just. – Und diese Nachricht vermochte Wernern, sein Bißchen Armuth mit mir zu theilen. – Es ist mir doch lieb, daß ich es errathen habe. – Höre Just, mache mir zugleich auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute. – –

JUST. Wie? was?

V. TELLHEIM. Kein Wort mehr; es kömmt jemand. – |

Fünfter Auftritt.

EINE DAME IN TRAUER. V. TELLHEIM. JUST.

DIE DAME. Ich bitte um Verzeihung, mein Herr! –

V. TELLHEIM. Wen suchen Sie, Madame? –

DIE DAME. Eben den würdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen. Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Wittwe Ihres ehemahligen Staabsrittmeisters –

V. TELLHEIM. Um des Himmels willen, gnädige Frau! welche Veränderung! –

[16] DIE DAME. Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz über den Verlust meines Mannes warf. Ich muß Ihnen früh beschwerlich fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben auch nicht glückliche Freundinn eine Zuflucht vors erste angeboten. –

V. TELLHEIM.(zu Just) Geh, laß uns allein. – |

Sechster Auftritt.

DIE DAME. VON TELLHEIM.

V. TELLHEIM. Reden Sie frey, gnädige Frau! Vor mir dürfen Sie Sich Ihres Unglücks nicht schämen. Kann ich Ihnen worinn dienen?

DIE DAME. Mein Herr Major –

V. TELLHEIM. Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worinn kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer karg mit diesem Titel.

DIE DAME. Wer weiß es besser, als ich, wie werth Sie seiner Freundschaft waren, wie werth er der Ihrigen war? Sie würden sein letzter Gedanke, Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen seyn, hätte nicht die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht für seinen unglücklichen Sohn, für seine unglückliche Gattinn gefodert –

V. TELLHEIM. Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Thränen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, wo | [17] ich leicht zu verleiten wäre, wider die Vorsicht zu murren. – O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnädige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen im Stande bin, wenn ich es bin –

DIE DAME. Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Baarschaft zu tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft, und komme seine Handschrift einzulösen. –

V. TELLHEIM. Wie, gnädige Frau? darum kommen Sie?

DIE DAME. Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld aufzehle.

V. TELLHEIM. Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich seyn. Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus, und sucht) Ich finde nichts.

DIE DAME. Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift thut nichts zur Sache. – Erlauben Sie – |

V. TELLHEIM. Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis, daß ich nie eine gehabt habe, oder daß sie getilgt, und von mir schon zurück gegeben worden.

DIE DAME. Herr Major! –

V. TELLHEIM. Ganz gewiß, gnädige Frau. Marloff ist mir nichts schuldig geblieben. Ich wüßte mich auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals etwas schuldig gewesen wäre. Nicht anders, Madame; er hat mich vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas thun können, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahr Glück und Unglück, Ehre und Gefahr mit mir [18] getheilet. Ich werde es nicht vergessen, daß ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn seyn, so bald ich sein Vater seyn kann. Die Verwirrung, in der ich mich ietzt selbst befinde –

DIE DAME. Edelmüthiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein. Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget. – |

V. TELLHEIM. Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter, als meine Versicherung, daß mir dieses Geld nicht gehöret? Oder wollen Sie, daß ich die unerzogene Wayse meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame; das würde es in dem eigentlichsten Verstande seyn. Ihm gehört es; für ihn legen Sie es an. –

DIE DAME. Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiß, wie man Wohlthaten annehmen muß. Woher wissen es denn aber auch Sie, daß eine Mutter mehr für ihren Sohn thut, als sie für ihr eigen Leben thun würde? Ich gehe –

V. TELLHEIM. Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie glücklich! Ich bitte Sie nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie möchte mir zu einer Zeit kommen, wo ich sie nicht nutzen könnte. Aber noch eines, gnädige Frau; bald hätte ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fodern. Seine Foderungen sind so richtig, wie die meinigen. Werden meine bezahlt, | so müssen auch die seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafür. –

DIE DAME. O! Mein Herr – Aber ich schweige lieber. – Künftige Wohlthaten so vorbereiten, heißt sie in den Augen des Himmels schon erwiesen haben. Empfangen Sie seine Belohnung, und meine Thränen! (geht ab)

[19] Siebender Auftritt.

VON TELLHEIM.

Armes, braves Weib! Ich muß nicht vergessen, den Bettel zu vernichten. (er nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er zerreißt) Wer steht mir dafür, daß eigner Mangel mich nicht einmal verleiten könnte, Gebrauch davon zu machen?

Achter Auftritt.

JUST. V. TELLHEIM.

V. TELLHEIM. Bist du da?

JUST.(indem er sich die Augen wischt) Ja!

V. TELLHEIM. Du hast geweint? |

JUST. Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die Küche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!

V. TELLHEIM. Gieb her.

JUST. Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich weiß wohl, daß die Menschen mit Ihnen keine haben; aber –

V. TELLHEIM. Was willst du? –

JUST. Ich hätte mir eher den Tod, als meinen Abschied vermuthet.

V. TELLHEIM. Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß mich ohne Bedienten behelfen lernen. (schlägt die Rechnung auf, und lieset) »Was der Herr Major mir schuldig: Drey und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Thaler, macht 21 Thaler. Seit dem ersten dieses, an [20] Kleinigkeiten ausgelegt, 1 Thlr. 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum, 22 Thaler 7 Gr. 9 Pf.« – Gut, und es ist billig, daß ich dir diesen laufenden Monat ganz bezahle.

JUST. Die andere Seite, Herr Major –

V. TELLHEIM. Noch mehr? (lieset) »Was dem Herrn Major ich schuldig: An den Feldscheer | für mich bezahlt, 25 Thaler. Für Wartung und Pflege, während meiner Kur, für mich bezahlt, 39 Thlr. Meinem abgebrannten und geplünderten Vater, auf meine Bitte, vorgeschossen, ohne die zwey Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Thaler. Summa Summarum, 114 Thaler. Davon abgezogen vorstehende 22 Thl. 7 Gr. 9 Pf. Bleibe dem Herrn Major schuldig, 91 Thlr. 16 gr. 3 Pf.« – Kerl, du bist toll! –

JUST. Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste. Aber es wäre verlorne Dinte, es dazu zu schreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverey nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe, – so wollte ich lieber, Sie hätten mich in dem Lazarethe krepiren lassen.

V. TELLHEIM. Wofür siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bey dem du es besser haben sollst, als bey mir.

JUST. Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstoßen? |

V. TELLHEIM. Weil ich dir nichts schuldig werden will.

JUST. Darum? nur darum? – So gewiß ich Ihnen schuldig bin, so gewiß Sie mir nichts schuldig werden können, so gewiß sollen Sie mich nun nicht verstoßen. – Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bey Ihnen; ich muß bey Ihnen bleiben. –

[21] V. TELLHEIM. Und deine Hartnäckigkeit, dein Trotz, dein wildes ungestümes Wesen gegen alle, von denen du meynest, daß Sie dir nichts zu sagen haben, deine tückische Schadenfreude, deine Rachsucht – –

JUST. Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht schlechter von mir denken, als von meinem Hunde. Vorigen Winter gieng ich in der Demmerung an dem Kanale, und hörte etwas winseln. Ich stieg herab, und griff