Mitteldeutsche Geschichten und Anekdoten - Bernd Ozminski - E-Book

Mitteldeutsche Geschichten und Anekdoten E-Book

Bernd Ozminski

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Beschreibung

Die chrakterlichen Schwächen der in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten stellen einen amüsanten Unterhaltungswert in diesem Buch dar. Ein eifernder politischer Agitator, der 1990 zum Wendehals mutiert, ein Sozialschmarotzer, der staatlich sanktionierte Lebensmittel an seine Schweine verfüttert, sowie der Betriebsleiter, der öffentlich Wasser predigt …, Erwähnung finden aber auch die Mutigen, die ungeliebte Wahrheiten äußern, wenn auch ironisch verschlüsselt. Dass nicht alles sozial in der sozialen Marktwirtschaft ist, erfuhren die Ostdeutschen bereits unmittelbar nach dem Willkommens-Buffet bei der Grenzöffnung. Der Ellenbogen besaß im vereinten Deutschland wieder seine Daseinsberechtigung.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Maifeiern

Milchpantscher

Die Jugend geht zum Tanz

Start ins Berufsleben

Die Freude am Beruf

»… Lehrer sein, dagegen sehr«

Fahrten übers Land

Schwimmlehrgang in den Sommerferien

Das Bürgermeisteramt

Einladung zum Schlachtefest

De Esel is buten

Eseleien

Dorffußball

Tanzabende auf dem Dorf

Nächtliche Überraschungsgäste

Ein ungebetener Gast

Frohsinn im Schulamt

Auf der Maitribüne

Auf zur Kreisdelegiertenkonferenz der FDJ

Der Quatsch von Marx und Lenin

Erlebnisse an der innerdeutschen Grenze

Von Apfelsinen, Bananen und Parteidokumenten

Staatlicher Besuch im Reichsbahnwerk

Sozialschmarotzer

Urlaubsimpressionen in der DDR

Bühne frei für »Mary Lou«

Eine Führung im Schloss Bodenstein

Go West

Die neue Reisefreiheit

Politische Unzuverlässigkeit

Verblüffte Trauergäste

Skandal in der Trauerhalle

Der Treuhänder

Einleitung

Die charakterlichen Schwächen der in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten stellen einen amüsanten Unterhaltungswert in diesem Buch dar. Ein eifernder politischer Agitator, der 1990 zum Wendehals mutiert, ein Sozialschmarotzer, der staatlich sanktionierte Lebensmittel an seine Schweine verfüttert, sowie der Betriebsleiter, der öffentlich Wasser predigt …

Erwähnung finden aber auch die Mutigen, die ungeliebte Wahrheiten äußern, wenn auch ironisch verschlüsselt. Dass nicht alles sozial in der sozialen Marktwirtschaft ist, erfuhren die Ostdeutschen bereits unmittelbar nach dem Willkommens-Buffet bei der Grenzöffnung. Der Ellenbogen besaß im vereinten Deutschland wieder seine Daseinsberechtigung.

Maifeiern

In meiner Kindheit bildeten die Demonstrationsmärsche zum 1. Mai, dem Kampftag der Werktätigen, einen Schuljahreshöhepunkt. Die Einheitsgewerkschaft, der FDGB, rief dazu regelmäßig auf und trug für die Vorbereitung und Durchführung die Verantwortung. An diesem erlebnisreichen Tag ruhte die Arbeit in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen weitgehend. Alle Teilnehmer der Großdemonstration erwarben für eine Mark und fünfzig Pfennige eine Solidaritätsmarke sowie eine rote Papiernelke. Erstere klebten sie ins Mitgliedsbuch und letztere steckten sie sich ins Knopfloch ihrer Bluse bzw. ihres Sakkos. Den Sammelpunkt bildete ein vorgeschriebener Stellplatz. In Sechser- oder Achter-Reihen setzten sich kontinuierlich einzelne Marschblöcke in Bewegung. Den jeweiligen Vorspann bildeten, soweit vorhanden, die Träger von Fahnen und Transparenten sowie eine Blaskapelle. Häufig fuhren im Block geschmückte Wagen mit, die von Pferden oder LKWs gezogen wurden. Oben saßen oder standen Bestarbeiter und Aktivisten, die dem Publikum am Straßenrand zuwinkten. Über ihnen prangten auf Spruchbändern Losungen, die von ihren ausgezeichneten, bahnbrechenden Leistungen kündeten. So zogen die Werktätigen der Standortbetriebe an der Maitribüne vorbei, von der herab ein Sprecher die hohen Leistungen der einzelnen Belegschaften würdigte. Diese Sprüche ertönten über eine Beschallung. Somit hörten auch die Einwohner, die sich weiter entfernt befanden und nicht den Genuss des Sichtkontaktes mit der Tribüne ergattern konnten, den vollen Wortlaut aller Lobpreisungen deutlich mit. Über all diese Großtaten zu Ehren der Republik klatschten die Ehrengäste, Funktionäre und Abgeordneten des Stadtparlaments langanhaltend Beifall, dem sich spontan die Bürger anschlossen, die den Platz umsäumten. Diese Art von Euphorie übertrug sich auf die vorbeimarschierenden Menschen gefühlsmäßig recht unterschiedlich. Ein Teil empfand Begeisterung, die sich wie in einen Rausch steigerte. Ein anderer Teil blieb sachlich, nüchtern und erinnerte sich an die mangelhafte Planerfüllung und die vormundschaftliche Leitung in Betrieben und Einrichtungen.

Für uns Kinder besaß dieser Großaufmarsch eine besondere Ausstrahlung, selbst wenn die Veranstaltung ein Pflichtprogramm war. Es zählte für uns, dass wir nicht im Unterricht schwitzen mussten. Zudem stand man im Mittelpunkt des Geschehens, wenn Schüler auf dem Marsch mannigfaltige Aktivitäten und zentrale Initiativen selbst vorstellen durften. So kleideten sich einige als Sportler, andere in Trachten befreundeter Volksdemokratien. Wieder andere zogen Wägelchen, auf denen ihre Haustiere in Käfigen flatterten und hüpften. Diese Schüler nannten sich »Junge Kaninchen-, Tauben- oder Hühnerzüchter« und zuckelten mit ihren Karren stolz an der Maitribüne vorbei. Ihre individuelle Kleintierhaltung würde die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln maßgeblich verbessern, verkündete der Sprecher auf dem Podium über ihnen. So erfuhren die Schüler öffentliche Anerkennung und Ehrung für ihre guten Taten.

Nach der allgemeinen Auflösung der Marschblöcke verflog die Euphorie allmählich. Wir Kinder entledigten uns der Requisiten in der Schule und schlenderten heimwärts, vorbei am Platz, an dem zuvor die Auflösung der Maidemonstration erfolgt war. Inzwischen hatten verschiedene Imbissstuben ihren Betrieb aufgenommen. Sie boten den hungrigen und durstigen Kehlen ermüdeter Marschierer eine vielfältige appetitliche Auswahl an: Bockwurst mit Brötchen und Senf, Goldbroiler, Bier sowie diverse Spirituosen. Werktätige aus den Produktionsbetrieben erhielten im Gegensatz zu Angestellten in Behörden und Einrichtungen ein Handgeld. Dieses Geld landete dann meist in den Kassen der fliegenden Händler. Während es bei vielen Demonstranten nur darum ging, den Hunger zu stillen, hatten es andere auf das vielfältige Angebot der Spirituosen abgesehen. So viele Alkoholleichen wie an diesem Ort habe ich in meinem Leben nie wieder gesehen. Erst torkelten die Angetrunkenen vor den Imbissbuden herum, fielen später zu Boden, wälzten sich auf der Wiese herum und versuchten sich vergeblich aufzurappeln. Letztendlich schliefen die Säufer ihren Alkoholrausch auf dem Rasen aus. Genauso wie ein uns bekannter Trinker, der sich im Vorgarten eines Schulkameraden zum Ausnüchterungsschlaf niedergelegt hatte. Wir nannten ihn »Hinkebein« und trieben unseren Spaß mit ihm. Einige kitzelten mit Grashalmen an seiner Nase, andere bespritzten ihn mit Wasser.

In unserer Stadt existierten seinerzeit einige Wohngebiete, in denen vorrangig milieugeschädigte Familien lebten. Man sprach damals von asozialen Zuständen. Lokalisieren ließen sich die Wohngebiete, die »Goldene 15« in der Harzstraße, die »Myama«, ein ehemaliges Militärlazarett, zwischen der Lieberkühn- und der Trauteweinstraße, sowie ein Teil der Bakenstraße.

In der Regel hatten die genannten Säufer dort ihr Zuhause.

Milchpantscher

»Sagte ich es nicht«, empörte sich unsere Mutter sichtlich, »die Milch schmeckte doch immer so wässrig. Nun steht es schwarz auf weiß in der Zeitung!«

Jenes Tageblatt trug bereits seinerzeit den Namen »Volksstimme« und fand im gesamten Bezirk Magdeburg den größten Leserkreis.

Im Lokalteil dieses Blattes informierte die Behörde über eine nachgewiesene Manipulation in unserer Molkereiverkaufsstelle. Unter dem Titel: »Milchpantscher beim Verdünnen mit Wasser erwischt«, stellte die Zeitung in Wort und Bild den Fall der Öffentlichkeit dar. Demnach ließen sich die Bestandteile in diesem wichtigen Grundnahrungsmittel sicher bestimmen und der Wasseranteil feststellen.

Zu dieser Zeit waren auch Milchprodukte rationiert und wurden zugeteilt, Kinder bis zum sechsten Lebensjahr erhielten täglich einen halben Liter Vollmilch auf Marken. Mein älterer Bruder fand keine Berücksichtigung. So teilte meine Mutter redlich unter ihren Kindern. Dass die Milch mit Wasser gestreckt war, empörte nun die Bevölkerung zu Recht. Vom Ausgang des Gerichtsverfahrens erfuhren wir später ebenfalls aus der Presse. Der Richterspruch lautete: fünf Jahre Gefängnis.

Das Molkereifachgeschäft wies damals ein recht begrenztes Angebot aus, wie zum Beispiel Voll- und Magermilch, Molke, Magerquark, gelben Harzkäse, Margarine und auch Butter. Zur Ausstattung des Geschäfts gehörte ein langer Ladentisch, auf dem gefüllte Milchkannen mit Mager- und Vollmilch standen. Daneben befanden sich verschiedene Maßgefäße: ein Viertel- und ein Halblitermaß mit jeweils einem gebogenen Henkel als Griff. Der Verkäufer tauchte dasselbe tief in die Kanne ein, füllte es, strich es am Rand der Milchkanne ab und goss es dann in die Gefäße der Kunden. Magerquark wurde lose verkauft, in einer Art Pergamentpapier verpackt. Erstaunt war ich über den Verkauf von Molke, mit der ich gar nichts anzufangen wusste. Viel eher mit dem ewigen Harzkäse, im Kinderheim und zuhause. Diese Käseart war nicht nur als Lebensmittel in aller Munde und Nasen, sondern sogar als Lied, das sich zum Gassenhauer entwickelte:

»Tschia-tschia-tscho,

Käse gibt’s in der HO,

anstehn tun’se bis nach Halle,

wenn man drankommt,

ist der Käse alle.«

Anmerkung: Die HO (Handelsorganisation) war eine staatliche Einrichtung, in der man zu erhöhten Preisen ohne Marken einkaufen konnte.

Die Jugend geht zum Tanz

Ein Jahrzehnt nach Kriegsende besaß die zerbombte Kreisstadt wieder ein neues gastronomisches Mehrzweckgebäude – das »Haus des Friedens«. Entstanden im Rahmen eines nationalen Aufbauwerks, hatten viele fleißige Helfer ihre anteiligen Arbeitsstunden erbracht, die ihnen später bei der Wohnungsvergabe vergütet wurden. Unmengen von Ziegelsteinen, die von den Trümmerfrauen in schwerster körperlicher Tätigkeit geputzt, gestapelt und verladen worden waren, fanden nun beim Wiederaufbau der Stadt die nötige Verwendung.

Zur Grundsteinlegung standen wir Schulkinder 1955 als Fünftklässler Spalier. Anfang der sechziger Jahre traf sich dieselbe Generation zu Tanzveranstaltungen in dem 1956 fertiggestellten »Haus des Friedens« wieder.

Die Einwohner freuten sich über den Neubau sehr. Endlich verschwanden zahlreiche Provisorien, Behelfsbauten in halb verfallenen Gebäuden, wie die am Markt und am Hauptbahnhof.

Als ein Eckhaus war es beidseitig mit Wohnhäusern verbunden. Dort wohnte eine Kollegin Wand an Wand mit dem Tanzlokal und der Nachtbar in der zweiten Etage. Da steppte nachts der Bär. Besonders an den Wochenenden konnte sie kein Auge schließen. Das Café in der ersten Etage nutzten Betriebe und Organisationen zu Weiterbildungen und Feierlichkeiten. Ein Restaurant im Erdgeschoss empfahl sich durch eine ausgezeichnete Küche.

Die Jugend der Stadt favorisierte recht differenziert ihre Tanzböden. In der »Sternwarte« trafen sich eher Jugendliche aus milieugeschädigten Familienverbänden. Ein Typ Mensch, wenig gebildet, häufig haltlos, sozial kontaktarm. Im Konkurrenzverhalten entschied letztendlich ein treffsicherer Faustschlag und meist nicht im Fairplay. Viele nutzten den Aufenthalt zu einer Tauschbörse, deren Deals oft mit kriminellen Handlungen verbunden waren. Es saßen auch gewisse Damen im Saal, deren Liebesdienste in bar beglichen werden mussten. Über allem lag so ein merkwürdiger, symbolischer Geruch, der beim außenstehenden Besucher einen faden Beigeschmack hinterließ.

Das »Klubhaus der Jugend« besuchte ich als Kontrollinstanz für Klassenfeste der Jahrgänge vierzehn bis sechzehn. Aus Sorge über den Alkoholmissbrauch wurde diese Aufsichtsfunktion als Vorschrift geregelt. Es stand den Schülern aber frei, welche Lehrer sie zur Betreuung auszuwählen gedachten. Die Wahl fiel meistens auf junge Pädagogen beiderlei Geschlechts. Das Tanzprogramm gestaltete sich jugendgemäß. Die aktuelle Beatmusik war gerade in und wurde vom Diskjockey aufgelegt.

Im »Felsenkeller« ging es gesitteter zu als in der »Sternwarte«. Hier vergnügte sich in der Regel die frische unverbrauchte Stadtjugend aus intakten Familienverbänden. Schlägereien erlebte ich dort nie – eher freudbetonte Treffen von Cliquen und Freundeskreisen unbeschwerter Jugendlicher. Favorisierte Bands spielten zum Tanz auf. Zu deren Ausrüstung gehörten Beschallungsanlagen, deren Wert normale Maßstäbe bei weitem überstieg. Da legten die begüterten Handwerksmeister oder Bauern mit individueller Tierproduktion ihren verwöhnten Kindern mal so eben zehn- bis zwanzigtausend Mark hin.

Einmal jährlich erfolgte im »Felsenkeller« die qualitative Einstufung aller Musikgruppen des Kreises, an der auch unser Quartett teilnahm.

Die Sitzordnung des großen Saals erinnerte mich später an den Musikstadel oder an Biergärten vom Bayernland. Es herrschte eine gewisse Massenabfertigung, jedoch stets ordentlich, sauber und überschaubar.

In einer qualitativ deutlich höheren Kategorie präsentierte sich das »Haus des Friedens«. Bereits der Blick auf die Getränkekarte offenbarte dies. Bier und hochprozentige Spirituosen fehlten im Angebot. Einzig und allein ein Herrengedeck, bestehend aus Sekt und Bier, blieb ausgenommen, dazu Wein, Sekt und alkoholfreie Getränke. So wollte das Management Randale von vornherein unterbinden. Zumindest sollten sie die Ausnahme bilden.

In der anliegenden Bar genossen jüngere Jahrgänge im Pärchenbetrieb oder in geselligeren Runden Softdrinks: »Busenkoser«, ein Mix aus Eiweißschaum, Sahne und Likör, oder »Prärieauster«, eine Zusammenstellung aus Ketchup, Pfeffer, Soda und Likör. Wer seiner Partnerin am Tanzabend etwas bieten und ihr dadurch näherkommen wollte, lud sie eben in die Bar ein. Dort ließ sich dann gut Händchen halten.

Einst gesellte sich feiertags eine fröhliche Runde im Café zueinander. Die Stimmung stieg durch eine besondere Art Unterhaltung. Zwei Altersgenossen entnahmen den Tischvasen die frischen Primelsträuße. Sie hielten sich abwechselnd die grünen Stängel zum Abbeißen vor den Mund. Die wiederholten Bissund Kauaktionen wurden begleitet von lautem Gelächter der Runde. Zum Abschluss teilten sich beide Darsteller noch das Blumenwasser. Man sah es ihren säuerlichen Mienen an, dass das Grünfutter ganz und gar nicht ihrem Geschmack entsprach. Doch schließlich hatten sie ihre Wette gewonnen.

Nach 1990 schlossen sich die Türen des »Hauses des Friedens« vorerst, oder sogar für immer? Der bauliche Zustand erschreckt heute besonders meine Generation, die in diesem Haus so erlebnisreiche Stunden verbracht hat.

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