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Gerade erst ist Jan Sidanou im Duell mit den beiden Analvampirellas fast draufgegangen, da schlägt sein innerer Alarm schon wieder an. Er spürt dämonische Energie, aber er kann nicht zuordnen, was die Quelle des Bösen ist. Die Augenblicke der Wahrnehmung sind zu flüchtig. Daher hält er es anfangs noch für einen Streich, den ihm seine Wahrnehmung spielt und zweifelt sogar an seinem Geisteszustand. Aber dann wiederholt sich das Phänomen in kurzer Zeit mehrfach. Als Elodie, seine haitianische Mitbewohnerin, von ähnlichen Erfahrungen berichtet, ist klar, dass mehr dahinter steckt.
Parallel stellt Jans Freund Kommissar Stiegner fest, dass es zu einer Häufung ungewöhnlicher Vermisstenmeldungen kommt. Menschen aus gesicherten Lebensumständen verschwinden ohne Grund und ohne eine Spur zu hinterlassen. Besteht ein Zusammenhang oder ist es alles Zufall?
Ja weiter Jan Siddanou der Geschichte auf den Grund geht, desto bizarrer werden die Verwicklungen. Erst zum Ende hin und als es bereits fast zu spät ist, realisiert Jan, dass ein alter Bekannter erneut seine Finger im Spiel hat...
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Jan Sidanou:
Monsterdöner des Todes
von
Van Maddox
Text Copyright (C) 2016 Van Maddox
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Sigrid Limbach
Cover: Volker Emm
Analvampirin: Gegenspielerin von Jan Sidanou im vierten Band.
BAG: Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten
Datawarehouse: Kombination verschiedener Datenbanken, um eine große Menge vershiedener Informationsquellen zu verwalten
Inpol: Datenbank der Poliuzei, in der polizeilcihe Informationen bundesweit zur Verfügung gestellt werden
Hurenkiller: Gegenspieler von Jan Sidanou im 3. Band, der versuchte, über ein dämonisches Ritual, dass die Opferung von fünf weiblichen Herzen involvierte, einen Dämon zu beschwören.
Leet speak: Abgeleitet von 1337, was wiederum eine abgekürzte Schreibweise von Elite (gesprochen: eleet) ist und auf das Selbstverständnis von überwiegend jugendlichen Mitgliedern der sogenannten Warez-Szene um die Jahrtausendwende hinweist.
NWO: Abkürzung für 'New World Order', einem Begriff, unter dem eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien zusammengefasst wird. Eine der prominentesten Legenden ist der fiktive Text „Die Weisen von Zion“, der eine angebliche jüdische Weltverschwörung propagiert und nachweislich gefälscht ist.
Pervitin: Markenname für Methamphitamin. Pervitin wurde in der Wehrmacht des 3. Reichs auf verschiedenen Feldzügen massiv eingesetzt, um die Kampfkraft der Truppen zu erhöhen.
PK: Die hamburger Polizei ist in Polizeikommissariaten organisiert, die mit PK abgekürzt werden und dann nach Stadtteilen durchnummeriert sind.
POM: Abkürzung für Polizeiobermeister, ein Dienstgrad der mittleren Laufbahn bei der Schutzpolizei.
Rasterfahndung: Fahndungsart, bei der verschiedene Merkmale zu einem Raster zusammengefasst werden, das die Grundlage für die Suche nach einem Täter liefert. Kritisch ist hier die Aufhebung der Unschuldsvermutung, da dieses Raster dann auf eine größere Gruppe von Menschen angewandt wird, ohne, dass bei diesen ein konkreter Verdacht besteht.
Schupo: Polizist, der bei Schutzpolizei arbeitet.
Stabi: Abkürzung für die Staatsbibliothek Carl-von-Ossietzky, die Bibliothek auf dem Campus der Uni-Hamburg.
Dave Elborg: Ehemaliger Vormund von Jan Sidanou und Geschäftsführer des Firmenkonglomerates, das die Eltern von Jan einst gegründet hatten. Gleichzeitig Leiter des Damnets, eines weltweiten Netzwerkes, das sich den Schutz der Menschheit vor Dämonen zur Aufgabe gemacht hat und bereits seit dem frühen Mittelalter existiert. Darüberhinaus hat Dave selber übernatürliche Fähigkeiten.
Debbie van Leuwen: Rechte Hand von Dave im Damnet. Seitdem Jan Sidanou und Elodie aus Haiti nach Hamburg zurückgekehrt sind, hat sie ein Auge auf die beiden und kümmert sich darum Jan zu unterstützen seine ersten Gehversuche mit seinen neu erworbenen Fähigkeiten zu überleben.
Dani: Letztes Opfer des Hurenkillers, das von Jan im letzten Moment vor dem Schicksal gerettet worden war einem Dämon geopfert zu werden.
Elodie St Clair: Haitianische Dengueh-Mambo, eines Kultes, der schwarze Voodoo-Magie verherrlicht und einen abtrünnigen Loa auf die Erde zurückholen wollte. Die Beschwörung wurde von Jan Sidanou verhindert, seitdem ist sein Schicksal an das von Elodie gekoppelt, ohne, dass beide wissen, was dies genau für Folgen hat.
Genevieve: Stewardess der Air France, die Jan auf dem Flug nach Haiti kennengelernt hat und mit der er eine Affäre anfing. Es ist noch nicht klar, was daraus wird.
Jan Sidanou: Erbe von Sidanou Shipping und Waise, weil seine Eltern vor über zwanzig Jahren im Kampf gegen eine dämonische Bedrohung ums Leben gekommen sind. Er weiß erst seit kurzer Zeit, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich dem herkömmlichen Verständnis der Realität entziehen. Nachdem er einen Großteil seines Lebens als gewissenloser Partygänger verbracht hat, widmet er sich jetzt der Unterstützung des Damnets. Dies kollidiert immer wieder mit Rückfällen in sein altes leben aus Sex, Drogen und Verantwortungslosigkeit.
Jürgen Stiegner: Hauptkommissar bei der Hamburger Mordkommmission, der Jan im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung festgenommen hatte. Nachdem dieser sich ohne Probleme davonstehlen konnte und Stiegner erst den Impuls hatte sich zu rächen, haben die Erlebnisse im Fall des Hurenkillers dazu geführt, dass er Einblicke in die Tätigkeit des Damnets erhielt, die sein Weltbild nachhaltig umkrempelten. Mittlerweile verbindet ihn eine Freundschaft mit Jan.
Absolute Dunkelheit. Günther Schuberth-Losseck erwachte mit dröhnendem Schädel und tauben Gliedern. Es gab keinen Teil an seinem Körper, der nicht schmerzte. In der Hoffnung die Schwärze dadurch einfach wegwischen zu können, zwinkerte er zweimal kräftig mit den Augen, aber es brachte nichts. Es blieb schwarz um ihn herum. Schwarz und kalt. Die Luft roch leicht modrig. Er fröstelte. Er bemühte sich die in seinem Hirn schmerztrunken umherwabernden Gedanken zu fokussieren und sich zu erinnern, was passiert war. Einen Aufschluss darüber zu erhalten, wo er hier gelandet war. Und warum. Seine letzte Erinnerung datierte vom Rückweg. Elternabend in seiner Klasse. Die 8b. Es war überraschend entspannt gewesen, aber das kam manchmal vor, wenn die Zwischenzeugnisse noch nicht ihre drohenden Schatten vorauswarfen. Noch gab es keine panischen Eltern, die gerade realisierten, dass die Noten ihres Sprösslings nicht mit der angestrebten Versetzung in die nächsthöhere Klasse in Einklang zu bringen waren. Die ihn mit bebenden Lippen, das Hyperventilieren nur mühsam unterdrückend, unter Druck setzten, ihrem Spross bessere Noten zu verschaffen, damit er sich nicht vorzeitig von ihrem ausgeklügelten Bildungs- und Karriereplan verabschieden musste. Ein friedlicher Abend. Danach hatte er Tamara, die engagierte Referendarin, die gerade als Unterstützung in seiner Klasse unterwegs war, noch zu ihrem Auto gebracht. Schräge Situation. Er war sich seit einiger Zeit unsicher, ob sie ihm nicht ungeschickt gewisse Avancen machte. Bei dem, was das Institut für Lehrerfortbildung mit seinen Referendaren so anstellte, war es nicht verwunderlich, dass diese sich an jeden Halm klammerten. Und wenn der Halm die Arme eines erfahrenen Lehrers waren. Wenn ein Student während seines Studiums noch so blauäugig war hehren Bildungsidealen nachzuhängen, spätestens hier wurden sie ihm ausgetrieben. Das arme orientierungslose Ding. Nachdem er sie zu ihrem Auto gebracht hatte, schlug er den Weg zu Fuß nach Hause ein. Hatte er das wirklich? Nicht, dass sie ihn mit K.O.-Tropfen ausgeknockt hatte, um ihn zu verführen. Nein, das war absurd. Aber was war dann passiert? Seine Erinnerungen verließen ihn irgendwo auf dem Rückweg. Er konnte sich noch an die Abkürzung durch den Park erinnern. Diesen Weg genoss er immer besonders, gerade wenn er ihn nachts ging. Ein kleines Stück Dunkelheit in der hell erleuchteten Großstadt und bei klarer Nacht der Blick auf das Meer von kleinen Lichtern. Auf die Unendlichkeit oben am Firmament. Die Sterne. Der Große Wagen. Orion. Wunderschön. Die Synthese aus Frieden und unbegrenzten Möglichkeiten. Seine Schüler konnten sich glücklich schätzen. Sie waren noch reich an Möglichkeiten. Das war er auch mal gewesen. Vor langer Zeit. Damals. Er erinnerte sich daran, dass der Himmel klar gewesen war und er nach oben geschaut hatte. Und dann waren die Lichter ausgegangen. Respektive die Sterne. War er angegriffen worden? Die Schmerzen in seinem Kopf deuteten darauf hin. Ein Schlag mit einem harten schweren Gegenstand. Er tastete seinen Hinterkopf mit der Hand ab. Da war eine Beule und sie tat auf Druck höllisch weh. Fast hätte er schreien müssen. Sie war mit einer Kruste bedeckt, die gerade am Antrocknen war. Der Schlag musste so hart gewesen sein, dass die Haut aufgeplatzt war. Aber warum? Ein Scherz seiner Schüler vielleicht? Schöner Scherz. Es war noch nicht die Zeit der Abi-Streiche und für einen Abi-Streich wäre das wirklich eine Nummer zu groß. Oder wollte man ihn ausrauben? Dann wäre er vermutlich dort wieder aufgewacht, wo man ihn niedergeschlagen hatte. Erleichtert um etwa 30 Euro, die sich in seinem Portemonnaie befanden. Oder befunden hatten. Warum hätte man ihn sonst niederschlagen und verschleppen sollen? Ein sexuelles Motiv schloss er aus. Alternde Oberstudienräte mit schütter werdendem Haar und Ansatz zur Bauchbildung waren so ziemlich die einzigen auf dieser Welt, die noch nicht Objekt eines Fetisches mit eigenem Pornokanal im weltweiten Web geworden waren.
Ein blechernes Knistern rief ihn aus seinen Gedanken. Ein Interferenzgeräusch aus einem Lautsprecher. So, wie wenn man gerade einen Verstärker anschaltete und die dabei kurz auftretende Spannungsspitze die Elektronik strapazierte. Noch ein Knistern. Dann eine blechern klingende Stimme.
„Willkommen im letzten Akt deines Lebens“, dröhnte es hohl und dumpf aus der Dunkelheit. Wie durch ein Metallrohr gesprochen.
Günther fragte sich, ob ihm diese Stimme mit einer Mischung aus leichter Heiserkeit und Hysterie bekannt vorkam. Ein Schüler? Im Geiste ging er diejenigen seiner Eleven durch, die er für verantwortungslos genug hielt ihm einen solchen Streich zu spielen. Oder sollte er das Gesagte ernst nehmen? Erneut knisterte es.
„Ich habe dich gefangen. Nun werde ich dich jagen wie ein wildes Tier. Und zum Schluss werde ich dich erlegen.“
Danach Husten. Oder hysterisches Lachen. Es war schwer einzuordnen, aber der Sprecher befand sich in einem irgendwie gearteten Erregungszustand und hörte sich kaum zurechnungsfähig an.
Günther Schuberth-Losseck sann kurz darüber nach, dass der Wortlaut der Durchsage ziemlich unsinnig war. Man konnte jemanden, den man bereits gefangen hatte, schlecht jagen, es sei denn, man ließ ihn vorher wieder frei. Er spürte, wie sich Wut in ihm aufstaute. Wehe, wenn das Schüler von ihm waren. Er zweifelte nicht daran, dass es mehrere sein mussten. Wie hätten sie ihn sonst hierher bringen können. So leicht war er auch nicht. Wenn er diejenigen in die Finger bekam, die dieses armselige Spiel mit ihm spielten, dann würde es Verweise geben. Das war ein klarer Fall von Abflug von der Schule. Da halfen keine flehenden Eltern und keine Rechtsanwälte mehr. Der Ärger vertrieb den Anflug von Angst, der sich gerade bei ihm einstellen wollte. Nein, das könnte denen so passen, dass er sich einschüchtern ließ.
„Das wird böse für euch enden. Wenn ihr diesen schlechten Scherz nicht sofort beendet, dann fliegt ihr von der Schule!“, rief er seine Wut in die Dunkelheit.
Falls er erwartet hätte, dass er eine Antwort erhielt, so wurde diese Erwartung enttäuscht. Stattdessen hörte er Schritte.
„Na bitte“, dachte er bei sich. So schnell kriegten die Muffensausen. Jetzt würden sie ihn losmachen und klein beigeben. Das wäre ja auch noch schöner, wenn er sich von denen ins Bockshorn jagen ließe. Er war seit fast zwanzig Jahren Lehrer. Da konnte einen nichts mehr schrecken.
Dann passierte etwas, dass seinen Gemütszustand von einer Sekunde auf die andere umschlagen ließ. Es gab ein pfeifendes Geräusch und dann wurde er von etwas scharfem an der rechten Schulter und am Oberkörper erwischt. Die Luft blieb ihm fast weg. Einen Moment war da nur der Schreck, der ihn atemlos machte. Und dann, Sekundenbruchteile später, durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz. Das musste eine Peitsche gewesen sein. Er krümmte sich vor Schmerzen, bemüht nicht aufzuheulen, so weh tat es. Die Riemen schienen durch seine Jacke und das Hemd darunter hindurchgeschnitten zu haben und hatten brennende Striemen auf seiner Haut hinterlassen. Er spürte, wie Blut aus den Wunden trat. Empörung und Selbstbewusstsein wurde im Zeitraum eines Wimpernschlags zu panischer Angst. Übergangslos. Das Herz fing an wie wild zu klopfen. Er sprang auf und machte ein paar hastige Schritte zur Seite, um sich aus dem Einzugsbereich des Peitsche schwingenden Peinigers zu bringen. Dabei stieß er mit der linken Schulter schmerzhaft gegen eine Wand. Erneut konnte er nur mit Mühe ein Heulen unterdrücken. Dann hörte er wieder das bekannte Knistern.
„Dieses war der erste Streich!“, tönte es aus dem Lautsprecher, dessen Ort er noch immer nicht bestimmen konnte. Danach kam wieder hysterisches Kichern, das sich jetzt erheblich furchteinflößender für ihn anhörte, als noch vor ein paar Momenten. So stellte er sich das Lachen eines irren Psychopathen vor.
„Was wollen Sie von mir?“, schrie Günther zurück und hörte sich in seinen eigenen Ohren dabei ähnlich hysterisch an, wie die verzerrte Stimme.
„Wollen Sie mein Geld?“
Er griff in die Innentasche seiner Jacke und tatsächlich war dort noch sein Portemonnaie. Er holte es heraus.
„Ich habe nicht viel Geld, ich zahle meistens mit Karte, aber Sie können es haben.“
Er holte die drei Scheine heraus, die sich darin befanden. Er konnte zwar nichts sehen, aber er wusste, dass es sich um zwei Fünfer und einen Zwanziger handelte. Er knisterte damit, wie um seinem Peiniger zu signalisieren, dass es ihm ernst war.
„Es sind nur 30 Euro, aber sie gehören Ihnen. Ich lege sie hier hin.“
Erneutes Interferenzknistern. Einige Sekunden der Stille vergingen.
„Behalte dein Geld. Ich will nur eines von dir. Dein Leben!“
Diesmal gab es kein hysterisches Lachen mehr. Das Knistern erstarb und der Oberstudienrat vernahm jetzt Schritte von der rechten Seite. Panisch wandte er sich nach links und lief trotz der Dunkelheit ein kurzes Stück, ehe er durch einen am Boden liegenden Gegenstand zu Fall gebracht wurde und mit dem Ellenbogen hart auf dem Steinfußboden aufkam. Es knackte und ein stechender Schmerz durchzog seinen Arm. Ein heiseres Wimmern entwich seinen Lippen. Er bemühte sich um Fassung, um seinem Jäger nicht seinen Aufenthaltsort zu verraten, obwohl das Poltern dies vermutlich längst getan hatte. Dann nahm Günther Schuberth-Losseck seinen ganzen Willen zusammen, um die Schmerzen zu unterdrücken und erhob sich wieder. Er machte ein paar vorsichtige Schritte nach vorne, ehe er mit dem Kopf an ein Rohr an der Decke stieß. Ein Geräusch fast wie ein Gong, das direkt in die Nervenbahnen seines Gehirns übertragen zu werden schien.
„Achtung, die Decken sind nicht sehr hoch. Nicht wie bei dir zu Hause“, hörte er eine Stimme aus der Dunkelheit, aber diesmal nicht über den Lautsprecher. Wer immer es war, er war nicht weit weg. Und er kannte seine Wohnung. Hatte ihn ausgekundschaftet. Was war mit seiner Frau Marina? Er hatte das Gefühl zu fallen, als ihm bewusst wurde, was dies bedeutete. Hatte er sie auch? Lebte sie noch oder hatte der Psychopath bereits vorher seine perversen Spielchen mit ihr gespielt? Blanke Panik übernahm jetzt das Kommando über den Oberstudienrat. Ihm wurde plötzlich heiß und es kam ihm unerträglich stickig vor. Vielleicht bekam er hier nicht genügend Sauerstoff und würde schon deswegen langsam verrecken. Er griff nach oben, um das Rohr zu ertasten, an dem er sich gerade gestoßen hatte. Schon hörte er wieder das pfeifende Geräusch und dann erwischte ihn die Peitsche am Hals. Er konnte förmlich die Haut aufplatzen hören. Panisch wandte er sich um, um Distanz zwischen sich und dem Aufenthaltsort des Schlägers zu bringen. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Hektisch hastete er vorwärts, die Arme ausgestreckt, um nicht wieder mit der Wand zu kollidieren. Mehrfach stieß er mit den Fingern gegen irgendwelche Vorsprünge, Rohre und ähnliches. Riss sich dabei die Haut an der Hand auf und seine Finger knickten schmerzhaft um. Er hatte Schwierigkeiten sie wieder gerade auszustrecken. So tastete er sich so schnell und leise es ging an der Wand entlang, die rechts von ihm verlief, bis es nicht mehr weiter ging. Fast wäre er gegen eine weitere Wand vor ihm gelaufen, aber es gelang ihm in letzter Sekunde anzuhalten. Er keuchte. Wer immer ihn hier unten jagte, konnte ihn alleine schon an seinen Atemgeräuschen orten. Günther Schuberth-Losseck versuchte seine Atmung zu beruhigen, und das Keuchen zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. In seiner Angst hielt er einfach die Luft an. Statt der Atemgeräusche hörte er jetzt sein Herz wild pochen. Ob sein Gegner das hörte? Konnte er seinen Gegner auch hören? War da ein Knacken oder hatte er sich das eingebildet? Knackte es in seinen Ohren, weil er die Luft anhielt? Er ahnte das nächste pfeifende Geräusch eher als dass er es hörte, aber der darauf folgende Schmerz war nicht nur eine Ahnung. Wieder fast die gleiche Stelle wie eben. Das Brennen klang in seinem ganzen Körper nach wie ein mit voller Kraft angeschlagener Klavierakkord des Horrors. Seine Nerven waren die Saiten. Wie konnte ihn sein Peiniger in dieser absoluten Dunkelheit überhaupt sehen? So leise es ging, setzte er sich wieder in Bewegung, tastete sich weiter voran. Er wusste nicht wohin nur, dass er den Platz verlassen musste, auf dem er sich gerade befand. Die Angst vor weiteren Peitschenhieben, vor weiteren Schmerzen, trieb ihn vorwärts. Nach links. Auch da endete die Wand bereits nach einigen Schritten. Weiter. Wahrscheinlich bewegte er sich gerade zurück zum Ursprungsort. Egal. Nur weiter. Etwas schlug ihm hart von hinten in die Kniekehlen und er ging fast zu Boden, konnte sich aber gerade noch auf den Beinen halten. Trotz der Dunkelheit beschleunigte er seine Bewegungen wieder, hastete durch die Dunkelheit. Er hatte das Gefühl, als würde es noch stickiger. Er knallte mit dem Kopf gegen ein Metallrohr, das von der Decke aus nach unten führte. Er schrie schmerzvoll auf. Das gleiche Rohr wie schon eben? Oder ein anderes? Die Geräusche waren ihm mittlerweile egal. Sein Gegner wusste so oder so, wo er war. Es knisterte wieder und wie zur Bestätigung war wieder das Kichern war zu vernehmen.
„Du bringst dich ja schon selber um. Da muss ich ja gar nichts mehr machen.“
Günther hastete weiter. Er wusste nicht wohin, wusste noch nicht einmal, ob es überhaupt einen Weg hinaus gab oder ob er sich einfach nur im Kreis bewegte. Wusste auch nicht, wie weit er schon gekommen war, aber er hoffte, dass es seinem Gegner die Sache erschwerte, wenn er in Bewegung blieb. Wieder strauchelte er und stolperte dann fast über etwas auf dem Boden, an dem er mit dem linken Fuß hängen blieb. Eine Stufe? Bisher hatte er noch keine Stufe wahrgenommen. Kurz keimte Hoffnung in ihm. War das der Weg nach draußen? Dann gebot ihm ein harter Schlag gegen den Oberkörper Einhalt. Etwas knackte. Ihm blieb die Luft weg und ein heftiger Stich fuhr ihm in die Brust. Er sah plötzlich Licht. Sterne. Dann detonierte ein weitere Schlag in seinem Magen und warf ihn in der Dunkelheit zurück. Wahrscheinlich eher ein Tritt. Er taumelte, fiel, verlor die Orientierung, wusste nicht mehr wo unten und oben war. Mit Kopf und Ellenbogen schlug er hart auf dem Boden auf. Trotz einsetzender Benommenheit bemühte er sich verzweifelt darum seinen Körper wieder unter Kontrolle zu kriegen. Nicht liegen bleiben, auch wenn etwas in ihm nahe daran war aufzugeben und sich in sein Schicksal zu fügen, aber das durfte er nicht. Schon traf ihn ein weiterer Tritt in die Seite. Die Schmerzen verloren den Bezug zu einzelnen Körperteilen, wurden zu einem Meer aus Reizen, das über ihn hinwegschwappte wie eine große Welle. Weitere Tritte. Er konnte kaum mehr atmen. Ein Stakkato der Gewalt. Er hörte das Keuchen desjenigen, der ihm das antat vermischt mit seinem eigenen Keuchen und seinen Schmerzensschreien, die er selber nur wie aus der Distanz wahrnahm. Und dann war Ruhe. Oberstudienrat Schuberth-Losseck hatte sich in sein Schicksal gefügt. Es war nur noch dicker roter Nebel um ihn herum, der alles unterdrückte, ihn zudeckte. Der Widerstand war erlahmt. Er sah nicht mehr die verzerrte Fratze im Licht einer Taschenlampe, die sich sein Peiniger als letzte visuelle Gräueltat aufgespart hatte, spürte kaum noch, wie dieser dann seinen Oberkörper ergriff und ihn hochzog. Wie er ihm eine Garotte um den Hals legte. Sie zog sich langsam zu. Einen Moment nur nahm er den Druck an seinem Hals wahr, das dünne Metallband, dass sich in die Haut unterhalb seines Kinns grub und dann ins Fleisch drang. Vor seinem inneren Auge wurde es endgültig dunkel um ihn.
Oberstudienrat Günther Schuberth-Losseck sah nicht mehr, wie das Licht anging. Der Mann, der eben noch hinter ihm gekauert hatte, während er ihm mit der Garrotte beim Erdrosseln fast den Hals durchtrennte, nahm sein Nachtsichtgerät ab und musterte mit grotesk erweiterten Pupillen den leblosen Leib auf dem Boden. Wie zu einer lautlosen Musik wiegte er seinen Körper im Tanz hin und her, drehte sich im Flackern der Neonröhre an der ungetünchten betongrauen Decke um seine eigene Achse und grinste befriedigt. Schließlich ergriff er die Füße und zog ihn zu einem Durchgang, dessen Tür er mit einem rostigen Schlüssel öffnete. Er zog den toten Oberstudienrat hindurch und wuchtete ihn dann auf einen Stahltisch. Um den Stahltisch herum waren ordentlich verschiedene Instrumente aufgereiht. Ein Hackebeil, eine Knochensäge, mehrere lange Fleischermesser, eine Geflügelschere und zwei kleinere Messer warteten darauf benutzt zu werden. Im Hintergrund sah man einen Industriefleischwolf. Über dem Tisch war eine elektrische Säge an einem Schwenkarm montiert.
„Mein Mann ist verschwunden.“
Polizeiobermeister Jens Schützinger blickte die ihm gegenübersitzende Frau ausdruckslos an. Nicht, weil er kein Mitleid mit potentiellen Opfern von Straftaten hatte, sondern eher, weil er in einem Buch über Verhörtechniken gelesen hatte, dass man sein Gegenüber manchmal damit aus der Reserve lockte, wenn man nicht wie erwartet reagierte. Und diese Frau erwartete vermutlich Mitleid.
„Seit drei Tagen. Da hatte er abends noch einen Elternabend“, fügte sie hinzu.
„Ich war vorgestern schon hier, da hat man mich wieder weggeschickt und gebeten noch einmal einen Tag zu warten.“
Na, das ging doch. Wer weiß, was sie noch hervorbrachte, wenn er länger schwieg. Vielleicht, dass er deswegen verschwunden war, weil sie ihn heimtückisch die Kellertreppe hinuntergestoßen und danach zersägt und in die Tiefkühltruhe gelegt hatte. Auch, wenn sie nicht wie eine kaltblütige Mörderin aussah. Aber den wenigsten Mördern konnte man das an der Nasenspitze ansehen. Andernfalls wäre Polizeiarbeit deutlich einfacher.
Stattdessen sah sie aus, als ob sie sich ernsthafte Sorgen um den Aufenthaltsort ihres Mannes machte. Jens Schützinger betrachtete sie eingehender. Sie hatte schulterlange braune Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. In ihrem blassen ungeschminkten Gesicht war eine rotumrandete Hornbrille der einzige farbige Akzent. Nicht, dass sie hässlich gewesen wäre. Nein. Aber sie war tatsächlich erstaunlich farblos. So, als hätte man sie mit Photoshop nachbearbeitet und alles außer der Brille einfach schwarz-weiß gemacht. Der Rest an ihr war ähnlich nüchtern und unauffällig. Eine Barbour-Jacke und Bluejeans. Wer trug heutzutage noch Barbour-Jacken außer Frauen von Zahnärzten, die keinem richtigen Job nachgingen.
„Machen Sie da jetzt etwas?“, fragte sie ihn und ihre Gesichtszüge wirkten wie nahe vor dem Entgleisen. Ein Zucken um die Mundwinkel verriet ihren emotionalen Erregungszustand. Ihr Atem ging schnell. Die Hände zitterten. Entweder würde sie gleich auf ihn los oder … Die Tränen, die ihr in die Augen schossen, sprachen eine andere Sprache.
„Er ist noch nie weggeblieben“, schluchzte sie.
„Aber schon häufiger weggegangen?“
Die Frau, die sich als Marina Schuberth-Losseck vorgestellt hatte, schüttelte den Kopf.
„Nein, nie. Sehr selten. Nur zur Arbeit.“
„Als was hat ihr Mann denn gearbeitet?“
„Warum reden Sie in der Vergangenheit von ihm? Glauben Sie etwa, dass er ….“
Jens Schützinger verfluchte in diesem Moment alle Menschen, die jedes Wort auf die Goldwaage legten. Das hatte er am vergangenen Freitag schon gehabt. Eine ganz ähnliche Situation. Warum entschieden sich im Moment eigentlich im Bezirk Mitte so viele Leute dafür ein neues Leben anfangen zu wollen?
Danach begann er die Vermisstenanzeige ordnungsgemäß aufzunehmen. Gunther Schuberth-Losseck, neunundvierzig Jahre alt, seit sieben Jahren verheiratet mit Marina Schuberth-Losseck. Vorher Marina Losseck mit ohne Schuberth. Dreiunddreißig Jahre alt. Ganz schöner Altersunterschied. Konnte so etwas gutgehen? Die war etwa so alt wie er. Und wenn er sich vorstellte mit einer neunundvierzigjährigen Frau... Also das war ja eine ganz andere Generation. Keine Kinder. Gunther Schuberth-Losseck verdiente seinen Lebensunterhalt als Oberstudienrat in einem Gymnasium in Eimsbüttel. Vermutlich gab es da ausreichend Schüler, die ihm keine Träne nachweinten. Ob es einer von denen war? Falls er nicht gerade in einem Puff hinter der tschechischen Grenze die Sau rausließ. Midlife Crisis und so. Vorgestern war er nicht von der Schule nach Hause gekommen. Es war laut seiner Frau schon extrem ungewöhnlich, wenn er nicht auf die Minute pünktlich war. Und gar nicht kommen, ohne Bescheid zu sagen, war unvorstellbar. Ein kleiner Pedant also. Mathe und Deutsch hatte er als Fächer. Freunde und Verwandte hatte sie durchtelefoniert. Seinen Kumpel Frieder auch. Der war ebenfalls Lehrer. Seine Exfrau Sibylle, Lehrerin, auch. Mutter, Vater, die Schwester Jutta, die übrigens auch Lehrerin war. Keiner hatte etwas von ihm gehört. Die Frage, ob sie auch Lehrerin sei, hatte sie etwas pikiert verneint. Er hatte genügend Feingefühl besessen sie nicht zu fragen, ob sie mal seine Schülerin gewesen wäre.
Zum Abschluss gab es die üblichen beruhigenden Worte. Über die Hälfte aller Vermisstenmeldungen erledigen sich innerhalb von einer Woche. Die meisten davon lösten sich in Wohlgefallen auf. Das Alter ihres Mannes wäre typisch für die Midlife-Crisis. Frau Schuberth-Losseck waren zwar keine Symptome aufgefallen, aber es kam alles andere als selten vor, dass Männer mit Ende vierzig entschieden, dass ihrem Leben die rechte Würze fehlte und anfingen ziemlich dumme Dinge zu tun. Bei einigen kam es früher, bei einigen später. Bei anderen hörte es gar nicht mehr auf.
Beim Mittagessen mit seinem Kollegen Jürgen von der Kripo regte er sich immer noch darüber auf, was für ein bürokratischer Aufwand für ihn hinter so einer Vermisstenanzeige steckte. Das war noch um ein vielfaches schlimmer als ein gestohlenes Fahrrad. Und die blieben zumindest meistens gestohlen und tauchten nicht einfach so zwei Tage später unversehrt wieder auf. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Blumenstrauß in der Hand als Entschuldigung. Ach, Jürgen hatte es gut. Bei ihm kam der bürokratische Aufwand eher nachgelagert vor, wenn er Abschlussberichte tippen durfte. Aber da war wenigstens was passiert. Die bei der Kripo waren ohnehin besser dran als er armes Schupo-Schwein.
„Und das ist der Dritte diese Woche. Wenn so etwas wie die Midlife-Crisis ansteckend wäre, würde ich sagen, es geht ein Virus um“, sagte Jens Schützinger, während er mit seinen Augen den griechischen Imbissbesitzer fixierte und hoffte ihn dadurch dazu zu bewegen, mit seinem Gyros-Schneider etwas fixer zu Werke zu gehen, damit das hohle Knurren in seinem leeren Magen endlich aufhörte.
Jürgen kuckte erstaunt.
„Drei Vermisste in einer Woche? Hört sich nicht so spektakulär an.“
„Nee. Aber das sind mal richtig ungewöhnliche Fälle. Solche Leute verschwinden normalerweise einfach nicht so.“