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Eine Tote am Strand von Yarmouth. Die Frau ist mit einem Schnürsenkel erdrosselt worden. Fiel sie einem Psychopathen zum Opfer? War es Raubmord? Faktenreich und mit psychologischem Gespür schildert der junge Gerichtsreporter Edgar Wallace die beinahe aussichtslose Suche der Ermittler nach dem brutalen »Schnürsenkelmörder«. Eine True-Crime-Story von Edgar Wallace in deutscher Erstübersetzung.
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Seitenzahl: 40
Edgar Wallace
Mord am Strand von Yarmouth
Aus dem Englischen übersetzt von
Melanie Krahmer
1. Auflage
Balladine Publishing Ltd & Co. KG, Köln
Copyright © 2019 Balladine Publishing
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Balladine
ISBN 978-3-945035-43-6
www.balladinepublishing.com
1
Morde, von Kriminellen begangen, die Kriminologen als Diebe der Kategorie D klassifizieren, treten prozentual betrachtet sehr häufig auf. Wer das ganze Jahr über Gerichtsverhandlungen mitverfolgt, ist in der Lage, eine Liste mit Namen zu erstellen, unter deren Trägern aller Voraussicht nach im Verlauf einer Generation ein Mörder zutage tritt.
Von Zeit zu Zeit jedoch entgeht ein Verbrecher dieser Sorte seiner Verurteilung. Es mag sein, dass er von der Polizei gesucht wird, aber die ernüchternde Erfahrung des Gefängnislebens, die möglicherweise Einsicht und Besserung bewirkt hätte, blieb ihm verwehrt. Er hat ein oder zwei Unterschlagungen geringfügiger Art begangen. Wahrscheinlich wurde er mit zwei oder drei dubiosen Methoden der Geldbeschaffung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in Verbindung gebracht. Diesen Vergehen können häufig Liebesaffären hinzugefügt werden und, wenn schon keine bigamistische Beziehung, so doch zumindest eine Ehe, die mit dem Verlassen der Frau endete.
Es gibt keinen gefährlicheren Kriminellen als einen kleinen Dieb, der – wie er glaubt – aufgrund seiner Cleverness und Geschicklichkeit den Konsequenzen für seine strafbaren Handlungen entgangen ist. Da er diese hohe Meinung von sich hat, begeht er Verbrechen um Verbrechen, bis der Augenblick kommt, in dem er, um den Folgen dieser aus Bosheit und Dummheit begangenen Taten zu entgehen, keinen anderen Ausweg mehr sieht, als ein menschliches Leben zu zerstören, von dem er annimmt, es stünde zwischen ihm und der Freiheit. Und er vertraut so sehr auf seine genialen Manöver, sich der Justiz immer wieder zu entziehen, dass er die teuflischsten Verbrechen plant, stets davon überzeugt, der Erfolg, der die Ausführung leichterer Vergehen begleitete, werde ihn auch bei seinen Bemühungen, der Strafe für ein Kapitalverbrechen zu entgehen, nicht verlassen.
Je schäbiger der Dieb, desto bösartiger der Kriminelle und desto niederträchtiger der Mord. Die berühmten Straftäter, die Deemings und Chapmans, töteten im großen Stil. Die Verbrechen eines kleinen Mannes wie Herbert John Bennett, der eine Weile als Hilfsarbeiter in der Rüstungsfabrik Woolwich gearbeitet hat, weisen eine gewisse Raffiniertheit auf, die ihnen hilft, sich einer Bestrafung für ihre leichteren Delikte zu entziehen, die aber keineswegs ausreicht, sie zu schützen, sobald der höchst komplexe Polizeiapparat in Gang gesetzt wird und sich die brillantesten Köpfe von Scotland Yard gegen sie zusammenschließen.
Bennett besaß nur eine lückenhafte Bildung, die er an einer Grundschule erworben hatte. Darüber hinaus trieb ihn bereits als Junge der Ehrgeiz an, einmal einer höheren Gesellschaftsschicht anzugehören als derjenigen, in die ihn die Umstände platziert hatten. Solch ein Ehrgeiz ist durchaus lobenswert und hat schon manchen Mann aus der Gosse in die höchsten Positionen im Land katapultiert – immer vorausgesetzt, dass es dem Aufsteiger weniger um den äußeren Anschein als um eine solide Grundlage für sein Weiterkommen ging.
Bennett jedoch, der in keiner Weise intellektuell auffiel, war um den Schein, nicht um das Sein bemüht. Im Alter von sechzehn Jahren machte er es sich zur Aufgabe, Defizite in seiner Bildung zu kompensieren. Er tanzte gern und trug sich mit dem Gedanken, so annehmbar Klavier spielen zu lernen, dass sich ihm Türen öffnen würden, die ihm bis dahin verschlossen waren.
Sein tastender Vorstoß, in die besseren Kreise aufzusteigen, brachte ihn mit einer jungen Frau in Kontakt, von der er annehmen musste, sie sei Teil dieser Gesellschaftsschicht, da sie viele der Fertigkeiten und Kenntnisse besaß, die ihm fehlten. Sie war nicht nur eine passable Musikerin, sondern beherrschte das Instrument tatsächlich gut genug, um Klavierstunden geben zu können.
Er war siebzehn, sie zwei Jahre älter, und er entwickelte ihr gegenüber eine Verliebtheit, die so leidenschaftlich wie kurzlebig war. Trotz seiner Jugend wies er eine bemerkenswerte Eloquenz auf. In ihrem Kopf drehte sich alles, wenn sie an die wunderbaren Perspektiven dachte, die er ihr ausmalte. Seine grandiosen Ambitionen raubten ihr den Atem, und als er ihr schließlich einen Antrag machte, nahm sie diesen an. Obwohl noch jung, entpuppte sich Bennett als stürmischer Liebhaber.
»Für jemanden seines Standes hatte er ziemlich große Rosinen im Kopf. Manchmal prahlte er so sehr, dass selbst die Menschen, die ihn am besten kannten, glaubten, er sei kurz davor, eine ungewöhnlich gute Stellung angeboten zu bekommen oder eine enorme Summe Geldes zu erben.«