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Eine verdeckte Ermittlung, zwei Betrügerinnen und Molly Murphy mittendrin …
Der neue historische Cosy Krimi für mörderisch gute Unterhaltung
Molly Murphy hat es als weibliche Privatdetektivin in einer von Männern dominierten Welt nicht leicht. Trotzdem versucht sie alles, um die geerbte Kanzlei in New York so gut wie möglich zu führen. Sie willigt sogar ein, verdeckt für das NYPD zu ermitteln, um zwei Betrügerinnen zu entlarven. Schon wenige Tage später findet Molly sich, getarnt als irische Cousine, in der teuren Villa von Senator Barney Flynn in der Uptown wieder. Flynns kranke Frau hofft, dass die betrügerischen Schwestern ihren toten Sohn kontaktieren können. Allzu bald führen Molly ihre Fragen in Gefahr – und sie braucht keinen Hellseher, um zu wissen, dass dieser Fall tödlich für sie enden könnte ...
Erste Leserstimmen
„Es macht einfach nur Spaß Molly Murphy bei ihren Ermittlungen zu begleiten. Eine wundervolle Detektivin!“
„Rhys Bowen hat mich noch nie enttäuscht. Ich lese jedes Buch von ihr und auch dieser Krimi hat mich wieder bestens unterhalten.“
„Cosy Krimi vom allerfeinsten. Ich habe gelacht, aber auch mitgefiebert.“
„Ich freue mich schon jetzt auf die nächsten Teile der Reihe meiner liebsten Cosy-Crime-Autorin.“
Weitere Titel dieser Reihe
Mord auf Ellis Island (ISBN: 9783960878018)
Mord in feiner Gesellschaft (ISBN: 9783960878025)
Mord am East River (ISBN: 9783960878032)
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Seitenzahl: 526
Molly Murphy hat es als weibliche Privatdetektivin in einer von Männern dominierten Welt nicht leicht. Trotzdem versucht sie alles, um die geerbte Kanzlei in New York so gut wie möglich zu führen. Sie willigt sogar ein, verdeckt für das NYPD zu ermitteln, um zwei Betrügerinnen zu entlarven. Schon wenige Tage später findet Molly sich, getarnt als irische Cousine, in der teuren Villa von Senator Barney Flynn in der Uptown wieder. Flynns kranke Frau hofft, dass die betrügerischen Schwestern ihren toten Sohn kontaktieren können. Allzu bald führen Molly ihre Fragen in Gefahr – und sie braucht keinen Hellseher, um zu wissen, dass dieser Fall tödlich für sie enden könnte ...
Deutsche Erstausgabe März 2020
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96087-804-9 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-274-3
Copyright © 2005 by Rhys Bowen. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: In Like Flynn
Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Übersetzt von: Martin Spieß Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von Shutterstock: © fotografaw, © LiliGraphie, © yukipon, © aimful, © Agnes Kantaruk, © Sun Shock Depositphoto: © [email protected] Korrektorat: Lennart Janson
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Eine verdeckte Ermittlung, zwei Betrügerinnen und Molly Murphy mittendrin … Der historische Cosy Krimi für mörderisch gute Unterhaltung
Dieses Buch ist meinen Freunden in der Krimi-Gemeinde gewidmet, besonders meinem nicht ganz so bösen Zwilling Meg Chittenden, die darunter leidet, für mich gehalten zu werden, und Lyn Hamilton, mit der ich Abenteuer erlebt habe, die von Schweinen bis Hummer reichen.
Die Krimi-Gemeinde besteht aus herzlichen, geistreichen und unglaublich großzügigen Menschen. Ich betrachte es als es Privileg, ein Teil davon zu sein.
Wie immer gilt mein besonderer Dank Clare, Jane und John dafür, dass sie sich die Zeit nehmen, um mir dabei zu helfen, meine Arbeit auszufeilen.
„Frühling? Gab es überhaupt Frühling dieses Jahr?“, fragte der Mann mit der feschen, braunen Melone. „Ach, genau. Ich erinnere mich. Es war an einem Mittwoch, oder nicht?“
Diese Bemerkung erzeugte kicherndes Gelächter bei den Frauen, die in Giacomini’s Fine Foods Schlange standen. Der Sprecher war neben dem alten Mr. Giacomini hinterm Tresen der einzige Mann im Geschäft. Er überragte uns alle und seine Anwesenheit hatte für Aufregung gesorgt. Es war ungewöhnlich, einen Mann im Lebensmittelladen zu sehen, da Kochen Frauenarbeit war. Er war gut gekleidet, trug eine Jacke mit Pepita-Karos, weiße Gamaschen und gut polierte Schuhe, anders als die kleinen, runden Bauerntypen, die diesen Laden sonst aufsuchten, der in einem immer noch hauptsächlich italienischen Viertel südlich des Washington Square lag. Allerdings schien er ganz glücklich, sich am Geplauder zu beteiligen, während er darauf wartete, dass er an der Reihe war.
„Er hat recht“, sagte die Frau vor mir und nickte. „Ich erinnere mich nur an einen einzigen frühlingshaften Tag in diesem Jahr. In meiner Erinnerung hatten wir bis Mitte April heulende Stürme.“
„Und dann wurde es über Nacht heißer als in der Hölle“, beendete der Mann für sie.
Seine letzte Bemerkung erntete allgemeine Zustimmung, obwohl einige der Frauen ob seiner beinahe fluchenden Ausdrucksweise erschreckt Luft holten. Es war ein schrecklicher Frühling gewesen, gefolgt von einer Hitzeperiode, auf die wir nicht vorbereitet gewesen waren. Für gewöhnlich machte es mir nichts aus, in Giacomini’s beengtem, kleinen Laden Schlange zu stehen, in dem der Geruch von Gewürzen und Kräutern halb vergessene Kindheitserinnerungen wachrüttelte. Aber heute war es beinahe zu heiß zum Atmen und die Gerüche waren überwältigend, besonders wenn sie sich mit den nicht so angenehmen Gerüchen muffiger Ausdünstungen und Knoblauch vermischten.
„Es heißt, drüben auf der Lower East Side gibt es Typhus“, sagte einer Frau und senkte die Stimme.
„Sie würden mich nicht dort erwischen, selbst wenn es keine Epidemie gäbe“, murmelte eine andere Frau. „Gedrängt wie die Sardinen sind sie in diesen Mietshäusern. Und sie waschen sich nie. Geschieht ihnen recht, dass sie krank werden.“
Mr. Giacomini schüttete Zucker in eine dreieckige Papiertüte, drehte sie zu und reichte sie der Frau an der Spitze der Schlange. „Noch etwas, Signora? Das wären dann ein Dollar fünfzig, bitte.“
Geld wechselte den Besitzer. Die korpulente Dame lud die Einkäufe in ihren Korb und versuchte dann, sich durch den schmalen Mittelgang an uns vorbeizudrücken. Freundliches Kichern wurde ausgetauscht, weil enger Kontakt nicht vermieden werden konnte. Als jede Frau der Reihe nach versuchte, sich gegen Behälter und Regale zu drücken, sah ich etwas, das ich kaum glauben konnte. Dieser Mann hatte in den offenen Korb der Frau direkt hinter ihm gelangt und ihre Geldbörse genommen. Mein Herz begann zu rasen. Ich fragte mich, ob ich es mir nur eingebildet hatte und was ich als Nächstes tun sollte. Er war eindeutig zu groß und zu stark, um von einer von uns überwältigt zu werden. Die Schlange bewegte sich vorwärts. Die nächste Kundin machte ihre Einkäufe. Ich musste schnell handeln, sonst würde der Mann die Spitze der Schlange erreicht und den Laden verlassen haben, ehe die arme Frau bemerkte, dass ihre Geldbörse fehlte. Ich konnte nicht einfach dastehen und nichts tun. Das ging gegen meine Natur, obwohl ähnlich kühnes und leichtsinniges Verhalten mich mehr als einmal im Leben in Schwierigkeiten gebracht hatte. Ich lehnte mich zu der Frau hinüber und zog an ihrem Arm. Sie drehte sich um und starrte mich überrascht an.
„Dieser Mann hat gerade Ihre Geldbörse gestohlen“, flüsterte ich.
Sie sah mich skeptisch an, dann blickte sie in ihren Korb hinab.
„Sie haben recht. Sie ist weg“, flüsterte sie mit entsetzter Stimme zurück. „Sind Sie sicher, dass er sie genommen hat?“
Ich nickte. „Ich habe ihn gesehen.“
„Was soll ich tun?“ Sie drehte sich um und blickte an dem großen Kerl hinauf.
„Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich hole einen Constable, dann haben wir ihn wie eine Ratte in der Falle.“ Ehe sie antworten konnte, murmelte ich etwas darüber, meinen Einkaufszettel zu Hause vergessen zu haben, dann schob ich mich aus dem Geschäft und rannte bis zum Washington Square. Am Südende des Platzes waren stets Polizisten zu finden, weil dort die New York University war und Studenten dafür bekannt waren, sich unberechenbar zu verhalten. Ich fand mühelos einen Polizisten.
„Kommen Sie schnell“, drängte ich. „Ich habe gerade einen Mann dabei beobachtet, wie er einer Dame die Brieftasche gestohlen hat. Wenn wir uns beeilen, wird er noch im Geschäft sein.“
„Sieht wie ein weiterer Taschendieb aus, Bill“, rief er einem anderen Constable zu, der auf der anderen Straßenseite stand. „Bin gleich zurück. Achte auf meine Pfeife, nur für den Fall, dass er Ärger macht. Ist es weit, Miss?“
„Giacomini’s in der Thompson. Beeilung, ehe er entwischt.“ Ich kämpfte das Verlangen zurück, seinen Arm zu packen und ihn hinter mir her zu zerren. Aber er machte sich mit mir zusammen bereitwillig trabend auf den Weg. Als wir Giacomini’s erreichten, lief ihm Schweiß über das runde, rote Gesicht. Wir betraten die warme, gewürzreiche Dunkelheit des Geschäfts, als der Mann am Tresen bezahlte.
„Ist er das, Miss?“, flüsterte der Constable.
Das war kaum eine notwendige Frage, da er immer noch der einzige Mann im Geschäft war, aber ich nickte. „Und die Dame hinter ihm – die im blauen Rock –, ihr hat er die Geldbörse gestohlen. Ich habe ihr gesagt, dass sie sich natürlich verhalten soll, bis ich mit Ihnen zurückkäme.“
„Gut gemacht, Miss. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde den Tunichtgut auf seinem Weg nach draußen überraschen.“ Der Constable stellte sich in die Türöffnung, gerade als der große Kerl sich umdrehte und sich an der Schlange vorbeibewegte.
„Nicht so schnell, Sir.“ Der Constable trat vor, um sein Vorankommen zu unterbinden. „Ich glaube, Sie haben etwas bei sich, das Ihnen nicht gehört.“
„Ist das so? Und was soll das sein?“, fragte der Mann mit geheuchelter Überraschung.
„Sie wurden dabei gesehen, wie Sie einer Dame die Geldbörse gestohlen haben.“
„Die Geldbörse einer Dame? Ich?“
„Meine Geldbörse“, sagte die Frau im blauen Rock.
Die übrigen Frauen im Geschäft fuhren herum um zuzusehen.
„Lächerlich. Wie können Sie es wagen, mir so etwas zu unterstellen?“ Der Mann versuchte, sich nach draußen zu drängen.
„Nun, meine Geldbörse ist aus meinem Korb verschwunden, und diese junge Dame sagt, sie habe gesehen, dass Sie sie genommen hätten“, sagte die Frau. Der Blick des Mannes heftete sich auf mich.
„Hat Sie das, ja? Und hat jemand anderes diese unverschämte Tat gesehen? Irgendeine andere der Frauen in dieser Schlange, die mich gut sehen konnten?“
Niemand antwortete. Einige Frauen wandten ihre Augen ab. Der Mann drehte sich um und blickte mich wieder wütend an.
„Ich weiß nicht, was Sie sich davon versprechen“, sagte er, „aber Sie können in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn Sie falsche Anschuldigungen gegen ehrenwerte Bürger machen. Nur zu, Officer. Durchsuchen Sie mich, wenn Sie müssen.“
„Wenn Sie ins Licht heraustreten würden, Sir. Und denken Sie nicht daran, wegzulaufen. Es sind etliche andere Officers in der Nähe.“
„Ich habe gewiss nicht vor, wegzulaufen, bis ich meinen Namen reingewaschen habe.“ Der Mann schritt durch die Tür und streckte die Arme von sich. „Nur zu. Durchsuchen Sie mich.“
Sein vollkommenes Selbstvertrauen entmutigte mich. Er hatte ein überhebliches Grinsen im Gesicht, während der Constable ihn durchsuchte. Er weiß, dass er die Geldbörse nicht bei sich hat, dachte ich. Dann durchschaute ich es plötzlich: Er musste sie bereits irgendwo versteckt haben, um sie später zu holen. Ich glitt ins Geschäft und sah mich verzweifelt um. Wenn ich er wäre, wo würde ich dann eine gestohlene Geldbörse verstecken? Er hätte sie mühelos auf den Boden fallen lassen und unter eines der Regale stoßen können, aber er hätte sich auf alle Viere herunterlassen müssen, um danach zu suchen – was überaus auffälliges Verhalten gewesen wäre. Also musste er einen Vorteil aus seiner Größe geschlagen haben. Auf der rechten Seite des Gangs standen Regale, die bis zur Decke gingen, gefüllt mit Flaschen und Dosen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, streckte meine rechte Hand zum obersten Regalbrett aus und wurde belohnt, als meine Finger ein weicheres, schlankeres Objekt ertasteten. Ich dehnte mich, streckte meine Hand noch weiter aus und schaffte es, den Gegenstand herunterzuwerfen. Dann schob ich mich an den Frauen vorbei, rannte nach draußen und wedelte triumphierend damit. Gerade rechtzeitig.
„Da. Ich hoffe, Sie sind zufrieden“, sagte der Mann. „Und glauben Sie mir, Ihr Chief wird davon erfahren.“
„Es tut mir leid, Sir, ich habe nur getan–“, begann der Constable, als der Mann auf dem Absatz kehrt machte.
„Lassen Sie ihn nicht gehen“, rief ich. „Hier ist die Geldbörse.“ Ich wedelte dem Constable damit zu, der den Mann am Arm packte. „Er hat sie aufs oberste Regalbrett gelegt, so hoch, dass niemand sonst sie sehen konnte. Er wollte später zurückkommen, um sie zu holen.“
„Sehr gerissen“, sagte der Constable. „Bedauerlicherweise war diese junge Dame gerissener.“ Er packte fester zu und der Kerl wirkte nicht länger selbstgefällig.
„Sie können mir nichts anhängen. Sie haben nur ihre Aussage. Jeder hätte die Brieftasche nehmen und dort hinlegen können. Sie selbst hätte sie nehmen können“, tobte er.
„Ich war die größte Frau da drin und ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um so hoch zu greifen. Jeder hätte mich bemerkt, wenn ich versucht hätte, dort hinaufzulangen. Aber Sie – Sie mussten nur vorgeben, Ihren Hut zu richten oder sich durch den Schnurrbart zu streichen.“
„Kommen Sie mit. Ich bringe Sie auf die Wache“, sagte der Constable. „Sie kommen auf die Polizeistation am Jefferson Market.“
„Ich gehe nirgendwo mit Ihnen hin.“ Der Mann befreite sich, stieß den Constable beiseite und rannte los. Sofort blies der Constable in seine Pfeife. Zwei andere Polizisten erschienen aus Richtung Washington Square. Es gab ein Handgemenge und der Mann wurde gepackt und festgehalten.
„Was hat er getan, Harry?“
„Hat versucht, einer Dame im Lebensmittelladen die Geldbörse zu stehlen“, sagte mein Constable, „nur ist ihm diese junge Dame hier auf die Schliche gekommen. Sie ist wirklich gerissen.“
„In Ordnung, auf die Wache mit ihm“, sagte einer von ihnen und sah mich anerkennend an. „Und Sie kommen besser auch mit, Miss, um unserem Sergeant Bericht zu erstatten.“
Ich wollte nicht zugeben, dass ich ungern auch nur in die Nähe der Polizeistation am Jefferson Market ging, da ich dort einst eine Nacht verbracht hatte, weil man mich für eine Frau gehalten hatte, die einer ganz anderen Profession nachging. Ich trottete neben ihnen her und war sehr zufrieden mit mir. Ich wurde ziemlich gut im Ermitteln, oder nicht? Aufmerksamer als der Durchschnittsmensch, mit geschärften Sinnen und rascherer Reaktion. Es war an der Zeit, dass die Polizei erkannte, wie nützlich ich war. Ein Jammer, dass ich Daniel Sullivan nicht von meinem Können berichten konnte.
„Ihr Kerle verschwendet eure Zeit“, sagte der Taschendieb und fiel in eine geläufigere Sprechweise zurück. „Unmöglich, dass Sie mir das anhängen.“ Dann blickte er zu mir zurück, als wolle er mich warnen. Ich begegnete seinem Blick, schenkte ihm mein berühmtes Queen-Victoria-Starren und fühlte mich immer noch einigermaßen stolz.
Wir überquerten den Platz und betraten die Marktanlage auf der entgegengesetzten Seite der 6th Avenue. Zerquetschte Früchte und Stroh übersäten den Bürgersteig und ein Karren wurde an uns vorbeigeschoben, auf dem sich Kohl auftürmte. In der Nachmittagshitze waren die Gerüche von verfaulendem Obst, Gemüse und Pferdemist penetrant. Die dreieckige Anlage beherbergte eine Feuerwache und dahinter die Polizeistation. Wir waren drauf und dran, Letztere zu betreten, als sich die Tür öffnete und einige Männer herauskamen, die so in ein Gespräch vertieft waren, dass sie uns erst bemerkten, als sie beinahe mit uns zusammenstießen.
Sie trugen keine Uniformen, reagierten aber augenblicklich auf unsere kleine Prozession.
„Was haben Sie da, Harris?“, fragte einer von ihnen.
„Wir haben den Kerl erwischt, nachdem er einer Dame die Geldbörse gestohlen hatte“, sagte mein Constable.
Mir fiel der halb amüsierte Gesichtsausdruck des Polizisten in Zivil auf, als er den Gefangenen beobachtete, der von den anderen Polizisten festgehalten wurde. „Bist du wieder ein böser Junge gewesen, Nobby?“, fragte er.
„Zur Hölle mit Ihnen“, sagte der Mann leichthin. „Auf keinen Fall hängt ihr Kerle mir irgendwas an. Hier steht Aussage gegen Aussage.“
Dann bemerkten sie mich. Ich versuchte ruhig und gelassen zu bleiben, obwohl einer von ihnen mir in dem Moment aufgefallen war, in dem er durch die Tür getreten war. Es war Daniel Sullivan, mein Ex-Liebhaber. Captain Daniel Sullivan von der New Yorker Polizei. Ich sah, wie sich seine Augen weiteten, als er mich erkannte.
„Die junge Lady hat diesen Gentleman dabei beobachtet, wie er die Geldbörse einer anderen Dame gestohlen hat“, erklärte mein Constable. „Und sie war klug genug, herauszufinden, wo er sie versteckt hatte.“
„Ist das so?“ Ich konnte spüren, wie Daniel mich ansah, obwohl ich seinen Blick nicht erwiderte. „In Ordnung. Bringt ihn rein und nehmt seine Personalien auf, Jungs. Ich bin sicher, er kennt den Weg so gut wie ihr.“
Als ich ihnen nach drinnen folgen wollte, packte Daniel mich am Arm.
„Bist du ob deiner Fähigkeiten als Detektivin so übermütig geworden, dass du entschieden hast, die Pflichten der New Yorker Polizei zu übernehmen?“, fragte er mit einer Stimme, die nicht gerade freundlich klang.
Ich sah zu ihm hinauf. „Ich war in einem Geschäft. Ich habe einen Taschendieb bei der Arbeit beobachtet. Glücklicherweise habe ich meinen Verstand gebraucht und war in der Lage dafür zu sorgen, dass er verhaftet wurde.“
„Für dich ist das nicht so glücklich wie du glaubst“, sagte Daniel. „Weißt du, wer der Mann ist?“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Er ist einer der Hudson Dusters, Molly. Du weißt, wer die sind, oder nicht?“
Ich wusste es, nur zu gut. Es gab drei Gangs, die Lower Manhattan beherrschten, und die Hudson Dusters waren eine davon. Ich war vor ein paar Monaten mit einer rivalisierenden Gang aneinandergeraten und hatte nicht das Bedürfnis, diese Erfahrung zu wiederholen.
„Ich muss dich nicht daran erinnern, was sie tun – oder doch, Molly?“, fuhr Daniel fort. „Und dieser Kerl, Nobby Clark, ist dafür bekannt, sehr nachtragend zu sein. Er hat aufs Geratewohl auf vier Männer geschossen, die ihn zuvor verhaftet hatten, weißt du.“
Er starrte mich an, während ich das verdaute. „Ich will nicht, dass du aussagst, wenn es zu einer Verhandlung kommt, ist das klar? Ich will, dass du dich aus dem Staub machst, ehe er freigelassen wird. Er weiß nicht, wie du heißt, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
Sein Griff um meinen Arm wurde fester. „Molly, wann lernst du es, dich nicht in Polizeiarbeit einzumischen?“
„Heilige Mutter Gottes, würdest du mich loslassen“, rief ich und schüttelte ihn von mir ab. „Ich habe nur getan, was jeder anständige Mensch getan hätte. Wenn es meine Geldbörse gewesen wäre, hätte ich gewollt, dass mich jemand warnt.“
Er seufzte. „Ich schätze, das stimmt. Und bei den meisten Taschendieben wäre es in Ordnung gewesen. Aber man kann sich darauf verlassen, dass du den Falschen findest. Komm. Ich begleite dich nach Hause. Wir lassen Nobby eine Weile in einer Zelle warten und lassen ihn dann frei.“
„Ihn freilassen? Aber er hat gestohlen.“
„Aussage gegen Aussage, wie er gesagt hat. Die Gangs bezahlen gute Anwälte. Sie würden ihn rauspauken und dann würde er kommen, um nach dir zu suchen. Mach dir keine Sorgen. Wir erwischen ihn, wenn es darauf ankommt.“
„Ich schätze, die Hudson Dusters bestechen euch, so wie es auch die anderen Gangs tun“, sagte ich.
Er sah mich wütend an. „Entgegen der landläufigen Meinung, steht die New Yorker Polizei nicht im Lohn der Gangs. Wir lernen lediglich, welche Kämpfe es sich auszufechten lohnt und welche nicht. Wenn Nobby wegen Taschendiebstahl angeklagt wird, verschwindet er allerhöchstens für ein paar Monate. Ich würde lieber darauf warten, ihm etwas Großes anzuhängen.“
Er versuchte, mich in Richtung Bordstein zu lenken.
„Warte“, sagte ich. „Ich gehe nicht nach Hause. Ich muss noch meine Einkäufe erledigen.“
„Ich will nicht, dass du in diesen Laden zurückgehst.“ Daniel sah mich weiterhin finster an. „Du gehst direkt nach Hause und ich lasse einen unserer Männer deine Einkäufe machen. Was wolltest du kaufen?“
Ich wollte Daniel nicht wissen lassen, dass meine Finanzen zuletzt ziemlich prekär gewesen waren – was der Tatsache geschuldet war, dass mir die Aufträge fehlten – und dass ich einige Scheiben kalte Zunge zum Abendessen kaufen wollte.
„Es ist in Ordnung. Nichts, was ich nicht morgen einkaufen könnte, schätze ich“, sagte ich. „Aber ich bin jetzt ein großes Mädchen. Ich kann allein über die Straße gehen.“
„Manchmal frage ich mich, ob das stimmt“, sagte er und lächelte.
Der aggressive Daniel war leichter zu handhaben als der lächelnde. Ich versuchte, vor ihm zurückzuweichen. Seine Finger glitten meinen Arm hinab, bis er meine Hand in seiner hielt und meine Finger untersuchte. „Noch kein Ring, wie ich sehe“, sagte er. „Dem bärtigen Wunder also noch nicht versprochen?“
„Wenn du dich auf Mr. Singer beziehst, so sind wir einander nicht wirklich versprochen, aber wir haben eine Abmachung“, sagte ich steif.
„Molly–“, setzte er mit verärgerter Stimme an.
„Und ich nehme an, dass du noch mit Miss Norton verlobt bist?“
„Ich glaube, sie wird meiner endlich überdrüssig“, sagte Daniel. „Sie sagte mir vor ein paar Tagen, ich sei langweilig und mir fehle Ehrgeiz. Das ist ein gutes Zeichen, würdest du nicht auch sagen?“
„Gut für wen?“, fragte ich. „Wirklich, Daniel, mein Leben ist zu geschäftig für müßige Gedanken an dich und Miss Norton.“
„Verfolgst du noch immer diese lächerliche Idee, Ermittlerin zu sein?“
Ich nickte. „Ich schlage mich ziemlich gut, wenn du es wissen willst. Fast so gut wie Paddy Riley.“
„Paddy Riley hat es das Leben gekostet“, rief er mir in Erinnerung.
„Davon abgesehen.“
Er überquerte neben mir die Straße und hielt am Eingang zum Patchin Place an, dem kleinen Nest, in dem ich lebte. „Ich muss zurück, aber von hier aus kommst du klar, oder?“, fragte er.
„Ich kam auch vorher wunderbar klar“, sagte ich. „Ich kann wirklich auf mich selbst aufpassen, Daniel. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.“
„Aber das tue ich. Und ich denke oft an dich. Sag mir nicht, dass du nie an mich denkst.“
„Ich habe nie die Zeit“, sagte ich kurz angebunden. „Guten Tag, Captain Sullivan. Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben.“
Ich ließ ihn am Eingang zum Patchin Place stehen.
Ich blickte nicht zurück, während ich den Patchin Place hinunterging. Ich hatte diese Begegnung ziemlich gut bewältigt; tatsächlich war ich zufrieden mit mir. Ich hatte Daniel Sullivan gezeigt, dass er mich nicht länger in der Hand hatte. Ich hatte wie eine selbstsichere, erfolgreiche Frau gewirkt. Vielleicht sollte ich meinen Beruf augenblicklich wechseln und basierend auf dieser überzeugenden Darbietung meinen Stückeschreiber-Freund Ryan O’Hare nach einer Rolle in seinem nächsten Stück fragen.
Denn um die Wahrheit zu sagen, florierte mein Geschäft gerade nicht besonders. Ich kann nicht sagen, dass ich ein Vermögen als Privatdetektivin verdiente. J. P. Riley and Associates erhielt immer noch eine Vielzahl von Anfragen, aber wenn die Leute herausfanden, dass der Ermittler eine Frau war, schwand oft das Interesse. Die allgemein verbreitete Ansicht war, dass man nicht darauf vertrauen konnte, dass eine Frau diskret war. Frauen waren dafür bekannt, dass sie nicht in der Lage waren, den Mund zu halten. Das war auch Paddys Meinung gewesen, obwohl ich glaube, dass er dabei war, seine Meinung über mich zu ändern, als er getötet wurde. Ich vermisste ihn noch immer. Ich war immer noch wütend, dass er gestorben war, ehe er mir alle Tricks seines Handwerks beibringen konnte.
Ich stellte meinen leeren Korb ab und suchte nach dem Türschlüssel. Ich verspürte jedes Mal Stolz, wenn ich mein eigenes Haus betrat, noch dazu ein so hübsches, kleines Haus. Jetzt fragte ich mich, wie lange ich es noch würde behalten können. Seit einigen Monaten war kein Geld hereingekommen. Seamus O’Connor, der sich das Haus mit mir teilte, war beim Kaufhaus Macy’s entlassen worden, eine Stelle, die für die Weihnachtssaison geschaffen worden war. Jetzt war es Mai und er hatte noch keine neue Anstellung gefunden. Seine beiden Kinder Shamey und Bridie waren gute Esser, und das Geld schwand in erschreckendem Tempo. Es gab keinen Grund, wieso ich zwei Kinder durchfüttern sollte, die nicht einmal mit mir verwandt waren, außer der Tatsache, dass ich mein gegenwärtiges Leben in Amerika ihrer Mutter verdankte, die in Irland im Sterben lag. Und ich hatte sie liebgewonnen. Mittlerweile erschienen sie mir wie meine eigene Familie.
Ich ging hinein und sah mich verärgert um. Die Reste einer Mahlzeit übersäten den Küchentisch – das Brot war schief abgeschnitten und ich sah Kleckse von Marmeladen auf dem Wachstuch. Die Kinder waren nach der Schule offensichtlich nach Hause gekommen und wieder ausgegangen. Nun, sie machten sich besser auf eine gehörige Standpauke gefasst, wenn sie zurückkamen. Ich begann, ihre Unordnung aufzuräumen. Seamus war, wie es schien, nicht zu Hause. Ich bewunderte, dass der Mann jeden Tag auf der Suche nach Arbeit durch die Straßen zog. Das Problem war, dass er immer noch nicht stark genug war, um die Arbeit zu verrichten, die den neuangekommenen Iren zur Verfügung stand – und für etwas Besseres war er nicht geschult.
Ich seufzte, als ich das Brot in den Kasten zurücklegte. Irgendetwas musste bald geschehen, wenn ich Geld für Miete und Essen auftreiben wollte. Vielleicht mussten sich die O’Connors zusammen in ein Zimmer drängen und ich würde das dritte Zimmer an einen Pensionsgast vermieten. Aber der Gedanke daran, unser Zuhause mit einem Fremden zu teilen, war nicht verlockend.
Ich könnte natürlich jederzeit wieder einem Künstler meine Dienste als Modell anbieten. Ich musste lächeln, als ich daran dachte, wie Jacob darauf reagieren würde, wenn ich nackt für einen fremden Mann posierte. Trotz all seines Freisinns, glaubte ich nicht, dass er das gut aufnehmen würde. Der gute Jacob; er war derzeit das einzig Beständige in meinem Leben. Ich hatte mich bisher geweigert, mit ihm übers Heiraten zu reden, aber ich wurde schwächer. Ich muss gestehen, dass der Gedanke daran, geliebt und beschützt zu werden, selbst für eine Geschäftsfrau wie mich gelegentlich anziehend war.
An Jacob zu denken machte mir bewusst, dass ich ihn seit einigen Tagen nicht gesehen hatte und in diesem Augenblick ein wenig Liebe gebrauchen konnte. Es war keiner der Abende, an denen er bei Veranstaltungen seiner Arbeiterorganisation war, der Hebrew Trades Association, also sollte er zu Hause sein. Er könnte mich zu Borschtsch und Rotwein in unser Lieblingscafé ausführen. Trotz der Hitze, die die Bürgersteige abstrahlten, rannte ich fast über den Washington Square, dann den Broadway hinunter und in die Rivington Street.
Als ich in die sogenannte Lower East Side voranschritt, waren die Straßen verstopft von Handkarren und Verkaufsständen, die von den Texten jiddischer Lieder bis hin zu Essiggurken, Knöpfen oder lebenden Gänsen alles verkauften. Ein wahrhaftiges Orchester der Geräusche hallte von den hohen Wänden der Mietshäuser wider – das Schreien eines Säuglings, eine Violine aus einem oberen Fenster, die eine schwermütige, russische Melodie spielte, schrille, sich von einem Fenster zum anderen auf der gegenüberliegenden Straßenseite streitende Stimmen, Straßenhändler, die ihre Waren anpriesen. Es war eine Szenerie voller Leben und ich kostete sie aus, während ich vorübereilte.
Jacob lebte am hinteren Ende der Rivington Street, nahe dem East River. Der stechende Geruch des Flusses wehte mit der abendlichen Brise zu mir herüber. Er hatte ein Zimmer im dritten Stock des Gebäudes, aber es war groß und luftig, zur Hälfte Wohnraum und zur Hälfte Atelier für seine Arbeit als Fotograf. Er war ein wundervoller Fotograf und hätte ein gutes Auskommen haben können, wenn er nicht entschieden hätte, sich der sozialen Gerechtigkeit zu widmen und so ausschließlich Schauplätze des Elends zu fotografieren.
Die Eingangstür des Gebäudes stand offen. Zwei alte Männer saßen auf der Vortreppe, ihre langen weißen Bärte bewegten sich hin und her, während sie in ernster Unterhaltung gestikulierten. Sie sahen mich schräg an, als ich an ihnen vorüberging. Ich war auf dem Weg, einen jungen Mann zu besuchen, ohne eine Anstandsdame dabei zu haben. Solche Dinge waren in der alten Heimat unerhört. Ich grinste und sprang die Treppen hinauf, zwei Stufen auf einmal.
Oben angekommen hielt ich inne, um mir den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen und mein schwer zu bändigendes Haar zu zähmen. Ich konnte Stimmen hören, die sich hinter seiner Tür unterhielten. Ich klopfte und wartete. Die Tür wurde geöffnet.
„Jacob, ich bin am Verhungern und konnte nichts zum Abendessen kaufen, weil …“, begann ich, als mir bewusst wurde, dass ich einen fremden, jungen Mann anstarrte. Er trug die schwarze Kleidung und die langen Schläfenlocken, die von strengeren, jüdischen Männern bevorzugt wurden, und er sah mich voller entsetztem Erstaunen an.
„Oh, hallo“, sagte ich. „Ich bin gekommen, um Mr. Singer zu besuchen.“
Die Augenbrauen hoben sich noch weiter. „Mr. Singer. Nicht hier“, sagte er in gebrochenem Englisch, wobei der wuchernde Bart zitterte, als er heftig den Kopf schüttelte.
„Oh. Wann wird er wieder zurück sein?“, fragte ich.
Das schien er nicht zu verstehen. Ich hatte keine Ahnung, was er in Jacobs Zimmer tat und wer sonst noch mit ihm im Zimmer war, aber er würde mich zweifellos nicht hereinlassen. Ich war drauf und dran, meine Niederlage einzugestehen und wieder nach Hause zu gehen, als Schritte von Stiefeln die Treppe heraufkamen und Jacobs Gesicht erschien.
„Molly!“ Er klang überrascht und erfreut, aber auch argwöhnisch. „Was tust du hier?“
„Brauche ich dieser Tage einen Termin, um dich zu besuchen?“, fragte ich und mein Blick neckte ihn.
„Selbstverständlich nicht. Es ist nur so, dass–“ Er hielt inne und blickte zu dem schwarz gekleideten, jungen Mann herauf, der uns beobachtete. „Es ist im Moment recht schwierig.“ Er wandte sich dem Neuankömmling zu und sprach rasch auf Jiddisch mit ihm. Ich hatte einige Worte dieser Sprache zu verstehen gelernt, aber nur, wenn sie langsam genug gesprochen wurden. Der junge Mann nickte und zog sich zurück. Jacob schloss die Tür und so blieben wir draußen zurück.
„Wer ist das?“, fragte ich und sah ihn mit belustigtem Gesichtsausdruck an. „Sag mir nicht, dass der Rabbi jemanden geschickt hat, weil du mit einer Schickse verkehrst.“
„Ich bringe dich wieder nach unten“, sagte er und packte fest meinen Arm.
Der Nachmittag schien aus Männern zu bestehen, die meinen Arm packten und mich in Richtungen führten, in die ich nicht gehen wollte.
„Was soll das alles, Jacob?“, fragte ich.
„Es tut mir leid, Molly, wirklich leid“, sagte er flüsternd, obwohl es im Treppenhaus niemanden gab, der uns hören konnte. „Es ist nur so, dass ... es im Moment ungünstig ist.“
„Das hast du bereits gesagt“, rief ich ihm in Erinnerung. „Was ist los, Jacob?“
Er blickte wieder die Treppe hinauf. „Dieser Mann, er ist mein Cousin, aus heiterem Himmel aus Russland aufgetaucht. Es sind drei, genau genommen. Mein Cousin und zwei Freunde. Sie hatten kein Geld und wussten nicht, wohin, also habe ich sie natürlich aufnehmen müssen. Unter anderen Umständen hätte ich dich ihnen vorgestellt, aber wie du gesehen hast, sind sie ziemlich streng in ihren religiösen Überzeugungen. Ein unbegleitetes Mädchen – ich korrigiere: ein unbegleitetes, nicht-jüdisches Mädchen – in mein Wohnquartier zu bringen, würde sie unfassbar schockieren. Also bis auf Weiteres …“
„Willst du, dass ich fernbleibe.“
Er sah mich mit Dankbarkeit im Blick an. „Ich glaube, das wäre weise. Du weißt, was ich von diesen antiquierten Traditionen und Bräuchen halte, aber sie sind gerade erst angekommen. Ich kann sie nicht zu bald mit zu viel konfrontieren.“
„Und wie hast du meine Anwesenheit erklärt?“, fragte ich eisig. „Bin ich die Verrückte vom Stockwerk unter dir? Die gekommen ist, um sich eine Tasse Zucker zu borgen?“
Er sah jetzt beschämt aus. „Ich habe gesagt, du seist eine Angestellte unserer Gewerkschaft.“
„Ich verstehe.“ Ich wandte mich von ihm ab und spürte, wie mir die Röte in die Wangen stieg.
Er legte mir die Hände auf die Schultern und versuchte, mich zu ihm zurückzudrehen, sodass ich ihn wieder ansah. „Molly, es tut mir leid. Das war dumm von mir. Mir fiel nur kein anderer Weg ein, dich vorzustellen, ohne sie zu verärgern.“
„Und dass du mich verärgerst? Das spielt für dich keine Rolle?“
„Selbstverständlich spielt es eine Rolle. Ich dachte, du verstehst das.“
„Und wird es immer so sein, Jacob?“, fragte ich kühl. „Wenn wir heiraten würden, müsste ich dann jedes Mal das Haus verlassen, wenn sich deine Verwandten nähern? Oder mich unter dem Bett verstecken? Oder mein Leben damit verbringen, so zu tun, als wäre ich eine deiner Gewerkschaftsangestellten?“
„Natürlich nicht. Jeder, der eine Gelegenheit hat, dich kennenzulernen, mag dich. Meine Eltern mögen dich.“
„Deine Eltern tolerieren mich.“
Jacob seufzte. „Diese Dinge brauchen Zeit. Wenn du in einer Kultur aufgewachsen bist und plötzlich in eine andere hineingeworfen wirst, in der ganz andere Regeln gelten, ist es nicht immer leicht, sich zu verändern. Ich bin ein moderner Denker. Ich bin für Veränderung. Viele Juden sind das nicht.“
Sein Griff um meine Schultern wurde fester. „Und vergib mir, ich habe dich nicht mal gefragt, warum du zu Besuch gekommen bist. Es ist doch alles in Ordnung, oder?“
„Ist es einer jungen Dame in deiner modernen Art zu denken nicht erlaubt, ihren männlichen Freund zu besuchen? Muss sie stets darauf warten, dass er sie aufsucht, wenn es ihm passt?“
Er lachte unbehaglich. „Nein. Natürlich nicht. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte ich deine Gegenwart willkommen geheißen.“
„Bei jeder Gelegenheit, es sei denn, einer deiner Verwandten oder Freunde besucht dich.“ Ich hob seine Hände von meinen Schultern. „Ich überlasse dich deinen Gästen, Jacob, und ich sehe dich, wenn es uns beiden gelegen ist.“
Ich schob mich an den beiden alten Männern vorbei, die immer noch tief versunken in ernster Unterhaltung auf der Vortreppe saßen.
„Es ist nur für eine kurze Weile, Molly. Nur, bis ich für sie eine eigene Bleibe gefunden habe“, rief er mir nach.
Ich ging weiter. Er folgte mir nicht. Ich kochte vor Wut. Ich hatte mich anfangs zu Jacob hingezogen gefühlt, weil ich ihn als verwandte Seele betrachtet hatte. Er war nicht an dämliche, gesellschaftliche Regeln gebunden. Er wollte die Dinge zum Besseren verändern. Jetzt schien es, als wäre er nicht die verwandte Seele, für die ich ihn gehalten hatte.
Ich ging schnell und bahnte mir den Weg durch die abendlichen Menschenmengen in der Rivington Street. Als ich auf den Broadway zulief, wurde die Straße vollständig von einem weißen, von zwei Pferden gezogenen Fuhrwerk blockiert. Als ich auf gleicher Höhe war, sah ich das rote Kreuz auf der Seite. Ein Krankenwagen. In der Lower East Side bekam man nicht viele von denen zu Gesicht. Die meisten Menschen konnten es sich nicht leisten, in einem guten, teuren Krankenhaus krank zu sein, und wollten nicht in ein Armenkrankenhaus, wo sie Gefahr liefen, noch kränker zu werden. Sie blieben zu Hause und wurden entweder wieder gesund oder starben. Ein paar Männer in weißen Uniformen hielten die Menge zurück, während eine Trage aus einem Gebäude getragen wurde.
„Noch einer“, hörte ich jemanden sagen. „Das sind jetzt drei allein in dieser Straße.“
„Was ist denn?“, fragte ich.
Der Kopf der Frau war trotz der Hitze in ein schwarzes Schultertuch gehüllt.
„Typhus“, flüsterte sie, als ob es Unglück brächte, es laut auszusprechen. „Sterben wie die Fliegen. Man bringt sie ins Isolationskrankenhaus, aber dann ist es zu spät, oder nicht? Der Schaden ist angerichtet.“
Von der Tür kam Wehklagen, als die Trage im Krankenwagen festgeschnürt wurde und der Kutscher seine Peitsche knallen ließ, um die Menge zu vertreiben, die die Straße versperrte. Sie teilte sich, plötzlich stumm, als wollten die Menschen sich so weit wie möglich von der Krankheit distanzieren. Mir fielen einige Frauen auf, die sich ihre Schultertücher jetzt über den Mund gelegt hatten und andere, die ihren Säuglingen in den Kinderwagen die Betttücher über die Köpfe zogen. Ich eilte in Richtung hygienischerer Bereiche der Stadt und hoffte, dass Jacob vernünftig genug wäre, sich weit genug von jenen fernzuhalten, die an Typhus erkrankt waren, auch wenn ich wütend auf ihn war.
Der Washington Square lag im Zwielicht, als ich ihn überquerte. Die Überbleibsel eines rosafarbenen Glühens erleuchteten den Himmel hinter den Bäumen und die Luft war süß vom Geruch des Jasmin, der in einem der Beete wuchs. Ich wollte nicht nach Hause gehen und mich der Tatsache stellen, in der Speisekammer für drei hungrige Münder etwas zum Kochen finden zu müssen. Die Alternative war, meine Freundinnen Augusta Walcott und Elena Goldfarb zu besuchen, die man eher als Gus und Sid kannte und die auf der anderen Straßenseite lebten, was mir wie eine viel bessere Idee erschien. Aber als ich halb über den Platz war, hörte ich erfreute Schreie. Ich erkannte die Stimmen, drehte mich um und sah zwei schmuddelige Kinder, die sich gegenseitig mit Wasser aus dem Brunnen bespritzten.
„Shamey, Bridie. Kommt sofort her“, rief ich, sie kamen mit gesenkten Köpfen und lächelten mich verlegen an.
„Was glaubt ihr, tut ihr hier, so spät in diesem Zustand herumzurennen?“, verlangte ich zu wissen. Von Nahem betrachtet, sahen sie sogar noch schäbiger aus. Die Haare klebten ihnen an den Köpfen und ihre Kleider waren durchnässt.
„Heilige Mutter Gottes, was habt ihr angestellt?“, fragte ich.
„Wir haben nur ein kleines bisschen im Brunnen gespielt“, sagte Shamey, der meinen Blick nicht erwiderte. „Es war zu heiß.“
„Haltet ihr mich für eine komplette Idiotin?“ Ich sah sie wütend an. „Ihr wart wieder im Fluss schwimmen, oder nicht?“
„Wir haben nur die Zehen ins Wasser gehalten“, sagte Shamey.
„Nur die Zehen ins Wasser gehalten! Seht euch nur an! Von Kopf bis Fuß durchnässt. Was habe ich darüber gesagt, im East River schwimmen zu gehen?“
„Aber Molly, es war heute heiß und unsere Cousins machen das andauernd.“
„Ich bin nicht für eure Cousins verantwortlich“, sagte ich. „Und ihr wisst, dass ich es nicht mag, wenn ihr sie besucht. Sie sind schlechter Einfluss. Kommt schon. Ab nach Hause mit euch.“ Ich packte sie an den Handgelenken und marschierte mit ihnen über den Platz zur Straße. „Und du hättest dich hüten sollen, deine Schwester mitzunehmen“, sagte ich zu Shamey. „Sie kann noch nicht richtig schwimmen. Sie hätte ertrinken können.“
„Nein, hätte sie nicht. Wir behalten sie im Auge. Sie hält sich sowieso nur an einem Seil fest und wippt am Steg. Sie springt nicht rein oder so.“
Ich seufzte. Trotz all meiner Bemühungen wurde Shamey zu einem kleinen New Yorker. Wir überquerten die Waverly und liefen Richtung 6th Avenue.
„Ich springe nicht rein“, sagte Bridie und sah entschuldigend zu mir herauf. „Ich bleibe nur am Rand, ehrlich, Molly.“
„Aber ich mag es nicht, wenn du in dem dreckigen Wasser bist, Liebling“, sagte ich und strich ihr das ihr am Kopf klebende, nasse Haar zurück. „Gott allein weiß, was in diesem Fluss ist.“
„Entschuldigen Sie, Molly“, murmelte Shamey.
Es war beinahe dunkel, als wir den Patchin Place erreichten.
„Ich mache heißes Wasser für ein Bad für euch zwei fertig“, sagte ich. „Und dann gibt es Brot und Milch und danach geht es sofort ins Bett.“
Ich eilte herum, erhitze Wasser und füllte die Zinkbadewanne für sie. Ich machte gerade die Milch für sie warm, als Seamus Senior nach Hause kam.
„Entschuldigen Sie, dass ich so lange aus war“, sagte er und hielt inne, um sich sein rotes, schweißbedecktes Gesicht mit einem dreckigen Taschentuch abzuwischen. „Ich traf einige der Kerle, mit denen ich früher am U-Bahn-Tunnel arbeitete. Sie haben mich auf ein paar Bier eingeladen. Sie finden es empörend, dass ich keine Entschädigung dafür bekommen habe, lebendig begraben worden zu sein. Sie sagen, ich sollte mir einen guten Anwalt besorgen und die Bastarde verklagen.“
Er sprach mit ungewöhnlicher Streitlust und ich glaubte, dass das Bier aus ihm sprach. Das ist oft so bei uns Iren. Ein paar Bier und wir sind bereit, es im Alleingang mit der Welt aufzunehmen.
„Wo nehmen Sie denn das Geld für einen Anwalt her?“, fragte ich und ignorierte weise, dass er in Gegenwart einer Dame ein Schimpfwort verwendet hatte. „Verwenden Sie Ihre Energie lieber dafür, eine Stelle zu finden.“
Während ich sprach, erkannte ich, dass ich anfing, zu klingen und mich zu verhalten wie eine Ehefrau. Ich schwieg augenblicklich. Seamus hatte immer noch eine Frau zu Hause in Irland, soweit wir wussten. Und ich war nicht im Begriff, ihre Rolle zu übernehmen.
„Ich habe versprochen, auf der anderen Straßenseite vorbeizuschauen“, sagte ich. „Da ist Brot und Milch für die Kleinen und in der Speisekammer ist Käse, wenn Sie nach all dem Bier noch hungrig sind.“
Dann floh ich und klopfte an die Tür der Hausnummer neun. Nach einer enttäuschenden Minute, während der ich dachte, dass sie nicht zu Hause wären, wurde die Tür aufgeworfen und meine Freundin Gus stand in all ihrer Pracht vor mir. Sie trug einen smaragdgrünen Seidenkaftan mit passendem Band um die Stirn und hielt eine lange Elfenbeinspitze mit einer Zigarette in ihrer freien Hand.
„Molly, meine Liebe“, rief sie aus. „Welch perfektes Timing. Ich habe Sid rübergeschickt, um dich zu holen, aber du warst nicht zu Hause. Komm rein, komm rein, los.“
Ich wurde halb hereingezogen.
„Du rätst nie, wer uns besucht und sich nach dir sehnt“, sagte sie. Ich hielt es für weiser, nicht zu raten. Man wusste nie, wer Sid und Gus vielleicht besuchte. Sie schob mich ins Wohnzimmer, das ergänzend zu den Gaslampen mit Kandelabern hell erleuchtet war.
„Hier ist sie, ich habe sie gefunden“, kündigte Gus triumphierend an. „Du kannst aufhören, zu schmollen, Ryan.“
Ich sah mich erfreut um. Auf dem blauen Samtsofa faulenzte mein guter Freund Ryan O’Hare, der verruchte und elegante Stückeschreiber. Neben ihm saß ein weiterer schlanker und hübscher junger Mann, der mich schweigend anblickte.
Ryan stand auf. Mit Rücksicht auf das heiße Wetter trug er ein besticktes Bauernhemd mit Rüschenärmeln, das vorne auf komische, opernhafte Weise offen war.
„Molly, mein Engel. Ich habe mich tatsächlich nach dir gesehnt“, rief er in seinem sanften, kultivierten Umgangston. „Wie lange ist es her?“
„Mindestens eine Woche, Ryan“, sagte ich und lachte, als ich seinen Kuss auf die Wange akzeptierte. „Und ich glaube, du hast mich kein bisschen vermisst.“ Mein Blick bewegte sich zu seiner schweigenden Begleitung und Ryan lachte entzückt.
„Scharfsinnig wie immer, meine Liebe. Das ist Juan. Er ist Spanier und spricht bisher wenig Englisch. Ich unterrichte ihn.“
„Ich wette, das tust du“, sagte Sid trocken.
Der dunkelhaarige, junge Mann lächelte weiter.
„Wo um alles in der Welt hast du ihn kennengelernt, Ryan?“, fragte Gus.
„Kellner. Delmonico’s. Letzten Donnerstag.“ Er tätschelte meine Hand. „Juan. Mi amiga Molly.“
Juan stand auf und verbeugte sich. Ich nickte im Gegenzug.
„Also bleibst du zum Abendessen, Molly? Wir beginnen gerade eine chinesische Phase“, sagte Gus. „Sid experimentiert mit Ente.“
„Das würde ich liebend gern“, sagte ich. „Ich bin gerade dem Familienleben auf der anderen Straßenseite entkommen.“
„Sehr ermüdend. Ryan, schenk Molly etwas Ingwerwein ein. Es sollte Reiswein sein, aber wir könnten keinen finden“, sagte Sid. „Und entschuldige mich, wenn ich zu meiner Ente in die Küche zurückmuss, ehe sie aus dem Topf flieht.“
„Sie lebt doch nicht noch, oder?“, fragte ich ängstlich. Man weiß bei Sid und Gus nie.
Sid lachte. „Natürlich nicht, Dummerchen. Aber ich brate sie bei schrecklich hoher Temperatur. Ich sollte sie im Auge behalten.“
„Ich glaube, ich komme besser mit und helfe dir, Sid“, sagte ich.
Ryan reichte mir den Drink, dann weigerte er sich, meine andere Hand loszulassen. „Komm schnell zurück, meine Liebe. Du weißt, dass ich mich nach dir verzehre, wenn du fort bist“, sagte er.
Ich lachte. „Ryan, du magst vielleicht nicht irisch klingen, aber du bist eindeutig so redegewandt. Tatsächlich bist du genau wie andere Männer.“
„Sag das nicht, hab Erbarmen.“ Er sah mich übertrieben entsetzte an. „Deine Worte sind Dolche in meinem Herzen.“
„Nun, du bist es aber. Süß und beflissen wie sonst was, wenn es ihnen passt, und wenn es ihnen nicht passt, dann existieren Frauen nicht.“
„Da spricht Verbitterung aus dir, Molly. Beziehst du dich auf Sullivan den Schwindler?“ Sid hielt inne und blickte von der Tür zu mir zurück.
„Nein, auf Jacob den Rückgratlosen“, blaffte ich.
„Jacob? Der gute, gütig, goldige Jacob, der nichts falsch machen kann? Der?“, fragte Gus unschuldig.
„Eben der. Ich habe meine Meinung über ihn geändert.“ Und ich erzählte vom Vorfall in der Rivington Street. „Ich komme zusehends zu dem Schluss, dass Männer ein höllisches Ärgernis sind“, schloss ich. „Das Leben liefe ohne sie viel reibungsloser.“
„Ah, aber denk doch, wie langweilig es ohne uns wäre, wenn wir euer fades Leben nicht aufheitern würden“, sagte Ryan und tätschelte meine Hand.
Sids Blick war plötzlich aufs Fenster gerichtet. „Wenn man vom Teufel spricht, Molly“, sagte sie.
„Sag mir nicht, dass Jacob gekommen ist, um sich zu entschuldigen!“ Ich zog den Vorhang zurück, um hinauszusehen.
„Nein, es ist Sullivan der Schwindler, drauf und dran, an deine Vordertür zu klopfen“, sagte Sid entzückt. „Glaubst du, er hat endlich seine Verlobte und ein Vermögen aufgegeben, um eine Chance auf die große Liebe zu bekommen?“
„Das glaube ich kaum“, sagte ich. „Ich war vor gerade mal zwei Stunden mit ihm zusammen und da war er noch verlobt. Selbst das schnellste Automobil könnte in dieser Zeit nicht nach Westchester County und zurück fahren. Nein, ich fürchte eher, dass er gekommen ist, um mir einen weiteren Vortrag darüber zu halten, wie gefährlich es ist, sich mit Gangs einzulassen.“
„Molly, sag mir nicht, dass du wieder Dummheiten machst“, sagte Gus, als ich fasziniert am Fenster stand und mich zerrissen fühlte, weil ich wissen wollte, warum Daniel mich besuchte, und weil ich ihm nicht wieder gegenübertreten wollte.
„Nicht absichtlich. Ich habe einen Taschendieb beobachtet und dafür gesorgt, dass er verhaftet wurde, nur stellte er sich als Mitglied einer ziemlich gewalttätigen Gang heraus.“
„Ach, Molly“, sagte Sid und schüttelte den Kopf. „Nun, wirst du rübergehen und ihm gegenübertreten oder willst du, dass wir dich verstecken?“
„Ich schätze, es ist besser, wenn ich …“, hob ich an.
„Nicht nötig“, fiel Gus ein und gesellte sich zu uns ans Fenster. „Diese lieben Kinder von dir schicken ihn gerade hier herüber. Wirklich, Molly, du musst sie besser in der Kunst des Lügens unterrichten.“
Ich wandte ihrem Gelächter den Rücken zu, als ich ging, um Daniel an der Eingangstür abzufangen.
„Wenn du gekommen bist, um mir wieder einen Vortrag zu halten–“, setzte ich an, als ich die Tür öffnete, ehe er klopfen konnte.
„Ich bin gekommen, um dich zum Abendessen einzuladen“, sagte er und schreckte vor meinem unerwarteten Angriff zurück.
„Und du weißt sehr wohl, was meine Antwort darauf sein wird. Ich gehe nirgendwo mit dir hin, bis du frei und unbelastet bist. Und da ich nicht glaube, dass du gelernt hast zu fliegen, seit ich dich heute Nachmittag gesehen habe–“
„Es ist rein geschäftlich“, unterbrach er mich, ehe ich zu Ende sprechen konnte.
„Geschäftlich? Was könnte es zwischen uns Geschäftliches zu besprechen geben?“
„Ich will dir einen Vorschlag machen.“ Und dieses schelmische Lächeln huschte über seine Lippen. „Einen streng geschäftlichen Vorschlag. Also, willst du ihn hören oder nicht?“
„Ich schätze, ich wäre eine Idiotin, wenn ich irgendein rechtmäßiges Geschäftsangebot ablehnte“, erwiderte ich frostig.
„Dann komm.“ Er streckte eine Hand aus und nahm meinen Arm. „Auf der Straße wartet eine Kutsche und ich habe eine Reservierung für acht Uhr.“
„Du warst dir sehr sicher, dass ich mitkommen würde.“
„Ich kenne dich zu gut, Molly Murphy. Ich wusste, deine Neugier würde die Oberhand gewinnen.“
„Aber ich muss mich umziehen, wenn wir zum Abendessen ausgehen.“
„Für mich siehst du so, wie du bist, gut aus. Verabschiede dich von deinen Freunden, dann gehen wir los.“
Er lächelte, als er mich zur wartenden Kutsche führte.
„Also was ist das für ein Geschäft, das du mir vorschlagen willst?“, fragte ich, als die Kutsche mit lebhaftem Getrappel anfuhr.
Daniel lächelte mich rätselhaft an. „Es wird sich alles später enthüllen“, sagte er. „Raus damit, bist du wirklich mit Erfolg Privatdetektivin?“
„Was spricht dagegen?“, antwortete ich und umging behutsam eine unverblümte Lüge. „Ich habe einen funktionierenden Verstand, ich bin aufmerksam und furchtlos. Warum sollte ich keinen Erfolg haben?“
Daniel nickte. „Ich bin beeindruckt, Molly. Als du diese verrückte Idee zum ersten Mal erwähntest, hätte ich gesagt, dass sie zum Scheitern verurteilt ist. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass irgendjemand eine Angelegenheit, die großes Feingefühl erfordert, einer Frau anvertrauen würde.“
Ich entschied mich, die Beleidigung zu ignorieren. „Es gibt Zeiten, da braucht es eine Frau“, sagte ich. „Kein Mann hätte verdeckt in der Bekleidungsindustrie ermitteln können, so wie ich es getan habe.“
„Du hast recht“, sagte er, „und das ist einer der Gründe, weshalb ich glaube, dass ich einen Auftrag habe, der genau das Richtige für dich ist.“
„Du hast wirklich einen Auftrag für mich?“
Er lachte. „Warum dachtest du, lade ich dich ein – um mich dir zu Willen zu machen?“
„Das hätte interessant werden können“, scherzte ich, ehe mich daran gemahnte, dass dieser Ausflug rein geschäftlich war.
„Du bist eine besondere Frau, Molly Murphy.“ Daniel hielt inne und beäugte mich einen Moment lang. „Jede andere Frau wäre rot oder vor Entsetzen ohnmächtig geworden.“ Dann riss er seinen Blick von mir ab und fuhr fort. „In Ordnung. Lass mich dir eine Frage stellen – was weißt du über die Sorensen-Schwestern?“
„Über wen?“
„Die Sorensen-Schwestern – Miss Emily und Miss Ella?“
„Habe nie von ihnen gehört.“
„Dann musst du der einzige Mensch in New York oder an der gesamten Ostküste sein, auf den das zutrifft“, sagte Daniel. „Sie haben Aufsehen erregt, als sie vor ein paar Jahren auftauchten, und sie werden immer noch von der Gesellschaft geliebt.“
„Was sind sie, Schauspielerinnen?“
Daniel lächelte. „Wer weiß. Vielleicht sind sie das. Sie behaupten, sie seien Spiritistinnen – sie sprechen mit den Toten. Du musst wissen, dass diese Stadt in den vergangenen Jahren regelrecht verrückt nach Spiritismus war und etliche Spiritisten ein Vermögen damit verdienten, liebe Verstorbene zu kontaktieren.“
„Wie seltsam“, sagte ich. „In Irland gibt es in den meisten Familien mindestens eine Person, die mit Geistern reden kann. Man hält das dort für ziemlich normal.“
Daniel lachte. „Unglücklicherweise haben wir Amerikaner diese Fähigkeit verloren, aber doch eine vereinte Sehnsucht danach, mit unseren Toten zu reden. Daher die Sorensen-Schwestern. Sie hielten große Séancen in Theatern und Hörsälen ab. Jetzt sind sie so wohlhabend und berühmt, dass sie nur noch private Séancen für reiche Müßiggänger abhalten.“
„Und wie betrifft mich das? Möchtest du einen lieben Verstorbenen kontaktieren?“
Er lehnte sich zu mir herüber und berührte meine Hand. „Ich bin sicher, dass sie Schwindlerinnen sind, Molly. Meine Kollegen und ich bei der Polizeitruppe sind davon überzeugt, aber niemand war bisher in der Lage, sie zu erwischen. Sie sind verdammt gut in dem, was sie tun – die Stimmen sprechen wie von weit entfernt, die schwebenden Köpfe, das Ektoplasma–“
„Das was?“
„Ektoplasma“, sagte er. „Es ist die dunstige, leuchtende Substanz, die der Körper eines Mediums während einer Trance ausstoßen soll. Ich habe es bei einer ihrer Séancen gesehen. Es war recht eindrucksvoll, wie es sich ganz dünn und grün umherwand.“
„Warum also glaubst du, dass sie Schwindlerinnen sind?“, fragte ich.
„Weil ich nicht an Ektoplasma glaube, weil es nicht möglich sein kann, mit den Toten zu reden und weil sie dadurch reich geworden sind, arme Schlucker zu täuschen.“
„Was genau soll ich tun?“
„Sie entlarven, natürlich.“
Die Kutsche wurde langsamer, als sie auf dem Broadway in den Theaterverkehr geriet. Helle Lichter blitzten auf den Anzeigetafeln. Die Gehwege waren überfüllt von Fußgängern.
Ich schluckte ehe ich sprach. „Und wieso glaubst du, dass ich sie entlarven kann, wenn die gesamte New Yorker Polizei dazu nicht in der Lage war?“
„Aus dem Grund, den ich dir gerade erklärt habe. Sie halten ihre Séancen jetzt ausschließlich in Privathäusern ab, wo es einfacher sein sollte, sie aus der Nähe zu beobachten.“
„Und wie glaubst du, soll ich zu einer privaten Séance eingeladen werden? Soll ich einen Haushalt als Dienstmädchen betreten?“
„Als Gast, meine Liebe“, sagte Daniel.
Ich lachte. „Oh ja. Ich habe einen ganzen Kaminsims voller Einladungen von den Vanderbilts und Astors.“
„Mach dir keine Sorgen. Ich arrangiere alles. Du hast von Senator Flynn gehört, nehme ich an?“
„Ich habe von ihm in der Zeitung gelesen. Er soll jung und schneidig sein, oder nicht?“
„Er sieht ein wenig so aus wie ich“, sagte Daniel, „allerdings nicht ganz so schneidig.“
„Die Arroganz dieses Mannes!“ Ich war drauf und dran, ihm einen Klaps auf die Hand zu geben, dann besann ich mich und zog sie im letzten Moment zurück.
Daniel spähte aus dem Fenster. „Wieso bewegen wir uns nicht? Ich erkläre, dass der Verkehr in dieser Stadt unerträglich wird. Hat jeder auf der Welt entschieden, heute Abend ins Theater zu gehen?“ Er schlug mit seinem Gehstock gegen das Kutschendach. „Lassen Sie uns hier raus, Kutscher. Es ist schneller, wenn wir gehen.“
„Sehr wohl, Sir.“ Der Kutscher sprang herunter und öffnete die Tür für uns. Daniel trat zuerst hinaus und half mir dann die Stufen hinunter. Der gesamte Broadway war ein einziges Gewimmel von Menschen, viele von ihnen elegant gekleidet, fürs Theater oder einen Besuch im Restaurant. Aber am Rand des Bordsteins standen Bettler, einige von ihnen verkauften Dinge, andere waren jämmerlich deformiert und hielten verzweifelt verdrehte Handflächen hervor. Ich erschauderte und wand mein Gesicht ab. Als ich in dieser Stadt ankam, hätte ich so leicht als eine von ihnen enden können. Waren sie mit denselben Hoffnungen und Träumen hergekommen?
Daniel bezahlte den Kutscher, nahm meinen Arm und führte mich an feinen Pinkeln und Bettlern vorüber.
„Wieso hast du mir von Senator Flynn erzählt?“, fragte ich.
„Ich habe einen Auftrag für dich, der ihn miteinschließt“, sagte er. „Geduld. Alles wird sich offenbaren, wenn wir das Restaurant erreichen.“
Er führte mich geschickt durch die Menge, bis wir vor einem diskreten Eingang zum Stehen kamen, der von eingetopften Palmen flankiert war. Über der Tür hing eine Markise und auf dem Schild stand MUSCHENHEIM’S ARENA. Ich fragte mich, was eine Arena sein mochte, da die einzigen Assoziationen, die das Wort heraufbeschwor, Gladiatoren und Löwen waren.
„Ist das das Restaurant?“, fragte ich.
„Das ist es. Eines der eleganteren Etablissements in der Stadt.“
„Du hättest nicht solche Umstände machen müssen. Ein normales Café wäre mir genug.“
„Ich will, dass du dich an gehobene Küche gewöhnst“, sagte Daniel, „immerhin wirst du bald in Senator Flynns Anwesen am Hudson dinieren.“
„Senator Flynns Anwesen?“ Ich musste lachen. „Und wie gedenkst du, dafür zu sorgen, dass ich dort eingeladen werde?“
„Du wirst als Senator Flynns verloren geglaubte Cousine aus Irland vorgestellt“, sagte er.
„Kaufen Sie für die Dame eine Blume, Sir?“ Ein halb verhungert aussehendes Mädchen in jämmerlichen Lumpen versperrte uns den Weg zur Restauranttür und hielt mit flehendem Blick eine Rose in der Hand.
Ich glaubte, sie gesehen zu haben, als wir aus der Kutsche gestiegen waren und bewunderte ihre Beharrlichkeit, uns so weit zu folgen.
Daniel war drauf und dran, sie beiseite zu schieben, dann gab er nach. „Oh, nun gut.“ Er wählte eine Rose für mich und eine Ansteckblume für sich und bezahlte das Mädchen. Sie wandte ihren Blick nicht von unseren Gesichtern und hatte dann zwei linke Hände, als sie an Daniels Münzen herumfummelte.
„Ach, behalt den Rest.“ Er schob sie ungeduldig beiseite. „Wirklich, das arme Ding ist ein Trottel.“
„Vielleicht bekommt sie nicht genug zu essen“, sagte ich und blickte zu ihr zurück. Sie sah uns mit einem sonderbaren Ausdruck im Gesicht an. Dann wurde die Tür von einem Mann in einer eleganten Livree geöffnet und wir traten ein. Drinnen war es im Vergleich zum Treiben und den Bettlern auf dem Broadway eine andere Welt. Es war eine Szenerie der Behaglichkeit und Eleganz – Tische mit weißem Tischtuch, beleuchtet von winzigen, berüschten Lampen, dazu das Glitzern von Glas und Silber. Ein elektrischer Ventilator drehte sich an der Decke, aber es war noch immer auffallend warm, sodass Daniel einen Tisch an einem offenen Vorderfenster erbat, um so viel wie möglich von der Brise mitzubekommen. Er bestellte das, wie es schien, teuerste Gericht für uns, dann reichte man ihm die Weinkarte.
„Einen französischen Champagner, denke ich“, sagte er und gab sie zurück, ohne sie zu öffnen. „Ihren Besten.“
„Also, erzähl weiter von Senator Flynn“, sagte ich, nachdem der Champagner gebracht, probiert und ausgeschenkt worden war und ich dem Kellner den Eindruck zu vermitteln versucht hatte, dass es ein alltägliches Ereignis in meinem Leben war, mit einem Glas Champagner vor mir in einem solchen Etablissement zu sitzen. „Ich bin neugierig. Hat er etwas mit den Spiritistinnen zu tun, von denen du mir erzählt hast?“
„Du musst von der großen Tragödie des Senators gehört haben“, sagte Daniel. „Ich bin mir sicher, dass es in Irland in den Zeitungen stand. Hier war es monatelang im Gespräch.“
Ich schüttelte den Kopf. „Wir hatten kein Geld für Zeitungen, also bezweifle ich, dass irgendwelche Neuigkeiten, die keine französische Invasion betrafen, die Grafschaft Mayo erreicht hätten.“
„Es war vor etwa fünf Jahren“, sagte Daniel. Er hielt inne und prostete mir zu. „Auf deine gute Gesundheit, Molly. Auf Erfolg in all deinen Unternehmungen.“ Wir stießen an.
„Erzähl weiter“, sagte ich, denn jede Spur von Innigkeit war nervenaufreibend.
„Barney Flynn kandidierte zum ersten Mal für den United States Senate. Mitten im Wahlkampf wurde sein kleiner Sohn entführt.“
„Wie schrecklich“, rief ich aus. „Der arme Mann. Wurde das Kind je zurückgebracht?“
Daniel schüttelte den Kopf. „Nein. Es war überaus tragisch. Der Erpresserbrief verkündete, dass das Kind in einem geheimen Versteck begraben worden war, irgendwo auf dem Anwesen der Flynns.“
Ich schnappte nach Luft. „Lebendig begraben?“
Er nickte. „In einer Spezialkammer mit einem Luftloch, damit Sauerstoff hineingelangen kann. Barney Flynn hat Anweisungen erteilt, das Geld zu übergeben, ohne Hin und Her. Alles, um seinen Sohn zurückzubekommen. Aber er hat den Fehler gemacht, die Polizei einzuschalten. Ein übereifriger Polizist hat den Entführer erschossen, als der kam, um das Geld zu holen.“
„Also haben Sie das Versteck des Kindes nie gefunden?“
„Nie. Sie haben mit Hunden überall auf dem Anwesen gesucht, und das ausgiebig, aber das Kind wurde nie gefunden. Das Anwesen ist natürlich riesig. Hunderte Morgen Wald und felsige Berghänge.“
„Es gab also nur einen Entführer? Er hatte keinen Komplizen?“
„Die Polizei hat gründlich ermittelt und es kam kein zweiter Entführer ans Licht, obwohl vermutet wurde, dass das Kindermädchen an der Sache beteiligt gewesen sei. Es war der Chauffeur der Flynns, weißt du. Und das Kindermädchen war mit ihm ausgegangen.“
„Aber sie wusste nicht, wo das Kind begraben sein könnte?“
„Sie leugnete jede Kenntnis des ganzen Plans.“
„Wie entsetzlich, Daniel. Wie tragisch für den Senator und seine Frau.“
„Sehr.“ Daniel seufzte. „Senator Flynn hat sich mit besonderem Elan in seine politische Arbeit gestürzt, aber seine arme Frau hat sich nie von dem Schock erholt.“
„Bekamen sie noch weitere Kinder?“
„Ein kleines Mädchen, ein Jahr später oder so, aber die Mutter trauert noch immer um ihren verlorenen Sohn. Sie hat sich kürzlich an die Sorensen-Schwestern gewandt und sie für diesen Sommer in ihr Haus eingeladen, sodass sie mit dem kleinen Brendan kommunizieren kann.“
„Ah.“ Ich sah ihn über mein Champagnerglas hinweg an. „Und du hättest mich gerne als Beobachterin dort.“
„Es ist die perfekte Gelegenheit. Ich kann es nicht selbst machen, da ich den Sorensen-Damen bekannt bin, und den Flynns auch. Wunderbar. Da kommt die Suppe.“
Wir unterbrachen unsere Unterhaltung, während wir uns durch einen cremigen Austerneintopf, dann einen Salat und dann eine Platte mit geräuchertem Fisch arbeiteten.
„Und wie soll ich als die Cousine des Senators durchgehen?“, fragte ich in der Pause, ehe das Hauptgericht gebracht wurde. „Gewiss kennt er seine Cousinen?“
„Glücklicherweise“, sagte Daniel, „entstammt der Senator einer sehr großen irischen Familie. Er wurde natürlich dort drüben geboren. Seine Eltern kamen während der Hungersnot her, ohne jeglichen Besitz. Barney wuchs in den schlimmsten Armenvierteln New Yorks auf. Wirklich ein Selfmademan. Zu seinem ersten Vermögen kam er, als er ein Lastschiff mietete, es bis Maine die Küste rauffuhr und mit dem Schiff voller Eis zurückkehrte. Er hat außerdem bis zur Vollkommenheit Tammany-Politik betrieben – ist vom Bezirksobersten bis in den Senat aufgestiegen. Und mit Tammanys Hilfe hat er den Eishandel in der Stadt übernommen. Jetzt ist er natürlich Millionär. Er hat reich geheiratet, was ebenfalls nicht geschadet hat. Aber er hat den Ruf, gegenüber allen Verwandten, die aus der alten Heimat herüberkommen, großzügig zu sein.“
„Ja, aber gewiss würde so ein gerissener Mann ein paar kleine Untersuchungen anstellen, falls ich auf seiner Türschwelle stünde und behaupten würde, seine verloren geglaubte Cousine zu sein?“
„Natürlich würde er das, weshalb deinem Besuch Briefe vorausgehen, in denen du dich vorstellst. Ich versorge dich mit einem vollständigen Familienhintergrund und der Familiengeschichte. Du musst deine Hausaufgaben machen, sodass du dich nicht verplapperst. Ich habe keine Zweifel, dass du das hinbekommen wirst.“ Daniel spielte mit seiner Gabel, als ein Brathähnchen zu unserem Tisch gebracht und vor unseren Augen tranchiert wurde. Es wurde begleitet von kleinen Kartoffeln, Perlzwiebeln und Erbsen. Eine großzügige Portion wurde vor mir abgestellt.
„Heilige Mutter. Das ist ein Fest“, rief ich aus, ehe ich mich daran erinnerte, dass ich für Daniel die erfolgreiche Detektivin spielen sollte – gewöhnt an das gute Leben. „Und aus Interesse, wer wird mein Honorar bezahlen, falls ich zustimme, den Auftrag anzunehmen?“
„Das Stadt natürlich – so wie die Polizei für jede verdeckte Ermittlungsarbeit bezahlt.“
„Und du wirst einen Vorschuss bereitstellen, falls ich den Fall übernehme?“
„Selbstverständlich. Fünfzig Dollar im Voraus, der Rest, wenn du zurückkehrst. Ein Bonus, wenn du die Sorensen-Schwestern entlarvst.“
„Das klingt sehr verführerisch.“ Meine Gedanken wanderten zur leeren Speisekammer und der Miete des nächsten Monats.
„Dann lass dich einmal verführen. Es kommt dieser Tage nicht oft vor, dass ich dich verführen kann.“
Sein Blick begegnete meinem, als er mit einer Gabel voll Hühnchen vor seinen Lippen innehielt.
„Das ist ein rein geschäftliches Abendessen, denk dran“, sagte ich.
Daniel grinste, dieses schalkhafte, attraktive Lächeln. Das erste Glas Champagner stieg mir zu Kopf. Champagner war noch immer eine solche Neuheit für mich, dass er einen seltsamen und überwältigenden Effekt auf mich hatte.
„Natürlich“, sagte Daniel. „Rein geschäftlich.“
Ich konzentrierte mich darauf, mein Hühnchen in Angriff zu nehmen.