Mörderfinder – Das Muster des Bösen - Arno Strobel - E-Book

Mörderfinder – Das Muster des Bösen E-Book

Arno Strobel

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Beschreibung

Max Bischoff, begnadeter Fallanalytiker, ermittelt in seinem 5. Fall – Der neue Thriller von Nr. 1-Bestseller-Autor Arno Strobel Fallanalytiker Max Bischoff und Handschriftenexperte Marvin Wagner stehen kurz vor der Eröffnung ihrer gemeinsamen Detektei WaBi Investigations, als in Düsseldorf der neunjährige Sohn eines Richters entführt wird. Ausgerechnet ein Häftling will nun, dass Max und Marvin in der Sache ermitteln. Rainer Klinke sitzt wegen Entführung einer Minderjährigen in U-Haft und fürchtet, dass er eine Mitschuld an dem aktuellen Fall tragen könnte.  Denn der Täter, der den Jungen in seiner Gewalt hat, hat Kontakt mit Klinke aufgenommen, will ihm zeigen, wie es »richtig geht«, damit die, die es verdient haben, bestraft werden. Als der entführte Junge tot aufgefunden wird und erneut ein Kind verschwindet, ist Max und Marvin klar, dass ihnen extrem wenig Zeit bleibt, einen weiteren Mord zu verhindern. Und einen Irren zu stoppen, der vor nichts zurückschreckt, um seine eigene Vorstellung von Gerechtigkeit wahr werden zu lassen.

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Seitenzahl: 350

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Arno Strobel

Mörderfinder

Das Muster des Bösen

Thriller

 

 

Über dieses Buch

 

 

Fallanalytiker Max Bischoff und Handschriftenexperte Marvin Wagner stehen kurz vor der Eröffnung ihrer gemeinsamen Detektei, als in Düsseldorf der neunjährige Sohn eines Richters entführt wird. Ausgerechnet ein Häftling will nun, dass Max und Marvin in der Sache ermitteln. Rainer Klinke sitzt wegen Entführung einer Minderjährigen in U-Haft und fürchtet, dass er eine Mitschuld an dem aktuellen Fall tragen könnte. Denn der Täter, der den Jungen in seiner Gewalt hat, hat Kontakt mit Klinke aufgenommen, will ihm zeigen, wie Gerechtigkeit »wirklich geht«.

Als der entführte Junge tot aufgefunden wird und erneut ein Kind verschwindet, ist Max und Marvin klar, dass ihnen extrem wenig Zeit bleibt, bevor ein weiterer Mensch sterben wird. 

 

Der neue Thriller von Nr. 1-Bestsellerautor Arno Strobel

Fallanalytiker Max Bischoff ermittelt in seinem 5. Fall

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Arno Strobel liebt Grenzerfahrungen und teilt sie gern mit seinen Leserinnen und Lesern. Deshalb sind seine Thriller wie spannende Entdeckungsreisen zu den dunklen Winkeln der menschlichen Seele und machen auch vor den größten Urängsten nicht Halt.

Seine Themen spürt er dabei meist im Alltag auf und erst, wenn ihn eine Idee nicht mehr loslässt und er den Hintergründen sofort mit Hilfe seines Netzwerks aus Experten auf den Grund gehen will, weiß er, dass der Grundstein für seinen nächsten Roman gelegt ist. Alle seine bisherigen Thriller waren Bestseller, standen wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste. 

Arno Strobel engagiert sich für den Opferschutz und ist Förderer des Weißen Rings e.V. Er lebt als freier Autor in der Nähe von Trier.

 

www.arno-strobel.de

www.facebook.com/arnostrobel.de

@arno.strobel

 

Max Bischoff:

www.facebook.com/Moerderfinder

@max.bischoff_moerderfinder

 

Außerdem bei FISCHER Taschenbuch erschienen:

»Der Trakt«, »Das Wesen«, »Das Skript«, »Der Sarg«, »Das Rachespiel«,» Das Dorf«, »Die Flut«, »Im Kopf des Mörders – Tiefe Narbe«, »Im Kopf des Mörders – Kalte Angst«, »Im Kopf des Mörders – Toter Schrei«, »Offline«, »Die App«, »Sharing«, »Fake«, »Der Trip«, »Stalker«, »Mörderfinder – Die Spur der Mädchen«, »Mörderfinder – Die Macht des Täters«, »Mörderfinder – Mit den Augen des Opfers«, »Mörderfinder – Stimme der Angst«

Impressum

 

 

Bei Erfahrungen mit Gewalt oder Missbrauch können manche Passagen in diesem Buch triggernd wirken. Wenn es Ihnen damit nicht gut geht, finden Sie hier Hilfe: www.hilfetelefon.de oder www.weisser-ring.de.

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main 

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Redaktion: Ilse Wagner

Covergestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

ISBN 978-3-10-492115-0

 

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

 

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Inhalt

[Widmung]

[Motto]

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

Epilog

Nachwort

Wichtiges Update

Dieses Buch widme ich allen Polizistinnen und Polizisten – danke für euren unermüdlichen Einsatz!

Das Recht ist für alle gleich, der Richter aber nicht.

Nando Martellini, italienischer Journalist

Prolog

Er hat die Augen auf die Decke gerichtet, aber sein Blick verliert sich in der Unendlichkeit.

Er befindet sich in einem tranceähnlichen Zustand, in dem er seinen Körper nicht mehr wahrnimmt. Dafür sind seine Gedanken so klar und bildhaft, wie er es erst seit kurzem erlebt.

Er denkt an ihn. Daran, wie sehr sich sein Leben seit seiner ersten Begegnung mit ihm verändert hat. Wie logisch ihm alles erscheint, seit er ihm die Zusammenhänge erklärt hat. Wie viele Jahre seines Lebens sind nutzlos verstrichen, weil er ihm nicht schon früher begegnet ist.

Ja, anfangs hat er sich vor ihm gefürchtet. Aber er ist sicher, dass es jedem so ergeht, der ihn zum ersten Mal erlebt. Er ist auf eine Art Furcht einflößend, die einem schnell klarmacht, dass er ein Leben auf eine Weise verändern kann, wie man es sich nie hätte träumen lassen. Wenn man tut, was er sagt, und seine Anforderungen erfüllt.

Dass er aber auch sehr grausam sein kann, wenn man versagt.

Der Gedanke daran lässt ihn aus der Entrücktheit in die Wirklichkeit zurückkehren. Ein Schauer läuft ihm über den Rücken, und er ist sich nicht sicher, ob dieser seiner Bewunderung oder der Angst vor ihm geschuldet ist.

Er schwingt die Beine aus dem Bett und blickt auf die Uhr. Sechs Uhr zwölf. Er hat einen Großteil der Nacht wach gelegen, den Rest in diesem seltsamen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein verbracht.

Der Schein des schwachen Lichts, das von der Straßenlaterne drei Häuser weiter das Fenster seines Schlafzimmers ein wenig erhellt, lässt ihn die Gegenstände im Raum mehr erahnen als sehen.

Er atmet tief durch und horcht in sich hinein. Er empfindet keine Angst mehr und auch sonst nichts außer dem brennenden Wunsch zu tun, was ihm aufgetragen wurde.

Er steht auf. Er weiß, er wird die Aufgabe zu seiner Zufriedenheit erfüllen.

1

»Ich finde ja, es fehlen noch ein paar Bilder an den Wänden.« Jana Brosius stand, die Hände in die Hüften gestemmt, in der Mitte des großen Raumes und sah sich um.

Max betrachtete ebenfalls die zugegebenermaßen recht kahl wirkenden, weiß getünchten Wände. »Das stimmt. Ich könnte mir was in Schwarz-Weiß vorstellen. Humphrey Bogart vielleicht, mit Panamahut auf dem Kopf und einer Waffe in der Hand. Das würde hervorragend zu einer Detektei passen.«

Jana zog die Stirn kraus. »Humphrey wer?«

»Bogart«, antwortete Marvin Wagner an Max’ Stelle. »Er war in den 1950ern in Sachen Coolness nicht zu übertreffen. Quasi der Vorgänger von Chuck Norris.«

»Aha.« Ein Lächeln legte sich über ihr Gesicht. »Und wer ist Chuck Norris?«

Max schüttelte grinsend den Kopf und setzte sich auf den ledernen Bürostuhl, der frisch ausgepackt neben ihm stand.

Sein Blick wanderte über die noch leeren Schränke und Schreibtische, die sich in den nächsten Tagen nach und nach füllen würden, und blieb an der runden weißen Wanduhr hängen, die Marvin mitgebracht und gleich aufgehängt hatte. Ihr Design ließ den Schluss zu, dass sie schon mindestens fünfzig Jahre alt war. Schön war sie sicher nicht, aber Marvin hatte erklärt, dass er diese Uhr von seiner Großmutter geerbt hatte und sie ihn schon sein ganzes Berufsleben lang begleitete.

Sie zeigte zehn Uhr dreiundvierzig an.

Die Computer sollten an diesem Nachmittag geliefert und gemeinsam mit der Telefonanlage eingerichtet werden.

Schon in zwei Tagen war die offizielle Eröffnung von WaBi Investigations, der gemeinsamen Detektei von Max und Marvin. Eine Stehparty mit geladenen Gästen und wahrscheinlich endlosem Smalltalk. Der Name war eine Kombination der Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen Wagner und Bischoff, den Marvin sich ausgedacht hatte.

Max’ Gedanken schweiften für einen Moment ab zu seiner Tätigkeit als Dozent für operative Fallanalyse an der Kölner Hochschule, die er zugunsten der gemeinsamen Firma mit Marvin aufgegeben hatte. Professor Heinrichs, der Dekan der Universität, hatte sich sehr verständnisvoll gezeigt, als Max ihm seine Kündigung überreichte.

»Es ist sehr schade, dass wir Sie als Dozent verlieren, Herr Bischoff. Ich weiß ja schon seit geraumer Zeit, dass Sie aufhören wollen, aber ich hatte die leise Hoffnung, dass Sie es sich vielleicht doch noch anders überlegen. Sie leisten hervorragende Arbeit und sind bei den Studentinnen und Studenten sehr beliebt.« Er wiegte den Kopf hin und her. »Andererseits habe ich immer gewusst, dass Sie eigentlich auf die Straße gehören, wo Sie das, was Sie den jungen Menschen über die Fallanalyse beibringen, anwenden können.« Dann hatte Heinrichs sich erhoben und Max feierlich die Hand gereicht. »Ich wünsche Ihnen alles Gute. Bringen Sie die bösen Buben hinter Schloss und Riegel.«

Das Geräusch der sich öffnenden Tür hinter Max holte ihn zurück in die Gegenwart. Er wandte sich um und betrachtete ebenso wie Jana und Marvin den Mann, der ihre zukünftigen Büroräume betrat. Er war durchschnittlich groß und von sportlicher Statur. Die kahl rasierte, leicht gebräunte Kopfhaut stand in interessantem Kontrast zu einem sorgsam getrimmten weißen Vollbart. Auf der Nase trug er eine Brille mit breitem schwarzem Rand. Er war bekleidet mit einer gutsitzenden Jeans, Sneakers und einem weißen T-Shirt, über das er eine dünne Jacke gezogen hatte. Recht wenig, wenn man bedachte, dass es Anfang Februar war und Außentemperaturen von knapp über null Grad herrschten.

»Guten Tag«, sagte er und blieb in der offenen Tür stehen. »Ist das die Detektei von Max Bischoff?«

»Ja, und von Dr. Marvin Wagner«, ergänzte Max und deutete zu Marvin hinüber, während er sich darüber wunderte, dass schon vor der Eröffnung von WaBi Investigations jemand ihr Büro aufsuchte.

Der Mann starrte Marvin sekundenlang an, etwas, das Max schon öfter erlebt hatte. Ihm selbst war es beim ersten Zusammentreffen mit dem Psychologen nicht anders ergangen. Wie oft traf man schon einen Wissenschaftler mit rasierter Glatze, der große Ohr-Tunnel trug und auffällige Tätowierungen an allen sichtbaren Stellen des Körpers außer dem Gesicht hatte. Dessen Nasenflügel ein Ring zierte und Metallstifte seine Augenbrauen. Und Max ahnte, was als Nächstes kommen würde. Wie so oft enttäuschte sein zukünftiger Partner ihn nicht.

»Wie ich Ihrem irritierten Blick entnehmen kann, fragen Sie sich gerade, ob Sie richtig gehört haben«, erklärte Marvin. »Ich kann Sie beruhigen, Ihr Gehör funktioniert. Herr Bischoff hat tatsächlich und völlig korrekt Doktor Marvin Wagner gesagt. Ich habe nach dem abgeschlossenen Studium der Psychologie eine Weiterbildung zum Psychotherapeuten absolviert und meine Dissertation mit summa cum laude beendet. Ich bin Rechtspsychologe bei Gericht und forensischer Psychologe, zudem forensischer Schriftgutachter. Und« – er machte eine weit ausholende Geste mit den Händen – »mittlerweile auch Mitinhaber von WaBi Investigations.«

Max wusste, wie sehr Marvin die stets verblüfften Gesichter nach seiner Ausführung genoss.

»Ah!«, entfuhr es dem Mann, während er weiter verdattert in Marvins Richtung sah. Dann wandte er sich wieder Max zu. »Sie sehen jünger aus, als ich dachte.«

Max lächelte und fuhr sich durch die kurzen, dunkelblonden Haare. »Danke, aber in manchen Momenten fühle ich mich deutlich älter als fünfunddreißig. Aber kommen wir doch zum Grund Ihres Besuchs.«

»Ja, sicher. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie störe. Mein Name ist Kai Weinand. Ich weiß, dass die offizielle Eröffnung der Detektei erst in zwei Tagen ist, aber ich konnte nicht so lange warten. Jemand braucht Ihre Hilfe.«

»Jemand?«, hakte Marvin nach.

»Ja. Ein sehr guter Freund.«

»Und der hat Sie zu uns geschickt?«

»Ja.«

»Warum kommt er nicht selbst?«

»Das würde ich Ihnen gern erklären.«

»Also gut. Worum geht’s?«

Als sich Weinands Blick fragend auf Jana richtete, sagte Max: »Das ist Jana Brosius. Was immer Sie uns zu sagen haben, darf sie hören. Sie ist Kriminalkommissarin und wird uns bei unseren Fällen unterstützen.« Er sah zu Jana hinüber, betrachtete ihre sportliche Gestalt, die feinen Linien ihres Gesichts und die provisorisch hochgesteckten, blonden Haare und fügte in Gedanken hinzu: Und außerdem liebe ich sie.

Weinand nickte Jana zu und wandte sich dann wieder an Max. »Okay. Also … es geht um die Entführung eines Kindes.«

Max wechselte einen schnellen Blick mit Marvin, bevor er auf einen der neuen Stühle deutete. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

Weinand schüttelte den Kopf. »Ich habe fast drei Stunden im Auto gesessen und möchte lieber stehen bleiben.«

»Wo kommen Sie denn her?«, fragte Jana.

»Aus Trier.«

»Das sind über zweihundert Kilometer.«

»Ich weiß!«

»Okay, dann schießen Sie mal los«, schlug Marvin interessiert vor. »Ich schätze, Sie werden uns im Laufe Ihrer Schilderungen auch darüber aufklären, warum Sie extra von Trier zu uns nach Düsseldorf gekommen sind.«

»Ich muss ein wenig ausholen. Ich …« Weinand stockte, als Marvin sich einen Stuhl heranzog, sich darauf niederließ und dann entschuldigend die Hand hob.

»Sprechen Sie ruhig weiter. Sie haben ausholen gesagt, das ist für mich ein Schlüsselwort, um mich hinzusetzen.«

Weinand rang sich ein flüchtiges Lächeln ab, dann fuhr er fort: »Ich bin Friseurmeister und habe in Trier einen Salon. Nebenbei schneide ich auch den Insassen der JVA die Haare. Wenn Sie so wollen, bin ich quasi Knastfriseur.«

»Sicher eine interessante Tätigkeit«, bemerkte Marvin.

»Ja. Ich mache das nicht für Geld, sondern weil es mir wichtig ist, mich im sozialen Bereich zu engagieren. Anfangs war es ein seltsames Gefühl, als sich hinter mir eine Stahltür nach der nächsten geschlossen hat. Beklemmend. Aber mit der Zeit …«

»Entschuldigen Sie«, fiel Max ihm ins Wort. Seit Weinand den Grund seines Besuchs genannt hatte, spürte er eine steigende Unruhe in sich. »Sie sagten, es geht um eine Kindesentführung.«

»Das ist richtig. Einer meiner … Kunden wartet in der JVA Trier in U-Haft auf seinen Prozess. Sein Name ist Rainer Klinke, er ist ein Geschäftsmann aus Trier, der sich vorher noch nie etwas hat zuschulden kommen lassen. Das weiß ich so genau, weil ich ihm nicht nur in der U-Haft die Haare schneide, sondern er der sehr gute Freund ist, den ich erwähnt habe. Dass wir befreundet sind, weiß dort allerdings niemand. Rainer ist verheiratet und hatte einen siebenjährigen Sohn.«

»Hatte?«, hakte Max nach und spürte ein ungutes Ziehen im Magen. »Sie sagten, es geht um eine Kindesentführung.«

»Der Junge ist vor einem halben Jahr sexuell misshandelt und dann ermordet worden.« Es war Weinand anzusehen, dass ihn die Sache sehr mitnahm. Er schluckte mehrmals, bevor er weitersprechen konnte.

»Der Täter ist recht schnell gefasst worden, und es hat sich herausgestellt, dass er drei Jahre zuvor schon einmal einen kleinen Jungen vergewaltigt hatte, eine Richterin ihn damals aber zu einer lächerlich geringen Strafe verurteilte. Wenige Tage nach seiner Entlassung hat er dann Rainers Sohn missbraucht und getötet.«

»Ich erinnere mich an den Fall«, sagte Max bitter. »Es hat deswegen kurz einen Aufschrei in der Presse gegeben, aber nach ein paar Tagen war es wieder vergessen. So, wie es fast immer geschieht.«

Weinand nickte. »Für Rainer war es nicht vergessen. Und nicht für seine Frau. Sie ist mit dem Verlust ihres Kindes nicht klargekommen und muss seitdem stationär in einer psychiatrischen Einrichtung behandelt werden. Rainer ist fast durchgedreht vor Verzweiflung und wahnsinniger Wut auf die Richterin, die aus seiner Sicht durch ihr Handeln für den Tod seines Jungen und den Zustand seiner Frau mitverantwortlich ist.«

»Das kann man sogar verstehen«, bemerkte Jana, und Max sah, dass ihre Augen feucht waren.

»Allerdings. Ich hatte zeitweise Angst, dass er sich selbst etwas antut.« Weinand atmete tief durch, bevor er weitersprach. »Rainer war so wütend, dass er beschloss, die elfjährige Tochter dieser Richterin ein, zwei Tage festzuhalten, damit ihre Mutter zumindest für eine kurze Zeit das Gefühl der tiefen Angst und Verzweiflung kennenlernt, das man empfindet, wenn man um das Leben seines Kindes fürchten muss.«

»Er wollte das Mädchen entführen?«, hakte Max nach.

»Nicht wirklich. Er wollte ihr nichts tun und hätte sie spätestens nach zwei Tagen wieder zu ihrer Mutter zurückgebracht.«

»Zwischenfrage: Hat er Ihnen von seinem Vorhaben erzählt?«, wollte Marvin wissen.

»Nein, um Gottes willen, ich hätte unter allen Umständen verhindert, dass er so etwas Furchtbares tut.«

»Und? Hat er es letztendlich getan?«, fragte Jana.

»Ja.«

»Da hört das Verständnis allerdings auf.«

Weinand nickte. »Das sehe ich auch so. Jedenfalls hat Rainer sich bei dem Entführungsversuch so dilettantisch angestellt, dass er beobachtet und kurz darauf gefasst worden ist. Dem Mädchen ist nichts passiert.«

»Das stimmt höchstwahrscheinlich nicht«, warf Marvin ein. »Auch wenn das Kind keine physischen Verletzungen davongetragen hat, ist es durch so ein Erlebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit tief verstört.«

»Das ist mir bewusst. Rainer hat geschworen, er habe nie vorgehabt, dem Mädchen etwas anzutun. Er wollte lediglich diese Richterin selbst die Folgen ihrer unverständlichen Nachsicht gegenüber einem Sexualstraftäter spüren lassen.«

Marvin beugte sich nach vorn, stützte die Arme auf den Oberschenkeln ab und legte die Hände zusammen.

»Herr Weinand, ich hatte ebenfalls schon viel mit Leuten in Gefängnissen zu tun, die entweder in U-Haft saßen oder bereits verurteilt waren. Ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen, dass gerade die Jungs, die eindeutig schuldig sind, jeden Trick anwenden und alles erzählen würden, um da rauszukommen oder freigesprochen zu werden.«

Weinand schüttelte vehement den Kopf, dann machte er zwei Schritte zur Seite und ließ sich doch auf einen Stuhl sinken. »Rainer Klinke ist anders. Ich sagte doch, wir sind sehr gut befreundet. Ich kenne ihn schon lange. Es stimmt, er ist ein verzweifelter und wütender Mann, dem man auf brutale Weise sein Kind genommen hat, aber er würde deswegen nie einem anderen Kind etwas Schlimmes antun. Dazu wäre er gar nicht fähig.«

»Was macht Sie so sicher?«, erkundigte sich Marvin. »Woher wollen Sie wissen, dass er Ihnen die Wahrheit sagt? Dass er blind vor Wut und Rachegedanken das Mädchen nicht tatsächlich töten wollte und sich diese feine Geschichte nur ausgedacht hat, damit Sie ihm helfen, freigesprochen zu werden?«

Weinand sah Marvin eine Weile ernst an, bevor er sagte: »Hören Sie mir eigentlich zu?«

»Das tue ich.«

»Die wichtigste Frage, die mich umtreibt«, sagte Max, der sich bisher zurückgehalten hatte, »ist: Wenn er erwischt wurde und die Entführung damit beendet ist … was wollen Sie dann von uns?«

»Dazu komme ich jetzt. Nachdem er gefasst worden war, hat Rainer auf allen möglichen Wegen enormen Zuspruch von Leuten bekommen, die ebenfalls der Meinung sind, dass viele Urteile lächerlich sind. Sein Mailkonto und sein Facebook-Account, die ich im Moment verwalte, laufen quasi über. Unter all den Zuschriften ist auch die, wegen der ich hier bin.«

»Sie verwalten seine E-Mails und sein Social-Media-Profil?«, vergewisserte sich Max. »Sie müssen wirklich sehr gut befreundet sein.«

»Ja, wie ich es bereits mehrfach sagte. Er hat sonst niemanden. Seine Familie ist von diesem Monster zerstört worden, das eigentlich im Gefängnis hätte sitzen sollen.«

2

Weinand griff in die Innentasche seiner Jacke und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor. »Das ist eine der vielen Mails, die in Klinkes Postfach angekommen sind.« Er reichte das Blatt wortlos an Max, der es auseinanderfaltete und dabei feststellte, dass es sich sogar um zwei Blätter handelte.

»Lies bitte vor«, sagte Marvin und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Max nickte, überflog die ersten Sätze und begann:

»Sehr geehrter Herr Klinke, ich gehe davon aus, dass Sie viele Mails bekommen, und ich bin mir nicht sicher, ob Sie angesichts Ihrer offensichtlich nur eingeschränkt vorhandenen geistigen Möglichkeiten die Einzigartigkeit dieser Nachricht im Vergleich zum Rest verstehen. Dennoch schreibe ich Ihnen.

Wir kennen uns nicht persönlich, aber ich muss Ihnen leider attestieren, dass Sie Ihr löbliches und wichtiges Vorhaben mehr als stümperhaft angegangen sind. Ich kann Ihnen auch den Grund dafür nennen: Sie haben aus Rache und Wut gehandelt, beides Emotionen, die den Verstand und die Fähigkeit trüben, die Geschehnisse als Ganzes in ihrem Zusammenhang zu sehen. Sie leben und handeln wie unter dem Lichtkegel einer Taschenlampe, die auf Ihr Mikrouniversum aus Hass und Trauer gerichtet ist und den Rest der Welt für Sie im Dunkeln versinken lässt. Sie können nicht sehen, dass alles viel größer, viel komplexer ist.

Nicht nur unser Land, die ganze Welt ist an einem Scheideweg angekommen, den man als historisch bezeichnen muss. Und nicht zum ersten Mal ist es an der Zeit, dass die Menschheit aufgerüttelt und ihr vor Augen geführt wird, wie degeneriert und verkommen sie mittlerweile ist. Und zwar mit drastischen Maßnahmen. Schauen Sie sich doch nur um. Korrupte und machtgierige Politiker regieren Völker von Egoisten und Dummköpfen. Niemand kümmert sich mehr um Werte wie Respekt, Mitgefühl, Freundlichkeit, Bescheidenheit oder Treue. Vergewaltiger und Verbrecher wüten nahezu ungestraft unter uns, und niemand ist mehr bereit, sie in ihre Schranken zu weisen und dafür zu sorgen, dass rechtschaffene und unbescholtene Menschen vor ihnen beschützt werden. Die Menschheit ist verkommen zu einer nutzlosen Sippschaft, die sich weder um Traditionen noch um die universellen, über allem stehenden Gesetze kümmert, die für alle und jeden Gültigkeit haben. Deshalb ist es an der Zeit, etwas zu unternehmen.

Ich werde meinen Teil dazu beitragen, dass wir wieder nach den richtigen Werten leben. Dass diejenigen bestraft werden, die Verbrecher nicht bestrafen. Sehen Sie, worauf das hinausläuft, Herr Klinke? Hier schließt sich der Kreis. Ich habe gerade das getan, was Sie so dilettantisch versucht und nicht zustande gebracht haben. Ich habe nicht versagt, weil ich nicht von Hass getrieben bin, sondern auf einen klaren Befehl hin handele. Und das ist erst der Anfang. Sie werden schon morgen von mir hören. Fragen Sie Ihren Anwalt.«

Max ließ die Blätter sinken und starrte einen Moment vor sich auf den Boden, bevor er Weinand ansah. »Von wann ist diese Mail?«

»Sie ist vier Tage alt.«

»Sie werden schon morgen von mir hören …«, wiederholte Max. »Das war dann also vor drei Tagen.« Er tauschte einen Blick mit Marvin. »Denkst du, was ich denke?«

Marvin nickte ernst. »Das kann fast kein Zufall sein.«

»Sie haben also gehört, dass hier in Düsseldorf der neunjährige Sohn eines Richters entführt worden ist?«

»Es stand in allen Zeitungen«, bestätigte Max. Er sah Jana an, fragte jedoch nicht nach dem Stand der Ermittlungen, weil sie im Beisein von Weinand auf keinen Fall etwas dazu sagen konnte. Er wusste, dass sein Ex-Partner Horst Böhmer in seiner neuen Funktion als Leiter des KK11 sofort eine Soko zusammengestellt hatte, um den entführten Jungen zu finden. Der Vater war Richter am Landgericht Düsseldorf.

Das letzte Telefonat mit Böhmer war schon zwei Tage her, weil es rund um die Eröffnung der Detektei viel zu tun gab, deshalb fehlten Max aktuelle Informationen.

»Jedenfalls war gestern wieder Haarschneidetermin in der JVA, und nachdem Rainer die Mail gelesen hatte, hat er mich gebeten, sie Ihnen zu zeigen und Sie zu fragen, ob Sie den Fall übernehmen. Selbstverständlich kommt er für Ihr Honorar auf.«

»Warum möchte er das?«, stellte Max die naheliegende Frage. »Obwohl er nichts mit der Sache zu tun hat.«

»Das habe ich ihn auch gefragt. Er sagt, er tut das, weil er sich durch seine Tat mitschuldig an der Entführung hier in Düsseldorf fühlt.«

»Hm … Sie sagten, es gab viele Mails. Woher haben diese ganzen Leute die Mailadresse von Herrn Klinke?«

»Das weiß ich nicht.«

»Und er hat Sie gebeten, speziell uns zu beauftragen?«, fragte Marvin.

»Nicht direkt. Von der Detektei hat er nichts gesagt. Er hat nur Herrn Bischoff namentlich genannt. Ich habe dann herausbekommen, dass in zwei Tagen die Detektei eröffnet.« Weinand wandte sich wieder an Max. »Er sagte, er kennt Ihre Ermittlungserfolge aus einem True-Crime-Podcast, den er sich regelmäßig angehört hat. Und er traut Ihnen zu, dass Sie den Jungen schneller finden als die Polizei.«

»Kennt die Polizei den Inhalt dieser Mail?«

»Soweit ich weiß, nicht. Rainer hat große Angst vor Gewalt gegen ihn in der U-Haft oder der späteren Haft, falls er verurteilt wird. Deshalb möchte er selbst auf keinen Fall damit in Verbindung gebracht werden, einen Tipp gegeben zu haben. Er bezweifelt, von der Polizei Anonymität zugesichert zu bekommen und gegebenenfalls im Gefängnis beschützt zu werden.«

»Diese Mail ist ein möglicher Hinweis auf den Täter in einem Fall von Kindesentführung«, schaltete sich Jana ein. »Sie der Polizei vorzuenthalten kann Ihnen als Behinderung der Ermittlung ausgelegt werden. Sie machen sich damit strafbar, ist Ihnen das klar, Herr Weinand?«

»Wieso ich? Ich habe diese Mail doch nicht bekommen, sondern Rainer. Wenn er entscheidet …«

»Das spielt keine Rolle. In dem Moment, in dem Sie Kenntnis vom Inhalt der Mail erlangt haben, sind Sie verpflichtet, die Polizei zu informieren.«

»Das werden wir jetzt übernehmen«, entschied Max und legte die ausgedruckte Mail auf den Tisch. Dann betrachtete er Weinand nachdenklich. »Entschuldigen Sie uns bitte einen Moment?« Und an Jana gewandt: »Bist du bitte so lieb und leistest Herrn Weinand Gesellschaft, während ich mit Marvin unser Besprechungszimmer einweihe?«

Jana nickte und wandte sich an den Friseurmeister: »Möchten Sie einen Kaffee? Der Vollautomat ist nagelneu.«

 

»Nun, werter Partner, wie schaut’s aus?«, fragte Marvin, kaum dass Max die Tür geschlossen hatte. »Glaubst du alles, was uns der Friseur der Gefangenen erzählt hat?«

Die Einrichtung des Besprechungsraums beschränkte sich auf lediglich einen ovalen Tisch und sechs Stühle, deren lederne Sitzflächen noch mit Schutzfolie überzogen waren.

Max lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich denke, er sagt die Wahrheit. Was aber nicht bedeutet, dass das automatisch auch für seinen Freund gilt.«

»Ich sehe das grundsätzlich auch so. Allerdings finde ich die gesamte Geschichte etwas seltsam, fast konstruiert. Der Vater eines ermordeten Jungen entführt ein Mädchen, wird erwischt und beauftragt über den Gefängnisfriseur aus dem Knast heraus eine Detektei, weil er sich um einen tatsächlich entführten Jungen in Düsseldorf sorgt. Ich weiß nicht …«

»Andererseits klingt alles logisch, was Weinand uns erzählt hat. Wenn Rainer Klinke dem Mädchen wirklich nichts tun, sondern lediglich der Mutter die Augen öffnen wollte, ist es durchaus glaubhaft, dass er sich nun schuldig fühlt angesichts der Tatsache, dass jemand sein Handeln vielleicht zum Anlass genommen hat, nun wirklich ein Kind zu entführen.«

Marvins Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Du möchtest diesen Fall übernehmen, habe ich recht? Die Eröffnung der Detektei ist erst in zwei Tagen, und bis dahin haben wir noch so viel zu tun, dass wir eigentlich für nichts anderes Zeit haben. Aber der Gedanke, ein entführtes Kind vielleicht befreien und den Entführer schnappen zu können, lässt dir schon jetzt keine Ruhe mehr. Ich sehe deinem Gesicht an, dass du am liebsten alles stehen und liegen lassen und sofort losstürmen würdest.«

»Ich möchte aber zuerst mit Rainer Klinke reden.«

»Und wenn er dir glaubhaft erscheint?«

»Dann, lieber Marvin, hoffe ich, dass du damit einverstanden bist, dass die Detektei WaBi Investigations ihren ersten Fall hat.«

 

Kurz darauf verabschiedete sich Kai Weinand, nachdem sie ihm erklärt hatten, dass Max versuchen würde, kurzfristig einen Besuchstermin in der JVA Trier zu bekommen, und sie im Anschluss entscheiden würden, ob sie den Auftrag annahmen.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fragte Jana: »Soll ich Böhmer anrufen, oder machst du das lieber selbst?«

Max winkte ab. »Ich mach das schon, ich wollte mich sowieso heute oder morgen bei ihm melden.«

Er erreichte Böhmer in seinem Büro im Präsidium.

»Max, wie geht’s?«, polterte sein Ex-Partner in gewohnter Weise los. »Was machen die neuen Räumlichkeiten?«

»Gut so weit. Es ist noch viel zu tun bis zur Eröffnung, aber wir schaffen das schon. Ich bin froh, dass Jana sich extra Urlaub genommen hat, um uns zu helfen.«

»Du hast Stress und nimmst dir trotzdem die Zeit, mich anzurufen. Das gibt mir zu denken. Raus mit der Sprache, was kann ich für dich tun?«

Max lächelte. Böhmer kannte ihn tatsächlich sehr gut. »Ich brauche einen Besuchstermin in der JVA Trier.«

»Warum?«

»Hast du einen Moment?«

»Ich nehme ihn mir, also schieß los.«

Max berichtete von Weinands Besuch und von dem, was er ihnen erzählt und was in der Mail gestanden hatte, und erklärte zum Abschluss: »Bevor wir den Fall übernehmen, möchte ich mit diesem Rainer Klinke reden und mir ein Bild von ihm machen.«

»Hm«, brummte Böhmer.

»Was, ist das alles?«, fragte Max nach einer Weile überrascht. »Keine abfälligen Bemerkungen dazu, dass ich darüber nachdenke, mich von jemandem engagieren zu lassen, der in U-Haft sitzt, weil er ein Mädchen entführen wollte?«

»Nein.«

»Ich erinnere mich, was du vor nicht allzu langer Zeit für einen Tanz aufgeführt hast, weil ich einen Auftrag von einer Anwaltskanzlei angenommen habe.«

»Das war etwas vollkommen anderes, das weißt du.« Und deutlich leiser fügte er hinzu: »Und du weißt auch, dass mir mein Verhalten von damals leidtut.«

Max spürte ein Ziehen im Magen, und er bereute, dass er das erwähnt hatte. Während dieses Falls im Anwalts- und Finanzmilieu, den er gemeinsam mit dem Strafverteidiger Anton Pirlo gelöst hatte, war die Freundschaft zwischen Böhmer und ihm auf eine harte Probe gestellt worden, und beide waren froh, diese Zeit hinter sich zu haben. »Schon gut, Horst. Sorry, dass ich es erwähnt habe. Wir haben das alles bereits besprochen. Das Thema ist erledigt.«

»Gut. Trotzdem muss ich wohl nicht extra erwähnen, was ich von einem Kindesentführer als Auftraggeber halte.« Da war sie wieder, die polternde Stimme von Horst Böhmer. »Ich denke, das weißt du auch so. Und normalerweise würde ich dich fragen, ob du deinen Polizistenverstand völlig verloren hast.«

Max musste lächeln. »Und was hält dich davon ab?«

»Das, was du mir erzählt hast. Vorausgesetzt, dieser Friseur und sein Freund in U-Haft haben die Wahrheit gesagt.«

»Das versuche ich bei dem Besuch im Gefängnis herauszufinden.«

»Wie viel weißt du über den Vater des Jungen, der hier in Düsseldorf entführt wurde?«

Max dachte nach. »Nur, dass er Richter ist. Ich glaube, beim Landgericht.«

»Genau. Da gibt es allerdings ein interessantes Detail.«

»Und das wäre?«

»Tut mir leid, aber das ist Teil der Ermittlungen, dazu kann ich dir als Zivilisten nichts sagen.«

Das waren genau die Worte, die Max immer wieder von Eslem Keskin gehört hatte.

Nach einem kurzen Moment der Verwirrung musste Max lachen. »Okay, ich habe verstanden. Das habe ich mir mit meiner Bemerkung verdient.«

»Jawoll! Aber ich sage es dir trotzdem.«

3

»Ich wundere mich, dass du davon nichts mitbekommen hast. Dr. Holzheimer hat als Richter des Landgerichts Düsseldorf in der Vergangenheit des Öfteren von sich reden gemacht, weil er Urteile des Amtsgerichts gegen Straftäter abgemildert oder sogar ganz aufgehoben hat und mehrere Kerle, die nachweislich Sexualstraftäter sind, dank ihm frei herumlaufen können. Darunter Typen, derentwegen wir Sokos gebildet und denen wir wochenlang hinterherermittelt hatten, bis wir sie endlich fassen konnten. Gerade vor ein paar Wochen erst hat er einen Mann, der Kinder in der Nähe einer Grundschule sexuell belästigte, mit einer kleinen Bewährungsstrafe davonkommen lassen.«

»Wow, das passt.«

»Genau. Aber ich muss dich warnen. Holzheimer ist in der Vergangenheit vielen dieser Mistkerle gegenüber zwar extrem milde gewesen, jetzt aber, wo es um seinen eigenen Sohn geht, dreht er ziemlich am Rad. Er ruft zehnmal am Tag hier an und will den Stand der Ermittlungen wissen.«

»Hm, da müsste es ihm doch eigentlich recht sein, wenn sich neben der Polizei noch jemand darum kümmert, dass sein Junge möglichst schnell gefunden wird, oder?«

»Das schon, aber wenn er mitbekommen sollte, dass dich der Entführer eines anderen Richterkindes beauftragt hat, flippt er vielleicht völlig aus.«

»Verstehe. Von mir erfährt er es sicher nicht.«

»Das ist mir klar, aber ich weiß nicht, wie weit seine Verbindungen reichen. Versteh mich nicht falsch, Max. Ich kenne dich und weiß, dass es für alle nur von Vorteil sein kann, wenn du an dem Fall mitarbeitest. Ich wollte dich aber trotzdem darauf hinweisen.«

»Ich danke dir. Und bin einmal mehr froh, dass Keskin weg ist und du jetzt auf ihrem Stuhl sitzt.«

Kriminalrätin Eslem Keskin war Böhmers Vorgängerin an der Spitze des KK11 gewesen und hatte Max das Leben schwer gemacht, wo immer sie konnte, weil sie der Meinung war, Max sei schuld am Tod eines Polizisten gewesen, den sie geliebt hatte. Nachdem sie sogar ihre Dienstpflicht verletzt und damit nicht nur Max’ Leben, sondern auch das ihrer Ermittlerin Jana Brosius leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte, war sie freiwillig gegangen.

Böhmer lachte kurz auf. »Das bin ich meistens auch, aber es gibt auch Situationen, da wünschte ich, sie müsste den Kopf hinhalten und nicht ich. Aber lassen wir das. Ich kümmere mich um einen Besuchstermin in der JVA Trier für dich. Mal sehen, wen ich dort in der Region von der Staatsanwaltschaft oder der Kripo kenne. Ich melde mich.«

»Danke, bis dann.«

Max legte auf und blickte von Jana zu Marvin, bevor er ihnen von Böhmers Reaktion berichtete.

»Du könntest auch einen ganz normalen Besuchstermin für Rainer Klinke beantragen«, erwähnte Marvin, woraufhin Max den Kopf schüttelte. »Das dauert zu lange. Ich denke, Horst wird das schon hinbekommen.«

 

Am nächsten Vormittag um kurz vor elf Uhr stand Max nach zweieinhalbstündiger Autofahrt an der Anmeldung der JVA Trier, die in einem kleinen Vorraum untergebracht war.

»Bischoff …«, murmelte der Mann, der hinter einer dicken Glasscheibe vor einem Monitor saß. »Ja, hier … warten Sie bitte noch kurz draußen, Sie werden reingerufen.«

Wieder draußen, dachte Max daran, wie oft er in seiner Rolle als Polizist Gefängnisse aufgesucht hatte, meist gemeinsam mit Böhmer.

Der hatte nach ihrem Telefonat am Vortag keine zwei Stunden gebraucht, dann war ein Besuchstermin in der JVA Trier organisiert. Wie er Max erklärte, hatte ein Trierer Ermittler, den Böhmer von früher kannte, diese Ausnahme für ihn mit der Leiterin des Gefängnisses geregelt.

Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür erneut, und Max durchlief das übliche Procedere mit Abgabe seines Passes im Tausch gegen einen Besucherausweis, seiner Unterschrift auf einem Dokument bezüglich der Sicherheit und dem Durchschreiten des Metalldetektors.

Eine Viertelstunde später wartete er darauf, dass Rainer Klinke zu ihm gebracht wurde. Man hatte ihm nicht einen Platz in dem Raum zugewiesen, in dem Verwandte oder Freunde während der offiziellen Besuchszeiten den Gefangenen gegenüber in einer Reihe hinter kopfhohen Glasscheiben saßen, sondern eines der wenigen separaten Besuchszimmer. Es waren schmale Kammern, die nur Platz boten für den Gefangenen auf der einen Seite einer ebenfalls halbhohen, den Raum trennenden Scheibe und seinen Besucher auf der anderen.

Als sich die Tür auf der Gefangenenseite öffnete und Rainer Klinke in den Raum geführt wurde, stellte Max fest, dass der Unternehmer in etwa so aussah, wie er ihn sich nach Weinands Beschreibung vorgestellt hatte. Wie bei Untersuchungshäftlingen üblich, trug Klinke eigene Kleidung, die aus einer dunklen Jeans und einem grauen Sweatshirt bestand. Insgesamt wirkte der Mann sportlich und durchtrainiert. Seine dunklen Haare waren an den Schläfen von silbernen Fäden durchzogen, das Gesicht glatt rasiert. Max schätzte ihn auf Mitte bis Ende vierzig.

Als Klinke sich auf den Stuhl hinter der anderen Seite der Scheibe setzte, konnte Max von seinem Gesicht ablesen, wie sehr ihn die letzten Wochen mitgenommen hatten. Dennoch wollte er dem Mann erst mal auf den Zahn fühlen. Er musste wissen, ob er es mit einem trauernden und zutiefst enttäuschten Vater zu tun hatte, der eine Verzweiflungstat begangen hatte, oder mit einem cleveren Verbrecher.

»Hallo, Herr Klinke«, begann Max das Gespräch, nachdem die Tür hinter dem Untersuchungshäftling geschlossen worden war.

»Guten Tag, Herr Bischoff. Danke, dass Sie hergekommen sind. Ich habe schon viel über Sie gelesen und gehört.«

Max nickte. »Das freut mich, aber ich möchte vorab etwas klarstellen: Ich kann wahrscheinlich nicht ansatzweise nachempfinden, was die Misshandlung oder der gewaltsame Tod eines Kindes für Eltern bedeutet, und ich bin absolut der Meinung, dass Menschen, die solche Verbrechen begehen, für lange Zeit von der Gesellschaft ferngehalten werden müssen. Trotzdem ist das, was Sie getan haben, durch nichts zu rechtfertigen. Dieses kleine Mädchen, dem Sie mit Ihrer Tat eine höllische Angst eingejagt haben, ist am allerwenigsten verantwortlich für das, was Ihnen passiert ist.«

Klinke hielt Max’ Blick stand. »Das weiß ich, Herr Bischoff«, erklärte er mit leiser Stimme. »Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Als ich die verängstigten Augen der Kleinen gesehen habe, wollte ich das Ganze sofort abbrechen, aber da war ich schon zu weit gegangen.«

»Was haben Sie denn gedacht, würden Sie mit dieser Aktion erreichen? Glaubten Sie wirklich, damit etwas an den vielleicht zu milden Urteilen von manchen Richtern ändern zu können?«

Klinkes Gesichtszüge verhärteten sich. »Nein, mir ging es dabei nur um diese eine Richterin. Sie ist mitschuldig am Tod meines Sohnes, und ich hoffe, sie wird zumindest diese Gewissheit bis an ihr Lebensende mit sich herumtragen.« Er stieß ein kurzes, humorloses Lachen aus. »Aber diese Frau ist in ihrer Selbstherrlichkeit wahrscheinlich zu sehr davon überzeugt, mit ihren aberwitzigen Urteilen ein richtig guter Mensch zu sein, um begreifen zu können, dass sie für die Täter und gegen die Opfer agiert.«

»Vielleicht haben Sie damit sogar recht, aber noch einmal: Ihre Tochter ist daran völlig unschuldig.«

»Ich weiß.« Klinke sah sich in dem kleinen Raum um, als gäbe es etwas zu entdecken, bevor er sich wieder Max zuwandte. »Hier eingesperrt zu sein ist schlimm, aber ich weiß, dass ich es verdiene. Man hat mir angeboten zu arbeiten, damit käme ich jeden Tag für ein paar Stunden aus meiner Zelle heraus. Ich habe abgelehnt. Nicht, weil ich keine Lust auf Arbeit habe, sondern weil ich weiß, dass ich es durch meine Tat verdiene, jeden Tag bis auf die eine Stunde Hofgang in meiner Zelle zu sitzen und darüber nachzugrübeln, wie ich so etwas tun konnte.«

»Lassen Sie uns zu dem Punkt kommen, weswegen ich hier bin«, wechselte Max das Thema. »Herr Weinand sagte, Sie vermuten, dass der Absender der Mail, die ich gelesen habe, derjenige ist, der in Düsseldorf den Sohn von Richter Holzheimer entführt hat.«

»Ja. Und ich mache mir auch deswegen schlimme Vorwürfe.«

»Denken Sie nicht, der Kerl hätte das so oder so getan?«

Klinke zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber er hat mir in der Mail geschrieben, er hätte das richtig gemacht, was ich versaut habe. Klingt das für Sie nicht danach, dass er mir zeigen möchte, wie es geht?«

»Er hat aber auch viel dahergeschwafelt über Schuld, degenerierte Gesellschaft und korrupte Politiker. Ich bin der Meinung, der Kerl hat einen gehörigen Schaden und hätte die Tat so oder so begangen.«

»Aber wenn ich Sie engagiere und Sie den Jungen retten und den Täter schnappen, kann ich damit vielleicht ein bisschen von dem wiedergutmachen, was ich getan habe.« Klinke sah Max offen an. »Ich weiß, dass ich mich damit nicht freikaufen kann, und ja, wenn man es genau betrachtet, ist diese Idee reiner Egoismus. Ich möchte mir selbst beweisen, dass ich kein wirklich schlechter Mensch bin. Können Sie das verstehen?«

Max dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Das ist unerheblich, ich muss es nicht verstehen. Aber ich kann es akzeptieren.«

»Heißt das, Sie nehmen den Auftrag an?«

»Sie haben noch gar nicht gefragt, wie hoch unser Honorar ist. Hat Herr Weinand Ihnen mitgeteilt, dass ich eine Detektei mit einem Partner zusammen gegründet habe?«

»Nein, aber die Höhe des Honorars ist mir egal. Kai kümmert sich darum, ich habe ihm eine Generalvollmacht für meine Konten gegeben. Mir geht es finanziell recht gut, Ihr Honorar wird also auf jeden Fall bezahlt.«

»Eine Generalvollmacht? Sie scheinen wirklich gute Freunde zu sein. Warum haben Sie eigentlich Herrn Weinand zu mir geschickt und nicht Ihren Anwalt?«

»Wie Sie schon sagten, sind wir sehr gute Freunde. Es gibt niemanden, dem ich mehr vertraue als Kai.«

»Also gut. Ich werde mit meinem Partner noch einmal alles durchsprechen. Falls wir den Auftrag übernehmen, sollten Sie trotzdem Ihren Anwalt einweihen. Allein schon, weil er in der JVA unkomplizierter Zugang zu Ihnen hat als Ihr Freund.«

»Das tue ich. Brauchen Sie eine Anzahlung?«

»Erst spreche ich mit Dr. Wagner, dann sehen wir weiter.«

Max verabschiedete sich, stand auf und wollte sich gerade abwenden, als Klinke sagte: »Herr Bischoff?«

Max hielt inne. »Ja?«

»Danke! Ich vertraue darauf, dass Sie diesen Kerl finden, bevor er …« Klinkes Blick senkte sich für zwei, drei Atemzüge, dann sagte er: »Wenn diesem Jungen in Düsseldorf wegen dem, was ich getan habe, etwas geschieht …« Erneut schlug Klinke die Augen nieder, dieses Mal sprach er jedoch weiter, ohne Max noch mal anzusehen.

»Als dieser Irre meinen Jungen ermordet hat, ist etwas in mir gestorben. Alles Gute, alles Schöne, das ich je gefühlt habe, ist seitdem tot. Gefühle wie Glück, Freude oder Liebe … tot. Wenn nun diesem Jungen etwas geschieht, wenn seine Eltern durch die Folgen meiner Tat diesen unerträglichen Schmerz erfahren müssen, dann wüsste ich nicht, wie ich mit dieser Schuld weiterleben sollte.«

Max nickte und verließ den kleinen Raum. Jedes weitere Wort wäre überflüssig gewesen.

Als er wieder im Auto saß, rief Max zuerst bei Marvin an, der gemeinsam mit Jana dabei war, die am Vortag gelieferten Computer fertig einzurichten und eine geordnete Dateistruktur auf dem Server anzulegen, wie er berichtete.

Nachdem Max ihm von seinem Gespräch mit Klinke erzählt hatte, herrschte einen Moment Stille.

»Marvin?«, fragte Max schließlich, weil er schon befürchtete, die Verbindung sei unterbrochen.

»Ja?«

»Du bist so still.«

»Entschuldige, du weißt ja, die meisten Kommentare überlasse ich meinen Augenbrauen, aber die kannst du natürlich nicht sehen. Also in Worten: Ich bin mir des denkwürdigen Momentes bewusst. WaBi Investigations hat den ersten Auftrag bekommen. Wow!«

»Es sieht so aus.«

»Ich fühle mich geehrt, ab jetzt an der Seite eines begnadeten Fallanalytikers arbeiten zu dürfen, lieber Max.«

Das hörte sich für Marvins Verhältnisse sehr emotional an.

»Wobei du natürlich im Gegenzug von dir behaupten kannst, mit einem von Deutschlands besten Wissenschaftlern im Kosmos der Psychologie und der Schriftanalyse zusammenarbeiten zu dürfen.«

Das klang schon wieder deutlich mehr nach Marvin Wagner. »Und mit absoluter Sicherheit mit dem sonderbarsten«, fügte Max lachend hinzu.

»Wie sagte schon Elbert Green Hubbard: Ein Freund ist ein Mensch, der dich mag, obwohl er dich kennt.«

»Wer, zum Teufel, ist Elbert Green Hubbard?«

»Hubbard war ein amerikanischer Schriftsteller, Essayist, Philosoph und Verleger. Er kam 1915 mit seiner Ehefrau beim Untergang des britischen Ozeandampfers Lusitania vor der irischen Küste ums Leben.«

Max schüttelte ungläubig den Kopf, obwohl Marvin es nicht sehen konnte. »Ich lege jetzt mal auf und konzentriere mich auf die Straße. Bis gleich.«

Keine zehn Minuten später klingelte sein Smartphone. Es war Böhmer.

»Und?«, fragte er in einem Ton, der Max aufhorchen ließ. »Bist du schon auf dem Rückweg?«

»Ja.«

»Wie ist es gelaufen? Nimmst du den Auftrag an?«