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Eine mörderische Reise entlang der Mecklenburger Küste vom Ostseebad Boltenhagen bis zum Darß. Ein ungewöhnlicher Freizeitführer mit Humor, Spannung und so manchem interessanten Ort. Lassen Sie sich von den 11 Kurzkrimis in 11 Orten mit 125 Ausflugstipps überraschen. Begeben Sie sich nach der Lektüre auf mörderische Spurensuche und folgen Sie den Protagonisten auf ihrer tödlichen Spur an Strand, Meer und Bodden.
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Seitenzahl: 263
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Regine Kölpin
Mörderische Mecklenburger Bucht
11 Krimis und 125 Freizeittipps
Dieses Buch wurde vermittelt durch die Literaturagentur Lesen & Hören, Anna Mechler
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
(erschien bereits 2016 im Gmeiner-Verlag unter dem Titel »Wer mordet schon in der Mecklenburger Bucht?«)
Lektorat: Sven Lang
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © elxeneize – Fotolia.com
und © Flexmedia – Fotolia.com
ISBN 978-3-8392-5570-4
»Willkommen im Land zum Leben«, begrüßt das Schild an der A 20 den Besucher Mecklenburg-Vorpommerns. Diese Aussage transportiert das, was man in der Region empfindet.
An Mecklenburg-Vorpommerns Küste verbringe ich seit Jahren viele Stunden bei außergewöhnlich netten und freundlichen Menschen, die ich in der Zeit sehr zu schätzen gelernt habe. Ein Teil meiner großen Familie lebt dort und so sind auch darüber hinaus enge Freundschaften gewachsen. Sympathisch für mich und meine Familie ist, dass es sogar einen See mit dem Namen »Kölpinsee« gibt. Bei meiner Recherche für diesen Freizeitführer bin ich offene Türen eingelaufen. Allen voran möchte ich Sigrid Mindemann aus Bad Doberan danken, die mir einen wunderbaren Einblick in Stadt und Region gegeben und mich bei sich aufgenommen hat. Wir sind uns sehr nahe gekommen in der Zeit und das freut mich. Dann ein Dankeschön an das Hotel Kranich in Prerow. Tatjana Gebert und Peter Sinnemann haben mich während meiner Recherchereise mit vielen wertvollen Tipps unterstützt. Dieses familiäre Hotel kann ich nur wärmstens empfehlen.
Vor Ihnen liegt nun kein gewöhnlicher Reiseführer, sondern, wie der Titel deutlich macht, ein krimineller Freizeitführer. Beißt sich das? Ich denke nicht.
Mecklenburg-Vorpommerns Küste wirkt zwar ruhig und beschaulich, an unzähligen Stellen sogar romantisch. Und doch sind mir an den verschiedensten Ecken mörderische Gedanken gekommen. Meine kriminelle Reise beginnt im malerischen Boltenhagen, im Westen Mecklenburg-Vorpommerns. Diesen traditionellen Ort mit kleinen Geschäften und einem angenehm pulsierenden Leben habe ich mir als Erstes zum Schauplatz für meine Verbrechen auserkoren.
Weiter geht es in der Hansestadt Wismar und auf der Insel Poel. Wismars Altstadt besticht durch eine einzigartige Architektur und einen faszinierenden Stadthafen. Zur Insel Poel gelangt der Reisende über einen Damm, sodass er auch ohne Schiffsverkehr das Inselflair genießen kann. Anschließend mache ich einen Abstecher ins Landesinnere zur Landeshauptstadt Schwerin. Diese Stadt ist allein wegen des Schlosses am See eine Reise wert.
Kühlungsborn ist wiederum ein Ort mit alter Seebadkultur und gemütlichen Kneipen, einem grandiosen Strand, im Sommer oft mit Lagerfeuerromantik. Von Heiligendamm aus führt eine Fahrradküstenroute nach Börgerende und von dort nach Nienhagen. Dazwischen liegt ein verwunschenes Hexenwäldchen mit einem wilden Strand. In Bad Doberan dominiert das Münster, faszinierend ist aber auch die Dampflok Molli, die mitten durch die Stadt fährt. Ganz abgesehen von der interessanten Architektur. Lassen Sie sich überraschen. Von hier aus geht es zur Hansestadt Rostock mit dem Zoo und dem einzigartigen Darwineum, das schon allein einen Besuch wert ist. In Warnemünde wartet der große Überseehafen, aber auch eine ansprechende Flaniermeile, die zum weitläufigen Strand führt. Der Ort selbst besticht außerdem mit der Achterreeg, die das alte Warnemünde widerspiegelt. Der Darß mit seiner erlebnisreichen Natur, pittoresken kleinen Orten und dem Bodden runden den kriminellen Freizeitführer ab. Da wären der Künstlerort Ahrenshoop, der Badeort Prerow mit Weststrand und Leuchtturm und schließlich Zingst, direkt am Bodden gelegen.
Lassen Sie sich auf die mörderischen Spuren ein und erkunden Sie die Gegend auf eine ganz andere Art und Weise. Danke, dass Sie mich auf diesem Weg begleiten.
Regine Kölpin
1. Boltenhagen
2. Wismar
3. Poel
4. Schwerin
5. Kühlungsborn
6. Heiligendamm/Börgerende/Nienhagen
7. Bad Doberan
8. Rostock
9. Warnemünde
10. Prerow/Ahrenshoop
11. Zingst
Das Ostseebad Boltenhagen war in früheren Zeiten ein Bauern- und Fischerdorf und die Bauern unternahmen um 1830 erste Bestrebungen der »Bäderkultur«, indem sie ihre Häuser räumten, in Stall und Scheune zogen und Badegäste aufnahmen. Heute ist Boltenhagen ein bekanntes Seeheilbad und sowohl für den Familienurlaub als auch für Wellness- und Aktivtage bestens geeignet. Es gibt ein immenses Angebot an Ferienwohnungen, Pensionen und Hotels. Kuren sind ebenfalls möglich. Boltenhagen liegt westlich der Hansestadt Wismar direkt an der Ostsee mit einem feinen weißsandigen Strand und wartet daneben mit einer Steilküste auf.
Der Ort selbst ist belebt, zahlreiche Cafés, kleine Boutiquen und Restaurants liegen dicht an dicht und laden zum Verweilen ein. Von überall ist man schnell am Strand, der im Sommer stark frequentiert ist. Im Herbst oder Frühjahr aber kann man hier ausgedehnte und einsame Spaziergänge bis zur Steilküste unternehmen. Eine Seebrücke ist dem Ort ebenso zu eigen. Bei Boltenhagens Kirche auf der Paulshöhe handelt es sich um einen interessanten Backsteinbau mit einem Altarbild aus dem Jahr 1873. Wunderbar ist der Kurpark des Ortes, der direkt an die Strandpromenade grenzt und ganz neu gestaltet wurde. Auch die Kultur kommt in Boltenhagen nicht zu kurz. Für Leseratten ist ein Besuch in der Galerie »Buch im Kurpark« zu empfehlen.
Im Ortsteil Tarnewitz befindet sich die Weiße Wiek mit der Marina Boltenhagen. Ein malerischer Hafen für Skipper und Fischer. Nicht weit entfernt liegt der Ort Klütz mit seiner Windmühle und dem Literaturhaus Uwe Johnson.
Wollen Sie nur einen Tag nach Boltenhagen kommen, bietet der Ort einen Shuttle vom P & R-Parkplatz am Ortseingang. Von dort werden sie zum Strand gefahren und nach Bedarf wieder abgeholt. Dieser Transfer kostet nur 2 Euro, unabhängig von der Anzahl der Personen im Auto.
Weitere Infos:
Kurverwaltung Boltenhagen
Ostseeallee 4
23946 Boltenhagen
Telefon: 038825/360-0
www.boltenhagen.m-vp.de
Anreise:
Mit dem Pkw: A 20, Abfahrt Boltenhagen, von dort aus-
geschildert
Mit der Bahn: Die nächsten Bahnstationen liegen in Gre-
vesmühlen, ca. 17 km entfernt. Weiter mit der Linie 320
oder
in Wismar, ca. 25 km entfernt. Hier fährt die Linie 240
Endlich Urlaub. Marion packte ihren Koffer. Sie freute sich auf zwei Wochen Ostsee, Strand und hoffentlich Sonne. Diese Ferien hatte sie sich wahrlich verdient. Ein hartes Jahr lag hinter ihr. Sie hatte ihren Job in Hamburg wechseln müssen, weil sie die Spitzen der Kollegen nicht mehr ertragen hatte. Dieses Nicht-Beachten, dieses ständige Übergehen. Dieses Nichts-wert-sein, das sie von Kindesbeinen an begleitete. Nach der Kündigung hatte Marion schließlich einen kleinen Buchladen mit Papeterie eröffnet. Sie plante langfristig, heimischen Künstlern eine Plattform zu bieten. Bei der Recherche für ähnliche Projekte war sie in Boltenhagen auf den Buchladen und die Galerie »Buch im Kurpark« 1 gestoßen. Dort vereinten sich Bilder und Literatur. Genau so stellte sie sich dieses Konzept auch in ihrem Lädchen im Hamburger Schanzenviertel vor. Sie freute sich auf ihren Besuch in der Galerie »Buch im Kurpark«.
Boltenhagen zeigte sich von seiner schönsten Seite, als sie ankam. Marion warf ihren Koffer aufs Bett und wollte sogleich an den Strand, das leise Schlagen der Wellen genießen. Auf der Strandpromenade 2 war mächtig was los, aus dem Kletterpark 3 drang fröhliches Geschrei zu ihr herüber. Marion setzte sich auf eine der Bänke und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Hier würde sie zur Ruhe kommen, hier würde sie es schaffen, ihr weiteres Leben vernünftig zu planen. Eines der Ausflugsschiffe 4 hatte angelegt und wahre Menschenströme ergossen sich auf die Promenade. Marion genoss ihr sonniges Plätzchen, das sie nicht so rasch räumen würde. Sie öffnete einmal kurz die Augen, als ein warmer Windhauch über ihr Gesicht strich. In dem Augenblick fiel ihr Blick auf einen Mann, der eben die Promenade entlangschlenderte. Groß, blond und schlank, Dreitagebart, aber viel zu alt für sie. Der Mann hielt ebenfalls inne, als sie ihn bemerkte. Er lief ein paar Schritte weiter, drehte schließlich um und ließ sich rechts von ihr auf der Bank nieder. Eine Weile saßen sie stumm nebeneinander, doch die Luft zwischen ihnen knisterte. Marions Blick schweifte immer wieder zu diesem Mann, der gar nicht ihr Typ war und sie dennoch auf eigentümliche Art und Weise faszinierte. Auch der Mann betrachtete sie heimlich und nach einer unendlich erscheinenden Zeit verhakten sich ihre Blicke ineinander. »Ich bin Klaus Müller«, stellte er sich vor.
Marion zuckte zusammen, dann überzog ein Lächeln ihr Gesicht. »Marion Müller. Ich trage auch diesen Allerweltsnamen.« Sie konnte nicht weitersprechen, als sie in den Augen dieses Mannes abtauchte. Was hatten sie für eine wunderbare dunkelblaue Färbung. Sie sahen aus, als hätte er sie direkt der Ostsee entliehen.
»Es ist ein altbewährter Name. Ich freue mich, dass wir ihn gemeinsam tragen«, sagte Klaus. »Sind Sie im Urlaub hier?«
Marion nickte. »Ja, bin erst angekommen.«
»Von woher kommen Sie? Oder bin ich zu neugierig, wenn ich danach frage?«
Marion schüttelte den Kopf. »Nein, das ist ja kein Geheimnis. Ich habe einen kleinen Buchladen in Hamburg und will mich nun ein wenig erholen. Die letzte Zeit war nicht ganz leicht für mich.«
Klaus schien zu spüren, dass sie das Thema nicht vertiefen wollte und ging deshalb nicht auf die letzte Bemerkung ein. »Eine Buchhändlerin, das ist ja schön. Wissen Sie, ich kann keinen Buchladen betreten, ohne nicht mindestens zwei Bücher zu kaufen. Allein das Gefühl über den Buchrücken zu streichen, dann dieser unvergleichliche Duft, der den Werken entströmt. Es ist doch fast, als könne man schon daran die enthaltenen Geschichten erkennen.«
Marion schmolz förmlich dahin. Er hatte von Werken gesprochen. Vom Duft der Geschichten! Klaus Müller schickte der Himmel, sie waren seelenverwandt, anders konnte sie diese Worte nicht erklären. So etwas war ihr noch nie passiert. Eine Begegnung mit einem Fremden, der schon mit wenigen Sätzen ihr Vertrauen gewonnen hatte. Gab es so etwas wie Seelenverwandtschaft wirklich? »Sie haben ja so recht«, antwortete sie. Sie rang nach Worten, wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Klaus Müller sollte nicht wieder gehen, sollte bleiben. Mit ihr sprechen …
Er druckste ebenfalls herum, hob zweimal zum Sprechen an, verschloss den Mund aber wieder. Ob es ihm ähnlich erging? Marion lächelte ihn aufmunternd an. Bitte, sag doch was, flehte sie in Gedanken und dann, endlich, fragte er: »Darf ich Ihnen einen Kaffee spendieren? Wir zwei Bücherfreunde haben uns bestimmt eine Menge zu erzählen.«
»Ja, gerne!« Marion wunderte sich über sich selbst. Was geschah hier? Sie ließ sich binnen kürzester Zeit von einem fremden Mann zum Kaffee einladen, folgte ihm wie hypnotisiert. Er war um so viele Jahre älter als sie und eigentlich war er auch nicht ihr Typ. Zu alt, zu gesetzt … Aber was hieß schon »eigentlich«. Außerdem wollte sie nichts von ihm. Außer sich mit ihm über Bücher unterhalten. Das war nicht verwerflich.
Klaus Müller bot Marion galant und nach alter Schule den Arm. Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, hakte sie sich bei ihm unter und ging mit ihm. Sie nahm ihre Umgebung kaum noch wahr, war völlig in seinen Bann gezogen. Sie registrierte seinen Duft und nahm an, dass es ein Parfüm von Boss war, speicherte seine Kleidung, seine Mimik und Gestik, als müsse sie all das archivieren.
Klaus erzählte derweil, welche Bücher er in den letzten Wochen verschlungen hatte. Es waren tatsächlich zwei dabei, die sie auch kannte, obwohl sie nicht auf den Bestsellerlisten zu finden waren. Sie diskutierten über die Figuren, den Plot, all diese Dinge, und hatten stets ähnliche Meinungen. Eine solche Nähe zu einem Menschen hatte Marion lange nicht gefühlt. Was machten da die mindestens 20 Jahre, die sie trennten? Sie hatte keine Kraft, sich von ihm zu lösen, wollte sich noch länger mit ihm austauschen. Weiter über Literatur sprechen, philosophieren. Lachen. Denn auch das war mit Klaus Müller uneingeschränkt möglich. Sie schienen sogar denselben Humor zu haben. Sagte einer von ihnen etwas Amüsantes, lachten beide gleichzeitig an derselben Stelle. Marions Herz klopfte immer heftiger. Sie war auf dem besten Weg, sich in diesen wildfremden Mann zu verlieben, der ihr inzwischen alles andere als fremd erschien.
Sie kamen an einem Café in der Ostseeallee an und Klaus suchte umsichtig einen Tisch. Er kümmerte sich darum, dass Marion die Sonne nicht ins Gesicht schien, aber auch dass sie in einer windstillen Ecke saß. Er stand sogar wieder auf und stellte den ausgefahrenen Sonnenschirm so, dass sie optimal geschützt wurde. So etwas war Marion noch nie passiert. Sie musste auf sich achtgeben! Aber mit Klaus Müller einen Kaffee zu trinken, war schließlich harmlos. Was bedeutete das schon? Sie war frei, hatte Urlaub. Und es war jemand da, der sie beachtete, der ihr zuhörte und sie ernst nahm.
»Was möchten Sie denn gerne essen?« Er reichte Marion die Karte.
Sie entschied sich sofort für einen Latte macchiato und einen Apfelstrudel mit Vanillesoße. »Das nehme ich auch immer«, lachte er. »Wir haben offenbar nicht nur denselben Namen. Wollen wir Du sagen?« Er berührte Marion nur leicht, aber das genügte, dass sich alle Härchen auf ihrem Unterarm aufstellten.
»Ja«, hauchte sie. Klaus. Klaus. Klaus. Marions Mund war so trocken. Sie wollte alles, aber sich nicht verlieben und doch war sie mittlerweile auf dem besten Weg dorthin. Klaus verkörperte alles, was ein Mann ihrer Meinung nach in sich vereinigen musste. Charme, Gewandtheit, die Liebe zur Literatur, ein ansprechendes Äußeres. Und dazu hatte er diese Augen, diese sonore Stimme, die ihr Herz zum Rasen brachte. Egal, ob er älter war. Warum sollte man nicht mit einem reifen Mann glücklich sein können? War es nicht einen Versuch wert?
Du kennst ihn kaum, schalt sie sich selbst. Klaus lächelte sie an. Es war unübersehbar, er mochte sie ebenfalls. Gemeinsam betrachteten sie weiter das Treiben um sie herum. Lachten über einen Dreijährigen, der hinter seinem rot gepunkteten Ball her stolperte, blickten einer alten Dame mit zwei weißen Königspudeln nach, die schmucküberladen an den Cafés vorbeiflanierte, und beobachteten ein streitendes Liebespaar, das am Nebentisch Bösartigkeiten austauschte. Dazwischen aber gab es für Momente immer nur sie. Dann tauchten beide in den Augen des anderen ab, schlossen ein Band, das offenbar schon lange vorher bestand und sie nun neu für sich entdeckten.
»Glaubst du an Seelenverwandtschaft?«, fragte Marion schließlich.
Klaus umschloss ihre Hand und sie fühlte sich beschützt. »Ja, das glaube ich und mir ist vor einer Stunde meine Seelenverwandte begegnet.«
Verlegen wandte Marion den Blick ab und kratzte mit der freien Hand den letzten Milchschaum aus dem Glas. Eine unsinnige Geste, doch sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte.
Klaus schloss seine Finger fester um ihre Hand, nahm ihr den Löffel ab und hatte sie nun ganz im Griff. »Schau mich bitte an, Marion. Mir ist klar, dass du jünger bist als ich und ich weiß nicht, ob das ein Problem für dich ist. Aber ich würde dich gern wiedersehen. Wollen wir morgen mit der Carolinchen 5 , der kleinen Bäderbahn, einen Ausflug zur Steilküste 6 machen? Es wäre ein Segen, dich besser kennenzulernen.«
Marion nickte stumm. Dass ihr so etwas passierte, war ein Wunder. Ein Geschenk. Das durfte sie nicht mit Füßen treten, sondern sollte es dankbar annehmen.
Schon früh am nächsten Morgen saß sie im Frühstücksraum der Pension, die in der Nähe des Kurparks 7 lag. Gestern Abend hatte dort ein Konzert stattgefunden, das sie mit allen Sinnen genossen hatte. Die Streicher waren ein Traum gewesen. Lauschte Marion einer Violine, fühlte sie sich jedes Mal dem Himmel nah. Den ganzen Abend hatte sie sich Klaus an ihrer Seite vorgestellt, überlegt, wie er die Musik in sich fließen lassen würde. Weil sie sich gut vorstellen konnte, was er gesagt, gefühlt und gedacht hätte, war sie den Tönen an diesem Abend förmlich entgegengeschwebt.
Gleich nach dem Aufstehen hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, was sie zu dem Ausflug tragen sollte. Sie wollte attraktiv aussehen, aber zugleich musste es ein praktisches Outfit sein, denn die Steilküste war teilweise recht unwegsam.
Sie hatte sich für ein leichtes Sommerkleid entschieden. Dazu trug sie ihre schmalen Sandalen, die elegant wirkten, aber zugleich auch stabil genug waren, einen Spaziergang an einem steinigen Strand zu überstehen. In ihr schulterlanges blondes Haar hatte Marion ein buntes, zum Kleid passendes, Seidentuch gebunden. Falls die Sonne zu sehr vom Himmel brennen sollte, konnte sie es auch als Schutz nutzen. Klaus war ihr die ganze Nacht nicht aus dem Sinn gegangen. Sie freute sich mehr auf ihn, als es nach einer so kurzen Zeit normal gewesen wäre. Aber was war schon normal?
Er wartete bereits an der Haltestelle und tippelte hin und her. Klaus schien nicht minder nervös zu sein als sie. Ständig fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, leckte seine Lippen, und wenn er mal stillstand, wirkte es, als vibriere er.
»Gut siehst du aus.« Seine Stimme zitterte leicht, als er sie begrüßte. »Ich glaube, ich bin aufgeregt.«
Marion lächelte. Klaus gefiel ihr mit seiner Ehrlichkeit.
Die Fahrt mit der Carolinchen war ein Erlebnis. Sie saßen nah zusammen, entdeckten gemeinsam interessante Dinge oder wiesen einander darauf hin. Es war wie am Tag zuvor: Eine Einheit, die sich von Sekunde zu Sekunde festigte. Während der Tour lauschten sie den Informationen über Boltenhagen, der Ort wurde Marion von Minute zu Minute sympathischer. Mittlerweile berührten sich die Knie der beiden fast ununterbrochen. Klaus’ Hand strich ihr ständig flüchtig über den Arm. Marion ließ es geschehen und nahm die Tatsache jetzt glücklich an, sich Hals über Kopf in diesen Charmeur verliebt zu haben.
Als das Carolinchen an der Steilküste hielt, half Klaus Marion aus dem Wagen. Er küsste sogar ihren Handrücken. Dieser Mann war Kavalier durch und durch und unterschied sich so ganz von den jungen Männern in Marions Alter. Keiner von ihnen würde so etwas tun.
Hand in Hand spazierten sie beide am Strand entlang. Ihre Nähe war selbstverständlich geworden. Sie fanden sogar die gleichen Vögel und Sandformationen interessant. Der letzte Zweifel, der alles als glücklichen Zufall betrachtet hatte, formierte sich nun zu einer unumstößlichen Tatsache: Sie und Klaus hatten dieselbe Wellenlänge. Als sie sich auf einen Fels setzten, war es wie selbstverständlich, dass er sie küsste. Ihre Lippen fanden sich, ihre Zungen spielten miteinander und alles fühlte sich verdammt richtig an.
Danach wollte Klaus von Marion alles über sie wissen und erfahren. Er selbst blieb verschlossen, sprach nur das Notwendigste, was ihn anging. »Es ist unspektakulär, nicht der Rede wert«, wand er sich. Marion nahm es hin. Dass Männer nur ungern über ihr Leben sprachen, fand sie nicht ungewöhnlich. Das war ihr schon öfter passiert. Zwar hatte es sich im Nachhinein regelmäßig herausgestellt, wie viel sie zu verbergen hatten, doch das verdrängte sie nun. Mit Klaus war das anders, weil alle anderen Dinge stimmten. Sie hingegen plauderte gern über sich, zumal Klaus ein so guter Zuhörer war. Er hatte Verständnis für ihre prekäre berufliche Lage und konnte nachvollziehen, warum sie die alte Arbeit aufgegeben hatte. Ihr neues Betätigungsfeld, das Geschäftsmodell Literatur und Kunst zu kombinieren, stieß bei ihm auf großes Interesse.
»Das passt zu dir wie die Faust aufs Auge. Du bist dazu geboren, etwas mit deinem Kunstverständnis auf die Beine zu stellen. Das wird super laufen.«
»Tut es ja schon jetzt«, lächelte Marion. »Aber es wird sich noch mehr ausweiten.«
»Weil du ja in Hamburg arbeitest und die Stadt vom maritimen Flair lebt, würde ich das im Laden thematisieren.«
Das war ein interessanter Aspekt, den Marion gern zulassen wollte. »An was hast du genau gedacht?«, hakte sie nach.
»Alles Mögliche. Wir sollten mal beim Buddelschiffmuseum 8 vorbeischauen. Dort findest du ganz sicher tolle Inspirationen«, schlug er vor. Gemeinsam schmiedeten sie Pläne, malten sich aus, welche Autoren und welche Maler Marions Galerie bereichern könnten. Klaus machte sie zwischendurch immer wieder auf Schriftsteller aufmerksam, von denen sie noch nie etwas gelesen oder gehört hatte. »Ich habe da so meine Vorlieben«, sagte er.
»Bist du genrefixiert?«, wollte Marion wissen.
Klaus schüttelte den Kopf. »Das nicht. Ich lese aber gern Texte und Bücher über unerfüllte Sehnsüchte.«
Marion schmunzelte. Das war für einen Mann ungewöhnlich, aber Klaus Müller war eben ungewöhnlich. Und dafür liebte sie ihn. Unerfüllte Sehnsüchte. Wer hatte die nicht? Nur gab es kaum jemand zu. Klaus verriet ihr jedoch nicht, um welche es sich bei ihm handelte.
Am nächsten Tag verabredeten sie sich zum Schwimmen, am darauffolgenden durfte Marion auf dem Ausflugsschiff mitfahren, auf dem Klaus arbeitete. Möwen umkreisten das Boot, die Gischt spritzte bis an die Reling, als sich das Schiff durch die seichten Wellen schob. Am liebsten hätte Marion es Kate Winslet gleichgetan und sich, genau wie sie, vorn an den Bug gestellt. »Was für ein Klischee«, lachte sie.
Mittlerweile war ihr Boltenhagen sehr vertraut, sie liebte den Ort, sie liebte die Seebrücke 9 , sie liebte die blaue Ostsee. Sie liebte Klaus. Marion genoss jede Sekunde mit ihm und so war am vierten Abend klar, dass sie die Nacht nicht in ihrer Pension, sondern in Klaus’ Bett verbringen würde. Er wohnte in einem Einzimmerappartement in der Nähe des großen Campingplatzes 10 im östlichen Teil von Boltenhagen.
»Ich muss ab morgen für ein paar Tage weg«, murmelte er in Marions Haar hinein. »Bin aber nach dem Wochenende wieder da.«
»Wohin fährst du?« Sie würde ihn vermissen.
Klaus drehte sich zur Wand, ging auf ihre Frage aber nicht näher ein, sondern flüchtete sich in vage Anmerkungen. »Montagabend bin ich zurück. Ich muss ein paar Dinge erledigen. Alltägliches, das gibt es neben dir eben auch.« Er sagte es scherzhaft, verriet ihr aber nicht, um welche alltäglichen Dinge es sich handelte.
Marion gab sich damit zufrieden. Doch in ihr wurde die Stimme lauter, dass Klaus sich stets sehr bedeckt hielt, wenn es darum ging, etwas von sich preiszugeben. Er verheimlichte ihr etwas, doch noch war sein Bonus zu groß, als dass sie ihm etwas unterstellen wollte.
Er wird seine Gründe haben, dachte sie. Eines Tages würde er ihr schon sagen, was ihn beschäftigte. Er war ein aufmerksamer, sensibler Mann. Wer weiß, was ihn davon abhielt, sich ihr zu offenbaren. Er würde es bald tun, da war sich Marion sicher. Und vielleicht würde er sie sogar heiraten. Seine Signale waren eindeutig. Es lief auf etwas Festes hinaus.
Gestern Abend waren sie zur Kirche auf der Paulshöhe 11 gegangen und hatten sich den Sturmflutgedenkstein angesehen. Marion hatte das Gespräch aufs Heiraten gebracht und er hatte nicht widersprochen, allerdings war er auch nicht näher darauf eingegangen. Aber sein Blick hatte alles ausgedrückt, was er fühlte. Diese Augen konnten unmöglich lügen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich in diese Richtung öffnete.
Das Wochenende schleppte sich zäh dahin, obwohl Marion versuchte, sich abzulenken. Sie unternahm ausgedehnte Strandspaziergänge und überwand im Kletterpark verschiedene Schwierigkeitsstufen. Doch sie bekam Klaus nicht aus ihrem Kopf. Er hatte ihr zwar seine Handynummer gegeben, aber er ging nicht ans Telefon, so oft sie es auch versuchte. Schließlich gab sie es auf. Marion wollte nicht wie eine Klette wirken und Klaus womöglich verschrecken.
Der Wind hatte aufgefrischt und es war merklich kühler geworden. Es war, als habe Klaus alle Wärme mitgenommen. Bei einem der Spaziergänge traf sie Melli, die mit ihrem Hund am Strand tobte. Der Terrier hatte es auf Marion abgesehen und so begann sie, Stöckchen zu werfen. Es ging eine Weile hin und her, bis die beiden jungen Frauen ins Gespräch kamen.
Melli lebte schon seit Jahren in Boltenhagen und betrieb an der Ostseeallee das kleine Café, in dem Marion mit Klaus Latte macchiato getrunken hatte. »Du warst kürzlich mit Klaus bei uns oder?«, fragte sie nach einer Weile.
»Ja, wir sind«, Marion stockte kurz, »zusammen. Es hat sofort gefunkt.« Er nimmt mich wahr. Etwas, was nicht mal mein Vater getan hat, der sang- und klanglos aus dem Leben meiner Mutter verschwunden ist und sich nie, wirklich nie bei mir gemeldet hat, vollendete Marion in Gedanken ihre Ausführungen. Dieses Verlassen-Werden war ein Fluch, der sich wie ein roter Faden durch all ihre Männerbeziehungen zog und sie bislang davon abgehalten hatte, sich wirklich auf einen von ihnen einzulassen.
Melli stutzte, kaute auf den Lippen herum und schien zu überlegen, ob sie etwas sagen sollte, und entschied sich offensichtlich dagegen. »Ja, er ist sehr nett«, sagte sie nur. »Er fährt am Wochenende immer weg.«
»Wohin?«, fragte Marion, ärgerte sich aber sofort über ihre Frage, weil es sie a) nichts anging und b) deutlich machte, dass er es ihr nicht verraten hatte, obwohl sie doch zusammen waren.
Melli wirkte keineswegs überrascht. »Nach Hause. Klaus Müllers Lebensmittelpunkt ist in Schwerin.«
Marion schluckte. Diese Antwort war mehrdeutig. Nach Hause, Lebensmittelpunkt, konnte vieles heißen. Zu Frau und Kind? Zu Mutter und Vater? In eine eigene kleine Wohnung? Sie wollte ihn selbst fragen, es war besser, das Thema zu wechseln.
Klaus kam Montagabend sofort zu Marion. Er fiel über sie her, wirkte ausgehungert, sodass sie davon ausging, dass er am Wochenende keine andere Frau beglückt hatte. Trotzdem brannten die Fragen in ihr. »Du warst zu Hause? Wo wohnst du, wenn du nicht hier bist?«
Klaus zögerte nicht mit der Antwort. »Ja, ich war zu Hause. Ich lebe in Schwerin.«
Das stimmte also, er gab es unumwunden zu. Marion sah ihn dennoch weiter fragend an, denn er hatte noch nicht alles beantwortet, was sie wirklich wissen wollte.
»Ich fahre stets am Wochenende dorthin, muss immer mal nach dem Rechten sehen.«
Marion wollte den Abend nicht verderben und beließ es dabei, doch versuchte sie in den nächsten Tagen, mehr aus Klaus herauszubekommen. Was bedeutete: »Nach dem Rechten sehen?« Er wich ihr jedes Mal aus.
Marion traf Melli wieder am Strand in Richtung des Yachthafens 12 , als sie allein spazieren ging. »Ist er unterwegs, dein Lover?«, fragte sie gleich. »Dann können wir ja ausgiebig quatschen. Finde ich gut. Komm, wir toben mit dem Hund!«
Marion nickte, griff nach einem Stock und schleuderte ihn über den Sand. Es tat gut, den Frust auf diese Weise abzulassen. Und so warf sie das Holz, hob es auf, warf es … in einer unendlichen Abfolge. So lange, bis Melli sie am Arm packte. »Hey, Marion. Komm mal wieder runter. Was ist denn los mit dir? Du wirkst auf mich ganz anders als beim letzten Mal. So verstört und traurig.«
Marion ließ den Arm mit dem Stock sinken. Eine kraftlose Bewegung, die symbolisierte, wie schlecht es ihr wirklich ging. Melli nahm ihr den Knüppel aus der Hand, schleuderte ihn in Richtung Ostsee und zog Marion an sich heran. Ihr Haar duftete nach Meer und Ostseewind, darunter hatte sich aber auch der Geruch von Orangen gemischt. »Ist es Klaus?«, fragte sie.
Marion nickte. »Ich fahre bald zurück nach Hamburg. Ich weiß nur, dass er jeden Freitag nach Schwerin fährt. Er ist jetzt zum zweiten Mal weg. Er sagt aber nicht, warum er das tut. Ich muss doch wissen, auf was ich mich einlasse.«
»Du hast dein Herz an ihn verloren und er lässt dich im Regen stehen.« Melli schüttelte den Kopf und schob ein verächtliches »Männer!« hinterher.
»Mein Kopf ist noch eingeschaltet und den werde ich auch auf Habachtstellung lassen, bis ich genau weiß, was mit Klaus ist. Er hat eine Frau, stimmt’s? Warum sagt er mir das nicht?«
Melli bedeutete ihr, sich auf einem Baumstamm niederzulassen, der am Rand der niedrigen Dünen lag. Sie umfasste Marions Hand und drückte sie sacht. »Ja, du hast recht. Klaus ist seit 30 Jahren verheiratet, aber er hat keine Kinder und man sagt, die Ehe sei schlecht. Seine Frau kennt keiner. Er hat sie noch nie mit nach Boltenhagen gebracht.«
»Warum lässt er sich nicht scheiden?«, fragte Marion. »Wenn er so unglücklich ist?« Sie hatte nach Mellis Worten Hoffnung geschöpft. Eine unselige Ehe ließ sich beenden. Sie hatte freie Bahn, denn dass Klaus sie über alles liebte, war klar. So sehr konnten Blicke nicht täuschen.
Marion empfing ihn beim nächsten Treffen überaus freundlich, schnurrte wie eine Katze und bereitete ihm eine Liebesnacht, ganz nach seinem Geschmack. Danach stützte sie sich auf den Unterarmen auf, lächelte ihn an und sagte ihm, was sie über sein Leben wusste. »Ich musste da nachhaken. Du hast dich gesperrt und ich möchte wissen, woran ich bin. Enttäuschungen hatte ich im Leben genug. Mein Vater hat uns damals verlassen, meine Mutter und ich waren sehr allein. Seitdem fällt es mir schwer, einem Mann zu vertrauen.«
Klaus stritt es nicht ab. »Ja, ich bin verheiratet und ich habe mich in dich verliebt, weil du mich an meine große Liebe erinnerst. Ich musste sie ziehen lassen, damals. Ich verstehe, dass du das wissen willst. Mir fehlten nur einfach die Worte.«
»Musstest du sie wegen deiner Frau ziehen lassen?«, fragte Marion. Ihr Zeigefinger glitt über seinen behaarten Unterarm.
Er nickte. »Ja, auch deswegen. Ich konnte sie nicht verlassen.«
»Warum nicht?«
Klaus zögerte. »Sie sitzt im Rollstuhl, Marion. Ich habe Schuld. Ich habe diesen Unfall verursacht. Ich kann sie nicht im Stich lassen.«
Marion sog die Luft ein. »Aber du betrügst sie! Ob das für sie besser ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, es ist schändlich. Und nachdem ich meine große Liebe verlassen habe, gab es auch keine andere wichtige Frau mehr. Bis jetzt«, fügte er hinzu. »Bis du mir über den Weg gelaufen bist. Du gleichst ihr so und ich liebe dich.«
Marions Herz klopfte. Es gab einst eine große Liebe. Und nun gab es sie.
Klaus fing an zu weinen. »Ich schäme mich so. Man kann nicht einfach seine Frau zum Krüppel machen und sie dann hintergehen. Was bin ich für ein Mensch?«
Marion schob ihn weg, als er sie in den Arm nehmen wollte. Klaus sprach weiter, so als hätten die ersten Sätze das Schleusentor geöffnet. »Ich habe sogar ein Kind. Das war die größte Sünde. Ich konnte mich nie um das Mädchen kümmern, habe nur heimlich bezahlt, bis sie 18 war.«
»Das Kind ist also auch …«, Marion vollendete den Satz nicht.
Klaus nickte. »Du ahnst es schon: Es ist das Kind meiner großen Liebe. Sarah darf das nie erfahren. Es würde ihr das Herz brechen.«
»Du hast ein Kind in die Welt gesetzt, obwohl du genau wusstest, dass du dich nicht darum kümmern kannst? Weißt du, wie sich ein abgelehntes Kind fühlt? Wenn der Vater es nicht annimmt und so tut, als existiere es nicht?«
»Die Schwangerschaft war ein Unfall.« Klaus hatte sich aufgesetzt und den Kopf auf die Knie gelegt. »Und ich kann mir denken, wie schlimm es für das Mädchen ohne Vater war. Doch ich bin ein furchtbarer Feigling.«
»Du weißt es nicht, Klaus Müller«, hob Marion an. »Wie solltest du das auch wissen? Du hast dich in deiner Schuld eingeschlossen, rechtfertigst damit alle anderen Dinge!« Marion aber wusste, wie das war. Ohne Vater. Verlassen. Allein. Leer. Unwichtig und ungeliebt. Sie zitterte, die Kluft zwischen ihr und Klaus hatte sich binnen Sekunden aufgetan und sie vergrößerte sich immer mehr. Wo war der Mann, in den sie sich unsterblich verliebt hatte? Er war ein Trugbild, eine Fata Morgana, eine Urlaubsliebe. Sonst nichts.
»Besser, ich gehe jetzt«, sagte Marion. Sie fühlte sich ausgenutzt. Ihre Batterien waren leer. Dieser Feigling. Marion schlüpfte in ihre Sachen, doch in der Tür blieb sie noch einmal stehen. »Gab es viele andere Frauen außer mir? Nach dieser Liebe?«
Klaus nickte. »Ich bin die ganze Zeit hier allein und viele Urlauberinnen sind es auch. Die Versuchung ist groß. Ich kann mit meiner Frau nicht schlafen, ich kriege es nicht hin.«
»Dann war ich also eine von vielen.« Marion wurde schlecht.
Doch Klaus schüttelte vehement den Kopf. »Nein, du bist etwas ganz Besonderes. Weil du mich an sie erinnerst.«
Seine Worte klangen wie Hohn in Marions Kopf. Jetzt war alles egal, jetzt musste sie es genau wissen. »Wer war diese Frau, die du so sehr geliebt hast? Ich will den Namen kennen, wo ich ihr doch so ähnlich bin.«
Klaus zögerte, gab sich aber einen Ruck: »Diese Frau hieß Elisabeth. Elisabeth Klein.«
Marion zuckte zurück. »Elisabeth Klein«, wiederholte sie. Die Gedanken überschlugen sich, sie rekapitulierte kurz, was Klaus noch alles preisgegeben hatte, rannte auf die Toilette und übergab sich.