Mordseemusik - Emmi Johannsen - E-Book

Mordseemusik E-Book

Emmi Johannsen

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Beschreibung

Sommer auf Borkum. Das Meer ist spiegelglatt, der Abendhimmel über dem Strand leuchtet blutrot. Vor dem Musikpavillon drängeln sich die Urlaubsgäste und fiebern dem Auftritt von Schlagerstar Pablo Lavega entgegen. Auch Caro steht heute mit auf der Bühne, ihr Chor darf den beliebten Sänger begleiten. Die Stimmung ist ausgelassen - bis Lavega plötzlich zusammenbricht und vor den Augen seines entsetzten Publikums stirbt. Als Kommissar Bachmann wenig später auf der Insel eintrifft, kümmern sich Caro und Jan Akkermann, ihr Partner in allen kriminalistischen Angelegenheiten, längst um den Fall. Gemeinsam ermitteln sie im Schlagermilieu - wo ein heimtückischer Täter mörderische Saiten anschlägt ...

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Seitenzahl: 315

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

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Über dieses Buch

Sommer auf Borkum. Das Meer ist spiegelglatt, der Abendhimmel über dem Strand leuchtet blutrot. Vor dem Musikpavillon drängeln sich die Urlaubsgäste und fiebern dem Auftritt von Schlagerstar Pablo Lavega entgegen. Auch Caro steht heute mit auf der Bühne, ihr Chor darf den beliebten Sänger begleiten. Die Stimmung ist ausgelassen - bis Lavega plötzlich zusammenbricht und vor den Augen seines entsetzten Publikums stirbt. Als Kommissar Bachmann wenig später auf der Insel eintrifft, kümmern sich Caro und Jan Akkermann, ihr Partner in allen kriminalistischen Angelegenheiten, längst um den Fall. Gemeinsam ermitteln sie im Schlagermilieu - wo ein heimtückischer Täter mörderische Saiten anschlägt …

Über die Autorin

Emmi Johannsen ist das Pseudonym von Christine Drews, deren Romane zahlreiche Leser im In- und Ausland begeistern. Mit ihren Borkum-Krimis hat sich die Autorin einen besonderen Traum erfüllt: Inspiriert von ihrer liebsten Urlaubsinsel schreibt sie als Emmi Johannsen eine humorvolle Krimireihe um das sympathische Ermittlerduo Caro Falk und Jan Akkermann, die gemeinsam auf Borkum Verbrecher jagen.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2025 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an:[email protected]

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Textredaktion: Christiane Branscheid, Bremervörde

Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille

Einband-/Umschlagmotiv: © Mauritius Bilder/Kuttig-Reisen/Alamy/Alamy Stock Fotos; © shutterstock: Anna Kondratiuk-Swiacka | dugdax | DzulSh | earth phakphum | ERIK Miheyeu | New Africa | zcebeci

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-7451-2

luebbe.de

lesejury.de

Prolog

Es war heiß. Die Leute tanzten schwitzend auf der Strandpromenade, ausgelassen und so gut gelaunt, dass er ihren Anblick kaum ertragen konnte. Denn der Auslöser für ihre fröhliche Stimmung bewirkte bei ihm genau das Gegenteil, machte ihn so wütend, dass er fast zitterte.

Voller Hass beobachtete er ihn. Die schwarz gefärbten Haare zu einer affigen Tolle frisiert, die Augen halb geschlossen, eine alberne mit Glitzersteinen verzierte Gitarre in der Hand, stand dieser Typ von Scheinwerfern angestrahlt im Musikpavillon und sang eine Schlagerschnulze nach der anderen. Dabei wackelte er in bester Elvis-Manier mit seinen Hüften, glaubte wahrscheinlich, sexy und provokant zu wirken. Tatsächlich sah er aber einfach nur bescheuert aus, geradezu lächerlich. Zwischendurch warf er immer wieder Küsse ins Publikum, die vor allen Dingen die Frauen begeistert aufjubeln ließen.

Am liebsten würde ich dich sofort umbringen, Pablo Lavega.

Ausnahmslos alles an diesem Auftritt fand er verachtenswert, und die Musik, wenn man sie überhaupt so nennen wollte, bereitete ihm geradezu körperliche Schmerzen. So niveaulos, so schlecht, eine primitive Abfolge von Akkorden. Wie gerne würde er diesem Banausen mal zeigen, was richtige Musik bedeutete. Guter Jazz, bei dem er mit seinem Kontrabass den Rhythmus vorgab. Einen Sound, den man fühlen konnte, mit der Seele spüren, der ganz tief ins Innere ging und dort noch lange nachklang, der nachts die eigenen Träume untermalte und am nächsten Morgen als Erstes in den Gedanken wieder auftauchte. Das war Musik. Seine Musik. Aber davon hatte dieser Heini natürlich keine Ahnung.

Er selbst hatte sich unter die Urlaubsgäste gemischt, die sich allesamt so benahmen, als wären sie die größten Fans von diesem Idioten. Die Frauen schmachteten Pablo an, und er fragte sich wieder, woran das bloß lag. Etwa an diesem schmierigen Latino-Aussehen? Hatte heutzutage denn niemand mehr einen Sinn für Ästhetik?

Er bemühte sich um einen freundlicheren Gesichtsausdruck, sonst fiel er hier in der jubelnden Menge womöglich noch auf, und das wollte er beim besten Willen nicht. Im Gegenteil. Niemand sollte ihm etwas anmerken.

Pablo stimmte den nächsten Song an, ein schnulziges Liebeslied, das ihm nur zu gut bekannt war. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, und seine Hände begannen zu schwitzen. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten und wäre schreiend davongelaufen.

Wie sehr er dieses Lied hasste, mit dem er nur schlechte Erinnerungen verband, die schlimmsten seines Lebens. Zu behaupten, dass er wegen dieses Songs ein anderer Mensch geworden war, war keine Übertreibung, obwohl es ihn wurmte, dass ausgerechnet ein Pablo-Lavega-Schlager sein Leben verändert hatte.

Plötzlich tauchten die Bilder wieder vor seinem inneren Auge auf, und er erinnerte sich an jedes Detail jenes Tages, an dem er seine schwärzeste Stunde erlebt hatte.

Wieder kam dieser Gedanke, der ihn schon mal fast aufgefressen hatte, und die Sorge, dass er erst Ruhe finden würde, wenn dieser schmierige Sänger seine Strafe bekommen hatte, wurde immer größer.

Keine Frage, es gab nichts, was er sich mehr wünschte als Pablos Tod.

1

Es war ein heißer Tag. Normalerweise wehte auch im Hochsommer ein frischer Wind über die Insel, aber heute herrschten auf Borkum Verhältnisse wie am Mittelmeer. Selbst jetzt, am späten Nachmittag, zeigte das Thermometer noch über dreißig Grad, es war windstill, das Meer spiegelglatt, und die Luft flimmerte. Die Robben lagen schläfrig auf der Sandbank, zahllose Kinder, die vor der Mittagshitze in ihre Ferienunterkünfte geflüchtet waren, spielten jetzt ausgelassen am Strand, während sich die Erwachsenen auf den Terrassen der neuen Milchbuden vergnügten. Auch auf der Strandpromenade wurde es langsam voller, am Abend würde hier jeder Platz besetzt sein.

Am historischen Musikpavillon, der seit über hundert Jahren zu den bekanntesten Wahrzeichen der Insel zählte, herrschte abends der meiste Trubel. In der Hochsaison kamen regelmäßig unzählige Urlaubsgäste zu den Gratis-Konzerten. In der Außengastronomie vor dem Pavillon war es dann pickepackevoll, viele Paare tanzten zur Musik, die Stimmung war meistens ausgelassen.

Caro wurde ein wenig nervös, wenn sie daran dachte, dass es heute Abend vermutlich genauso sein würde. Es war nicht das erste Mal, dass der Chor einen Auftritt an der Strandpromenade hatte, aber für Caro war es eine Premiere. Mit dem Notenblatt fächerte sie sich etwas Luft zu und versuchte, ihre Aufregung zu verdrängen.

»Wir machen das letzte Stück noch einmal, dann sind wir mit der Generalprobe durch«, rief Leo. Der Chorleiter war ein schlaksiger Mann und mit seinen neunundvierzig Jahren fast zehn Jahre älter als Caro. Er arbeitete als Musiklehrer an Justus’ Schule und leitete mit großer Leidenschaft in seiner Freizeit den Inselchor.

Vor einem guten halben Jahr hatte Tine gefragt, ob sie dem Chor nicht beitreten wollte. Zunächst hatte Caro kategorisch abgelehnt, sie hielt sich beim besten Willen nicht für musikalisch. Im Gegenteil. Wenn sie manchmal unter der Dusche sang und Justus zufällig ins Bad kam, erntete sie immer einen dummen Spruch von ihrem Sohn. Natürlich war das sicherlich auch seinem Alter geschuldet – von einem knapp Fünfzehnjährigen konnte man nicht erwarten, dass er die Sangeskünste seiner Mutter zu schätzen wusste. Trotzdem war seine Kritik nicht ganz von der Hand zu weisen. Sie war eben keine Whitney Houston.

»Es geht doch nicht darum, dass du jeden Ton triffst«, hatte Tine ihr gesagt. »Singen macht glücklich! Das ist wissenschaftlich bewiesen! Der Serotoninspiegel steigt schon nach wenigen Minuten nachweislich an. Außerdem hätten wir eine Menge Spaß zusammen.«

Das letzte Argument hatte Caro schließlich überzeugt. Tine war ihre engste Freundin auf Borkum, regelmäßig gingen sie zusammen walken oder trafen sich auf ein Getränk an der Piratenbude. Warum nicht einmal in der Woche gemeinsam in einem Chor singen?

Bisher kannte sie Chöre nur aus der Kirche. In ihrer Kindheit waren zwei ihrer Geschwister im Kirchenchor gewesen. Allerdings hatten die Lieder, die sie hier sangen, nichts damit gemein. Kein »Großer Gott wir loben dich«, dafür aber Gospel, Shanty, Popsongs und heute eben Schlager.

»Ich finde die Auswahl der Stücke diskussionswürdig«, meinte Jost Blumberg spitz, der in seinem Rollstuhl vorne in der ersten Reihe bei den Frauen saß, während die anderen Männer hinter ihnen standen. Es war nicht einfach gewesen, ihn die schmale Treppe hoch zur Bühne des Musikpavillons zu tragen, aber zwei kräftige Männer hatten es dann doch geschafft. Auch wenn die Infrastruktur das nicht überall ganz einfach machte, war Inklusion auf Borkum nicht nur ein Wort, sondern wurde wirklich gelebt, das gefiel Caro.

Tine klopfte Jost lachend auf die Schulter. »Da geht es dir genauso wie meinem Freddy. Vielleicht habt ihr einfach keinen Geschmack.«

»Jetzt sag nicht, dass dir diese Schnulzen gefallen.« Jost verzog das Gesicht.

»Schnulze hört sich so abwertend an«, fand Tine. »Lovesong – trifft es das nicht eher?«

Caro grinste breit. »Lovesong klingt nach Barbra Streisand und nicht nach Pablo Lavega.«

»Gegen Barbra hab ich nichts!« Jost fuhr sich gespielt divenhaft mit der Hand durch seine dunklen Locken, und Caro musste lachen.

»Also, ich mag Pablos Musik«, meldete sich Martin zu Wort, der hinter ihr stand. Genau wie Jost hatte Caro ihn erst im Chor kennen gelernt, wusste ihn aber nach wie vor nicht richtig einzuordnen. Sie schätzte ihn auf höchstens Ende zwanzig. Trotz seines jungen Alters hatte er nur noch einen dünnen Haarkranz, der ihm ein etwas rentnerhaftes Aussehen verlieh. Das grellgrüne Shirt, das er trug, könnte bei Berliner Hipstern trendig wirken, an Martin sah es irgendwie froschig aus. Obwohl er sehr schmal war, hatte er eine überraschend tiefe Stimme. »Mit der richtigen Frau an der Seite ist so eine Musik doch der Garant für einen gelungenen Abend«, fügte er noch hinzu, und Caro hatte irgendwie das Gefühl, dass er die Worte an sie richtete, so intensiv, wie er sie beim Sprechen anschaute. Schnell wischte sie den Gedanken weg. Es erschien ihr albern, dass sich so ein junger Mann für sie interessieren könnte.

»Im tiefsten Innersten eures Herzens seid ihr eben alle verkappte Romantiker«, meinte Caro. »Außerdem lieben die Leute Pablos’ Schnulzen.«

Jost zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »So? Also ich kenne niemanden. Abgesehen von Tine. Und Martin. Na ja, und vielleicht ein paar hysterischen Frauen da draußen.« Jost wies mit dem Kinn auf die wachsende Schar von Zuschauerinnen, die sich vor dem hellgetünchten Pavillon versammelten. »Vielleicht findest du bei denen ja jemanden für deinen gelungenen Abend. Wobei du ganz schön verzweifelt sein musst, wenn du in der Meute auf die Suche gehst.«

Tine gab ihm schmunzelnd einen Stoß in den Rücken. »Hey! Ich könnte da genauso stehen!«

»Außerdem: Wer im Glashaus sitzt – mehr muss ich dazu wohl nicht sagen«, gab Martin spitz zurück.

»Ich bin nicht auf der Suche, im Gegenteil. Ich bin glücklicher Single«, sagte Jost fröhlich. »Und das soll auch so bleiben.«

»Für den Inselchor ist es jedenfalls eine Ehre, so einen Star begleiten zu dürfen«, sagte Tine noch, und Caro war sich nicht sicher, ob sie diese Bemerkung ernst gemeint hatte oder nicht. Pablo Lavega war ohne Frage ein bekannter Gitarrenspieler und Sänger, zumindest hier in der Region. Mit seiner Band tingelte er in der Hauptsaison von einer Insel zur anderen und spielte dort auf den Strandpromenaden seine Konzerte. Eine lokale Größe, aber alles andere als ein richtiger Star.

»Könnt ihr vielleicht mal aufhören zu quatschen?« Franziska, eine blasse Frau um die vierzig, sah sie genervt an. Caro kannte sie kaum, und bisher war sie ihr nur negativ aufgefallen. Franziska hatte eigentlich immer etwas zu nörgeln.

»Stört doch gerade niemanden«, fand Caro.

»Doch, mich. Ich würde mich gerne konzentrieren«, entgegnete Franziska. Ihre Kiefermuskeln traten hervor, und zwischen ihren Augenbrauen war eine tiefe Falte zu sehen. Sie wirkte so angespannt, als stünde sie kurz vor einer wichtigen Prüfung. Caro verkniff sich lieber einen Kommentar. Franziska war definitiv nicht die Person, mit der sie Streit haben wollte.

»Könnten wir in der Pause vielleicht zusammen den Refrain durchgehen?« Martin war so nah an Caro herangetreten, dass sie seinen Atem im Nacken spürte. Automatisch ging sie einen Schritt zur Seite und drehte sich dann erstaunt zu ihm um.

»Wäre es nicht sinnvoller, wenn du das mit einer Männerstimme probst?«

»Nein, gar nicht.« Martin lächelte und entblößte dabei eine bemerkenswerte Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen. »Ich fände es wirklich schön, wenn wir das noch mal durchgehen könnten.«

Caro bemerkte, wie Tine sie aus dem Augenwinkel beobachtete und sich kaum ein Feixen verkneifen konnte.

»Sorry, Martin, aber ich bin ja noch recht frisch im Chor«, sagte Caro ausweichend. »Ich weiß nicht, ob ich mir so was schon zutraue. Nachher bringe ich dir noch das Falsche bei.« Pablo ging an ihnen vorbei, schnappte sich vom Rollwagen eine Cola und trank einen Schluck. Er trug bereits sein Bühnenoutfit, hautenge Jeans und eine mit Strass besetzte Jacke, in der er sichtlich schwitzte. Caro tippte ihm auf die Schulter. »Ach, Pablo, vielleicht kannst du nachher mit Martin noch mal den Refrain durchgehen? Ihm ist da noch was unklar.«

Pablo hob eine Augenbraue und wirkte irritiert. Ohne zu antworten, ging er einfach weiter.

»Konzentration, bitte!«, rief Leo in dem Augenblick. »Alle auf eure Plätze!«

Relativ geräuschvoll brachten sich die fünfzehn Chormitglieder wieder in Position, Pablo begab sich an sein Mikrofon. Die Hitze im Musikpavillon stand, man konnte die Luft förmlich zerschneiden. Schnell nahm Tine noch einen Schluck aus ihrer Wasserflasche.

»Ich glaube, du hast einen heißen Verehrer«, flüsterte sie Caro kichernd zu.

»Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Kompliment ist«, antwortete sie ernst, und Tine unterdrückte ein Lachen.

Auch Caro trank noch etwas, bevor es weiterging. Bei der Generalprobe durften alle Getränke dabeihaben und zwischendurch einen Schluck nehmen, nachher, beim Konzert, war das nur noch der Band gestattet. Nachvollziehbar, wie Caro fand, schließlich konnten nicht alle dauernd etwas trinken, wie würde das für das Publikum aussehen? Pablo und seine Leute verausgabten sich körperlich viel mehr. Sie standen schließlich an vorderster Front. Trotzdem graute ihr etwas vor dem zweistündigen Konzert in dem stickigen kleinen Raum, in dem sie anders als auf einer klassischen Freilichtbühne nicht offen und unter freiem Himmel stehen würden, sondern von Wänden umgeben waren. Caro hoffte, dass die Luft besser werden würde, wenn die großen Fenster des Pavillons erst mal geöffnet wurden.

Pablos Band kam wieder die Treppe hoch. Caro kannte nur ihre Vornamen, unterhalten hatte sie sich bisher mit keinem von ihnen. Die Band hatte sich dem Chor nur kurz vorgestellt, in erster Linie, um darauf hinzuweisen, dass Teile des Honorars in ihre ecuadorianische Heimat fließen würden. Ansonsten waren sie unter sich geblieben, da es wegen des Auftritts offenbar allerhand zu besprechen gab.

Ron, der Keyboarder, kam als Erster auf die Bühne. Er hatte sein Outfit an Pablos angepasst, trug ebenfalls eine enge Jeanskluft, die mit allerhand Glitzersteinen besetzt war, insgesamt aber etwas unauffälliger wirkte als die des Frontsängers. Seine kinnlangen schwarzen Haare hatte er zu einem kleinen Zopf gebunden. Stirnrunzelnd und sichtlich unzufrieden ging er um sein Keyboard herum, wobei er immer wieder leise vor sich hin murmelte. Er wirkte genervt, wie Caro fand, auch wenn sie keine Idee hatte, was der Grund dafür sein könnte.

Background-Sängerin Isabella überprüfte währenddessen ihr Mikrofon. Auch sie hatte sich dem Jeanslook angepasst, trug knappe Hotpants und ein bauchfreies Oberteil. Mehrmals nahm sie das Mikrofon aus der Halterung und steckte es wieder hinein, verstellte den Ständer ein paarmal, bis er die passende Höhe hatte. Sie wirkte konzentriert und ganz auf den Auftritt fokussiert, räusperte sich mehrmals und summte die Tonleiter rauf und runter.

Als Letzter kam Hauke die Treppe rauf, quetschte sich am Chor vorbei zum Mischpult, das er im Hintergrund bediente. Er trug als Einziger kein Bühnenoutfit, sondern stattdessen eine helle kurze Hose und ein T-Shirt. Die gesamte Technik, für die er verantwortlich war, befand sich in einem Bereich im hinteren Teil des Pavillons, der zum Teil durch einen Vorhang abgetrennt war. Dadurch hatte Hauke zwar die Möglichkeit, die Band im Auge zu behalten, wurde vom Publikum unten auf der Promenade aber selbst kaum gesehen. Caro hatte das Gefühl, dass ihm das ganz recht war. Er wirkte auf sie wie ein typischer introvertierter Technik-Nerd, der nicht gerne im Mittelpunkt stand.

Pablo nahm das Mikro in die Hand und sagte mehrfach »Test, Test«.

»Ich hätte gerne Isabellas Haare«, seufzte Tine leise, die ihren Blick nicht von der langen schwarzen Mähne der Sängerin abwenden konnte.

Caro musste schmunzeln. Tine hatte eine unkomplizierte Kurzhaarfrisur, wie viele Insulanerinnen. Bei den Windverhältnissen, die normalerweise auf Borkum herrschten, war das einfach praktisch. Auch Caro hatte sich vor Jahren von ihrem styling-intensiven Bob verabschiedet und trug nur noch Pferdeschwanz.

»Du bist aber nun mal keine Südamerikanerin«, erwiderte Caro, der zum ersten Mal auffiel, dass auch die Männer so glänzend schwarze Haare hatten wie Isabella, und sie fragte sich, ob das deren natürliche Haarfarbe war. Nur Hauke sah mit seinen aschblonden Haaren ziemlich ungefärbt aus.

»Könnt ihr jetzt bitte das Gequatsche lassen?« Pablo sprach ins Mikro und sah Caro und Tine dabei direkt an. »Ich muss mich konzentrieren. Jetzt ist echt keine Zeit mehr für Tratsch.«

Caro machte eine abwehrende Handbewegung. »Sorry, klar.« Als Pablo sich wieder umdrehte und ihnen den Rücken zukehrte, beugte sich Caro zu Tines Ohr. »Was für ein arroganter Typ.«

»Quatsch, er ist Profi!«, entgegnete Tine, und Caro sah, wie ihre Augen zu leuchten begannen, als der gutaussehende, aber, wie Caro fand, auch ganz schön schmierige Sänger zur beginnenden Musik mit seinen Hüften wackelte.

Für Caros Geschmack war an Pablo einfach alles zu viel. Zu viel Gel in den schwarzen, nach hinten gekämmten Haaren, zu viel Puder im viel zu braungebrannten Gesicht, zu viel Strass an der Jacke, zu viel Bleaching der Zähne, die vermutlich auch bei größter Dunkelheit noch strahlend weiß leuchten würden. Wie alt mochte er sein? Caro konnte es schwer einschätzen. Zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig hielt sie alles für möglich. Es war ihr ein Rätsel, warum diesem Mann so viele Frauenherzen zuflogen. Tine offenbar nicht.

»Wenn ich nicht verheiratet wäre …«, seufzte sie sehnsuchtsvoll und ließ ihren Blick über Pablos Körper wandern, der sich gerade nach seiner Colaflasche bückte und sein durchaus knackiges Hinterteil genau in ihre Richtung streckte.

Caro stieß ihr grinsend den Ellenbogen in die Seite. »Der ist doch nichts gegen Freddy.«

»Du meinst, der Hintern?«

Caro wollte gerade laut loslachen, als sie Leos strengen Blick bemerkte. »Okay, sind alle so weit?« Er drehte sich zu Pablo. »Auf drei?« Pablo nickte, hängte sich seine Gitarre um und räusperte sich noch mal. Leo zählte bis drei, und Pablo schmetterte mit Inbrunst seinen selbstgeschriebenen Schlager ins Mikro.

»Als ich dich sah …«

»Als ich dich sah«, wiederholte der Chor. Jost verdrehte theatralisch die Augen, und Caro merkte, wie ein Lachkrampf in ihr aufstieg. Der Song war wirklich dämlich, da musste sie ihm recht geben.

»Als ich dich zum ersten Mal sah«, flüsterte ihr Martin plötzlich von hinten ins Ohr.

Abrupt drehte sich Caro zu ihm um. »Du musst einen Schritt zurück, sonst bringst du mich aus dem Takt«, zischte sie ihm zu. Martin verzog enttäuscht das Gesicht, ging aber etwas nach hinten.

»… dich und deine blauen Augen …«, sang Pablo weiter.

»Deine blauen Augen«, wiederholte der Chor. Schließlich stieg auch Isabella in den Gesang ein, und die beiden trällerten sich übertrieben schmachtend an, sangen von der ersten großen Liebe und dem Schmerz, wenn diese zerbrach. Nach einigen Minuten war der Song zu Ende. Die Urlaubsgäste auf der Strandpromenade, die trotz der geschlossenen Fenster die Generalprobe verfolgt hatten, brachen in frenetischen Applaus aus, durchsetzt von zahlreichen Jubelrufen. Pablo warf ihnen durch die Fensterscheiben lächelnd Kusshändchen zu, verbeugte sich wie ein Hollywoodstar nach der Oscarverleihung und schien ganz in seinem Element zu sein.

»Okay, Leute. Eine halbe Stunde Pause, dann geht es los.« Leo wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Trinkt noch was, geht an die frische Luft, und macht endlich die verdammten Fenster auf.«

Alle verließen den Pavillon, auch Jost wurde nach unten getragen und war genauso erleichtert wie die anderen, als sie vor dem Gebäude standen und endlich durchatmen konnten. Es war zwar immer noch heiß, aber inzwischen ging wenigstens ein leichtes Lüftchen. Hier unten war es allemal besser als oben im aufgeheizten Pavillon. Eine Kellnerin aus dem Kliff, dem gegenüberliegenden Restaurant, kam mit einem Tablett Getränken an.

»Schöne Grüße von Hagen«, rief sie und warf ihre stark gekräuselten blonden Locken in den Nacken. »Die Runde geht aufs Haus.«

»Wer ist Hagen?«, fragte Caro und nahm dankend zwei Gläser Wasser vom Tablett.

»Der Besitzer vom Kliff«, antwortete Tine. »Er ist auch der Veranstalter der Konzerte. Hast du ihn nicht vor der Probe gesehen? So ein Großer, Stämmiger.«

Caro erinnerte sich an den Mann. »Nett, dass er die Getränke spendiert.«

»Ja. Liz!« Tine rief der Kellnerin hinterher. »Kann ich noch eins haben?«

Liz hielt ihr das Tablett hin. »Ja klar. Du auch?«

Caro schüttelte den Kopf. »Sonst muss ich während des Konzerts noch aufs Klo.«

»Falls du noch Durst bekommst, kannst du deine Trinkflasche bei uns an der Theke auffüllen«, sagte Liz. »Hier im Pavillon gibt es kein Trinkwasser.«

»Ist ja wie bei den Wasserpumpen am Strand«, stellte Caro fest. »Danke für das Angebot.«

Liz nickte und ging dann zu Hauke, bot ihm das Tablett an, aber er schüttelte nur den Kopf. Er schien irgendetwas nicht sonderlich Freundliches zu ihr zu sagen, Caro konnte zwar nicht verstehen, was, aber sie sah, wie Liz den Mund verzog. Schnell ging sie weiter und bot dem Nächsten etwas zu trinken an.

»Hauke scheint ja nicht die beste Laune zu haben«, raunte Caro ihrer Freundin zu.

»Was man so hört, hat der die nie«, sagte Tine. »Irgendwer hat mal erzählt, dass Pablo ihn nur in der Band aufgenommen hat, weil er sonst auf die schiefe Bahn geraten wäre.«

»Das wäre ja nett von Pablo.«

»Da ist er«, hauchte Tine, als der Sänger an ihnen vorbeiging und sich eine Zigarette ansteckte. »Kannst du ein Foto von uns machen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, stellte sich Tine neben Pablo, der in der einen Hand eine Colaflasche und in der anderen eine qualmende Zigarette hielt. »Hi, ich bin Tine.« Sie strahlte ihn an.

Pablo drehte sich lächelnd zu ihr um, und Caro hatte das Gefühl, dass er ihre Freundin von oben bis unten scannte.

»Hallo, die Damen«, sagte er mit einer flirtenden Stimme. »Möchtet ihr ein Autogramm?«

»Können wir zusammen ein Foto machen?« Tine wirkte nervös wie ein Teenager.

»Na klar.« Pablo legte ihr den Arm um die Schulter, wobei der Rauch seiner Zigarette direkt in Tines Augen stieg, sodass sie blinzeln musste. Caro tippte mehrmals hintereinander auf den Auslöser auf ihrem Smartphone-Display und hoffte, dass sie ihre Freundin wenigstens auf einem der zahlreichen Fotos mit offenen Augen erwischt hatte.

»Willst du auch eins?« Pablo wandte sich lächelnd an Caro, wobei er nur einen Mundwinkel hochzog.

»Nein, danke.«

»Macht ihr Urlaub auf Borkum?«, fragte er, ohne den Arm von Tines Schulter zu nehmen.

»Wie, Urlaub?« Tine fächelte den Qualm von sich weg. »Wir sind doch vom Chor!« Ihre Stimme klang pikiert.

Auch Caro war irritiert. »Ich habe dich doch eben noch gefragt, ob du mit Martin den Refrain durchgehen könntest.«

»Ja sicher, sicher.« Er lachte künstlich auf. »Sorry, ich bin immer so auf den Auftritt fokussiert, dass ich die Leute um mich herum kaum wahrnehme.«

Tine wand sich aus seiner Umarmung und hustete, offenbar war ihr der Rauch nun auch in die Nase gestiegen. »Kein Problem, ist ja verständlich.«

»Vielleicht gehen wir nach dem Konzert noch was zusammen trinken«, flötete Pablo weiter, und Tines pikierter Gesichtsausdruck war sofort verschwunden.

»Wir beide? Gerne!« Sie strahlte.

»Ich dachte eigentlich, wir alle zusammen, also der ganze Chor«, meinte Pablo. Tine ließ schlagartig die Mundwinkel hängen und wirkte enttäuscht wie ein kleines Kind, das Fernsehverbot bekommen hatte. Sie wollte gerade etwas erwidern, als Isabella zu ihnen kam. Ihre überschulterlangen schwarzen Haare glänzten in der Abendsonne, und trotz der Hitze war ihr Make-up perfekt. Sie war zweifelslos eine Schönheit, wie Caro neidlos feststellte.

»Können wir noch mal über den letzten Song sprechen?«, fragte Isabella Pablo und lächelte Caro und Tine freundlich zu.

»Was gibt es da denn noch zu besprechen?« Die professionelle Freundlichkeit aus Pablos Stimme war schlagartig verschwunden.

»Du hast Rons Part schon wieder verkleinert, und damit ist auch mein Einsatz …«

»Warte.« Pablo drehte sich noch mal zu Tine. »Also, wir sehen uns auf einen Drink?«

»Ja!« Tine strahlte wieder.

Er zwinkerte ihr zu und zog Isabella dann einige Meter von ihnen weg, sodass Caro nicht mehr hören konnte, worüber sie sprachen.

»Irgendwie ein komischer Typ.« Caro verstummte, als sie Tines Gesichtsausdruck sah. Versonnen blickte ihre Freundin Pablo hinterher.

»Er ist wirklich wahnsinnig süß.«

»Wie bitte? Der ist doch so ’n klassischer Aufreißer!«

Tine zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Das ist deine Sicht der Dinge. Ich weiß nur, dass er mit MIR ein Date hat.«

Caro musste schmunzeln. »Könnte es sein, dass du etwas zu viel in die Sache hineininterpretierst?«

»Absolut nicht.«

»Aber er wollte doch mit dem ganzen Chor …«

»Und dann doch nur mit mir«, unterbrach Tine sie.

»Du willst den nicht ernsthaft nach dem Konzert treffen?«

Tine zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Ich werde ihm einfach sagen, dass der Rest des Chors nachkommt und wir schon mal zu zweit was trinken.«

»Tine!«

»Keine Sorge. Ich geh schon nicht mit ihm aufs Hotelzimmer. Aber was spricht gegen einen Drink?«

Caro rollte die Augen. »Na, du musst wissen, was du tust. Bist alt genug.«

»Ich treffe mich einfach nur mit einem begnadeten Sänger auf einen Drink. Solltest du vielleicht auch mal machen.«

»Finde ich auch.« Caro hörte ein Räuspern hinter sich. »Vielleicht können wir auch noch etwas zusammen trinken?«

Sie unterdrückte ein Seufzen, als sie in Martins hoffnungsvolles Gesicht blickte.

»Das ist sehr nett, aber nein.« Die Enttäuschung war ihm anzusehen. In dem Moment tat es Caro fast leid, dass sie so direkt gewesen war. Er war überhaupt nicht ihr Typ, und sie hatte nicht das geringste Interesse, ihn näher kennen zu lernen, aber verletzen wollte sie ihn auch nicht. »Ich habe leider überhaupt keine Zeit«, fügte sie deshalb noch hinzu. Martin nickte nur.

»Was hat die denn schon wieder?«, murmelte Tine und wies mit dem Kinn zu Franziska, die sich mit einem anderen Mann aus dem Chor stritt. Caro konnte nicht hören, was die beiden sagten, aber Franziska gestikulierte wie verrückt und hatte einen hochroten Kopf bekommen, während der untersetzte, vielleicht fünfzigjährige Mann geradeaus ins Leere zu starren schien.

»Wie heißt er noch?«, fragte Caro leise.

»Kurt. Die beiden waren mal zusammen, frag mich nicht, warum. Er ist eigentlich ganz nett, eher so ein stiller Typ. Aber sie ist echt …«

»Im Umgang herausfordernd«, ergänzte Caro schmunzelnd.

»So kann man es auch nennen.«

»Kommt ihr rein?« Leo war hinter sie getreten. »Wir müssen pünktlich anfangen, sonst gibt es Ärger mit der Kurverwaltung. Deshalb bitte alle nach oben. Geht gleich los.«

»Ja klar.« Caro warf noch mal einen Blick zu den Streithähnen. Jetzt erkannte sie, dass Kurt ganz und gar nicht ins Leere starrte, sondern die ganze Zeit Pablo fixierte, der immer noch mit Isabella sprach.

»Kommt Jan eigentlich noch?«, fragte Tine, als sie über die Treppe hinauf in den Pavillon gingen. Martin, der direkt neben ihnen lief, merkte auf, wie Caro aus dem Augenwinkel beobachtete.

»Gut möglich. Warum fragst du?«

»Na, weil er vielleicht der Grund ist, warum du kein Date mit einem berühmten Sänger wie Pablo haben willst.«

Caro unterdrückte ein Seufzen. »Tine …«

»Was denn? Schließlich knistert es doch seit Jahren zwischen euch. Und zwar ganz gewaltig.«

»Wie bitte?« Caro konnte nicht glauben, was sie da hörte.

»Knistern ist gar kein Ausdruck. Lautes Knacken trifft es wohl eher, so wie ihr euch immer anschaut.« Tine lachte. »Ihr passt einfach perfekt zusammen!«

Mit hängenden Schultern ging Martin an ihnen vorbei, stellte sich diesmal nicht direkt hinter Caro auf, sondern platzierte sich ein paar Meter weiter rechts. Caro wollte Tine eigentlich gerade darüber aufklären, dass sie mit ihrer Knister-Knack-Theorie völlig falschlag, aber so kurz vor dem Auftritt wurde es hektisch, und als dann Leo das Wort ergriff, beschloss sie, das Thema einfach auf sich beruhen zu lassen.

»Die Trinkflaschen jetzt bitte von der Bühne! Nur die Band behält ihre!«, rief Leo. »Stellt sie in den Backstage-Bereich. Wer eine Pfandflasche hat, bitte direkt in einen der Kästen. Ansonsten haben die meisten Trinkflaschen ja unterschiedliche Farben, dann findet ihr eure schon wieder.«

»Ich bin hier viel zu sehr im Hintergrund«, hörte Caro Ron schimpfen und fragte sich, warum er das nicht schon eben in der Generalprobe bemerkt hatte. »Hier kann mich doch keine Sau sehen!«

»Dann komm weiter nach vorne«, schlug Leo vor, dem die Schweißperlen auf der Stirn standen. »Stell dich doch vor mich. Den Dirigenten muss nur der Chor sehen, sonst niemand.«

Caro lächelte Leo zu. Er war angenehm uneitel und hatte kein Problem damit, den Bandmitgliedern das Rampenlicht zu überlassen.

»Okay, dann baue ich eben um und komme zu dir nach vorne«, sagte Ron. Um sein Keyboard verstellen zu können, schob er Jost in seinem Rollstuhl ungefragt zur Seite. »Sorry, Mann. Ich muss hier eben durch.«

»Stopp!« Josts Gesicht lief rot an, Schweißperlen wurden auf seiner Stirn sichtbar.

Sofort ließ Ron den Rollstuhl los. »Was ist los? Habe ich was falsch gemacht?«

»Allerdings! Das ist übergriffig! Schieb mich gefälligst wieder zurück an meinen Platz! Sofort!«

Ron verzog seinen Mund. »Alter, ich muss doch nur kurz das Keyboard …«

»Zurück an meinen Platz!« Jost brüllte nun fast.

Ron machte mit den Händen eine beschwichtigende Geste und schob Jost zurück auf seine Position. »Alles gut, jetzt mach doch nicht so einen Aufstand. Meine Güte.« Er ließ den Rollstuhl wieder los. Caro und die anderen blickten auf Jost, gespannt, was als Nächstes passieren würde.

»Und jetzt frag mich«, forderte er Ron auf.

»Was?« Ron schien nicht zu verstehen, worauf Jost hinauswollte. »Was zur Hölle soll ich dich denn fragen?«

»Du willst doch dein Keyboard umstellen, oder nicht?«

Ron unterdrückte ein Seufzen, und Caro musste schmunzeln. Sie fand, dass Jost das genau richtig machte.

»Kann ich dich kurz zur Seite schieben?«, brachte Ron dann gepresst hervor. »Damit ich mein Keyboard …«

»Brauchst du nicht, ich kann auch allein zur Seite rollen.« Jost grinste breit. Dann verlagerte er sein Gewicht auf die Hinterreifen und drehte seinen Rolli im Kreis hin und her.

»Einfach nur kurz zur Seite würde völlig reichen.« Caro konnte die unterdrückte Wut in Rons Stimme deutlich hören.

»Kein Problem!« Mit viel zu viel Schwung rollte Jost zur Seite, übersah Pablos Colaflasche, die griffbereit neben seinem Mikro stand, und schleuderte sie mit dem Hinterreifen durch den Raum. Durch die Beschleunigung spritzte die aufgeschäumte Flüssigkeit aus der offenen Flasche durch die Gegend und hinterließ eine klebrige Spur.

»Super, danke«, sagte Ron lakonisch, während sich auf Pablos Stirn eine Zornesfalte zeigte.

»Das kann doch nicht wahr sein!«, rief er. »Wieso machst du kurz vor Konzertbeginn so eine Scheiße?«

»Sorry, das war keine Absicht.« Nun war es Jost, der zu beschwichtigen versuchte. Zum Glück ging Leo sofort dazwischen.

»Wir sollen hier gleich gute Laune verbreiten, also streitet euch jetzt nicht. Gibt es hier irgendwo einen Mopp?«

Kurt eilte aus seiner Reihe und lief in den hinteren Bereich des Pavillons. Kurz darauf kam er mit einem Wischmopp zurück zu Leo. Martin folgte ihm.

»Vielleicht kannst du das eben aufwischen, Martin?«, bat Leo. »Und der Rest geht wieder auf seine Position. Wir starten in ein paar Minuten, okay?«

Jost nickte betreten, und Ron verstellte grinsend sein Keyboard, während Martin rasch über den Boden wischte.

Es dauerte eine Weile, bis sich im Pavillon wieder alle auf ihren Positionen eingefunden hatten. Obwohl sie noch ausreichend Zeit hatten, herrschte nun eine spürbare Aufregung. Draußen versammelten sich zahlreiche Menschen, inzwischen hatte sich regelrecht eine Traube um den Pavillon gebildet. Immer mehr Fans von Pablo trafen ein.

»Ich brauch aber was zu trinken«, sagte Pablo genervt. »Sonst halte ich das bei der Hitze nicht durch. Besorgt mir eine Cola! Light oder Zero, kein Zuckerzeug!«

»Dafür ist jetzt keine Zeit mehr«, befand Leo mit Blick auf die Uhr. »Musst du halt mal mit Wasser klarkommen.«

»Aber …«

In dem Moment reichte ihm jemand eine Trinkflasche, und Pablo verkniff sich sichtbar eine weitere Bemerkung. Er nahm einen Schluck und setzte ein künstliches Strahlen auf.

Bemerkenswert, wie er von »unsympathischer Möchtegernpromi« auf »strahlender Schlagerstar« wechseln konnte, dachte Caro. Als hätte jemand einen Schalter gedrückt.

Dann ging es auch schon los. Die Vorhänge wurden zur Seite gezogen, und Applaus brach aus, als Pablo ans Mikrofon trat. Mit einer enorm tiefen, geradezu rauchigen Stimme begrüßte er das Publikum.

»Buenos Noches und einen wunderschönen guten Abend, meine Lieben«, raunte er lächelnd ins Mikrofon. »Oder besser gesagt: Moin, Moin!«

Die Leute klatschten und jubelten, als hätte Pablo etwas besonders Intelligentes gesagt. Hunderte Urlauber hatten sich inzwischen auf der Strandpromenade versammelt, sowohl vorm Pavillon als auch oben an der Balustrade und unten am Strand.

»Danke, danke. Und vor allen Dingen jetzt schon ein großes Dankeschön an die Stadt Borkum, die uns wieder zu einem Konzert eingeladen hat. Wie immer geht ein Großteil unserer Gage direkt in unsere Heimat Ecuador«, sagte Pablo strahlend. »Diesmal in ein Kinderheim, das dringend ein neues Dach benötigt.«

Wieder brauste Applaus auf.

»Täusche ich mich oder hat der plötzlich einen Akzent?«, flüsterte Caro, ohne dabei den Kopf zu Tine zu drehen.

»Sei nicht so kritisch. Du willst ihn mir nur madigmachen.«

In dem Augenblick setzte Pablo zum ersten Song an, der Einsatz des Chors folgte prompt. So schmierig dieser Pablo auch war, er hatte sein Publikum fest im Griff, das musste Caro ihm lassen. Die Leute kannten einen Teil der Lieder, sangen mit oder klatschten im Takt oder vielmehr haarscharf daneben. Die Stimmung war ausgelassen, die ersten Urlaubsgäste tanzten bereits vor dem Pavillon.

Während Caro sang, ließ sie ihren Blick über die Menschenmenge gleiten. Sie erkannte Elisa im Publikum, die ihr Handy auf ein älteres Ehepaar gerichtet hatte, das fröhlich in der Menge tanzte. Caro erinnerte sich, dass die Mutter der Inselärztin an diesem Abend ihren siebzigsten Geburtstag feierte, und freute sich, wie viel Spaß die Jubilarin offensichtlich mit ihrem Mann hatte, wobei sie von ihrer Tochter Elisa gutgelaunt gefilmt wurden. Als Pablo einen schnulzigen Love-Song anstimmte, schmiegte sich das Paar innig aneinander und tanzte Blues, als drehte es die Neuauflage von La Boum – Die Fete.

Wie schön, wenn man ein Leben lang mit demselben Partner zusammen ist, dachte Caro etwas wehmütig. Mehr als fünf Jahre lag ihre Scheidung von Nils jetzt zurück, seitdem war sie Single. Es hatte bisher einfach nicht gefunkt, auch wenn sie davon überzeugt war, dass sie inzwischen durchaus wieder bereit für eine neue Beziehung war. Aber dafür musste sie erst mal den richtigen Mann treffen, und das war eben einfach noch nicht passiert.

Oder?

Ihr Blick fiel auf Jan, der gerade eine Kiste mit Spirituosen ins Kliff schleppte, das ebenfalls bis auf den letzten Platz besetzt war. Liz eilte zu ihm und zeigte ihm offensichtlich, wo er die Sachen abstellen konnte. Caro wusste, dass sich die Gastronomen auf Borkum untereinander halfen. Bei einem Konzert war an der Strandpromenade natürlich viel mehr los als im Inselkeller, wo Jan regelmäßig als Türsteher und Barkeeper arbeitete, da konnte es in Sachen Getränke schon mal einen Engpass geben. Caro fand es schön, wie unkompliziert sich hier untereinander geholfen wurde. Konkurrenz wurde dabei zur Nebensache, gemeinsam zogen alle an einem Strang, um den Gästescharen zur Hochsaison gerecht zu werden.

Als hätte Jan ihren Blick gespürt, drehte er sich plötzlich um und zwinkerte ihr zu. Caro fragte sich, warum das ein Kribbeln in ihrem Bauch auslöste.

Sollte Tine mit ihrer Vermutung vielleicht doch recht haben? Lag da irgendetwas zwischen ihr und Jan in der Luft, das sie bisher nicht wahrhaben wollte?

Er war attraktiv, das war keine Frage. Schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen war ihr seine durchtrainierte sportliche Figur aufgefallen, die er gerne in engen T-Shirts zeigte. Und auch sonst war er durch und durch ein Sunnyboy. Blond, braungebrannt, blaue Augen, ein Surfertyp, der auch mit Anfang vierzig noch locker mit den Zwanzigjährigen mithalten konnte. Aber inzwischen war Jan ihr bester Freund geworden, und in seinen besten Freund verliebte man sich doch nicht.

Andererseits. War das nicht das Klischee und passierte ständig?

Caro konnte nicht weiter darüber nachdenken, da Tine ihr aufgeregt den Ellenbogen in die Seite stieß. »Mit Pablo stimmt was nicht. Guck doch mal!«

Pablo hatte aufgehört zu singen, da Isabella gerade an der Reihe war. Er hielt sich mit einer Hand am Mikrofonständer fest, drückte die andere gegen seine Brust. Er schien Probleme zu haben, richtig Luft zu bekommen.

Ein leises Murmeln war unter den Chormitgliedern zu hören, und schließlich unterbrach Leo irritiert und drehte sich zu Pablo um, der immer heftiger nach Luft rang. Auch Ron hatte es nun bemerkt und sein Keyboardspiel unterbrochen. Nur Isabella sang immer noch voller Inbrunst und mit geschlossenen Augen weiter, während Pablos Gesicht zuerst dunkelrot anlief und sich dann geradezu blau verfärbte.

»Pablo?«, rief Leo besorgt.

»Luft, Luft …«, ächzte der nur und schleppte sich zum geöffneten Fenster.

Nun brach auch Isabella ihren Gesang ab und blickte erschrocken zu Pablo, der inzwischen am geöffneten Fenster stand und panisch nach Luft schnappte. Ein Raunen ging durch die Menge vor dem Pavillon.

»Was ist los?«, rief Isabella und eilte zeitgleich mit Leo zu ihm.

Im nächsten Augenblick kippte Pablo schlagartig nach vorne. Mit lang ausgestreckten Armen hing sein Oberkörper leblos aus dem geöffneten Pavillon-Fenster, und die entsetzten Schreie des Publikums hallten über die Strandpromenade.

2

»Lassen Sie mich durch! Machen Sie Platz!« Elisa versuchte, sich einen Weg durch das Gedrängel zu bahnen. Jan half ihr, wo er nur konnte.

»Zur Seite! Die Frau ist Ärztin! Und wenn ich einen beim Fotografieren erwische, ist was los!«, rief er den Leuten zu, von denen einige bereits ihr Handy gezückt hatten.

»Gehen Sie bitte einen Schritt zurück!«, rief Caro durch die Fenster, scheuchte die Schaulustigen zurück und winkte Jan und Elisa zu sich.

Im Musikpavillon herrschte ein Durcheinander, wie sie es noch nie erlebt hatte. Einige Chormitglieder saßen weinend auf dem Boden, andere standen um Pablo herum, der inzwischen ausgestreckt auf dem Boden lag, und starrten mit aufgerissenen Augen auf ihn hinab oder knieten neben ihm, tätschelten seine Wange, öffneten die engsitzende Jacke. Wieder andere versuchten, weitere Menschen daran zu hindern, in den Pavillon zu kommen.

»Hat einer genau gesehen, was passiert ist?«, fragte Elisa, als sie Pablo erreicht hatte. Sie begann sofort mit einer Herzmassage, nachdem sie die Vitalfunktionen des Sängers überprüft hatte.

»Er hat keine Luft mehr gekriegt«, sagte Caro. »Aber das habt ihr von unten ja vermutlich auch gesehen.«