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Worum geht es? Angst und Schrecken breiten sich noch immer aus in einem kleinen Dorf im Ruhrgebiet. Ein charismatischer Psychotherapeut bringt Pfunde zum Schmelzen und dunkle Geheimnisse ans Tageslicht. Was macht das Buch spannend und einfach unwiderstehlich? Ein Thriller für Wiederholungstäter - Achtung: Suchtgefahr ...
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Seitenzahl: 45
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K. D. Beyer
Morphosen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Prolog
Lucy
Anna
Leopold
Engel
Thomas
Dämonen
Helena
Epilog
Impressum neobooks
Morphose (griechisch): nicht erbliche Variation der Gestalt der Organismen bzw. einzelner Organe, die durch Umwelteinflüsse verursacht wird (Duden).
Judith musste schnell sein - schneller als die Anderen.
Sie durfte keine Zeit verlieren. Ganz im Gegenteil: sie musste Zeit gewinnen und unbedingt die vierte Dimension erreichen, bevor der Sekundenzeiger sie von der Bildfläche fegte. Sie hörte die Uhr ticken und holte zum Schlag aus.
Sie durfte nicht ihre Nerven verlieren, denn dann wäre alles umsonst gewesen: ihr hartes, jahrelanges Training und dieser Drill, dem sie ausgesetzt gewesen war, seit sie denken konnte.
Sie hatte diesen Moment nie geübt und trotzdem wusste sie instinktiv, was zu tun war. Und es gelang ihr tatsächlich – dieses Meisterstück, für das sie sogar ihr Leben geopfert hätte.
Hier oben war sie sicher. Der ohrenbetäubende Lärm der Hubschrauberrotoren übertönte ihr Herzklopfen.
Ihr Vater wäre stolz auf sie.
Da war sie sich ganz sicher, während sie auf seinen abgeschlagenen Kopf starrte, der vor ihr lag und sie sich behutsam an die Arbeit machte.
Der Dauerregen war nicht alleine verantwortlich für seine schlechte Laune. Wenn das Wetter nicht endlich umschlug, würde der Leinpfad am Fluss bald gesperrt werden. Dann müsste er sich einen anderen Weg für seine täglichen Touren mit Lucy ausdenken. Er wartete sehnsüchtig auf das Hochdruckgebiet, das längst angekündigt war. Da dieses Hochdruckgebiet genauso wie die lebhafte Husky-Hündin an seiner Seite hieß, schöpfte er mit jedem Meter, den sie zurücklegten, mehr und mehr Hoffnung. Vielleicht würde morgen endlich wieder die Sonne scheinen und den Wassermassen Einhalt gebieten.
Die wenigen Menschen, die ihm begegneten, wirkten wie Zombies. Es war, als ob die dichte Wolkendecke sich im traurigen Grau der Gesichter widerspiegelte.
Seine Geschäfte liefen nicht gut. Seine Auftraggeber saßen ihm im Nacken und er konnte nur noch auf ein Wunder hoffen.
Als die beiden nass und abgekämpft zurück kehrten, ahnte er noch nicht, wie nah er seinem Ziel bereits gekommen war.
Ihre angenehme, warme Stimme war klar und deutlich zu verstehen.
„Während der letzte Atemhauch meinen Körper verlässt, verstehe ich endlich, welches Ziel du all die Jahre verfolgt hast. Das Unwahrscheinliche, das, womit ich wenigsten gerechnet habe, ist die Realität, nicht das, was ich mir erhofft und erträumt habe. Die gruselige Horrorfilm-Musik in meinem Kopf ist verstummt und ich höre sanftere Töne … Töne, die immer leiser werden und mit mir… und mit mir im Nirwana verschwinden. Es duftet herrlich – nach Leder und … und Moschus. Es ist warm … es ist weich … Ein sprudelnder Quell … Alles, absolut alles, macht plötzlich einen Sinn, jetzt, am Ende meines langen Weges. Alles verschwimmt in zartem Blau und luftigem Weiß. Wie die Wolken, die am Himmel ziehen … Wie sehr war ich doch im Leben mit meinem Körper verbunden! Ja – und genau wie die meisten Menschen dachte auch ich immer, ich …“
Sie kicherte.
„… ich - ich sei mein Körper. Wie lächerlich! Wie absolut, absolut lächerlich! Denn das stimmt nicht! Ich muss es wissen! Während meine Gedanken noch immer kreisen, beobachte ich meinen Körper. Er liegt unbeweglich da. Ich kann ihn nicht mehr bewegen – meine Befehle laufen ins Leere …“
Sie verstummte.
Leise, dennoch deutlich wie zuvor fuhr sie fort:
„Er sieht aus, als wäre er eingefroren, starr und steif. Wo ist der Raum? Wo ist die Zeit? Aufgelöst, verschwunden im dichten Nebel … Habe meine Chancen nicht genutzt. Bin nicht weg gelaufen, als es noch möglich war. Denn was hätte es denn genutzt? Es musste so kommen – so und nicht anders. Vor einem Psychopaten kann keiner weg laufen, weil er sich in dir festgefressen hat … und die Macht über deine Gedanken ergriffen hat. Dies werden meine letzten Schmerzen und Qualen sein und dann … dann bin ich frei …“
Ihre Stimme wurde immer leiser und Leopold musste sich sehr anstrengen noch irgendetwas zu verstehen.
Dann war sie ruhig. Leopold fiel zum ersten Mal auf, wie laut die Uhr tickte und er beobachtete, wie der große Zeiger langsam über das Ziffernblatt schlich.
Plötzlich erhob sie ihre Stimme und schrie mit spürbar letzter Kraft:
„Abgeschlachtet vom eigenen Mann! Ein Fremder kann dich demütigen, verletzen, töten. Doch zerstören kann dich nur ein Mensch, den du liebst! Ich bin eine angesehene Wissenschaftlerin und habe das Glück gehabt, zu einer Zeit geboren worden zu sein, in der die Gleichberechtigung von Mann und Frau eine Chance nach Verwirklichung haben könnte. In Wirklichkeit ziehen natürlich noch immer die Männer die Strippen, während die Frauen, seien wir doch mal ehrlich, noch immer die Stripperinnen und Marionetten spielen müssen. Aber wir sind schlauer … Viel schlauer als unsere Mütter!“
Ein erschöpftes Lächeln glitt über ihr Gesicht.
„Bin …, bin Astronautin im Weltall - schwerelos … frei … wie ein … Schmetterling.“
Leopold starrte auf den Text, den er gerade in Kurzschrift mitgeschrieben hatte. Schnell und eilig hatte er mit einem weichen Bleistift Annas Worte auf dem weißen Papier, das vor ihm lag, verewigt.
Annas heftige Reaktion hatte ihn überrascht. Bisher hatte noch keiner seiner Patienten so reagiert.