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Eine Novelle über einen fiktiven Tag aus dem Leben Wolfgang Amadeus Mozarts: Der große Musiker und Komponist ist zusammen mit seiner Frau Konstanze auf der Reise von Wien nach Prag, um der Uraufführung seiner neuen Oper "Don Juan" beizuwohnen. Als das Ehepaar bei der Rast auf das Schloss des Grafen von Schinzberg eingeladen wird und Mozart aus seiner neuen Oper vorspielt, hat die Nichte des Grafen eine Vorahnung, dass der virtuose Komponist bald sterben wird...-
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Seitenzahl: 101
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Eduard Mörike
Mit 14 Originallithographien von Fritzi Löw
Saga
Mozart auf der Reise nach PragCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1855, 2020 Eduard Mörike und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726540017
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
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– a part of Egmont www.egmont.com
Im Herbst des Jahres 1787 unternahm Mozart in Begleitung seiner Frau eine Reise nach Prag, um Don Juan daselbst zur Aufführung zu bringen.
Am dritten Reisetag, den vierzehnten September, gegen elf Uhr morgens, fuhr das wohlgelaunte Ehepaar noch nicht viel über dreissig Stunden Wegs von Wien entfernt, in nordwestlicher Richtung, jenseits vom Mannhardsberg und der deutschen Thaya, bei Schrems, wo man das schöne Mährische Gebirg bald vollends überstiegen hat.
„Das mit drei Postpferden bespannte Fuhrwerk,“ schreibt die Baronesse von I. an ihre Freundin, „eine stattliche gelbrote Kutsche, war Eigentum einer gewissen alten Frau Generalin Volkstett, die sich auf ihren Umgang mit dem Mozartischen Hause und ihre ihm erwiesenen Gefälligkeiten von jeher scheint etwas zu gut getan zu haben.“ — Die ungenaue Beschreibung des fraglichen Gefährts wird sich ein Kenner des Geschmacks der Achtzigerjahre noch etwa durch einige Züge ergänzen. Der gelbrote Wagen ist hüben und drüben am Schlage mit Blumenbuketten in ihren natürlichen Farben gemalt, die Ränder mit schmalen Goldlejsten verziert, der Anstrich aber noch keineswegs von jenem spiegelglatten Lack der heutigen Wiener Werkstätten glänzend, der Kasten auch nicht völlig ausgebaucht, obwohl nach unten zu kokett mit einer kühnen Schweifung eingezogen; dazu kommt ein hohes Sedeck mit starrenden Ledervorhängen, die gegenwärtig zurückgestreift sind.
Von dem Kostüm der beiden Passagiere sei überdies so viel bemerkt. Mit Schonung für die neuen, im Koffer eingepackten Staatsgewänder war der Anzug des Gemahls bescheidentlich von Frau Konstanzen ausgewählt; zu der gestickten Weste von et was verschossenem Blau sein zewohnter brauner Äberrock mit einer Reibe grosser und dergestalt fassonierter Knöpfe, dass eine Lage rötliches Rauschgold durch ihr sternartiges Gewebe schimmerte, schwarzseidene Beinkleider, Strümpfe und auf den Schuhen vergoldete Schnallen. Seit einer halben Stunde hat er wegen der für diesen Monat ausserordentlichen Hitze sich des Rocks entledigt und sitzt vergnüglich plaudernd, barhaupt, in Hemdärmeln da. Madame Mozart trägt ein bequemes Reisehabit, hellgrün und weiss gestreift; halb aufgebunden fällt der Äberfluss ihrer schönen, lichtbraunen Locken auf Schulter und Nacken herunter; sie waren Zeit ihres Lebens noch niemals von Puder entstellt, während der starke, in einen Zopf gefasste Haarwuchs ihres Gemahls für heute nur nachlässiger als gewöhnlich damit versehen ist.
Man war eine sanft ansteigende Höhe zwischen fruchtbaren Feldern, welche hie und da die ausgedehnte Waldung unterbrachen, gemachsam hinauf und jetzt am Waldsaum angekommen.
„Durch wie viel Wälder“, sagte Mozart, „sind wir nicht heute, gestern und ehegestern schon passiert! — Ich dachte nichts dabei, geschweige dass mir eingefallen wäre, den Fuss hineinzusetzen. Wir steigen einmal aus da, Herzenskind, und holen von den blauen Glocken, die dort so hübsch im Schatten stehen. Deine Tiere, Schwager, mögen ein bisschen verschnaufen.“
Indem sie sich beide erhoben, kam ein kleines Unheil an den Tag, welches dem Meister einen Zank zuzog. Durch seine Achtlosigkeit war ein Flakon mit kostbarem Riechwasser aufgegangen und hatte seinen Inhalt unvermerkt in die Kleider und Polster ergossen. „Ich hätt’ es denken können,“ klagte sie, „es duftete schon lang so stark! O weh, ein volles Fläschchen echte Rosée d’Aurore rein ausgeleert! Ich sparte sie wie Gold.“ — „Ei, Närrchen,“ gab er ihr zum Trost zurück, „begreife doch, auf solche Weise ganz allein war uns dein Götter-Riechschnaps etwas nütze. Erst sass man in einem Backofen und all dein Gefächel half nichts, bald aber schien der ganze Wagen gleichsam ausgekühlt; du schriebst es den paar Tropfen zu, die ich mir auf den Jabot goss; wir waren neu belebt und das Gespräch floss munter fort, statt dass wir sonst: die Köpfe hätten hängen lassen wie die Hämmel auf des Fleischers Karren; und diese Wohltat wird uns auf dem ganzen Weg begleiten. Jetzt aber lass uns doch einmal zwei wienerische Nos’n recht express hier in die grüne Wildnis stecken!“
Sie stiegen Arm in Arm über den Graben an der Strasse und sofort tiefer in die Tannendunkelheit hinein, die, sehr bald bis zur Finsternis verdichtet, nur hin und wieder von einem Streifen Sonne auf sammetnem Moosboden grell durchbrochen ward. Die erquickliche Frische, im plötzlichen Wechsel gegen die ausserhalb herrschende Glut, hätte dem sorglosen Mann ohne die Vorsicht der Begleiterin gefährlich werden können. Mit Mühe drang sie ihm das in Bereitschaft gehaltene Kleidungsstück auf. — „Gott, welche Herrlichkeit!“ rief er, an den hohen Stämmen hinaufblickend, aus: „man ist als wie in einer Kirche! Mir deucht, ich war niemals in einem Wald, und besinne mich jetzt erst, was es doch heisst, ein ganzes Volk von Bäumen beieinander! Keine Menschenhand hat sie gepflanzt, sind alle selbst gekommen, und stehen so, nur eben weil es lustig ist beisammen wohnen und wirtschaften. Siehst du, mit jungen Jahren fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die Alpen gesehen und das Meer, das Grösste und Schönste, was erschaffen ist: jetzt steht von ungefähr der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an der böhmischen Grenze, verwundert und verzückt, dass solches Wesen irgend existiert, nicht etwa nur so una finzione di poeti ist, wie ihre Nymphen, Faune und dergleichen mehr, auch kein Komödienwald, nein, aus dem Erdboden herausgewachsen, von Feuchtigkeit und Wärmelicht der Sonne grossgezogen! Hier ist zu Haus der Hirsch, mit seinem wundersamen zackigen Gestäude auf der Stirn, das possierliche Eichhorn, der Auerhahn, der Häher.“ — Er bückte sich, brach einen Pilz und pries die prächtige hochrote Farbe des Schirms, die zarten weisslichen Lamellen an dessen unterer Seite, auch steckte er verschiedene Tannenzapfen ein.
„Man könnte denken,“ sagte die Frau, „du habest noch nicht zwanzig Schritte hinein in den Prater gesehen, der solche Raritäten doch auch wohl aufzuweisen hat.“
„Was Prater! Sapperlot, wie du nur das Wort hier nennen magst! Vor lauter Karossen, Staatsdegen, Roben und Fächern, Musik und allem Spektakel der Welt, wer sieht denn da noch sonst etwas? Und selbst die Bäume dort, so breit sie sich auch machen, ich weiss nicht — Bucheckern und Eicheln, am Boden verstreut, sehen halter aus als wie Geschwisterkind mit der Anzahl verbrauchter Korkstöpsel darunter. Zwei Stunden weit riecht das Gehölz nach Kellnern und nach Saucen.“
„O unerhört!“ rief sie, „so redet nun der Mann, dem gar nichts über das Vergnügen geht, Backhähnl im Prater zu speisen!“
Als beide wieder in dem Wagen sassen und sich die Strasse jetzt nach einer kurzen Strecke ebenen Wegs allmählich abwärts senkte, wo eine lachende Gegend sich bis an die entfernteren Berge verlor, fing unser Meister, nachdem er eine Zeitlang still gewesen, wieder an: „Die Erde ist wahrhaftig schön, und keinem zu verdenken, wenn er so lang wie möglich darauf bleiben will. Gott sei’s gedankt, ich fühle mich so frisch und wohl wie je und wäre bald zu tausend Dingen aufgelegt, die denn auch alle nacheinander an die Reihe kommen sollen, wie nur mein neues Werk vollendet und aufgeführt sein wird. Wie viel ist draussen in der Welt, und wie viel daheim, Merkwürdiges und Schönes, das ich noch gar nicht kenne, an Wunderwerken der Natur, an Wissenschaften, Künsten und nützlichen Gewerben! Der schwarze Köhlerbube dort bei seinem Meiler weiss dir von manchen Sachen auf ein Haar so viel Bescheid wie ich, da doch ein Sinn und ein Verlangen in mir wäre, auch einen Blick in Dies und Jens zu tun, das eben nicht zu meinem nächsten Kram gehört.“
„Mir kam,“ versetzte sie, „in diesen Tagen dein alter Sackkalender in die Hände von anno fünfundachtzig; da hast du hinten angemerkt drei bis vier Notabene. Zum ersten steht: Mitte Oktober giesset man die grossen Löwen in kaiserlicher Erzgiesserei; fürs zweite, doppelt angestrichen: Professor Gattner zu besuchen. Wer ist der?“
„O recht, ich weiss — auf dem Observatorio der gute alte Herr, der mich von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und ’s Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig grosses Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuren Scheibe, hell und deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Täler, Klüfte sehen, und von der Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge werfen. Schon seit zwei Jahren schlag’ ich’s an, den Gang zu tun, und komme nicht dazu, elender- und schändlicherweise!“
„Nun,“ sagte sie, „der Mond entläuft uns nicht. Wir holen manches nach.“
Nach einer Pause fuhr er fort: „Und geht es nicht mit allem so? O pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpasst, verschiebt und hängen lässt! — von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden — ich sage von purem Genuss, von den Meinen unschuldigen Freuden, die einem jeden täglich vor den Füssen liegen.“
Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein leicht bewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen recht geben, indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: „Ward ich denn je nur meiner Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir, und immer en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit basta, wieder abgeschüttelt! Es denkt mir nicht, dass wir uns auf dem Lande zusammen einen schönen Tag gemacht hätten, an Ostern, oder Pfingsten, in einem Sarten oder Wäldel, auf der Wiese wir unter uns allein, bei Kinderscherz und Blumenspiel, um selber einmal wieder Kind zu werden. Allmittelst geht und rennt und saust das Leben hin — Herrgott! bedenkt man’s recht, es möcht’ einem der Angstschweiss ausbrechen!“
Mit der soeben ausgesprochenen Selbstanklage war unerwartet ein sehr ernsthaftes Gespräch in aller Traulichkeit und Güte zwischen beiden eröffnet. Wir teilen dasselbe nicht ausführlich mit und werfen lieber einen allgemeinen Blick auf die Verhältnisse, die teils ausdrücklich und unmittelbar den Stoff, teils auch nur den bewussten Hintergrund der Unterredung ausmachten.
Hier drängt sich uns voraus die schmerzliche Betrachtung auf, dass dieser feurige, für jeden Reiz der Welt und für das Höchste, was dem ahnenden Gemüt erreichbar ist, unglaublich empfängliche Mensch, so viel er auch in seiner kurzen Spanne Zeit erlebt, genossen und aus sich hervorgebracht, ein stetiges und rein befriedigtes Gefühl seiner selbst doch lebenslang entbehrte.
Wer die Ursachen dieser Erscheinung nicht etwa tiefer suchen will, als sie vermutlich liegen, wird sie zunächst einfach in jenen, wie es scheint, unüberwindlich eingewohnten Schwächen finden, die wir so gern, und nicht ganz ohne Grund, mit alle dem, was an Mozart der Gegenstand unserer Bewunderung ist, in eine Art notwendiger Verbindung bringen.
Des Mannes Bedürfnisse waren sehr vielfach, seine Neigung zumal für gesellige Freuden ausserordentlich gross. Von den vornehmsten Häusern der Stadt als unvergleichliches Talent gewürdigt und gesucht, verschmähte er Einladungen zu Festen, Zirkeln und Partien selten oder nie. Dabei tat er der eigenen Gastfreundschaft innerhalb seiner näheren Kreise gleich falls genug. Einen längst hergebrachten musikalischen Abend am Sonntag bei ihm, ein ungezwungenes Mittagsmahl an seinem wohlbestellten Tisch mit ein paar Freunden und Bekannten, zweidreimal in der Woche, das wollte er nicht missen. Bisweilen brachte er die Gäste, zum Schrecken der Frau, unangekündigt von der Strasse weg ins Haus, Leute von sehr ungleichem Wert, Liebhaber, Kunstgenossen, Sänger und Poeten. Der müssige Schmarotzer, dessen ganzes Verdienst in einer immer aufgeweckten Laune, in Witz und Spass, und zwar vom gröbern Korn, bestand, kam so gut wie der geistvolle Kenner und der treffliche Spieler erwünscht. Den grössten Teil seiner Erholung indes pflegte Mozart ausser dem eigenen Hause zu suchen. Man konnte ihn nach Tisch einen Tag wie den andern am Billard im Kaffeehaus, und so auch manchen Abend im Gasthof finden. Er fuhr und ritt sehr gerne in Gesellschaft über Land, besuchte als ein ausgemachter Tänzer Bälle und Redouten und machte sich des Jahrs einige Male einen Hauptspass an Volksfesten, vor allen am Brigitten-Kirchtag im Freien, wo er als Pierrot maskiert erschien.