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Herbert George Wells (meist abgekürzt H. G. Wells; geboren 21. September 1866 in Bromley; gestorben 13. August 1946 in London) war ein englischer Schriftsteller und Pionier der Science-Fiction-Literatur. Wells, der auch Historiker und Soziologe war, hatte seine größten Erfolge mit den beiden Science-Fiction-Romanen (von ihm selbst als "scientific romances" bezeichnet) "Der Krieg der Welten" und "Die Zeitmaschine". Wells ist in Deutschland vor allem für seine Science-Fiction-Bücher bekannt, hat aber auch zahlreiche realistische Romane verfasst, die im englischen Sprachraum nach wie vor populär sind.
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Seitenzahl: 38
Es war einige Wochen später, Mitte November, und Mr. Britling sass in seinem dicken Schlafrock und seinem dicken Pyjama aus Lamawolle gehüllt die Nacht an seinem Schreibtisch und arbeitete wieder an einem Aufsatz, einem Aufsatz, der einen lächerlichen Ehrgeiz verriet; denn sein Titel war: »Die bessere Regierung der Welt.«
In der letzten Zeit hatte er häufig unter dem Elend schlafloser Nächte gelitten. Am Tage war das Leben erträglich, aber des Nachts erschienen die Verluste und Grausamkeiten des Kriegs und grinsten ihn an, so dass es nicht auszuhalten war, wenn er sich nicht durch Arbeit verteidigte. Bald wurde er durch lange Züge von Flüchtlingen erschreckt, bald musste er an die Toten denken, die steif und krumm in tausenderlei furchtbaren Haltungen dalagen. Dann wieder überwältigte ihn der Ausblick auf die schrecklichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die noch in der Zukunft verborgen lagen ... Zu anderen Zeiten dachte er an die Wunden und Krankheiten des Körpers und Geistes, die die Verletzungen hervorriefen. Und manchmal dachte er an den Triumph des Bösen. Stumpfsinnige Gestalten schritten triumphierend durch eine Welt, die ihr Stumpfsinn verwüstet hatte; ihre Gesten prahlten, auf ihrem Gesichte strahlte ein Lächeln, das das Bewusstsein ihrer erhöhten Bedeutung verriet; ihr trotziger Hass alles massvollen, ausgeglichenen, freundlichen Wesens war in eine trotzige Verachtung umgewandelt. Und auf dem Boden, über den sie schritten, lag die Leiche Hugh's, das Gesicht zur Erde gekehrt. Im Hinterkopf des Knaben, umrändert von blutverklebtem Haar – dem Haar, das einst zart wie Vogeldaune gewesen – war ein grosses, rotes Loch. Dieses Loch sah Mr. Britling immer mit unbarmherziger Schärfe. Sie schritten über ihn weg, ohne acht zu geben. Sie traten die herumgespritzte Substanz dieses auserlesenen Hirns in den Schmutz.
Vor all diesen Schrecken und Aengsten fand Mr. Britling seine einzige Zuflucht im Lichtkreise seiner Studierlampe. Sein Werk sollte Gesichte beschwören, wie die Visionen, die das Opium erzeugt, Gesichte von einer Welt der Ordnung und Gerechtigkeit. Während der Bankrott der alten Welt noch in fahlem Lichte leuchtete, entwarf er den Prospekt einer neuen besseren Unternehmung – ohne Rücksicht auf die Chancen der Zeichner.
Aber in dieser Nacht konnte nicht einmal der Lichtkreis der Lampe seinen Geist festhalten. Zweifel schlichen sich in diese letzte Festung ein. Er zog die Papiere an sich und ging den Teil der Arbeit, den er ausführen wollte, nochmals durch.
Der Zweck des Buchs, das er jetzt zu schreiben begann, war die Untersuchung von Regierungsmethoden, die eine beständigere, gesündere Leitung der Welt ermöglichen sollten. Er glaubte auch jetzt noch an die Demokratie; aber er erkannte mehr und mehr, dass die Demokratie noch die ihr angemessenen Methoden zu finden hatte. Sie musste sich des Bewusstseins der Menschen bemächtigen, sie hatte sich mit bisher noch nicht gebildeten Organisationsformen auszurüsten. Endlose Jahre geduldigen Denkens, Jahre der Versuche und Diskussionen standen der Menschheit bevor, ehe der grosse Gedanke zur Wirklichkeit werden und Recht, erprobtes Recht, die Erde beherrschen konnte.
Inzwischen blieb die Welt noch die Szene eines blutigen Melodramas, betäubenden Lärms, ansteckender Torheiten, gewaltiger, sinnloser Zerstörungen. Ein edles Leben nach dem andern verliess Studierzimmer, Universität und Laboratorium, um erschlagen, zum Schweigen gebracht zu werden.
War es fassbar, dass die Menschheit, dies tolle Ungeheuer, sich endlich einmal fangen und in dem feingesponnenen Gewebe des Gedankens festhalten liess? War es schliesslich mehr als Hochmut und Torheit, wenn ein Mensch Entwürfe zur besseren Regierung der Welt plante? Waren es mehr, als die ehrgeizigen Pläne der Fliege, die von den Göttern der Romantik auf dem Rade gedreht wird?
Der Mensch war tappend, verwundend und leidend aus den schwangeren Finsternissen der Zeit herausgeschritten, die ihn wieder vernichten und aufsaugen wird. Warum sollte man nicht mit den andern weiter stolpern, warum nicht essen, trinken, kämpfen, schreien und beten, Hugh vergessen, aufhören über seinen Tod zu brüten, alle die anmassenden Träume von »Der besseren Regierung der Welt« verbannen und zu den froheren Seiten, den heiteren, abenteuerlichen Seiten des Kriegs sich wenden, zu Chesterton's Vergnügtheit und der Betrachtungsweise des »Punch«? Denkt ihr, weil eure Söhne tot sind, es gäbe keine Kuchen und kein Bier mehr? Ueberlasst es der Menschheit, aus Schmutz und Blut herauszutappen, wie sie auch hineingetappt ist.
Lasst uns vor allem unseren wertvollen Sinn für Humor aufrecht erhalten.
Er zog das Manuskript an sich heran. Eine Zeitlang sass er da und verschönerte die Buchstaben des Titels: »Die bessere Regierung der Welt« mit kleinen grinsenden Gnomenköpfen und possierlichen Schnörkeln – .
*
Oben auf Mr. Britling's Schreibtisch neben der Uhr lag ein Brief. Er war in schwerfälligem Englisch geschrieben, und sein Umschlag war durch ein Schildchen wieder geschlossen worden, das bewies, dass er »Vom Censor geöffnet« worden war.
Der freundliche Vermittler in Norwegen hatte an Mr. Britling geschrieben, um ihm mitzuteilen, dass auch Herr Heinrich (der Hauslehrer der jungen Britlinge, der bei Kriegsausbruch