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Niemand würde glauben, dass der unnahbare Workaholic Beckham Cross auch seine weichen Seiten hat. Doch eine davon ist die Liebe zu seiner Großmutter Louise. Umso fassungsloser ist Beck, als er erfährt, dass Louise samt Bucket-List auf Weltreise gegangen ist. Hinterlassen hat sie ihm nur den Kontakt ihrer Freundin Eleanor. Doch die macht sich über seine Sorgen lustig und schickt Fotos von Fallschirmsprüngen und Tauchgängen mit Haien. Kurzerhand besteigt Beck ein Flugzeug zu den Bahamas, um die alten Damen zur Vernunft zu bringen. Spätabends angekommen, lernt er an der Hotelbar Nora kennen. Und als er am nächsten Morgen Louise überrascht, muss er feststellen, dass Eleanor keineswegs die streitlustige Alte ist, die er erwartet hat, sondern Nora von letzter Nacht …
Für alle, die diese Tropes lieben:
*Enemies To Lovers*
*Opposites attract*
*One Night Stand*
*Grumpy/Sunshine*
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Seitenzahl: 451
Veröffentlichungsjahr: 2025
Niemand würde glauben, dass der unnahbare Workaholic Beckham Cross auch seine weichen Seiten hat. Doch eine davon ist die Liebe zu seiner Großmutter Louise, bei der er nach dem Tod seiner Eltern aufgewachsen ist. Umso fassungsloser ist Beck, als er erfährt, dass Louise samt Bucketlist auf Weltreise gegangen ist. Hinterlassen hat sie ihm nur den Kontakt ihrer Freundin und Reisebegleitung Eleanor. Doch nützliche Infos bekommt Beck von dieser Eleanor nicht, dafür macht sie sich über seine Sorgen lustig und schickt Fotos von Fallschirmsprüngen und Tauchgängen mit Haien. Kurzerhand besteigt Beck ein Flugzeug zu den Bahamas – jemand muss die alten Damen schließlich zur Vernunft bringen. Spätabends angekommen, lernt er an der Hotelbar Nora kennen. Sie ist sexy, aber angetrunken, sodass er ihr eindeutiges Angebot ablehnt. Als er am nächsten Morgen seine Gram überrascht, muss er feststellen, dass Eleanor keineswegs die streitlustige Seniorin ist, die er erwartet hat, sondern Nora von letzter Nacht. Und sie ist nach seiner Abfuhr nicht gerade Becks größter Fan …
Weitere Informationen zu Vi Keeland
sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin
finden Sie am Ende des Buches.
Vi Keeland
Roman
Übersetzt von
von Babette Schröder
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »Something unexpected«.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Deutsche Erstveröffentlichung Januar 2025
Copyright © der Originalausgabe 2023 by Vi Keeland
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotive: FinePic®, München
Redaktion: Antje Steinhäuser
MR · Herstellung: ik
Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss
ISBN: 978-3-641-32186-4V002
www.goldmann-verlag.de
Für meine Sarah und ihre unerschütterliche Liebe zu ihrer Großmutter und zu Harry Styles.
Nora
»Das darf doch nicht wahr sein …«, murmelte ich vor mich hin und rief dann über meine Schulter. »He, schönen Dank auch, dass du mir die Rechnung dagelassen hast!«
Der Barkeeper kam zu mir herüber. »Ist alles in Ordnung?«
Ich seufzte. »Ja. Nur eine enttäuschende Tinder-Bekanntschaft.«
Daraufhin meldete sich eine tiefe Stimme vom anderen Ende des Tresens. »Ach, was für eine Überraschung. Vielleicht sollten Sie es mal mit einer seriöseren App probieren …«
Ich musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Wie bitte?«
Ohne den Blick zu heben, ließ der Mann die Eiswürfel in seinem Glas kreisen. »Was war das Problem? Sah er nicht so gut aus, wie sein Foto vermuten ließ? Sie müssen schon etwas Nachsicht mit den Männern haben. Ihr Frauen seid schließlich die Königinnen der Täuschung. Wir gehen mit einer langhaarigen Frau ins Bett, die einen tollen Teint und volle Lippen hat, und wenn wir am nächsten Morgen neben ihr aufwachen, erkennen wir sie kaum wieder. Das liegt an dem ganzen Make-up, den Haarverlängerungen und diesem ganzen Mist zum Aufpolstern.«
Im Ernst? »Wenn Sie nicht so unhöflich wären und eine Person ansehen würden, wenn Sie mit ihr sprechen, hätten Sie vielleicht bemerkt, dass ich keine Haarverlängerungen habe, sehr wenig Make-up trage und von Natur aus an den richtigen Stellen gepolstert bin.«
Das schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er hob den Kopf und ließ den Blick kurz über mein Gesicht gleiten, bevor er an meinem Ausschnitt hängen blieb. Jetzt konnte ich ihn zum ersten Mal richtig sehen. Mit einem solchen Gesicht hatte ich ganz sicher nicht gerechnet. Nachdem er sich darüber mokiert hatte, dass womöglich das Aussehen meines potenziellen Dates nicht meinen Erwartungen entsprochen habe, dachte ich, er spräche vielleicht aus Erfahrung. Aber dieser Typ hatte ganz sicher noch keine Frau enttäuscht. Er war jünger, als seine brummige Stimme vermuten ließ, und hatte dunkelbraunes Haar, das einen Schnitt vertragen könnte. Dennoch wäre ich nur zu gern mit den Fingern hindurchgefahren, wäre er mein Tinder-Date gewesen. Er hatte einen markanten Kiefer mit einem Bartschatten, eine römische Nase, gebräunte Haut und aquamarinblaue Augen, die von den dichtesten schwarzen Wimpern gesäumt waren, die ich je gesehen hatte.
Schade, dass er ein Idiot war.
Als sich unsere Blicke endlich trafen, hob ich eine Augenbraue. »Wer von uns beiden ist hier wohl oberflächlich?«
Um seine Mundwinkel zuckte ein Lächeln. »Ich habe nie gesagt, dass ich schöne Dinge nicht zu schätzen weiß. Nur, dass Sie einem Mann eine Chance geben sollten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht, dass es Sie etwas angehen würde, aber der Grund, warum der Kerl nicht meinen Erwartungen entsprach, war der, dass an seinem Finger deutlich der Abdruck seines Eherings zu erkennen war. Wahrscheinlich hatte er ihn zwei Sekunden vorher abgenommen. Sein Aussehen spielte dabei keine Rolle.«
»Dann entschuldige ich mich.« Er gab dem Barkeeper ein Zeichen. »Die nächste Runde geht auf mich.«
Ich zeigte auf den halb ausgetrunkenen, teuren Scotch, den der Tinder-Typ zurückgelassen hatte – ohne Bargeld. »Wie wär’s, wenn Sie stattdessen den da übernehmen?«
Er lachte. »Alles klar.«
Ich nippte an meinem Wein und ärgerte mich immer noch über den Idioten, mit dem ich drei Tage lang gechattet hatte. Schließlich rief ich wieder zu Mr Arrogant hinüber. »Hey, was benutzen Sie denn?«
»Wie bitte?«
»Welche App? Sie sagten, ich sollte eine seriösere Dating-App benutzen.«
»Oh.« Er zuckte die Achseln. »Ich benutze keine.«
»Verheiratet?«
»Nein.«
»Freundin?«
»Nope.«
»Sie schlendern also einfach durch … den Supermarkt und tun so, als würden Sie einkaufen?«
»So ähnlich.« Er grinste. »Ist Tinder Ihre App?«
»Das kommt drauf an, wonach ich suche.«
»Wonach haben Sie denn heute Abend gesucht?«
Ich dachte einen Moment über die Frage nach. Seien wir ehrlich, ich hatte den Typen vor drei Tagen auf Tinder entdeckt und ihn in der Bar in der Lobby meines Hotels getroffen. Ich denke, es war klar, was wir beide erwartet hatten. Aber es ging eigentlich nicht nur ums Körperliche – wenigstens mir nicht. »Nach einer Möglichkeit zu vergessen«, antwortete ich.
Die arrogante Maske des Mannes mochte ein kleines bisschen verrutscht sein. Doch dann klingelte sein Telefon, und er wischte über das Display, um das Gespräch anzunehmen.
»Sag ihnen, ich komme in fünf Minuten nach«, wies er die Person am anderen Ende an. »Ich muss hoch in mein Zimmer, den Prospekt und meine Notizen holen.« Er beendete das Gespräch und nickte dem Barkeeper zu. »Ich muss gehen. Kann ich die Rechnung aufs Zimmer schreiben lassen?«
Der Barkeeper nickte. »Natürlich.«
»Zimmer zwei zwölf.« Der arrogante Typ griff in seine Tasche und holte ein Bündel Bargeld heraus, warf ein paar Scheine auf den Tresen und deutete auf mich. »Schreiben Sie ihre Drinks bitte auch auf mein Zimmer.«
»Alles klar.«
Ich hob mein Weinglas hoch. »Schade, dass Sie gehen müssen. Vielleicht sind Sie ja doch nicht so ein Idiot.«
Wieder zuckte ein Lächeln um seinen Mund. »Ich habe das Meeting angesetzt, also kann ich schlecht fehlen. Aber ich bedaure es aufrichtig.«
Ich grinste. »Na klar …«
Als er aufstand und ich feststellte, dass er gut über eins achtzig groß war und sein Körper in dem gut sitzenden Hemd bestens zur Geltung kam, fragte ich mich allerdings, ob ich es nicht auch bedauerte.
Eine Dreiviertelstunde später sagte ich dem Barkeeper, er solle meinen Platz freihalten – obwohl ich die einzige Person in der Bar war –, und ging zur Toilette. Als ich beim Händewaschen gähnte, fand ich, dass es an der Zeit sei, ins Bett zu gehen. Doch bei meiner Rückkehr saß ein Mann auf dem Stuhl neben mir. Und zwar nicht irgendein Mann – der arrogante, unglaublich gut aussehende Typ von vorhin.
Ich setzte mich auf meinen Platz, vor dem nun ein frisches Glas Wein stand. »Wie war Ihr Meeting?«, fragte ich.
»Interessiert dich das wirklich?«
»Nein, ich wollte nur höflich sein. Solltest du vielleicht auch mal versuchen.« Ich drehte mich zu ihm um und versuchte zu ignorieren, dass er aus der Nähe noch besser aussah. Ich hatte einen Blick bislang nie als sexy beschrieben, aber seiner war genau das. Sexy und verführerisch. Zudem roch er verdammt gut. »Weißt du, nur weil du attraktiv bist, heißt das nicht, dass du unhöflich sein darfst. Vielleicht funktioniert das bei deinen Supermarktbekanntschaften, bei mir jedenfalls nicht.«
Er hob eine Augenbraue. »Du findest mich also attraktiv?«
Ich rollte mit den Augen. »Du hättest dich auf den Teil konzentrieren sollen, in dem es um unhöfliches Auftreten ging. Offenbar hast du nur attraktiv gehört.«
»Hast du deshalb den Tinder-Typen gewählt? War er höflich?«
»Er war nett, ja. Außerdem war er witzig und hat mich zum Lachen gebracht.«
Er griff nach seinem Drink. »Nett und witzig hat dir einen verheirateten Kerl gebracht, der dich mit der Rechnung hat sitzen lassen. Vielleicht solltest du es mal mit attraktiv und unhöflich versuchen?«
Ich lachte. Da hatte er nicht ganz unrecht. »Hast du auch einen Namen? Oder ist es dir lieber, wenn ich bei Mr Arrogant bleibe? So habe ich dich nämlich für mich genannt.«
Mr Arrogant streckte mir die Hand hin. »Beck.«
Als ich sie ergriff, hob er meine Hand an seine Lippen, und ein Kribbeln überlief meinen gesamten Körper. Doch das würde ich für mich behalten.
»Macht man das so im Supermarkt? Einer Fremden die Hand küssen und sie dann zu sich nach Hause einladen?«
»Mein Zuhause ist fast fünftausend Kilometer weit weg.«
»Oh. Du hast es also nicht darauf abgesehen, den Platz des Typen einzunehmen, den ich vorhin in die Wüste geschickt habe?«
Er grinste. »Wenn du Ersatz suchst, ich bin hier. Aber ich möchte wenigstens zuerst wissen, wie du heißt.«
Ich lachte. »Nora.«
Er nickte. »Freut mich, dich kennenzulernen, Nora.«
»Was führt dich ans Ende der Welt, Beck?«
»Ich hab Verwandte besucht. Und du?«
»Ein Mädelsausflug. Wir sind nur für ein paar Tage auf der Durchreise.«
Becks Telefon vibrierte auf der Theke. Er beugte sich vor, um das Display zu checken, und schüttelte den Kopf. »Da bin ich nur einen halben Tag weg, und schon ist im Büro die Hölle los.«
»Gehst du nicht ran?«
»Das kann bis morgen warten.«
»Was machst du, dass du so begehrt bist?«
»Mergers & Acquisitions. Ich vermittle Firmenfusionen und -übernahmen.«
»Klingt toll, aber ich habe keine Ahnung, was das eigentlich bedeutet.«
»Das kommt drauf an. Manchmal helfen wir Unternehmen gleicher Größe dabei, sich zu konsolidieren und sich zu einem starken Unternehmen zusammenzuschließen. Manchmal helfen wir einem starken Unternehmen, ein schwächeres zu übernehmen.«
»Möchte das kleinere Unternehmen übernommen werden?«
»Nicht immer. Es gibt freundschaftliche Übernahmen und feindliche. Das, worum es heute Abend bei allen Anrufen ging, ist keine freundliche Übernahme.« Er nippte an seinem Getränk. »Was machst du?«
»Bildbände.«
»Diese dicken Bücher mit Reisefotos oder Mode aus verschiedenen Jahrzehnten oder was auch immer?«
»Ganz genau.«
»Als Autorin oder Fotografin?«
»Beides. Obwohl es mir immer noch surreal vorkommt, dass ich meinen Lebensunterhalt mit etwas verdiene, das mir so viel Spaß macht. Ich habe Journalismus studiert und wollte eigentlich Schriftstellerin werden. Die Fotografie war immer mein Hobby, aber jetzt schreibe ich die Texte und mache die Fotos für meine Bücher.«
»Wie bist du dazu gekommen?«
»Nach dem Studium kontaktierte ich eine Agentin, weil ich ihr einen Thriller anbieten wollte, an dem ich gerade schrieb. Damals betrieb ich zum Spaß ein Blog. Ich fotografierte Menschen, die in New York auf der Straße lebten, und schrieb unter jedes Foto eine kleine Geschichte über die jeweilige Person. In der Signatur meiner E-Mail gab es einen Link zu dem Blog. Der Agentin gefiel mein Thriller zwar nicht, aber sie bemerkte den Link zu meinem Blog und sah sich alles an. Daraufhin fragte sie mich, ob ich nicht stattdessen einen Bildband machen wollte. Ich sagte zu, und in den nächsten acht Jahren arbeitete ich an fünfundzwanzig Bildbänden über Wohnungslose in verschiedenen Städten. Letztes Jahr habe ich eine neue Reihe über Graffiti und Graffiti-Künstler in verschiedenen Städten begonnen.«
»Das klingt wesentlich unterhaltsamer als Fusionen und Übernahmen.«
Ich lächelte. »Da bin ich mir sicher. Ich finde, ich habe ziemlich viel Glück mit meinem Beruf. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit etwas, das ich gern tue, und kann überallhin reisen. Außerdem habe ich dabei wunderbare Menschen kennengelernt, und ein Prozentsatz aller Buchverkäufe geht an Unterkünfte für Bedürftige.«
Becks Blick glitt über mein Gesicht. »Was versuchst du zu vergessen, Nora?«
Ich brauchte eine Sekunde, bis ich begriff, dass er sich auf das bezog, was ich über den Tinder-Typen gesagt hatte. »Will nicht jeder ab und zu das Leben vergessen?«
»Vielleicht.« Er strich sich über die Unterlippe. »Aber normalerweise gibt es einen konkreten Anlass – eine schwierige Beziehung, Stress im Job, finanzielle Schwierigkeiten oder familiäre Probleme.«
Ich strich mit dem Finger durch das Kondenswasser an meinem Glas, während Beck auf meine Antwort wartete. Ich drehte mich zu ihm um. »Willst du wissen, warum ich Tinder mag, anstatt Männer im Supermarkt oder in einer Bar kennenzulernen?«
»Warum?«
»Weil ich dort leicht Männer finde, die mich mit Vergnügen vergessen lassen, aber sich nicht genug für mich interessieren, um nach dem Grund zu fragen. Alles, was ich von ihnen will, ist Sex.«
Beck deutete mit dem Glas auf mich und hob es dann an die Lippen. »Verstanden.«
Während er trank, fiel mir die klobige Uhr an seinem Handgelenk auf – eine Audemars Piguet, keine Rolex. Ich fand, dass die Armbanduhr viel über einen Mann aussagt. Für die meisten Männer ist eine Uhr ein Statussymbol. Sie prahlen damit, dass sie es sich leisten können, ihr Handgelenk mit einer Uhr im Wert eines Kleinwagens zu schmücken. Ihnen ist klar, dass andere das erkennen, weil Rolex eine der beliebtesten Luxusmarken der Welt ist. Audemars Piguet hingegen sagt Menschen, die sich nicht mit Uhren auskennen, eher nichts und ist in der Regel sogar noch teurer. Die meisten Männer tragen eine Rolex für andere, aber eine Audemars Piguet trägt man für sich selbst. Mr Arrogant stieg eine Stufe in meiner Achtung.
Das Zweite, wonach ich einen Mann gern beurteilte, war seine Getränkebestellung. Becks Glas hatte bereits vor ihm gestanden, als ich von der Toilette zurückkam, darum wusste ich nicht, um was es sich bei der bernsteinfarbenen Flüssigkeit handelte. Vermutlich um irgendeine Art von Whiskey.
»Ist das ein Scotch?« Ich deutete auf den Tumbler vor ihm.
Er hielt ihn mir hin. »Whiskey. Möchtest du probieren?«
»Nein, aber ich war einfach neugierig, was es ist.«
Er legte den Kopf schief. »Warum?«
»Ich weiß nicht. Ich habe nur festgestellt, dass ein bestimmter Männertyp auch eine bestimmte Art von Drinks bestellt.« Mein Blick wanderte zu seinem Handgelenk. »Uhren können auch viel über eine Person aussagen.«
»Meine Uhr und die Whiskey-Marke, die ich trinke, verraten dir also, wer ich bin?«
Ich zuckte die Schultern. »Vielleicht.«
Er leerte den Rest seines Glases und gab dem Barkeeper ein Zeichen, der sofort reagierte.
»Welche Marke, sagten Sie, ist das?«, fragte er.
»Er heißt Hillcrest Reserve und stammt aus einer Destillerie etwa fünfzehn Kilometer entfernt von hier, die bereits in dritter Generation geführt wird.«
Beck schob sein Glas über die Theke. »Danke. Ich nehme noch einen.«
Als der Barkeeper sich entfernte, sah Beck mich an. »Anscheinend heißt er Hillcrest Reserve.«
Ich runzelte die Stirn. »Wusstest du das nicht, als du ihn bestellt hast?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe gefragt, ob es einen Whiskey aus einer kleinen Destillerie aus der Gegend gibt. Wenn ich reise, teste ich gern lokale Lebensmittel und Whiskey. Ich lebe in Manhattan. Dort bekomme ich in jeder Bar einen Macallan für zweihundert Dollar pro Schluck. Aber einen Hillcrest Reserve bekomme ich dort nicht.«
Ich lächelte. »Das gefällt mir.«
»Aber du wirkst überrascht. Offenbar entspricht meine Auswahl nicht dem Typ Mann, für den du mich gehalten hast.«
»Nicht ganz.«
»Was dachtest du denn, was ich trinke?«
Ich grinste. »Den Macallan für zweihundert Dollar pro Schluck, den man überall bekommt.«
Beck lachte. »Und was für ein Typ von Mann bestellt den?«
Ich nahm einen Schluck von meinem Wein und setzte das Glas ab. »Der Typ, der in Manhattan lebt, in einem Unternehmen arbeitet, das Fusionen und Übernahmen managt, und einen schicken Anzug und eine Rolex trägt. Also im Grunde jeder Wall-Street-Trottel, der an einem Freitagnachmittag zur Happy Hour vor dem Cipriani steht.«
Beck warf lachend den Kopf zurück. Ich hatte den Kerl gerade beleidigt, und er war amüsiert. »Ich schätze, ich habe einen ziemlich beschissenen ersten Eindruck gemacht.«
Ich verzog keine Miene. »Du hast mir gesagt, ich solle mir eine seriösere App für meine Dates suchen.«
»Ich fand, du verdienst etwas Besseres.«
»Blödsinn. Du bist nur nett, weil du weißt, dass ich auf Sex ohne Verpflichtungen aus war, und meinst, du hättest vielleicht Chancen.«
»Bin ich aus dem Rennen?«
Ich nahm mir einen Moment Zeit, um ihn noch einmal zu mustern. Verdammt, er sieht wirklich toll aus. »Ich überlege nur, weil du so gut aussiehst.«
Ein laszives sexy Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Deine Direktheit gefällt mir.«
»Und mir gefällt dein Kinn.«
Seine Augen funkelten. »Mein großer Schwanz wird dir noch besser gefallen.«
Ich biss mir auf die Unterlippe. Das Gespräch hatte eine unerwartete Wendung genommen und näherte sich nun eher dem Inhalt meiner Tinder-Chats an – womit ich mich eindeutig wohler fühlte, als darüber zu sprechen, warum ich mein Leben für eine Weile vergessen wollte. »Woher weiß ich, dass du kein Serienmörder bist?«
»Woher wusstest du, dass der Loser von Tinder keiner war?«
Gutes Argument. Ich nippte an meinem Wein. »Wie alt bist du?«
»Alt genug, um zu wissen, was ich mit dir anstellen sollte, und jung genug, dass ich dafür keine Pille schlucken muss.«
Ich schmunzelte. »Ist das so? Du weißt, was du mit mir anstellen solltest?«
Er lächelte selbstbewusst. »Absolut, ja.«
Die Luft zwischen uns knisterte. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass dieser Mann sein Versprechen halten konnte. Vielleicht lag es an seinem selbstbewussten Auftreten, oder daran, dass ein derart gut aussehender Mann meiner Überzeugung nach viel Übung haben musste. Letzteres hätte mich abgeschreckt, wenn ich auf mehr als eine Nacht aus gewesen wäre, aber für eine Nacht spielte es keine Rolle, solange es meinem Zweck diente.
Ich sah in seine zu blauen Augen. »Dann sag es mir.«
»Was?«
»Was du mit mir anstellen würdest.«
Das verruchte Grinsen, das über sein Gesicht glitt, brachte mich fast dazu, meine Bitte zurückzunehmen. Aber auch nur fast.
Beck führte sein Glas an den Mund und trank einen Schluck, bevor er sich zu meinem Ohr vorbeugte. »Ich würde zuerst mein Gesicht in deiner Muschi vergraben, bis du auf meiner Zunge kommst. Dann würde ich dich nehmen, als würde ich dich hassen.«
O Gott! Ich krümmte doch tatsächlich unwillkürlich die Zehen. Wow!
Er rückte von mir ab und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.
Ich war hin- und hergerissen und überlegte, ob ich verrückt war, wenn ich diesen Mann mit auf mein Zimmer nähme. Während ich darüber nachdachte, blickte ich zufällig nach unten.
Heiliger Strohsack. Seine Hose spannte sich um seinen Schenkel, und an seinem Bein war eine deutliche Ausbuchtung zu erkennen. Eine sehr lange, sehr dicke Ausbuchtung.
Ich glaubte an Zeichen, und dieses Zeichen konnte ich nicht übersehen. Also kippte ich den Rest meines Weins hinunter, holte eine meiner zwei Schlüsselkarten vom Hotel aus der Handtasche und schob sie dem Mann neben mir hin.
»Zimmer zwei neunzehn. Gib mir zehn Minuten Vorsprung, damit ich mich frisch machen kann.«
Beck
»Wo bist du? Ich war gerade in deinem Büro, und es ist dunkel. Das Franklin-Meeting beginnt in zehn Minuten.«
Ich schaltete mein Handy auf Lautsprecher und legte es auf den Waschtisch im Bad, damit ich mich fertig rasieren konnte. »Ich bin in Idaho.«
»Idaho?«, fragte Jake. »Was zum Teufel machst du da?«
»Anscheinend ist Sun Valley ein beliebter Ort, um von den Klippen zu springen. Ich bin hier, um unsere Großmutter zur Vernunft zu bringen. Sie hat mich blockiert, sodass ich sie nicht mehr anrufen kann.«
»O mein Gott. Lass die Frau in Ruhe. Sie lebt ihr Leben und tut, was sie tun will.«
»Hat sie dir gegenüber jemals erwähnt, dass sie einen Wingsuit-Sprung machen will?«
»Nein, aber ich habe ihr wahrscheinlich auch nicht gesagt, dass ich letztes Jahr gern mit der Krankenschwester rumgemacht hätte, die sie im Krankenhaus betreut hat. Auf Familienfeiern erzählt man sich nicht alles.«
Mein Bruder machte sich um nichts Sorgen. Vielleicht, weil er erst dreiundzwanzig war und sich noch für unbesiegbar hielt. Zehn Jahre und eine Ehe zuvor hätte ich mir wahrscheinlich auch weniger Sorgen gemacht. »Ich glaube, die Freundin, mit der sie unterwegs ist, ist ein bisschen labil und treibt sie zu diesen verrückten Sachen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Zum Beispiel, weil sie mir gestern geschrieben hat, ich sollte mal den Stock aus dem Arsch nehmen.«
»Grams Freundin schickt dir Nachrichten?«
»Gram hat mir für Notfälle ihre Nummer gegeben, kurz bevor sie mich blockiert hat.«
»Lass mich raten, und du hast sie benutzt, um diese nette alte Dame zu belästigen, weil du Gram nicht erreichen konntest?«
»Nette alte Dame?« Ich zog die Haut an meinem Hals straff und rasierte eine saubere Linie. Als ich an der Kurve meines Kinns entlangfuhr, schnitt ich mich. Verflucht. Dieser blöde, billige Hotelrasierer. Ich nahm ein Stück Toilettenpapier, um die Blutung zu stoppen. »Die nette alte Dame hat mir auch gesagt, ich sei ein grauer Streusel auf einem Regenbogen-Cupcake.«
Jake lachte. »Mann, sie hat dich voll durchschaut, und dabei ist sie dir noch nie begegnet. Du musst dich entspannen. Gram will nur ein bisschen Spaß haben. Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich lieber drei Monate leben, als ein Jahr auf den Tod zu warten.«
Ich runzelte die Stirn. Auf diese Debatte würde ich mich nicht erneut einlassen. Vor drei Wochen hatte man unserer Großmutter mitgeteilt, dass ihr Bauchspeicheldrüsenkrebs zurückgekehrt sei. Es war das dritte Mal innerhalb von zehn Jahren, und der Krebs hatte nun auch Metastasen in der Lunge und der Speiseröhre gebildet. Die Ärzte sagten, dass erneute Chemo und Bestrahlung ihre Lebenserwartung wahrscheinlich nur von drei auf neun Monate verlängern würden. Sie sagten aber auch, dass eine einprozentige Chance bestünde, dass der Krebs durch die Behandlung wieder in Remission gehen und sie noch deutlich länger leben könnte. Gram hatte sich diesmal gegen eine Behandlung entschieden, was wir alle unterstützt hatten, auch wenn mir aus egoistischen Gründen lieber gewesen wäre, sie würde die Chance nutzen, auch in zehn Jahren noch da zu sein.
Doch dann beschloss sie, eine verrückte Reise mit einer Frau zu unternehmen, die keiner von uns kannte, und in letzter Zeit kam es mir so vor, als sei sie auf einer Selbstmordmission.
»Ich muss Schluss machen. Ich weiß nicht, wann sie sich auf den Weg machen, und ich brauche unbedingt einen Kaffee, bevor ich mich mit Gram streite.«
»Was soll ich wegen des Meetings unternehmen?«
»Regele du das.«
»Normalerweise gefällt dir nicht, wie ich die Dinge regele.«
»Überrasch mich. Bis dann.« Ich beendete das Gespräch und rasierte mich zu Ende. Wenig später ging ich auf der Suche nach Koffein in die Hotellobby. Nachdem ich mir einen Becher Kaffee eingeschenkt hatte, drehte ich mich auf der Suche nach Milch und Zucker um. Und blickte in wunderschöne grüne Augen, die mich mit ihren Blicken durchbohrten.
Mist.
Nora. Die schöne Blondine von gestern Abend.
Sie saß kaum eineinhalb Meter entfernt an einem Tisch.
»Wie ich sehe, hast du den Weg zum Kaffee gefunden«, sagte sie. »Doch irgendwie hast du dich gestern Abend auf dem Weg in den zweiten Stock offenbar verlaufen?«
Ich schob die Hände in die Hosentaschen und kam mir wie ein Idiot vor. »Was das angeht …«
Hinter mir unterbrach eine vertraute Stimme das Gespräch. »Guten Morgen, mein Schatz.«
Ich drehte mich um und stand vor meiner Großmutter. Ich hatte angenommen, sie habe mit mir gesprochen, doch als sie mich sah, runzelte sie erstaunt die Stirn.
»Beckham? Was machst du denn hier?«
»Ich bin gekommen, um dich zur Vernunft zu bringen.«
»Moment …« Nora blieb der Mund offen stehen. »Beck wie in Beckham, Louises mürrischer Enkel?«
Ich drehte mich zu ihr um. »Du kennst meine Großmutter?«
»Ja … Wir reisen seit zwei Wochen zusammen.«
»Du bist Eleanor Sutton? Ich dachte, du hättest gesagt, du heißt …« Verdammt. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich schüttelte den Kopf. »Nora … ist die Abkürzung für Eleanor?«
Ich hatte angenommen, Eleanor sei siebzig und keine blonde Sexbombe Mitte zwanzig.
Gram winkte zwischen uns beiden hin und her. »Ihr kennt euch?«
Ich wollte meiner Großmutter nicht erklären, dass ich ihrer Freundin gesagt hatte, ich wollte sie ficken, als ob ich sie hassen würde, und dann nicht erschienen war, um mein Versprechen einzulösen. Darum wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. Zum Glück war Nora eher auf Zack als ich.
Sie setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Wir haben uns gerade an der Kaffeebar kennengelernt.«
Meine Großmutter trat vor und küsste mich auf die Wange. »Hallo, Sweetheart. Es ist immer schön, dich zu sehen. Aber wenn du gekommen bist, um mir eine Standpauke zu halten, hast du den Weg leider umsonst gemacht und kannst gleich wieder umkehren. Reisende soll man nicht aufhalten.«
Ich musste unwillkürlich lächeln. »Wie ich sehe, bist du ganz in deinem Element. Wie geht’s dir, Gram?«
»Wenn die blöden Ärzte mir nicht gesagt hätten, dass der Teufel zurück ist, würde ich gar nichts merken. Vielleicht ein bisschen müder als sonst, aber wir sind ja auch viel unterwegs.«
»Das freut mich zu hören. Kann ich dir einen Kaffee bringen?«
»Ich glaube, wir müssen uns auf den Weg machen.«
»Also …« Nora runzelte die Stirn. »Ich habe dir vorhin eine Nachricht geschickt, Louise. Wahrscheinlich hast du sie noch nicht gelesen. Wegen des starken Winds wurde der Sprung heute Morgen abgesagt. Das Unternehmen wird mich mittags informieren, ob es nachmittags einen Sprung gibt, aber falls ja, dann nicht vor vier Uhr.«
»Nun denn …« Meine Großmutter drehte sich zu mir um. »Ich atme, und ich bin voll geschminkt. Du kannst uns also zum Frühstück ausführen, am besten irgendwohin, wo es Kahlua für meinen Kaffee gibt.«
Ich lächelte. »Alles klar.«
»Ich glaube, ich bleibe hier«, sagte Nora. »Ich muss einiges erledigen.«
»Du musst doch was essen. Da kannst du dich genauso gut von meinem Enkel einladen lassen. Außerdem kann er dir dann vielleicht zeigen, dass er gar nicht so ein Idiot ist, wie es in euren Nachrichten den Anschein hatte.«
Es sah so aus, als ob Nora sich dennoch zurückziehen wollte, aber es war schwer, meiner Großmutter etwas abzuschlagen.
»Komm.« Gram deutete in Richtung Lobby. »Eigentlich wären wir jetzt bei unserem Sprung, also kannst du nichts zu tun haben, was nicht eine Stunde warten kann.«
Nora zwang sich zu einem Lächeln. »Klar. Also, gehen wir.«
»Ich nehme Eier Benedict und einen Kaffee mit einem Schuss Kahlua«, sagte Gram zu dem Kellner.
Er lächelte. »Ich fürchte, wir haben keinen Kahlua. Wir haben eigentlich gar keinen Alkohol.«
»Kein Problem.« Meine Großmutter tätschelte ihre Handtasche. »Ich habe welchen hier drin. Sie können ja so tun, als würden Sie nicht sehen, wie ich unsere Getränke aufpeppe. Ich wollte Ihnen dieses Geschäft nicht vorenthalten, aber ich erwarte, dass Sie mich auch nicht um mein Vergnügen bringen.«
Der Kellner lachte. »Ich weiß von nichts.«
Nora bestellte als Nächste. Während sie sprach, konzentrierte ich mich auf ihre Lippen. Heute Morgen unter der Dusche hatte ich mir diese Lippen um meinen Schwanz vorgestellt und mich dabei um mich gekümmert. Es war nicht leicht gewesen, mich gestern Abend anständig zu verhalten, vor allem nachdem ich begriffen hatte, wie nah mein Zimmer bei ihrem lag. Doch als ich an der Bar die Rechnung bezahlt hatte und sah, wie viele Gläser Wein Nora getrunken hatte, konnte ich das nicht. Manche Frauen mochten es bereut haben, mit mir zusammen gewesen zu sein, aber nie, weil sie nicht mehr in der Lage gewesen wären, Nein zu sagen.
»Sir?« Ich blickte auf und sah in das erwartungsvolle Gesicht des Kellners.
Noras verschmitztes Grinsen deutete daraufhin, dass sie wusste, wo ich mit den Gedanken gewesen war.
Ich räusperte mich. »Für mich die Eier Benedict und einen Kaffee mit Milch, bitte.« Nachdem der Kellner gegangen war, legte ich meine Serviette auf den Schoß. »Woher kennt ihr beiden euch eigentlich? Ich kann mich nicht erinnern, dass du Nora vor dieser Reise schon mal erwähnt hast.«
Gram tätschelte Noras Hand. »Sie wohnt in meinem Haus.«
»Wenigstens ergibt der Blog jetzt einen Sinn.« Grams Gefährtin hatte von Anfang an über ihre Reise gebloggt und Videos von meiner Großmutter bei allen möglichen verrückten Dingen aufgenommen. Die Seite hieß Lebe, als würdest du sterben.
»Wie meinst du das?«, fragte Nora.
»Na ja, ich hatte angenommen, du wärst älter. Ich kenne nicht allzu viele Leute im Alter meiner Großmutter, die bloggen.« Ich sah Gram an. »Nichts für ungut.«
Nora verschränkte die Arme vor der Brust. »Also, wenn sie nicht beleidigt ist, bin ich es. Es gibt keine Altersbeschränkung, etwas zu tun. Warum kann nur ein junger Mensch bloggen oder Fallschirmspringen?«
O Gott. Na, das war allerdings die Frau, mit der ich getextet hatte.
»Ich habe nicht gesagt, dass ältere Menschen diese Sachen nicht können. Ich habe nur gesagt, dass ich nicht viele kenne, die so etwas tun.«
»Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass das an engstirnigen, jüngeren, altersfeindlichen Menschen liegen könnte, die ihre Verwandten davon abhalten, ihr Leben in vollen Zügen zu genießen? Dabei sollten sie sie vielmehr ermutigen! Ob du es glaubst oder nicht, deine Großmutter musste nicht erst einen Technikkurs besuchen, um herauszufinden, wie sie dich blockieren kann.«
Ich sah meine Großmutter an.
Sie grinste. »Sieh mich nicht so hilfesuchend an. Du hast dir dein Grab mit Eleanor geschaufelt, seit ich dir ihre Nummer für Notfälle gegeben habe.«
»Wo wir gerade von diesen wunderbaren Nachrichten sprechen«, sagte Nora. »Wenn du das nächste Mal unhöflich zu mir bist oder verlangst, dass ich eine Nachricht an deine Großmutter weiterleite – insbesondere eine, von der du genau weißt, dass sie sich darüber aufregen wird –, werde ich dich auch blockieren.«
Wenn eine Person so mit mir sprach, konnte ich es normalerweise kaum erwarten, sie zur Schnecke zu machen. Aber aus irgendeinem verrückten Grund ging mir die Vorstellung nicht aus dem Kopf, wie ich mit dieser Frau unter vier Augen stritt … und ihr dann ihre Meinung aus dem Kopf vögelte.
Ich grinste. »Zur Kenntnis genommen. Danke für die Warnung.«
Mein Einverständnis schien ihre Wut zu zerstreuen, und kurz erwog ich, sie darauf anzusprechen, wie viele Todesfälle es in den letzten Jahren beim Fallschirmspringen gegeben hatte, nur um mich wieder mit ihr zu streiten. Doch dann fing Gram an, von einem Schnorchelausflug zu erzählen, den sie geplant hatten, und bei dem Leuchten in ihren Augen wurde mir ganz warm ums Herz. Schnorcheln schien einigermaßen harmlos zu sein …
»Und wenn wir dann den Dreh raushaben«, sagte sie, »fangen sie an, sie anzufüttern.«
»Anzufüttern?«
Gram nickte. »Die Haie.«
So viel zum harmlosen Schnorchelausflug. »Im Ernst, Gram? Schwimmen mit Haien? Warum kannst du nicht einfach schnorcheln und dir die bunten Fische ansehen?«
»Warum sollte ich das tun, wenn ich zusehen kann, wie ein Riesenmonster mit fünf Zahnreihen die bunten Fische frisst?«
»Ich verstehe vollkommen, dass du reisen und etwas unternehmen willst, aber warum muss alles gefährlich sein? Bevor du es erfahren hast, hattest du nicht das Bedürfnis, so etwas zu tun …«
Gram sah mich nachdenklich an. »Ich habe erfahren, dass ich sterbe. Es ist okay, es auszusprechen, Beckham. Ich werde sterben. Wahrscheinlich bin ich in ein paar Monaten nicht mehr da. Warum also nicht Dinge tun, die für einen Adrenalinstoß sorgen und mir Angst vor meinem eigenen Tod machen? Wenn ich zu Hause rumsitze, habe ich weiß Gott vor nichts Angst. Ich meine, was kann schon passieren? Dass ich über die Ampel gehe und von einem Taxi überfahren werde? Ich will mich lebendig fühlen. Und verdammt, wenn ich etwas früher als erwartet sterbe, weil die Flügel meines Wingsuits nicht genug flattern oder ein Hai meint, ich wäre ein netter Nachtisch, dann habe ich wenigstens einen tollen Nachruf.«
Ich wusste, wann ich besser den Mund halten sollte. Ich würde mit meiner Großmutter reden, wenn sie allein und nicht so störrisch war. Für den Moment wechselte ich das Thema und versuchte, es zu genießen, wie sie von all ihren bisherigen Unternehmungen erzählte. So verlief der Rest des Frühstücks friedlich.
Als wir zum Hotel zurückkehrten, sagte Gram, sie wolle sich eine Weile hinlegen. Sie behauptete, wegen der Aufregung vor dem bevorstehenden Wingsuit-Sprung letzte Nacht nicht gut geschlafen zu haben. Also begleitete ich sie zu ihrem Zimmer und fragte, ob wir zusammen zu Mittag essen könnten, nur wir zwei.
An ihrer Tür küsste sie mich auf die Wange. »Ich freu mich, so viel Zeit wie möglich mit dir zu verbringen. Aber du wirst mich nicht umstimmen können, Beck.«
»Dann hole ich dich um zwölf ab?«
Auf dem Rückweg zu meinem Zimmer klopfte ich an Noras Tür. Ich war ihr dankbar, dass sie für sich behalten hatte, was zwischen uns vorgefallen war. Und ich schuldete ihr eine Erklärung. Zudem war mir klar, dass ich größere Chancen hatte, zu Gram durchzudringen, wenn Nora auf meiner Seite wäre. So seltsam das Paar auch sein mochte, sie schienen sich gut zu verstehen.
Als Nora die Tür öffnete, machte sie ein langes Gesicht. »Ich hoffe, du meinst nicht, dass du die gestrige Nacht nachholen könntest. Du hast deine Chance vertan, als du mich versetzt hast.«
»Was das angeht …«
Sie wollte die Tür schon wieder schließen. »Ich brauche keine Erklärung. Dein Pech.«
Ich schob meinen Fuß in den Türrahmen. »Warte einen Moment. Vielleicht brauchst du keine Erklärung, aber ich würde dir gern trotzdem eine geben.«
Sie rollte mit den Augen. »Sag, was du zu sagen hast, und geh.«
»Du hast sechs Gläser Wein getrunken. Ich habe es gesehen, als ich bezahlt habe.«
Nora zuckte die Achseln. »War dir das zu teuer? Ich erstatte dir die Kosten nicht.«
»Ich beschwere mich nicht wegen des Geldes. Aber die sechs Gläser sind der Grund, warum ich nicht hochgekommen bin, sosehr ich es auch wollte. Und glaub mir, ich wollte es wirklich sehr. Vielleicht habe ich sogar zehn Minuten lang vor deiner Tür gestanden und versucht, mich davon zu überzeugen, dass ich kein Dreckskerl bin, wenn ich klopfe. Schließlich hattest du mich ja eingeladen. Aber am Ende wollte ich eine Frau, die zu viel getrunken hatte, einfach nicht ausnutzen.«
»Nur zwei von diesen Weinen waren meine. Vor meinem Date mit dem Tinder-Loser haben Louise und ich uns mit zwei Damen auf einen Drink getroffen. Ich hab ihr gesagt, ich würde die Rechnung übernehmen. Ich war völlig nüchtern, vor allem, wenn man bedenkt, dass ich schon ein paar Stunden dort gesessen hatte.« Sie legte den Kopf schief. »Und nebenbei gesagt, ich wollte ausgenutzt werden.«
Ich ließ den Kopf sinken. »Fuck.«
»Ist trotzdem gut gelaufen. Ich wusste natürlich nicht, dass du Louises Enkel bist – der mich angeherrscht hat, als würde ich für ihn arbeiten.«
Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar. »Sie ist meine Großmutter. Ich mache mir Sorgen um sie.«
Nora stemmte die Hände auf die Hüften. »Weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben etwas Gefährliches tut, oder?«
»Das stimmt.«
»Wusstest du, dass deine Großmutter zertifizierte Sporttaucherin ist? Sie war eine der ersten Frauen, die 1967 einen Kurs absolviert hat. Am liebsten tauchte sie nach Tiefseewracks.«
»Wovon sprichst du?«
»Wusstest du, dass sie mit dreiundzwanzig die Lava Falls befahren hat, eine der schwierigsten Wildwasserstrecken der Welt?«
»Wirklich?«
Sie nickte. »Deine Großmutter ist nicht so zartbesaitet, wie du denkst. Sie ist ein knallharter Typ. Wenn du dich von der Überzeugung verabschieden würdest, dass sie alt und gebrechlich ist und man sich um sie kümmern muss, könntest du das vielleicht erkennen.«
»Warum hat sie nie etwas gesagt?«
Nora schüttelte den Kopf. »Vielleicht weil du nie gefragt hast. Weißt du, wie sie und dein Großvater sich kennengelernt haben? Oder warum wir auf eine Ranch in Utah fahren, um einen Mann zu besuchen, den sie seit sechzig Jahren nicht mehr gesehen hat?«
Sie hatte ihren Standpunkt deutlich gemacht. Jetzt machte sie mich allmählich einfach wütend. »Weißt du, wer nach ihrer ersten Bauchspeicheldrüsen-OP jeden einzelnen Tag an ihrer Seite war? Oder als der Krebs zurückkam und es ihr während der Therapie monatelang schlecht ging?«
»Ich bezweifle nicht, dass dir deine Großmutter wichtig ist. Ich sage nur, dass du sie jetzt bei ihren Entscheidungen unterstützen musst, wie auch immer die aussehen.«
Ich schwieg einen Moment. »Warum tust du das?«
»Weil du an meine Tür geklopft hast.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Warum reist du mit einer Frau, die dreimal so alt ist wie du? Was springt für dich dabei heraus?«
Nora blähte die Nasenflügel. »Was für mich dabei herausspringt? Du kannst mich mal.«
»Menschen tun normalerweise nichts, ohne dass sie etwas davon haben.«
»Was willst du damit andeuten?«
»Ich deute gar nichts an. Ich frage nur, warum du diese Reise machst.«
Statt einer Antwort knurrte sie mich doch tatsächlich an. Kurz bevor sie mir die Tür vor der Nase zuschlug.
Ich blinzelte ein paar Mal, und dann schlich sich zu meiner eigenen Überraschung ein Lächeln in mein Gesicht. Wahrscheinlich musste ich meinen Kopf untersuchen lassen, aber Nora Sutton war verdammt sexy, wenn sie wütend war.
Beck
»Ich hoffe sehr, du bist nicht hergekommen, weil du eine Wiederholung von gestern Abend erwartest«, sagte Nora.
Ich nahm an der Bar neben ihr Platz und schüttelte den Kopf. »Die Zeitumstellung macht mir zu schaffen.«
Sie nickte und widmete ihre Aufmerksamkeit ihrem Wein.
»Wie war euer Wingsuit-Sprung heute Nachmittag?«, fragte ich.
Nora sah mich irritiert an. »Louise hat dir erzählt, dass wir dort waren?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe heute Nachmittag gegen drei Uhr zufällig aus dem Fenster geschaut und gesehen, wie ihr beide euch zum Auto geschlichen habt. Zwei Minuten später rief Gram an, um mir zu sagen, dass sie noch kein Nickerchen gemacht hätte und jetzt wahrscheinlich ein paar Stunden schlafen würde. Ich habe zwei und zwei zusammengezählt. Außerdem hab ich das Foto gesehen, das du auf deinem Blog gepostet hast. Es ist das erste Mal, dass du ein Foto von dir selbst hochgeladen hast. Warum?«
»Das war mir gar nicht bewusst. Aber vermutlich, weil der Blog von Louises Reise handelt.«
»Also, wie war euer Nachmittag?«
Nora grinste. »Es war unglaublich. Auch wenn es dir nicht gefallen hätte. Du scheinst eine Spaßbremse zu sein.«
Der Barkeeper kam, und ich bestellte den gleichen Whiskey wie gestern Abend.
»Du magst mich nicht besonders, oder?«, fragte ich.
»Stimmt. Ich finde dich arrogant.«
Ich wartete, bis mein Getränk kam, und nahm einen Schluck. Die Flüssigkeit brannte in meiner Kehle, aber es fühlte sich gut an. »Ich mag dich auch nicht besonders. Ich finde dich selbstgerecht und nervig.«
Nora führte lächelnd ihr Weinglas an die Lippen. »Teile von mir scheinen dir allerdings gut zu gefallen. Ich hab heute Morgen beim Frühstück deinen Blick bemerkt.«
»Ich habe auch das Bild angestarrt, das du auf deinem Blog gepostet hast. Aber du hattest einen hautengen, gummiartigen Anzug an. Die verdammten Vögel haben gestarrt. Das heißt nicht, dass ich dich mag.«
Lachend schüttelte sie den Kopf. »Tja, wir werden wohl einen Weg finden müssen, uns gegenseitig zu tolerieren, schließlich mögen wir beide deine Großmutter. Vielleicht sollten wir uns die Hände reichen und Frieden schließen.«
»Oder …« Ich wartete, bis sie mich ansah. »Oder wir entledigen uns der negativen Gefühle bei einem Hassfick.«
»Hassficken scheint ein Thema bei dir zu sein. Ist das dein Ding?«
»Bislang nicht. Aber du gehst mir ziemlich auf die Nerven, und trotzdem möchte ich dir am liebsten die Kleider vom Leib reißen.«
Nora sah mit einem Seufzer auf meinen Schritt hinunter. »Wie schade, dass du Louises Enkel bist. Denn ein Teil von dir gefällt mir auch ziemlich gut.«
Ich schmunzelte. »Vielleicht solltest du das Teil mal aus der Nähe betrachten. Ich hätte nichts dagegen.«
Sie lachte und trank ihren Wein aus, dann drehte sie sich zu mir um und streckte mir die Hand hin.
»Freunde?«
Ich nahm ihre Hand, aber anstatt sie zu schütteln, führte ich sie an meine Lippen und biss sanft in ihren Finger.
»Aua!«
Ich küsste die Stelle und grinste. »Wenn du darauf bestehst. Meine Idee gefällt mir allerdings besser.«
»Darauf wette ich …«
Da ich mich nicht total danebenbenehmen wollte, lenkte ich das Gespräch wieder auf sicheres Terrain. »Sag … ich habe dich noch nie dort gesehen. Wie lange wohnst du schon in Vestry?«
»Vestry?«
»Den Vestry Towers. Meine Großmutter sagte, du würdest im selben Haus wie sie wohnen.«
»O ja.« Sie schüttelte den Kopf. »Stimmt. Nicht allzu lange. Ungefähr ein Jahr vielleicht. Ich ziehe bald zurück nach Kalifornien. Da komme ich her. Ich bin zum Studium nach New York gegangen und danach nicht mehr zurückgekehrt.«
Wir schwiegen eine Minute lang. »Darf ich dich etwas fragen, ohne dass du sauer wirst?«
Sie lächelte. »Wahrscheinlich nicht. Aber frag trotzdem.«
»Ich hab dich vorhin gefragt, warum du diese Reise machst …«
»Nein«, unterbrach sie mich, »du hast mich gefragt, was für mich dabeiherausspringt, als ob es für mich eine Art Spiel wäre.«
»Stimmt.« Ich nickte. »Vielleicht habe ich es etwas unglücklich formuliert. Meine Mitarbeiter würden sicher bestätigen, dass ich dazu neige, alles offen auszusprechen, was gelegentlich abschreckend wirken kann.«
»Mehr als nur gelegentlich, vermute ich.«
»Wie wäre es, wenn ich meine Frage so formuliere: Als du erfahren hast, dass meine Großmutter diese Reise plant, was hat dich dazu bewogen, sie zu begleiten?«
Nora blickte in ihr Weinglas. »Meine Mutter ist ziemlich jung gestorben, sie war nur ein paar Jahre älter als ich jetzt. Das hat meine Sichtweise verändert. Anstatt zu fragen, warum sollte ich das tun, frage ich mich jetzt, warum sollte ich es nicht tun. Das Leben ist kurz.«
»Mein Beileid, das tut mir leid.«
»Danke.«
»Darf ich fragen, wie sie gestorben ist?«
Plötzlich wirkten ihre Gesichtszüge angespannt, voller Schmerz, und ich bereute die Frage sofort.
»Es tut mir leid.« Ich hob eine Hand. »Das hätte ich nicht fragen sollen.«
»Schon in Ordnung. Man nennt es Rhabdomyosarkom, ein bösartiger Herztumor. Ist ziemlich selten.«
»Konnte man ihn nicht behandeln?«
»Manche können entfernt werden, manche nicht. Sie gehörte nicht zu den Glücklichen.«
Ich nickte. »Danke, dass du es mir erzählt hast.«
Sie trank ihren Wein aus. »Bin ich jetzt dran? Ich habe keine Frage, aber wenn du hörst, was ich sagen will, wirst du wahrscheinlich sauer.«
Ich lächelte. »Schieß los.«
»Hör auf, an den Entscheidungen deiner Großmutter herumzunörgeln. Es sind ihre Entscheidungen, und sie genießt sie.«
»Das habe ich gesehen. Sie hat übers ganze Gesicht gestrahlt, als ihr euch nach dem Sprung zurück ins Hotel geschlichen habt.«
»Der Gedanke, jemanden zu verlieren, ist beängstigend. Das ist mir klar. Aber ich verspreche dir, deine Großmutter hat keinen Todeswunsch. Sie will sich einfach nur lebendig fühlen, und dem Tod auf ihre Weise nahe zu kommen, gibt ihr dieses Gefühl.«
»Ich werde daran arbeiten.«
»Sie redet die ganze Zeit von dir, weißt du?«
»Oh-oh.«
Nora lächelte. »Überwiegend Positives. Obwohl sie dich am liebsten geohrfeigt hätte, als du ihr den Wingsuit-Sprung verbieten wolltest. Hast du denn noch nicht begriffen, dass du bei einigen Frauen genau das Gegenteil erreichst, wenn du ihnen etwas verbieten willst?«
Ich strich mir über die Lippe. »Einige Frauen also? Ich habe den Eindruck, meine Großmutter ist auf dieser Reise nicht die Einzige, auf die das zutrifft.«
»Vielleicht nicht.« Sie lächelte.
Ich beugte mich zu ihr. »Ich verbiete dir, Sex mit mir zu haben.«
Nora warf lachend den Kopf in den Nacken. Es war ein ziemlich spektakulärer Anblick.
»Deine Großmutter sagt, du seist eine ziemliche Nervensäge«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich verstehe allmählich, warum.«
»Was sagt meine Großmutter noch über mich?«
»Eine ganze Menge. Sie sagt, du bist klug, Jahrgangsbester in Princeton. Erfolgreich – nur ein Jahr nach dem College hast du dein eigenes Unternehmen gegründet und klug in Manhattan in Immobilien investiert. Du arbeitest zu viel, und das hast du offensichtlich von deinem Großvater geerbt. Du bist geschieden und hast eine bezaubernde kleine Tochter, die, glaube ich, sechs ist …«
Ich nickte. »Was noch?«
»Du stehst deinem Bruder nahe, der zehn Jahre jünger und so ziemlich das Gegenteil von dir ist. Obwohl er dich verrückt macht, hast du ihn eingestellt, weil du extrem loyal bist. Ach, und einmal hast du zusammen mit deiner Großmutter deinen kleinen Bruder von der Kita abgeholt. Du wolltest unbedingt den Kindersitz tragen. Und erst als ihr zu Hause ankamt, habt ihr gemerkt, dass du das falsche Baby mitgenommen hattest. Als ihr in die Kita zurückkamt, war bereits die Polizei da, weil die Mutter dachte, jemand habe ihr Kind entführt.«
Ich ließ den Kopf hängen. »Mein Gott, musste sie dir das erzählen? Bei den anderen Sachen bin ich so gut weggekommen.«
Sie grinste. »Ein anderes Mal, als ihr beide mit der U-Bahn gefahren seid, lief eine Maus durch den Waggon. Du wolltest wissen, wie sie hereingekommen ist, und deine Großmutter erklärte dir, dass das Skelett einer Maus es ihr ermöglicht, durch die kleinsten Ritzen zu gelangen. Anschließend hast du einen Monat lang auf dem Rücken geschlafen, bis sie herausfand, dass du Angst hattest, dich umzudrehen, weil dir eine Maus in den Hintern kriechen könnte.«
»Im Ernst? Warum hat sie dir das erzählt?«
Nora zuckte die Schultern. »Als wir eines Abends auf dem Bahnsteig standen und auf die U-Bahn warteten, lief eine Maus über die Gleise. Louise hat hysterisch gelacht und mir dann erklärt, warum. Sie hat nicht erwähnt, wie alt du damals warst, ich hoffe also, es ist nicht erst kürzlich passiert.«
»Klugscheißer.« Ich leerte mein Glas und gab dem Barkeeper ein Zeichen. »Ich bin hier eindeutig im Nachteil. Ich kenne keine Geschichten über dich.«
»Und dabei belassen wir es auch.« Sie lachte.
Der Barkeeper kam und zeigte auf mein Glas. »Das Gleiche noch mal?«
»Ja, bitte.« Ich sah zu Nora. »Noch einen Wein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
»Nimm einen. Ich reise morgen früh ab, und im Moment gehe ich dir nicht einmal auf die Nerven.«
»Ich habe tatsächlich noch etwas zu tun, ich muss die Fahnen für mein nächstes Buch abnehmen. Die Deadline ist heute.«
Ich war enttäuscht. Auch wenn die Chance, in ihr Zimmer zu gelangen, gegen null ging, Nora war geistreich. Ich hörte gern, was über diese vollen Lippen kam, auch wenn ich mir noch immer gut vorstellen konnte, etwas anderes mit ihnen anzustellen.
Sie zog ihr Portemonnaie heraus.
Ich hielt sie auf. »Das geht auf mich, bitte. Das ist das Mindeste, nach allem, was du für meine Großmutter tust.«
Sie lächelte traurig. »Du verstehst das wohl nicht. Ich bekomme von Louise genauso viel, wie ich ihr gebe. Ich tue ihr weder einen Gefallen, noch empfinde ich es als Last. Wir tun nur Dinge, die wir beide tun wollen.« Sie steckte ihr Portemonnaie zurück in die Handtasche und stand auf. »Aber trotzdem danke für den Drink. Es war schön, dich kennenzulernen, Beck. Zumindest glaube ich, dass es das war?«
Ich lachte. »Ich habe immer noch deine Zimmerkarte, weißt du? Ich könnte dich deine Arbeit beenden lassen und dann zu Ende bringen, was wir gestern Abend begonnen haben?«
Nora beugte sich zu mir herunter und küsste mich auf die Wange. »Wahrscheinlich keine gute Idee, nachdem ich jetzt weiß, dass du Louises Enkel bist. Ich hatte vor, dich zu benutzen.«
»Ich habe kein Problem damit, benutzt zu werden …«
Sie lachte. »Gute Nacht, Beck. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.«
Beck
»Gerade hatte ich mich daran gewöhnt, hier das Sagen zu haben …« Mein Bruder lehnte im Türrahmen von meinem Büro. »… da ist das Monster zurück.«
»Hast du etwa Anordnungen erteilt? Muss ich Konkurs anmelden?«
Jake stieß sich vom Türrahmen ab und trat unaufgefordert in mein Büro. Er stützte sich auf die Rückenlehne eines Besucherstuhls. Sein Blick fiel auf die vielen Pflaster an meinen Händen. »Was zum Teufel ist mit dir passiert?«
»Bitsy«, brummte ich.
Jakes Augenbrauen schossen in die Höhe. »Grams Hund hat dich gebissen?«
»Dieser Hund hasst mich. Der kleine Scheißer wartet, bis ich eingeschlafen bin, dann klettert er aufs Bett und weckt mich, indem er mir in die Finger beißt. Jede verdammte Nacht.«
Mein Bruder lachte.
»Das ist nicht lustig. Weißt du, du kannst ihn auch gern mal nehmen. Solange ich weg war, musste ich den Nachbarsjungen bitten, auf ihn aufzupassen.«
»Gram hat dich gefragt. Außerdem schaffe ich es manchmal nachts nicht nach Hause.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wolltest du etwas? Ich habe eine Menge aufzuarbeiten.«
»Erzähl mir, wie es Gram geht?«
»Sie ist stur, dickköpfig und starrsinnig.«
Jake grinste. »Also alles ganz normal? Noch keine Anzeichen, dass der Krebs sie beeinträchtigt?«
Ich zog mein Sakko aus und hängte es über die Lehne des Schreibtischstuhls, bevor ich ihn herauszog, um mich zu setzen. »Ich glaube, sie könnte der erste Mensch sein, vor dem der Krebs zu viel Angst hat, um ein drittes Mal anzugreifen.«
»Hast du die Frau kennengelernt, mit der sie unterwegs ist? Die so zickig zu dir war?«
»O ja, allerdings.«
»So schlimm? Habt ihr euch wieder gestritten?«
»So ähnlich …«
Ich verschwieg, dass Grams Freundin zwar eine Nervensäge war, mich in den letzten Nächten aber auch in meinen Träumen begleitet hatte. Wenn mein Bruder das hörte, würde ich ihm glatt zutrauen, in ein Flugzeug zu springen und unsere Großmutter zu besuchen. Jake konnte mit seiner jungenhaften Art sowie der Statur und den Grübchen unseres Vaters jede Frau um den Finger wickeln. Noch dazu trug er Fünftausend-Dollar-Anzüge und eine auffällige Uhr.
Bei diesem Gedanken fiel mein Blick auf das Handgelenk meines Bruders. Eine Rolex. Wenn ich es mir recht überlegte, hätte er es bei Nora vielleicht doch nicht so leicht …
»Was habe ich hier verpasst?«, fragte ich und krempelte mir die Hemdsärmel hoch.
Mein Bruder setzte sich. »Ich wollte es dir nicht sagen, solange du unterwegs warst, aber unsere Controller haben entdeckt, dass jemand Geld unterschlagen hat.«
Ich zog die Brauen zusammen. »Wer?«
»Ginny Atelier. Macht Abrechnungen. Bei der Überprüfung der Bücher fiel ihnen auf, dass für einige Barschecks über niedrigere Beträge keine Quittungen vorlagen. Als man sie dazu befragte, brach sie in Tränen aus und gab zu, das Geld genommen zu haben.«
Verdammt. Musste es von allen meinen Angestellten ausgerechnet sie sein? »Hat sie einen Grund genannt?«
Mein Bruder nickte. »Sie behauptet, ihre Mutter sei krank und sie habe das Geld für Medikamente gebraucht, die ihre Versicherung nicht übernimmt. Ich habe bereits mit der Personalabteilung gesprochen. Die warten nur noch darauf, dass du die Kündigung bestätigst.«
Ich stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf. »Vielleicht sollten wir sie nicht feuern.«
Mein Bruder machte große Augen. »Soll das ein Witz sein? Es ist eine herzzerreißende Geschichte, aber ich hätte nie erwartet, dass du sie nicht feuern willst.«
»Warum? Ich habe ein Herz …«
Mein Bruder sah mich aus schmalen Augen an. »Nein, hast du nicht. Du hast Leute gefeuert, weil sie dich schief angesehen haben. Irgendetwas stimmt nicht. Was ist los?«
Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar und seufzte. »Diese verdammte Weihnachtsfeier und diese blöden Pfefferminz-Martinis. Nicht ohne Grund trinke ich sonst nur Whiskey und halte mich von Wodka fern.«
Jake lachte. »O mein Gott, du hast dich mit einer Angestellten eingelassen? Du bist so ein Arsch. Wie viele Vorträge hast du mir gehalten, dass ich meinen Stift nicht in Firmentinte tauchen soll?«
»Du bist ein Angestellter.«
»Und? Darf sich nur der Chef die kleinen Angestellten schnappen?«
»Du bist der Arsch.«
»Vielleicht.« Mein Bruder lehnte sich zurück und grinste von einem Ohr zum anderen. »Aber wenigstens habe ich keine der Angestellten gevögelt.«
Ich seufzte. »Ich will erst mit der Rechtsabteilung sprechen, bevor wir entscheiden, wie wir damit umgehen.«
»Alles klar, großer Bruder.«
Ich klappte den Laptop auf und hoffte, mein Bruder würde den Hinweis verstehen, dass das Gespräch beendet war. Doch natürlich tat er das nicht.
Ich runzelte die Stirn. »Was ist? Müssen wir noch etwas anderes besprechen? Falls nicht, ich habe eine Menge zu tun.«
»Nope. Ich koste nur noch etwas den Moment aus. Es kommt schließlich nicht oft vor, dass du Mist baust.«
Ich zeigte auf die Tür. »Raus jetzt. Oder du kannst dich anstelle von Ginny in die Schlange mit den Arbeitssuchenden einreihen.«
Normalerweise lese ich während Meetings keine Nachrichten. Aber dieses war verdammt langweilig, und es war Noras Name, der auf dem Display erschien. Also öffnete ich die Nachricht und sah ein Bild meiner Großmutter, die auf einem Delfin ritt. Sie sah aus wie Rose aus Titanic, denn sie breitete die Arme aus, während das Tier sie vorwärtstrug. Lächelnd tippte ich eine Antwort.
Beck:
Das entspricht eher dem Tempo meiner Großmutter.
Die Antwort erfolgte umgehend, sie war echt schlagfertig.
Nora:
Sei nett, sonst schicke ich dir keine Bilder mehr. Deine Großmutter genießt das Leben. Vielleicht solltest du das auch mal versuchen. Was machst du gerade? Sitzt du in einem stickigen, langweiligen Meeting?
Ich lachte.
Die Analystin hielt in ihrem Vortrag inne, und alle Köpfe drehten sich in meine Richtung. Offenbar hatte ich lauter gelacht, als mir bewusst gewesen war. Ich schüttelte den Kopf und deutete auf die Zahlen, die an die Wand projiziert waren. »Schön aufpassen.«
Nora hatte gesagt, dass sie und meine Großmutter nur Dinge unternahmen, die sie beide tun wollten. Also musste sie auch mit den Delfinen geschwommen sein.
Beck:
Hast du auch am Schwimmen teilgenommen?
Ich ignorierte das Meeting weiterhin und beobachtete lieber die auf und ab springenden Punkte.
Nora:
Vorweg … teilgenommen? Bist du neunzig? Wenn du wie ein junger Mensch reden würdest, könntest du dich vielleicht auch wie einer verhalten und Spaß haben.
Aber ja, ich bin heute mit den Delfinen geschwommen, und es war unglaublich.
Beck:
Kann ich ein Bild sehen?
Nora:
Du willst mich nur im Badeanzug sehen …
Ich lächelte auf mein Handy hinunter.
Beck:
Ich wollte nur sehen, was ich verpasst habe, weil ich mich wie ein Gentleman verhalten habe.
Nora:
Eine Menge. Glaub mir.
Ich bezweifelte nicht, dass sie die Wahrheit sagte.
Beck:
Was steht als Nächstes an?
Nora:
Wir bleiben noch ein paar Tage hier und fahren nächste Woche auf die Bahamas, um zu spielen und Sonne zu tanken. Danach geht es nach Montana für einen Ausflug in die Wildnis.
Beck:
Ein Ausflug in die Wildnis?
Nora:
Custer-Gallatin National Forest. Wir bleiben zwei Nächte auf einer Ranch, reiten ein bisschen aus und machen dann über Nacht einen Camping-Trip mit den Pferden.
Ich stutzte.
Beck:
Meine Großmutter ist in Manhattan geboren und aufgewachsen. Ich glaube nicht, dass sie ein erfahrenes Cowgirl ist.
Nora: