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◊ Du glaubst nicht an Trolle, Geister oder Monster. Geschweige denn Hexen!
◊ Einen intelligenten Roboter, der deine Hausaufgaben erledigt, würdest du sofort adoptieren.
◊ Gemeinsam mit einem Alien in den Sternenhimmel kucken ... das wäre was für dich!
◊ Du würdest Dracula gerne mal fragen, ob er immer ordentlich Zähne putzt.
◊ Nur Gänse bekommen Gänsehaut; du jedenfalls nie.
Wenn du all dem zustimmen kannst, besteht beim Lesen keine Gefahr. Aber sei gewarnt! Der Schrecken lauert überall. Er schleicht sich in deinen Kopf, wenn du nicht aufpasst.
Wenn du furchtlos bist, lies das Buch. Wenn nicht, lege es vorsichtig wieder hin und geh unauffällig deiner Wege. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.
Dreizehn fantastische Gruselgeschichten für Mutige.
Hinweis: Kinder unter 10 Jahren dürfen das Buch nur im Beisein Erwachsener lesen – oder heimlich unter der Bettdecke.
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Seitenzahl: 172
Drachenmücke
STEPHAN HÄHNEL: „Mumien küsst man nicht – Fantastische Gruselgeschichten“ 1. Auflage, Oktober 2022, Periplaneta Berlin, Edition Drachenmücke
© 2022 Periplaneta - Verlag und Medien Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin periplaneta.com
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.
Die Handlung und alle handelnden Personen sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig.
Lektorat: Marion A. Müller Covermotive & Illustrationen: Marén Gröschel (marengroeschel.de) Satz & Layout: Thomas Manegold
print ISBN: 978-3-95996-249-0 epub ISBN: 978-3-95996-250-6
Stephan Hähnel
Mumien küsst man nicht
Fantastische Gruselgeschichten
illustriert von Marén Gröschel
Drachenmücke
Bis gestern fand ich ausgestopfte Tiere richtig gut. Schon deswegen, weil meine große Schwester Franziska sie absolut doof findet.
Wenn Onkel Hartmuts Geburtstag auf dem Kalender steht, hat sie tagelang vorher schlechte Laune. So war das auch diesmal.
Onkel Hartmut ist der Bruder meines Vaters. Er ist Wissenschaftler und Tierpräparator. Im Auftrag internationaler Museen hat er so gut wie alles, was zwei, vier oder keine Beine besitzt, ausgestopft.
Ehrlich gesagt, manchmal würde ich mir ja auch gerne meine nervige Schwester ausstopfen und ins Zimmer stellen, aber das erlaubt das Gesetz nicht. Außerdem bin ich überzeugt, meine Mutter hätte garantiert etwas dagegen, wenn ich meine dreckigen Fußballschuhe um ihren Hals und die Stinkesocken an ihre Nase klammern würde.
Meine Schwester liebt Tiere über alles und findet sie total knuddelig. Mit ausgestopften Exemplaren ist das etwas anderes. Die sind nur superekelhaft und entsetzlich gruselig. Ihre Tierliebe geht so weit, dass sie weder Fleisch noch Wurst isst. Letzte Woche erst mäkelte sie: „Was einmal Augen hatte, kommt nicht auf meinen Teller!“
Meinen Einwand, es gebe auch augenlose Tiere, beantwortete sie wie immer mit Geschrei. Und wer bekam den Ärger? Ich! Dabei hatte ich ihr nur erklärt, nichts gehe über eine leckere Scheibe Grottenolmsalami. Und Regenwurmchips seien der absolute Renner. Na ja, und dass Quallengelee so schön am Gaumen kitzeln würde. Natürlich beschwerte sie sich wieder. Beschweren ist ein Hobby von ihr.
„Du sollst deine Schwester nicht ständig ärgern!“, schimpfte daraufhin meine Mutter. „Du benimmst dich wie ein Kindergartenkind!“
Dabei ist es Franziska, die pausenlos nervt. Bei jeder Mahlzeit versucht sie, mir den Appetit zu verderben. „Schmeckt die Toten-Wurst? Zergeht das Leichen-Steak mit der Blut-Fleischsaft-Soße auf der Zunge? Deine Lieblingsbouletten sind aus zerhäckselten Schweinchen.“
Dazu sagt meine Mutter nichts. Selbst mein Vater hält sich aus unseren Streitereien raus. Das Herumgezicke meiner Schwester kommentiert er höchstens mit dem Satz: „Junge, so ist das mit den Frauen. Fängt ganz früh an und hört nie wieder auf.“
Toll! Mir hilft das nicht. Außerdem traut sich mein Vater das nur zu sagen, wenn wir zu einem Männergespräch verurteilt wurden. Männergespräche muss er immer dann mit mir führen, wenn sich Franziska über mich beschwert hat.
Ihr könnt mir aber glauben, ich zahle ihr jede Gemeinheit zurück. Mein Motto: Rache ist Blutwurst!
Franziska ist zwei Jahre älter. Wenn man eine vierzehnjährige Schwester hat, die ernsthaft meint, ihren Bruder erziehen zu müssen, dann bedarf es Gegenmaßnahmen.
Vor ein paar Tagen kam ich endlich darauf, wie ich ihr das ständige Gemeckere heimzahlen kann. Nach der Schule hatte sie mit ihrer besten Freundin Laura telefoniert und sich mit ihr über Jungs und Küssen unterhalten. Und ich habe sie belauscht. Mich schüttelt es jetzt noch, wenn ich nur daran denke. Von dem Mikrofon unter ihrem Bett hatte mein Schwesterherz keine Ahnung.
„Hast du schon mal Bernd geküsst?“, wollte Laura wissen und kicherte albern. „Der presst die Lippen so fest zusammen, als wollte man ihn mit Krötenleber füttern.“
„Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii, ist ja abartig“, quietschte meine Schwester und erzählte: „Aus sicherer Quelle weiß ich, Ralf hat beim Küssen aus seiner Zunge eine Röhre geformt. Keine Ahnung, was das soll.“
„Das ist noch gar nichts! Ich habe gehört, Sebastian leckt einem die Zähne ab.“
„Würg, brech, kotz!“, meinte Franziska und Laura ergänzte: „Jungs sind so peinlich! Echt ekelhaft! Obermegawiderlich!“
Beide brüllten vor Lachen und dann fragte meine Schwester: „Dieser Christian, der Blonde in der Parallelklasse, der ist süß, oder?“
„Christian? Süß? Meinst du wirklich?“, staunte Laura.
„Nein! Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur wissen, was du so denkst“, beeilte sich meine Schwester zu versichern. Aber es war zu spät.
„Du bist verliebt in ihn! Ich glaube es nicht! Du und Christian! Der küsst bestimmt wie ein Koi-Karpfen. Das muss ich sofort den anderen erzählen!“
„Du bist so gemein!“, protestierte Franziska, aber ihre angeblich beste Freundin legte nur lachend auf.
Christian und meine Schwester? Das war der Witz des Tages. Ich kannte Christian. Der interessierte sich nur für Comic-Hefte. Seit Wochen versuchte er, mich davon zu überzeugen, dass ich ihm eine Uraltausgabe von Spider-Man überließ. Bisher hatte ich das abgelehnt. Viel zu wertvoll.
Plötzlich hatte ich diese geniale Idee.
In wenigen Tagen feierte Onkel Hartmut seinen fünfzigsten Geburtstag in seiner alten Villa. Der perfekte Ort, um sich an Franziska zu rächen.
Gestern war es so weit. Den ganzen Tag war es drückend warm. Dicke Wolken verdunkelten den Himmel. Mir war klar: Spätestens am Abend würde es ein mächtiges Gewitter geben.
„Ich will hierbleiben“, quengelte Franziska.
Das musste ich unbedingt verhindern. „Ich habe schrecklich fürchterliche Angst vor Gewitter!“, äffte ich sie nach, verzog das Gesicht und zitterte, als würde mein Körper an einer Stromleitung hängen.
„Das stimmt gar nicht! Mir wird nur schlecht, wenn ich an die ausgestopften Tiere denke.“
Erst grinste ich, dann verzog ich das Gesicht zu einer Grimasse: „Mami, die Tiere schauen mich so böse an! Die werden mich bestimmt auffressen!“
„Du bist so was von blöd. Ein richtig blöder Blödmann!“
Zufrieden lachte ich und tat so, als würde ich ängstlich auf den Fingern herumknabbern.
„Hör auf, deine Schwester zu ärgern! Ausgestopfte Tiere sind wirklich ein bisschen unheimlich“, bemerkte meine Mutter.
Einen Augenblick befürchtete ich, dass Franziska tatsächlich zu Hause bleiben dürfte. Zum Glück ließ sich mein Vater diesmal nicht erweichen. „Familienfeiern sind Pflicht! Keine Diskussion!“
Onkel Hartmut freute sich riesig, als er die Tür der alten Villa öffnete und uns sah. Wie alle Erwachsenen wunderte er ein bisschen herum: „Richtig gut seht ihr aus! Groß seid ihr geworden! Du hast die gleichen Gesichtszüge wie deine Schwester!“ Lachend schlug er mir auf die Schulter und ließ uns allein.
Franziska grinste mich an. Von wegen, ich sehe meiner Schwester ähnlich. Ich verzog das Gesicht und tat so, als würde ich mir den Finger in den Hals stecken. Grinse nur! Du wirst schon sehen, was du davon hast, dachte ich.
Dann gab es Kuchen, Kakao und endlos langweiliges Erwachsenengequatsche. Als Franziska in ein Gespräch verwickelt war, behauptete ich, dass ich kurz auf die Toilette müsste. Niemanden interessierte das. Und es fiel keinem auf, dass ich heimlich die Hintertür öffnete.
Als ich wieder neben meiner Schwester saß, flüsterte ich mit tiefer Stimme: „Uhaaaaaa! Du hast Angst vor den ausgestopften Tieren! Sie wollen doch nur mit dir kuscheln! Uhhhhaaaa!“
Meine Schwester kniff mich in den Arm und trat mir gegen das Schienbein. Das macht sie immer so, wenn sie sich unbeobachtet fühlt. „Ich habe keine Angst. Ich bin nicht so ein Baby wie du!“
„Dann lass uns zu ihnen gehen!“ Ich grinste. „Es gibt bestimmt etwas Neues zu entdecken. Oder hast du doch Angst?“
Wir stiegen die große Treppe hinauf. Ein Blitz zuckte am Abendhimmel. Ich zählte die Sekunden, bis es donnerte. Wie erwartet näherte sich unaufhaltsam das Unwetter. Starke Windböen peitschten die Bäume. Plötzlich fiel der Strom aus.
Zum Glück wusste ich, wo Onkel Hartmut die Taschenlampen aufbewahrte. Jetzt, wo es dunkel war, erleuchteten Blitze die Wände der alten Villa. Überall hingen Köpfe verschiedener Wildtiere, die mit ihren Glasaugen alles genau zu beobachten schienen.
„Sie starren dich an!“, flüsterte meine Schwester mir ins Ohr. „Sie wissen, dass du Tiere isst.“
Ich tippte gegen meine Stirn. „Sie schauen dich an, weil du ihnen das Futter wegfutterst!“
Franziska zog eine Grimasse und zuckte mit den Schultern. Ich nahm zwei Stufen mit einmal und sprintete den Rest der Treppe hinauf. Ich wusste, Dunkelheit mochte mein Schwesterlein gar nicht. Also rannte sie mir hinterher.
Onkel Hartmut sammelt alles, was mit seinem Beruf zu tun hat. Die alte Villa, in der er wohnt, gleicht einem verstaubten Museum. Der überwiegende Teil seiner Sammlung beschäftigt sich mit Tieren. Richtig interessant wird es aber erst in der Kuriositätenabteilung: In der Mitte des Raumes befindet sich ein kleiner Tisch, der aus dem Panzer einer Riesenschildkröte gefertigt ist. Um ihn herum stehen vier Hocker aus echten Elefantenbeinen. Vor dem Kamin liegt ein Eisbärenfell mit präpariertem Schädel. Außerdem befinden sich in den Vitrinen Gläser mit Augen, in Scheiben geschnittene Gehirne sowie ein paar Flaschen Schlangenschnaps mit eingelegten Klapperschlangen. Die Sammlung ist uralt.
In dieser Kuriositätenabteilung standen wir nun. Ein gewaltiger Blitz ließ Franziska zusammenzucken. Kurz darauf donnerte es besonders laut.
„Du hast doch Angst! Du fürchtest dich im Dunkeln! Die Augen der Toten können es sehen!“, flüsterte ich mit tiefer Stimme.
„Hör auf, ich habe keine Angst!“, schimpfte meine Schwester. Es klang nicht sehr überzeugend.
„Beweise es!“, forderte ich und schaute mich um. In einer Ecke entdeckte ich endlich, was ich gesucht hatte. Es war eine Mumie. Auf dem Schild stand: Junger König, wurde mit fünfzehn Jahren mumifiziert. Die Mumie war etwas größer als wir und von Kopf bis Fuß mit Leinenverbänden umwickelt.
„Wenn du so mutig bist, dann küss die Mumie!“
„Du spinnst wohl!“, antwortete Franziska. Sie war echt sauer, drehte sich weg und lief vorsichtig – sie hatte ja keine Taschenlampe – zur Tür.
Dass sie ging, musste ich verhindern. „Los jetzt!“, murmelte ich hinter vorgehaltener Hand, aber die Mumie reagierte nicht. Draußen tobte wütend das Unwetter. Jedes Mal, wenn ein Blitz zuckte, schreckte Franziska zusammen. Fast hatte sie den Raum verlassen.
„Du bekommst das Comic-Heft auf keinen Fall, wenn du nicht sofort etwas tust!“, flüsterte ich. Aber Christian stand da und rührte sich nicht.
„Doch feige!“, rief ich meiner Schwester hinterher. „Die ach so erwachsene Franziska ist doch noch ein Kind und fürchtet sich vor einer albernen Mumie!“
Das saß! Meine Schwester kann es nicht ertragen, wenn einer behauptet, sie sei noch ein Kind. Wütend drehte sie sich um. Fast schien es so, als blitzten ihre Augen.
„Du glaubst, ich trau mich nicht?“
„Du bist doch feige, wenn Mami nicht da ist!“
„Das stimmt überhaupt nicht!“, widersprach Franziska.
„Na dann ... gib der Mumie einen Kuss!“, forderte ich erneut.
Meine Schwester schaute abwechselnd mich und die Mumie wütend an. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging sie langsam quer durch den Raum. Mit einer Hand schob sie mich zur Seite. Sie holte tief Luft und legte ihren Arm um die eingewickelte Schulter der Mumie. Dann küsste sie den bandagierten König kurz auf die Stirn.
„Jetzt!“, flehte ich. Aber nichts geschah. Christian stand einfach in der Ecke.
Plötzlich wurde es ganz still. Nur ein jammernder Windhauch jagte durch den Raum, begleitet von einem jämmerlichen Stöhnen. Es klang absolut perfekt.
„Oh du Schöne! Küss mich noch mal!“, bat eine Stimme, die so klang, als käme sie direkt aus der Tiefe eines Grabes.
Franziska rannte sofort schreiend davon.
„Toll gemacht!“, rief ich und schlug meinem Freund begeistert auf die Schulter. Es staubte sogar. Er hatte an alles gedacht. „Morgen bring ich dir das Comic-Heft mit in die Schule. Und jetzt nichts wie weg hier!“
Meine Schwester saß wieder am Tisch bei den anderen Gästen, verriet aber natürlich kein Wort. Sie war sauer, weil sie auf mein kleines Theaterstück hereingefallen war.
Nur meine Mutter wunderte sich ein wenig: „Warum bist du denn so blass?“
„Das liegt an dem Gewitter“, antwortete Franziska und warf mir grimmige Blicke zu.
Als der Abend endlich zu Ende ging, verabschiedete uns Onkel Hartmut freundlich. „Habt ihr die Mumie entdeckt? Sie hat viertausend Jahre in einer Pyramide überdauert. Ein Geschenk für das Museum. Angeblich lastet ein Fluch auf ihr. Es heißt, ein Kuss kann sie zum Leben erwecken! Und jeder, der sie berührt hat, wird ihr Sklave für alle Zeiten. Schrecklich, oder?“
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. „Das war gar nicht Christian?“
Erschrocken schaute ich die Treppe hinauf. Fast schien es so, als würden die ausgestopften Tiere grinsen.
Franziska starrte mich entsetzt an.
Fast gleichzeitig begannen wir zu schreien.
Die zwei Kätzchen waren noch hilflos. Sie miauten leise, wenn ich mich dem Korb näherte. Hatte unsere Katze Mauzi kein Vertrauen, fuhr sie warnend die Krallen aus und ließ nicht zu, dass jemand ihre Kleinen streichelte. Ich aber durfte sie immer streicheln. Am liebsten hätte ich die beiden behalten.
„Julia, leider geht das nicht“, hatte mir meine Mutter erklärt und bedauernd mit den Schultern gezuckt. „Unsere Wohnung ist viel zu klein.“
Auch wenn es mir schwerfiel, schließlich sah ich es ein. Ich war schon glücklich, dass wenigstens Mauzi bei uns wohnte. Seufzend umarmte ich meine Mutter und half ihr, Zettel zu schreiben, die wir noch am gleichen Tag in der ganzen Stadt verteilten.
Kätzchen in liebevolle Hände abzugeben!
Die nächsten Tage warteten wir. Aber niemand meldete sich. Die Vorstellung, Kai und Susi in ein Tierheim geben zu müssen, ließ mich nächtelang nicht schlafen.
Dann rief endlich doch eine Frau an. Sie schien es sehr eilig zu haben. Sie wollte noch unbedingt am gleichen Tag vorbeischauen.
Pünktlich, wie verabredet, hielt das Taxi vor unserer Tür. Eine dunkel gekleidete alte Dame mit gebeugtem Rücken und einem Stock, auf den sie sich stützte, grüßte kurz, ohne mich zu beachten. Sie war mir von Anfang an unsympathisch.
Sie nahm die Kätzchen aus dem Körbchen, betrachtete sie skeptisch und meinte: „Das sind ja nur halbe Portionen.“ Kopfschüttelnd packte sie schließlich Kai und Susi in ihre hässliche Handtasche.
„Kira wird sich freuen. Sie hat heute Geburtstag. Ein bisschen Abwechslung wird ihr guttun“, brabbelte sie mehr zu sich selbst als zu uns.
„Darf ich die beiden besuchen?“, bat ich.
Meine Mutter nickte mir zu und legte ihre Hand auf meine Schulter.
„Kleines, ich glaube nicht, dass Kira das möchte. Sie ist es nicht gewöhnt, Gäste zu empfangen.“
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte die alte Frau sich um. Meine Mutter brachte unseren Gast noch zu ihrem Taxi.
Traurig ging ich in mein Zimmer. Mauzi folgte mir aufgeregt und miaute herzzerreißend.
Ich streichelte ihren Rücken, konnte sie aber nicht beruhigen. Besorgt schaute ich aus dem Fenster und sah, wie die Alte sich lächelnd verabschiedete. Es war ein falsches Lächeln.
Als meine Mutter im Haus verschwand, öffnete die Alte die Taxitür und schmiss die Tasche mit den beiden Kätzchen achtlos auf die Hutablage. Dann stieg sie ein.
Entsetzt beobachteten Mauzi und ich, was gerade passiert war. Aufgeregt lief ich zu meiner Mutter.
Sie versuchte, mich zu beruhigen. „Den Kätzchen geht es bestimmt gut. Die alte Dame machte doch einen ganz netten Eindruck. Ich kann gar nicht glauben, was du sagst. Du hast dich bestimmt getäuscht.“
Es war kein Irrtum. Ich hatte gesehen, was ich gesehen hatte. Mauzi schaute mich mit ihren grünen Augen flehend an. Auch sie spürte, dass etwas nicht stimmte.
Was immer die Alte mit Kai und Susi vorhatte, ich musste es verhindern.
Zum Glück kann ich mir Zahlen gut merken. 4523 hieß die Taxinummer. Als ich der Zentrale erzählte, dass eine nette alte Dame beim Einsteigen ihr Portemonnaie verloren hat, gaben sie mir ihre Adresse. Über so viel Ehrlichkeit freuten sie sich.
Die Alte wohnte in einem Haus am Rande der Stadt. Das dunkle, heruntergekommene Gebäude befand sich in einem verwilderten Garten.
Ich schlich durch mannshohe Büsche und entdeckte ein offenes Fenster. Leise, jedes Geräusch vermeidend, kletterte ich in das Haus. Ein unangenehmer Geruch schlug mir entgegen. Sofort hielt ich mir die Nase zu. Angestrengt lauschte ich. Waren es die Kätzchen, die da miauten? Auch ein anderes Geräusch konnte ich hören, ein schleifendes, als würde etwas über den Boden gezogen werden.
Eine alte, brüchige Stimme, fing plötzlich an zu singen.
„Weil heute dein Geburtstag ist ...“
Das Miauen der Kätzchen wurde lauter. Sie hatten Angst. Ich konnte es hören und spüren. Vorsichtig schlich ich den Gang entlang. Am Ende befand sich eine Tür, die nur leicht angelehnt war. Von dort kam der schreckliche Gesang.
„... Drum hab ich mir gedacht ...“
Wenn sie mich jetzt entdeckt, wäre ich eine Einbrecherin, ging es mir durch den Kopf. Allein die Vorstellung, die Polizei brächte mich nach Hause, ließ mir die Haare zu Berge stehen. Aber nichts konnte mich abhalten. Ich schlich an der Wand entlang. Hoffentlich fangen die Bretter nicht an zu knarren.
„... Ich schenke dir ein schönes Tier ...“
Offensichtlich befand sich Kira im Zimmer. Die Geburtstagsfeier hatte schon begonnen. Wieder dieses schleifende, unheimliche Geräusch.
„... weil dir das Freude macht.“
Ich stand an der Tür. Ich konnte die Alte sehen, wie sie Kai im Nacken hielt und das Kätzchen ein wenig hin und her pendeln ließ. Kai mauzte schrecklich. Er trug eine alberne Geschenkschleife um den Bauch. Ich hielt es nicht länger aus. Die Tür knarrte grauenerregend, als ich sie aufstieß.
Ein Schrei löste sich aus meinem Hals. Plötzlich verstand ich, wer Kira war.
Schätzen konnte ich nie gut, aber das, was sich drohend auf mich zubewegte, war mindestens zehn Meter lang und zischte gefährlich. Kira war eine riesige Schlange und heute feierte sie ihren Geburtstag.
Statt wegzurennen, blieb ich wie angewurzelt stehen. Langsam näherte sich Kira.
Genau vor mir richtete sich die Riesenschlange auf.
Die Alte fing an zu kichern. Es war ein böses Lachen. „Kira, mein Schatz. Noch ein Geschenk für dich!“
Blitzschnell und ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte, umschlang mich das Monster. Ich spürte, wie sie die Luft aus meinem Körper presste. Alles um mich herum verschwamm. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war ihre gespaltene Zunge, die über mein Gesicht glitt. Dann verlor ich das Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Krankenhaus. Neben mir saß meine Mutter. Auf der anderen Seite des Bettes stand ein Mann. Ich hatte ihn schon einmal gesehen. Es war der Taxifahrer, von dem sich die Alte hatte nach Hause fahren lassen. Er lächelte freundlich.
„Als mir die Zentrale erzählte, dass du die alte Frau suchst, war mir klar: Es ging nicht um das Portemonnaie. Ich hatte mich schon gewundert. Beim Einsteigen war mir das jämmerliche Mauzen aus ihrer alten Handtasche aufgefallen. Eine schreckliche Person. Da habe ich die Polizei benachrichtigt. Sie haben dich in letzter Sekunde befreit und die Riesenschlange in den Zoo gebracht. Ab sofort muss sich Kira mit Ratten begnügen.“
Kai und Susi haben jetzt ein neues Zuhause. Der Taxifahrer hatte sich schon immer Katzen gewünscht. Und so oft wir wollen, dürfen Mauzi und ich die Kleinen besuchen.
Inzwischen hasse ich Spitznamen! Warum? Weil mich alle Patsche nennen und mir ständig unglaubliche Dinge passieren. Darum hasse ich Spitznamen. Oder möchtest du Patsche heißen?
Vor wenigen Wochen ist mir sogar ein Käfer ins Ohr gekrabbelt. Nicht irgendein Käfer, sondern ein bis dahin völlig unbekannter afrikanischer Pillendreher. Quasi die Miniausgabe seines großen Bruders, der den Mist, also das AA anderer Tiere wegräumt. Normalerweise gibt es diese sechsbeinigen Viecher gar nicht in Europa. Außerdem wurde noch nie ein Mistkäfer im Ohr eines Zwölfjährigen entdeckt.
Kannst du dir vorstellen, was das für ein Gefühl ist, wenn so ein Pillendreher eine Ohrenschmalzkugel auf deinem Trommelfell hin und her rollt? Natürlich nicht! Wahrscheinlich wirst du die Geschichte auch nicht glauben. Niemand glaubt sie, also warum solltest gerade du sie mir abkaufen.
Zugegeben, sie klingt komplett verrückt. Wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte, wäre ich auch fest davon überzeugt, ein kräftiger Sonnenstich hätte mein junges Gehirn knusprig gebrutzelt.
Selbst meine Eltern hielten mich für ein bisschen überdreht. Die Lehrer in der Schule meinten, ich mache eine schwere Phase durch. Sogar meine besten Freunde dachten, ich sei komplett plemplem in der Birne.
Gerade von Wampe, Spaghetti und Schlappohr hätte ich mehr Verständnis erwartet. Immerhin waren sie an dem Tag mit dabei.
Angefangen hatte alles damit, dass wir für die Schulzeitung einen interessanten Bürger unserer Stadt befragen sollten. Geplant war, einen zweiseitigen Artikel zu verfassen.
Spaghetti, der sich immer als Chefredakteur aufspielt, notierte vier Personen auf einem Zettel und ließ abstimmen. Hinter zwei Namen verbargen sich Lehrer unserer Schule. Mathe und Musik. Wie langweilig. Der dritte gehörte unserem Hausmeister. Definitiv auch nicht gerade eine wichtige Persönlichkeit. Abgesehen davon regt der sich jedes Mal auf, wenn wir schräg über seinen geliebten Rasen latschen. Regelmäßig hält er dann mit erhobenem Zeigefinger eine Rede.
Die Entscheidung fiel nach kurzer Diskussion einstimmig auf Hans Hansen, einen ehemaligen Schüler der Schule. Es hieß, er sei der Hüter eines unglaublichen Geheimnisses. Allerdings ist seine Schulzeit schon fünfzig Jahre her. Voller Elan machten wir uns auf die Suche nach ihm.