Nächte der Versuchung - Gymnich, H. - E-Book

Nächte der Versuchung E-Book

Gymnich, H

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Beschreibung

Benny Gordon sann auf Rache. Er wollte sich an dem Mann rächen, der seine junge, hübsche Frau durch Rauschgift hörig gemacht und ins Verderben gestürzt hatte. Mit List und Tücke gelang es Benny, Privatchauffeur bei diesem reichen, skrupellosen Geschäftsmann zu werden, dessen sinnliche Frau Nina ihren schlanken, biegsamen Leib nur allzugern einem anderen Mann schenkte. Der gierige, selbstherrliche Supermarkt-Boß, der ihm seine Frau genommen hatte, sollte alles das, was er liebte - und er liebte seine Frau abgöttisch -, verlieren. Das war Bennys Rache.

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eBook-Ausgabe07/2018

Edition Stephenson - #0043

© Carl Stephenson Verlag GmbH & Co. KG, Schäferweg 14, 24941 Flensburg Alle Rechte vorbehalten einschließlich der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien E-Mail: [email protected] Internet: www.stephenson.de Besuchen Sie uns auf www.stephenson.de Ein großes erotisches Verlagsprogramm erwartet Sie dort. eISBN 9783798609600

NÄCHTE DER VERSUCHUNG

H. Gymnich

1. Kapitel

An einem trüben, regnerischen Septemberabend kam ich in jene Stadt zurück, in der ich damals all das verlor, was ich einmal geliebt hatte, was mein Leben war - und mein Glück, meine Zufriedenheit. Jetzt war nur noch Hass in mir, ein abgrundtiefer, eiskalter Hass.

Ich trug eine unsichtbare Rechnung bei mir, und diese Rechnung würde jemand bezahlen müssen. Ein Mann! Ein reicher, ein einflussreicher Mann! Ein stolzer Mann! Ein König in dieser Stadt! Ein Herrscher, der eine unübersehbare Schar von Menschen dirigierte, der ihnen befahl, der sie in Demut und Abhängigkeit zu ihm aufblicken ließ.

Ich wusste, dass Hass keine gute Sache war, aber jetzt führte kein Weg mehr zurück.

Damals, als ich, wie gesagt, all das verlor, was ich einmal geliebt hatte, da war ich dem Ziel meiner Rache sehr nahe gewesen. Aber ich handelte unüberlegt. Damals. Eine unbändige Wut hatte meine Augen blind gemacht. Der übermäßig genossene Alkohol hatte meine klaren Gedanken gelöscht.

Im Streit, in einer unbedeutenden Auseinandersetzung, tötete ich einen Mann, der mir seine Geschichte erzählte, die auch die meine war. Doch davon ahnte der Mann nichts, und darum musste er sterben. Unbeteiligt, so als gehe es nicht um mich, verfolgte ich die Gerichtsverhandlung, hörte das Urteil: Zehn Jahre!

Zehn Jahre! Enge Zelle. Kleines Fenster. Dickstäbige Gitter. Dumpfe Luft. Spaziergänge in einem steinigen Hof. Hände auf dem Rücken. Abstand halten. Ruhe! Ruhe! Sprechen verboten!

Grinsende, kaltherzige Wärter. Hingeschobenes Essen. Eiserne Riegel, die quietschend und hart zuschnappten. Stille! Stille!

Wirbelnde Gedanken, die das Hirn quälten, die immer wieder dieselben Bilder brachten.

Meine Frau. Meine Frau. Jung, schön, zart und gut. Meine Frau, die zärtlich lachte, wenn ich nach Hause kam, die die Arme um mich legte, die mich küsste, das Essen vor mich hinstellte, die Zeitung reichte, das Bier, die Zigaretten. Meine Frau, kaum 25 Jahre alt, mit lockigen, blonden Haaren, mit harten, vollen Brüsten, einem weichen, sanft runden Bauch, mit erregend gerundeten Schenkeln, mit diesen seidigen, samtenen Schamhaaren, mit diesen breiten, fleischigen, sehr weißen Hinterbacken.

Meine junge Frau, die sich so sehr nach Zärtlichkeit sehnte, die nackt in meinen Armen lag, in so mancher Nacht, an so manchem Tag.

Meine junge Frau, die stets instinktiv ahnte, was mir Genuss verschaffte, was mich aufstachelte, was mich glücklich und entspannt machte.

Meine junge, blonde Frau, die sich nackt unter mir wand, die keuchte und stöhnte und die rasch ihren Orgasmus hatte, immer wieder, immer wieder.

Meine Frau, die unschuldig zu mir kam und die ich dann lehrte, wie schön die Liebe, wie schön und erfüllend Sex sein kann.

Immer wieder sah ich sie vor mir, meine Frau, meine junge, meine schöne Frau. Die quälenden Bilder gingen nicht fort, nie, zu keiner Stunde, in keiner Minute, sie wurden zu einem Film, der sich rasch abspulte und der bald schon den zweiten, den letzten Teil brachte, mit all dem Unfassbaren, dem Tragischen, dem Unbegreiflichen. Hilflos musste ich zusehen, wie meine junge, schöne Frau sich von einem Tag zum anderen veränderte, wie sie verfiel, wie sie alt wurde und hässlich, voller Unruhe, hektisch, böse, unberechenbar.

Oft spät am Abend kam sie nach Hause, in der Nacht, mit stumpfen Augen, mit zerzaustem Haar, mit zerrissener Bluse, einem zerknautschten Rock, mit einem schmalen, lallenden Mund, der einen alkoholdurchtränkten Atem entließ.

Ihre Hände zitterten, als sie auf mich zustürzte, mich ins Schlafzimmer zog, sich aufs Bett warf. Entsetzt, fassungslos sah ich, dass sie keinen Slip trug, keinen BH. Ihre sonst so reine, weiße Haut wies rotunterlaufene Druckstellen auf, an den Brüsten, an den Schenkeln, an den fleischigen Hinterbacken.

Dabei stieß sie schmutzige, schweinische Worte aus, die ich vorher nie von ihr gehört hatte.

Zitternd stand ich vor ihr. Natürlich konnte ich nicht widerstehen. Wie in Trance riss ich mir die Kleider herab und warf mich gierig über ihren nackten, üppigen Leib. Doris stöhnte mit einem gemeinen, gierigen Lächeln: „Jaa… mach das! Hart… mehr… mehr! Ich…ich bekomme nie genug… nie… nie…“

Ihrem weit offenen Mund entströmte ein süßlicher Geruch, breitete sich im ganzen Raum aus, in unserem kleinen Häuschen, das still und allein dalag, direkt am Waldrand. Bis zur nächsten Stadt waren es zehn Kilometer. Zehn Kilometer.

Ich sah meine hässlich gewordene gierige Frau an, wie sie dalag, die harten, prallen Brüste mit der einen Hand knetend, die andere Hand im Schoß vergraben, die Finger gestreckt, rhythmisch reibend, auf und ab, in einer unbändigen Gier.

Die glasigen Augen stierten mich an, abwesend, wie in Hypnose, wie in einer schweren Trance.

Ich sah mich wieder, wie ich die zarten Schultern meiner Frau packte, wie ich sie rüttelte, hörte mich schreien: „Was ist mit dir…Gott, was ist mir dir?“

Sie lallte nur und grinste teuflisch.

„In der Stadt… Delhey… im Zimmer… ich… ich zieh‘ mich aus… ganz… alles… bin nackt… nackt…nackt…ooooh… nackt. Er… er kommt… auch nackt… neben mich… dreht mich um… drückt mich herab… herab… dann spür ich… tief…oooh tief… wie er‘s macht… macht… macht. Schöööön… das… das ist schön… so schöööön jaaaa…

Der süßliche Geruch im Zimmer verstärkte sich. Blitzartig kam mir die Erkenntnis: Haschisch! Sie hat Rauschgift genommen. Irgendjemand hat sie dazu gebracht. Wer? Delhey! Delhey!

Ich kannte den Namen. Delhey-Kette! Supermärkte! In der Stadt, die zehn Kilometer entfernt war. Zehn Kilometer! Verdammt… verdammt!

Wie kam Doris an diesen Mann, an diesen gewichtigen König, der als Geschäftsmann gelobt, als Privatmann verdammt wurde!?

„Erzähle!“ schrie ich damals. „Was tust du in der Stadt? Was ist mit dir geschehen? Nimm dich zusammen! Los, verdammt noch mal… ?“

Sie kicherte nur nervös. Die Bewegungen ihrer Hand beschleunigten sich. Der verzerrte Mund brachte Wortfetzen, die ich nur schwer zusammensetzen konnte: „Delhey… guter Mann… reich… hat… hat mich eingeladen. Wohnung… toll… Essen… Trinken… und Betten… Betten… und rauchen… schmeck… schmeckt… macht leicht und… und sooo glücklich…“

Ich stöhnte und keuchte damals, genau wie meine Frau, die nackt auf dem Bett lag und sich selbst befriedigte. „Weiter… schrie ich. „Weiter!“

Heute glaube ich, dass sie mich nicht hörte, dass sie zu weit fort war, in einem Reich, wo nur die Träume herrschen, das Unwirkliche und auch das Unersättliche.

Doris stammelte glücklich lächelnd vor sich hin, während sie immer noch an sich spielte, rieb, drückte, streichelte, den Unterleib anhob, eine gemeine, schamlose Brücke baute.

„Gib noch… gib mir… von diesem Zeug! Vergessen… vergessen… nicht… nicht… noch nicht… nein.

Nackt? Ganz nackt? Ich… ich kann… das nicht…o doch… jaaaa, ich mach‘s! Ja… ich zieh‘ mich… aus! Gut so? Oh… er kommt… dreht mich um… im Stehen… Kommode… alt…schwarzes Holz… da… die Hand… seine Hand… am Po… am Po… und dann… dann das Ding… so hart… und tief… oh… so tief… und so gut, gut, gut…“

Doris schrie hell auf, wand sich, warf sich auf den Bauch, streckte die fleischigen Hinterbacken heraus, kam auf die.

Ein unbändiges Zittern überfiel mich. Jetzt glaubte ich zu verstehen, alles zu verstehen, dieses Unglaubliche, dieses Unfassbare.

Ich fühlte fast, wie mein Herz zerriss, und ich wusste, dass diese Wunde nie heilen würde, nie, was immer auch geschah, was noch geschehen würde.

Meine wirbelnden Gedanken rekonstruierten das Geschehen, so wie ich es sah.

Doris, meine junge, schöne Frau, kam in die Stadt, aus welchem Grund auch immer. Hier traf sie diesen steinreichen Mann, den Boss eines riesigen Unternehmens. Er lud sie ein, kam mit ihr ins Gespräch, dieser seriös aussehende Herr, machte ihr Komplimente. Sie fühlte sich geschmeichelt, geehrt als Frau, bevorzugt.

Sicherlich hatte sie keine Bedenken, ihm in die Wohnung zu folgen. Hier wurde getrunken, gefeiert.

Und diesem weltgewandten Mann gelang es schließlich, Doris zu verführen, kaum mit Gewalt, sondern geschickt die Situation ausnutzend, die in jeder Frau ruhende Sehnsucht nach dem Unbekannten, nach dem Abenteuer schürend. Meine schöne, meine junge Frau, die immer in unserem kleinen, schmucken Häuschen gelebt hatte, die keine Gefahren, die keine Bösartigkeit kannte, sie erlag diesen Verlockungen.

Bestimmt war es auch nur die Neugier gewesen, die sie die Rauschmittel einnehmen ließ, und nun…

Verdammt…o verdammt!

Ich muss in die Stadt, dachte ich damals. Sofort!

Doris schlief, zusammengerollt wie ein Kind und doch mit einem zerfurchten, hässlich gewordenen Gesicht. Draußen stieg ich in den Wagen, und ich fuhr, fuhr. Häuser wuchsen vor mir auf, viele Häuser, dicht nebeneinanderstehend. Menschen schlenderten umher. Autos hupten ungeduldig.

Eine blasse Sonne hing über der Stadt, über diesem protzigen Marmorgebäude. Neben der schweren, gläsernen Eingangstür hing ein Schild, genauso wuchtig, goldverziert:

Delhey - Supermärkte.

Mein Herz tat mir weh. Der Hass schnürte mir die Kehle zu. Mein Atem stockte. Vor meinen Augen bewegten sich bunte Kreise, nahmen mir die Sehkraft. Mein Hirn reagierte nicht mehr. Meine Hände zitterten. Schweiß brach aus allen meinen Poren.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo und wie ich den Wagen abstellte. Ich weiß nur, dass ich wie eine aufgezogene Puppe auf eine Tür zuging, die dicht neben diesem protzigen, marmornen Gebäude lockte.

„Zur kleinen Kneipe“ stand über dieser Tür.

Und dann trank ich Whisky, sehr viel Whisky. Ich trank rasch und unkontrolliert. Der Wirt sah mich an, und auch die anderen Gäste, nur Männer, glotzten dümmlich. Schwein, dachte ich immer wieder…o du Schwein! Du kannst dir Frauen nehmen, soviel du willst, aber meine nimmst du nicht, meine nicht, meine nicht. Verdammt… o verdammt!

Noch ein Glas, dachte ich, dann beginnt mein Spiel, dann komme ich, du schmieriger Bock, nur noch ein Glas.

Ein Mann baute sich neben mir auf, damals, an diesem ersten, blassen Frühlingstag, an dem Tag, an dem mein Hass geboren wurde.

„He“, sagte dieser Mann und grinste unverschämt, „was ist, Kumpel? Sorgen, wie?“

„Halts Maul“, antwortete ich grob, damals, an diesem Tag, an dem ich meine Liebe verlor, „halts Maul, um Himmels willen!“

Er war betrunken, genau wie ich, und er war genauso störrisch wie ich. Er hielt den Mund nicht, und er wusste nicht, wie gefährlich das für ihn war.

„Weiber, ja?“ grinste er immer noch. „Ja, ja, das kenne ich! Zuerst die große Liebe und dann wälzen sie sich nackt mit einem anderen im Bett herum. Lassen sich mit Wonne bearbeiten und seufzen dabei, als hätten sie‘s lange vermisst. Der eigene Mann, dieser Dummkopf, wirkt derweil im Schweiße seines Angesichts, sorgt das Essen auf den Tisch, bringt die Miete ein, die Kleidung und…“ Halt endlich‚ s Maul“, zischte ich noch einmal, damals, als ich dem Wahnsinn nahe war, als ich an Doris dachte, an meine junge Frau, die jetzt zu Hause nackt im Bett lag und schlief.

Nackt! Nackt! Nackt!

Der Mann gab nicht nach. Er trank seinen Whisky, und ich trank den meinen.

„Ich sehe genau, was mit dir los ist“, fing er erneut an. „Ich hab‘s doch selbst mitgemacht! Hatte ‚ne schöne Frau, verdammt, und ne junge Frau.

Soll ich dir sagen, wie‘s war, wie‘s geschah?“

Er sprach so schnell, dass ich ihn nicht unterbrechen konnte. Ich stand wie erstarrt da, unfähig, mich zu bewegen. Der Schmerz lähmte mich. Leicht vorgebeugt, wie ein wildes Tier, zum Sprung bereit, so duckte ich mich. Die Grenze der Vernunft war längst überschritten. Wut und Hass kämpften in mir, vereinigten sich zu einem gefährlichen, unberechenbaren Kreis, der nicht mehr durchbrochen werden konnte, von nichts und von niemandem mehr.

„Tjaaa“, der Mann kippte seinen Whisky in sich hinein, „und dann ging Mona zur Kur, für 6 lange Wochen. Ich besuchte sie unverhofft, an einem Sonntag. Ich traf sie nicht an. Spaziergang im Wald, sagte man mir. Also ging ich in den nahen Wald, über die schmalen, versteckten Wege, durch die dichten Büsche. Und dann sah ich Mona. Sie war ganz nackt und hockte auf einem ebenso nackten Mann, der heftig mit ihren schlenkernden Brüsten spielte. Und weißt du, Kumpel, was diese Nutte tat, die mal meine Frau war? Sie bockte wild mit ihren nackten Pobacken auf und ab. Ganz schnell machte sie‘s, wie von Sinnen. So geil hatte ich sie nie vorher gesehen. Und dabei stöhnte sie und keuchte und griff nach hinten und nahm die Dinger von dem Kerl, der‘s mit ihr trieb. Das Schwein lachte lüstern und kniff in die nackten Brüste meiner Frau, die ich doch so sehr geliebt hatte…“

Genau in diesem Augenblick drehte ich durch. Ich erinnere mich genau an diese Sekunde, als ich herumwirbelte, als meine Handkante die Schlagader des Mannes traf, der mich ungläubig ansah, ehe er mit einem kleinen Seufzer zusammensank und leblos liegenblieb.

Was danach kam, erlebte ich wie in einem Traum. Ich kann mich kaum noch an etwas erinnern.

Heute tut es mir leid, was ich damals tat. Ich würde versuchen, alles gutzumachen, aber ich kann es nicht mehr. Der Mann, den ich schlug, damals, starb noch in derselben Nacht. Ich weiß, er hat mir verziehen, und er hat gesagt, mit seinen letzten Worten:

„Er wollte mir bestimmt nicht weh tun! Bestraft ihn nicht zu hart! Er war betrunken, und er war sehr verzweifelt. Ich hab das gespürt! Er war am Ende! Mir ging‘s auch mal so… damals… damals…“

Damals!

Und dann, Wochen später, damals, ging die Zellentür auf. Ein Brief für mich. Von meiner Frau. Ungelenk geschrieben, anfängerhaft, zittrig, kaum leserlich.

Warum hast du das getan, schrieb sie. Jetzt bin ich allein. Was habe ich noch vom Leben? Wenn du zurückkommst, bin ich eine alte Frau. Delhey sorgt gut für mich, und ich nehme seine Hilfe an, das musst du verstehen. Doris.

Das war alles. Ein wirrer, nichtssagender, allessagender Brief beendete mein - beendete unser Glück, unsere Träume, die wir noch hatten, unsere Hoffnungen.

Zwei Monate später ein weiterer Brief, ein amtliches Schreiben, kurz, kalt, uninteressiert:

Frau an Herzversagen gestorben! Beerdigung am…Zur Beerdigung ließ man mich frei. Beamte waren in der Nähe. Leute tuschelten, stießen sich an. Meine geschulten Ohren nahmen alles auf, und als man mich zurückbrachte, war auch der letzte Schleier gelüftet, das letzte Geheimnis kein Geheimnis mehr.

Doris war an einer Überdosis Rauschgift gestorben. Man hatte sie gefunden, nackt, zusammengekrümmt, in einem Park. Man stellte Untersuchungen an, Recherchen. Der Name Delhey wurde genannt, aber die Beweise fehlten oder wurden unterschlagen - oder unterdrückt. Niemand sagte aus. Ein jeder schwieg. Und Hans Delhey, dieser große König, dieser allgewaltige Boss, thronte weiter auf seinem prächtigen, vergoldeten Sitz, dirigierte eine Unzahl von Menschen, ließ sich feiern wie ein Gott…wie ein Gott…

Wie ein Gott…

Dieses Schwein…

Dieses Schwein…

Was tat er wohl jetzt, in diesem Augenblick? An diesem trüben, regnerischen Septemberabend?

Saß er in seinen Prunkräumen in einem tiefen Sessel, die Flasche vor sich, das Glas?

Sah er einem Mädchen zu, einer jungen Frau, die nackt vor ihm tanzte, die obszöne Dinge trieb, zu seinem Vergnügen?

Lag er im Bett, nackt, mit kurzen, stämmigen Beinen, mit einem massigen Bauch, darauf ein Lockenkopf, der willig suchend hinabfuhr?

Ein steifes, unbewusstes Grinsen verzerrte meinen Mund. So ging ich dahin durch diesen trüben Septemberabend, einen Koffer in der einen, eine große, dunkle Tasche in der anderen Hand.

„Ich komme“, sagte ich zufrieden vor mich hin, und die vorbeigehenden Leute sahen mich erstaunt an. Mich kümmerte das nicht. Und noch einmal sagte ich:

„Ich komme! Mit jedem Schritt komme ich dir näher! Ich bringe dir die Rechnung. Es ist eine alte Rechnung, fast schon vergilbt, aber sie ist noch nicht bezahlt. Es ist eine unbezahlte Rechnung. Und es ist eine besondere Rechnung. Diese Rechnung schrieb das Leben. Nichts ist so unerbittlich wie das Leben. Das Leben kann man nicht betrügen. Nicht nach zehn Jahren und nicht nach hundert Jahren. Man kann das Leben nie betrügen, wer es dennoch versucht, der verliert am Ende doch.“

Ein junger Mann, der an mir vorbeiging, tippte sich an die Stirn. Ich gab ihm ein hässliches Grinsen und er beschleunigte seinen Schritt.

Seltsam, je weiter ich ging, je mehr verflog mein Hass. Ich bin am Ziel, dachte ich mit einer freimachenden Erleichterung. Es war ein langes Warten, aber jetzt bin ich am Ziel.

Der Regen, der stärker wurde, rann an meiner Hutkrempe herab, suchte sich einen Weg in den Nacken. Ich lachte und ging weiter, immer weiter.

Ich kannte die Stadt nicht genau, aber ich kannte die Straße, in der dieses hohe, protzige Gebäude stand, mit dieser breiten Glastür, neben der geschrieben stand:

H. Delhey - Supermärkte.

Und dieser Straße kam ich immer näher, immer näher. Zuweilen blieb ich an den hell erleuchteten Schaufenstern stehen, besah mir die ausgelegte Ware. Herrenanzug…beste Qualität… 358.00 Euro. Herrenhemd… modisch… tailliert… 50.90 Euro. Krawatte…reine Seide… Topmodel… 24.90 Euro.

Um ein wirklicher Herr zu sein, braucht man verdammt viel Geld, dachte ich amüsiert. Mein Herz klopfte sehr ruhig, und wenn ich nicht zurückdachte, schmerzte auch die Wunde nicht mehr, die es trug, und die nicht heilen wollte.

Und dann war ich da, am Anfang jener Straße, die mich bis in meine Träume hinein verfolgt hatte. Zehn Jahre lang war ich diesen Weg im Geiste gegangen. Jetzt war ich wirklich da, sehr ruhig und sehr kühl.

Ich hatte meinen Plan, und dieser Plan war wie eine Leiter mit vielen Sprossen. Die erste Sprosse erklomm ich jetzt, in diesem Augenblick.

Da stand ein einfaches, unauffälliges Haus mit abgebröckeltem Putz und altmodischen, hohen Fenstern. Eines dieser Fenster zeigte ein Schild, ungelenk beschrieben: Zimmer zu vermieten! Melden bei Frau Mers!

Ich drückte den Klingelknopf, kurz und bescheiden. Schlurfende Schritte näherten sich der Tür, die einen Spaltbreit geöffnet wurde.

Eine alte Frau stand da, mit wirren, weißen Haaren, einem zahnlosen Mund und einer erschreckend faltigen Haut. Ich lächelte weich und sagte:

„Bitte entschuldigen Sie! Sind Sie Frau Mers… ?“

„Ja, die bin ich“. Wasserhelle Augen musterten mich ungeniert, warmherzig und gut. „Was wünschen Sie, bitte?“

Ich stellte meinen Koffer ab, nahm den nassen Hut in die Hand.

„Von diesen Zimmern, die Sie da anbieten“, sagte ich, „ist da noch eines von frei?“

Die Frau hustete dumpf und knurrend. Das Lächeln, das sie mir gab, verschönte tatsächlich für Sekunden ihr Gesicht.

„Ach“, fistelte sie, „wissen Sie, ich hab nur ein einziges Zimmer. Aber es ist gemütlich eingerichtet. Sie würden sich bestimmt darin wohl fühlen. Möchten Sie‘s sehen…?“

Sie sagte das so, als habe sie Angst, den Mieter schon wieder zu verlieren, noch bevor er richtig da war. „Natürlich“, sagte ich. „Ich bin nicht anspruchsvoll. Ein Bett würde schon genügen, und ein Tisch, ein Stuhl…“

Eine hektische Bewegung erfasste die Frau, sie bückte sich und versuchte meinen Koffer zu tragen. Dabei sagte sie, mich von unten herauf ansehend:

„Aber was glauben Sie denn? In diesem Zimmer stehen Sessel, eine Couch, ein gutes Bett. Auch ein Radio ist da und ein kleiner Fernseher. So arm, wie Sie vielleicht denken, bin ich nicht. Ich hab auch Telefon, wenn Sie‘s mal brauchen…?“

Ich nahm ihr den Koffer ab, ging hinter ihr her und sagte:

„Was soll‘s denn kosten?“

Der Flur, den wir durchschritten, war lang und dunkel. Die Frau schloss eine Tür auf und sah mich erwartungsvoll, immer noch etwas ängstlich an.

„Gefällt es Ihnen denn.“

„Sehr“, sagte ich, und das war die Wahrheit. „Also…?“

„Möchten Sie Frühstück dazu oder sonst wie Essen?“

„Nein“, sagte ich und lächelte freundlich. „Schlafen genügt.“

„Dann kostet das… ähmm… 60,- Euro.“

„Die Woche? Für sieben Tage… ?“

„Ja!“ Die verarbeiteten, runzeligen Hände krampften sich zusammen. Die wasserhellen Augen blickten scheu und verlegen.

„Ist Ihnen das zu viel…?“

Die Frau tat mir leid, und spontan sagte ich:

„Nicht zu viel, zu wenig! Das ist ein gutes Zimmer. Ich zahle 100 Euro pro Woche!“

„Aber… mein Herr… ich…“ Die alten Augen vor mir schimmerten feucht. Mein Hass ging immer mehr zurück. Ich spürte mein Herz wieder, wie es in einem sanften Rhythmus klopfte.

„Gorden“, sagte ich weich. „Benny Gorden!“

„Herr Gorden“, sagte die alte Frau, „das sollten Sie nun wirklich nicht tun, weil… ich…“

„Wollen Sie‘s mir verbieten?“ lächelte ich. „Nehmen Sie an! Mir tut‘s nicht weh und Ihnen doch auch nicht, oder…?“ Sie sah mich an, und ich sah sie an. Wir verstanden uns prächtig, die alte Frau und ich. Ihr glückliches Lächeln wischte die vielen, harten Falten fort. „Da ist auch ne Dusche, Herr Gorden“, fuhr sie eifrig fort. „Gleich neben Ihrem Zimmer. Die Handtücher gebe ich, auch die Seife. Und…

„Ja?“

„Ich meine“, flüsterte sie, „wenn Sie mal Besuch bekommen, ich… ich hab nichts dagegen. So ein Mann wie Sie bekommt doch sicher einmal Besuch…!?“

„Wer sollte mich schon besuchen?!“

Sie kicherte wie eine Jungfrau in der entscheidenden Nacht.

„Nun, eine junge Frau…?“ „Kaum“, gab ich knapp zurück, und jetzt schlug mein Herz wieder dumpf und schwer. „Ich habe niemanden in dieser Stadt!“

„Aber Sie sind ein gutaussehender Mann“, versuchte sie sich in Schmeicheleien. Als ich nicht antwortete, fügte sie leise hinzu: „Auf jeden Fall bekommen Sie einen Schlüssel. Sie können ungestört ein- und ausgehen. Das Haus gehört mir. Ich stehe ganz allein, wissen Sie!? Mein Mann ist schon lange tot, die Kinder sind fort…“

Der Regen klopfte gegen die Fensterscheiben, und der Wind heulte böig ums Haus. Die alte Frau sah mich an, und ich sah die alte Frau an. Sie war allein, und ich war allein. Mein Hass kam zurück, aber er galt nicht der alten, einsamen Frau.

Ich holte meine Brieftasche hervor, entnahm ihr einen Geldschein und sagte:

„Hier, bitte, nehmen Sie…!“

2. Kapitel

Unruhige Träume quälten mich in dieser ersten Nacht, in dieser Stadt, in diesem kleinen, fremden Zimmer. Ich fuhr oft hoch, sah mich um, versuchte die Dunkelheit zu durchdringen, die beklemmende Stille. Meine schweißnassen Hände tasteten umher.

„Doris…?“ flüsterte ich. „Doris…?“

Ich bekam keine Antwort. Nur die kleine Uhr tickte rasch und hell. Der Regen tropfte unermüdlich gegen die Fenster, und auch der Wind gab keine Ruhe.

So schlief ich erneut ein, unruhig, mit diesen verdammten Bildern, die mich verfolgten, die mir keine Ruhe ließen, selbst nach zehn Jahren nicht, nach zehn Jahren. Die heisere, gierige Stimme war da, war immer da. „Delhey… ein starker Mann… er kommt… er kommt… nackt… ganz nackt…o Gott… er hat… hat einen… so gut… und ich nackt… ganz nackt… das Bett… das Bett… die Kommode… schwarz… bücken…bücken…tief herab… mehr… mehr… jetzt… jetzt… er ist da… er macht‘s…mit mir… mit mir… so gut… so guuut…“

„Aufhören“, schrie ich und sprang auf, machte Licht, tappte zum Fenster hin, zog den Vorhang zurück.

Unter mir lag die Stadt, still, dunkel, wie ein bösartiges, lauerndes Tier. Und aus dieser Stille heraus, aus diesem bösartigen Dunkel wuchs ein Gebäude, hoch und massig, stolz und sicher, kaum drei- vierhundert Meter entfernt. H. Delhey - Supermärkte.

Zehn Jahre! Zehn Jahre!

Im Sessel sitzend schlief ich ein, erwachte am Morgen mit schmerzenden Gliedern. Kraftlos ging ich unter die Dusche, kleidete mich wenig später an, schlüpfte in die Jeans, zog mir die Lederjacke über.

So ging ich nach draußen, hinein in den Dauerregen, der aus einem dichtverhangenen, grauen Himmel fiel. Nicht weit entfernt fand ich eine Gaststätte, die schon geöffnet hatte.

Bei dem missmutigen, fröstelnden Kellner bestellte ich mir ein ausgiebiges Frühstück, trank vier, fünf Tassen Kaffee, rauchte die Zigarette zu Ende und ging die Straße entlang, weiter, weiter, auf dieses hohe, protzige Gebäude zu, sah die Glastür an, die feine, vergoldete Schrift.

H. Delhey - Supermärkte.

Noch nicht, dachte ich. Noch bleibt dir eine kleine Frist. Zehn Jahre habe ich gewartet. Jetzt warte ich noch einen Tag. Noch einen Tag. Ich stehe auf der ersten Sprosse einer hohen Leiter, und morgen, dann steige ich weiter, höher, eine Sprosse höher. Dann komme ich dir näher. Und mit den Sprossen, die ich hinter mir lasse, baue ich meinen Hass ab.

Neben diesem klotzigen, wuchtigen Gebäude stand, ganz ärmlich und geduckt, so als schäme er sich, ein kleiner, aus grobem Holz errichteter Kiosk.

Ich trat näher, in Gedanken versunken, und sagte: „Die Frankfurter, bitt…

„Jawohl, mein Herr… hier…“

Beim Klang dieser Stimme zuckte ich zusammen, sah hoch, blickte direkt in blaue Augen hinein, in ein schönes, junges Gesicht, das von herrlichen, blonden Locken umrahmt wurde.

Mein Gott… Doris, wollte ich sagen, unterdrückte aber im letzten Augenblick meinen unsinnigen Ausspruch und sagte stattdessen spontan:

„Morgenstund‘ hat Gold im Mund!“

Die junge Frau lachte, und ich sah die sauberen, frischen Zähne. Ich sah die feingliedrige Hand, die mir die Zeitung zuschob, die das Geld nahm. Die schönen Augen musterten mich blitzschnell, und wenn ich mich nicht täuschte, dann waren sie zufrieden mit dem, was sie sahen.

Irgendetwas hielt mich fest hier an dieser Stelle. Ich konnte mich nicht bewegen. Mein Herz raste wild. Doris, dachte ich wieder… Doris steht vor dir, lächelt dich an, genau wie damals, wie damals, als sie noch sauber war, und gut, und so rein, als sie dir gehörte, nur dir. Die junge Frau vor mir lächelte mich immer noch an, schien auf weitere Worte zu warten, die auch kamen. Verwundert hörte ich mich sagen:

„Ziemlich anstrengend, hier zu stehen, oder…?“

„Ja, ja“, gab sie rasch und ganz ernsthaft zurück, sichtlich froh, sprechen zu können.

„Wissen Sie, das ist nicht mein eigentlicher Job. Nur eine Nebenbeschäftigung. Ich… ich brauche das Geld…“

„Wer braucht keines?“ lächelte ich und fischte mir eine Zigarette aus der Jackentasche, zündete sie an.

„Jaja“, sagte sie wieder, und verzückt betrachtete ich den kleinen Mund, der frei losplapperte:

„Ich studiere nämlich, müssen Sie wissen…“

„Aha! Was soll‘s denn mal werden… ?“

Ihre Augen waren sehr schön, und sie ruhten auf mir wie in einem fernen, aufsteigenden Vertrauen. Der kleine Mund sagte:

„Lehrerin! Ich möchte Lehrerin werden.“

„Und dabei denken Sie natürlich an die viele Freizeit, wie?“ entfuhr es mir ungewollt.

Sie sah mich entrüstet an.

„Wie können Sie nur so etwas sagen? Ich denke an die Kinder. Ich mag Kinder sehr gerne, wissen Sie!?“ „Wissen Sie?“ das schien ein bevorzugter Satzabschluss von ihr zu sein.

Die Kleine amüsierte mich. Sie war selbst fast noch ein Kind und gab sich doch so viel Mühe, erwachsen zu sein. „Entschuldigen Sie“, sagte ich, „das hab ich nicht so gemeint. Sie sprachen von Kindern. Was ist, wenn Sie die größeren unterrichten müssen? Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht so einfach ist!?“

„Aber ich hab doch nur die Kleinen“, sagte sie mit runden Augen. „Grundschule, wissen Sie!? Die ersten Jahre.“ „…wissen Sie“, ergänzte ich lächelnd.

„Was?“

„Nichts.“

Ich sah mich um. Ein kleines Schildchen war an der rohen, hölzernen Wand angebracht. W. Wolkmann, stand da.

„Hören Sie, Fräulein Wolkmann“, begann ich, wurde aber sofort unterbrochen.

„Ich heiße nicht Wolkmann. Das ist meine Chefin, die Besitzerin hier, wissen Sie? Ich heiße Derbler! Helen Derbler!“

„Helen klingt gut“, sagte ich. „Passt zu Ihnen. Ich heiße übrigens Gorden! Benny Gorden!“

„Aha!“ Sie lachte mich an. Sie lachte fast immer, nicht laut und aufdringlich, nein, sie lachte weich und sanft und gut, so voller Vertrauen, ein wenig mit Schalk durchsetzt. Wir sahen uns lange an. Und dann geschah das Seltsame: Ich senkte zuerst meinen Blick. Ich fühlte mich unsicher, verlegen, so wie ein Schuljunge, der die Antwort auf die ihm gestellte Frage nicht weiß.

Helen in ihrer Unbekümmertheit half mir, sicher unbewusst.

„Ich hab Sie noch nie hier gesehen“, sagte sie. „Sind Sie fremd hier? Was machen Sie hier?“

Ein Erwachsener hätte diese Frage nicht gestellt. Helen war ein Kind, das spürte ich immer mehr, sie war jung und schön und voller Vertrauen, etwas naiv, den Gefahren des Lebens noch nicht begegnet.

Ich ging auf ihren Ton ein. Ich war nicht mehr 40, ich war wieder 20 Jahre alt, und ich spürte mit einem großen Erstaunen, wie das schwere, dumpfe Gefühl, das seit vielen Jahren auf mir gelastet hatte, langsam wich, wie es sich auflöste.

Ich lachte und sagte:

„Das kann ich Ihnen nicht so genau erklären.“

„Warum nicht… ?“ Die großen Augen blickten erstaunt, senkten sich dann. „Sie müssen´s mir ja auch nicht sagen. Es ist Ihre Sache. Das geht mich nichts an.“

„Doch, doch“, sagte ich rasch. „Ich… ich mache hier einen kleinen Urlaub, wissen Sie?“ Verdammt, jetzt kam ich auch schon mit dem „wissen Sie“. Über mich selbst lächelnd fügte ich hinzu:

„Ich wohne da drüben in einer Pension.“

Helen musterte meine Lederjacke, die verwaschenen Jeans.

„Bleiben Sie lange?“

„Ich weiß nicht… vielleicht. Warum…?“

Ihre frischen, runden Wangen färbten sich tatsächlich rot. „Ach, nur so.“

Ein Mann trat neben mich, sah mich an und sagte dann zu Helen:

„Drei Flaschen Bier, bitte!“

Klirrend verstaute er die Flaschen in dem mitgebrachten Beutel, sah mich noch einmal an, sah Helen an, grinste und ging davon.

Der Regen fiel unentwegt. Wenn man lange stand, spürte man die Kälte, die an den Beinen hoch kroch.

Helen ordnete die Zeitschriften, legte Bücher in ein Regal, packte Zigaretten aus und sagte, den Rücken zu mir gekehrt:

„Dieser Mann da dachte bestimmt, Sie sind mein Freund.“

Das dumpfe Gefühl in mir schwand. Mein Herz schlug so leicht und so sanft wie seit langem nicht mehr. Ich gab mir einen Ruck, und ich sagte gegen diesen schmalen, zierlichen Rücken hin, gegen dieses seidige, lockige Haar: „Das könnte wohl kaum zusammenpassen, oder… ?“

Helen wandte sich um. Sie stand einige Schritte hinter dieser Barriere, hinter dieser Absperrung. So sah ich ihren Oberkörper, die mattrote Bluse, die prallen, die sehr prallen Wölbungen, die den leichten Stoff vordrückten. Und ich sah die erregend gerundeten Schenkel, die von einer feinrippigen Cordhose umschlossen wurden.

Ich sah den kleinen Mund, der nicht mehr lächelte, der leise sagte:

„Warum kann das nicht zusammen passen…?“

„Weil ich… weil ich ein wenig älter bin als Sie“, flüsterte ich genauso leise zurück.

Jetzt lachte sie wieder, schüttelte den Kopf. Die bis auf die Schultern fallenden Haare kringelten sich lustig.

„Ich bin 19… wissen Sie“, sagte Helen.

„Ich bin 40… wissen Sie“, sagte ich.