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Übersinnliche Kräfte, Halluzinationen und Wahn – auch in Hoffmanns zweitem Teil seines Erzählzyklus "Nachtstücke" geht es unheimlich zu. Während die ersten beiden Erzählungen "Das öde Haus" und "Das Majorat", in denen es um sonderbare Ereignisse in einem scheinbar verlassenen Haus und den Untergang einer Familie geht, eine gewisse Berühmtheit erlangten, sind die beiden letzten Erzählungen "Das Gelübde" und "Das steinerne Herz" bisher weitgehend unbekannt.-
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Seitenzahl: 296
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E.T.A. Hoffmann
Saga
Nachtstücke - 2. TeilCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1817, 2019 E.T.A. Hoffmann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726372137
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Man war darüber einig, dass die wirklichen Erscheinungen im Leben oft viel wunderbarer sich gestalteten als alles, was die regste Phantasie zu erfinden trachte. „Ich meine,“ sprach Lelio, „dass die Geschichte davon hinlänglichen Beweis gibt und dasseben deshalb die sogenannten historischen Romane, worin der Verfasser in seinem müssigen Gehirn bei ärmlichem Feuer ausgebrütete Rindereien den. Taten der ewigen, im Universum waltenden Macht beizugesellen sich unterfängt, so abgeschmackt und widerlich sind.“ „Es ist“, nahm Franz das Wort, „die tiefe Wahrheit der unerforschlichen Geheimnisse, von denen wir umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den über uns herrschenden, uns selbst bedingenden Geist erkennen.“ „Ach!“ fuhr Lelio fort, „die Erkenntnis, von der du sprichst! — ach, das ist ja eben die entsetzlichste Folge unserer Entartung nach dem Sündenfall, dass diese Erkenntnis uns fehlt!“ „Viele,“ unterbrach Franz den Freund, „viele sind berufen und wenige auserwählt! Glaubst du denn nicht, dass das Erkennen, das beinahe noch schönere Ahnen der Wunder unseres Lebens manchem verliehen ist wie ein besonderer Sinn? Um nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren könnten, heraufzuspringen in den heiteren Augenblick, werf’ ich Euch das skurrile Gleichnis hin, dass Menschen, denen die Sehergabe, das Wunderbare zu schauen, mir wohl wie die Fledermäuse bedünken wollen, an denen der gelehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen sechsten Sinn entdeckte, der als schalkhafter Stellvertreter nicht allein alles, sondern viel mehr ausrichtet als alle übrigen Sinne zusammengenommen.“ „Ho ho,“ rief Franz lächelnd, „so wären denn die Fledermäuse eigentlich recht die geborenen natürlichen Somnambulen! Doch in dem heiteren Augenblick, dessen du gedachtest, will ich Posto fassen und bemerken, dass jener sechste bewunderungswürdige Sinn vermag, an jeder Erscheinung, sei es Person, Tat oder Begebenheit, Sogleich dasjenige Exzentrische zu schauen, zu dem wir in unserem gewöhnlichen Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was ist denn aber gewöhnliches Leben? — Ach, das Drehen in dem engen Kreise, an den unsere Nase überall stösst, und doch will man wohl Rurbetten versuchen im taktmässigen Passgang des Alltagsgeschäfts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir sprechen, ganz vorzüglich eigen scheint. Daher kommt es, dass er oft unbekannten Menschen, die irgend etwas Verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben, tagelang nachläuft, dass er über eine Begebenheit, über eine Tat, leichthin erzählt, keiner Beachtung wert und von niemandem beachtet, tiefsinnig wird, dass er antipodische Dinge zusammenstellt und Beziehungen herausphantasiert, an die niemand denkt.“ Lelio rief laut: „Halt, halt, das ist ja unser Theodor, der ganz was Besonderes im Kopfe zu haben scheint, da er mit solch seltsamen Blicken in das Blaue herausschaut.“ „In der Tat,“ fing Theodor an, der so lange geschwiegen, „in der Tat waren meine Blicke seltsam, solang darin der Reflex des wahrhaft Seltsamen, das ich im Geiste schaute. Die Erinnerung eines unlängst erlebten Abenteuers“ — „O erzähle, erzähle,“ unterbrachen ihn die Freunde. „Erzählen“, fuhr Theodor fort, ,,möcht’ ich wohl doch muss ich zuvörderst dir, lieber Lelio, sagen, dass du die Beispiele, die meine Sehergabe dartun sollten, ziemlich schlecht wähltest. Aus Eberhards Synonymit musst du wissen, dass wunderlich alle Äusserungen der Erkenntnis und des Begehrens genannt werden, die sich durch keinen vernünftigen Grund rechtfertigen lassen, wunderbar aber dasjenige heisst, was man für unmöglich, für unbegreiflich hält, was die bekannten Kräfte der Natur zu übersteigen oder, wie ich hinzufüge, ihrem gewöhnlichen Gange entgegent zu sein scheint. Daraus wirst du entnehmen, dass du vorhin rücksichts meiner angeblichen Sehergabe das Wunderliche mit dem Wunderbaren verwechseltest. Aber gewiss ist es, dass das anscheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren sprosst, und dass wir nur oft den wunderbaren Stamm nicht sehen, aus dem die wunderlichen Zweige mit Blättern und Blüten hervorsprossen. In dem Abenteuer, das ich euch mitteilen will, mischt sich beides, das Wunderliche und Wunderbare, auf, wie mich dünkt, recht schauerliche Weise.“ Mit diesen Worten zog Theodor sein Taschenbuch hervor, worin er, wie die Freunde wussten, allerlei Notizen von seiner Reise her eingetragen hatte, und erzählte, dann und wann in dies Buch hineinblickend, folgende Begebenheit, die der weiteren Mitteilung nicht unwert scheint.
„Ihr wist (so fing Theodor an), dass ich den ganzen vorigen Sommer in ***n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vorfand, das freie, gemütliche Leben, die mannigfachen Anregungen der Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich heiterer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Strassen zu wandeln, und mich an jedem ausgehängten Kupferstich, an jedem Anschlagzettel zuergögen, oder die mir begegnenden Gestalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichtum der ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der vielen herrlichen Prachtgebäude unwiderstehlich mich dazu antrieb. Die mit Gebäuden jener Art eingeschlossene Allee, welche nach dem ***ger Tore führt, ist der Sammelplatz des höberen, durch Stand oder Reichtum zum üppigeren Lebensgenuss berechtigten Publikums. In dem Erdgeschoss der hohen breiten Paläste werden meistenteils Waren des Luxus feilgeboten, indes in den oberen Stockwerken Leute der beschriebenen Rlasse hausen. Die vornehmsten Gasthäuser liegen in dieser Strasse, die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so könnt ihr denken, dass hier ein besonderes Leben und Regen, mehr als in irgendeinem anderen Teile der Residenz, stattfinden muss, die sich eben auch hier volkreicher zeigt, als sie es wirklich ist. Das Zudrängen nach diesem Orte macht es, dass mancher sich mit einer kleineren Wohnung, als sein Bedürfnis eigentlich erfordert, begnügt, und so kommt es, dass manches von mehreren Familien bewohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages plätzlich ein Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche seltsame Weise von allen übrigen abstach. Denkt euch ein niedriges, vier Fenster breites, von zwei hohen schönen Gebäuden eingeklemmtes Haus, dessen Stock über dem Erdgeschoss nur wenig über die Fenster im Erdgeschoss des nachbarlichen Hauses hervorragt, dessen schlecht verwahrtes Dach, dessen zum Teil mit Papier verklebte Fenster, dessen farblose Mauern von gänzlicher Verwahrlosung des Eigentümers zeugen. Denkt euch, wie solch ein Haus zwischen mit geschmackvollem Luxus ausstaffierten Prachtgebäuden sich ausnehmen muss. Ich blieb stehen und bemerkte bei näherer Betrachtung, dass alle Fenster dicht verzogen waren, ja dass vor die Fenster des Erdgeschosses eine Mauer aufgeführt schien, dass die gewöhnliche Glocke an dem Torwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Haustür diente, fehlte, und dass an dem Torwege selbst nirgends ein Schloss, ein Drucker zu entdecken war. Ich wurde überzeugt, dass dieses Haus ganz unbewohnt sein müsse, da ich niemals, niemals, so oft und zu welcher Tageszeit ich auch vorübergehen mochte, auch nur die Spur eines menschlichen Wesens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieser Gegend der Stadt! Eine wunderliche Erscheinung, und doch findet das Ding vielleicht darin seinen natürlichen einfachen Grund, dass der Besiger, auf einer lange dauernden Reise begriffen oder auf fernen Gütern hausend, dies Grundstück weder vermieten noch veräussern mag, um, nach ***n zurückkehrend, augenblicklich seine Wohsung dort aufschlagen zu können. — So dacht’ ich, und doch weiss ich selbst nicht, wie es kam, dass, bei dem öden Hause vorüberschreitend, ich jedesmal wie festgebanntstehen bleiben und mich in ganz verwunderliche Gedanken nicht sowohl vertiefen als verstricken musste. — Ihr wisst es ja alle, ihr wackeren Kumpane meines fröhlichen Jugendlebens, ihr wisst es ja alle, wie ich mich von jeher als Geisterseher gebärdete und wie mir nur einer wunderbaren Welt seltsame Ersdheinungen ins Leben treten wollten, die ihr mit derbem Verstande wegzuleugnen wusstet! — Nun! zieht nur eure schlauen spitzfindigen Gesichter, wie ihr wollt, gern zugestehen darf ich ja, dass ich oft mich selbst recht arg mystifiziert habe, und dass mit dem öden Hause sich dasselbe ereignen zu wollen schien, aber — am Ende kommt die Moral, die euch zu Boden schlägt, horcht nur auf! — Zur Sache! — Eines Tages, und zwar in der Stunde, wenn der gute Ton gebietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe ich, wie gewöhnlich in tiefen Gedanken hinstarrend, vor dem öden Hause. Plötzlich bemerke ich, ohne gerade hinzusehen, dass jemand neben mir sich hingestellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist Graf P., der sich schon in vieler Hin sicht als mir geistesverwandt kundgetan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als dass auch ihm das Geheimnisvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr siel es mir auf, dass, als ich von dem seltsamen Eindruck sprach, den dies verödete Gebäude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf mich gemacht hatte, er sehr ironisch lächelte, bald war aber alles erklärt. Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen, Kombinationen usw. hatte er die Bewandtnis herausgefunden, die es mit dem Hause hatte, und eben diese Bewandtnis lief auf eine solche ganz seltsame Geschichte hinaus, die nur die lebendigste Phantasie des Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es wäre wohl recht, dass ich euch die Geschichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn habe, mitteilte, doch schon jetzt fühle ich mich durch das, was sich wirklich mit mir zutrug, so gespannt, dass ich unaufhaltsam fortfahren muss. Wie war aber dem guten Grafen zumute, als er, mit der Geschichte fertig, erfuhr, dass das verödete Haus nichts anderes enthalte als die Zuckerbäckerei des Konditors, dessen prachtvoll eingerichteter Laden dicht anstiess. Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Öfen eingerichtet, vermauert und die zum Aufbewahren des Gebackenen im oberen Stock bestimmten Zimmer mit dicken Vorhängen gegen Sonne und Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mitteilte, so wie er die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der allem Poetischen feindliche Dämon den Süssträumenden empfindlich und schmerzhaft bei der Nase. — Unerachter der prosaischen Aufklärung musste ich doch noch immer vorübergebend nach dem öden Hause hinschauen, und noch immer gingen im leisen Frösteln, das mir durch die Glieder bebte, allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken der Zuckerbäckerei, des marzipans, der Bonbons, der Torten, der eingemachten Früchte usw. gewöhnen. Eine seltsame Ideenkombination liess mir das alles erscheinen wie füsses, beschwichtigendes Zureden. Ungefähr: „Erschrecken Sie nicht, Bester! Wir alle sind liebe, süsse Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bisschen einchlagen.“Dann dachte ich wieder: „Bist du nicht ein recht wahnsinniger Tor, dass du das Gewöhnlichste in das Wunderbare zu ziehen trachtest, schelten deine Freunde dich nicht mit Recht einen überspannten Geisterseher?“ — Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Bestimmung auch nicht anders sein konnte, immer unverändert, und so geschah es, dass mein Blick sich daran gewöhnte, und die tollen Gebilde, die sonst ordentlich aus den Mauern hervorzuschweben schienen, allmählich verschwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeschlummert, wieder auf. — Dass, unerachtet ich mich, so gut es gehen wollte, ins Alltägliche gefügt hatte, ich doch nicht unterliess, das fabelhafte Haus im Auge zu behalten, das könnt ihr euch bei meiner Sinnesart, die nun einmal mit frommer, ritterlicher Treue am Wunderbaren festhält, wohl denken. So geschah es, das ich eines Tages, als ich wie gewöhnlich zur Mittagsstunde in der Allee luftwandelte, meinen Blick auf die verhängten Fenster des öden Hauses richtete. Da bemerkte ich, dass die Gardine an dem letzten Fenster dicht neben dem Konditorladen sich zu bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorschein. Ich riss meinen Operngucker heraus und gewahrte nun deutlich die blendend weisse, schön geformte Hand eines Frauenzimmers, an deren kleinem Finger ein Brillant mit ungewöhnlichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte an dem in üppiger Schönheit geründeten Arm. Die Hand setzte eine hohe, seltsam geformte Kristallflasche hin auf die Fensterbank und verchwand hinter dem Vorhange. Erstarrt blieb ich stehen, ein sonderbar bänglich wonniges Gefühl durchströmte mit elektrischer Wärme mein Inneres, unverwandt blickte ich hinauf nach dem verhängnisvollen Fenster, und wohl mag ein sehnsuchtsvoller Seufzer meiner Brust entflohen sein. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von vielen Menschen allerlei Standes, die so wie ich mit neugierigen Gesichtern hinaufguckten. Das verdross mich, aber gleich fiel mir ein, dass jedes Hauptstadtvolk jenem gleiche, das, zahllos vor dem Hause versammelt, nicht zu gaffen und sich darüber zu verwundern aufhören konnte, dass eine Schlafmütze aus dem sechsten Stock herabgestürzt, ohne eine Marche zu zerreissen. — Ich schlich mich leise fort, und der prosaische Dämon flüsterte mir sehr vernehmlich in die Ohren, dass soeben die reiche, sonntäglich geschmückte Konditorsfrau eine geleerte Flasche feinen Rosenwassers o. s. auf die Fensterbank gestellt. — Seltener Fall! — mir kam urplötzlich ein sehr gescheiter Gedanke. — Ich kehrte um und geradezu ein in den leuchtenden Spiegelladen des dem öden Hause nachbarlichen Konditors. — Mit kühlendem Atem den heissen Schaum von der Schokolade wegblasend, fing ich leicht hingeworfen an: „In der Tat, Sie haben da nebenbei Ihre Anstalt sehr schön erweitert.“ — Der Konditor warf noch schnell ein paar bunte Bonbons in die Vierteltüte, und diese dem lieblichen Mädchen, das danach verlangt, hinreichend, lehnte er sich mit aufgestemmtem Arm weit über den Ladentisch herüber und schaute mich mit solch lächelnd fragendem Blick an, als habe er mich gar nicht verstanden. Ich wiederholte, dass er sehr zweckmässig in dem benachbarten Hause seine Bäckerei angelegt, wiewohl das dadurch verödete Gebäude in der lebendigen Reihe der übrigen düster und traurig absteche. „Ei, mein Herr!“ fing nun der Konditor an, „wer hat Ihnen denn gesagt, dass das Haus nebenan uns gehört? — Leider blieb jeder Versuch, es zu akquirieren, vergebens, und am Ende mag es auch gut sein, denn mit dem Hause nebenan hat es eine eigene Bewandtnis.“ — Ihr, meine treuen Freunde, könnt wohl denken, wie mich des Konditors Antwort spannte, und wie sehr ich ihn bat, mir mehr von dem Hause zu sagen. „Ja, mein Herr!“ sprach er, „recht Sonderliches weiss ich selbst nicht davon, so viel ist aber gewiss, dass das Haus der Gräfin von S. gehört, die auf ihren Gütern lebt und seit vielen Jahren nicht in ***n gewesen ist. Als noch keines der Prachtgebäude existierte, die jetzt unsere Strasse zieren, stand dies Haus, wie man mir erzählt hat, schon in seiner jetzigen Gestalt da, und seit der Zeit wurd’es nur gerade vor dem gänzlichen Verfall gesichert. Nur zwei lebendige Wesen hausen darin, ein steinalter, menschenfeindlicher Hausverwalter und ein grämlicher, lebensatter Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der allgemeinen Sage soll es in dem öden Gebäude hässlich spuken, und in der Tat, mein Bruder (der Besitzer des Ladens) und ich, wir beide haben in der Stille der Nacht, vorzüglich zur Weihnachtszeit, wenn uns unser Geschäft hier im Laden wach erhielt, oft seltsame Klagelaute vernommen, die offenbar sich hier hinter der Mauer im Nebenhause erhoben. Und dann fing es an, so hässlich zu scharren und zu rumoren, dass uns beiden ganz graulich zumute wurde. Auch ist es nicht lange her, dass sich zur Nachtzeit ein solch sonderbarer Gesang hören liess, den ich Ihnen nun gar nicht beschreiben kann. Es war offenbar die Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Töne waren so gellend klar und liefen in bunten Kadenzen und langen schneidenden Trillern so hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien, Frankreich und Deutschland so viel Sängerinnen gekannt, noch nie gehört habe. Mir war so, als würden französische Worte gesungen, doch konnt’ich das nicht genau unterscheiden, und überhaupt das tolle gespenstische Singen nicht lange anhören, denn mir standen die Haare zu Berge. Zuweilen, wenn das Geräusch auf der Strasse nachlasst, hören wir auch in der hinteren Stube tiefe Seufzer und dann ein dumpfes Lachen, das aus dem Boden hervorzudröhnen scheint, aber das Ohr an die Wand gelegt, vernimmt man bald, dass es eben auch im Hause nebenan so seufzt und lacht. — Bemerken Sie“ — (er führte mich in das hintere Zimmer und zeigte durchs Fenster), „bemerken Sie jene eiserne Röhre, die aus der Mauer hervorragt, die raucht zuweilen so stark, selbst im Sommer, wenn doch gar nicht geheizt wird, dass mein Bruder schon oft wegen Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der sich aber damit entschuldigt, dass er sein Essen koche, was der aber essen mag, das weiss der Himmel, denn oft verbreitet sich, eben wenn jene Röhre recht stark raucht, ein sonderbarer, ganz eigentümlicher Geruch.“ — Die Glastür des Ladens knarrte, der Konditor eilte hinein und warf mir, nach der hineingetretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick zu. — Ich verstand ihn vollkommen. Konnte denn die sonderbare Gestalt jemand anders sein, als der Verwalter des geheimnisvollen Hauses? — Denkt euch einen kleinen dürren Mann mit einem mumienfarbenen Gesicht, spitzer Nase, zusammengekniffenen Lippen, grünfunkelnden Katzenaugen, stetem wahnsinnigen Lächeln, altmodisch mit aufgetürmtem Toupet und Klebelöckchen frisiertem, stark gepudertem Haar, grossem Haarbeutel, postillon d’Amour, kaffeebraunem, altem, verbleichtem, doch wohlgeschontem, gebürstetem Kleide, grauen Strümpfen, grossen abgestumpften Schuhen mit Steinsschnällchen. Denkt euch, dass diese kleine dürre Figur doch, vorzüglich was die übergrossen Fäuste mit langen starken Fingern betrifft, robust geformt ist und kräftig nach dem Ladentisch hinschreitet, dann aber stets lächelnd und starr hinschauend nach den in Kristallgläsernaufbewahrten Süssigkeiten mit ohnmächtiger klagender Stimme herausweint: „Ein paar eingemachte Pomeranzen — ein paar Makronen — ein paar Zuckerkastanien usw.“ Denkt euch das und urteilt selbst, ob hier Grund war, Seltsames zu ahnen oder nicht. Der Konditor suchte alles, was der Alte gefordert, zusammen. „Wiegen Sie, wiegen Sie, verehrter Herr Nachbar,“ jammerte der seltsame Mann, holte ächzend und keuchend einen kleinen ledernen Beutel aus der Tasche und suchte mühsam Geld hervor. Ich bemerkte, dass das Geld, als er es auf den Ladentisch aufzählte, aus verschiedenen alten, zum Teil schon ganz aus dem gewöhnlichen Kurs gekommenen Münzsorten bestand. Er tat dabei sehr kläglich und murmelte: „Süss — süss — süss soll nun alles sein — süss meinethalben; der Satan schmiert seiner Braut Honig ums Maul — puren Honig.“ Der Konditor schaute mich lachend an und sprach dann zu dem Alten: „Sie scheinen nicht recht wohl zu sein, ja, ja, das Alter, das Alter, die Kräfte nehmen ab immer mehr und mehr.“ Ohne die Miene zu ändern, rief der Alte mit erhöhter Stimme: „Alter? — Alter? — Kräfte abnehmen? Schwach — matt werden! — Ho ho — ho ho — ho ho!“ Und damit schlug er die Fäuste zusammen, dass die Gelenke knackten, und sprang, in der Luft ebenso gewaltig die Füsse zusammenklappend, hoch auf, dass der ganze Laden dröhnte und alle Gläser zitternd erklangen. Aber in dem Augenblick erhob sich auch ein grässliches Geschrei, der Alte hatte den schwarzen Hund getreten, der hinter ihm hergeschlichen, dicht an seine Füsse geromiegt, auf dem Boden lag. „Verruchte Bestie! Satanischer Höllenhund!“ stöhnte leise im vorigen Ton der Alte, öffnete die Tüte und reichte dem Hunde eine grosse Makrone hin. Der Hund, der in ein menschliches Weinen ausgebrochen, war sogleich still, retzte sich auf die Hinterpfoten und knabberte an der Makrone wie ein Eichhörnchen. Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit seiner Makrone, der Alte mit dem Verschliessen und Einstecken seiner Tüte. „Gute Nacht, verehrter Herr Nachbar,“ sprach er jetzt, reichte dem Konditor die Hand und drückte die des Konditors so, dass er laut aufschrie vor Schmerz. „Der alte schwächliche Greis wünscht Ihnen eine gute Nacht, bester Herr Nachbar Konditor,“ wiederholte er dann und schritt zum Laden hinaus, hinter ihm der schwarze Hund, mit der Zunge die Makronenreste vom Maule wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht bemerkt zu haben, ich stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. „Sehen Sie,“ fing der Konditor an, „sehen Sie, so treibt es der wunderliche Alte hier zuweilen, wenigstens in vier Wochen zwei-, dreimal, aber nichts ist aus ihm herauszubringen, als dass er ehemals Kammerdiener des Grafen von S. war, dass er jetzt hier das Haus verwaltet und jeden Tag (schon seit vielen Jahren) die gräflich S—sche Familie erwartet, weshalb auch nichts vermietet werden kann. Mein Bruder ging ihm einmal zu Leibe wegen des wunderlichen Getöns zur Nachtzeit, da sprach er aber sehr gelassen: ,Ja! — die Leute sagen alle, es spuke im Hause, glauben Sie es aber nicht, es tut nicht wahr sein’.“ — Die Stunde war gekommen, in der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besuchen, die Tür öffnete sich, elegante Welt strömte herein, und ich konnte nicht weiter fragen. —
So viel stand nun fest, dass die Nachrichten des Grafen P. über das Eigentum und die Benutzung des Hauses falsch waren, dass der alte Verwalter dasselbe seines Leugnens unerachtet nicht allein bewohnte, und dass ganz gewiss irgendein Geheimnis vor der Welt dort verhüllt werden sollte. Musste ich denn nicht die Erzählung von dem seltsamen, schauerlichen Gesange mit dem Erscheinen des schönen Armes am Fenster in Verbindung setzen? Der Arm sass nicht, konnte nicht sitzen an dem Leibe eines alten verschrumpften Weibes, der Gesang nach des Konditors Beschreibung nicht aus der Kehle des jungen blühenden Mädchens kommen. Doch für das Merkzeichen des Armes entschieden, konnt’ ich leicht mich selbst überreden, dass vielleicht nur eine akustische Täuschung die Stimme alt und gellend klingen lassen, und dass ebenso vielleicht nur des vom Graulichen befangenen Konditors trügliches Ohr die Töne so vernommen. — Nun dacht’ ich an den Rauch, den seltsamen Geruch, an die wunderlich geformte Kristallflasche, die ich sah, und bald stand das Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen Geschöpfes mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen Hexenmeister, zum verdammten Zauberkerl, der, vielleicht ganz unabhängig von der gräflich S—schen Familie geworden, nun auf seine eigene Hand in dem verödeten Hause unheilbringendes Wesen trieb. Meine Phantasie war im Arbeiten, und noch in selbiger Nacht, nicht sowohlim Traum als im Delirieren des Einschlafens, sah ich deutlich die Hand mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glänzenden Spange. Wie aus dünnen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes Antlitz mit wehmütig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die ganze wunderherrliche Gestalt eines Mädchens in voller anmutiger Jugendblüte hervor. Bald bemerkte ich, dass das, was ich für Nebel hielt, der feine Dampf war, der aus der Kristallflasche, die Gestalt in den Händen hielt, in sich kreifelndem Gewirbel emporstieg. „O, du holdes Zauberbild,“ rief ich voll Entzücken, „o, du holdes Zauberbild, tu’ es mir kund, wo du weilst, was dich gefangen hält? — O, wie du mich so voll Wehmut und Liebe anblickst! — Ich weiss es, die schwarze Kunst ist es, die dich befangen, du bist die unglückselige Sklavin des boshaften Teufels, der herumwandelt, kaffeebraun und behaarbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Sprüngen alles zerschmeissen will und Höllenhunde tritt, die er mit Makronen füttert, nachdem sie den satanischen Murki im Fünfachteltakt abgeheult. — O, ich weiss ja alles, du holdes, anmutiges Wesen! — Der Diamant ist der Reflex innerer Glut! — Ach, hättest du ihn nicht mit deinem Herzblut getränkt, wie könnt’ er so funkeln, so tausendfarbig strahlen in den allerherrlichsten Liebestönen, die je ein Sterblicher vernommen. — Aber ich weiss es wohl, das Band, das deinen Arm umschlingt, ist das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune spricht, sie sei magnetisch. — Glaub’ es nicht, Herrliche! — Ich sehe ja, wie sie herabhängt in die von blauem Feuer glühende Retorte. — Die werf’ ich um und du bist befreit! — Weiss ich denn nicht alles — weiss ich denn nicht alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! — nun öffne den Rosenmund, o sage“ — In dem Augenblick griff eine knotige Faust über meine Schulter weg nach der Kristallflasche, die in tausend Stücke zersplittert in der Luft verstäubte. Mit einem leisen Ton dumpfer Wehklage war die an mutige Gestalt verschwunden in finsterer Nacht. — Ha! ich merk’ es an eurem Lächeln, dass ihr schon wieder in mir den träumerischen Geisterseher findet, aber versichern kann ich euch, dass der ganze Traum, wollt ihr nun einmal nicht abgehen von dieser Benennung, den vollendeten Charakter der Vision hatte. Doch da ihr fortfahrt, mich so im profatschen Unglauben anzulächeln, so will ich lieber gar nichts mehr davon sagen, sondern nur rasch weitergehen. — Kaum war der Morgen angebrochen, als ich voll Unruhe und Sehnsucht nach der Allee lief und mich hinstellte vor das öde Haus! — Ausser den inneren Vorhängen waren noch dichte Jalousien vorgezogen. Die Strasse war noch völlig menschenleer, ich trat dicht an die Fenster des Erdgeschosses und horchte und horchte, aber kein Laut liess sich hören, still blieb es wie im tiefen Grabe. — Der Tag kam herauf, das Gewerbe rührte sich, ich musste fort. Was soll ich euch damit ermüden, wie ich viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umschlich, ohne auch nur das mindeste zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forschen zu keiner bestimmten Notiz führte, und wie endlich das schöne Bild meiner Vision zu verblassen begann. — Endlich, als ich einst am späten Abend von einem Spaziergange heimkehrend bei dem öden Hause herangekommen, bemerkte ich, dass das Tor halb geöffnet war; ich schritt heran, der Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entschluss war gefasst. „Wohnt nicht der Geheime Finanzrat Binder hier in diesem Haufe?“ So frug ich den Alten, indem ich, ihn beinahe zurückdrängend, in den von einer Lampe matt erleuchteten Vorsaal trat. Der Alte blickte mich an mit seinem stehenden Lächeln und sprach leise und gezogen: „Nein, der wohnt nicht hier, hat niemals hier gewohnt, wird niemals hier wohnen, wohnt auch in der ganzen Allee nicht. — Aber die Leute sagen, es spuke hier in diesem Hause, jedoch kann ich versichern, dass es nicht wahr ist, es ist ein ruhiges, hübsches Haus, und morgen zieht die gnädige Gräfin von S. ein und — gute Nacht, mein lieber Herr!“ — Damit manövrierte mich der Alte zum Hause hinaus und verschloss hinter mir das Tor. Ich vernahm, wie er keuchend und hustend mit dem klirrenden Schlüsselbunde über den Flur wegscharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, hinabstieg. Ich hatte in der kurzen Zeit so viel bemerkt, dass der Flur mit alten bunten Tapeten behängt und wie ein Saal mit grossen, mit rotem Damast beschlagenen Lehnsesseln möbliert war, welches denn doch ganz verwunderlich aussah.
Nun gingen, wie geweckt durch mein Eindringen in das geheimnisvolle Haus, die Abenteuer auf! — Denkt euch, denkt euch, sowie ich den anderen Tag in der Mittagsstunde die Allee durchwandere und mein Blick schon in der Ferne sich unwillkürlich nach dem öden Hause richtet, sehe ich an dem letzten Fenster des oberen Stocks etwas schimmern. — Nähergetreten bemerke ich, dass die äussere Jalousie ganze, der innere Vorhang halb aufgezogen ist. Der Diamant funkelt mir entgegen. — O Himmel! gestützt auf den Arm blickt mich wehmütig flehend jenes Antlitz meiner Vision an. — War es möglich, in der auf- und abwogenden Masse stehenzubleiben? — In dem Augenblick fiel mir die Bank ins Auge, die für die Luftwandler in der Allee in der Richtung des öden Hauses, wiewohl man sich darauf niederlassend dem Hause den Rücken kehrte, angebracht war. Schnell sprang ich in die Allee, und mich über die Lehne der Bank wegbeugend, konnt’ ich nun ungestört nach dem verhängnisvollen Fenster schauen. Ja! Sie war es, das anmutige holdselige Mädchen, Zug für Zug! — Nur schien ihr Blick ungewiss. — Nicht nach mir, wie es vorhin schien, blickte sie, vielmehr hatten die Augen etwas Totstarres, und die Täuschung eines lebhaft gemalten Bildes wäre möglich gewesen, hätten sich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz versunken in den Anblick des verwunderlichen Wesens an Fenster, das mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich nicht die quäkende Stimme des italienischen Tabulettkrämers gehört, der mir vielleicht schon lange unaufhörlich seine Waren anbot. Er zupfte mich endlich am Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn ziemlich hart und zornig ab. Er liess aber nicht nach mit Bitten und Quälen. Noch gar nichts habe er heute verdient, nur ein paar Bleifedern, ein Bündelchen Zahnstocher möge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Überlästigen nur geschwind los zu werden, griff ich in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den Worten: „Auch hier hab’ ich noch schöne Sachen!“ zog er den untersten Schub seines Kastens heraus und hielt mir einen kleinen runden Taschenspiegel, der in dem Schub unter anderen Gläsern lag, in kleiner Entfernung seitwärts vor. — Ich erblickte das öde Haus hinter mir, das Fenster und in den schärfsten deutlichsten Zügen die holde Engelsgestalt meiner Vision. — Schnell kaufť ich den kleinen Spiegel, der mir es nun möglich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nachbarn aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. — Doch, indem ich nun länger und länger das Gesicht im Fenster anblickte, wurd’ ich von einem seltsamen, ganz unbeschreiblichen Gefühl, das ich beinahe waches Träumen nennen möchte, befangen. Mir war es, als lähme eine Art Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr nur meinen Blick, den ich nun niemals mehr würde abwenden können von dem Spiegel. Mit Beschämung muss ich euch bekennen, dass mir jenes Ammenmärchen einfiel, womit mich in früher Kindheit meine Wartfrau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa gelüsten liess, abends vor dem grossen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehenzubleiben und hineinzugucken. Sie sagte nämlich, wenn Kinder nachts in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes garstiges Gesicht heraus, und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz entsetzlich graulich, aber in vollem Grausen konnt’ ich doch oft nicht unterlassen, wenigstens nach dem Spiegel hinzublinzeln, weil ich neugierig war auf das fremde Gesicht. Einmal glaubt’ ich ein Paar grässliche glühende Augen aus dem Spiegel fürchterlich herausfunkeln zu sehen, ich schrie auf und stürzte dann ohnmächtig nieder. In diesem Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es mit, als hätten jene Augen mich wirklich angefunkelt. — Kurz, alles dieses tolle Zeug aus meiner frühen Kindheit fiel mir ein, Eiskälte bebte durch meine Adern — ich wollte den Spiegel von mir schleudern — ich vermocht’ es nicht — nun blickten mich die Himmelsaugen der holden Gestalt an — ja, ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins Herz hinein. — Jenes Grausen, das mich plötzlich ergriffen, liess von mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz süsser Sehnsucht, die mich mit elektrischer Wärme durchglühte. „Sie haben da einen niedlichen Spiegel,“ sprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich zweideutig anlächelnde Gesichter erblickte. Mehrere Personen hatten auf derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als dass ich ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht auch mit einigen seltsamen Gesichtern, die ich in meinem exaltierten Zustande schnitt, auf meine Kosten ein ergötzliches. Schauspiel gegeben. „Sie haben da einen niedlichen Spiegel,“ wiederholte der Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage noch hinzufügte: „Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige Hineinstarren, erscheinen Ihren Geister?“ usw. Der Mann, schon ziemlich hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick etwas ungemein Gutmütiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar keinen Anstand, ihm geradehin zu sagen, dass ich im Spiegel ein wundervolles Mädchen erblickt, das hinter mir im Fenster des öden Hauses gelegen. — Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er nicht auch das holde Antlitz gesehen. „Dort drüben? — in dem alten Hause — in dem letzten Fenster?“ so fragte mich nun wieder ganz verwundert der Alte. „Allerdings, allerdings,“ sprach ich; da lächelte der Alte sehr und sing an: „Nun, das ist doch eine wunderliche Täuschung — nun, meine alten Augen — Gott ehrte mir meine alten Augen. Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das hübsche Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir schien, recht gut und lebendig in Öl gemaltes Porträt.“ Schnell drehte ich mich um nach dem Fenster, alles war verschwunden, die Jalousie heruntergelassen. „Ja!“ fuhr der Alte fort, „ja, mein Herr, nun ist’s zu spät, sich davon zu überzeugen, denn eben nahm der Bediente, der dort, wie ich weiss, als Kastellan das Absteigequartier der Gräfin von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestäubt, vom Fenster fort und liess die Jaloufie herunter.“ „War es denn gewiss ein Bild?“ fragte ich nochmals ganz bestürzt. „Trauen Sie meinen Augen,“ erwiderte der Alte. „Dass Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel sahen, vermehrte gewiss sehr die optische Täuschung und — wie ich noch in Ihren Jahren war, hätt’ ich nicht auch das Bild eines schönen Mädchens kraft meiner Phantasie ins Leben gerufen?“ „Aber Hand und Arm bewegten sich doch,“ fiel ich ein. „Ja, ja, sie regten sich, alles regte sich,“ sprach der Alte lächelnd und sanft mich auf die Schulter klopfend. Dann stand er auf und verliess mich, höflich sich verbeugend, mit den Worten: „Nehmen Sie sich doch vor Taschenspiegeln in acht, die so hässlich lügen. — Ganz gehorsamster Diener.“ — Ihr könnt denken, wie mir zummte war, als ich mich so als einen törichten, blödsichtigen Phantasten behandelt sah. Mir kam die Überzeugung, dass der Alte recht hatte, und dass nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen, das mich mit dem öden Hause, zu meiner eigenen Beschämung, so garstig mystisizierte.