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Ein beliebter Klassiker von Lessing!Als der reiche Jude Nathan in das Jerusalem zu Zeiten der Kreuzzüge zurückkehrt, erfährt er, dass ein Templerherr seine Tochter Recha vor dem Feuertod gerettet hat. Dieser verliebt sich in die hübsche Recha, Nathan kann der Verbindung jedoch nicht zustimmen. Schon bald schmiedet der Tempelherr also eine Intrige gegen Nathan... -
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Seitenzahl: 160
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Gotthold Ephraim Lessing
Mit einer Einführung von Adolf von Grolman
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen
Saga
Nathan. der WeiseCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1779, 2020 Gotthold Ephraim Lessing und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726540130
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Sultan Saladin.
Sittah, dessen Schwester.
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem.
Recha, dessen angenommene Tochter.
Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha.
Ein junger tempelherr.
Ein Derwisch.
Der Patriarch Von Jerusalem.
Ein Klosterbruder.
Ein Emir, nebst verschiedenen Mameluken des Saladin.
Die Szene ist in Jerusalem.
Szene: Flur in Nathans Hause.
Nathan. von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.
Daja. Er ist es! Nathan! — Gott sei ewig Dank, Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt.
Nathan. Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch Warum endlich?
Hab’ ich denn eher wiederkommen wollen?
Und wiederkommen können? Babylon
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
Seit ab, bald rechts, bald links, zu nehmen bin
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
Und Schulden einkassieren, ist gewiß
Auch kein Geschäft, das merklich fördert, das
So von der Hand sich schlagen läßt.
Daja. O Nathan,
Wie elend, elend hättet Ihr indes
Hier werden können! Euer Haus . . .
Nathan. Das brannte
So hab’ ich schon vernommen. — Gebe Gott,
Daß ich nur alles schon vernommen habe!
Daja. Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.
Nathan. Dann, Daja, hätten wir ein neues uns Gebaut, und ein bequemeres.
Daja. Schonwahr! —
Doch Recha wär’ bei einem Haare mit Verbrannt.
Nathan. Verbrannt? Wer? Meine Recha? Sie? —
Das hab’ ich nicht gehört. — Nun denn! So hätte
Ich keines Hauses mehr bedurft. — Verbrannt
Bei einem Haare! — Ha! Sie ist es wohl!
Ist wirklich wohl verbrannt! — Sag’ nur heraus!
Heraus nur! — Töte mich, und martre mich
Nicht länger. — Ja, sie ist verbrannt.
Daja. Wenn sie
Es wäre, würdet Ihr von-mir es hören?
Nathan. Warum erschreckest Du mich denn? [— O Recha!
O meine Recha!
Daja. Eure? Eure Recha?
Nathan. Wenn ich mich wieder je entwöhnen
Müßte, dies Kind mein Kind zu nennen!
Daja. Nennt Ihr
Alles, was Ihr besitzt, mit eben so viel Rechte Das Eure?
Nathan. Nichts mit größerm! Alles, was Ich sonst, besitze, hat Natur und Glück
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
Dank’ ich der Tugend.
Daja. O wie teuer laßt
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,
Noch Güte heißen kann!
Nathan. In solcher Absicht?
In welcher?
Daja. Mein Gewissen . . .
Nathan. Daja, laß
Vor allen Dingen dir erzählen . . .
Daja. Mein
Gewissen, sag’ ich . . .
Nathan. Was in Babylon
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
Für Recha selbst kaum einen schönrn mit.
Daja. Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muß
Ich Euch nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.
Nathan. Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
Verlanget mich zu sehn.
Daja. So seid Ihr nun!
Wenn Ihr nur schenken könnt! Nur schenken könnt!
Nathan. Nimm du so gern, als ich dir geb’: —
Und schweig!
Daja. Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, Daß Ihr nicht die Ehrlichkeit, die Großmut selber Seid? Und doch . . .
Nathan. Doch bin ich nur ein Jude. —
Gelt, das willst du sagen?
Daja. Was ich sagen will,
Das wißt Ihr besser.
Nathan. Nun so schweig!
Daja. Ich schweige.
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, —
Nicht kann, — komm’ über Euch!
Nathan. Komm über mich! —
Wo aber ist sie denn? Wo bleibt sie? — Daja,
Wenn du mich hintergehst! — Weiß sie es denn,
Daß ich gekommen bin?
Daja. Das frag’ ich Euch!
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
Noch malet Feuer ihre Phantasie
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger
Als Tier, bald mehr als Engel.
Nathan. Armes Kind!
Was sind wir Menschen!
Daja. Diesen Morgen lag
Sie lange mit verschlossnem Aug’, und war
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: ,,Horch, horch!
Da kommen die Kamele meines Vaters!
Horch! Seine sanfte Stimme selbst!“ — Indem
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
Dem seines Armes Stütze sich entzog,
Stürzt’ auf das Kissen. — Ich, zur Pfort’ hinaus!
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! Kommt Ihr Wahrlich!
Was Wunder! Ihre ganze Seele war
Die Zeit her nur bei Euch — und ihm.
Nathan. Bei ihm?
Bei welchem Ihm?
Daja. Bei ihm, der aus dem Feuer
Sie rettete.
Nathan. Wer war das? Wer? — Wo ist er?
Wer rettete mir meine Recha? Wer?
Daja. Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
Und Saladin begnadigt hatte.
Nathan. Wie?
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
War Recha nicht zu retten? Gott!
Daja. Ohn’ ihn,
Der seinen unvermuteten Gewinnst
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.
Nathan. WOist er, Daja, dieser edle Mann?
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
Ihr gabt ihm doch für’s erste, was an Schätzen
Ich euch gelassen hatte? Gabt ihm alles?
Verspracht ihm mehr? Weit mehr?
Daja. Wie konnten wir?
Nathan. Nicht? Nicht?
Daja. Er kam, und niemand weiß woher.
Er ging, und niemand weiß wohin. — Ohn’ alle
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,
Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,
Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist —
Verschwunden!
Nathan. Nicht auf immer, will ich hoffen.
Daja. Nachher die ersten Tage sahen wir
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
Erhob, entbot, beschwor, — nur einmal noch
Die fromme Kreatur zu sehen, die
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
Zu seinen Füßen ausgeweinet.
Nathan. Nun?
Daja. Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
Und goß so bittern Spott auf mich besonders . . .
Nathan. Bis dadurch abgeschreckt . . .
Daja. Nichts weniger!
Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt’ ich nicht
Noch gern ertragen! — Aber lange schon
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. —
Ihr staunt? Ihr sinnt?
Nathan. Ich überdenke mir,
Was das auf einen Geist, wie Recha’s, wohl
Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen
Und doch so angezogen werden! — Traun,
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll.
Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
Das Herz den Kopf muß spielen. — Schlimmer
Das Letztere, verkenn’ ich Recha nicht, [Tausch! —
Ist Recha’s Fall: sie schwärmt.
Daja. Allein so fromm,
So liebenswürdig!
Nathan. Ist doch auch geschwärmt!
Daja. Vornehmlich eine — Grille, wenn ihr wollt,
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
Kein irdischer und keines irdischen;
Der Engel einer, deren Schutz sich
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
Hervorgetreten. — Lächelt nicht! — Wer weiß?
Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann
Vereinigen, — so einen süßen Wahn!
Nathan. Auch mir so süß! — Geh, wackre Daja,
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. — [geh;
Sodann such’ ich den wilden, launigen
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,
Hienieden unter uns zu wallen; noch
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
Zu treiben: find’ ich ihn gewiß, und bring’
Ihn her.
Daja. Ihr unternehmet viel.
Nathan. Macht dann
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: —
Denn, Daja, glaube mir, dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel —
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?
Daja. Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!
Ich geh! — Doch hört! Doch seht! — Da kommt sie selbst.
Recha und die Vorigen.
Recha. SO seid Ihr es doch ganz und gar, mein
Ich glaubt’, Ihr hättet Eure Stimme nur [Vater?
Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,
Für Wüsten, was für Ströme trennen uns
Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,
Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?
Die arme Recha, die indes verbrannte! —
Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!
Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen. O!
Nathan. Mein Kind! Mein liebes Kind!
Recha. Ihr mußtet über
Den Euphrat, Tigris, Jordan; über — wer
Weiß was für Wasser all? — Wie oft hab’ ich
Um Euch gezittert, eh das Feuer mir
So nahe kam! Denn seit das Feuer mir
So nahe kam, dünkt mich im Wasser sterben
Erquickung, Labsal, Rettung. — Doch Ihr seid
Ja nicht ertrunken: Ich, ich bin ja nicht
Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,
Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen
Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel
Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,
Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar
Auf seinem weißen Fittiche mich durch
Das Feuer trüge —
Nathan. (Weißem Fittiche!
Ja, ja! Der weiße vorgespreizte Mantel
Des Tempelherrn.)
Recha. Er sichtbar, sichtbar mich
Durch’s Feuer trüg’, von seinem Fittiche
Verweht. — Ich also, ich hab’ einen Engel
Von Angesicht zu Angesicht gesehn;
Und meinen Engel.
Nathan. Recha wär’ es wert;
Und würd’ an ihm nichts Schönres sehn, als er
An ihr.
Recha. (lächelnd). Wem schmeichelt Ihr, mein Vater?
Wem? Dem Engel oder Euch?
Nathan. Doch hätt’ auch nur
Ein Mensch — ein Mensch, wie die Natur sie täglich
Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte
Für dich ein Engel sein. Er müßt’ und würde.
Recha. Nicht so ein Engel, nein! ein wirklicher;
Es war gewiß ein wirklicher! — Habt Ihr,
Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,
Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
Ich lieb’ ihn ja.
Nathan. Und er liebt dich; und tut
Für dich und deines Gleichen stündlich Wunder;
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
Für euch getan.
Recha. Das hör’ ich gern.
Nathan. Wie? Weil
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
Gerettet hätte; sollt’ es darum weniger
Ein Wunder sein? — Der Wunder höchstes ist,
Daß uns die wahren, echten Wunder so
Alltäglich werden können, werden sollen.
Ohn’ dieses allgemeine Wunder hätte
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
Genannt, was Kindern bloß so heißen müßte,
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
Das Neuste nur verfolgen.
Daja. (zu Nathan). Wollt Ihr denn
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
Durch solcherlei Subtilitäten ganz
Zersprengen?
Nathan. Laß mich! — Meiner Recha wär’
Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch
Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
Denn wer hat schon gehört, daß Saladin
Je eines Tempelherrn verschont? Daß je
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
Verlangt? Gehofft? Ihm je für seine Freiheit
Mehr als den ledern Gurt geboten, der
Sein Eisen schleppt, und höchstens seinen Dolch?
Recha. Das schließt für mich, mein Vater. — Darum eben
War das kein Tempelherr, er schien es nur. —
Kommt kein gefangner Tempelherr je anders
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
Geht keiner in Jerusalem so frei
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
Denn einer retten können?
Nathan. Sieh, wie sinnreich!
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab’ es ja
Von dir, daß er gefangen hergeschickt
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr,
Daja. Nun ja. — So sagt man freilich; — doch man sagt
Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
Doch da es viele zwanzig Jahre her,
Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, — er hieß,
Ich weiß nicht wie, — er blieb, ich weiß nicht wo: —
So klingt das ja so gar — so gar unglaublich,
Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.
Nathan. Ei, Daja. Warum wäre denn das so Unglaublich? Doch wohl nicht — wie’s wohl geschieht —
Um lieber etwas noch Unglaublichers
Zu glauben? — Warum hätte Saladin,
Der sȩin’ Geschwister insgesamt so liebt,
In jüngern Jahren einen Bruder nicht
Noch ganz besonders lieben können? — Pflegen
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? — Ist
Ein alter Eindruck ein verlorner? — Wirkt
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? —
Seit wann? Wo steckt hier das Unglaubliche? —
Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich
Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur
Bedürf . . . verdienen, will ich sagen, Glauben.
Daja. Ihr spottet.
Nathan. Weil du meiner spottest. — Doch Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
Der Könige, sein Spiel — wenn nicht sein Spott —
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.
Recha. Mein Vater!
Mein Vater, wenn ich irr’, Ihr wißt, ich irre
Nicht gern.
Nathan. Vielmehr, du läßt dich gern belehren. —
Sieh! Eine Stirn, so oder so gewölbt;
Der Rücken einer Nase, so vielmehr
Als so geführet; Augenbraunen, die
Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen
So oder so sich schlängeln; eine Linie,
Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,
Ein Nichts, auf eines wilden Europäers
Gesicht: — und du entkommst dem Feu’r, in Asien!
Das wär’ kein Wunder, wundersücht’ges Volk?
Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?
Daja. Was schadet’s — Nathan, wenn ich sprechen darf —
Bei alledem, von einem Engel lieber
Als einem Menschen sich gerettet denken?
Fühlt man der ersten unbegreiflichen
Ursache seiner Rettung nicht sich so
Viel näher?
Nathan. Stolz und nichts als Stolz! Der Topf
Von Eisen will mit einer silbern Zange
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
Ein Topf von Silber sich zu dünken. — Pah! —
Und was es schadet, fragst du? Was es schadet?
Was hilft es? Dürft’ ich nur hinwieder fragen. —
Denn dein „Sich Gott um so viel näher fühlen“
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. —
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. —
Kommt! Hört mir zu. — Nicht wahr? Dem Wesen, das
Dich rettete, — es sei ein Engel oder
Ein Mensch, — dem möchtet ihr, und du besonders,
Gern wieder viele große Dienste tun? —
Nicht wahr? — Nun, einem Engel, was für Dienste,
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?
Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;
Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;
Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,
Almosen spenden. — Alles nichts. — Denn mich
Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster
Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird
Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich
Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher
Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger
Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!
Daja. Ei freilich hätt’ ein Mensch, etwas für ihn
Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.
Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!
Allein er wollte ja, bedurfte ja
So völlig nichts; war in sich, mit sich so
Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel
Sein können.
Recha. Endlich, als er gar verschwand . . .
Nathan. Verschwand? — Wie denn verschwand? — Sich unter’n Palmen
Nicht ferner sehen ließ? — Wie? Oder habt
Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?
Daja. Das nun wohl nicht.
Nathan. Nicht, Daja? Nicht? Da sieh
Nun was es schad’t! — Grausame Schwärmerinnen!
Wenn dieser Engel nun — nun krank geworden! . . .
Recha. Krank!
Daja. Krank! Er wird doch nicht!
Recha. Welch kalter Schauer
Befällt mich! — Daja! — Meine Stirne, sonst
So warm, fühl’! ist auf einmal Eis.
Nathan. Er ist
Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;
Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,
Des Hungerns, Wachens ungewohnt.
Recha. Krank! Krank!
Daja. Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.
Nathan. Nun liegt er da! Hat weder Freund, noch Geld,
Sich Freunde zu besolden.
Recha. Ah, mein Vater!
Nathan. Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,
Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!
Recha. Wo? Wo?
Nathan. Er, der für eine, die er nie Gekannt, gesehn — genug, es war ein Mensch — Ins Feur’ sich stürzte . . .
Daja. Nathan, schonet ihrer!
Nathan. Der, was er rettete, nicht näher kennen,
Nicht weiter sehen mocht’, um ihm den Dank
Zu sparen.
Daja. Schonet ihrer, Nathan!
Nathan. Weiter
Auch nicht zu sehn verlangt’, es wäre denn,
Daß er zum zweitenmal es retten sollte —
Denn g’nug, es ist ein Mensch . . .
Daja. Hört auf, und seht!
Nathan. Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts —
Als, das Bewußtsein dieser Tat!
Daja. Hört auf!
Ihr tötet sie!
Nathan. Und du hast ihn getötet! —
Hätt’st so ihn töten können. — Recha! Recha!
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.
Er lebt! — Komm zu dir! — Ist auch wohl nicht krank;
Nicht einmal krank!
Recha. Gewiß? — Nicht tot? Nicht krank?
Nathan. Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier
Getan, auch hier noch. — Geh! — Begreifst du aber,
Wie viel andächtig schwärmen leichter, als
Gut handeln ist? Wie gern der schlaffste Mensch
Andächtig schwärmt, um nur — ist er zu Zeiten
Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt —
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?
Recha. Ah,
Mein Vater! Laßt, laßt Eure Recha doch
Nie wiederum allein! — Nicht wahr, er kann
Auch wohl verreist nur sein? —
Nathan. Geht! — Allerdings. —
Ich seh’, dort mustert mit neugier’gem Blick
Ein Muselmann mir die beladenen
Kamele. Kennt ihr ihn?
Daja. Ha! Euer Derwisch.
Nathan. Wer?
Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!
Nathan. Al-Hafi? Das Al-Hafi?
Daja. Jetzt des Sultans Schatzmeister.
Nathan. Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? —
Er ist’s! — Wahrhaftig ist’s! — Kommt auf uns zu.
Hinein mit euch, geschwind! — Was werd’, ich hören!
Nathan. und der Derwisch.
Derwisch. Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr
könnt!
Nathan. Bist du’s? Bist du es nicht? — In dieser Pracht,
Ein Derwisch! . . .
Derwisch. Nun? Warum denn nicht? Läßt sich Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
Nathan. E i wohl, genug! — Ich dachte mir nur immer,
Der Derwisch — so der rechte Derwisch — woll’
Aus sich, nichts machen lassen.
Derwisch. Beim Propheten!
Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
Zwar wenn man muß —
Nathan. Muß! Derwisch — Derwisch muß? Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte? Was müßt’ er denn?
Derwisch. Worum man ihn recht bittet, Und er für gut erkennt; das muß ein Derwisch.
Nathan. Bei unserm Gott! Da sagst du wahr. —
Laß dich umarmen, Mensch. — Du bist doch noch Mein Freund?
Derwisch. Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?
Nathan. Trotzdem, was du geworden!
Derwisch. Könnt’ ich nicht Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft Euch ungelegen wäre?
Nathan. Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wag’ ich’s drauf. Der Kerl
Im Staat ist nur dein Kleid.
Derwisch. Das auch geehrt
Will sein. — Was meint Ihr? Ratet! — Was war ich
An Eurem Hofe?
Nathan. Derwisch, weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich — Koch.
Derwisch. Nun ja!
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. — Koch!
Nicht Kellner auch? — Gesteht, daß Saladin
Mich besser kennt. — Schatzmeister bin ich bei
Ihm worden.
Nathan. Du? — Bei ihm?
Derwisch. Versteht:
Des kleinern Schatzes; denn des größern waltet
Sein Vater noch — des Schatzes für sein Haus.
Nathan. Sein Haus ist groß.
Derwisch.