Nathan der Weise - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Nathan der Weise E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Jerusalem im 12. Jahrhundert: Drei Weltreligionen treffen aufeinander, und es stellt sich die Frage: Welche ist die "wahre"? Eine Antwort hierauf versucht Lessing in der berühmten Ringparabel zu geben … Die Reihe "Reclam XL – Text und Kontext" bietet den sorgfältig edierten Werktext (seiten- und zeilengleich mit der Universal-Bibliothek) mit Erläuterungen und einem Materialienteil aus Text- und Bilddokumenten, die die Einordnung und Deutung des Werkes im Unterricht erleichtern. Damit erfüllt Reclam XL alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 311

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Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise

Ein dramatisches Gedicht in fünf AufzügenReclam XL | Text und Kontext

Herausgegeben von Thorsten Krause

Reclam

2015, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-960758-0

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-016102-9

www.reclam.de

Inhalt

Kapitel

Personen

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Zehnter Auftritt

Vierter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Fünfter Aufzug

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Letzter Auftritt

Anhang

1. Zur Textgestalt

2. Anmerkungen

3. Leben und Zeit

4. Entstehungsgeschichte

5. Rezeption – Texte zur Diskussion

6. Literaturhinweise

Dramatisches Gedicht

Introite … Gellium

[5]Personen

Sultan

SALADIN

SITTAH

, dessen Schwester

NATHAN

, ein reicher Jude in Jerusalem

RECHA

, dessen angenommene Tochter

DAJA

, eine Christin, aber in dem Hause des Juden,als Gesellschafterin der Recha

Ein junger

TEMPELHERR

Ein

DERWISCH

Der

PATRIARCH

von Jerusalem

Ein

KLOSTERBRUDER

Ein

EMIR

nebst verschiednen

Mamelucken

des Saladin

 

Die Szene ist in Jerusalem.

[7]Erster Aufzug

Erster Auftritt

Szene: Flur in Nathans Hause.

NATHANvon der Reise kommend.DAJAihm entgegen.

DAJA.

Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,

Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

NATHAN.

Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?

Hab ich denn eher wiederkommen wollen?

Und wiederkommen können? Babylon

Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,

Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin

Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;

Und Schulden einkassieren, ist gewiss

Auch kein Geschäft, das merklich födert, das10

So von der Hand sich schlagen lässt.

DAJA.

    O Nathan,

Wie elend, elend hättet Ihr indes

Hier werden können! Euer Haus …

NATHAN.

    Das brannte.

So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,

Dass ich nur alles schon vernommen habe!

DAJA.

Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

NATHAN.

Dann, Daja, hätten wir ein neues uns

Gebaut; und ein bequemeres.

DAJA.

    Schon wahr! –

Doch Recha wär bei einem Haare mit

Verbrannt.

NATHAN.

    Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –20

Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte

Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt

Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!

Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!

[8]Heraus nur! – Töte mich: und martre mich

Nicht länger. – Ja, sie ist verbrannt.

DAJA.

    Wenn sie

Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

NATHAN.

Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!

O meine Recha!

DAJA.

    Eure? Eure Recha?

NATHAN.

Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,30

Dies Kind mein Kind zu nennen!

DAJA.

    Nennt Ihr alles,

Was Ihr besitzt, mit ebenso viel Rechte

Das Eure?

NATHAN.

    Nichts mit größerm! Alles, was

Ich sonst besitze, hat Natur und Glück

Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein

Dank ich der Tugend.

DAJA.

    O wie teuer lasst

Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!

Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,

Noch Güte heißen kann!

NATHAN.

    In solcher Absicht?

In welcher?

DAJA.

    Mein Gewissen …

NATHAN.

         Daja, lass40

Vor allen Dingen dir erzählen …

DAJA.

    Mein

Gewissen, sag ich …

NATHAN.

    Was in Babylon

Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.

So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe

Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

DAJA.

Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muss ich Euch

Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.

NATHAN.

Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,

Wie Ring und Kette dir gefallen werden,

Die in Damaskus ich dir ausgesucht:50

Verlanget mich zu sehn.

[9]DAJA.

    So seid Ihr nun!

Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

NATHAN.

Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

DAJA.

Und schweig! – Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht

Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?

Und doch …

NATHAN.

    Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,

Das willst du sagen?

DAJA.

    Was ich sagen will,

Das wisst Ihr besser.

NATHAN.

    Nun so schweig!

DAJA.

         Ich schweige.

Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,

Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –60

Nicht kann, – komm’ über Euch!

NATHAN.

    Komm’ über mich! –

Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,

Wenn du mich hintergehst! – Weiß Sie es denn,

Dass ich gekommen bin?

DAJA.

    Das frag ich Euch!

Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.

Noch malet Feuer ihre Phantasie

Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,

Im Wachen schläft ihr Geist: halb weniger

Als Tier, bald mehr als Engel.

NATHAN.

    Armes Kind!

Was sind wir Menschen!

DAJA.

    Diesen Morgen lag70

Sie lange mit verschlossnem Aug’, und war

Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!

Da kommen die Kamele meines Vaters!

Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem

Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,

Dem seines Armes Stütze sich entzog,

[10]Stürzt auf das Küssen. – Ich, zur Pfort’ hinaus!

Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –

Was Wunder! ihre ganze Seele war

Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

NATHAN.

    Bei ihm?80

Bei welchem Ihm?

DAJA.

    Bei ihm, der aus dem Feuer

Sie rettete.

NATHAN.

    Wer war das? wer? – Wo ist er?

Wer rettete mir meine Recha? wer?

DAJA.

Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage

Zuvor, man hier gefangen eingebracht,

Und Saladin begnadigt hatte.

NATHAN.

    Wie?

Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin

Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder

War Recha nicht zu retten? Gott!

DAJA.

    Ohn ihn,

Der seinen unvermuteten Gewinst90

Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

NATHAN.

Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –

Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.

Ihr gabt ihm doch vors Erste, was an Schätzen

Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?

Verspracht ihm mehr? weit mehr?

DAJA.

    Wie konnten wir?

NATHAN.

Nicht? nicht?

DAJA.

    Er kam, und niemand weiß woher.

Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn alle

Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr

Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,100

Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,

Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir

Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme

Mit eins er vor uns stand, im starken Arm

Empor sie tragend. Kalt und ungerührt

[11]Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute

Er nieder, drängt sich unters Volk und ist –

Verschwunden!

NATHAN.

    Nicht auf immer, will ich hoffen.

DAJA.

Nachher die ersten Tage sahen wir

Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,110

Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.

Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,

Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch

Die fromme Kreatur zu sehen, die

Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank

Zu seinen Füßen ausgeweinet.

NATHAN.

    Nun?

DAJA.

Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;

Und goss so bittern Spott auf mich besonders …

NATHAN.

Bis dadurch abgeschreckt …

DAJA.

    Nichts weniger!

Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;120

Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.

Was litt ich nicht von ihm! Was hätt ich nicht

Noch gern ertragen! – Aber lange schon

Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,

Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;

Und niemand weiß, wo er geblieben ist. –

Ihr staunt? Ihr sinnt?

NATHAN.

    Ich überdenke mir,

Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl

Für Eindruck machen muss. Sich so verschmäht

Von dem zu finden, den man hochzuschätzen130

Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,

Und doch so angezogen werden; – Traun,

Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,

Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll.

Oft siegt auch keines; und die Phantasie,

Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,

Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald

[12]Das Herz den Kopf muss spielen. – Schlimmer Tausch! –

Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,

Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

DAJA.

    Allein so fromm,140

So liebenswürdig!

NATHAN.

    Ist doch auch geschwärmt!

DAJA.

Vornehmlich Eine – Grille, wenn Ihr wollt,

Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr

Kein irdischer und keines irdischen;

Der Engel einer, deren Schutze sich

Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern

Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,

In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,

Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr

Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?150

Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,

In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann

Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

NATHAN.

Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;

Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –

Sodann such ich den wilden, launigen

Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,

Hiernieden unter uns zu wallen; noch

Beliebt, so ungesittet Ritterschaft

Zu treiben: find ich ihn gewiss; und bring160

Ihn her.

DAJA.

    Ihr unternehmet viel.

NATHAN.

         Macht dann

Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –

Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist

Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –

So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,

Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

DAJA.

Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!

Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

[13]Zweiter Auftritt

RECHAund dieVORIGEN.

RECHA.

So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?

Ich glaubt, Ihr hättet Eure Stimme nur170

Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,

Für Wüsten, was für Ströme trennen uns

Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,

Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?

Die arme Recha, die indes verbrannte! –

Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!

Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen. O!

NATHAN.

Mein Kind! mein liebes Kind!

RECHA.

    Ihr musstet über

Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer

Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich180

Um Euch gezittert, eh das Feuer mir

So nahe kam! Denn seit das Feuer mir

So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben

Erquickung, Labsal, Rettung. – Doch Ihr seid

Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht

Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,

Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen

Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel

Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,

Er winkte meinem Engel, dass er sichtbar190

Auf seinem weißen Fittiche, mich durch

Das Feuer trüge –

NATHAN.

    (Weißem Fittiche!

Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel

Des Tempelherrn.)

RECHA.

    Er sichtbar, sichtbar mich

Durchs Feuer trüg, von seinem Fittiche

Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel

Von Angesicht zu Angesicht gesehn;

Und meinen Engel.

[14]NATHAN.

    Recha wär es wert;

Und würd an ihm nichts Schönres sehn, als er

An ihr.

RECHA (lächelnd).

    Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?200

Dem Engel, oder Euch?

NATHAN.

    Doch hätt auch nur

Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich

Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt; er müsste

Für dich ein Engel sein. Er müsst und würde.

RECHA.

Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;

Es war gewiss ein wirklicher! – Habt Ihr,

Ihr selbst die Möglichkeit, dass Engel sind,

Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben,

Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?

Ich lieb ihn ja.

NATHAN.

    Und er liebt dich; und tut210

Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;

Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit

Für euch getan.

RECHA.

    Das hör ich gern.

NATHAN.

         Wie? weil

Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,

Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr

Gerettet hätte: sollt es darum weniger

Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,

Dass uns die wahren, echten Wunder so

Alltäglich werden können, werden sollen.

Ohn dieses allgemeine Wunder, hätte220

Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je

Genannt, was Kindern bloß so heißen müsste,

Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,

Das Neuste nur verfolgen.

DAJA (zu Nathan).

    Wollt Ihr denn

Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn

Durch solcherlei Subtilitäten ganz

Zersprengen?

[15]NATHAN.

    Lass mich! – Meiner Recha wär

Es Wunders nicht genug, dass sie ein Mensch

Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder

Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!230

Denn wer hat schon gehört, dass Saladin

Je eines Tempelherrn verschont? dass je

Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden

Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit

Mehr als den ledern Gurt geboten, der

Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

RECHA.

Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben

War das kein Tempelherr; er schien es nur. –

Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders

Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;240

Geht keiner in Jerusalem so frei

Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig

Denn einer retten können?

NATHAN.

    Sieh! wie sinnreich.

Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja

Von dir, dass er gefangen hergeschickt

Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

DAJA.

Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt

Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn

Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,

Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.250

Doch da es viele zwanzig Jahre her,

Dass dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,

Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –

So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,

Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.

NATHAN.

Ei, Daja! Warum wäre denn das so

Unglaublich? Doch wohl nicht – wie’s wohl geschieht –

Um lieber etwas noch Unglaublichers

Zu glauben? – Warum hätte Saladin,

Der sein Geschwister insgesamt so liebt,260

In jüngern Jahren einen Bruder nicht

[16]Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen

Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist

Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt

Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?

Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? –

Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich

Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur

Bedürf … verdienen, will ich sagen, Glauben.

DAJA.

Ihr spottet.

NATHAN.

    Weil du meiner spottest. – Doch270

Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung

Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten

Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe

Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –

Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

RECHA.

    Mein Vater!

Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre

Nicht gern.

NATHAN.

    Vielmehr, du lässt dich gern belehren. –

Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;

Der Rücken einer Nase, so vielmehr

Als so geführet; Augenbraunen, die280

Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen

So oder so sich schlängeln; eine Linie,

Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,

Ein Nichts, auf eines wilden Europäers

Gesicht: – und du entkömmst dem Feu’r, in Asien!

Das wär kein Wunder, wundersücht’ges Volk?

Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

DAJA.

Was schadet’s – Nathan, wenn ich sprechen darf –

Bei alledem, von einem Engel lieber

Als einem Menschen sich gerettet denken?290

Fühlt man der ersten unbegreiflichen

Ursache seiner Rettung nicht sich so

Viel näher?

NATHAN.

    Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf

[17]Von Eisen will mit einer silbern Zange

Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst

Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –

Und was es schadet, fragst du? was es schadet?

Was hilft es? dürft ich nur hinwieder fragen. –

Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«,

Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –300

Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –

Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das

Dich rettete, – es sei ein Engel oder

Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,

Gern wieder viele große Dienste tun? –

Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,

Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?

Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;

Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;

Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,310

Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich

Deucht immer, dass ihr selbst und euer Nächster

Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird

Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich

Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher

Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger

Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

DAJA.

Ei freilich hätt ein Mensch, etwas für ihn

Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.

Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!320

Allein er wollte ja, bedurfte ja

So völlig nichts; war in sich, mit sich so

Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel

Sein können.

RECHA.

    Endlich, als er gar verschwand …

NATHAN.

Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen

Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt

Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

[18]DAJA.

Das nun wohl nicht.

NATHAN.

    Nicht, Daja? nicht? – Da sieh

Nun was es schad’t! – Grausame Schwärmerinnen! –

Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! …330

RECHA.

Krank!

DAJA.

    Krank! Er wird doch nicht!

RECHA.

         Welch kalter Schauer

Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst

So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

NATHAN.

    Er ist

Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;

Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,

Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

RECHA.

    Krank! krank!

DAJA.

Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

NATHAN.

Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld

Sich Freunde zu besolden.

RECHA.

    Ah, mein Vater!

NATHAN.

Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,340

Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

RECHA.

Wo? wo?

NATHAN.

    Er, der für eine, die er nie

Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch –

Ins Feu’r sich stürzte …

DAJA.

    Nathan, schonet ihrer!

NATHAN.

Der, was er rettete, nicht näher kennen,

Nicht weiter sehen mocht, – um ihm den Dank

Zu sparen …

DAJA.

    Schonet ihrer, Nathan!

NATHAN.

         Weiter

Auch nicht zu sehn verlangt’, – es wäre denn,

Dass er zum zweiten Mal es retten sollte –

Denn g’nug, es ist ein Mensch …

DAJA.

    Hört auf, und seht!350

NATHAN.

Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts –

Als das Bewusstsein dieser Tat!

[19]DAJA.

    Hört auf!

Ihr tötet sie!

NATHAN.

    Und du hast ihn getötet! –

Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank;

Nicht einmal krank!

RECHA.

    Gewiss? – nicht tot? nicht krank?

NATHAN.

Gewiss, nicht tot! – Denn Gott lohnt Gutes, hier

Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,

Wie viel andächtig schwärmen leichter, als360

Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch

Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zuzeiten

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst –

Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

RECHA.

    Ah,

Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha doch

Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann

Auch wohl verreist nur sein? –

NATHAN.

    Geht! – Allerdings. –

Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick

Ein Muselmann mir die beladenen

Kamele. Kennt ihr ihn?

DAJA.

    Ha! Euer Derwisch.370

NATHAN.

Wer?

DAJA.

    Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

NATHAN.

Al-Hafi? das Al-Hafi?

DAJA.

    Itzt des Sultans

Schatzmeister.

NATHAN.

    Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? –

Er ist’s! – wahrhaftig, ist’s! – kömmt auf uns zu.

Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!

[20]Dritter Auftritt

NATHANund derDERWISCH.

DERWISCH.

Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

NATHAN.

Bist du’s? bist du es nicht? – In dieser Pracht,

Ein Derwisch! …

DERWISCH.

    Nun? warum denn nicht? Lässt sich

Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

NATHAN.

Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,380

Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll’

Aus sich nichts machen lassen.

DERWISCH.

    Beim Propheten!

Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.

Zwar wenn man muss –

NATHAN.

    Muss! Derwisch! – Derwisch muss?

Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?

Was müsst er denn?

DERWISCH.

    Warum man ihn recht bittet,

Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.

NATHAN.

Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Lass dich

Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?

DERWISCH.

Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?390

NATHAN.

Trotz dem, was du geworden!

DERWISCH.

    Könnt ich nicht

Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft

Euch ungelegen wäre?

NATHAN.

    Wenn dein Herz

Noch Derwisch ist, so wag ich’s drauf. Der Kerl

Im Staat, ist nur dein Kleid.

DERWISCH.

    Das auch geehrt

Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär ich

An Eurem Hofe?

NATHAN.

    Derwisch; weiter nichts.

Doch nebenher, wahrscheinlich – Koch.

DERWISCH.

    Nun ja!

[21]Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!

Nicht Kellner auch? Gesteht, dass Saladin400

Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei

Ihm worden.

NATHAN.

    Du? – bei ihm?

DERWISCH.

         Versteht:

Des kleinern Schatzes, – denn des größern waltet

Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

NATHAN.

Sein Haus ist groß.

DERWISCH.

    Und größer, als Ihr glaubt;

Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

NATHAN.

Doch ist den Bettlern Saladin so feind –

DERWISCH.

Dass er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen

Sich vorgesetzt, – und sollt er selbst darüber

Zum Bettler werden.

NATHAN.

    Brav! – So mein ich’s eben.410

DERWISCH.

Er ist’s auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz

Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang

Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch

Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst

Verlaufen –

NATHAN.

    Weil Kanäle sie zum Teil

Verschlingen, die zu füllen oder zu

Verstopfen, gleich unmöglich ist.

DERWISCH.

    Getroffen!

NATHAN.

Ich kenne das!

DERWISCH.

    Es taugt nun freilich nichts,

Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.

Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt’s420

Noch zehnmal weniger.

NATHAN.

    O nicht doch, Derwisch!

Nicht doch!

DERWISCH.

    Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:

Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell’

Euch ab.

[22]NATHAN.

    Was bringt dir deine Stelle?

DERWISCH.

         Mir?

Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.

Denn ist es Ebb’ im Schatz, – wie öfters ist, –

So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,

Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

NATHAN.

Auch Zins vom Zins der Zinsen?

DERWISCH.

    Freilich!

NATHAN.

         Bis

Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.430

DERWISCH.

Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer

    Freundschaft

Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab

Ich sehr auf Euch gerechnet.

NATHAN.

    Wahrlich? Wie

Denn so? wieso denn?

DERWISCH.

    Dass Ihr mir mein Amt

Mit Ehren würdet führen helfen; dass

Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –

Ihr schüttelt?

NATHAN.

    Nun, verstehn wir uns nur recht!

Hier gibt’s zu unterscheiden. – Du? warum

Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,

Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber440

Al-Hafi Defterdar des Saladin,

Der – dem –

DERWISCH.

    Erriet ich’s nicht? Dass Ihr doch immer

So gut als klug, so klug als weise seid? –

Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,

Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da

Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.

Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen

Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,

Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und

Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß450

Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

[23]NATHAN.

Dir ähnlich g’nug!

DERWISCH.

    Und Schach mit ihnen spiele.

NATHAN.

Dein höchstes Gut!

DERWISCH.

    Denkt nur, was mich verführte! –

Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?

Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?

Vermögend wär im Hui den reichsten Bettler

In einen armen Reichen zu verwandeln?

NATHAN.

Das nun wohl nicht.

DERWISCH.

    Weit etwas Abgeschmackters!

Ich fühlte mich zum ersten Mal geschmeichelt;

Durch Saladins gutherz’gen Wahn geschmeichelt –460

NATHAN.

Der war?

DERWISCH.

    »Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern

Zumute sei; ein Bettler habe nur

Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.

Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,

Zu rau. Er gab so unhold, wenn er gab;

Erkundigte so ungestüm sich erst

Nach dem Empfänger; nie zufrieden, dass

Er nur den Mangel kenne, wollt er auch

Des Mangels Ursach’ wissen, um die Gabe

Nach dieser Ursach’ filzig abzuwägen.470

Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild

Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!

Al-Hafi gleich verstopften Röhren nicht,

Die ihre klar und still empfangnen Wasser

So unrein und so sprudelnd wiedergeben.

Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!« –

So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis

Der Gimpel in dem Netze war. – Ich Geck!

Ich eines Gecken Geck!

NATHAN.

    Gemach, mein Derwisch,

Gemach!

DERWISCH.

    Ei was! – Es wär nicht Geckerei,480

Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,

[24]Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und

Ein Menschenfreund an Einzeln scheinen wollen?

Es wär nicht Geckerei, des Höchsten Milde,

Die sonder Auswahl über Bös’ und Gute

Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein

Und Regen sich verbreitet, – nachzuäffen,

Und nicht des Höchsten immer volle Hand

Zu haben? Was? es wär nicht Geckerei …

NATHAN.

Genug! hör auf!

DERWISCH.

    Lasst meiner Geckerei490

Mich doch nur auch erwähnen! – Was? es wäre

Nicht Geckerei, an solchen Geckereien

Die gute Seite dennoch auszuspüren,

Um Anteil, dieser guten Seite wegen,

An dieser Geckerei zu nehmen? He?

Das nicht?

NATHAN.

    Al-Hafi, mache, dass du bald

In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte,

Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch

Zu sein verlernen.

DERWISCH.

    Recht, das fürcht ich auch.

Lebt wohl!

NATHAN.

    So hastig? – Warte doch, Al-Hafi.500

Entläuft dir denn die Wüste? – Warte doch! –

Dass er mich hörte! – He, Al-Hafi! hier! –

Weg ist er; und ich hätt ihn noch so gern

Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,

Dass er ihn kennt.

Vierter Auftritt

DAJAeilig herbei.NATHAN.

DAJA.

    O Nathan, Nathan!

NATHAN.

         Nun?

Was gibt’s?

[25]DAJA.

    Er lässt sich wieder sehn! Er lässt

Sich wieder sehn!

NATHAN.

    Wer, Daja? wer?

DAJA.

         Er! er!

NATHAN.

Er? Er? – Wann lässt sich der nicht sehn! – Ja so,

Nur euer Er heißt er. – Das sollt er nicht!

Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht!510

DAJA.

Er wandelt untern Palmen wieder auf

Und ab; und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln.

NATHAN.

Sie essend? – und als Tempelherr?

DAJA.

    Was quält

Ihr mich? – Ihr gierig Aug’ erriet ihn hinter

Den dicht verschränkten Palmen schon; und folgt

Ihm unverrückt. Sie lässt Euch bitten, – Euch

Beschwören, – ungesäumt ihn anzugehn.

O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,

Ob er hinaufgeht oder weiter ab

Sich schlägt. O eilt!

NATHAN.

    So wie ich vom Kamele520

Gestiegen? – Schickt sich das? – Geh, eile du

Ihm zu; und meld ihm meine Wiederkunft.

Gib acht, der Biedermann hat nur mein Haus

In meinem Absein nicht betreten wollen;

Und kömmt nicht ungern, wenn der Vater selbst

Ihn laden lässt. Geh, sag, ich lass ihn bitten,

Ihn herzlich bitten …

DAJA.

    All umsonst! Er kömmt

Euch nicht. – Denn kurz; er kömmt zu keinem Juden.

NATHAN.

So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten;

Ihn wenigstens mit deinen Augen zu530

Begleiten. – Geh, ich komme gleich dir nach.

(Nathan eilet hinein, und Daja heraus.)

[26]Fünfter Auftritt

Szene: ein Platz mit Palmen,

unter welchen derTEMPELHERRauf und nieder geht. EinKLOSTERBRUDERfolgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.

TEMPELHERR.

Der folgt mir nicht vor langer Weile! – Sieh,

Wie schielt er nach den Händen! – Guter Bruder, …

Ich kann Euch auch wohl Vater nennen; nicht?

KLOSTERBRUDER.

Nur Bruder – Laienbruder nur; zu dienen.

TEMPELHERR.

Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte!

Bei Gott! bei Gott! ich habe nichts –

KLOSTERBRUDER.

    Und doch

Recht warmen Dank! Gott geb’ Euch tausendfach,

Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille

Und nicht die Gabe macht den Geber. – Auch540

Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar

Nicht nachgeschickt.

TEMPELHERR.

    Doch aber nachgeschickt?

KLOSTERBRUDER.

Ja; aus dem Kloster.

TEMPELHERR.

    Wo ich eben jetzt

Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?

KLOSTERBRUDER.

Die Tische waren schon besetzt; komm’ aber

Der Herr nur wieder mit zurück.

TEMPELHERR.

    Wozu?

Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen:

Allein was tut’s? Die Datteln sind ja reif.

KLOSTERBRUDER.

Nehm’ sich der Herr in Acht mit dieser Frucht.

Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft550

Die Milz; macht melancholisches Geblüt.

TEMPELHERR.

Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? –

[27]Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr

Mir doch nicht nachgeschickt?

KLOSTERBRUDER.

    O nein! – Ich soll

Mich nur nach Euch erkunden; auf den Zahn

Euch fühlen.

TEMPELHERR.

    Und das sagt Ihr mir so selbst?

KLOSTERBRUDER.

Warum nicht?

TEMPELHERR.

    (Ein verschmitzter Bruder!) – Hat

Das Kloster Euresgleichen mehr?

KLOSTERBRUDER.

    Weiß nicht.

Ich muss gehorchen, lieber Herr.

TEMPELHERR.

    Und da

Gehorcht Ihr denn auch ohne viel zu klügeln?560

KLOSTERBRUDER.

Wär’s sonst gehorchen, lieber Herr?

TEMPELHERR.

    (Dass doch

Die Einfalt immer recht behält!) – Ihr dürft

Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern

Genauer kennen möchte? – Dass Ihr’s selbst

Nicht seid, will ich wohl schwören.

KLOSTERBRUDER.

    Ziemte mir’s?

Und frommte mir’s?

TEMPELHERR.

    Wem ziemt und frommt es denn,

Dass er so neubegierig ist? Wem denn?

KLOSTERBRUDER.

Dem Patriarchen; muss ich glauben. – Denn

Der sandte mich Euch nach.

TEMPELHERR.

    Der Patriarch?

Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel570

Nicht besser?

KLOSTERBRUDER.

    Kenn ja ich’s!

TEMPELHERR.

         Nun, Bruder? nun? –

Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner. –

Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin,

Der Burg, die mit des Stillstands letzter Stunde

Wir gern erstiegen hätten, um sodann

[28]Auf Sidon loszugehn; – setz ich hinzu:

Selbzwanzigster gefangen und allein

Vom Saladin begnadiget: so weiß

Der Patriarch, was er zu wissen braucht; –

Mehr, als er braucht.

KLOSTERBRUDER.

    Wohl aber schwerlich mehr,580

Als er schon weiß. – Er wüsst auch gern, warum

Der Herr vom Saladin begnadigt worden;

Er ganz allein.

TEMPELHERR.

    Weiß ich das selber? – Schon

Den Hals entblößt, kniet ich auf meinem Mantel,

Den Streich erwartend; als mich schärfer Saladin

Ins Auge fasst, mir näher springt, und winkt.

Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will

Ihm danken; seh sein Aug’ in Tränen: stumm

Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe. – Wie

Nun das zusammenhängt, enträtsle sich590

Der Patriarche selbst.

KLOSTERBRUDER.

    Er schließt daraus,

Dass Gott zu großen, großen Dingen Euch

Müss’ aufbehalten haben.

TEMPELHERR.

    Ja, zu großen!

Ein Judenmädchen aus dem Feu’r zu retten;

Auf Sinai neugier’ge Pilger zu

Geleiten; und dergleichen mehr.

KLOSTERBRUDER.

    Wird schon

Noch kommen! – Ist inzwischen auch nicht übel. –

Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits

Weit wicht’gere Geschäfte für den Herrn.

TEMPELHERR.

So? meint Ihr, Bruder? – Hat er gar Euch schon600

Was merken lassen?

KLOSTERBRUDER.

    Ei, jawohl! – Ich soll

Den Herrn nur erst ergründen, ob er so

Der Mann wohl ist.

TEMPELHERR.

    Nun ja; ergründet nur!

(Ich will doch sehn, wie der ergründet!) – Nun?

[29]KLOSTERBRUDER.

Das Kürz’ste wird wohl sein, dass ich dem Herrn

Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch

Eröffne.

TEMPELHERR.

    Wohl!

KLOSTERBRUDER.

         Er hätte durch den Herrn

Ein Briefchen gern bestellt.

TEMPELHERR.

    Durch mich? Ich bin

Kein Bote. – Das, das wäre das Geschäft,

Das weit glorreicher sei, als Judenmädchen610

Dem Feu’r entreißen?

KLOSTERBRUDER.

    Muss doch wohl! Denn – sagt

Der Patriarch – an diesem Briefchen sei

Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen.

Dies Briefchen wohl bestellt zu haben, – sagt

Der Patriarch, – werd einst im Himmel Gott

Mit einer ganz besondern Krone lohnen.

Und dieser Krone, – sagt der Patriarch, –

Sei niemand würd’ger, als mein Herr.

TEMPELHERR.

    Als ich?

KLOSTERBRUDER.

Denn diese Krone zu verdienen, – sagt

Der Patriarch, – sei schwerlich jemand auch620

Geschickter, als mein Herr.

TEMPELHERR.

    Als ich?

KLOSTERBRUDER.

         Er sei

Hier frei; könn’ überall sich hier besehn;

Versteh’, wie eine Stadt zu stürmen und

Zu schirmen; könne, – sagt der Patriarch, –

Die Stärk’ und Schwäche der von Saladin

Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer

Am besten schätzen, sie am deutlichsten

Den Streitern Gottes, – sagt der Patriarch, –

Beschreiben.

TEMPELHERR.

    Guter Bruder, wenn ich doch

Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüsste.630

KLOSTERBRUDER.

Ja den, – den weiß ich nun wohl nicht so recht.

[30]Das Briefchen aber ist an König Philipp. –

Der Patriarch … Ich hab mich oft gewundert,

Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz

Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet

Von Dingen dieser Welt zu sein herab

Sich lassen kann. Es muss ihm sauer werden.

TEMPELHERR.

Nun dann? der Patriarch? –

KLOSTERBRUDER.

    Weiß ganz genau,

Ganz zuverlässig, wie und wo, wie stark,

Von welcher Seite Saladin, im Fall640

Es völlig wieder losgeht, seinen Feldzug

Eröffnen wird.

TEMPELHERR.

    Das weiß er?

KLOSTERBRUDER.

         Ja, und möcht

Es gern dem König Philipp wissen lassen:

Damit der ungefähr ermessen könne,

Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um

Mit Saladin den Waffenstillestand,

Den Euer Orden schon so brav gebrochen,

Es koste was es wolle, wiederher-

Zustellen.

TEMPELHERR.

    Welch ein Patriarch! – Ja so!

Der liebe tapfre Mann will mich zu keinem650

Gemeinen Boten; will mich – zum Spion. –

Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder,

So viel Ihr mich ergründen können, wär

Das meine Sache nicht. – Ich müsse mich

Noch als Gefangenen betrachten; und

Der Tempelherren einziger Beruf

Sei mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht

Kundschafterei zu treiben.

KLOSTERBRUDER.

    Dacht ich’s doch! –

Will’s auch dem Herrn nicht eben sehr verübeln. –

Zwar kömmt das Beste noch. – Der Patriarch660

Hiernächst hat ausgegattert, wie die Veste

Sich nennt, und wo auf Libanon sie liegt,

[31]In der die ungeheuern Summen stecken,

Mit welchen Saladins vorsicht’ger Vater

Das Heer besoldet, und die Zurüstungen

Des Kriegs bestreitet. Saladin verfügt

Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen

Nach dieser Veste sich, nur kaum begleitet. –

Ihr merkt doch?

TEMPELHERR.

    Nimmermehr!

KLOSTERBRUDER.

         Was wäre da

Wohl leichter, als des Saladins sich zu670

Bemächtigen? den Garaus ihm zu machen? –

Ihr schaudert? – O es haben schon ein paar

Gottsfürcht’ge Maroniten sich erboten,

Wenn nur ein wackrer Mann sie führen wolle,

Das Stück zu wagen.

TEMPELHERR.

    Und der Patriarch

Hätt auch zu diesem wackern Manne mich

Ersehn?

KLOSTERBRUDER.

    Er glaubt, dass König Philipp wohl

Von Ptolemais aus die Hand hierzu

Am besten bieten könne.

TEMPELHERR.

    Mir? mir, Bruder?

Mir? Habt Ihr nicht gehört? nur erst gehört,680

Was für Verbindlichkeit dem Saladin

Ich habe?

KLOSTERBRUDER.

    Wohl hab ich’s gehört.

TEMPELHERR.

         Und doch?

KLOSTERBRUDER.

Ja, – meint der Patriarch, – das wär schon gut:

Gott aber und der Orden …

TEMPELHERR.

    Ändern nichts!

Gebieten mir kein Bubenstück!

KLOSTERBRUDER.

    Gewiss nicht! –

Nur, – meint der Patriarch, – sei Bubenstück

Vor Menschen, nicht auch Bubenstück vor Gott.

[32]TEMPELHERR.

Ich wär dem Saladin mein Leben schuldig:

Und raubt ihm seines?

KLOSTERBRUDER.

    Pfui! – Doch bliebe, – meint

Der Patriarch, – noch immer Saladin690

Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund

Zu sein, kein Recht erwerben könne.

TEMPELHERR.

    Freund?

An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden;

Zum undankbaren Schurken?

KLOSTERBRUDER.

    Allerdings! –

Zwar, – meint der Patriarch, – des Dankes sei

Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns

Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen.

Und da verlauten wolle, – meint der Patriarch, –

Dass Euch nur darum Saladin begnadet,

Weil ihm in Eurer Mien’, in Euerm Wesen,700

So was von seinem Bruder eingeleuchtet …

TEMPELHERR.

Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? –

Ah! wäre das gewiss! Ah, Saladin! –

Wie? die Natur hätt auch nur Einen Zug

Von mir in deines Bruders Form gebildet:

Und dem entspräche nichts in meiner Seele?

Was dem entspräche, könnt ich unterdrücken,

Um einem Patriarchen zu gefallen? –

Natur, so leugst du nicht! So widerspricht

Sich Gott in seinen Werken nicht! – Geht Bruder! –710

Erregt mir meineGalle nicht! – Geht! geht!

KLOSTERBRUDER.

Ich geh; und geh vergnügter, als ich kam.

Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute

Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.

[33]Sechster Auftritt

DerTEMPELHERRundDAJA, die den Tempelherrn schon eine Zeitlang von weiten beobachtet hatte, und sich nun ihm nähert.

DAJA.

Der Klosterbruder, wie mich dünkt, ließ in

Der besten Laun’ ihn nicht. – Doch muss ich mein

Paket nur wagen.

TEMPELHERR.

    Nun, vortrefflich! – Lügt

Das Sprichwort wohl: dass Mönch und Weib, und Weib

Und Mönch des Teufels beide Krallen sind?

Er wirft mich heut aus einer in die andre.720

DAJA.

Was seh ich? – Edler Ritter, Euch? – Gott Dank!

Gott tausend Dank! – Wo habt Ihr denn

Die ganze Zeit gesteckt? – Ihr seid doch wohl

Nicht krank gewesen?

TEMPELHERR.

    Nein.

DAJA.

         Gesund doch?

TEMPELHERR.

              Ja.

DAJA.

Wir waren Euertwegen wahrlich ganz

Bekümmert.

TEMPELHERR.

    So?

DAJA.

         Ihr wart gewiss verreist?

TEMPELHERR.

Erraten!

DAJA.

    Und kamt heut erst wieder?

TEMPELHERR.

         Gestern.

DAJA.

Auch Rechas Vater ist heut angekommen.

Und nun darf Recha doch wohl hoffen?

TEMPELHERR.

    Was?

DAJA.

Warum sie Euch so öfters bitten lassen.730

Ihr Vater ladet Euch nun selber bald

Aufs Dringlichste. Er kömmt von Babylon;

Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen,