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"You better be nice, da hast du was davon", sagt Thomas Hermanns, erfolgreicher Moderator, Regisseur, Entertainer und Gründer des Quatsch Comedy Clubs – und das berühmteste Lächeln im deutschen Fernsehen. In Deutschland gerät gute Laune schnell unter den Verdacht von Oberflächlichkeit oder sogar Dummheit. Wer Erfolg haben will, muss sich eher durchbeißen, als gut gelaunt seine Ziele zu erreichen "All das völlig zu Unrecht!", sagt Thomas Hermanns. Der Mann, der vor über 20 Jahren mit Karaoke und Stand-up-Comedy das unbeschwerte Lachen nach Deutschland importierte, gilt als einer der nettesten Menschen der Unterhaltungsindustrie. Er war schon immer überzeugt davon, dass man freundlich viel besser durchs Leben kommt – und seine Geschichte ist der beste Beweis dafür. Thomas Hermanns Buch ist ein Plädoyer für mehr Mut zur Albernheit, für mehr Authentizität und für "the unendliche power of nice" – eben für ein Leben, das bunter, lustiger und erfolgreicher wird, für jeden, der die hohe Kunst der guten Laune beherrscht ...
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Seitenzahl: 238
Veröffentlichungsjahr: 2019
© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019
Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.
Projektleitung: Maria Hellstern
Lektorat: Alexandra Bauer (textwerk, München)
Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München: Hassân Al Mohtasib
eBook-Herstellung: Lena-Maria Stahl
ISBN 978-3-8338-6934-1
1. Auflage 2019
Bildnachweis
Coverabbildung: Frank Zauritz
Syndication: www.seasons.agency
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Es ist der Tag der großen Let’s Dance-Mottoshow. Auch ohne Kaffee fühle ich mich hellwach, als ich durch das große helle Foyer der MMC Studios in Richtung Garderoben laufe. Denn heute geht es um die magic moments, die besonderen magischen Momente des Lebens. Die Glastür zum Flur, von dem alle wichtigen Räume abgehen – Catering, Künstlergarderoben, Maske –, ist gerade hinter mir ins Schloss gefallen, da läuft mir der Robert Beitsch über den Weg. Der Tänzer grinst, sobald er mich sieht. Sein Blick hat fast etwas Verschwörerisches und ich weiß auch, warum. Heute Abend werden zum ersten Mal in der Geschichte dieser Show zwei Männer miteinander tanzen: Robert und ich. Das finde ich super! »Ich freue mich schon!«, sage ich und klopfe meinem Tanzpartner auf die Schulter. Ich weiß, dass diese Show für ihn ganz besonders stressig ist, da er nicht nur mit mir, sondern auch mit Judith Williams eine Nummer tanzt – dementsprechend musste er in der vergangenen Woche doppelt proben. Auch jetzt wartet Judith bereits auf ihn. »Ich tanze bei ihr gleich den Krebs«, sagt Robert. Überrascht ziehe ich meine Augenbrauen hoch. »Ach so?« Unter einem magischen Moment stelle ich mir etwas anderes vor. Robert erklärt: »Judith hatte doch mal Krebs, deshalb komme ich bei der Nummer als Krebs aus der Kulisse gesprungen und falle sie an. Und sie befreit sich dann von mir.« Ich nicke freundlich und denke: Gut, wenn das ihr magic moment war. Ich fasse das anders auf.
Mein Tanzpartner hebt seine Hand. »Ich muss dann mal zur Probe!«,erklärt er, woraufhin ich mich umdrehe, um zu meiner Garderobe zu laufen, als Julia Dietze aus einer Tür tritt. »Sag mal, Julia, was machst du eigentlich heute?«, frage ich sie. Nachdem wir wochenlang nicht über unsere Tanzthemen gesprochen haben, bin ich nun doch neugierig. Sie sagt:»Ich tanze den Tod meiner Mutter. Zu Knockin’ On Heaven’s Door.« »Oh!«, sage ich betroffen und denke: Das gibt’s doch jetzt gar nicht! Warum sind bei denen denn die magic moments alle so traurig? Bin ich etwa der Einzige mit einem positiven magischen Moment?
Meine Idee war, an diesem Abend vorzutanzen, wie ich mit 17 auf einer Klassenparty dem ersten schwulen Jungen meines Lebens gegenüberstand. Damals musste ich wirklich all meinen Mut zusammennehmen – und meine ganzen Klassenkameraden haben natürlich geglotzt und getuschelt –, aber zumindest war die Katze dann endlich aus dem Sack. Ich weiß heute noch, wie mein ganzer Körper unter Strom stand. Das war magisch! Das, was ich von meinen Mittänzerinnen und -tänzern von der schillernden Let’s Dance-Lounge aus auf der Bühne verfolge, finde ich eher betrüblich. Ständig stirbt jemand oder irgendjemand war gestorben. Und ich sitze da in meinem bunten Pullunder mit Bundfaltenhose und Brillen-Kassengestell und sehe aus wie Jerry Lewis. Um es kurz zu machen: In dieser sonst so heiteren Show bricht plötzlich der Existenzialismus aus. Unter dem Motto »Magischer Moment« hat jeder Tanz – außer meinem – etwas Trauriges, in jedem Einspieler weint irgendwer, nur ich sehe aus wie mein 16-jähriges Ich, das zu Love Is In The Air eine heitere Teenage Opera tanzt. Es ist mal wieder überdeutlich: Ich fasse magic vollkommen anders auf als alle anderen im deutschen Fernsehen. Und wenn wir schon mal beim Thema sind: Mit der Unterhaltung ergeht es mir genauso. Vermutlich haben wir Deutschen wegen unseres permanenten Hangs zur Dramatik den Ruf im Ausland, dass wir Spaßverderber sind …
Nirgendwo auf der ganzen Welt wird gute Laune so kritisch beäugt wie bei uns. Das zeigt sich schon am Umgang der deutschen Presse mit mir als Entertainer. In jeder Kritik, solange ich denken kann, steht irgendetwas über mein Lachen drin, das – wenn ich Glück habe – positiv als »sympathischstes Lächeln im deutschen Fernsehen« beschrieben wird. Manchmal bin ich aber auch »der Dauergrinser«. Auf jeden Fall landen wir immer gleich auf der Wertungsebene. Warum eigentlich? Warum ist Lächeln per se nicht etwas Gutes? Warum kann man sich nicht einfach darüber freuen, wenn jemand nett und gut gelaunt durchs Leben geht? In Deutschland stehen Freundlichkeit und positives Denken, das sich unter anderem im Lachen oder Lächeln ausdrückt, immer gleich unter Generalverdacht: Eigentlich ist man ja ein dummer Mensch, ein unkritischer, einer, der das Leben nicht in seiner deutschen traurigen Tiefe anerkennt.
Wenn im Stadion bei Helene Fischer alle begeistert ihre Arme nach oben reißen, gerät Helene Fischer fast schon unter Faschismusverdacht, weil die denkenden Menschen meinen: Oh Gott! Ein volles Stadion, in dem alle im Rhythmus klatschen! Da heißt es dann sofort: »Das ist doch verdächtig!« Weil Menschen wie Helene nicht nur die Leichtigkeit befördern, sondern auch noch das unhinterfragte Mitklatschen. Je größer die Masse wird, desto stärker der Verdacht, dass wir irgendwie alle Hitler sind.
Sind wir aber nicht.
Wir haben einfach nur Spaß.
Natürlich ahne ich, wo dieser Vorwurf seinen Ursprung hat: Wir leben schließlich im Land der Dichter und Denker, sind das Land von Novalis sowie Xavier Naidoo und berühmt für die Romantik. Das war unsere Hauptexportzeit! Unser Caspar David Friedrich mit seinen düster-melancholischen Bildern von Einsamkeit und Tod. Wir sind nun einmal nicht bekannt für die Leichtigkeit des Rokokos oder die Lebenslust des Barocks, sondern für die Seele, die Innigkeit, die Tiefe, die Todessehnsucht. Wagner. Werther. Weltschmerz. Das sind wir.
Vermutlich musste ich genau deshalb mein ganzes Leben lang gegen Widerstände argumentieren. An der Uni, in der Presse, immer meldeten sich irgendwelche Leute, die mir das Lachen am liebsten verboten hätten und sagten: »Jetzt mach doch mal was Ernsthaftes!« Dabei habe ich Kunst mein ganzes Leben lang ernst genommen. Ich glaube nur nicht, dass Kunst immer schwer und bedrückend daherkommen muss, für mich kann Kunst auch hell, leicht und fröhlich sein – aber leider fällt das für die meisten anderen deutschen Kunstfachleute dann nicht mehr unter den Kunstbegriff …
Wir leben in dem einzigen Land, in der Kunst in E und U unterteilt wird, nur wir Deutschen dröseln ernste Kunst und Unterhaltung konsequent auseinander. Wer sich auf die U-Seite wagt und dabei noch freundlich ist, den trifft – neben dem Verdacht der Dummheit – garantiert der Vorwurf der amerikanischen Oberflächlichkeit. Auch da verstehe ich die Kritik nicht. Ich habe in Amerika gelernt, dass es den Alltag unglaublich erleichtert, wenn die Bäckereiverkäuferin nett ist. Ich will mit der nicht über das Leben und den Tod diskutieren, und es interessiert mich auch nicht, welche Gedichte sie schreibt. Sie soll halt sagen: »Have a nice day!« Und da sind wir bei nice. Nettigkeit ist in Amerika etwas absolut Positives, sie ist das Schmiermittel des Lebens, das dich dort den ganzen Tag begleitet. Das klappt! Dieses böse Sprichwort »Nett ist die kleine Schwester von Scheiße« ist rein deutsch. Das gibt es gar nicht übersetzt, kein Amerikaner würde je sagen: »Nice is the little sister of shit.«
In anderen Ländern weiß man die positive Kraft von »nett« zu schätzen. Hier glaubt man lieber an das Klischee vom traurigen Clown, weshalb auch diese Frage in fast jedem Interview kommt: »Sind Sie nicht eigentlich … privat ein sehr nachdenklicher Mensch?« Dann wehre ich mich immer mit Händen und Füßen dagegen, weil das so klingt, als ob man nur heiter sein dürfte, wenn man anschließend toddepressiv in der Garderobe oder besser noch an der Whiskeyflasche hängt. Aber ich muss alle Miesepeter, Grantler und grauen Herren – und es sind besonders oft Herren – enttäuschen: Meine sonnige Grundeinstellung und meine Überzeugung, dass wir alle gut miteinander umgehen sollten, sind fest in mir verankert. Herumzukritteln, dieses Halb-leere-Glas-Denken, ebendieser Grauschleier, den man hier gerne über alles drüberzieht – das alles ist mir völlig fremd. Ebenso das Ängstliche: »Oh Gott, ich schließe lieber noch ’ne Versicherung ab!« Also dieses Nicht-mutig- und Nicht-dankbar-Sein. Meine Feinde sind genau die, die behaupten: »Nett ist die kleine Schwester von Scheiße!« Denn: Wir brauchen die gute Laune, wir brauchen den netten Umgang und wir brauchen die Show. Ich glaube, dass wir auf der Bühne jeden Abend Harmonie stiften können.
Auch diese Einstellung ist vermutlich schon wieder verdächtig, zumal wir Rheinländer ja generell unter Harmoniesucht-Verdacht stehen, wobei ich immer sage: »Ich bin nicht harmoniesüchtig, ich bin harmoniefähig!« Und das ist ein Riesenunterschied. Für mich ist Harmonie ein Wert, den man anstreben sollte. Da komme ich her. Da kommt meine Familie her. So wurde ich erzogen. Ich finde, wir sollten uns über jedes Konfetti freuen und über jede Showtreppe, über jeden Gag, der ankommt, und über jedes Lied, das gesungen wird, weil wir Spaß genießen sollten! Leben ist halt manchmal bunt – und manchmal eben nicht. Es ist schön, aber auch mal nicht so schön. Umso mehr sollten wir doch die guten Momente feiern und aus Leichtigkeit, Freude, Spaß und Nettigkeit die Kraft schöpfen, mit dem Leben besser umzugehen. Was macht man denn, wenn man Liebeskummer hat? Hört man da Schönberg? Eher nicht! Man geht auch nicht in eine Anselm-Kiefer-Ausstellung, in der die Bilder fast nur grau in grau sind. Wahrscheinlich sitzt man da und hört eher Whitney-Houston-Lieder, weil einen das erst zum Weinen bringt und dann hochhebt. So kommst du durchs Leben. Durch Dinge, die uns auffangen und miteinander verbinden, und nicht durch das, was uns runterzieht und trennt. Wenn wir uns schließlich mit allen Mitmenschen verbunden fühlen, spüren wir: Es wird schon wieder werden!Ich gehöre also eindeutig zur Glas-halb-voll-Fraktion, wobei ich im Grunde meines Herzens ein halb volles Glas durchaus zu wenig finde … Ich will, dass mein Glas immer mindestens zu drei Vierteln gefüllt, besser noch randvoll ist! Ich will Spaß haben, will voller Freude jeden Tag genießen – und das klappt nur mit Nettigkeit. Mit einer echten Nettigkeit, die voller Überzeugung und aus ganzem Herzen gelebt wird. Mein Comedykollege Ole Lehmann hat mich vor Auftritten immer so angekündigt: »Hier kommen 32 Zähne – alle oben.« Das war sein Gag. Das ist und bleibt einfach mein Markenzeichen. Ein absolut positives, finde ich.
Trotzdem fliege ich an diesem Abend nach all den krebstoten Müttern und anderen tränenreichen Stoffen aus der Let’s Dance-Show, nachdem ich zuvor via Liveschalte (im bunten Pullunder!) den Bayerischen Fernsehpreis für 25 Jahre Quatsch Comedy Club entgegennehmen durfte. Im Prinzip ein Preis für 25 Jahre erfolgreiche Nettigkeit. Ich habe also schon viel erreicht, gleichzeitig liegt in Sachen guter Laune noch so einiges an Arbeit vor mir, was man unter anderem daran erkennt, dass selbst bei den magic moments von Let’s Dance wieder einmal das Drama über die Heiterkeit gesiegt hat … Etwas Gutes hat mein Ausscheiden aber auch – mir bleibt immerhin mein absoluter Hasstanz erspart, der in den nächsten Shows dran gewesen wäre: der Paso doble! Und mein Körper freut sich sowieso, diese ganze Tanzerei ist nämlich irre anstrengend.
Deshalb fühle ich mich letztlich dann doch bestätigt: You better be nice – so kommst du besser durchs Leben.
Ich sitze mit der Producerin einer großen deutschen Filmproduktionsfirma und einem verdienten deutschen Drehbuchautor in so einem typisch hippen Medienbüro, in dem es ebenso viele Kaffeesorten zur Auswahl gibt wie in den angesagten Berliner Prenzlauer-Berg-Cafés. Die beiden Filmleute haben mich eingeladen, weil sie – basierend auf meinem ersten Buch Für immer d.i.s.c.o – mein bisheriges Leben verfilmen wollen. Diese Vorstellung finde ich natürlich aufregend, gleichzeitig macht sie mich sehr stolz, denn: Auch wenn ich es ja weiß, so freut es mich doch, wenn andere ebenfalls wahrnehmen, wie sehr ich den Wert guter Unterhaltung – in diesem Buch verkörpert durch die Discomusik – in Deutschland vorantreibe. Meine Schwester Petra sitzt bei diesem Termin neben mir, weil sie mich als Buch- und Filmagentin begleitet. Ich sehe es ihr an: Sie versucht genauso wie ich, ihre eigene Anspannung, die man bei solchen Gesprächen natürlich immer hat, wegzulachen. Es ist schön, sie an meiner Seite zu wissen, schließlich sind wir ein eingespieltes und sehr vertrautes Duo. Gerade übernimmt Petra in dieser Runde den Job, der normalerweise meiner ist: Sie moderiert mich maximal positiv an, bevor ich damit beginne, den Filmleuten aus meinem Leben zu erzählen – von meinen skurrilen Anfängen als Kleinkunst-Liza-Minnelli-Imitator in Nürnberg, meinen Erlebnissen als Performer in New York und davon, wie ich erst Karaoke nach Deutschland brachte und anschließend mit Stand-up-Comedy hier eine ganz neue Industrie gründete. Insgesamt klingt mein Leben fast wie aus einer dieser angesagten Mindstyle-Zeitschriften: Glaube an dich und deine Ziele, ohne dich zu verbiegen oder zu verkaufen, dann wirst du glücklich alles erreichen, was du dir vornimmst! Die Fernsehleute sitzen zuerst mit leuchtenden Augen vor mir, aber nach und nach registriere ich verwundert, dass ihre Gesichter immer länger werden. Schließlich unterbricht mich der Drehbuchautor: »Ich habe Ihr Buch sehr gerne gelesen und alles, was Sie mir gerade darüber hinaus erzählen, fasziniert mich. Aber gibt es denn gar keine Dramen? Gar keine Abgründe in Ihrem Leben?« Ich denke kurz nach: »Abgesehen von der ersten klassisch unglücklichen Liebe zu meinem besten Heteroschulfreund?« Ich gebe mir wirklich Mühe. »Nein!«, sage ich schließlich und schaue hilfesuchend zu meiner Schwester, die ratlos mit den Achseln zuckt. Keine Dramen! Und keine Abgründe! Nun beugt sich die Producerin vor: »Wir könnten Ihre Geschichte vielleicht ja so erzählen, als ob Ihre Mutter Alkoholikerin war.« Sofort taucht vor meinem inneren Auge das Bild meiner liebevollen, fürsorglichen, fröhlichen und hochanständigen Mutter auf, von der ich niemals ein böses Wort gehört habe und die vor allem niemals mit irgendeinem Suchtproblem zu kämpfen hatte. »Auf gar keinen Fall!«, sage ich entsetzt und schüttele meinen Kopf. »Was ist mit Ihrer Schwester«, hakt der Drehbuchautor nach. »Sie könnte doch versucht haben, sich in der Jugend das Leben zu nehmen!« Nun schauen meine Schwester und ich uns an. »Nein! Auch auf gar keinen Fall!«, antworten wir beide entschieden. Unsere Augen werden immer größer. Schließlich kommen die Fernsehleute zu dem Schluss: »Dann taugt Ihre Geschichte leider nicht für einen Film.« Damit ist unser Gespräch beendet und meine Hoffnung auf einen Film über mein Leben erst einmal begraben. Schade eigentlich. Mich haben solche positiven Geschichten immer viel mehr inspiriert, als wenn ich Filme über gescheiterte Existenzen gesehen habe. Aber in Deutschland wünscht man sich nun einmal das Drama, Tränen und die Polizei … Dabei ist es doch mal eine schöne Geschichte, wenn es jemand mit Nettigkeit und guter Laune schafft, nicht nur seine Träume zu verwirklichen, sondern damit auch noch viel Erfolg hat. Ich bin ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man ohne den sinnlosen Einsatz seiner Ellenbogen, aber mit ganz viel Glitzer und Konfetti fast alles erreichen kann, was man will.Aber nein: Die Leute wünschen sich Drama … Ein echtes Dilemma für Menschen, die das Glück haben, glücklich aufzuwachsen!
Schon als kleiner Junge musste ich enttäuscht feststellen, dass sich keiner für meine Geschichten interessierte, in denen es darum ging, wie nett es bei uns zu Hause zuging, oder wie sehr wir beim gemeinsamen Abendessen gelacht hatten. Ich hatte bereits als Kind verstanden: Eine Geschichte wird für die Menschen erst dann interessant, wenn sie so richtig schön dramatisch ist. Und weil ich nicht nur verständig, sondern offenbar auch schon als Kind sehr kreativ war, habe ich mit sechs Jahren irgendwann dem Nachbarsjungen erzählt, dass ich zu Hause immer mit dem Kochlöffel verprügelt werde. Meine Mutter war völlig fassungslos, als die Nachbarin ihr das beim nächsten Treffen auf der Straße besorgt weitererzählte. Sobald wir zu Hause waren, stellte sie mich zur Rede. »Warum erzählst du denn so was?« Ich antwortete: »Na, ich wollte auch mal was erzählen.« Meine Mutter setzte mich auf ihren Schoß und erklärte mir sehr geduldig, warum ich mir solche Sachen nicht ausdenken sollte – und es gab danach wieder kein Drama, nicht mal ein Fernsehverbot oder Hausarrest. Bei uns zu Hause war es einfach zu »nett«. Danach habe ich meinen inneren Kompass ausgerichtet und verinnerlicht, meinen Mitmenschen immer mit viel Achtung und Wertschätzung zu begegnen. Weil ich so groß geworden bin. Niemals habe ich erlebt, dass meine Eltern miteinander gestritten hätten. Kein einziges Mal. Also: Falls es zu hitzigen Wortgefechten gekommen sein sollte, dann heimlich hinter der Tür. Auch sonst haben wir uns in der Familie nie in die Haare bekommen – nicht einmal meine jüngere Schwester und ich, was unter Geschwistern, die altersmäßig vier Jahre auseinanderliegen, vollkommen normal gewesen wäre. Wahrscheinlich streite ich deshalb bis heute äußerst ungern, wobei ich inzwischen natürlich gelernt habe, dass sich das manchmal nicht vermeiden lässt. Allerdings weigere ich mich, das als positiven Zustand zu sehen. Ich empfinde es als negativ und möchte das nicht. Stattdessen freue ich mich, wenn da, wo ich bin, gute Laune herrscht. Wenn die Leute Spaß haben und Spaß machen. Diese Grundeinstellung stammt ebenfalls aus meiner Kindheit: Lachen und Freude stellen bei uns einen Wert dar. Deshalb hat Harmonie für mich auch überhaupt nichts mit Langeweile zu tun. Ganz im Gegenteil: In meiner Familie war es nie langweilig. Noch heute lachen wir gerne über meine Mutter in ihren vielen sensationellen Karnevalsoutfits der 80er-Jahre, zum Beispiel bei ihrem Auftritt als Miss Sauerkraut …
Nach ihrem Umzug von Bochum nach Nürnberg waren meine karnevalsbegeisterten Eltern natürlich sofort in die dortige Rheinländer-Vereinigung eingetreten, anders wäre dieser Kulturschock vermutlich nicht zu verkraften gewesen. Wenn Deutschland eh schon ein Land von Grantlern ist, dann ist Franken eine ihrer Hochburgen! Umgeben von anderen lustigen Rheinländern, konnten meine Eltern nun auch in Nürnberg ihre Karnevalssitzungen abhalten und in lustigen Verkleidungen auftreten. Ich erinnere mich ebenfalls noch sehr gut an meine Mutter als Wildecker Herzbub … Das Absurde war bei uns immer präsent. Schon als Kind habe ich gespürt, dass Albernheit etwas extrem Positives ist und es völlig in Ordnung ist, sich auch mal »grotesk zu machen«. Karneval heißt ja nicht, dass sich alle – wie beim Kölner Kneipenkarneval – Puschelschwänzchen anheften, Plüschohren aufsetzen und als sexy Playboy-Hasen durch die Altstadt hüpfen. Stattdessen brachte mir meine Mutter bei, sollte man den Mut haben, sich mal hässlich zu machen, indem man sich beispielsweise als buckelige Hexe mit einer fetten Warze auf der Nase verkleidet. Es geht um die Albernheit als subversive Kraft gegen die Autorität, in der eine Verkleidung zum Statement wird: »Ich bin gegen eine Uniform! Da bin ich lieber eine Kuh oder ein Zebra!« Bei mir zu Hause war es positiv, sich zum Affen oder zur Kuh zu machen. Du warst deshalb kein dummer Mensch. Du warst einfach lustig. Das war also meine Grundausstattung, mit der ich ins Leben startete: Harmonie war ein Wert, den man mit einem netten Umgang erreichen konnte und auch sollte – und das unbeschwerte Lachen war das Sahnehäubchen obendrauf.
In der Pubertät fand ich diesen schönen Zustand allerdings zunehmend problematisch, da alle meine Freunde ständig Stress mit ihren Eltern hatten. Regelmäßig zog oder flog irgendwer zu Hause aus oder raus. Nur ich nicht. Ich hatte ja früh gelernt, dass es keine Lösung war, schauerliche Geschichten zu erzählen, weshalb ich zwischendurch echte Krisen durchlitt, weil ich dachte: Oh Gott, ich bin so langweilig wie ein Toastbrot! Alle anderen hatten Drama, nur wir nicht! Angefeuert wurden meine pubertären Zweifel an der Richtigkeit unseres leichten Lebens auch in der Schule, denn dort war spätestens ab der Oberstufe eine kritische Grundhaltung gefragt – und zwar zu jedem Thema! Nur der kritische Mensch ist ein schlauer Mensch, der unkritische Mensch gilt in Deutschland als doof. Das haben wir zumindest in den 70er- und 80er-Jahren, als ich zur Schule gegangen bin, ständig eingepaukt bekommen. Wenn ich im Deutschunterricht nach dem Lesen eines Romans geschwärmt hätte: »Ich fand den schön und gut geschrieben«, hätte mich der Lehrer glatt für dumm gehalten. Sobald ich aber so etwas sagte wie: »Na ja, der Autor hat die Prämisse des Titels im dritten Kapitel nicht konsequent durchgezogen«, galt ich als intelligent. Denn kritisch sein war positiv, das hatte ich schon verstanden.
Leichtigkeit – und ihr lautstarker musikalischer Auswuchs in meinem Jugendzimmer: die Pop- und Discomusik – war nicht nur bei den Lehrern verpönt, sondern sogar bei meinen Mitschülern, wodurch ich als bekennender ABBA-Fan auf dem Schulhof ständig unter Beschuss genommen wurde. Denn ABBA ist Pop und Pop ist oberflächlich und langweilig, weil Pop keine Tiefe und keinen Inhalt hat. Bei den Gruppen, die mir als inhaltlich wertvoll vorgesetzt wurden wie Barclay James Harvest, Pink Floyd und Uriah Heep, ging es meist um das Ende der Welt, um die Postapokalypse in Songs von über fünf Minuten – also alles extrem fröhliche Sachen, auf die ich keine Lust hatte. Deshalb empfinde ich eine gewisse Genugtuung, dass die Leute heute noch in ABBA-Filme rennen, während der Uriah-Heep-Film noch immer nicht gedreht und das Barclay-James-Harvest-Musical bis jetzt – Gott sei Dank! – nie geschrieben wurde. Offenbar war ich mit meiner Haltung zur Popkultur doch nicht ganz alleine! Popfans da draußen: Be proud to be Pop!
Als gut gelaunter Rheinländer in Franken fühlte ich mich bisweilen also wie ein Außerirdischer. Besonders verstärkt wurde dieses Gefühl auf meinen ersten Partys – und das nicht nur, weil ich mich anders als meine Freunde für Jungs interessierte. Schon damals waren für eine gute Party meiner Meinung nach eigentlich nur drei Dinge wichtig: tanzbare Musik, die richtigen Leute und natürlich die gleiche Einstellung. Nämlich, dass ich dorthin gehe, um Spaß zu haben. Die Grundvereinbarung lautet nicht: Mir geht es eh nicht gut, dann gehe ich mal zu der Gisela, stelle mich mit einem lauwarmen Bier in die Ecke und warte, dass die Welt besser wird. Das kann nicht funktionieren! Und das wird es auch nicht! Da verstehe ich die Deutschen oft nicht, das macht mich echt ratlos. Es gibt Leute, die auf eine Party gehen und dir sofort ungefragt die intimsten Sachen preisgeben. Die erzählen dir bereits nach zwei Bier vom Selbstmord ihrer Großmutter. Das ist wirklich zu früh! Das würde kein Amerikaner oder Engländer je machen. Das, was hier als »nicht oberflächlich« gilt, ist oft diese viel zu schnelle und viel zu frühe Nähe. Mit völlig fremden Menschen. Es kann doch nicht sein, dass wir nach zehn Minuten über die intimsten Dinge reden. Das soll dann Tiefe sein? Das ist für mich keine Tiefe, das ist Distanzlosigkeit! Völliges Überspringen sämtlicher Höflichkeitsregeln. In solchen Situationen bin ich immer total baff, aber viele Deutsche scheinen sich unter einer guten Party tatsächlich vorzustellen: Sie bringen den Nudelsalat mit und erzählen dann irgendjemandem, den sie noch nicht so gut kennen, wie schrecklich ihr Leben ist. Anschließend gehen sie nach Hause und denken: Das war ein richtig guter und interessanter Abend! So tief! Es ist mir ein Rätsel! Das wäre für mich überhaupt kein guter und erst recht kein interessanter Abend – und das war es auch noch nie. Oft habe ich in den 70er-Jahren vor meinem Nudelsalat gesessen und gedacht: So, jetzt haben wir alles grau gequatscht. Es ist alles schrecklich, wir werden alle sterben. Gute Nacht! Gleichzeitig habe ich aber schon sehr früh gemerkt, dass ich selber die Stimmung auf einer Party drehen konnte, sodass es eine tolle Party wurde und doch noch alle gemeinsam Spaß hatten. Bis heute unterbreche ich gerne mal eine »Wir werden alle sterben«-Partydiskussion mit einem Themawechsel wie »Warum lieben so viele Leute heimlich Eierlikör?«. Oder: »Was war das hässlichste Tierposter an deiner Kinderzimmerwand?« Und dann wird die Party besser. Das Schönste an dieser Erfahrung war: Die ausgelassenen, lustigen, albernen Partys fanden alle viel, viel toller als diese grauen, lauwarmen Bierpartys mit den trüben Themen. Allmählich dämmerte mir: Wer glaubt, dass nette Menschen langweilig sind, hat einfach eine falsche Definition von nett. Tatsächlich beherrscht doch der, der mit einem positiven Blick durchs Leben geht, eine ganz besondere Kunst, nämlich die Kunst der guten Laune. Trotzdem war es manchmal gar nicht so einfach, die Tristesse, die durch das achte Mal Lady in Black von Uriah Heep am Abend noch befeuert wurde, zu durchdringen, weshalb mir schon damals der Gedanke kam: Dafür sollte ich eigentlich Geld kriegen! Denn das, was ich hier gerade leiste, ist im Grunde genommen Arbeit! Moderationsarbeit! Ich habe meinen späteren Weg also früh erkannt, auch wenn ich ihn erst mal nicht konsequent beschritten habe.
Zunächst einmal war ich als deutscher Junge hin- und hergerissen zwischen meiner sonnigen Disposition und meinem Bemühen um intellektuelle Ernsthaftigkeit sowie Anerkennung. Und war deshalb sehr glücklich, als ich meine erste Nische fand, in der ich beides ausleben konnte: in meiner Nürnberger Schwulentheatergruppe. Dort gab es genug alberne Verkleidungen, obwohl die Stücke hochpolitisch waren. Noch zu Schulzeiten gab ich – unmittelbar nach meinem Coming-out – im Cocktailkleid meiner Mutter mein Bühnendebüt als Liza Minnelli in einem Nürnberger alternativen Zentrum, dem berühmten KOMM. Mein Vater, meine Mutter und natürlich auch meine Schwester saßen im Publikum – so wie sie es von den Karnevalssitzungen gewohnt waren. Ihr Sohn im Rüschenkleid: Das war jeck und jeck ist ja gut. Das heißt, sie unterstützten mich ganz selbstverständlich. Dabei hätte es durchaus passieren können, dass sie sich geweigert hätten, zwischen lauter Hippie-Schwulen und Lesben zu sitzen und sich ihren Sohn als Liza Minnelli anzugucken, inklusive einer anschließenden Gruppendiskussion mit den Lesben zum Thema »Ist Travestie frauenfeindlich?«. Da mussten meine Eltern und meine Schwester nämlich auch noch durch. Hier war der Spaß vorbei, denn jetzt wurde es politisch und links. Trotzdem saß meine Familie tapfer in der ersten Reihe und hat sich angehört, was sie im Leben noch nicht interessiert hatte. Das war sicher einer meiner härtesten Auftritte für meine Familie – statt Kölsch Kryptokommunismus! Nach diesem Abend war eines noch klarer: Ich bleibe in meiner Familie jederzeit das geliebte Kind. Diese Sicherheit hat mich immer getragen. Und das war wichtig. Es lagen nämlich unruhige Zeiten vor mir.