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Nichts ist alltäglich. Und so ist es auch in Saarbrücken. Wie ein Mosaik setzt die Stadt sich aus den Leben verschiedenster Menschen zusammen. Jeder verbindet seine eigenen Geschichten mit ihr. Begegnungen in Cafés, Erlebnisse mit Freunden, Stress im Berufsleben oder ein Abend mit der Familie. Jeder Moment ist einzigartig. So wie Saarbrücken selbst. In neun Kurzgeschichten werden Themen wie Freundschaft, Verlust, Heimweh oder Geschwisterliebe aufgegriffen. Die Geschichten zeigen, dass selbst im Kleinen, Großes versteckt sein kann. Benjamin Kelm, Autor und Schauspieler, hat mit seinem Buch eine Hommage an die Stadt Saarbrücken und ihre Bewohner geschrieben, die nicht alltäglich ist.
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Seitenzahl: 66
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www.tredition.de
Benjamin Keim
Nichts ist alltäglich
Kurzgeschichten aus
www.tredition.de
© 2016 Benjamin Keim
Cover-Design & Foto: Michael Braun, www.bgrafik.de
Covermodel: Annabelle Keim
Korrektorat: Martina Keim
1. Auflage
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-7345-1825-6
e-Book
978-3-7345-1827-0
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Tante Hedi
Inhalt
Die Greifvögel von St. Johann
Zeit für Kaffee und Kuchen
Die Millionenvilla
Bekanntschaften
Ab Morgen
Rigatonikönig
Füreinander
Lyoner Schorsch
Telefonat in die Heimat
Die Greifvögel von St. Johann
Still verharren wir auf unserem Aussichtspunkt.
Wir sitzen hier Wochen, Tage, manchmal auch nur wenige Minuten, bis wir uns wieder im freien Fall auf unsere wehrlose Beute stürzen.
Wir kennen keine Gnade.
Würde man es nicht anders vermuten, könnte man annehmen, dass wir uns in der Serengeti befinden. Wie wir auf abgestorbenen, morschen Bäumen sitzen und auf das nächste, kleine, hilflose Tier warten, das wir verspeisen könnten.
Jeder muss hier um sein Überleben kämpfen.
Allerdings stimmt das nicht ganz. Wir sind im Saarland. In Saarbrücken. Am St. Johanner Markt. Und wir sind auch keine mächtigen Greifvögel. Nein.
Wir sind Tauben.
Hier am St. Johanner Markt sind wir die Könige der Lüfte. Zum Observieren sitzen wir auf dem Dach des Karstadtgebäudes, mit perfektem Blick über den Markt und die angrenzenden Gebäude und Marktgassen.
In anderen Städten werden wir auf Plätzen und Märkten leider nicht gerne gesehen.
Aber hier ist es anders. Die Saarbrücker sind sehr offen und freundlich. Die Anwohner wissen, dass wir da sind, um den Markt sauber zu halten und um auf ihn aufzupassen. Wir werden respektiert und wertgeschätzt.
Wenn wir auf dem Marktplatz unterwegs sind, fallen öfters Kommentare wie:
„Ohja, die Tauben, nützliche Vögel! Und was für ein schönes Gefieder!“
„Also ich mag Tiere, egal ob Hase, Maulwurf oder Taube. Sogar Chihuahuas. Hey, wir sind alle Lebewesen.“
„Süß, süß, süüüüüßßß! Taubsiiiiss! Das sind meine Lieblingspokémons.“
Nur von Touristen hören wir ab und zu negative Worte. Das sind einfach Vorurteile, mit denen wir schon unser ganzes Leben zu kämpfen haben:
„Ihhhhh, eigentlich finde ich die total eklig. Diese Ratten der Lüfte! Bahhh! Nicht mal den Dreck können sie richtig wegpicken. So unnötig diese Viecher!“
Doch wir lassen uns nicht beirren.
Kein Krümel eines Brötchens, keine Gurke eines Cheeseburgers von McDonalds bleibt von uns unberührt. Wir sehen es, haben unsere Augen über Generationen hin geschult.
Vor der Zeit, als wir noch nicht hier waren, war der St. Johanner Markt schmutzig und wurde von den Menschen gemieden.
Dank uns ist es anders.
Heute finden hier Weihnachtsmärkte, Konzerte oder Feste statt. Dann haben wir einiges zu tun.
Doch wir tun es gerne.
Batman beschützt Gotham City, wir Saarbrücken.
Genannt werden wir auch „Batdoves“.
Mit offenen Augen fliegen wir durch die Stadt und fühlen uns wie die Beschützer Saarbrückens. Uns entgeht nichts.
So manche Geschichte können wir erzählen…
Zeit für Kaffee und Kuchen
Es war ein dunkles Cafe.
Es gab ein großes Fenster aus Milchglas. Kronleuchter mit Glühbirnen versuchten zwar den großen Raum mit einer offenen Galerie zu beleuchten, aber es gelang ihnen nur spärlich. Der dunkelbraune Teppich schluckte jede Helligkeit. Träge tranken die Leute ihren Kaffee und aßen Kuchen. Marmorkuchen.
Eigentlich schon fast Schokoladenkuchen, da auch dieser kaum aus hellem Teig bestand.
Dass draußen die Sonne strahlte, konnte man sich hier kaum vorstellen. Trotzdem versuchten die Gäste ihren Sonntagnachmittag zu genießen.
„Oma, warum sitzen wir eigentlich hier drin, wenn doch draußen die Sonne scheint?“, fragte Simon seine Großmutter, die eine weiße Perlenkette sowie Perlenstecker am Ohr trug.
„Das ist doch ganz einfach mein Schatz, weil wir hier noch etwas sitzen bleiben müssen. Es ist doch Sonntag, da sitzen wir immer im Cafe, an diesem Tisch. Daran lässt sich einfach nichts ändern. So gerne ich es auch wollte… Und iss mal etwas weiter, dir schmeckt der Kuchen doch, nicht wahr?“
„Das ist doch Blödsinn, Oma. Wir müssen gar nicht hier drinnen sitzen bleiben. Warum sollte uns denn einer aufhalten, wenn wir uns einfach raus setzen? Komm, wir stehen auf und setzen uns raus… Bitte.“
„Nein. Wie gesagt, wir machen das immer…“
„Oh, wer verbietet uns das denn?“
„Niemand, aber…“
„Nichts aber. Da hast du doch deine Antwort.“
„Ach mein Schatz. Es gibt Dinge, die man besser einfach immer beibehält. Es hat schon seinen Grund warum wir hier sitzen. Ich werde es dir schon noch erklären. Irgendwann. Schmeckt dir dein Kuchen?“
„Ja. Schmeckt.“
Simon nahm trotzig seine Gabel und aß noch ein Stück von seinem Kuchen. Dabei schaute er unter sich.
Er mochte es nicht, wenn seine Oma ihm Dinge verschwieg. Mit seinen sieben Jahren war er doch schließlich alt genug, um alles zu verstehen.
Seine Großmutter nahm einen großen Schluck von ihrem Milchkaffee. Sie wirkte gedankenverloren und traurig.
Als ihr Enkel wieder aufblickte, setzte sie ganz automatisch ein Lächeln auf.
„Wir essen hier nun fertig. Dann werden wir noch an der Saar zum Spielplatz am Staden spazieren. Da genießen wir etwas die Sonne. Vielleicht ist Sophia mit ihrer Mutter da und du spielst noch etwas mit ihr, ja?“
„Mhm, okay. Ach Oma, ich mag dieses Café nicht mehr. Es ist so dunkel und alles wirkt… irgendwie tot.“
Sie schwieg für einen kurzen Moment.
„Gut, komm, lass uns gehen. Den Kuchen können wir auch mitnehmen. Du hast Recht.“, sagte sie mit einer zerbrechlichen Stimme.
Simon sprang freudig auf und ging schon mal vor zur Tür.
Er wusste nicht, dass seine Großmutter seine Mutter, das letzte Mal genau in diesem Café, an diesem Tisch gesehen hatte. Sie musste früher los und ließ die beiden im Café zurück. Dass sie auf dem Weg nach Hause von einem Auto erfasst wurde, wurde Simon verschwiegen.
Ihm wurde nur gesagt, dass seine Mutter nun an einem besseren, weit entfernten Ort sei.
Im Himmel.
Von dort aus passe sie immer auf ihn auf und sei in seinem Herzen bei ihm. Aber warum seine Mama ihn nicht trotzdem ab und zu besuchte, verstand er nicht.
Dafür war er noch zu klein.
Die Millionenvilla
Sie saßen zu viert spät abends im kleinen WG-Zimmer von Tim, schauten „The Walking Dead“ und tranken Stubbi.
„Ey, kannst du mir mal noch en Stubbi geben, der Kasten steht links neben dir. Nach den stressigen Vorlesungen heute an der Uni ist ein zweites Bier mehr als angebracht.“, sagte Jens zu Tanja und zeigte mit dem Finger in Richtung des ersehnten Biers.
„Klar, kein Ding. Ich mach es dir grad noch auf.“ Sie nahm die kleine Flasche und schlug mit der Hand auf den Flaschendeckel, den sie an den Bierkasten drückte. Mit einem leisen Flopp flog der Deckel ab und sie reichte ihm das Getränk.
„Ooohh, jetzt halt doch nicht deinen Arm vor den Fernseher! Es wird doch gerade spannend, die Zombies kommen. Dem ersten wurde schon der Kopf zu Matsch gedrückt, sau geil.“, freute sich Robin und er griff in die Chipstüte, die zwischen seinen Beinen auf dem Boden lag.
Das Bier wurde rechtzeitig zum nächsten Miteinem-Messer-das-Zombiegehirn-Durchstechen überreicht, bevor sich Robins Gesicht wieder verfinstern konnte.
„Danke! Tim, du hast noch?!“, fragte Jens.
„Jo, hab noch, danke. Die Serie ist echt so der Hammer. Gepackt hat sie mich vor allem seit dem Gefängnis. Ich glaub ja mittlerweile selbst schon daran, dass wir kurz vor einer Zombieapokalypse stehen könnten.“
„Ach Mann, hör doch auf. Daran glaubst du doch nicht ernsthaft.“, machte Jens ihn an.
„Doch! Warum denn nicht?! Heute passiert so viel Scheiß. Es wird so viel rumgeforscht, neue Stoffe entwickelt, mit Viren experimentiert, da würde es mich nicht wundern, wenn einer Murks baut und ‘nen Zombievirus erschafft. Und schwups hat es die ganze Menschheit. Naja, oder fast. Wir würden natürlich überleben.“, grinste er.