Nie zu spät für ein Date - Christian Lorenz - E-Book

Nie zu spät für ein Date E-Book

Christian Lorenz

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Beschreibung

Dr. Christian Lorenz, Jahrgang 1948, war lange Jahre als Journalist und Verleger tätig. Stand dabei die fachliche Berichterstattung im Vordergrund, so waren es dann in späteren Jahren heitere Begebenheiten aus dem Leben des Autors, die ihn zu Büchern animierten. Sein erstes Buch, „Groß genug für kleine Sünden“ (2012) schildert Erlebnisse aus pubertären Jugendzeiten, und nun in  reiferem Alter schließt sich ein Kreis. Das Thema taucht wieder auf:  Alterspubertät. „Nie zu spät für ein Date“ ist der Versuch, auch gerade dieser Lebensphase lustige Seiten abzugewinnen.   Männer neigen in dieser Phase zu übermäßiger Aktivität. Sie beginnen zu laufen, schwitzen sich in Fitnessstudios ab, oder kaufen sich zumindest ein Motorrad. Sie testen ihre Wirkung auf das weibliche Geschlecht, bevorzugt auf Jüngere. Gleichzeitig  fragen sie sich aber auch, ob ihre sexuelle Aktivität noch in der Norm liegt.   Auch Frauen wollen sich in dieser Zeit neu entdecken. Die Kinder sind aus dem Haus, es bleibt Zeit, neue Erfahrungen zu machen.  Manche tun das auf innerliche Art und beschäftigen sich mit Spiritualität oder Esoterik. Andere finden neue soziale oder  humanitäre Aufgaben. Auch die eigene künstlerische Begabung wird ausgelotet. Die Beziehung tritt in eine neue Phase und die Frage taucht auf. „War’s das schon oder kommt da noch was?“  Oder: „Eigentlich hätt‘ ich noch Lust auf mehr.“ Das führt auch bei manchen Frauen zu auffälligen Verhaltensänderungen.   Während die ersten Bücher aus rein persönlichem Erleben entstanden sind, lässt sich der Autor in den vorliegenden Erzählungen auch reichlich Raum für Eingebung und Fantasie. Das Ziel bleibt aber, Verhaltensweisen und  Figuren so lebensnah zu zeichnen, dass die Leserschaft in der einen oder anderen auch ihre eigenen Erfahrungen wiederfindet.     

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Christian Lorenz

Nie zu spät für ein Date

Geschichten über die zweite Pubertät

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorwort

Christian Lorenz

 

Nie zu spät für ein Date

 

Geschichten von der zweiten Pubertät

 

 

 

Vorwort

 

Im Alter noch jugendlich sein. Das ist ein gern gemachtes und gern gehörtes Kompliment. Für viele auch ein abgenutztes. Die Reiseveranstalter, die Gesundheits- und Fitnessbranche strapazieren über Maßen Bilder aktiver Senioren, blendend aussehend und gut in Form. Grauhaarige Models verstrahlen Lebenslust und folgen freudig den Versprechungen der Pharmaproduzenten für beschwerdefreies Altern. Jugendliche Oldies sind längst Lieblingsobjekte der Werbung, gelten sie doch auch als konsumfreudig.

 

Wer aber richtig beeindrucken will, für den ist jugendlich einfach zu wenig. Jugendlich erscheinen, da kann man nachhelfen, das schafft so mancher. Es geht doch noch einen Schritt weiter zurück: Pubertär. Sie ist gar nicht so selten, die Pubertät im Alter, ja auch bei gefestigten Menschen tritt sie unvermittelt auf. Sie verbringen mehr Zeit vor dem Spiegel. Nicht um die Pickel, sondern um die Falten zu begutachten. Der Körper verändert sich sichtbar, aber nicht unbedingt zum Positiven. Der Entschluss ist gefasst: Weniger Kilo -─ mehr Körpertraining.

 

Männer neigen in dieser Phase zu übermäßiger Aktivität. Sie beginnen zu laufen, schwitzen sich in Fitnessstudios ab, oder kaufen sich zumindest ein Motorrad. Sie testen ihre Wirkung auf das weibliche Geschlecht, bevorzugt auf Jüngere. Gleichzeitig fragen sie sich aber auch, ob ihre sexuelle Aktivität noch in der Norm liegt.

 

Auch Frauen wollen sich in dieser Zeit neu entdecken. Die Kinder sind aus dem Haus, es bleibt Zeit, neue Erfahrungen zu machen. Manche tun das auf innerliche Art und beschäftigen sich mit Spiritualität oder Esoterik. Andere finden neue soziale oder humanitäre Aufgaben. Auch die eigene künstlerische Begabung wird ausgelotet. Die Beziehung tritt in eine neue Phase und die Frage taucht auf. „War’s das schon oder kommt da noch was?“ Oder: „Eigentlich hätt‘ ich noch Lust auf mehr.“ Das führt auch bei manchen Frauen zu auffälligen Verhaltensänderungen.

 

Jedenfalls kann die Alterspubertät oft auch sehr heiter sein, weil an sich normale Menschen plötzlich verrückte Sachen machen. Dieses Buch enthält einige humorvolle Erzählungen über die zweite Pubertät, entstanden aus eigenen Beobachtungen des Autors. Daraus sind Romanfiguren hervorgegangen, die aber durchaus Ähnlichkeiten mit lebenden Menschen haben, wie die geschätzte Leserschaft vielleicht auch feststellen kann.

 

Zum Schluss noch ein Warnhinweis: Das Buch ist für unter 30Jährige nicht geeignet!

 

Nie zu spät für ein Date

Soviel freudestrahlende Menschen reiferen Alters hatte Rudi Tiefenbacher noch nie gesehen. Im Vorraum des großzügig ausgestatteten Büros blickten sie von einer großen Wand selig herab. Die Bilder kamen offensichtlich alle aus demselben Fotostudio, die Glücksposen zeigten auffallende Ähnlichkeiten. Erwartungsfroh betrat er das vielgelobte Institut. Sollte er dereinst auch von dieser Wand strahlen?

Kurz prüfte er den Sitz seines sehr bequem geschnittenen Trachtenanzugs. Von seiner stattlichen Erscheinung überzeugt, legte er keinen Wert auf modischen Chic. Das derbe Leinenhemd stand offen, die klobigen Schuhe vermittelten Bodenständigkeit, der feste Schritt Entschlossenheit und das exakt gescheitelte, kurz geschnittene Haar Geradlinigkeit.

 

Rudi Tiefentaler öffnete die dick gepolsterte Tür mit der Aufschrift „Empfang“ und stand in einem großen, elegant gestylten Raum den mehrere Vintage-Möbel zierten. Die bequeme Ledergarnitur, die kleine Bar in der Ecke, die exotischen Topfpflanzen, die dezente Hintergrundmusik und das sanfte Licht wirkten behaglich. Eigentlich legte Rudi Tiefenthaler auf solche Inszenierungen keinen Wert, fühlte sich aber durch die Stimmung im Raum dennoch angeregt. Dazu trug vor allem die anziehende Frau bei, die ihm gegenüber Platz genommen hatte.

 

„Was darf ich Ihnen anbieten?“, eröffnete sie mit einladender Geste das Gespräch. Rudi Tiefenbacher verstand nicht gleich und blickte sie fragend an.

„Kaffee, Tee, Mineralwasser?“

„Ach so, das meinen Sie.“ Er hatte statt einer solchen Höflichkeitsfrage eigentlich gleich Konkretes erwartet. Nun zögerte er kurz.

„Nun wenn sie mich so fragen, am liebsten Kaffee ohne Milch und ohne Zucker.“

„Aber gern, ganz wie Sie wünschen, mein Herr“

Elegant erhob Tamara Sikova sich aus der Ledergarnitur und steuerte die Kaffeemaschine neben der Bar an. „Da bin ich ganz bei Ihnen, ich mag‘s auch kräftig:“

 

Es trat eine kurze Pause ein, während der Rudi Tiefenbacher die auf dem Tisch liegenden Papiere durchsah. Aufnahmeprotokolle, Testbögen, Persönlichkeitsprofile, Präsentationsvorschläge waren da zu finden. Das wollte er sich gar nicht erst anfangen. Um kurz zu überlegen, nippte er einige Male an der Kaffeetasse.

Tamara Sikova öffnete eine Mappe, der sie einige Papiere entnahm.

„Ihre persönlichen Daten haben wir ja schon. wenn Sie das jetzt bitte noch ausfüllen, wir erstellen danach gleich Ihr aussagekräftiges Persönlichkeitsprofil“. Dann überreichte sie ihm drei verschieden farbige Formulare.

 

Also das kam jetzt für Rudi Tiefenbacher überhaupt nicht infrage. Ja er empfand es eigentlich als Zumutung. Auch wenn die Aufforderung mit atemberaubendem Augenaufschlag vorgetragen wurde. Verdammt fesche Frau, dachte er, aber das kann sie nicht von mir erwarten. Dann erhob er sich schwungvoll aus der weichen Polsterbank und versuchte ein überlegenes Lächeln aufzusetzen.

 

„Das brauchen wir nicht. Schaun‘ Sie mich an!“

Das brachte Tamara Sikova keineswegs in Verlegenheit. Männer zu taxieren gehörte schließlich zu ihrem Beruf. Sieh da, ein ansehnliches

Exemplar, schien ihr Nicken zu zeigen. Ja mehr noch: Ganz langsam ließ sie ihren Blick von seinen Beinen nach oben gleiten. Als sich Tamara Sikova dann zurücklehnte, ihre Arme über die Lehne breitete, ihre wohlgeformten Beine übereinander schlug und ihn lange aus großen dunklen Augen ansah, wurde Rudi Tiefenbacher dann doch unruhig. Sein Lächeln wich erwartungsvoller Ungeduld: „Und?“

Nach einer kleinen Pause kam die erhoffte Antwort.

„Ja sie haben Recht! Natürlich haben sie noch alle Chancen bei den Frauen. Auch mit 72…“

 

Die erotisch-dunkle Stimme und der charmante slovakische Akzent unterstrichen das eindrücklich. Tamara Sikova verstand sich auf die Eitelkeiten von Männern. Ihrer attraktiven Erscheinung bewusst, gab sie ihnen das Gefühl, nicht nur mit einem emotionslosen Beratungsgespräch dienen zu können, sondern auch sehr persönlich auf sie einzugehen. Ganz so, als wollte sie sich selbst zum Testobjekt machen.

 

Der Schüchterne, der gar nicht wagt, den Blick auf ihre offen gezeigte Fraulichkeit zu richten. Der Großspurige, der glaubt, gleich seine Männlichkeit unter Beweis stellen zu müssen. Der Skeptische, der fürchtet, wieder einmal hereingelegt zu werden. Noch bevor sie in ein näheres Gespräch eintrat, wusste sie mit weiblichem Spürsinn und erfahrenem Blick, die meisten Kunden schon einzuordnen.

 

Dieser hier schien ihr ein einfacher Fall zu sein. Ein selbstsicherer Mann, mit einem unkomplizierten Verhältnis zu Frauen. Kein Träumer, der die Märchenprinzessin sucht. Keiner, der Verführungsspiele oder erotische Raffinessen liebt. Wohl auch keiner, der eine Partnerin übermäßig verwöhnt.

 

Nach langer Ehe war Rudi Tiefenbacher zum Witwer geworden, dachte aber nicht daran, allein zu bleiben. Schon wenige Monate nach dem Tod seiner Frau, suchte er wieder eine wie sie. Eine mit Bodenhaftung, eine Unkomplizierte, eine, die anpackt und auch eine, mit der man lachen kann. Eine, die auch seinen rustikalen Humor versteht.

 

In seiner Heimatgemeinde Lilienfeld nach einer neuen Partnerin zu suchen, kam jedoch nicht in Frage. Da hatte der erfolgreiche Geschäftsmann einige missgünstige Mitbewohner. Da gab es auch ein paar Tratsch-süchtige Lästermäuler, die christliche Moral vorgaben, um sich dann über andere das Maul zu zerreißen. Nein, undenkbar hier schon so bald mit einer Neuen aufzutauchen. Eigentlich fiel ihm da auch gar keine ein, die zu ihm passen würde.

 

Rudi Tiefenbacher verband mit seiner Heimatgemeinde ein zwiespältiges Verhältnis. Da gab es die kleinstädtische Enge, die Traditionsverbundenheit in Kameradschaftsbund, Heimat- und Trachtenverein. Da gab es in der Schulstadt Lilienfeld aber auch viel aufgeschlossene Lehrer und sportbegeisterte junge Menschen, wie in der Skihauptschule. Er selbst liebte die dicht bewaldeten

sanften Voralpenberge seiner Heimat, die ja sein Lebensraum und sein Arbeitsplatz waren.

 

Als Waldbesitzer, Forstmaschinenhändler und Hobby-Landwirt, war er keiner, den es in die Ferne zog. Statt zu reisen, befasste er sich lieber mit seiner Traktoren-Sammlung. Auch die Wochenenden verbrachte er bevorzugt mit Fischen, Jagen oder Schwammerlsuche. Bei Kulturausflügen oder Verwandtenbesuchen machte er meist nur seiner Frau zuliebe mit.

 

Seine Kinder würden ihm eine neue Frau sicher nicht nachtragen. Ganz im Gegenteil. „Die Mama hätt’s net wolln“, hatte er mehrmals von der Tochter gehört, wenn sie über das Alleinbleiben sprachen. Auf die neue Idee, mit der er es nun versuchen wollte, hatte ihn erst sein Sohn Klaus gebracht. Der war ja ein erfolgreicher Personalvermittler für leitendes Management. „Da find ich sicher das beste Institut für dich“, hatte er den Vater überrascht.

 

„Ein Heiratsbüro, so was brauch ich nicht, ich doch nicht…“ Zunächst war Rudi Tiefenbacher ja sehr verwundert über den Vorschlag. Nach dem Zureden seiner Kinder, die ihm nach wie vor beste Chancen bei der Weiblichkeit bescheinigten, reizte es ihn aber dann doch. Mit seiner männlichen Ausstrahlung war er nach wie vor zu packen. Scheu oder schüchtern war der Erfolgsmensch ja ohnehin nie und mehr zu bieten als die meisten Altersgenossen hatte er allemal. „Wenn auch nichts wird daraus, den Spaß mach ich mir“, hatte sich Rudi Tiefenbacher plötzlich unternehmungslustig gezeigt, als dann von seinem Sohn der konkrete Vorschlag kam:

 

„ Geh‘ zu Age without borders. Die haben die besten Bewertungen, die höchsten Erfolgsquoten, die sind Marktführer bei Senioren“

Das klang zwar sehr geschäftsmäßig, aber schließlich war er ja auch Geschäftsmann. Ganz sicher würde er sich sehr gut verkaufen.

Ebenso sicher war er, die üblicherweise verlangten Unterlagen, wie Lebenslauf, berufliche Stellung, Interessen und Vorlieben nicht abzuliefern und dachte auch nicht daran, die von ihm erwarteten Eigenschaften und Vorzüge in irgendein Formular einzutragen.

 

Nein, was er mitgebracht hatte, sollte wohl reichen: Ein großformatiges Hochglanzfoto im Lederrahmen. Ein großgewachsener Mann in Stiefeln, Jeans und weit geöffnetem Flanellhemd war da zu sehen. Am Kopf einen breitkrempigen Filzhut, der tief ins Gesicht reichte, in der Hand eine riesige Axt, mit der er mitleidlos auf einen Baumstamm einschlug. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, trumpfte Rudi Tiefenbacher auf und richtete seinen festen Blick erwartungsvoll auf Tamara Sikova.

 

Sie gab sich beeindruckt, nickte anerkennend und ließ ein lautes „Wow!“ folgen. Ganz offensichtlich hatte sie sich nicht geirrt. Der Mann auf dem Foto und der Mann, der vor ihr stand, passten genau ins Bild. Entschlossen, und selbstsicher. Einer, der gradlinig auf sein Ziel lossteuert, bei dem Frauen wissen, was sie erwartet, und was nicht.

 

„Das sind mir eigentlich die liebsten“, dachte Tamara Sikova. Da ist das Geschäft meist schnell gemacht, da ist der Aufwand nicht groß. Auf den Typ fahren immer noch viele ab, ich muss nur weiter auf seiner Linie bleiben. Sie tauchten ja immer wieder bei ihr auf: Die alternden Männer, die auf jugendlich und sportlich machten. Fast alle hatten sie auch die entsprechenden Fotos dabei.

 

Da gab es doch unlängst den korpulenten Endfünfziger, der seinen Bauch in einen engen Neoprenanzug gezwängt hatte, um als Sporttaucher posieren zu können. Der hohlwangige, spartanische Typ, der mit stahlhartem Blick dem Ziel des Seniorenlaufs entgegenlief, war ihr auch noch in Erinnerung. Wie er mit diesem Schreckensbild die reifere Weiblichkeit ansprechen wollte, war nur schwer zu verstehen, aber Kundenwünschen mussten natürlich erfüllt werden.

Auch der spätberufene Biker, der sich hinter dem Visier seines Motorradhelms verbarg, weckte Zweifel, ob er mit seiner schweren Maschine in die Herzen der Damen fahren würde.

 

Doch dieser hier, war sich Tamara Sikova sicher, der kommt authentisch

rüber. Ein rustikaler, unkomplizierter Typ. Dem nimmt man den Holzfäller ab, er firmiert ja schließlich auch als Forstwirt und Maschinenhändler.

„Wenn ich mir Sie so anschaue, Herr Tiefenbacher, kann ich Ihnen nur Recht geben. Da müssen wir nicht groß ein Profil anlegen. Das Bild spricht für sich“.

 

Da war doch jetzt echte Bewunderung heraus zu hören, da fühlte er sich jetzt von ihr ganz persönlich angesprochen, ja ihr aufmunternder Blick machte ihn sogar ein wenig nervös. Keine Frage, ein Pfundskerl war er immer noch. Aber gehört das jetzt nur zum Geschäft oder sollte sich dieses Prachtweib tatsächlich für ihn interessieren?

 

„Nun, irgendetwas müssen wir ja doch in die Anzeige schreiben, auch wenn Sie am Foto sicher sehr attraktiv aussehen“, schmeichelte Tamara Sikova. „Vielleicht etwas Originelles, Lustiges, Anregendes. Bestens situiert, intelligent, humorvoll, mitfühlend, kulturinteressiert und reisefreudig, diese Selbstbewertungen kennt man ja ohnehin. Ein Mann, der nur das in Aussicht stellt, macht wohl keine unserer Kundinnen liebestoll.“

 

„…und? Traut sie mir das sehr wohl zu…?“ Rudi Tiefenbacher wurde etwas kurzatmig. Sie suchte jetzt hier im Büro sicher keine Annäherung, aber Ihr vielsagendes Lächeln ließ durchaus Platz für Fantasie.

 

Ohne den Blick von ihm zu wenden, griff Tamara zu einem am Tisch liegenden Handy und gab eine Anweisung an eine Mitarbeiterin. „Wir brauchen nur das vision lay out.“ Dann nickte sie zuversichtlich: „Das ist genau das Richtige für Sie, Herr Tiefentaler“. Kurz darauf betrat eine junge Frau freundlich grüßend den Raum und nahm nach einem kurzen „Darf ich?“ das Bild an sich.

 

Das folgende Gespräch über Registrierungsgebühr, monatliche Flatrate und Kontaktgarantie suchte Rudi Tiefentaler so kurz wie möglich zu halten. Nur keine kleinlichen Kostendiskussionen. Das habe ich nicht nötig. Mit einer lockeren Handbewegung gab er sein Einverständnis und nach kurzer Prüfung unterschrieb er den von Tamara Sikova mit einladender Geste und liebevollen Lächeln präsentierten Vertrag. Er tat es ganz im Stile eines routinierten Geschäftsmannes, der genau weiß was er will.

 

Tamara Sikova bedankte sich beim neuen Klienten für seine klaren Vorstellungen und seine unkomplizierte Art. Danach folgten noch einige Hinweise auf die absolute Seriosität und den hervorragenden Ruf des Instituts „Age without borders“. Die Erklärung über die einzuhaltenden Spielregeln ließ er dann etwas unwillig über sich ergehen, war er doch davon überzeugt, beim Umgang mit Frauen immer richtig zu liegen. Mit seiner offenen und ehrlichen Art konnte er doch sicher sein, den richtigen Ton zu treffen. Täuschungen, Übertreibungen oder Fantastereien waren seine Sache nicht, da brauchte er keine Anweisungen, auch wenn sie auf sehr charmante Art kamen.

 

Seinerseits holte Rudi Tiefenbacher einige Erkundigungen über das Unternehmen ein. Es gehörte einem gewissen Jürgen Plank, früher Besitzer einer Werbeagentur und nunmehr Chef von „Age without borders“, einem Institut mit sechs Beschäftigten. „Das heißt natürlich nicht, dass bei uns nur alte Leute auf Partnersuche sind“, erklärte Tamara Sikova. „Unsere eigentlichen Zielgruppen sind Best Ager, Silver Boys und Golden Girls.“

 

Naja, ein Mann in den sogenannten besten Jahren, war Rudi Tiefenbacher nun nicht mehr. Das musste ihm bei aller Selbstsicherheit klar sein. Aber auf die besten Jahre könnten durchaus noch einige gute folgen, da war er doch recht zuversichtlich. Er war gesund, wohlhabend, hatte wunderbare Kinder und jetzt konnte er vielleicht auch noch ein weibliches Wesen finden, mit dem er auf angenehme Weise ein wenig Zeit verbringen durfte. Den schmerzlichen Verlust seiner geliebten Frau konnte ihm wohl keine vergessen machen, aber zumindest für Unterhaltung und Abwechslung sorgen.

 

Aus diesen Gedanken riss ihn die junge Mitarbeiterin, die mit einem Tablet den Raum betrat. Mit verheißungsvollem Blick legte sie es vor Rudi Tiefentaler auf den Tisch: „Bitte sehr, mein Herr, das Vision lay out. Sie müssen nur noch den gewünschten Text einfügen, aber bitte nicht zu viel. Das Bild spricht ja bei Ihnen ohnehin für sich. Wenn Sie wünschen belassen wir den Text auch gerne in Ihrer Handschrift. Manche Damen finden das persönlicher. Vielleicht können sie in wenigen Worten ihre Traumfrau beschreiben.“

 

Das war doch jetzt etwas anmaßend von dem jungen Ding, diese Erklärung hätte er nicht gebraucht. „Ich bin kein Träumer und suche auch keine Traumfrau“, brummte er. Nein er hatte ganz klare Vorstellungen. Unkompliziert, bodenständig und humorvoll sollte sie sein. Im Idealfall auch Verständnis für seine Traktor-Leidenschaft haben. Das auszudrücken, kann doch nicht so schwer sein.

 

Tamara Sikova wies die vorlaute junge Mitarbeiterin an, sich wieder zurückzuziehen. Wie eine Kostbarkeit reichte sie ihrem Gegenüber mit zwei Fingern ihrer gepflegten Hand einen rosa Stick und schob mit einladendem Lächeln das Tablet näher heran. „Damit können Sie direkt in Ihre Anzeige hineinschreiben.“

 

Rudi Tiefentaler musterte das ungewohnte Schreibgerät zunächst etwas misstrauisch. Mit diesem klobigen Stift ließen sich wohl kaum empfindsame Worte schreiben. War aber auch nicht notwendig. Er wusste ja, was er wollte und da passte eine kräftige, energische Schrift ohnehin besser. Viel Platz für ausschweifende Wünsche gab es auch nicht. Die Frau, mit der er künftig seine Freizeit teilen wollte, musste klipp und klar beschrieben werden. Trotz aller Kürze sollte es aber auch humorvoll sein.

 

In gespannter Erwartung beobachtete Tamara Sikova, wie er etwas umständlich seine Lesebrille aus der Brusttasche seines Trachtenjankers fingerte. Sollte der mannhafte Bewerber, vielleicht doch etwas nervös sein? Da wollen wir doch noch etwas nachlegen, dachte sie: „Sie brauchen sich nicht beeilen“, sagte sie in ihrem reizvollen Akzent, um dann mit einnehmendem Lächeln hinzuzufügen: „Wir beide hier haben alle Zeit der Welt“

 

Es bedurfte einiger weiterer Schlucke Kaffee bis Rudi Tiefentaler sich dann gesammelt hatte. Er blickte auf das leere Textfeld, dann auf Tamara Sikova, dann wieder auf das Textfeld, ganz so als müsse er um die passenden Worte ringen. Eigentlich war er sich über den Text schon längst klar, aber es machte ihm Spaß, immer wieder in das erwartungsvolle Gesicht von Tamara Sikova zu blicken.

 

Sie ließ keinerlei Ungeduld erkennen, ja bot sogar an, sich zurückzuziehen, um ihn nicht durcheinander zu bringen. Nein, das musste er natürlich ablehnen. Ihn konnte niemand durcheinander bringen, auch nicht eine Frau von solch verwirrender Erotik. Er wusste, was er schreiben sollte und wollte es nur ein wenig spannend machen.

 

Noch ein kurzes Zögern, noch ein bedeutungsvoller Blick auf die Frau, die ihn gespannt beobachtete. Dann griff er entschlossen zum Schreibgerät und verfiel plötzlich in ein breites Grinsen. Trotz seines Alters wirkte er wie ein übermütiger Lausbub, der einen Streich ausheckte. Nur wenige Worte waren es, die in großer Schrift ins Textfeld setzte. Danach folgte noch ein kraftvolles Rufzeichen. Selbstzufrieden nickend wendete er das Tablet und nun konnte es auch Tamara Sikova sehen.

 

Tatkräftiger Forstwirt sucht

ebensolche Frau mit Traktor.

Bild vom Traktor erbeten !

 

Sekundenlang starrte sie ungläubig auf das Tablet. Hatte sie das wirklich richtig verstanden, das konnte doch nur eine Narretei sein.

 

Das war doch dem hölzernen Alten nicht zuzutrauen. Doch dann konnte sie es auch in Rudi Tiefentalers listig verkniffenem Gesicht lesen: „Na, was sagst du jetzt, da staunst du wohl, was ich mich traue.“

 

Was für ein Bild, dachte sie. Der raue Holzfäller, der die Axt schwingt, nicht der galante Verehrer, der die feine Klinge führt. Einer, der mit Holzhammer-Humor die Aufmerksamkeit der Damenwelt finden will, und nicht mit abgedroschenen Liebesversprechen. Vielleicht gab es ja wirklich Frauen, die dieses Ansinnen nicht total respektlos fanden, sondern sogar erst richtig neugierig wurden.

 

Nach kurzer Zeit der Überlegung blickte sie noch einmal auf das Bild des grauhaarigen Holzfällers und ging den seltsamen, in energischer Handschrift verfassten Text durch. Dann hob sie leicht zweifelnd den Blick und sah lange prüfend in das verschmitzte Gesicht des alten Mannes. Rudi Tiefenthaler kostete die Überraschung aus, die ihm da gelungen war, dann begann er vergnügt zu lachen. Jetzt konnte auch Tamara Sikova nicht mehr anders. Es war wie eine Befreiung, als sie lautstark einstimmte.

 

Ihr seltsamer Klient war unvermittelt zur Lachnummer geworden, und das in voller Absicht. Mit einem Mal war sie nicht mehr die stilvolle, attraktive Empfangsdame mit der betont femininen Ausstrahlung, sondern ließ sich haltlos lachend aufs Sofa zurückfallen, beugte sich dann wieder vor und klatschte mit den Händen auf den Tisch: Es dauerte eine Zeit, bis sie wieder zu einer verständlichen Sprache fand. „Also so etwas…, hab ich ja wirklich noch nicht erlebt…,“ gluckste sie übermütig.

Das Weib macht ja nicht nur auf Sexy-Biene, es versteht ja auch Spaß, stellte Rudi Tiefenthaler überrascht fest. Auf den ersten Blick die männermordende Superfrau, kann sie sich auch ganz natürlich und fröhlich zeigen.

 

Daraus wird sicher noch eine spaßige Geschichte werden, stellte sich Rudi Tiefenbacher vor. Da werden die Damen staunen. So etwas wie mich gab es bei „Age without borders“ wohl noch nie. Klar, dass sich da ein paar Neugierige melden werden. Möglicherweise nicht gleich direkt. Vielleicht werden sie sich erst im Büro erkundigen, ob das ernst gemeint ist. Und die fesche Frau Sikova? Die wird doch sicher keine Spaßverderberin sein.

 

Nein, das wollte sie nicht. Auch nicht, als sie Rudi Tiefenbacher verabschiedet hatte, und beim Betreten des Chef-Büros in das erstaunte Gesicht von Jürgen Plank blickte. Ganz offenbar hatte er schon vom neuen Kunden und seiner kuriosen Anzeige erfahren.

 

 

„Das können wird doch nicht machen, Häschen, wir sind ja kein Spaßverein.“

„Mach dir keine Sorgen, mein Lieber. Der Kerl ist originell, seine Anmache ist originell, da gibt es sicher Weiber, die darauf abfahren. Wir können unsere Oldies doch ruhig einmal mit flotten, lustigen Sprüchen anheizen.“

Meist vertraute Jürgen Plank seiner Tamara. Sie hatte ein untrügliches Gespür dafür, mit welchen Kunden Geschäft zu machen war. Da mischte er sich nur selten ein, da überließ er ihr die Führungsrolle.

 

Tamara Sikova war 48 Jahre alt, kam aus der Slowakei und war dort ein begehrtes Model gewesen. Als sie in Bratislava einen 18 Jahre älteren Mann kennengelernt und wenig später geheiratet hatte, änderte sich ihr Leben. Der hohe Beamte des Innenministeriums sah es gar nicht gerne, dass seine Frau „ihren Körper an die Werbewirtschaft verkauft“, wie er ihr immer wieder vorhielt. Als Tamara dann Mutter zweier Mädchen wurde, unterstützte er sie soweit, dass sie sich selbständig machen konnte und selbst eine Model-Agentur gründete. Slowakische Models waren vielfach gefragt und das Geschäft lief so gut, dass sie rasch finanziell unabhängig wurde. Die großen Aufträge wurden aber im Ausland, vor allem in Deutschland und Österreich vergeben. So zog Tamara mit ihren zwei Töchtern nach Salzburg. Der Angetraute folgte ihr nicht. Ihm war seine Beamtenposten in der Slowakei wichtiger und bald trennten sich ihre Wege völlig.

 

Es war auch in Salzburg, wo Tamara Sikova eines Tages auf Jürgen Plank stieß. Er war dort unter anderem als Werber für Motorradfirmen tätig. Seine Werbelinie mit den leichtbekleideten Mädchen auf den schweren Maschinen war eine Zeit lang sehr erfolgreich. Nicht zuletzt wegen der attraktiven Models von Tamaras Agentur. Ihr Geschick im Umgang mit den meist männlichen Auftraggebern war Jürgen gleich aufgefallen. Da trat sie einerseits als seriöse Business-Lady auf, präsentierte aber zum anderen ihre Models mit erotischer Raffinesse. Als dann die Motorrad-Werbung ausgelaufen war, lief sein Geschäft nicht mehr so gut. Da hatte er sich aber bereits in Tamara verknallt. Jürgens Planks großer Wunsch war es, mit Tamara weiter zusammenzuarbeiten. Ihr großes Talent als Vermittlerin könnte doch auch anders genutzt, die gemeinsamen Agentur-Erfahrungen auch anders eingesetzt werden. Zum Beispiel in Liebesdingen. Menschen zusammenzubringen, war doch ihre Stärke. Das Geschäftliche zu organisieren, würde er übernehmen.

 

Zu Jürgens großer Freude willigte Tamara ein. Schon lange genug hatte sie sich mit profitgeilen Werbebossen und zickigen Models herumgeschlagen. Es war Zeit für eine ganz neue, spannende Aufgabe. Ganz neu hieß auch, keine Partneragentur wie jede andere. Nein, eine ganz spezielle für Oldies. „Age wihout borders“ war geboren.

Jürgen Plank war sehr von sich eingenommen, auf sein Äußeres bedacht und um eine sportliche Erscheinung bemüht. Eben einer von den Männern, die Tamara Sikova sehr gut zu nehmen wusste, und so war er ihr auch gleich verfallen. Sie war ja nicht eines der Models mit den ausdruckslosen Puppengesichtern gewesen, die so gar nichts auf den Rippen hatten und mit strickenden dünnen Beinen über den Catwalk stelzten. Nein, sie hatte Werbung gemacht für Dinge, die Männer mögen, wie Autos, Bier und Sportgeräte. Und natürlich auch wohlgeformte Frauen…

 

Aber auch mit Frohsinn und lockerer Unbefangenheit wusste sie Männer anzuziehen. Dabei gab sie ihnen das Gefühl, genau der Typ zu sein, auf den sie anspringt. Bei Jürgen Plank fiel ihr das nicht schwer, war er doch ein charmanter Plauderer, der wusste, was Frauen lieben. Er wusste aber auch, was Mädchen lieben und konnte mit Tamaras Töchtern sehr gut umgehen. Das war durchaus nicht selbstverständlich, befand sich doch die eine in der frühpubertären. die andere in der spätpubertären Phase. Den freundlichen und zärtlichen Liebhaber ihrer Mutter mochten aber beide.

 

Nun war ja auch Jürgen Plank Vater einer Tochter. Sie entstammte einer langjährigen Liebespartnerschaft mit einer bekannten Salzburger Geschäftsfrau, die allerdings wenig Bereitschaft zur Bildung einer Familie zeigte. Sie war in der Tourismusbranche unterwegs und überantwortete das Kind häufig der Obhut des Vaters. Als dann die Trennung erfolgte, ging das Mädchen mit dem Vater nach Wien, und studierte dort Kunstgeschichte.

 

So sehr Jürgen Plank sein „Häschen“ schätzte, von dem neuen Kunden, den sie an Land gezogen hatte, war er gar nicht begeistert. „Sei mir nicht böse, meine Liebe, aber das geht doch nicht. Wir sind doch ein seriöses Institut“

Tamara lachte und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Seriöses Institut? Du kennst doch auch unsere speziellen Kunden mit den speziellen Wünschen. Jene, die direkt ins Büro kommen, weil sie sich nicht trauen, das zu schreiben.“

„Jaja Häschen, ich weiß, du bist ja sooo hilfsbereit.“

„Klar bin ich das“, erklärte Tamara wieder ganz ernst. „Manche haben mit Anzeigen kein Glück, die kommen dann halt direkt zu mir. Vielleicht rege ich auch ihre Fantasie an. Da biete ich dann mal Spezielles an, auch wenn das vielleicht nicht immer ganz seriös ist.“

 

Offiziell hieß dieses Angebot „Single Coaching“. Oft richtete es sich an alleinstehende Männer auf der Suche nach der Frau fürs Leben, manchmal aber auch an Abenteuerlustige, die einfach nur Spaß und Abwechslung suchten. Das Erstgespräch war immer kostenlos, und manch einen interessierte die attraktive Gesprächspartnerin zunächst mehr als die Suche nach einer passenden Kandidatin. So entwickelte sich das „Single Coaching“ öfters zu einem anregenden Geplänkel, bei dem der Bewerber in seiner erotischen Ausstrahlung auf Frauen bestärkt werden sollte. Tamara gelang es immer wieder virtuos, Männer jeden Alters zu ermuntern, ihre Liebeswünsche auch offen auszusprechen.

 

Jürgen Plank hatte bei Tamaras Spezialangeboten immer Bauchweh, bewegten sie sich doch mitunter am Rande der Legalität. Obwohl er selbst in jüngeren Jahren auch kein Kostverächter war, wollte er nicht mehr an fragwürdige Bekanntschaften erinnert werden. Da hatte er einige Erlebnisse mit seinem umtriebigen Schulfreund Charlie Hecht. Es war eine für ihn unbekannte Szene, in die er von Charlie eingeführt wurde.

 

Während des Studiums hatten sich ihre Wege getrennt. Jürgen studierte einige Semester Werbung und Marketing. Was Charlie studierte, war nie wirklich klar, jedenfalls arbeitete er unter anderem als Türsteher in einer Nachtbar. Schnell erkannte er, wie das Geschäft lief. Er brachte es zum Barkeeper, avancierte zum Geschäftsführer und nach wenigen Jahren pachtete er schließlich den Schuppen.

 

Charlie wollte aber seinen Kunden mehr bieten als heiße Musik und coole Drinks. Von den Damen, die regelmäßig die Bar besuchten, suchte er mit einigen den Kontakt. Mit jenen, die ihm von Aussehen und Niveau her zusagten, gründete er schließlich einen Escort-Service, der sehr gerne in Anspruch genommen wurde. Auch von Jürgen Plank.

 

 

Früher, als sie noch gute Freunde waren, hatte Jürgen Plank ziemlich viel Zeit in Charlies Bar verbracht. Seit er aber mit Tamara zusammen war, wollte er nicht mehr an alte Zeiten erinnert werden und mied den Kontakt mit Charlie so gut es ging. Eher zufällig waren sie einander dann wieder bei einem Rock-Konzert auf der Donauinsel begegnet, das er Tamara zuliebe besucht hatte.

 

Noch lange danach erinnerte sich Jürgen Plank mit Schrecken daran. Tamara hatte ihn mehrfach darum gebeten, sie zu begleiten: „Beim Inselfest weist du ja nie, welche Prolos dich dort anbaggern“. Natürlich war er da mit dabei. Warum sollte man mit 63 zu keinem Rock-Konzert gehen? Als Bodyguard eine schöne Frau beschützen. Eine ganz neue Rolle, bei der er ganz neue Qualitäten zeigen konnte. „Keine Angst, Häschen, wenn dir da einer blöd kommt, dem reiße ich…“

„Ich weiß…“ unterbrach ihn Tamara. Sie mochte keine Obszönitäten. „…Mit dir fühle ich mich überall sicher. Mit deinem Auftreten, da hältst du mir alle vom Leibe, da brauchst du gar nicht erst handgreiflich werden.“

 

Nun, allzu kultiviert wollte er sich aber auch nicht zeigen. Nicht bei einem Rockkonzert. Das Ledergellet auf nacktem braungebranntem Oberkörper, die ausgefranste, löchrige Jean, das schwarze Kopftuch, die schwere Halskette und die dicke Horn-Sonnenbrille mussten einfach sein. Da sah er doch aus, wie ein ziemlich jugendlicher Rockfan, der noch das volle Programm mitgeht.

 

Nicht ganz so cool machte sich die große Jutetasche, in der nicht nur Getränke und Regenkleidung verstaut waren. Auch ein kleiner Klappsessel lugte hervor. Die lange Wartezeit bis zum Konzertbeginn stehend zu verbringen, wäre wohl nicht ganz ohne Hüftschmerzen abgegangen. Eine Decke sollte auch nicht fehlen. Vielleicht gäbe es am Anfang noch genug Platz, um sich hinzulegen. In Woodstock haben sie sich schließlich ja auch auf der Wiese gewälzt…

 

Für Tamara war das nun gar nicht wichtig. Sie wollte ganz vorne stehen, damit die Musiker sie auch gut sehen konnten, in ihrem Minirock und dem hautengen T-Shirt. Eine echte Provokation, dachte Jürgen Plank, bewunderte aber gleichzeitig Tamaras nach wie vor umwerfende Figur.

Er hätte sich ja nicht unbedingt zur Bühne drängen müssen. Da könnte es schon sein, dass die Bässe unerträglich aufs Ohr drückten. Sein Häschen wird es ja vielleicht nicht merken, wenn er unauffällig zu Oropax greift. Einen Tinitus kann ja wirklich niemand brauchen.

 

Für die Decke war in Bühnennähe natürlich kein Platz. Der Klappsessel aber war trotz manch abschätziger Blicke eine gute Entscheidung. Sie waren ganz zeitig gekommen und es dauerte noch fast zwei Stunden bis zum Konzertbeginn. Danach stand man sich ja ohnehin noch die Füße in den Bauch. Weitere zwei Stunden lang. Die Sohlen der Lederboots brannten, die Hüfte schmerzte und der Kopf brummte. Das schwarze Kopftuch passte zwar zum Rocker-Outfit, in der prallen Nachmittagssonne wäre ein luftiger Strohhut vielleicht doch besser gewesen.

 

Neben ihm, Tamara, schwang sich leichtfüßig zu heißen Rhythmen und stupste ihn immer wieder aufreizend mit Po und Hüften an. Anfangs hatte ihn das noch aufgemuntert und er erwiderte ihre Berührungen in gleicher Weise. Bald aber wurden seine Bewegungen kraft- und schwunglos und entbehrten schließlich jeder Erotik. Tamaras Interesse galt aber ohnehin nur mehr den scharfen Boys auf der Bühne. Wiederholt feuerte sie die Band mit lauten Zurufen an, die dann am Ende jeder Nummer zu schrillen Schreien wurden. Immer wieder hoch hüpfend klatschte sie begeistert in die Hände. Leicht zweifelnd bewunderte Jürgen Plank seine Tamara. Konnte er in seinem Alter diesem weiblichen Temperament noch etwas entgegensetzen?

 

Zuerst hatte er ja auch noch stürmisch über dem Kopf geklatscht, dann nur noch kraftlos unter dem Bauch. Irgendwie ging es ihm gar nicht mehr gut. Das rings um ihn wogende Meer hochgestreckter Arme machte ihn schwindlig. Vielleicht war es ja auch ein leichter Hitzschlag. Die drei Dosen Bier waren in der schwülheißen Luft möglicherweise auch zu viel, und so fürchtete der Bodyguard ernstlich, im Sanitätszelt zu landen.

 

Ja, und das hatte dann noch gefehlt: Als er sich unsicheren Schrittes mit Tamaras Unterstützung auf den Heimweg machte, war ihm doch sein Schulfreund Charlie über den Weg gelaufen. Die Erklärungen, woher er ihn kannte, hätte er sich gerne erspart. Er wollte nichts als nach Hause.

Es war eher gezwungene Freude gewesen, mit der er Charlie begrüßt und ihm Tamara als seine neue Begleitung vorstellt hatte. Der betont gesellig auftretende Freund aus Jugendtagen tat so, als wären sie beide noch ganz die Alten.

 

„Waast no Oida…?“ Unnötig lange hatte ihn Charlie noch mit alten Geschichten aufgehalten. Tamara jedoch, war seinen aufdringlichen Sprüchen interessiert lächelnd gefolgt. Er hatte sich gleich selbst vorgestellt und auch kurz seinen Weg vom Türsteher, bis zum Barbesitzer geschildert. Mehr als peinlich: Auch sein Escort-Service war nicht unerwähnt geblieben. Als sich Jürgen Plank endlich in die U-Bahn geflüchtet hatte, wusste er noch nicht, dass diese Begegnung Folgen haben würde.

 

Sehr bald hatte Tamara von Charlies Nebenbetrieben erfahren. Kurioserweise war dann sie es, die hier ein mögliches Zusatzgeschäft für „Age without borders“ witterte und den Kontakt zu ihm suchte.

Natürlich hatte das Jürgen Plank nicht gefallen, aber letztlich war es Tamara gelungen, ihn von dem erfolgversprechenden Zusatzangebot zu überzeugen. Es waren ja nur diskrete, unverbindliche Empfehlungen, die sie aufgeschlossenen Kunden durchaus taktvoll anbieten konnte. Die dafür notwendigen erotischen Fantasien zu wecken, fiel ihr ja ohnehin nicht schwer. „Welches Partnerinstitut kann das schon?“, hörte Jürgen Plank immer wieder. Dank Tamara lief das Geschäft gut und reibungslos. Also strich er die Provisionen ein und schwieg.

 

Jürgens ehemalige Freundschaft mit Charlie Hecht störte Tamara keineswegs. Die Zusatzangebote, die Charlies Escort-Service bot, waren vielfältig. Nach Tamaras diskreter Empfehlung konnten sie von speziellen Kunden direkt bei Charlie Hecht gebucht werden.

 

Da gab es einmal die ganz seriösen, wie die repräsentative Abendbegleitung für den Nobelball, die kunstsinnige Dame für den Opernbesuch und die niveauvolle Gesellschafterin für das Charity-Event. Wer es gerne besonders stilvoll liebte, für den stand das Wochenende im Fünfsterne-Hotel bereit, erlesener Zimmerservice inbegriffen. In der unteren Preisklasse gab es dann immerhin noch den diskreten Hinweis auf Charlies Swinger-Club.

 

Dieses Diskont-Angebot hatte Jürgen Plank nie gefallen. Da gab es zu viele Leute, die vielleicht erzählten, woher sie den Tipp haben.

„Du wirst den Tiefenbacher doch um Gottes willen nicht dorthin schicken, wenn sich auf seine blödsinnige Anzeige niemand meldet“, war Jürgen Plank sogleich besorgt

„Keine Angst, mein Schatz, der findet eine, ich hab das im Gespür“ beruhigte Tamara. „Und übrigens der Swinger-Club…, der ist ganz seriös. Da wird niemand zu etwas gedrängt. Die zu Charlie Hecht weiter empfohlenen Kunden kommen da nur mit ausgesuchter Begleitung. Auch sonst sind dort meist Pärchen, keine lästigen Spanner oder verklemmten Muttersöhnchen.“

„Du kennst dich ja da gut aus.“

„Na klar, ich muss doch sehen, wohin wir unsere Leute schicken. War schon zweimal dort, natürlich nur als Beobachterin. Du solltest auch einmal mitkommen, mein Schatz, vielleicht macht uns das wieder einmal richtig an. Natürlich nicht am Single-Tag sondern am Tag für Paare. Ganz solid. Gemeinsam hin, gemeinsam zurück.“

Jürgen Plank schüttelte entrüstet den Kopf: „Was soll das heißen? Wozu brauchen wir das? Wir doch nicht…“

Tamara beließ es bei einem hintergründigem Lächeln.

„Außerdem ist das etwas für jüngere Leute, die etwas ausprobieren wollen. Was soll ich da mit meinem Alter“

„Du irrst dich, mein Schatz. Da sind fast nur Ältere. Die meisten Jungen wollen so etwas nicht oder sie trauen sich nicht. Mit deinen 63 Jahren und deiner Erscheinung bist du da sicher voll dabei.“

 

Jürgen Plank war nun keiner, der Komplimente bescheiden zurückwies. Im Gegenteil: Er war inzwischen in einem Alter, in dem man gar nicht genug Bestätigungen für sein hervorragendes Aussehen bekommen konnte. Auf dieses aber hätte er gerne verzichtet. Eigentlich war er richtig verärgert über diesen Vorschlag. Er, Jürgen Plank, Agenturchef und erfolgreicher Geschäftsmann, sollte zum Rudelbumsen gehen. Mit irgendwelchen hemmungslosen, ordinären Weibern, und das auch noch in Charley Hechts anrüchigem Schuppen.

 

Dort wieder hinzugehen, noch dazu mit Tamara, das wollte er sich gar nicht erst nicht vorstellen. Da wird sich wohl nicht viel geändert haben, dachte er. Von außen gesehen war es immer noch die alte Kellerbar, nur auf der neuen Homepage sah sie vielleicht ein wenig hübscher aus. Nicht nur Barhocker, sondern auch bequeme Polstergarnituren waren da zu sehen. Die Wände frisch gestrichen, hübsche Leuchten statt der Lichtorgeln und ein paar Pflanzen. Vielleicht ja auch dezentere Musik und nettere Bedienung.