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"Nirvana ist unser höchstes Ziel. Es ist das Schönste, was wir in diesem Leben verwirklichen können." Thich Nhat Hanh Der bekannte Zen-Meister Thich Nhat Hanh erklärt anhand eines alten buddhistischen Textes, wie Erleuchtung in unserem lauten Alltag verwirklicht werden kann. Viele Menschen glauben, dass Nirvana ein entfernter Ort der Glückseligkeit sei. Doch schon der Buddha lehrte, dass es nur im Hier und Jetzt zu finden ist. Vor diesem Hintergrund erläutert Thich Nhat Hanh in diesem buddhistischen Standardwerk die 36 Verse aus dem "Kapitel über Nirvana" des Chinesischen Dharmapada. Er zeigt, wie sehr unser Denken, Reden und Handeln unsere Zukunft bestimmen und wie wir tiefen Frieden und geistige Ruhe in jedem Augenblick verwirklich können. Mit Achtsamkeit und Meditation können wir unserem Leben eine neue, heilsame Richtung geben. Sobald wir bewusst mitbekommen, was in unserem Geist wirklich geschieht, eröffnen sich uns Möglichkeiten für unser Sein. Wir können frei werden von allen einengenden Vorstellungen - empfänglich für die große Freiheit. "Nirvana ist ein Wunsch, der sehr tief geht. Stellen Sie sich vor, Sie wachen um vier Uhr morgens auf. Der Mond und die Sterne leuchten hell am Himmel. Die Bäume erwachen mit dem Rauschen des Windes. Alles, was Sie tun müssen, ist, unter Ihrer warmen Bettdecke hervorzuschlüpfen, sich etwas anzuziehen und hinauszugehen, um die Schönheit dieser Nacht zu genießen. Dieses Glück ist vergleichbar mit Nirvana, wir müssen uns aufmachen und empfänglich werden für die große Freiheit."
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Seitenzahl: 168
Thich Nhat Hanh
Die Lehre von der großen Freiheit im Hier und Jetzt
Aus dem amerikanischen Englisch von Ursula Richard
Knaur eBooks
»Nirvana ist unser höchstes Ziel. Es ist das Schönste, was wir in diesem Leben verwirklichen können.« Thich Nhat Hanh
Der bekannte Zen-Meister Thich Nhat Hanh erklärt anhand eines alten buddhistischen Textes, wie Erleuchtung in unserem lauten Alltag verwirklicht werden kann.
Viele Menschen glauben, dass Nirvana ein entfernter Ort der Glückseligkeit sei. Doch schon der Buddha lehrte, dass es nur im Hier und Jetzt zu finden ist. Vor diesem Hintergrund erläutert Thich Nhat Hanh in diesem buddhistischen Standardwerk die 36 Verse aus dem »Kapitel über Nirvana« des Chinesischen Dharmapada. Er zeigt, wie sehr unser Denken, Reden und Handeln unsere Zukunft bestimmen und wie wir tiefen Frieden und geistige Ruhe in jedem Augenblick verwirklich können.
Mit Achtsamkeit und Meditation können wir unserem Leben eine neue, heilsame Richtung geben. Sobald wir bewusst mitbekommen, was in unserem Geist wirklich geschieht, eröffnen sich uns Möglichkeiten für unser Sein. Wir können frei werden von allen einengenden Vorstellungen - empfänglich für die große Freiheit.
»Nirvana ist ein Wunsch, der sehr tief geht. Stellen Sie sich vor, Sie wachen um vier Uhr morgens auf. Der Mond und die Sterne leuchten hell am Himmel. Die Bäume erwachen mit dem Rauschen des Windes. Alles, was Sie tun müssen, ist, unter Ihrer warmen Bettdecke hervorzuschlüpfen, sich etwas anzuziehen und hinauszugehen, um die Schönheit dieser Nacht zu genießen. Dieses Glück ist vergleichbar mit Nirvana, wir müssen uns aufmachen und empfänglich werden für die große Freiheit.«
Vorwort der englischen Übersetzerin
Einleitung
Zwei Hindernisse: Die Geistesplagen und das Gewusste
Der Pfad zu Nirvāṇa
Auf dem Pfad sein bedeutet Nirvāṇa erfahren
Der Raum außerhalb des Raums
DER TEXT
Einführung in dasNirvāṇa-Kapitel
Die zusammengesetzte Natur des Sūtra
Sūtras mit konventioneller und Sūtras mit tiefer Bedeutung
Über die Übersetzung
Das Nirvāṇa-Kapitel
Nirvāṇa – das Letztendliche genießen
DER KOMMENTAR
Einleitung
Außerhalb von Raum und Zeit
Außerhalb von Worten und Konzepten
In der letztendlichen Dimension ruhen
Die Rolle des Glaubens und die wissenschaftliche Herangehensweise
Der Unterschied zwischen dem, was der Buddha lehrte, und dem, was später hinzugefügt wurde
Relative Wahrheit und absolute Wahrheit stehen nicht im Gegensatz zueinander
Die vier Bereiche des Vertrauens
Kommentar zum Nirvāṇa-Kapitel
Schlussfolgerung: Nirvāṇa im täglichen Leben
Nirvāṇa ist hier und jetzt
Kontakt
Genau hier und genau jetzt kann Nirvāṇa verwirklicht werden – in diesem Leben.
Dieses Buch enthält die erste englische [hier deutsche] Übersetzung des sechsunddreißigsten Kapitels des chinesischen Dharmapada. Dieses Kapitel wird »Das Kapitel über Nirvāṇa« oder »Nirvāṇa-Kapitel« genannt. Im Pali-Dhammapada, das viel bekannter ist als die chinesische Fassung, findet sich dieses Kapitel nicht. Allerdings sind einige der Verse in der Sanskrit-Version des Udānavarga enthalten. Zen-Meister Thich Nhat Hanh hat ein sehr komplexes, prägnantes Chinesisch in ein leicht verständliches Vietnamesisch übersetzt. Ich habe mein Bestes getan, um das Vietnamesische ins Englische zu übertragen. Thich Nhat Hanhs Übersetzung aus dem Chinesischen ist keine wortwörtliche Übertragung, sondern erweitert das sehr verdichtete Chinesisch so, dass es für heutige Leserinnen und Leser verständlich und zugänglich wird. Dies ist auch der Zweck der Kommentare, die in Vorträgen einer Zuhörerschaft aus Laien, Mönchen und Nonnen, einschließlich Dharma-Lehrenden, aber auch Menschen, die mit der Praxis erst begannen, vermittelt wurden.
Den englischen Titel Enjoying the Ultimate (»Das Letztendliche genießen«) hat Thich Nhat Hanh selbst vorgeschlagen. Inspiriert wurde er dabei von einem vietnamesischen Laien-Zen-Meister aus dem dreizehnten Jahrhundert, Tue Trung Thuong, der nach seiner Verwirklichung von Nirvāṇa ein Gedicht über die Freude am freien Umherschweifen in der letztendlichen Dimension verfasst hatte. Er hatte folglich in diesem Leben die Befreiung erfahren, die mit Nirvāṇa verbunden ist.
Thich Nhat Hanh erinnert uns immer wieder an unsere Fähigkeit, Nirvāṇa selbst zu erfahren. Er zeigt uns, dass auch der Buddha dies gelehrt hat und Beweise dafür in den frühen Sūtras zu finden sind: besonders im Udāna, Itivutthaka und Sutta Nipāta. Der Wert dieser Lehren liegt darin, dass sie uns unterstützen, den buddhistischen Weg des Verstehens und der Liebe in unserem täglichen Leben zu gehen. Thich Nhat Hanh hilft uns zu erkennen, dass auch Praktizierende der theistischen Religionen die Lehren über Nirvāṇa bereits anwenden oder dies tun könnten.
Einleitung:
Viele Menschen glauben, dass Nirvāṇa ein Ort des Glücks für erleuchtete Menschen nach ihrem Tod sei. Keine Vorstellung könnte irreführender sein. Der Buddha lehrte viele Male über das Nirvāṇa, das hier und jetzt, in diesem Leben (dṛṣṭadharma-nirvāṇa), verwirklicht werden kann. Nirvāṇa bedeutet Befreiung und Freiheit. Wenn wir in der Lage sind, uns von unseren Geistesplagen1 wie Anhaftung, Hass und Eifersucht zu befreien, und wir uns ebenso von falschen Ansichten wie unseren Vorstellungen von Geburt und Tod, Sein und Nichtsein, Kommen und Gehen und so weiter befreien, können wir im gegenwärtigen Moment mit Nirvāṇa in Berührung kommen.
Haben wir uns einen Dorn eingetreten, werden wir, solange er noch in unserem Fuß steckt, Schmerz empfinden. Ist der Dorn entfernt, fühlen wir uns erleichtert und entspannt. Dieses Wohlgefühl ist eine Art Befreiung und Freiheit; wir müssen nicht sterben, um Befreiung und Freiheit zu spüren. Die gegenwärtigen Geistesplagen von Anhaftung und Hass, falschem Verstehen und Angst erleben wir als sehr unangenehm; wir leiden darunter und fühlen uns niedergedrückt. Geistesplagen und falsche Sichtweisen sind wie Dornen, die wir noch nicht entfernen konnten. Durch jeden entfernten Dorn wird sich ein zusätzliches Wohlgefühl einstellen, und dieses Gefühl ist Nirvāṇa.
Es gibt zwei Barrieren, die uns den Kontakt mit Nirvāṇa versperren: die Geistesplagen oder Geistestrübungen und das Gewusste2. Das Hindernis der Geistesplagen besteht aus Begierde, Hass und Eifersucht. Sie sind wie Flammen, die uns verbrennen. Das Hindernis des Gewussten besteht aus diskriminierenden, dogmatischen und dualistischen Denkgewohnheiten und falschen Ansichten wie dem Glauben an ein getrenntes Selbst und daran, dass die Dinge außerhalb voneinander existieren. Oft halten wir unsere falsche Ansicht für die Wahrheit, aber in Wirklichkeit verdeckt und verschleiert sie die Wahrheit der Dinge. Wenn wir falsche Ansichten transzendieren können, spüren wir einen immensen Raum um uns herum und in uns selbst. Die Flammen, die uns verzehrten, sind erloschen. Nirvāṇa bedeutet das Erlöschen der Flammen der Geistesplagen und das Verschwinden des Hindernisses des Gewussten. Es ist ein Zustand der Ruhe, Kühle, Sicherheit und Freiheit. Es ist der tägliche Verweilort der Menschen, die wir Weise oder Heilige nennen. Im Nirvāṇa-Kapitel steht der Vers:
Das Wild sucht Zuflucht in der freien Natur,
Vögel suchen sie im Himmel …
Die Heiligen verbringen ihre Zeit in Nirvāṇa.
Es gibt einen Praxispfad, eine edle Lebensweise, genannt der Edle Achtfache Pfad3, der mit Rechter Ansicht beginnt. Rechte Ansicht oder Sichtweise transzendiert alle Vorurteile und jeden Dogmatismus, alle dualistischen Denkweisen, alle Vorstellungen von Sein und Nichtsein, Geburt und Tod. Auf Rechter Ansicht gründen Rechtes Denken, Rechte Rede und Rechtes Handeln. Diese Praktiken helfen uns dabei, die Hindernisse der Geistesplagen und des Gewussten allmählich zu entfernen. In dem Maße, in dem wir sie praktizieren, erfahren wir Nirvāṇa.
Diese Hindernisse müssen wir nicht vollständig entfernt haben, um Nirvāṇa zu erfahren. Wenn wir zehn Prozent der Hindernisse der Geistesplagen und des Gewussten transformieren können, haben wir zehn Prozent Nirvāṇa. Sind es neunzig Prozent, werden wir neunzig Prozent Nirvāṇa haben. Die Geistesplagen und das Hindernis des Gewussten, die verbleiben, werden als Überreste bezeichnet. Noch nicht hundertprozentiges Nirvāṇa wird Nirvāṇa mit Überrest genannt. Wenn die verbliebenen Geistesplagen und das Hindernis des Gewussten vollständig transformiert sind, verwirklichen Praktizierende das endgültige Nirvāṇa, genannt Nirvāṇa ohne Überrest. Die auf der Erde lebenden Buddhas und Bodhisattvas sind in der Lage, in diesem Nirvāṇa ohne Überrest zu verweilen. Diese Lehrauffassung findet sich in den frühen Lehren des Buddha.4
Später hat es in der Übertragung der Lehren Fehler gegeben. So entwickelte sich die falsche Vorstellung, dass der erwähnte Überrest sich auf die fünf skandhas5 bezöge. Aus diesem Grund wurde dann angenommen, das letztendliche Nirvāṇa sei nur möglich, wenn es keine Skandhas mehr gebe.
Diese Ansicht führt fälschlicherweise zu der Auffassung, dass Nirvāṇa mit Überrest ein vorübergehender Zustand des Glücks sei, der die restlichen Jahre im Leben jener Praktizierender andauere, die den Pfad verwirklicht haben, und dass nach der Auflösung der fünf Skandhas der ewige Tod folge (Nirvāṇa ohne Überrest).
In den Lehren der Vier Edlen Wahrheiten6 ist die Dritte Wahrheit gleichbedeutend mit Nirvāṇa. Nirvāṇa ist das Zur-Ruhe-Kommen und Erlöschen der Geistesplagen und des Hindernisses des Gewussten. Deshalb wird Nirvāṇa manchmal die Wahrheit des Erlöschens oder Aufhörens (nirodha) genannt. Erlöschen bedeutet die Abwesenheit oder das Zur-Ruhe-Kommen des Leidens; es ist Frieden und Freiheit. Die Vierte Wahrheit ist der Achtfache Pfad (aṣṭāṅgika mārga), der Pfad, der das Ende des Leidens beinhaltet.
Wenn wir die Vier Edlen Wahrheiten auf nichtdualistische Weise verstehen, sind der Pfad und das Erlöschen des Leidens nicht zwei verschiedene Dinge. Auf dem Pfad (die Vierte Edle Wahrheit) erfahren wir auch die Beendigung des Leidens (die Dritte Edle Wahrheit) und das bedeutet: Wir erfahren Nirvāṇa – Nirvāṇa mit Überrest (upādiśeṣa). Sobald wir also die Vierte Edle Wahrheit, den Pfad, zu praktizieren beginnen, kosten wir den Wohlgeschmack von Nirvāṇa. Ob Mönch, Nonne, Laie oder Laiin – wir alle haben die Fähigkeit, mit Nirvāṇa eng verbunden zu sein, während wir die Vierte Edle Wahrheit praktizieren. Deshalb können wir sagen: »Es gibt keinen Weg zu Nirvāṇa; Nirvāṇa ist der Weg.« Dies ist die nichtdualistische Weise, die Vier Edlen Wahrheiten zu verstehen.
Tue Trung Thuong Si, der Autor von Die Aufzeichnungen des Erhabenen Meisters, war ein vietnamesischer Zen-Meister aus dem dreizehnten Jahrhundert. Er war der ältere Bruder von Hung Dao Vuong Tran Quoc Tuan7. Er hat Nirvāṇa als den Raum außerhalb des Raums beschrieben. Der Raum außerhalb des Raums ist unermesslicher als der Raum innerhalb des Raums. In unserem Leben als Mensch sind wir durch Zeit und Raum begrenzt, durch Geburt und Tod, Andauern und Aufhören, Sein und Nichtsein. Das liegt daran, dass unsere Wahrnehmungen durch falsche Sichtweisen und Geistesplagen verdunkelt sind. Wenn wir fähig sind, beide zu überwinden, erreichen wir den Raum außerhalb des Raums, der viel weiträumiger und viel glückverheißender ist. Der Raum außerhalb des Raums ist Nirvāṇa. Das ist kein utopischer Traum. Wenn wir uns auf die Vierte Edle Wahrheit verlassen und unsere Praxis daran orientieren, wird der Raum außerhalb des Raums sofort real. In seinem Gedicht »Gehen in Freiheit« (»Phóng Cuồng«) schrieb Tue Trung: »Mit seinem Stab in der Hand wandert er frei umher im Raum außerhalb des Raums.« Wenn unsere spirituellen Vorfahren dazu in der Lage waren, was sollte uns, ihre Nachkommen, daran hindern, das Gleiche zu tun?
1
Anhand der folgenden Methode können wir das Dharmapada erfolgreich studieren und verstehen.
Als unsere Dharma-Vorfahren das Dharmapada zusammenstellten, versammelten sie Verse unter verschiedenen thematischen Überschriften.8 Sie ordneten sie anders an, als sie in den ursprünglichen Sūtras zu finden waren. Das »Nirvāṇa-Kapitel« ist eine dieser Überschriften. Es gibt noch weitere wie »Unbeständigkeit« und »Liebende Güte«. Die Dharma-Vorfahren sammelten Versunterweisungen des Buddha über Nirvāṇa aus vielen verschiedenen Sūtras des buddhistischen Kanons und fügten sie zu einem Kapitel über Nirvāṇa zusammen.
Möglicherweise sagte der Buddha einen Vers bei einer bestimmten Gelegenheit und einen anderen an einem anderen Ort unter ganz anderen Umständen. Der Buddha hat diese beiden Verse also nicht unbedingt nacheinander gelehrt. Insofern entspricht die Reihenfolge der Verse im Dharmapada der Anordnung, wie sie die Dharma-Vorfahren festgelegt haben, nicht der Reihenfolge, in der sie vom Buddha gelehrt wurden. Wenn wir das Dharmapada lesen, sollten wir daran denken, dass es sich nicht um eine Lehrrede handelt, die der Buddha bei einer Gelegenheit von Anfang bis Ende gegeben hat.
Es gibt zwei Arten von Sūtras, die Sūtras mit tiefer Bedeutung und die Sūtras mit konventioneller Bedeutung. Die Sūtras mit tiefer Bedeutung beziehen sich auf die letztendliche Wahrheit (paramārtha-satya). Die Sūtras mit konventioneller Bedeutung beziehen sich auf die relative Wahrheit (saṃvṛṭi-satya).
Es gibt Sūtras, in denen es heißt, wir müssten die Welt von Geburt und Tod verlassen, um in die Welt des Nirvāṇa zu gelangen. Das setzt voraus, dass es so etwas wie Geburt und Tod gibt und dass Nirvāṇa etwas anderes ist als Geburt und Tod. Es gibt andere Sūtras, wie das Herz-Sūtra, die besagen, dass Geburt und Tod nur Vorstellungen und in Wirklichkeit nicht real seien. Das Herz-Sūtra ist ein Sūtra mit tiefer Bedeutung. Es gibt Sūtras, die über die Vier Edlen Wahrheiten sprechen, und wir wissen, dass diese zur grundlegenden Lehre des Buddhismus gehören. Im Herz-Sūtra heißt es, dass die Vier Edlen Wahrheiten nicht existieren, und das bedeutet, wir können durch tiefes Schauen erkennen, dass keine der Vier Wahrheiten als eigenständige Entität existiert. Wie kann es Leiden geben, wenn es kein Glück gibt? Wie kann es Glück geben, wenn es kein Leiden gibt? Das Leiden, seine Ursache, sein Ende und der Pfad sind die Vier Wahrheiten, aber jede dieser Wahrheiten kann in den anderen drei gefunden werden. Keine der Wahrheiten vermag außerhalb der anderen drei zu existieren. Das Leiden, seine Ursache, sein Ende und der Pfad sind keine getrennten Entitäten.
Es scheint so, als wären die Lehre von den Vier Edlen Wahrheiten als eigenständige Entitäten und die Lehre, dass sie nicht als eigenständige Selbst-Entitäten existieren, zwei miteinander im Widerstreit stehende buddhistische Lehren. In Wirklichkeit sind sie es nicht. Es ist nur so, dass die eine Lehre zu den tiefen Lehren gehört und die andere zu den konventionellen.
Die Dharma-Vorfahren stellten im Sūtra Verse mit tiefer Bedeutung neben Verse mit konventioneller Bedeutung. Verstehen wir, dass es zwei Arten der Wahrheit gibt, stellt sich uns nicht mehr die Frage, warum ein Vers nicht mit einem anderen übereinzustimmen scheint.
Das Nirvāṇa-Kapitel besteht aus sechsunddreißig Versen. Als buddhistische Gelehrte sollten wir in der Lage sein, zu erkennen, welche Verse eine tiefe Bedeutung haben und welche eine konventionelle. Die Sūtras mit tiefer Bedeutung sind sehr interessant und nützlich, aber das gilt auch für die Sūtras mit konventioneller Bedeutung. Jede Art von Sūtra hat ihre Funktion. Am besten beginnen wir mit den Sūtras mit konventioneller Bedeutung und studieren dann nach und nach die Sūtras mit tiefer Bedeutung. Wir müssen um die Vier Edlen Wahrheiten wissen: das Leiden, die Ursache des Leidens, das Ende des Leidens und den Pfad, der zum Ende des Leidens führt. Erst wenn wir sie gut verstanden haben, können wir über sie hinausgehen. Würden wir von vorneherein sagen: »Kein Unwohlsein, keine Ursache des Unwohlseins, kein Ende des Unwohlseins und kein Pfad«, dann wäre das für uns nur sehr schwer zu verstehen.
Da nicht alle Verse des Sūtra von der gleichen Wahrheitsebene aus sprechen, könnten wir sagen, dass es Ungereimtheiten im Sūtra gibt. Als buddhistische Gelehrte wissen wir, dass wir die Verse mit tiefer Bedeutung nicht mit den Versen mit konventioneller Bedeutung vergleichen können. Wenn wir einen Vers mit konventioneller Bedeutung studieren, werden wir erkennen, dass er uns dabei helfen wird, allmählich zur tieferen Bedeutung zu gelangen. Buddhistisch Praktizierende sollten auch Gelehrte sein, intelligente Forscherinnen, die auf wissenschaftliche Weise studieren. Praktizierende sollten nicht bedingungslos an alles glauben, was sie lesen.
In diesem Kapitel gibt es Verse, die sich auf die letztendliche Dimension beziehen, in der es keine Vorstellungen von rein und unrein gibt. In Nirvāṇa gibt es keine Vorstellungen von Reinheit und Unreinheit, innen und außen, Kommen und Gehen, Glück und Leiden. Dasselbe Kapitel enthält Verse, die besagen, der Körper sei unrein; warum sollte man an einem Ort, der unrein ist, nach Glück suchen? Den Sūtras mit tiefer Bedeutung zufolge jedoch besteht weder Reines noch Unreines. Also gibt es zwei Zugänge zur Wahrheit. Zunächst einmal sollten wir das gesamte Kapitel von Anfang bis Ende lesen und erkennen, welche Verse eine tiefe Bedeutung haben und welche eine konventionelle. Uns sollte bewusst sein, dass die Verse mit konventioneller Bedeutung dazu da sind, uns zur tiefen Bedeutung hinzuführen.
Das chinesische Dharmapada hat neununddreißig Kapitel, während die Pali-Version Dhammapada nur sechsundzwanzig Kapitel umfasst. Die Pali-Version Dhammapada, die derzeit sowohl im Westen als auch in Vietnam am weitesten verbreitet ist, enthält das Nirvāṇa-Kapitel nicht. Dieses ist nur im chinesischen Dharmapada zu finden.
Das chinesische Dharmapada9 wurde in der Mitte des dritten Jahrhunderts u.Z. in der Hauptstadt des Wu-Königreichs Jianye (建業), heute bekannt als Nanjing, aus dem Sanskrit übersetzt. Damals gab es nur einen einzigen Tempel in der Hauptstadt, genannt Jian Chu (建初) oder der Erste Tempel. Gegründet wurde er von einem vietnamesischen Zen-Meister namens Tang Hoi10 (Chinesisch: Kang Senghui, 康僧會) mit Unterstützung von Sun Quan (孫權), dem damaligen König von Wu. Die Übersetzung stammt von Wei Qinan (維祈難) und das Vorwort von Zhi Qian (支謙). Das Dharmapada wurde sehr wahrscheinlich im Ersten Tempel übersetzt, in dem Tang Hoi der Abt war.
Zen-Meister Thich Nhat Hanh hat das Sūtra aus dem Chinesischen ins Vietnamesische übersetzt, danach hat es die buddhistische Nonne (Bhikshuni) True Virtue mit seinen Kommentaren aus dem Vietnamesischen ins Englische übertragen. Die Übersetzung des gesamten chinesischen Dharmapada durch Thich Nhat Hanh wurde auf Vietnamesisch unter dem Titel Kết Một Tràng Hoa (»Eine Girlande aus Blumen«) veröffentlicht.
2
Kapitel sechsunddreißig des chinesischen Dharmapada
1
Geduld ist der beste Weg, sich zu schützen.
Der Buddha hat Nirvāṇa als das Höchste und Beste gepriesen.
Wenn śramaṇas11 das weltliche Leben verlassen und die Richtlinien einhalten,
fügen sie niemandem Schaden zu.
2
Gute Gesundheit ist der größte Gewinn,
Zufriedenheit der größte Reichtum,
Loyalität deine beste Freundin,
Nirvāṇa die größte Freude.
3
Hunger ist die am schwersten zu ertragende Not.
Das größte Leiden verursachen die Gebilde.
Vertiefe dich weiter in die Wahrheit, um zu verstehen,
dass Nirvāṇa das größte Glück ist.
4
Nur wenige Menschen auf der Welt sind auf dem heilsamen Pfad.
Auf dem unheilsamen dagegen sind viele.
Vertiefe dich in die Wahrheit, um zu verstehen,
dass Nirvāṇa der sicherste Verweilort ist.
5
Geburt in den himmlischen Bereichen ist durch heilsame Ursachen bedingt.
Unheilsame Geschicke verdanken sich unheilsamen Ursachen.
Nirvāṇa gründet in Ursachen,
es benötigt ebenfalls Bedingungen.
6
Das Wild sucht Zuflucht in der freien Natur,
Vögel suchen sie im Himmel.
Die Manifestation der Phänomene beruht auf einer Unterscheidung.
Der wahre Mensch braucht Nirvāṇa, um in Freiheit zu leben.
7
Einsicht in Kein-Beginn und Kein-Nichtbeginn,
Kein-Sein und Kein-Nichtsein,
das ist das Nichterlangbare,
das Unbegreifbare.
8
Der Geist ist schwer zu erfassen, aber die Gewohnheitsenergien können erkannt werden.
Wer seinen begehrenden Geist zu erkennen vermag, wird alles klar sehen.
Gibt es kein Objekt der Begierde, ist es möglich, alle Arten von Leiden zu vermeiden.
Durch Verblendung nimmt das Leiden stetig zu.
9
Ein klarer, unbefleckter und reiner Geist vermag das Begehren zu bezähmen.
In diesem Moment kommst du nicht mehr mit der Welt des Leidens in Berührung,
auch wenn deine Augen noch sehen, deine Ohren noch hören,
dein Gedächtnis sich noch erinnert und dein Bewusstsein noch unterscheidet.
10
Nachdem du Nichtanhaftung und Nichtunterscheidung verwirklicht
sowie alle Ideen losgelassen hast, kannst du in diesen Bereich eintreten.
Du wirst die Wahrnehmung des Selbst transzendieren,
alle Leid verursachenden geistigen Gebilde meistern
und die Gewohnheit wertend-unterscheidender Wahrnehmung gänzlich beseitigen.
So wird es kein Leiden mehr geben.
11
Vermagst du in einer unruhigen Umgebung Geistesruhe zu bewahren, bleibst du in Stille.
Mit einem aufgewühlten Geist kannst du Nirvāṇa nicht nah sein, vermagst keinen Frieden und keine Freude zu erleben.
Wenn die Vorstellungen von Leid und Glück transzendiert sind, ist wahre Stille da.
Sind die Vorstellungen von wahrer Stille transzendiert, gibt es keine Notwendigkeit mehr für Kommen und Gehen.
12
Wenn es kein Kommen und Gehen mehr gibt, enden auch Geburt und Tod.
Wie könnte nach dem Ende von Geburt und Tod noch zwischen Diesem und Jenem unterschieden werden?
Die Vorstellungen von Diesem und Jenem haben beide aufgehört.
Die absolute Stille, und das ist Nirvāṇa, ist die Befreiung von einer Welt des Leidens.
13
O Mönche, es gibt in der Welt Geburt, Sein, Geschaffenes und Bedingtes.
Aber es gibt auch Keine-Geburt, Kein-Sein, Nichtgeschaffenes und Nichtbedingtes;
denn diese sind der Ausweg aus Geburt, Sein, Geschaffenem und Bedingtem.